solidarität 4/2010

20
Das Magazin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH November 4/2010 www.sah.ch Pakistan Nothilfe für die Flutopfer Schweiz Brücke ins Leben für traumatisierte MigrantInnen

Upload: solidar-suisse

Post on 21-Mar-2016

219 views

Category:

Documents


0 download

DESCRIPTION

Pakistan Nothilfe für die Flutopfer Schweiz Brücke ins Leben für traumatisierte MigrantInnen Das Magazin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH • November 4/2010 www.sah.ch

TRANSCRIPT

Page 1: Solidarität 4/2010

Das Magazin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH • November 4/2010www.sah.ch

PakistanNothilfe für die Flutopfer

SchweizBrücke ins Leben für traumatisierte MigrantInnen

Page 2: Solidarität 4/2010

2E

Dit

or

iAl

13.10.2010  Positive Erfahrung mit Arbeitsprojekt

Zusammen mit 7 weiteren Gemeinden des Zürcher 

Unterlandes beteiligt sich Dällikon noch bis im De-

zember am Projekt «Etcetera im Bezirk Dielsdorf». Im 

Rahmen  dieses  vom  Schweizerischen Arbeiterhilfs-

werk (SAH) lancierten Projektes konnten 50 Teilneh-

merinnen und Teilnehmern insgesamt 3982 Arbeits-

stunden vermittelt werden. Einzelne Personen haben 

dank der Temporäreinsätze eine Festanstellung ge-

funden (…). Aufgrund der positiven Erfahrungen ha-

ben sich das SAH und die Sozialdienste des Bezirkes 

Dielsdorf, die das Projekt koordinieren, für eine de-

finitive Einführung entschieden. (…)

28.9.2010  So überprüfen Sie Ihre Gemeinde

Auf  seiner  Internetseite  bietet  das  Schweizerische 

Arbeiterhilfswerk  (SAH)  eine  Gemeindeübersicht 

zur Beschaffungspolitik an. Mit wenigen Mausklicks 

lässt  sich dort überprüfen, ob die  eigene Wohnge-

meinde  ausschliesslich  fair  produzierte  Ware  be-

schafft. Das SAH will  so politischen Druck auf die 

Gemeinden machen und dafür sorgen, dass die Be-

stimmungen der  International  Labour Organisation 

(ILO) (…) eingehalten werden.

2.9.2010  Die WM war ein Fehlschlag

Grosse  Versprechungen,  falsche  Schätzungen  und 

wachsende soziale Ungleichheit – in einem Bericht 

über die Folgen der Fussball-Weltmeisterschaft 2010 

zieht das Schweizerische Arbeiterhilfswerk eine er-

nüchternde Bilanz. (…)

Die Bauarbeiter, die  zehn Stadien  für die WM neu 

bauten oder umbauten, arbeiteten unter höchst pre-

kären Bedingungen, derweil die grossen Baufirmen 

des  Landes  ihre Gewinne  vervielfachten.  (…) Eine 

strikte Marketingpolitik bescherte den wenigen Fifa-

Partnern exklusive Profite und verhinderte weitge-

hend,  dass  auch  kleine  HändlerInnen  vom  Mega-

Event profitieren konnten. (…)

Medienschau

Liebe Leserin, lieber Leser

Diesen Herbst feierten wir das 35-Jahr-Jubiläum des SAH

in Burkina Faso. Der grösste Erfolg ist eine Bildungsre-

form nach dem Modell «Zweisprachige Erziehung», zu der 

das SAH seit den 1990er-Jahren wesentlich beigetragen hat.

An diesem Geburtstag wird aber auch anderes erwähnt:

Henri Kabore, der Bürgermeister von Ouagadougou, 

dankt für die rasche Hilfe, die das SAH nach den Über-

schwemmungen im September 2009 geleistet hatte. 

Während wir in Burkina Faso weilen, führen sintflutartige

Regenfälle zu Überschwemmungen im Nachbarland

Benin. Ein Drittel der 8.5 Millionen EinwohnerInnen des 

Landes sind betroffen. Die lokalen TV-Sender zeigen 

Bilder von Häusern, die bis zum Dach unter Wasser 

stehen, von Menschen, die verzweifelt versuchen, ein paar 

Habseligkeiten zu retten. Die Bilder schaffen es nicht bis 

in unsere Medien. Ist das kleine Land zu unbekannt bei 

uns? Oder sind die Folgen der Flut zuwenig dramatisch? 

Mit dem Klimawandel häufen sich Unwetterkatastro-

phen. Ob diese im Lichte oder im Schatten der Weltöffent-

lichkeit passieren: Immer sind die Ärmsten am stärksten 

betroffen. Solidarisch sein bedeutet, unmittelbare Hilfe zu 

bringen. Lesen Sie dazu den Bericht zu unserer Unterstüt-

zung der Flutopfer in Pakistan auf Seite 8. 

Wir müssen aber weitergehen: Das heisst alle unsere 

Mittel dafür aufwenden, Armut im Süden zu überwinden, 

und bei uns eine Politik einfordern, die Menschenrechte 

und soziale Gerechtigkeit ins Zentrum stellt. Für das SAH 

bedeutet Solidarität darum, gemeinsam mit den Menschen 

im Süden an einer nachhaltigen Entwicklung zu arbeiten. 

Ruth Daellenbach, Geschäftsleiterin SAH

Page 3: Solidarität 4/2010

3

iNH

Alt

Herausgeber: Schweizerisches Arbeiterhilfswerk SAH, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, tel. 044 444 19 19, E-Mail: [email protected], www.sah.ch, Postkonto 80-188-1 Zürich

Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche redaktorin), rosanna Clarelli, Christian Engeli, Hans Fröhlich, Alexandre Mariéthoz, Cyrill rogger

Layout: Atelier Binkert, www.atelierbinkert.ch

Übersetzungen: irene Bisang, Ursula Gaillard, Milena Hrdina, Walter roselli, Peter Schrembs

Korrektorat: Angelo Ciampi, Marianne Enckell, Jeannine Horni

Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 SchaffhausenErscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–,organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr).Gedruckt auf umweltfreundlichem recycling-Papier.

Impressum

INTERNATIONALJugendliche in Südosteuropa engagieren sich gegen Arbeitslosigkeit 4

Vernichtende Bilanz der WM in Südafrika 7

Unvorstellbare Zerstörung nach der Flut in Pakistan – das SAH leistet Nothilfe 8

PINGPONG 10

STANDPUNKTAda Marra: Zweimal Nein zu unmenschlichen Vorlagen 11

SCHWEIZlehrlinge führen einen laden und finden den beruflichen Einstieg 12

Eine Brücke zurück in die Arbeitswelt für traumatisierte Migrantinnen 14

SPENDENSchenken Sie ein Velo 17

EINBLICKtomasa Cortedano berät landarbeiterinnen bei Arbeitsrechtsverletzungen 18

titelbild: Eine Familie watet durch die Fluten im überschwemmten Pakistan. Foto: Adrees latif/reutersrückseite: Ein von den Fluten zerstörtes Haus. Foto: Debora Neumann

INTERNATIONAL Nach den Zerstörungen durch die Flut naht im Norden Pakistans der Winter: Das SAH unterstützt die Menschen, den Schlamm zu beseitigen, und stellt Notunter-künfte bereit. S. 8–9

INTERNATIONAL Die Bilanz der WM in Südafrika ist ernüchternd: Verluste für Südafrika – Gewinne für die Fifa, wachsende lohnschere statt dauerhafte Arbeitsplätze, leer stehende Stadien. S. 7

SCHWEIZ Das Projekt Ponte hilft Migrantinnen, trotz traumatisierung wieder in der Arbeitswelt Fuss zu fassen. S. 14–15

EINBLICK tomasa Cortedano berät landarbeiterinnen in Nicaragua bei Arbeitsrechtsverlet-zungen und schliesst nebenbei ihr Studium als Anwältin ab. S. 18–19

Page 4: Solidarität 4/2010

4iN

tE

rN

At

ioN

Al

Bis zu 70 Prozent der Jugendlichen in Ko-

sovo,  Serbien  und  Bosnien-Herzegowina 

sind  arbeitslos.  «Und  die  Behörden  tun 

nichts dagegen», stellt Irene Djumic, Pro-

jektleiterin  des  Jugendkommunikations-

zentrums  in Banja  Luka  in Bosnien und 

Herzegowina fest. Im Gegenteil: Statt die 

Arbeit des Zentrums zu unterstützen, wür-

den die Behörden  sie  immer wieder be-

hindern.  «Das  Recht  auf  Information  be-

steht nur auf dem Papier. Die Behörden 

geben  keine  Zahlen  heraus  und  hüten 

sich zu sagen, wie desaströs die Arbeits-

marktlage ist.» 

Um  Informationen  zugänglich  zu ma-

chen,  führt  das  Jugendkommunikations-

zentrum in Mittelschulen Berufswahltage 

durch und bietet eine Berufsberatung für 

SchülerInnen  der  Unterstufe  an,  die  auf 

reges Interesse stösst. Daneben wird den 

Jugendlichen eine ansprechend gestaltete 

Broschüre abgegeben, die alle wichtigen 

Informationen  und  Anlaufstellen  zu  Be-

rufswahl  und  Ausbildungsmöglichkeiten 

enthält. 

Länderübergreifender AustauschIm  serbischen  Vrnjacka  Banja  fanden 

Ende  September  sechs  Organisationen 

aus  Bosnien  und  Herzegowina,  Kosovo 

und  Serbien  zusammen,  um  sich  gegen-

seitig  die  Resultate  ihrer  Projekte  gegen 

die hohe Jugendarbeitslosigkeit vorzustel-

len (siehe Kasten). Ein solches Treffen ist 

nicht  selbstverständlich,  wie  bereits  die 

Schwierig keiten  bei  der Anreise  zeigten: 

Der serbische Staat verweigert die direkte 

Einreise aus dem Kosovo noch immer. Die 

kosovarischen  TeilnehmerInnen  mussten 

an  der  Grenze  ihren  Pass  abgeben  und 

lange warten, während unklar war, ob sie 

einreisen können. 

Nicht einfach den Beruf der Eltern übernehmen

Schlussendlich erreichten alle die Kon-

ferenz rechtzeitig und tauschten in ange-

regter  Atmosphäre  Erfahrungen  aus.  Es 

wurden  gemeinsam  Lösungen  für  die 

Prob leme  der  Jugendlichen  erarbeitet  – 

zum  Beispiel  zur  Verbesserung  der  Zu-

sammenarbeit mit den Behörden. 

Das  gemeinsame Ziel  kommt  im pro-

grammatischen  Projekttitel  des  kosovari-

«Ich will auch Teildes Arbeitsmarkts sein»Mit innovativen Projekten setzen sich Jugendorganisationen in Südosteuropa gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit ein. Text: Karen Rohwedder, Fotos: Dukagjin Nishiqi und Christoph Baumann

«Wähle deine Ausbildung – wähle deine Zukunft»: Die Broschüre des Jugendkommunikationszentrums in Banja Luka bietet Jugendlichen Orientierung beim Eintritt ins Arbeitsleben.

Page 5: Solidarität 4/2010

5

iNt

Er

NA

tio

NA

l

schen  Jugendzentrums  Istog  zum  Aus-

druck: «Ich will auch Teil des Arbeitsmarkts 

sein». Einen speziellen Fokus legt das Pro-

jekt  auf  den  Einbezug  der  Eltern  in  die 

Berufswahl.  «Traditionellerweise  setzen 

sich im Kosovo allzu oft weder LehrerIn-

nen noch Eltern gebührend mit den Be-

dürfnissen und Fähigkeiten der Jugendli-

chen auseinander, da erwartet wird, dass 

diese den Beruf der Eltern übernehmen», 

erzählt  Projektleiter  Luan  Hasanj.  Work-

shops  regen  die  Jugendlichen  an,  ihre 

Berufswünsche  zu  hinterfragen,  ihre  Fä-

higkeiten  zu  erkennen  und  diese  in Be-

werbungsunterlagen zur Geltung zu brin-

gen. 

Die NGO «Cube» aus Serbien setzt wie-

derum  einen  anderen  Schwerpunkt:  Sie 

ermutigt  junge  Frauen,  bei  der  Berufs-

wahl  auch  männerdominierte  Berufe  in 

Erwägung zu ziehen. In Workshops wer-

den  das  Selbstbewusstsein  der  jungen 

Frauen  gestärkt  und  Informationen über 

ihnen offen  stehende Möglichkeiten ver-

mittelt. 

Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft

Auch Bojana Bijelovic von der Jugend-

sektion des  serbischen Gewerkschaftver-

bands CATUS nahm an der Konferenz teil. 

Den  Gewerkschaften  begegnen  die  Ju-

gendorganisationen wegen ihrer ehemali-

gen Nähe zum kommunistischen Regime 

immer noch mit 

Misstrauen.  Bo-

jana  Bijelovic 

stellte  die  Ar-

beit der Jugend-

sektion  vor  – 

zum  Beispiel 

die  Weiterbildung  über  Arbeitsrechte  – 

und  erzählte  über  die  schwieri gen  Be-

dingungen der Jugendarbeit innerhalb der 

Gewerkschaften:  «Wir  haben  weder  ein  

eigenes Budget noch ein Mitspracherecht 

bei  der  Verteilung  der  Gelder.»  Gleich-

zeitig bedauerte sie, dass die Zusammen-

Jugendwettbewerb des SAH in SüdosteuropaMit dem Wettbewerb «Jugend und Arbeit» thematisiert das SAH die enorm hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südosteuropa und fördert die Eigeninitiative von jungen Erwachsenen. Das Ziel ist, die Chancen von Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Ausserdem soll die länderübergreifende Vernetzung der Projekte unterei-na nder wie auch mit den jeweiligen Sozialpartnerinnen und Behörden gestärkt werden. Sechs Projekte aus Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Serbien wurden im Dezem-ber 2009 zur Unterstützung ausgewählt und werden seither umgesetzt.

«Die Behörden tun nichts gegen die Jugend- arbeitslosigkeit.»

Jugendliche trainieren in Workshops ihre Fähigkeiten und erhalten bei Betriebsbesichtigungen einen Einblick in die Arbeitswelt.

arbeit mit NGOs bis anhin vernachlässigt 

worden  ist. Die ähnlichen Ziele und Be-

hinderungen,  mit  denen  sie  konfrontiert 

sind, förderten das gegenseitige Verständ-

nis.  So  beschlossen  Gewerkschaftsange-

hörige und VertreterInnen der  Jugendor-

ganisationen,  sich  in  Zukunft  über  ihre 

Projekte  und  Aktionen  auszutauschen, 

um gemeinsam Druck auf die Behörden 

auszuüben,  damit  diese  ihre  Verantwor-

tung wahrnehmen. 

Page 6: Solidarität 4/2010

6

Revolten in Moçambique

In den ersten drei Septembertagen ist Moçambique von gewalttätigen Ausschreitungen erschüttert worden. In der Hauptstadt Maputo, in Matola und in Chimoio gingen Hunderte von Menschen auf die Strasse, errichteten Barrikaden, plünderten Geschäfte und zündeten Autoreifen an, um gegen Preiserhöhungen bei Strom, Wasser und Brot zu protestieren.Allein der Brotpreis war aufgrund der auf dem Weltmarkt explodierenden Weizenpreise und der Abwertung der moçambiquanischen Währung um 30 Prozent gestiegen. Polizei und Mili- tär gingen gewaltsam und mit scharfer Munition gegen die Demonstrierenden vor: Es gab 13 Tote und 443 Verletzte. Die Regierung entschied zunächst, die Preiserhöhungen nicht zurückzu-nehmen, tat dies am 7. September 2010 dann aber doch.Jorge Lampião, SAH-Koordinator in Moçambique, meinte dazu: «Proteste wird es immer wieder geben, solange die Regierung deren Ursachen nicht angeht. Dazu gehören die wachsende Armut in den Städten und fehlende Investitionen zur Verbesserung der Produktion und Produktivität in der Landwirtschaft. Die Menschen kämpfen täglich ums Überleben. Da reicht ein kleiner Funken, und das Pulverfass explodiert.» www.sah.ch/news

Neues Schulprogramm in Benin

Das SAH hat im August 2010 im Konsortium mit Helvetas ein Mandat der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA in Benin übernommen. Ziel ist die Entwicklung eines Bildungs-programms für Kinder zwischen 9 und 15 Jahren, die vom formellen Erzie-hungssystem ausgeschlossen sind. Zunächst soll das Schulmodell in sieben ländlichen Gemeinden im Departement Borgou auf den Schulanfang 2011 eingeführt werden. In diesem Gebiet, das zu den ärmsten in Benin zählt, gehen 54 Prozent der Kinder nicht zur Schule. Speziell die Mädchen sind vom Bildungssystem ausgeschlossen. Inner-halb von 15 Jahren soll das an die sozioökonomischen Realitäten ange-passte Modell auf das ganze Land ausgedehnt werden.

35 Jahre SAH-Engage-ment in Burkina Faso

Mit grosser öffentlicher Beteiligung hat das SAH Burkina Faso am 3. Oktober 2010 seinen 35. Geburtstag gefeiert. Odile Bonkoungou, die Erziehungs-Ministerin, würdigte die Arbeit des SAH: «Die hohe Qualität des SAH-Programms überzeugte uns in unserem Kampf gegen die Armut.»Die ersten Aktivitäten des SAH in den 1970er-Jahren unterstützten die ländliche Entwicklung mit dem Ziel, den Menschen ein kleines Einkommen zu verschaffen. Bildung bildet den zweiten und heute wichtigsten Schwerpunkt. Mitte der 1990er-Jahre hat das SAH in Partnerschaft mit dem Erziehungs-ministerium eine Bildungsreform initiiert: Die Einführung des zweispra-chigen Unterrichts in lokalen Sprachen und in Französisch. www.sah.ch/news

Nach dem Millenniumsgipfel

Am Millenniumsgipfel Ende September 2010 hat die UNO Bilanz der Resultate auf dem Weg zu den Millenniumszielen gezogen. Das zentrale Ziel, Hunger und Armut in der Welt zu überwinden, wird weit ver-fehlt. Trotzdem liessen sich die Industrieländer nicht auf jene 20 bis 40 Milliarden Dollar zusätzliche Mittel verpflichten, die nötig wären, um die Ziele bis 2015 auch nur annähernd zu erreichen. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey appellierte an die Internationale Gemeinschaft, verstärkt für die Millenniumsziele zu arbeiten, und stellte die Frage, ob sich die Entwicklungszusammenarbeit zu oft auf die Symptom-bekämpfung beschränkt statt an den Ursachen anzusetzen. Das SAH unterstützt diese Sichtweise und fordert den Bundesrat auf, an den Wurzeln von Armut und Ungerechtigkeit anzusetzen. So muss etwa die «Decent Work-Agenda», die das Recht auf Arbeit und die Einhaltung der Arbeitsrechte postuliert, eine Priorität der Schweizer Entwicklungspolitik werden. www.sah.ch/news

No

tiZ

EN

Page 7: Solidarität 4/2010

7

Falsche Versprechungen, überrissene Schätzungen, grosse Enttäuschung Eine Studie des SAH zeigt, was die WM der Bevölkerung in Südafrika wirklich gebracht hat. Text: Christian Engeli, Foto: SAH

Die  erste  Fussball-Weltmeisterschaft  auf 

afrikanischem Boden löste in der südafri-

kanischen  Bevölkerung  riesige  Hoffnun-

gen aus. Von wirtschaftlichem Aufschwung, 

von neuem Glanz für Südafrika, von Per-

spektiven  und  Jobs war  die  Rede. Doch 

die Bilanz ist ernüchternd.

17 Mal teurer als geplantEine  Studie  des  SAH  zu  den  sozialen 

und  ökonomischen  Folgen  der  WM 

kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: 

Die Kosten für den südafrikanischen Staat 

fielen um 1709 Prozent höher aus als ge-

plant. Statt einem erwarteten Gewinn von 

700 Millionen Franken resultierte für Süd-

afrika ein Verlust von mindestens 2,8 Mil-

liarden. Die  Fifa  hingegen nahm  zusam-

men mit ihren Partnern über 3 Milliarden 

Franken ein und hat ihren Gewinn gegen-

über  der  WM  2006  in  Deutschland  um  

50 Prozent gesteigert. Auf Druck der Her-

ren aus Zürich hat die südafrikanische Re-

gierung  die  Gewinne  der  Fifa  und  ihrer 

Partner von den Steuern befreit. Ein Spre-

cher der südafrikanischen Steuerbehörde 

meint dazu: «Die Privilegien und Konzes-

sionen, die wir der Fifa zugestehen muss-

ten, waren schlicht zu hoch, als dass für 

uns ein monetärer Nutzen hätte entstehen 

können.»

Weniger statt mehr JobsDie  WM  führte  auch  nicht  zu  einem 

dauerhaften Jobwunder, wie oft beschwo-

ren wurde –  im Gegenteil. Bis Ende  Juli 

2010  sank  die  Beschäftigung  gegenüber 

dem Vorjahr um 4,9 Prozent. Im Bausek-

tor  gingen  sogar  111 000  Jobs  verloren. 

Für die fünf grössten Bauunternehmen in 

Südafrika hingegen war die Fussballwelt-

meisterschaft  ein  Riesengeschäft:  Sie 

konnten ihren Gewinn von 110 Millionen 

(2004) auf 1,4 Milliarden Franken (2009) 

steigern. Die Löhne ihrer CEOs stiegen in 

dieser Zeit im Schnitt um 200 Prozent. Die 

Bau arbeiterInnen  hingegen  mussten  mit 

26  Streiks  dafür  sorgen,  dass  ihnen  

wenigstens  die  Teuerung  ausgeglichen 

wurde. 

Unter den zehn gebauten oder erwei-

terten Stadien sind mindestens drei «Weis-

se  Elefanten»:  Sie  sind  viel  zu  gross,  als 

dass  sie  nach  der WM  jemals  kostende-

ckend  betrieben  werden  könnten.  Auf 

Druck der Fifa wurden sie trotz Einwän-

den  des  südafrikanischen  Fussballver-

bands gebaut. Für diese und andere Infra-

strukturbauten wurden  laut  Schätzungen 

der UNO gegen 20 000 Menschen aus ih-

ren Unterkünften vertrieben.

Die für die WM investierten 5,5 Milliar-

den Franken hätte das Land dringend für 

andere Projekte gebraucht. Die Mehrheit 

der Bevölkerung in Südafrika lebt in un-

würdigen  Verhältnissen:  7,5  Mil lio nen 

Menschen sind ohne Arbeit (40 Prozent), 

es  fehlen  Unterkünfte  für  mindestens  

12 Millionen, 8,4 Millionen Menschen le-

ben in Slums.

Kein Unrechtsbewusstsein bei der Fifa

Stossend ist nicht, dass die WM in Süd-

afrika  veranstaltet  worden  ist.  Stossend 

ist, dass die Fifa sich zwar den Slogan «For 

the game,  for  the world» auf die Fahnen 

schreibt, aber offensichtlich nur am eige-

nen Profit interessiert ist. 

Bei  der  Fifa  scheint  man  sich  jedoch 

keines Unrechts bewusst zu sein. Bereits 

hat sie  für die Austragung der WM 2018 

eine  totale  Befreiung  von  allen  direkten 

und indirekten Steuern gefordert. Sie ar-

gumentiert,  sie  bezahle  ja  bereits  in  der 

Schweiz Steuern. Das stimmt nicht ganz: 

Die Fifa gilt in der Schweiz trotz dreistel-

ligem Millionengewinn  als  «gemeinnützi-

ge Organisation» und ist von den direkten 

Bundessteuern befreit. Das Parlament hat 

es  erst  im  Juni  dieses  Jahres  abgelehnt, 

die Regelung zu ändern.

Mehr Fairplay bei der nächsten WM

Für die Menschen in Brasilien zeichnet 

sich bei der WM 2014 eine Wiederholung 

des Debakels von Südafrika ab. Das SAH 

fordert von der Fifa und ihrem Präsiden-

ten  Sepp Blatter  Fairplay  –  auch  abseits 

des  Spielfeldes.  Die  Fifa  muss  die  Fuss-

ball-WM  so  gestalten,  dass  nicht  nur  sie 

selbst und die grossen Baukonzerne, son-

dern  auch die Menschen  in den Gastge-

berländern davon profitieren.

Während sich die Löhne der CEOs verdreifachten, streikten die ArbeiterIn-

nen auf den Stadion baustellen in Südafrika für den Teuerungsausgleich.

iNt

Er

NA

tio

NA

l

Page 8: Solidarität 4/2010

8iN

tE

rN

At

ioN

Al

Mitte  August,  eine  Woche  nach  Beginn 

der katastrophalen Flut,  treffe  ich  in Pe-

shawar im Nordwesten Pakistans ein, um 

die Nothilfe des SAH zu koordinieren. Der 

Regen lässt endlich nach und das zurück-

gehende Wasser macht die enormen Zer-

störungen  sichtbar.  So  etwas  Schlimmes 

habe  ich  noch  nie  zuvor  gesehen.  Die 

Flutwellen  haben  alles  mitgerissen  und 

die  Häuser  meterhoch  mit  Schlamm  ge-

füllt.  Die  Nummernschilder  der  ange-

schwemmten Autos stammen zum Teil aus 

Regionen, die 300 bis 400 Kilometer wei-

ter nördlich liegen. 

Zwei Meter hohe SchlammschichtDie  Flüsse  sind  drei  bis  vier  Mal  so 

breit  wie  normalerweise  zur  Zeit  des 

Monsunregens.  Das  ist  umso  verheeren-

der,  als  in der betroffenen Gegend  rund 

90  Prozent  der  Bevölkerung  von  der 

Landwirtschaft  leben. Die Felder, auf de-

nen Mais, Getreide und Zuckerrohr ange-

pflanzt  werden,  sind  von  einer  ein  bis 

zwei Meter hohen Schlammschicht zuge-

deckt, überall liegt Geröll herum. Die gan-

ze Ernte ist vernichtet. Zudem ist die Infra-

struktur ruiniert. Krankenhäuser, Schulen, 

Kindergärten,  das  Elektrizitätsnetz,  Was-

serleitungen  –  alles  ist  kaputt.  Ich  habe 

schon viele von Erdbeben zerstörte Regio-

nen gesehen, auch die Folgen des Tsuna-

mi. Doch das war nichts im Vergleich zur 

Katastrophe in Pakistan, die vor allem den 

ärmsten Teil der Bevölkerung trifft.

Haus und Feld ausbuddelnNach  der  Versorgung  mit  sauberem 

Trinkwasser  und  Nahrungsmitteln  brau-

chen die Leute dringend Werkzeuge, um 

ihre Häuser und Felder vom Schlamm zu 

befreien. Deshalb verteilt das SAH in den 

Distrikten Noshera und Charsadda Hilfs-

güter: Schaufeln, Kübel, Schubkarren und 

Plastikplanen.

Im Zuge dieser Nothilfe lerne ich Ende 

September die Witwe Hussan Bano ken-

nen, die mit ihrem Sohn und sechs Enkeln 

im Dorf Agra Payan lebt. Ihr Haus ist von 

den  Fluten  total  zerstört  worden,  nur 

Schlamm und Schutt sind übrig geblieben. 

Sie hat zwar von der Regierung ein Zelt 

erhalten,  in  dem  nun  die  ganze  Familie 

übernachtet. Doch  um  ihr Haus wenigs-

tens notdürftig wieder herrichten zu kön-

nen,  ist sie auf unsere Hilfe angewiesen. 

«Ich brauche mein ganzes Geld für Essen 

und neue Kleider für meine Grosskinder. 

Schaufel und Schubkarre zu kaufen, liegt 

nicht  drin»,  sagt  Hussan  Bano.  «Mit  den 

Werkzeugen des SAH können mein Sohn 

und  ich  nun  endlich  den  Schlamm  und 

den Schutt wegräumen.»

Als wir tags darauf in das Nachbardorf 

von  Agra  Payan  fahren,  sehen  wir  eine 

Gruppe von Männern, die mit den an sie 

abgegebenen Werkzeugen und Schubkar-

ren den Schlamm aus einem Kanal schau-

feln, damit das Abwasser des Dorfes wie-

der  abfliessen  kann.  Mehr  und  mehr 

DorfbewohnerInnen kommen, um mitzu-

helfen oder zuzusehen. Am Nachmittag ist 

der Kanal sauber und die Strasse frei von 

Abwasser. 

Notunterkünfte vor WintereinbruchDas Ausmass der Zerstörung ist so im-

mens, dass es noch Jahre dauern wird, bis 

die Folgen der Flut behoben sind. 2,2 Mil-

lionen  Häuser  sind  zerstört,  und  Ende 

September waren noch  immer 12 Millio-

nen Menschen auf Hilfe angewiesen. Sie 

leben weiterhin in den Ruinen ihrer Häu-

ser  oder  in  Zelten.  Im  Norden  beginnt 

bald der Winter mit Durchschnittstempe-

raturen von null bis fünf Grad. 

Das  SAH  hat  Anfang  Oktober  in  der 

Region um Agra Payan mit dem Bau von 

800  Notunterkünften  und  sanitären  Ein-

richtungen  begonnen.  Denn  die  Men-

schen brauchen dringend bessere Unter-

künfte, um durch den Winter zu kommen 

und ein würdiges  Leben  führen  zu kön-

nen,  bis  ihre  Häuser  wieder  aufgebaut 

sind. 

Alles ist kaputtVon der Jahrhundertflut in Pakistan im August und September sind zwanzig Millionen Menschen betroffen. Das SAH leistet Not- und Wiederaufbauhilfe für die Flutopfer. Text und Fotos: Debora Neumann

Ihre Spende wirkt!Das SAH hat im Norden Pakistans dringend benötigte Hilfsgüter an 20 000 von der Flut betroffene Men-schen verteilt und baut 800 Not-unterkünfte. Die Projekte werden in Zusammenarbeit mit Partnern des europäischen Netzwerks SoliDAr und mit Unterstützung der Glücksket-te durchgeführt. Ab Dezember wer-den wir auch in der südlichen Provinz Punjab Baumaterial verteilen und die leute beim Wiederaufbau ihrer Häuser unterstützen. Debora Neumann sorgt vor ort dafür, dass die Hilfe rasch und effizient bei den Betroffenen ankommt. Unterstützung ist weiterhin nötig: Spenden Sie auf www.sah.ch/spenden oder auf das Postcheckkonto80-188-1.

Page 9: Solidarität 4/2010

9

iNt

Er

NA

tio

NA

l

Mit den vom SAH verteilten Werkzeugen und Schubkarren legen Dorfbewohner einen verschütteten Abwasserkanal frei.

Die Überschwemmungen haben in ganz Pakistan 2,2 Millionen Häuser zerstört.

Page 10: Solidarität 4/2010

10

Rätsel Auswertung Barometer

22 Personen beteiligten sich am Solidaritäts-Barome-ter zum thema lehrstellen.

Gibt es Ihrer Meinung nach genügend Lehrstellen in der Schweiz?

Was braucht es, damit alle Jugendlichen eine Lehrstelle bekommen?

Solidaritäts-Barometer

Sind Sie der Meinung, dass die Entwicklungszusammenarbeit zu sehr Symptombe-kämpfung betreibt und zu wenig an den Ursachen von Armut ansetzt (siehe S. 6)?

Worauf sollte sich die Entwicklungszusammenarbeit vermehrt konzentrieren?

Sollte die Schweiz ihre Ausgaben für die Entwicklungshilfe erhöhen (siehe S. 13)?

Beantworten Sie die Fragen des Solidaritäts-Barometers auf dem beigelegten Antworttalon.

nein

ja

keine Antwort

je nach Branche

Wie könnte die Diskriminierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellensuche verhindert werden?Coaching wurde als wichtige Strategie vorgeschlagen, gefolgt von der Möglichkeit anonymer Bewerbungen, besseren Sprachkenntnissen und Solidarität mit den Jugendlichen.

Kommentar von Silvia Caluori und Christine Spychiger vom SAH ZentralschweizUnsere Erfahrung in der Beratungsarbeit mit Jugendlichen verschiedenster Herkunft zeigt, dass es in der Schweiz zwar genügend lehrstellen gibt, diese jedoch oft nicht mit den Berufswünschen und schulischen Voraussetzungen der Jugendlichen übereinstimmen. Es fehlt vor allem an Attestausbil-dungsplätzen: einfacheren, praxisbezogenen Ausbildungen, die den Fähigkeiten der Jugendlichen entsprechen. Nötig sind sowohl die offenheit der lehrbetriebe als auch das interesse und eine hohe Motivation der jungen Menschen. Bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz hilft die Begleitung durch Coaches, öffnen diese doch türen, die den lehrstellensuchenden allenfalls verschlossen blieben.

PiN

GP

oN

G

Schicken Sie das lösungswort ans SAH mit dem beiliegenden vorfrankierten Antwort-talon,

einer Postkarte oder per E-Mail an: [email protected], Betreff: «rätsel». Jede richtige lösung

nimmt an der Verlosung teil.

1. Preis: Kaleidoskop

2. Preis: Tasche

3. Preis: Insektenvilla

Die Preise werden freundlicherweise vom BoA des SAH Schaffhausen zur Verfügung gestellt.Einsendeschluss ist der 3. Januar 2011. Die Namen der Gewinnerinnen werden in der Solidarität 1/2011 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende des SAH und der SAH-regionalvereine.

Das lösungswort des rätsels in Solidarität 3/10 lautete «lehrstellen für alle». Die Gewinnerinnen waren: Jari Günther aus rüti und Fiona Fröhlich aus Winterthur. Wir danken den Mitspielerinnen für ihre teilnahme und dem SAH Zürich für die gestifteten Preise.

SAH-Sudoku Spielregeln

Füllen Sie die leeren Felder mit den

Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede

Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und

in jedem der neun 3x3-Blöcke nur ein

Mal vorkommen.

Das lösungswort ergibt sich aus den

grauen Feldern waagrecht fortlaufend,

nach folgendem Schlüssel:

1=N, 2=D, 3=M, 4=G, 5=H, 6=E,

7=C, 8=i, 9=K

1 2

7 2 5

5 3

3 8

4 8

3 9 26 7

4 7 6

8 7 5 6 3

9 1

lösungswort:

0

5

10

15

20

22

0

5

10

15

20

22

0

5

10

15

20

22

0

5

10

15

20

22

Förderung von integrationsprojekten für Kinder und

Jugendliche

Finanzieller Anreiz für Betriebe, lehrstellen anzubieten

Mehr öffentliche Gelder für die Bildung

Jugendliche müssen bei der Berufswahl flexibler sein

Gesetzliche Verankerung des rechts auf Ausbildung

bis zum Erstabschluss

Page 11: Solidarität 4/2010

11

Die Unterschriftensammlung für die Initi-

ative  zur  Ausschaffung  krimineller  Aus-

länderInnen  wurde  äusserst  polemisch 

geführt.  Leider  wurde  die  SVP-Initiative 

aber  vom Bundesgericht  nicht  verurteilt. 

Sie verlangt die Ausschaffung aller auslän-

dischen Personen, die wegen Mord, Verge-

waltigung,  schweren  Sexualdelikten,  Ge-

walttaten  wie  Raub,  Menschen-  und 

Drogenhandel, Einbruch oder auch Versi-

cherungs- und Sozialhilfemissbrauch ver-

urteilt  worden  sind.  Damit  wider spricht 

sie  diversen  gesetzlichen  Grundlagen, 

zum Beispiel der Europäischen Menschen-

rechts konvention,  den  Freizügigkeitsab-

kommen mit der EU und dem Grundsatz 

der Verhält nismässigkeit,  der  in  der Ver-

fassung verankert ist. Denn sie sieht eine 

zwin gen de Wegweisung straffälliger Aus-

länderInnen  vor.  So  müsste  etwa  ein 

Fami lien vater,  der  seit  20  Jahren  in  der 

Schweiz lebt und neben seiner offiziellen 

beruflichen  Tätigkeit  Schwarz  arbeit  leis-

tet,  in  sein  Heimatland  zurückgeschafft 

werden und seine Familie hier zurücklas-

sen.  Ebenso  würde  ein  Flüchtling  –  ein 

Mensch, der erwiesenermassen in Gefahr 

ist und dem in seiner Heimat vielleicht so-

gar  der  Tod  droht  –,  zwingend  ausge-

schafft. 

Wegweisungen schon möglichDie heutige Praxis  stützt  sich auf das 

Ausländergesetz, das bereits Bestimmun-

gen  über  die  Wegweisung  krimineller 

AusländerInnen enthält. Dabei ist es den 

Kantons gerichten überlassen, diese Mass-

nahme anzuordnen. In der Schweiz wer-

den pro Jahr 350 bis 500 Personen in ihre 

Heimatländer  ausgeschafft.  Diese  Zahl 

schwankt je nach Kanton be trächtlich. 

Der direkte Gegenvorschlag zur SVP-Initi-

ative  respektiert  zwar  das  Non-

Refoulement-Prin zip, das einem Staat ver-

bietet,  einen  Flüchtling  in  ein  Land 

zurückzuschicken, in dem sein Leben ge-

fährdet sein könnte. Hinsichtlich der Liste 

der Delikte, die eine Wegweisung zur Fol-

ge hätten, ist er jedoch nicht weniger hart. 

Ihm wurde ein  Integrationsartikel beige-

fügt,  der  festhält,  dass  die  Kantone 

Integrationsmass nahmen  ergreifen  müs-

sen. Die Finanzierung dieser Massnahmen 

hat  jedoch die Hürden der parla mentari-

schen Kommission nicht genommen. So-

mit dürften sie ein frommer Wunsch blei-

ben.

Fehlender Mut bei Mitte-RechtsAm 28. November braucht es also ein 

Nein zur Initiative und ein Nein zum Ge-

genvorschlag. Ein Ja zum Gegenvorschlag 

leugnet, dass Wegweisungen gemäss gel-

tendem Gesetz schon heute möglich sind. 

Personen,  die  ihren  Aufenthalt  in  der 

Schweiz  missbrauchen,  können  ausge-

schafft  werden.  In  gewissen  Fällen  war 

eine Wegweisung ganz einfach nicht mög-

lich,  weil  die  erforderlichen  Unterschrif-

ten  auf  den  Rückübernahmeabkommen 

fehlten. Daran ändert aber auch der Ge-

genvorschlag des Bundesrates nichts. 

Es  braucht  ein  doppeltes  NEIN,  weil 

die  Linke  diesen  Vorschlag  der  Mitte-

Rechts-Parteien nicht mittragen kann, die 

– herausgefordert  von der SVP – einmal 

mehr  von  ihren  Prinzipien  abgewichen 

sind und nicht den Mut aufbrachten, die 

Aus schaffungsinitiative für ungültig zu er-

klären, wie es SP und Grüne forderten.

Lassen wir uns am 28. November nicht 

von Angst und Irrationalität leiten!

Zweimal Nein zu unmenschlichen VorlagenDie Ausschaffungsinitiative der SVP und der Gegenvorschlag des Bundesrates sind nutzlos und widersprechen den Menschenrechten. Text: Ada Marra, SP-Nationalrätin

ADA MARRASP-Nationalrätin

StA

ND

PU

NK

t

nein

ja

keine Antwort

je nach Branche

Page 12: Solidarität 4/2010

1212S

CH

WE

iZ

«Ich  bin  schüchtern  und  habe  wenig 

Selbstvertrauen. Bei meiner Arbeit im La-

den habe ich gelernt, mit Kunden umzu-

gehen. Für mich hat ein neues Leben be-

gonnen.»  Juliana  Groubel  stammt  ur- 

sprünglich  aus  Madagaskar  und  ist  vor 

zwei  Jahren  in  die  Schweiz  ge kom men. 

Sie absolvierte eine Vorlehre im Outlet in 

Villeneuve,  dank der  es  ihr bald gelang, 

eine Lehrstelle im Verkauf zu finden. Die 

Tatsache,  dass  sie  bereits  über  konkrete 

Verkaufserfahrung verfügte, spielte da bei 

eine grosse Rolle. «Mein Chef hat schnell 

gemerkt,  dass  ich  schon  im Verkauf  ge-

arbei tet habe», erzählt Juliana Groubel. 

Der  Outlet-Laden  von  Le  Coq  Sportif 

(siehe Kasten) beschäftigt ausschliesslich 

zwei Lehrlinge und vier Vorlehrlinge, die 

von  einer  Detailhandelsangestellten  be-

treut  werden.  Hier  arbeiten  die  jungen 

Menschen  unter  Arbeits markt-Bedingun- 

gen: Mit den Einnahmen aus dem Verkauf 

muss ein Teil des Ladens  finanziert wer-

den. Geschäftsleiterin Anita Tissot erklärt: 

«Das  Innovative  an  diesem  Projekt  ist, 

dass Stellen in der realen Arbeitswelt an-

geboten  werden.»  Das  Konzept  scheint 

sich zu bewähren: 75 Prozent der jungen 

Menschen, die im Laden gearbeitet haben, 

finden eine berufliche Lösung. 

BewegungsdrangDie meisten Jugendlichen, die im Out-

let  ausgebildet  werden,  hatten  aufgrund 

ihres Alters Mühe, eine Lehrstelle zu fin-

den. Das gilt auch für Arianit Lokaj. Nach 

Abschluss  der  obligatorischen  Schulzeit 

im Jahr 2002 begann der junge Mann aus 

dem  Kosovo  eine  Lehre  in  einem  Ver-

sicherungsunternehmen. Doch die Büro-

arbeit  gefiel  ihm  nicht.  «Ich  muss  mich  

bewegen können, und Versicherungsaus-

weise und Bescheinigun gen auszustellen 

fand ich etwas langweilig.» Deshalb brach 

er seine Lehre im Alter von 19 Jahren ab, 

um sich dem Verkauf zuzuwenden.

Dort erhielt er jedoch keine Lehrstelle. 

«Viele Unternehmen fanden mich zu alt.» 

Von 2004 bis 2008 arbeitete er temporär, 

meist  auf  dem  Bau.  «Ich  wohnte  zwar 

noch bei meinen Eltern, aber ich musste 

trotzdem Geld verdienen, um meinen An-

teil an Kost und Logis zu bezahlen. Als ich 

arbeitslos  wurde,  konnte  ich  das  nicht 

mehr. So meldete  ich mich 2006 bei der 

Sozialhilfe  an.»  Arianit  erhielt  finanzielle 

Unter stützung  und  konnte  an  Integra-

tionsmassnahmen  teilnehmen.  Dennoch 

gelang es ihm nicht, eine Lehrstelle zu fin-

den, und er arbeitete weiter  in  temporä-

ren Stellen. 

Auf den Erfahrungen aufbauen2008  meldete  sich  der  junge  Mann 

beim SAH Waadt, wo er lernte, seinen Le-

benslauf  ansprechender  zu  for mulieren 

und  seine  Erfahrungen  in  ein  besseres 

Licht zu rücken. Mit dieser Unterstützung 

fand er 2009 eine Lehrstelle im Outlet von 

Villeneuve. 

Heute  ist  Arianit  Lokaj  voller  Taten-

drang: «Bevor ich ins Outlet kam, hatte ich 

Mit 21 schon zu altEin Projekt des SAH Waadt konfrontiert junge VerkäuferInnen in einem Outlet-Laden mit den Gegebenheiten in der realen Arbeitswelt. Dies erleichtert ihnen den beruflichen Einstieg. Text: Alexandre Mariéthoz, Fotos: Robert Hofer

Arianit Lokaj lernt im Outlet strukturierter zu arbeiten und hat seine Führungsqualitäten entdeckt.

Page 13: Solidarität 4/2010

13

schon  viele  Erfahrungen  gesammelt,  die 

ich  in  meiner  jetzigen  Tätigkeit  nutzen 

kann. Zudem lerne ich hier, strukturierter 

zu arbeiten und meine Zeit besser einzu-

teilen.»  Parallel  zu  seiner  Ver kaufslehre 

absolviert  er  die  kaufmännische  Berufs-

matura. Diese wird ihm die Türen zu den 

Fachhochschulen  öffnen.  Arianit  möchte 

sich auf den Bereich Finanzmanagement 

spezialisieren.

Ein Team führenWenn  Arianit  über  die  Vergangenheit 

spricht,  spürt  man  manchmal  eine  leise 

Bitterkeit.  «Ich habe  teuer  dafür  bezahlt, 

dass ich nicht sofort die richtige Lehre ge-

funden  habe.» Aber  es  ist  nicht  die  Zeit 

der Reue, sondern die Zeit der Projekte: 

Er  will  das  Eidgenössische  Fähigkeits-

zeugnis  erlangen  und  die  Berufsmatura 

be stehen. Sein Ziel ist es, irgendwann ein-

mal ein Team zu führen. «Ich fühle mich 

fähig,  andere  Menschen  zu  motivieren 

und mehrere Dinge gleichzeitig zu mana-

Ko

lU

MN

E

Versagt

Zur Jahrtausendwende beschloss die

UNO ehrgeizige Millenniumsziele. Unter

anderem sollte die Zahl der hungernden

Menschen bis ins Jahr 2015 von einer

ganzen auf eine halbe Milliarde reduziert

werden. Dieses Ziel wird – wie alle

anderen auch – verpasst, und zwar gründ-

lich. Die Zwischenbilanz der Millenniums-

ziele am diesjährigen UNO-Gipfel in New

York hat deutlich gemacht, dass die

internationale Staatengemeinschaft

vollständig versagt hat. Leider kann man

die Schweiz von dieser Kritik nicht

ausnehmen. Wenn’s hoch kommt, werden

die eidgenössischen Räte demnächst eine

bescheidene Aufstockung unserer Mittel

für Entwicklungszusammenarbeit auf

0,5 Prozent des BIP beschliessen, aber

das liegt noch weit weg vom Sollwert von

0,7 Prozent. Leider unterlässt es die

schweizerische Handelsdiplomatie noch

immer, in Freihandelsverträgen auf

verbindliche Art und Weise soziale und

ökolo gische Mindeststandards einzubau-

en, die beide Seiten unter Androhung von

Sanktionen durchsetzen müssen. Und

leider schliesst die schweizerische

Finanzdiplomatie weiterhin mit Entwick-

lungsländern entweder überhaupt keine

Abkommen zur Bekämpfung der Steuer-

flucht ab oder dann solche ohne die

Amtshilfe, die wir den OECD-Staaten

zugestehen mussten. Mit anderen Worten:

Es fehlt eine auf die Armutsbekämpfung

ausgerichtete Aussenwirtschaftspolitik.

Diese Aufgabe wird fälschlicherweise der

Entwicklungszusammenarbeit überlassen,

und die ist damit überfordert. Ohne eine

kohärente Politik, die auch Steuer- und

Handelsabkommen auf die Millenniums-

ziele ausrichtet, wird in fünf Jahren das-

selbe festgestellt werden müssen wie

in diesem Jahr: Die UNO und ihre Mitglied-

staaten haben versagt.

HANS-JÜRG FEHRSAH-Präsident und SP-Nationalrat

13

Ein Sprungbrett für den ArbeitsmarktSeit Februar 2008 beschäftigt ein Outlet-Geschäft in Villeneuve zwei Lehrlinge und vier junge Lehrstel-lensuchende. Betreut von einer Detailhandelsan ge stell ten arbeiten sie drei tage pro Woche im laden. Der rest der Woche ist reserviert für Kurse, schulische und psychosoziale Unterstützung sowie die lehrstellen-suche. Das An gebot wurde von der Genossenschaft Cooqpit geschaffen: Zu ihr zählen das SAH Waadt und die Firma AirESiS, der unter anderem die Modemarke le Coq Sportif gehört. Finanziert wird das Programm je zur Hälfte aus dem Verkaufserlös und mit Subven tionen des Kantons Waadt.

gen.  Und  ich  bin  bereit,  mich  voll  und 

ganz für meine Ziele einzusetzen.»

Dank der Arbeitserfahrung im Outlet-Laden hat Juliana Groubel eine Lehrstelle im Verkauf gefunden.

Page 14: Solidarität 4/2010

14S

CH

WE

iZ

Immer  nervöser  spielt  Albert  Delija  mit 

seinen  Fingern. Ganz  offensichtlich  quä-

len ihn die Fragen der Interviewerin, Ant-

worten  gibt  er  keine.  Wir  unterbrechen 

das Interview und gehen in die Werkstatt. 

Albert Delija sucht die Reinigungsutensili-

en zusammen, denn ihm wurde aufgetra-

gen, die Fenster zu putzen. Verloren hält 

er  inne: Wo sollte er die Fenster putzen? 

War  es  im Aufenthaltsraum? Auf  halbem 

Weg muss er umkehren, weil er das Reini-

gungsmittel vergessen hat. 

Eine Aufgabe habenAlbert Delija hat den Krieg im Kosovo 

erlebt und ist im Ambulatorium für Folter- 

und  Kriegsopfer  (AFK)  in  Behandlung. 

Seine  Therapeutin  machte  ihn  auf  das 

Projekt Ponte aufmerksam, das  traumati-

sierte MigrantInnen bei der Integration in 

die Berufswelt  unterstützt. Vor  zwei Wo-

chen  hat  er  im  Hausdienst  des  Alters-

heims Buttenau in Adliswil ein halbjähri-

ges  Praktikum  zu  50 Prozent  begonnen. 

«Als er zu uns kam, war er niedergeschla-

gen und demotiviert», erzählt Zvenko Lje-

var,  der  Chef  des 

technischen Diens-

tes.  «Die Arbeit  tut 

ihm  gut,  auch 

wenn  er  schnell 

müde wird.» Albert 

Delija bestätigt die-

se Aussage: «Es ist für mich wichtig, dass 

ich eine Aufgabe habe.» Er  ist  Jurist, hat 

allerdings  im  Kosovo  wegen  des  Kriegs 

als Automechaniker gearbeitet. 

Verlorenes Vertrauen«Viele  Traumatisierte  sind  sehr  miss-

trauisch», erklärt Anna Ganz, Projektleite-

rin von Ponte. «Neue Menschen und Situa-

tionen sind für sie schwierig. Ich brauche 

bis zu einem halben Jahr, um eine Arbeits-

beziehung  aufzubauen.»  Bei  der  Frage 

nach der Berufsbiografie zeigen sich be-

reits  erste  Schwierigkeiten:  Was  erzählt 

eine Person, die zwölf Jahre im Gefängnis 

war? 

Wenn der Lebenslauf steht, wird ein Ein-

satzplatz für ein halbjähriges, unbezahltes 

Praktikum  gesucht,  damit  sich  die  Teil-

nehmenden Arbeitstraining und fachliche 

Fähigkeiten  aneignen  können.  Das  Ziel 

ist, eine Stelle zu finden. «Ich setze mich 

dafür ein, dass die Leute auch eine Aus-

bildung  absolvieren  können,  damit  die 

berufliche  Integration nachhaltig  ist»,  er-

klärt  Anna  Ganz.  Bis  anhin  haben  elf 

Männer und fünf Frauen am Projekt Ponte 

teilgenommen,  abgeschlossen  hat  es  bis 

jetzt noch niemand. 

Ausbildung als PflegeassistentAbiel Tarek* arbeitet seit einem knap-

pen Jahr in einem Wohnheim für körper-

lich Behinderte im Kanton Zürich. Er un-

terstützt  die  BewohnerInnen  beim 

Toilettengang  und  beim  Essen,  dazwi-

schen  arbeitet  er  am  Computer.  «Zu  Be-

ginn  hatte  Abiel  eine  meterdicke  Mauer 

um  sich,  keine Mimik  bewegte  sein Ge-

sicht»,  erzählt  sein  Vorgesetzter.  Kaum 

vorstellbar, dass er von dem jungen Mann 

spricht,  der  engagiert  von  seinen  Zu-

kunftsplänen erzählt. Nach Abschluss des 

unbezahlten Praktikums steht ihm ein re-

Eine Brücke zurück ins LebenDas Projekt Ponte unterstützt traumatisierte MigrantInnen bei der Integration in die Arbeitswelt. Zum Beispiel Albert Delija aus dem Kosovo oder Abiel Tarek aus Eritrea. Text: Katja Schurter, Fotos: Sabine Rock

Was schreibt jemand, der zwölf Jahre im Gefängnis war,

in den Lebenslauf ?

Anna Ganz unterstützt traumatisierte MigrantInnen bei der Bewältigung der Probleme, mit denen sie beim Schritt ins Arbeitsleben konfrontiert sind.

Page 15: Solidarität 4/2010

guläres Praktikum in der Wohngruppe in 

Aussicht,  in dem er sich für eine Ausbil-

dung  als  Pflegeassistent  qualifizieren 

kann. Es gefällt ihm hier: «Die Bewohne-

rInnen sind jung, das ist besser als im Al-

tersheim», meint er. 

Vom Hirten bis zum Anwalt«Wir gehen die Situation unserer Klien-

tInnen  ganzheitlich  an»,  erklärt  Leiter 

Matthis Schick die interdisziplinäre Arbeit 

des AFK. «Sie sind psychisch und körper-

lich beeinträchtigt,  schlecht  integriert,  fi- 

nanziell am Limit und haben oft einen pre-

kären Aufenthaltsstatus in der Schweiz.» 

Ponte  trägt  zum  Therapieerfolg  bei, 

denn Arbeit ist wichtig für das Selbstwert-

gefühl,  und  es  geht  darum,  Brücken  zu-

rück ins Leben zu bauen. Ihre beruflichen 

Voraussetzungen  sind  weit  gefächert  – 

«vom  Hirten,  der  zwei  Jahre  zur  Schule 

ging bis  zum Anwalt mit  guten Deutsch-

kenntnissen». Den Grund dafür, dass mehr 

Männer als Frauen am Projekt teilnehmen, 

vermutet Schick in den traditionellen Rol-

lenvorstellungen seiner KlientInnen. 

Viele  Traumatisierte  haben  das  Ver-

trauen in die Menschen verloren. «Dieses 

PontePonte unterstützt traumatisierte MigrantInnen zwischen 25 und 45 Jahren, die im Ambulatorium für Fol-ter- und Kriegsopfer (AFK) in therapeu-tischer Behandlung sind, beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. Finanziert vom Bundesamt für Migration, wird Ponte gemeinsam vom SAH Zürich und AFK durchgeführt. Das Pilotprojekt bietet seit einem Jahr Coaching und Beglei-tung und wurde im Sommer 2010 um zwei Jahre verlängert.

Handicap  ist  viel  schwieriger  therapeu-

tisch anzugehen und der grössere Hemm-

schuh für die Integration als Krankheits-

symptome», weiss Schick. Ausserdem fehlt 

den  AFK-KlientInnen,  was  auf  dem  Ar-

beitsmarkt gefragt ist: «Sie sind nicht dy-

namisch, belastbar und  flexibel,  sondern 

haben Mühe, sich zu konzentrieren, oder 

sie haben Ausfälle nach einer schlaflosen 

Nacht.»  Umso  mehr  brauchen  sie  Unter-

stützung bei der beruflichen  Integration, 

die  für  Matthis  Schick  auch  eine  gesell-

schaftliche  Komponente  hat:  «Traumati-

sierte Kriegsveteranen in den USA haben 

ähnliche  Probleme  wie  unsere  KlientIn-

nen. Deshalb wurde für sie das Programm 

‹American heroes at work› entwickelt. Die 

Kriegsveteranen geniessen eine ganz an-

dere gesellschaftliche Unterstützung als  . 

Hier ist der prekäre Aufenthaltsstatus ein 

riesiges Problem für die Behandlung.» 

Flucht als DeserteurAbiel Tarek  ist  aus  Eritrea  geflüchtet, 

um  dem  Militärdienst  zu  entkommen. 

Traumatisiert  vom Krieg und der Flucht, 

die  ihn über den Sudan  in ein  libysches 

Gefängnis führte, kam er vor knapp drei 

15

SC

HW

EiZ

Jahren krank in die Schweiz. Er hatte Ma-

genprobleme, und als er immer weiter ab-

nahm, schickte ihn der Hausarzt ins AFK. 

«Er war ganz durchsichtig, als ich ihn ken-

nen lernte», erinnert sich Anna Ganz. Noch 

heute will er sich nicht  fotografieren las-

sen,  weil  er  trotz  Flüchtlingsstatus Angst 

hat,  als  Deserteur  vom  eritreischen  Staat 

bis in die Schweiz verfolgt zu werden. 

* Name geändert.

Seine Arbeitsstelle ist für Albert Delija Herausforderung und Unterstützung zugleich.

Page 16: Solidarität 4/2010

Check deine Gemeinde!

Weltweit werden 12 Millionen Menschen als SklavInnen gehalten und 218 Millionen Kinder zum Arbeiten gezwungen. 1,2 Milliarden Menschen arbeiten für Löhne unter zwei Dollar pro Tag. Das sind knapp 20 Prozent der gesamten Weltbevölkerung.Für diese Zustände tragen die reichen Staaten eine Mitverantwortung. Viele dieser Menschen werden ausgebeutet, damit wir hier Billigprodukte einkaufen können. Auch viele Schweizer Gemein-den schauen beim Einkauf von Waren nur auf den Preis. Sie nehmen damit Ausbeutung, Sklaverei und Kinderarbeit in Kauf. Dass es anders geht, zeigen hundert Gemeinden, die sich auf eine faire Einkaufspolitik verpflichtet haben.Auf unserer Webseite können Sie mit zwei Klicks nachschauen, ob Ihre Gemeinde bereits fair einkauft – und falls nicht, können Sie die Verantwortli-chen mit einer E-Mail zum Handeln auffordern. Bereits haben über 2000 Menschen bei unserer Aktion mitge-macht – und rund 40 Gemeinden haben zugesagt, dass sie ihre Einkaufspolitik überdenken wollen. www.check-deine-gemeinde.ch

16N

ot

iZE

N

Steuergerechtigkeit – umverteilen!

Rechtzeitig zur Volksab stimmung «Für faire Steuern» erörtert die Zeitschrift «Widerspruch» die Fragen der aktuellen Steuerdebatte in der Schweiz. Die Strategien der Steuerver meidung und -hinterziehung der multinationalen Konzerne bleiben ein Skandal, wie Bruno Gurtner schreibt. Den Auswirkun-gen der öffentlichen Budgetpolitik auf die vorwiegend von Frauen getragene unbezahlte Versorgungs- und Betreu-ungsarbeit geht Mascha Madörin nach. www.widerspruch.ch

Gemeinsam gegen Jugendarbeitslosigkeit

Im September haben die zehn SAH-Regionalvereine das Projekt Coaching Transition 2 lanciert. Es richtet sich an Lehr- und StudienabgängerInnen zwischen 18 und 30 Jahren, die auf der Suche nach ihrer ersten Arbeitsstelle sind. Während vier Monaten erhalten sie Einzelcoaching und Bewerbungs-training. Das SAH akquiriert auch Arbeitsstellen. 600 Jugendliche können sich jährlich am Projekt beteiligen, das von der Credit Suisse für drei Jahre finanziert wird. www.ct2.ch

Cartoon von ANNA

Page 17: Solidarität 4/2010

17

SP

EN

DE

N

Schenken Sie ein VeloAuch dieses Jahr können sie die beliebten SAH-Karten verschenken. Mit dem Kauf einer Geschenkkarte unterstützen Sie unsere weltweiten Entwicklungsprogramme.Text: Rosanna Clarelli

Ein Velo für die RückkehrerInnenNach  dem  Ende  des  Bürgerkriegs  in  Sri 

Lanka  im  Mai  2009  sind  über  250 000 

Flüchtlinge in Lagern in der Region Vavu-

niya festgehalten worden. Auf internatio-

nalen Druck wurde ihnen vor einem Jahr 

endlich erlaubt, nach Hause zurückzukeh-

ren.  Seither  konnten  160 000  Menschen 

die Lager verlassen und an ihre Wohnorte 

zurückreisen.  Da  die  Infrastruktur  ihrer 

Dörfer  zerstört  worden  ist,  müssen  sie 

grosse  Distanzen  zurücklegen,  um  Zu-

gang zu Wasser, Schulen, Gesundheitsver-

sorgung und Arbeitsmöglichkeiten zu er-

halten. Öffentliche Transportmittel gibt es 

kaum.  Damit  benötigte  Güter  transpor-

tiert werden und Lehrerinnen und Schüler 

wieder  in  die  Schule  gelangen  können, 

hat das SAH den RückkehrerInnen 1100 

Velos mit Transportkisten verteilt.

So einfach funktioniert es:• Tragen  Sie  auf  dem  beiliegenden  vor-

frankierten  Antwort-Talon  Ihre  Bestel-

lung ein.

• Sie erhalten vom SAH umgehend die ge-

wünschten Karten mit Couvert im Wert 

von  je  50  Franken  und  einen  Einzah-

lungsschein.

• Sie können Ihren eigenen und den Na-

men  der  beschenkten  Person  in  die 

Karte eintragen.

• Wir garantieren Ihnen die Lieferung der 

Geschenkkarten  vor  Weihnachten  für 

alle Bestellungen bis zum 17. Dezember 

2010.

Haben Sie noch Fragen? Dann kontaktie-

ren Sie uns bitte unter 044 444 19 19 oder 

[email protected]

Weitere Unter - stüt zungsformen

Nachlass-Spendenin unseren Merkblättern finden Sie wert-volle tipps zu Erbrecht und testament. Siehe auch www.sah.ch/testament Regelmässige SpendenMit einem lastschrift-Auftrag bei der Post oder ihrer Bank können Sie das SAH regelmässig unterstützen, ohne dass ihnen oder uns Kosten entstehen.Anlass-SpendenSei es bei einer Geburt, einer Jubilä-umsfeier, einem runden Geburtstag, einer Hochzeit oder der Pensionie-rung: Berücksichtigen Sie das SAH an ihrem Fest. Bestellen Sie die Unterlagen mit beilie-gendem Antwort-talon.

… ein Alphabet, damit Bäuerinnen und Bauern in Burkina Faso lesen lernen.

… Gerechtigkeit für die Landarbeiterinnen auf den Obstplantagen in Südafrika.

… eine Radiosendung, die Zuckerrohrarbeiter in Bolivien über ihre Rechte informiert.

… eine Hühnerschar, die einer Familie in Burkina Faso die Existenz sichert.

Oder schenken Sie…

Page 18: Solidarität 4/2010

18

Engagement für soziale GerechtigkeitTomasa Cortedano von der Gewerkschaft ATC berät Land-arbeiterInnen in Nicaragua bei Arbeitsrechtsverletzungen. Ende Jahr schliesst sie ihr Studium als Anwältin ab. Text: Katja Schurter, Foto: SAH

«Die Gesetze sind da, doch wenn niemand 

gegen  Arbeitsrechtsverletzungen  klagt, 

werden  sie  nicht  durchgesetzt»,  weiss  

Tomasa  Cortedano  aus  Erfahrung.  Seit  

15 Jahren arbeitet sie bei der Beratungs-

stelle der LandarbeiterInnengewerkschaft 

ATC in Managua, an die sich die Arbeite-

rInnen bei Arbeitsrechtsverletzungen wen-

den  können.  Jährlich  melden  sich  etwa 

2800 Personen, sei es, weil ihnen der Min-

destlohn von 4.30 Franken pro Tag nicht 

bezahlt,  ihnen  missbräuchlich  gekündigt 

oder bezahlte Ferien verweigert wurden. 

«Wir  besuchen  die  Haciendas,  wo  der 

Mindestlohn nicht bezahlt wird, und zei-

gen die Arbeitgebenden beim Arbeitsmi-

nisterium an», erklärt Tomasa Cortedano. 

«Dieses  führt  daraufhin  Inspektionen 

durch,  und  die  Fehlbaren  werden  ge-

büsst.» Die Beratungsstellen des ATC stre-

ben  bei  Arbeitsrechtverletzungen  auch 

Prozesse  an  –  2009  waren  es  1225,  von 

denen nicht einer verloren wurde. Ausser-

dem gelang  es,  eine Erhöhung des Min-

destlohnes  für  LandarbeiterInnen  um  13 

Prozent durchzusetzen.

Kampf gegen Belästigung«Wenn es weniger Arbeit gibt, werden 

zuerst die Frauen entlassen», sagt Tomasa 

Cortedano. Frauen sind auch häufig von 

sexueller  Belästigung  durch  ihre  Vorge-

setzten betroffen. «Wenn wir davon erfah-

ren,  informieren  wir  im  Fernsehen  und 

Radio darüber, dass dieser Mann Frauen 

belästigt hat. Normalerweise lässt er dann 

von weiteren Belästigungen ab.» In Radio-

sendungen  thematisiert Tomasa Corteda-

no  das Recht  der ArbeiterInnen,  sich  zu 

organisieren,  sozial  abgesichert  zu  sein 

und  Zugang  zur  Gesundheitsversorgung 

zu erhalten. Sie vermittelt auch praktische 

Informationen, zum Beispiel über die der-

zeit sehr hohen Kaffeepreise: «So können 

die  ArbeiterInnen  höhere  Löhne  verlan-

gen.» 

Das Frauensekretariat des ATC kämpft 

auch  für  den  Landbesitz  von  Frauen. 

«Wenn der Vater stirbt, geht das 

Land an die Söhne, nicht an die 

Töchter»,  erklärt Tomasa Corte-

dano. Damit Frauen Land erhal-

ten, wurde am 5. Mai dieses Jah-

res  ein  Gesetz  verabschiedet: 

«Das  Gesetz  717  schafft  einen 

Fonds, um Frauen mit Krediten den Kauf 

von Land zu ermöglichen.» Wann  jedoch 

die Regierung das Geld für diesen Fonds 

zur Verfügung stellt, ist unklar. 

Bereits als 15-Jährige aktiv Tomasa  Cortedano  setzte  sich  bereits 

als 15-Jährige für die Verbesserung der Le-

bensbedingungen  der  Armen  ein:  «Ich 

brachte den Leuten auf dem Land Lesen 

und Schreiben bei.» Sie hatte damals gera-

de die dritte Klasse der Primarschule ab-

geschlossen. Daneben arbeitete sie auf ei-

ner  Hacienda.  «Mein  Vater  starb,  als  ich 

neun Jahre alt war, deshalb musste ich ar-

beiten, um meine Mutter und meinen klei-

nen Bruder zu unterstützen.» In den 1990- 

er-Jahren  holte  Tomasa  Cortedano  die 

Sekundarschule  nach  und  studiert  nun 

mit Unterstützung des  SAH  Jus.  «Im De-

EiN

Bl

iCK

Gewerkschaft für LandarbeiterInnen

Seit 2001 unterstützt das SAH den Aufbau eines Netzwerks von Rechts-beratungsstellen für LandarbeiterIn-nen. Dort berät die landarbeiterin-nengewerkschaft AtC jährlich 20 000 Menschen in Fragen der Arbeitsrechte. AtC betreibt auch radioprogramme und bildet Gewerkschaftsführerinnen an der Basis aus. Das Frauensekretari-at des AtC setzt sich für die organisie-rung der Frauen und die Verbesserung ihrer Arbeitsrechte ein.

«Wenn es weniger Arbeit gibt, werden zuerst die Frauen entlassen.»

zember schliesse ich mein siebenjähriges 

Studium ab», berichtet sie stolz. «Ich freue 

mich darauf, den Leuten weitergeben zu 

können, was ich gelernt habe.» 

Neben dem Studium und der Arbeit für 

den ATC – für die sie lediglich eine Spe-

senentschädigung erhält – baut sie Gemü-

se für den Eigenkonsum an, ist Schulprä-

sidentin und unterstützt Menschen, die sie 

wegen  ihrer  juristischen  Kenntnisse  auf-

suchen. 

Ein Computer und AustauschTomasa Cortedano hat auch drei Kin-

der  aufgezogen.  Die  20-jährige  Tochter 

und der 24-jährige Sohn leben nicht mehr 

zuhause,  das  dritte  Kind  ist  gestorben. 

Der  Einsatz  für  soziale  Gerechtigkeit  ist 

ihr wichtig. Auf ihre Zukunftswünsche an-

gesprochen, meint sie: «Ich hätte gerne ei-

nen Computer und möchte mich mit Frau-

en  auf  der  ganzen  Welt  darüber  aus- 

tauschen,  wie  wir  uns  organisieren,  um 

unsere Lebensbedingungen zu verbessern.»

Page 19: Solidarität 4/2010

19

EiN

Bl

iCK

Tomasa Cortedano setzt sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen und der Frauen in Nicaragua ein.

Page 20: Solidarität 4/2010

«Endlich konnten wir den Schlamm und den Schutt wegräumen.» Das SAH unterstützt die Opfer

der Überschwemmungen in Pakistan.

www.sah.ch