solidarität 3/11

20
Ausgabe September 3/2011 Das Magazin von THEMA Arbeitsrechte für Hausangestellte BURKINA FASO Zweisprachige Bildung für alle

Upload: solidar-suisse

Post on 22-Mar-2016

224 views

Category:

Documents


1 download

DESCRIPTION

Magazin von Solidar Suisse

TRANSCRIPT

Page 1: Solidarität 3/11

Ausgabe September 3/2011

Das Magazin von

themaArbeitsrechte fürHausangestellteBURKINa FaSOZweisprachige Bildung für alle

Page 2: Solidarität 3/11

Medienschau

4.6.2011Petition gegen Fifa-steuerprivilegienDer Weltfussballverband Fifa soll nicht mehr von Steuerprivilegien profitieren dürfen. Dies fordern die Juso Schweiz und das Hilfswerk Solidar Suisse in einer gemeinsamen Petition. (…) Angesichts der Korruptionsskandale, Bestechungs-vorwürfe und der Ignoranz gegenüber von Menschenrechten sei es nicht mehr zu rechtfertigen, die Fifa als gemeinnützi-ge Organisation zu privilegieren. (…)

14.6.2011Zürich am fairsten und solidarischsten (…) Die Städte Zürich und Genf stecken – gemessen am Steuerertrag – am meis-ten Geld in Projekte der Entwicklungshil-fe und kaufen am fairsten ein. Das zeigt eine Studie von Solidar Suisse, die 88 Schweizer Gemeinden untersucht hat. Auf dem letzten Platz liegt Köniz BE.Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch freut sich über die gute Bewer-tung: «Solidarität ist kein Luxus, sondern eine Grundvoraussetzung für das gute Zusammenleben in einer Gesellschaft.» Doch nicht nur grosse Städte liegen im Ranking vorne. Die Urner Gemeinde Alt-dorf etwa mischt im oberen Drittel mit. (…)

25.5.2011«die Regierung verschliesst die augen»Seit 1984 unterstützt Solidar Suisse Projekte in Mosambik. Angestrebte Ziele sind unter anderem die Stärkung von Ba-sis- und Gemeindeorganisationen für eine aktive Partizipation (…). Jorge Lampiao (…) schickt seine Mitar-beiter in die ländlichen Regionen, um dort vor Ort mit den Menschen in den Dörfern in Kontakt zu treten und ihnen im Grundsatz ihre Rechte klarzumachen und ihnen zu zeigen, wie sie für ihre Rechte einstehen sollen. «Das Schwieri-ge dabei ist die Tatsache, dass so ein Umdenken nicht von heute auf morgen geschieht. Es ist ein langwieriger Pro-zess, der Geduld verlangt.» (…)

Liebe Leserin, lieber Leser, Bestimmt hatten Sie schon mit der «guten Seele in der Küche», der «Putzfee im Haus» zu tun: Die Rede ist von Frauen, die in unseren Haushalten bezahlte Arbeit leisten und manchmal gar ein bisschen zur Familie gehören. Andererseits lesen wir gele-gentlich von Situationen, wo Hausange-stellte in völliger Abhängigkeit von ihren ArbeitgeberInnen leben – bis hin zu skla-venähnlichen Zuständen.

Das Gemeinsame daran: Es hängt allein von der Moral und dem Willen der Arbeit-gebenden ab, wie sie ihre Hausange-stellten behandeln. Die meisten sind Frauen und sehr oft Migrantinnen. Vielen werden Arbeitsrechte und die Anerken-nung ihres Berufsstandes vorenthalten. Regelungen gab es bis vor kurzem kaum.

Zusammen mit seinen Partnern setzt sich Solidar Suisse seit einigen Jahren dafür ein, dass das The-ma in der Schweizer Öffentlichkeit diskutiert und auf gesetzli-cher Ebene Massnahmen getroffen werden. Einige Erfolge

wurden erzielt: Seit 2011 gibt es in der Schweiz einen Normal-arbeitsvertrag, und im Juni wurde auf internationaler Ebene eine ILO-Konvention für Hausangestellte verabschiedet (siehe S. 4 –11).

Viel zu diesem Erfolg beigetragen haben die Gewerkschaften der Hausangestell-ten, vor allem aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Solidar Suisse unter-stützt deren Arbeit in Südafrika (siehe S. 6) und in Bolivien. Im Zentrum stehen Informations- und Lobbyarbeit. Eine be-sonders grosse Herausforderung ist die Organisierung der Hausangestellten, da es oft schwierig ist, Arbeiterinnen im Pri-vathaushalt zu erreichen. Unsere Partner vernetzen sich auch auf internationaler Ebene, um Rechte für Hausangestellte zu erkämpfen. Wir solidarisieren uns mit

ihrem Kampf und setzen uns für eine Ratifizierung der Konven-tion in der Schweiz ein. Ruth daellenbach

Ruth Daellenbach, Geschäftsleiterin Solidar Suisse

2 ediTORiaL

Page 3: Solidarität 3/11

herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: [email protected], www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks SolidarRedaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Christian Engeli, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil VoicesÜbersetzungen: Irene Bisang, Ursula Gaillard, Milena Hrdina, Walter Roselli, Jean-François ZurbriggenKorrektorat: Stéphane Cusin, Jeannine Hornidruck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 SchaffhausenErscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–,Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr).Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier.

Titelbild: Hausangestellte in Südafrika arbeiten rund um die Uhr und verdienen einen Bruchteil des Mindestlohns. Foto: SadsawuRückseite: Solidar Suisse setzt sich gegen Ausbeutung im Kaffeehandel ein. Foto: Spinas Civil Voices

aKTueLL Die Resultate des Solidar- Gemeinderatings lassen erkennen, wie unterschiedlich Gemeinden ihre globale Verantwortung wahrnehmen. 15

KuLTuReLLes Die Ausstellung «Die andere Seite der Welt» zeigt die humanitäre Schweiz aus der Perspektive ihrer AkteurInnen. 16

einBLicK Jelena Mijovic bekämpft die negativen Folgen der Privatisierungen in Serbien, indem sie die SozialpartnerInnen an einen Tisch holt.

18

TheMa100 Millionen Frauen arbeiten weltweit als Hausangestellte: In einem der prekärsten Arbeitsbereiche sollen endlich Mindeststandards gelten. 4

iMPRessuM

3

TheMa Hausarbeit ist international einer der prekärsten Arbeitsbereiche 4 Sadsawu engagiert sich für Hausangestellte in Südafrika 6 Endlich Mindeststandards für Haus-angestellte dank ILO-Konvention und Normalarbeitsvertrag 8 Serge Gaillard: Wie setzt sich das SECO für würdige Arbeits-bedingungen ein? 11 aKTueLL Burkina Faso: Die Erziehungsministe-rin will die zweisprachige Bildung aufs ganze Land ausdehnen 12 Solidar-Gemeinderating: Die globale Verantwortung wird unterschiedlich wahrgenommen 15 KOLuMne 7 nOTiZen 10 PinGPOnG 14 KuLTuReLLes Ausstellung «Die andere Seite der Welt» 16 neTZWeRK Neuigkeiten aus den SAH-Vereinen 17 einBLicK Jelena Mijovic: mit Sozialdialog die ökonomische Krise in Serbien überwinden 18

Page 4: Solidarität 3/11

4

Page 5: Solidarität 3/11

5TheMa

Hausarbeit ist einer der prekärsten Arbeitsbereiche weltweit. Oft unterbezahlt, ohne geregelte Arbeitszeit, ohne Vertrag, ohne Sozialversicherung. Der Anteil an Schwarzarbeit ist hoch. Millionen Frauen migrieren von armen in reiche Länder, vom Land in die Stadt, um in fremden Haushalten zu arbeiten. Ihre eigenen Kinder lassen sie zurück in der Obhut von Grossmüttern, Schwestern, Tanten – oder von Migrantinnen aus noch ärmeren Ländern. Ein grosser Teil ihrer Einkommen geht zurück an die Familien zuhause – unverzichtbar, um zum Beispiel die Ausbildung der Kinder zu ermöglichen. Fortsetzung auf S. 9

WüRdIge aRBeIt FüR haUS­aNgeStellte

Page 6: Solidarität 3/11

«Wir sind alles in einem», erklärt Phumzile Tsabalala. «Wir räumen auf, wir putzen, wir kochen, wir jäten, wir ziehen die Kin-der auf, wir pflegen die Kranken, wir kau-fen ein, wir beantworten das Telefon, wir waschen und bügeln, wir unterhalten den Besuch … Aber wir sind niemand. Wir sind unsichtbar.» An einem Workshop zur Vorbereitung der ILO-Konvention, der von der Gewerkschaft der Hausange-stellten Sadsawu (siehe Kasten) und dem Labour Research Service im Juli 2010 durchgeführt wurde, machte Phumzile Tsabalala die Realität von Hausangestellten deutlich.

Wenig Lohn und keine PrivatsphäreIn Südafrika gibt es über eine Million Hausangestellte. Viele von ihnen verdie-nen nicht einmal den gesetzlichen Mini-mallohn von 1500 Rand. Gemäss dem südafrikanischen Amt für Statistik erhal-ten die bestbezahlten fünf Prozent 2500 Rand (etwa 300 Franken) und die am schlechtesten bezahlten fünf Prozent 300 Rand (36 Franken) im Monat. Der mittlere Lohn beträgt 1000 Rand (etwa 120 Franken) – von dem ein grosser Teil bereits für die Reise zur Arbeit draufgeht. Hausangestellte, die bei den Arbeitge-benden wohnen, haben wiederum sehr wenig Privatsphäre und müssen oft mehr als zehn Stunden pro Tag arbeiten. «Wir sind die ersten, die aufwachen: Um fünf Uhr stehen wir auf, um das Frühstück für die Familie zu bereiten. Wir gehen erst zu Bett, nachdem alle gegessen haben und der letzte Teller gespült ist – oft nach zehn Uhr. Wir können jederzeit entlassen werden, wenn jemand in der Familie wü-tend auf uns ist, auch wenn das Gesetz Grundsätze für eine faire Behandlung festhält», veranschaulicht Phumzile Tsa-balala ihre Arbeitsbedingungen.

schwierige OrganisierungDie Arbeit, die Hausangestellte verrich-ten, ist lebenswichtig. Dies zeigt sich auch an ihrer grossen Zahl. Sie machen sieben bis acht Prozent aller Anstel-

lungsverhältnisse in Südafrika aus. Aber die hohe Arbeitslosigkeit macht Hausan-gestellte anfällig für physische, emotio-nale und sexuelle Ausbeutung. Es ist eine grosse Herausforderung,xHaus-angestellte x zu organisieren. Denn die Arbeitgebe rInnen wollen nicht, dass Sad-sawu mit den Hausangestellten spricht. Manchmal drohen sie sogar, ihre Ange-stellten zu entlassen, wenn sie der Ge-werkschaft beitreten. Sadsawu gibt den Hausangestellten eine Stimme, indem sie sich ans Arbeitsministerium wendet und die Arbeiterinnen bei Mediationen oder Schiedsgerichtsverfahren vertritt.

iLO-Konvention durchgebrachtDie im Juni 2011 angenommene ILO-Konvention für Hausangestellte ist ein grosser Erfolg, und Sadsawu wird ihn nutzen, um für die Rechte und Würde von Hausangestellten zu kämpfen. «Was wir schon immer gewusst haben, wird nun auch von der ILO anerkannt: Hausange-stellte sind Arbeiterinnen», meinte Hes-ter Stevens, die Präsidentin von Sadsa-wu, nach der Annahme der Konvention in Genf. Der Sieg ist den Organisationen der Hausangestellten zu verdanken, die nicht müde wurden, bei Regierungen und in der Geschäftswelt für die Konvention zu lobbyieren. Über zwei Jahre lang wa-ren wir damit beschäftigt und engagier-ten uns beharrlich in Kommissionen und

Hausangestellte in Südafrika kümmern sich um alles, sind der

Willkür ihrer ArbeitgeberInnen ausgesetzt und verdienen einen

Bruchteil des Mindestlohns.

eS gIBt KeINe FReIheIt, WeNN haUSaNgeStellte NIcht FReI SINd

Die Generalsekretärin unserer südafrikanischen Partnerorganisation Sadsawu zur Situation von Hausangestellten und warum es so schwierig ist, sie zu organisieren. Text: Myrtle Witbooi, Foto: Sadsawu

6 TheMa

Die Solidar-Partnerorganisation Sad-sawu (South African Domestic Servi-ces and Allied Workers Union) setzt sich in Südafrika für die Rechte von Hausangestellten ein. Sie arbeitet mit dem Arbeitsministerium zusammen, um Minimallöhne und -arbeitsbedin-gungen festzulegen, und verteidigt Ar-beiterInnen bei widerrechtlichen Ent-lassungen. Sadsawu organisiert die Hausangestellten und bietet ihnen Weiterbildung zu ihren Rechten. www.sadsawu.org

sadsawu

Page 7: Solidarität 3/11

Diskussionen dafür. Wir haben uns durchgesetzt, obwohl einige Regierun-gen nicht glücklich sind über die Konven-tion.

der Kampf geht weiterDer nächste Schritt ist nun die Ratifizie-rung der Konvention. Als Arbeiterinnen

wissen wir, dass es nicht selbstverständ-lich ist, dass die Länder ihre Gesetze an-

passen und Verfahren installieren, damit Hausangestellte ihre Rechte wahrneh-men können. Aber wir sind zuversichtlich, dass ein Land nach dem anderen die Konvention ratifizieren wird, wenn wir mit der Solidarität weiterkämpfen, die wir aufgebaut haben. Wir werden nicht ru-hen, sondern diesen Prozess in jedem

Land beobachten und dieje-nigen Länder anprangern, in denen Hausangestellte kei-ne Rechte haben. Es gibt keine Freiheit, solange Hausangestellte nicht frei sind, und wir sind entschlos-sen, unseren Kampf fortzu-

führen bis wir ihre Freiheit in Südafrika und überall auf der Welt erreicht haben.

«Wir putzen, wir kochen, wir jäten, wir pflegen, wir ziehen die Kinder auf … aber wir sind niemand.»

TheMa 7TheMa 7

Hans-Jürg FehrPräsident Solidar Suisse und SP-Nationalrat

Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien, Je-men – die jungen Völker dieser nord-afrikanischen Staaten wollen aus ihrer Armut heraus. Sie wollen ein besseres Leben führen können im eigenen Land. Und was verlangen sie, um die-sem Ziel näher zu kommen? Demo-kratie und Menschenrechte. Viele Menschen sehen den Zusammen-hang zwischen Demokratie und bes-seren Lebensbedingungen nicht. Wir von Solidar Suisse schon, denn das ist exakt der Ansatz, den wir in unseren Entwicklungsprogrammen verfolgen: Wer sich aus einem Leben voller Mangel befreien will, muss seine grundlegenden Rechte einfordern. Die Menschenrechte, die demokrati-schen Mitbestimmungsrechte, die fundamentalen Arbeitsrechte. Diese Instrumente braucht es, um gewerk-schaftlich eine anständig bezahlte Ar-beit und politisch eine funktionierende Grundversorgung durchsetzen zu können. Das sind wiederum die Vo-raussetzungen für ein menschenwür-diges Dasein und die Teilhabe am ge-sellschaftlichen und kulturellen Leben. Solidar geht Entwicklungspartner-schaften mit Basisorganisationen ein, um sie in ihrem Kampf um ihre Rechte zu unterstützen. Nur wer frei seine Meinung äussern darf, kann seine Be-dürfnisse in politische Entscheidungs-prozesse einbringen. Nur wer die Ver-einigungsfreiheit besitzt, kann sich gewerkschaftlich organisieren und kollektive Arbeitsverträge aushandeln. Nur wer das Wahlrecht hat, kann kor-rupte Regierungen abwählen. Armut ist immer mit Unrecht verbunden, ihre Überwindung mit Rechten.

KOLUMNE

Rechte gegen armut

7

Page 8: Solidarität 3/11

Die Plenarsitzung der 100. ILO-Konfe-renz hat am 16. Juni 2011 in Genf eine Konvention zum weltweiten Schutz von Hausangestellten verabschiedet, mit einer Mehrheit von 396 gegen 16 Stim-men bei 63 Enthaltungen. Die Konventi-on «Menschenwürdige Arbeit für Haus-angestellte» legt erstmals weltweite Standards für Arbeitsverhältnisse in der informellen Ökonomie fest. Ein histori-scher Durchbruch, für den sich die Unia und Solidar Suisse gemeinsam einge-setzt haben.

endlich Mindeststandards Ziel der Konvention ist es, die Arbeitsbe-dingungen von über 100 Millionen Haus-

8 TheMa

aktionen rund um die iLO-Konferenz

«Wir sind der Motor der Gesellschaft, trotzdem müssen wir manchmal unter Bedingungen der Halbsklaverei leben», empörte sich Ernestina Ochoa, Vize-Präsidentin des internationalen Netz-werks der Hausangestellten, am 14. Juni 2011 in Genf. Um 7.30 Uhr startete die peruanische Gewerkschaf-terin den Aktionstag für die Gleichstel-lung von Frauen und Männern rund um die Statue zu Ehren der Sans-papiers mit einer Demonstration zur Unterstüt-

zung der Frauen in der Hauswirtschaft. Hungerlöhne, lange Arbeitszeiten und die Unmöglichkeit, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erhalten, gehö-ren zu deren grössten Problemen. Über hundert Personen, darunter viele Ge-werkschaftsvertreterInnen aus der gan-zen Welt, machten mit ihrem bunten Protest Druck für die Unterzeichnung der internationalen ILO-Konvention und die Besserstellung ihrer Kolleginnen in der Schweiz und weltweit.

Rechte FüR haUSaNgeStellte Die ILO verlangt in einer Konvention menschenwürdige Arbeitsverhältnisse und Schutz vor Ausbeutung für Hausangestell-te – ein historischer Durchbruch.Text: Vania Alleva und Mauro Moretto, Foto: Christophe Koessler

Page 9: Solidarität 3/11

angestellten zu regeln und diese beson-ders verletzliche Gruppe Arbeit nehmender zu schützen. Die unterzeichnenden Staa-ten müssen Zwangs- und Kinderarbeit sowie jegliche Form der Diskriminierung

abschaffen und die gewerkschaftlichen Rechte der Arbeitnehmenden garantie-ren. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag, der unter anderem Lohn, Arbeitszeiten und Freizeit regelt, wird Pflicht. Zudem etab-liert die Konvention international gültige Mindeststandards (mindestens 24 Stun-den Freizeit am Stück, Respektierung der Schutzalter- und Mindestlohnbestim-mungen sowie der Sozialversicherungs-ansprüche). Weitere Artikel betreffen die speziellen Rechte von MigrantInnen, die Vermittlung von Hausangestellten durch spezielle Rekrutierungsbüros und den Schutz vor Ausbeutung. Ausserdem müssen die Beschäftigten angemessen über ihre Rechte informiert und die Min-deststandards von den Behörden kon-trolliert werden.

Langwierige Verhandlungen Hinter dem Erfolg stehen jahrelange Be-mühungen der internationalen Gewerk-schaftsbewegung und langwierige Ver-handlungen in der tripartiten Kommission, die die Konvention ausarbeitete. Unter-stützt wurde die Gewerkschaftsdelegati-on von Regierungen insbesondere aus Asien, Lateinamerika, Afrika, den USA und Australien. Die Konvention ist ein

wichtiger Schritt zur Besserstellung der Hausangestellten. Unia und Solidar for-dern die Staatengemeinschaft und vor allem den Bundesrat auf, die Konvention möglichst rasch zu ratifizieren.

Boombranche in der schweizIn den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Haus-angestellten in Schweizer Privathaushalten mehr als verdoppelt: Inzwischen sind es weit über 100 000 Ar-

beitnehmende – Tendenz steigend. Ar-beits- und Anstellungsbedingungen im Haushaltsbereich sind prekär. Immer wieder deckt die Gewerkschaft Unia krasse Fälle von überlangen Arbeitszei-ten und Löhnen von elf Franken pro Stunde oder weniger auf.Seit Januar 2011 ist der verbindliche Normalarbeitsvertrag für Arbeitnehmen-de in der Hauswirtschaft in Kraft. Haus-angestellte, die mehr als fünf Stunden pro Woche in einem Privathaushalt arbei-ten, haben Anrecht auf den Mindestlohn – unabhängig davon, ob sie Reinigungs-arbeiten erledigen, waschen, einkaufen, kochen, Kinder betreuen oder Betagte und Kranke in der Alltagsbewältigung unterstützen. Der Mindestlohn beträgt 18.20 Franken für Ungelernte, 20 Fran-ken für Ungelernte mit vier Jahren Be-rufserfahrung und 22 Franken für Ge-lernte. Obwohl sie etwas unter den Forderungen der Gewerkschaften liegen, bedeuten verbindliche Mindestlöhne für die betroffenen Beschäftigten eine gros-se Verbesserung. Offen bleibt jedoch nach wie vor die drin-gende Forderung nach einer Regularisie-rung von Sans-papiers, die oft in Haus-halten beschäftigt werden (siehe Kasten).

TheMa 9

in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der haus-angestellten in schweizer Privathaushalten mehr als verdoppelt.

Migrantinnen, die als Hausangestellte arbeiten, sind oft gut ausgebildet. Ihre Auswanderung bedeutet ein Brain drain – und ein Brain waste: Ihre Kom-petenzen werden abgezogen und nicht genutzt. Dies gilt auch in der Schweiz. Viele haben keine Aufent-haltsbewilligung und müssen deshalb schwarz arbeiten: Laut Schätzungen erbringen sie im Kanton Zürich rund 30 Prozent der Arbeitsstunden von Hausangestellten. Eine andere Grup-pe sind die so genannten «Senio-Pair»: Frauen, meist aus Osteuropa, die pflegebedürftige Menschen be-treuen, den Haushalt machen und rund um die Uhr zur Verfügung ste-hen. Zunehmender Sozialabbau und die Privatisierung von Betreuungsauf-gaben, die Alterung der Bevölkerung und die vermehrte Erwerbstätigkeit von Frauen haben bei uns eine stei-gende Nachfrage nach Dienstleistun-gen im Haushalt geschaffen. Es geht nicht darum, diesen Wirt-schaftszweig oder die damit verbun-dene Migration zu unterbinden, son-dern im Gegenteil um Anerkennung und Regelung in Form minimaler Ar-beitsstandards. Der Schweizer Nor-malarbeitsvertrag und die ILO-Kon-vention für Hausangestellte bedeuten wichtige Fortschritte. Sie sind jetzt umzusetzen, und das geht nur im Ver-bund mit migrationspolitischen Mass-nahmen, die gegen die Schattenwirt-schaft im Haushaltsbereich wirken.Ruth Daellenbach

Brain waste und

illegalisierung

9Mit einem Strassentheater machten die Gewerkschaften der Haus angestellten Mitte Juni in Genf auf ihre Forderungen aufmerksam.

Page 10: Solidarität 3/11

10

Pakistan: ein Jahr danach Die Jahrhundertflut im August 2010 hat in Pakistan über 1,8 Millionen Häuser und 74 Prozent der Anbaufläche zerstört sowie Vieh im Wert von insgesamt 5,1 Milliarden getötet. Bis heute sind mehr als 20 Millionen Menschen von den Aus-wirkungen der Flut betroffen.Dank der Nothilfepakete von Solidar Suisse konnten über 2000 betroffene Familien die Schlammmassen aus ihren Häusern entfernen, Möbel und Wertsa-chen retten und sich eine Notunter-kunft bauen. Mit dem Bau von 800 Übergangsunterkünften wurde ausser-dem Familien mit vielen Kindern im kal-ten und nassen Winter Schutz geboten (siehe Solidarität 4/2010). In derselben Gegend initiierten wir im März 2011 mit der Labour Education Foundation, un-serer lokalen Partnerin, ein Projekt, um besonders Frauen die Möglichkeit zu bieten, wieder ein Einkommen zu er-werben. In Zusammenarbeit mit dem Welternährungsprogramm der UNO werden Bewässerungssysteme wieder-hergestellt, damit die Ernte während des Sommers genügend bewässert werden kann. Solidar wird sich in die-sem Bereich weiterhin und langfristig engagieren.Auch im Süden von Pakistan haben wir über 1500 Nothilfepakete verteilt. Im Di-strikt Layyah unterstützt Solidar die be-troffene Bevölkerung seit März mit der Ausbildung lokaler Handwerker in flutre-sistenten Baumethoden. Am Beispiel von 350 Häusern für Witwen, Kranke und Behinderte setzen sie die gelernten Methoden sogleich praktisch um. www.solidar.ch/pakistan

schluss mit der steuer-befreiung für die FifaAm 1. Juni 2011 haben Solidar und die Juso Schweiz gemeinsam die Petition «Schluss mit der Steuerbefreiung für die Fifa» lanciert. Denn angesichts der anhaltenden Korruptionsskandale, Be-stechungsvorwürfe und der Ignoranz punkto Menschen- und Arbeitsrechte ist die Privilegierung des Weltfussball-verbandes als «gemeinnützige Organi-sation» nicht mehr zu rechtfertigen. Von 2007 bis 2010 hat die Fifa drei Mil-lionen Franken Ertragssteuern bezahlt – bei einem Gewinn von 2,35 Milliarden Franken allein bei der WM in Südafrika. Für Südafrika resultierte ein Verlust von drei Milliarden, die nun im Kampf gegen die Armut fehlen. Gleichzeitig bezahlte die Fifa ihren Managern Boni von 50

neues Mandat im KosovoSolidar Suisse hat für die Deza das Mandat «Diaspora für Entwicklung» übernommen. Es hat zum Ziel, die Res-sourcen von KosovarInnen in der schweizerischen Diaspora – sprich Know-how, Finanzen und Erfahrung – in soziale und ökonomische Initiativen im Kosovo einfliessen zu lassen. Die Aufgabe von Solidar besteht in der Ver-

Millionen Franken. Wäre die Fifa wie ein Unternehmen behandelt worden, hätte sie 180 Millionen Franken Steuern zah-len müssen. Am 15. Juni 2011 hat SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr eine Interpellation ein-gereicht, mit der er den Bundesrat auf-fordert, der Fifa die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Die Petition wurde Mitte August mit 10 000 Unterschriften über-geben. www.solidar.ch/fifawatch

JubiläumsfeierEnde Mai feierte Solidar Suisse sein 75-Jahr-Jubiläum unter neuem Namen. Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey diskutierte mit der neuen burkinischen Erziehungsministerin Koumba Boly Barry über Erfolge und Grenzen der Entwick-

lungszusammenarbeit. Laut Koumba Boly Barry profitieren die vom System Ausge-schlossenen – Jugendliche und Erwach-sene, die keine Chance hatten, je eine Schule zu besuchen – von der Zusam-menarbeit mit der Schweiz. Dank der zweisprachigen Bildung könnten sie sich jetzt alphabetisieren und bilden. Auch Mi-cheline Calmy-Rey betonte die Wichtig-keit der Förderung der einheimischen Sprachen, weil Bildung zur Überwindung von Armut führe. 350 Personen feierten mit uns. Der ebenfalls gezeigte Film mit Impressionen aus der 75-jährigen Ge-schichte des Schweizerischen Arbeiter-hilfswerks ist zu finden unter: www.solidar.ch/75.html

nOTiZen

mittlung von Kontakten zur Diaspora in der Schweiz und in der Beratung der lo-kalen Organisation, welche die Projekte im Kosovo umsetzt. Die einjährige Pilot-phase beginnt im September: Zunächst klären wir die Bedürfnisse im Kosovo und die Ressourcen in der Schweiz ab. Anschliessend werden während drei Jahren Projekte entwickelt und durch-geführt. www.solidar.ch/kosovo

Page 11: Solidarität 3/11

WüRdIge aRBeIt gegeN aRmUtMenschenwürdige Arbeit spielt eine entscheidende Rolle im weltweiten Kampf gegen die Armut. Die Internationale Arbeits organisation ILO trägt wesentlich dazu bei – zum Bei spiel mit der neuen Konvention für Hausange stellte. Text: Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit im SECO

Die Wirtschaft wird globaler. Diese Inter-nationalisierung kann zum erfolgreichen Kampf gegen die Armut beitragen. Vor-aussetzung dafür ist allerdings, dass die Gewinne des internationalen Handels al-len zugute kommen. Man spricht in die-ser Beziehung gerne von der sozialen Dimension der Globalisierung, die es zu stärken gilt.

nur würdige arbeit hilft gegen armutDie Arbeitsbedingungen und -beziehun-gen spielen in dieser Hinsicht eine zent-rale Rolle. Ihre Ausgestaltung entschei-det darüber, ob möglichst grosse Teile der Bevölkerung eines Landes am wirt-schaftlichen Fortschritt teilhaben können. Dabei spielen sowohl quantitative als auch qualitative Elemente eine Rolle: Quantitativ, weil die Schaffung von Ar-beitsplätzen die Voraussetzung für eine möglichst hohe Erwerbsbeteiligung ist. Qualitativ, weil nur Arbeit für ein Entgelt und zu Bedingungen, die ein Leben in Würde erlauben, eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Armut spielen kann. Deshalb kommt dem Einsatz für eine menschenwürdige Arbeit auf Welt-ebene eine grosse Bedeutung zu.

Gleiche Rechte für hausangestellteDie Internationale Arbeitsorganisation (ILO) spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie geniesst wegen ihrer dreigliedrigen Struktur, die neben der Beteiligung der Regierungen auch diejenige der Arbeit-geber und der Arbeitnehmerinnen vor-sieht, eine einzigartige Legitimität. Aktu-ellstes Beispiel für den Beitrag der ILO zur weltweiten Förderung von men-schenwürdiger Arbeit ist die Verabschie-dung einer Konvention für Hausange-stellte an der 100. Session der Internationalen Arbeitskonfe-renz vom Juni. Diese Norm soll sicherstellen, dass die speziell verwundbare Katego-rie der Hausangestellten die gleichen Rechte wie andere ArbeitnehmerInnen geniesst. Die Schweiz hat der Konven-tion in der Schlussabstim-mung zugestimmt – auch als Zeichen in-ternationaler Solidarität. Die leider etwas zu detaillierte Norm wird jedoch nicht einfach umzusetzen sein. Wir werden eine sorgfältige Analyse der relevanten gesetzlichen Rahmenbedingungen ma-chen müssen, bevor wir über eine Ratifi-kation entscheiden können.

11sTandPunKT

die arbeitsbedingungen entscheiden darüber, ob grosse Teile der Bevöl-kerung am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben.

Förderung der iLO-normenDie Schweiz spielt in der ILO traditionell eine sehr aktive Rolle. Unser Engage-ment hat drei Schwerpunkte: Wir setzen uns für eine starke und relevante ILO ein – mit einer glaubwürdigen Normenpolitik und effizienten Organen. Weiter bemü-hen wir uns um die Umsetzung und För-derung von ILO-Normen in der Schweiz. Darunter fallen die Ratifikation von Nor-men sowie allgemeine Fragen der Kohä-renz zwischen Wirtschafts- und Sozialpo-litik. Schliesslich setzt sich das SECO für

die Förderung der ILO-Normen in der Welt ein, zum Beispiel mit der Unterstüt-zung von ILO-Projekten im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungszusam-menarbeit.

Page 12: Solidarität 3/11

«Komplizierte Rechenaufgaben, Gram-matik, Naturkunde, eigentlich gefällt mir jedes Fach», sagt Sonia Kiékiéta. Sie ist elf Jahre alt und eine der neugierigsten Schülerinnen von Gambastenga, einer kleinen Stadt 50 Kilometer nördlich der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou. Sonia besucht eine von rund 130 zwei-sprachigen Schulen. Deren Prinzip ist so simpel wie bestechend: Die SchülerIn-nen werden zuerst in ihrer Muttersprache unterrichtet und danach in Französisch. «Bis vor einigen Jahren hat man hierzu-lande noch nach dem alten System aus der Kolonialzeit unterrichtet», erklärt Do-minique Ilboudo, der Lehrer in Gambas-tenga. «Die LehrerInnen sprachen vom ersten Schultag an nur Französisch. Die meisten SchülerInnen verstanden nichts, denn auf dem Land spricht niemand Französisch.»

Französisch und MooréFranzösisch ist zwar Amts- und Ver-kehrssprache in Burkina Faso, doch wird

es fast ausschliesslich in Ministerien und Universitäten gesprochen. Wer nicht das Privileg hat, dort zu arbeiten, spricht eine der rund 60 lokalen Sprachen und Dia-lekte. In Gambastenga ist es Mooré.In der Schule üben die Jüngsten erst ein-fache Begrüssungsrituale auf Franzö-sisch, während mich die FünftklässlerIn-nen mit ihren Grammatikkenntnissen verblüffen. Wer aufgerufen wird, steht auf. Wenn die Antwort korrekt ist, lässt der Lehrer andere Schüler die richtige Antwort wiederholen, macht der oder die Aufgerufene einen Fehler, klopfen die Mitschülerinnen auf ihre Pulte.

die eltern machen mit In der «Cuisine de l’école bilingue» ko-chen derweil vier Frauen auf offenem Feuer das Mittagessen für die 120 Schü-lerInnen. Ihre Jüngsten haben sie sich mit einem Tuch auf den Rücken gebun-den. Dank des gemeinsamen Mittags-mahls erhält jedes Schulkind zumindest einmal pro Tag ein warmes Essen. Burki-

na Faso ist nach wie vor eines der ärms-ten Länder der Welt, über die Hälfte der Bevölkerung lebt unter dem Existenzmi-nimum. Manche Schulen verfügen zudem über Gemüsegärten oder eine Geflügel-zucht. 2010 konnte die Schule in Gam-bastenga eine halbe Tonne Bohnen ern-ten. Die Produkte werden auf dem Markt verkauft und der Erlös für den Erwerb neuer Lehrmittel verwendet. Der Unterricht in landwirtschaftlicher Produktion und die Förderung der ein-heimischen Kultur sind integraler Be-standteil der zweisprachigen Schulen, was ihre Akzeptanz in der Bevölkerung stärkt.

Mädchenanteil gestiegenDenn schliesslich sollen die Eltern ihre Kinder zur Schule schicken. Früher war das in der Regel nur dem Erstgeborenen vergönnt. Heute trifft man an den zwei-sprachigen Schulen genauso viele Mäd-chen an wie Jungen. Der Altersunter-schied innerhalb einer Klasse ist jedoch

Dank zweisprachiger Bildung haben sich die Leistungen der SchülerInnen verbessert und der Mädchenanteil ist

gestiegen. Die burkinische Erziehungs-ministerin möchte das Modell auf das

ganze Land ausdehnen.

ZWeISpRachIg ZUm eRFOlgIn Burkina Faso gehen immer mehr Kinder in eine zweisprachige Schule. Ein Besuch in der Primarschule Gambastenga. Text und Fotos: Christian Walther

12

Page 13: Solidarität 3/11

13aKTueLL

BIldUNg alS gaNZ heItlIche VISIONDie burkinische Erziehungsministerin Koum-ba Boly Barry war auf Einladung von Solidar in der Schweiz. Ein Gespräch über die zwei-sprachige Bildung. Interview und Foto: Katja Schurter

Die burkinische Regierung möchte die von Solidar initiierte zweisprachige Bildung zum allgemeinen Schulmodell machen. Warum? Weil es ein sehr gutes Konzept der Ba-sisbildung mit einer ganzheitlichen Vision ist: Kultur, Produktion und eine Perspek-tive des Lernens in jedem Alter. Es ist ein Prozess mit Kindern, Jugendlichen und Eltern, der wichtig ist für die Gemein-schaft. Deshalb hat die Regierung ent-schieden, die zweisprachige Bildung auf das ganze Land auszuweiten. Einerseits müssen die bestehenden in zweisprachi-ge Schulen transformiert werden, ande-rerseits braucht es auch neue Schulen.

Wie soll dies vor sich gehen?Wir müssen die LehrerInnen weiterbil-den, die Gesellschaft sensibilisieren, di-daktisches Material herstellen und den Prozess begleiten. Aktuell sind 127 von 11 000 Schulen in Burkina Faso zwei-sprachig. Laut unserem Aktionsplan soll bis 2020 die Mehrheit der Schulen zwei-sprachig sein. Wir möchten pro Jahr 1500 Schulen transformieren.

Das scheint ein sehr ambitioniertes Ziel zu sein.Mit den nötigen Mitteln ist es möglich. Wir sind dafür jedoch auf PartnerInnen in der Entwicklungszusammenarbeit ange-wiesen. Ausserdem braucht es eine gute Strategie – zum Beispiel das Modell bereits im LehrerInnenseminar einzuführen. Es ist wichtig, dass die LehrerInnen nicht das koloniale Bil-dungssystem reproduzieren, das sie selbst als SchülerInnen erlebt haben.

Widerstand gegen die zweisprachige Bil-dung kommt nicht aus der Bevölkerung, sondern von den Intellektuellen. Sie den-ken, es sei nutzlos, Mooré zu lernen, weil man damit nirgends hinkomme. Aber ge-mäss dieser Argumentation würden wir ja besser gleich Chinesisch statt Franzö-sisch lernen, oder? Du musst zuerst dich selbst kennen und dir selbst vertrauen, bevor du anderen etwas geben kannst.

Was ist Ihre Vision für die Bildung in Burkina Faso?Die Umsetzung des Rechts auf Bildung. Jedes Kind, jeder Jugendliche, jede Er-wachsene soll Bildung erhalten, ob Frau oder Mann, Junge oder Mädchen, Bäue-rin oder Behinderter. Meine Vision ist ein integrierendes Bildungssystem. Wichtig ist auch die lokale Verankerung: Das Spezifische einer Region muss in die Bil-dung aufgenommen werden, damit das Gelernte etwas mit dem Leben der Men-schen zu tun hat. Das Bildungssystem soll die lokale Entwicklung fördern.

Diesen Frühling gab es Unruhen in Burkina Faso – wie präsentierte sich die Situation Ende Mai?Zwei Tage vor meiner Abreise machten SchülerInnen ein Sit-in vor meinem Mi-nisterium, um die streikenden LehrerIn-nen aufzufordern, in die Schule zurückzu-kehren. Denn die Examen standen an. Wir haben zurzeit eine soziale Krise wie viele andere Länder auch. Die Alphabeti-sierung vieler Jugendlicher und Erwach-sener hat zu einer kritischen Masse ge-führt, die eine neue Regierungsform möchte. Das müssen wir anerkennen.

augenfällig. «An meinem ersten Schultag war ich bereits neun Jahre alt, und ich war nicht der Älteste», erinnert sich Sou-leymane Bontogo. Doch er habe hart ge-arbeitet und seinen Primarschulab-schluss nach vier statt der üblichen fünf Jahre gemacht. Heute studiert Bontogo in Ouagadougou Rechtswissenschaften und ist überzeugt, dass er nur dank des Besuchs einer zweisprachigen Schule studieren konnte. «Einige aus meiner Klasse sind auf dem Dorf geblieben, doch zwei Mädchen sind Lehrerinnen ge-worden, einige Jungen Zimmermann und drei werden wie ich Juristen.»Auch Sonia Kiékiéta scheint schon ge-nau zu wissen, wo ihr Weg sie dereinst hinführen wird: «Ich will Ärztin werden, damit ich meinen Landsleuten und mei-nen Eltern helfen kann.»Sehen Sie den mitenand-Beitrag mit So-nia zur zweisprachigen Bildung in Burki-na Faso: www.solidar.ch/sonia.html

Page 14: Solidarität 3/11

Sollen Kaffee-Multis wie Nestlé ihr Angebot konsequent auf Fairtrade umstellen (siehe hintere Umschlagseite)?

Ja, sie sollen konsequent fair gehandelten Kaffee anbieten.

Jein. Sie sollen in allen Produktelinien auch fairen Kaffee anbieten – und den KonsumentInnen so die Wahl lassen.

Nein, das ist nicht nötig.

Beantworten Sie den Solidaritäts-Barometer auf dem beigelegten Antworttalon.

PS: Schreiben Sie ein Email an George Clooney, damit er Nestlé auffordert, faire Arbeitsbedingungen für die Kaffee-bäuerInnen zu garantieren: www.solidar.ch/kaffee

solidaritäts-Barometer

14 PinGPOnG

Lösung:

sOLidaR-sudOKu

Spielregeln

Füllen Sie die leeren Felder mit Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3-Blöcke nur ein Mal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den schraffier-ten Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgen-dem Schlüssel:1=R, 2=O, 3=C, 4=N, 5=D, 6=E, 7=K, 8=W, 9=T

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit dem beiliegen-den vor frankierten Antwort-Talon, einer Postkarte oder per E-Mail an: [email protected], Betreff «Rätsel». Jede richtige Lösung nimmt an der Verlosung teil.

1. Preis Einkaufsgutschein der gebana im Wert von 150 Franken2. Preis Einkaufsgutschein der gebana im Wert von 100 Franken3. Preis Einkaufsgutschein der gebana im Wert von 50 Franken

die Preise wurden uns freundlicherweise von der gebana zur Verfügung gestellt.

9 8

9 2 4

4 25

1

9

7

15 7

8 5

6 4 9 5

8 2 3

1

2

4

5

6 8

3 1

7

Einsendeschluss ist der 26. September 2011. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 4/2011 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar.

Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 2/2011 lautete «denke global – handle lokal». Die GewinnerInnen sind ausgelost: Jean-Baptiste de Weck aus Pierrafortscha, Elsbeth Reutimann aus Dachsen und Ferenc Ozvegyi aus Kriens haben gebana-Einkaufsgutscheine gewonnen. Wir danken den Mitspielenden für ihre Teilnahme und der gebana für die gestifteten Preise.

ein TesTaMenT ändeRn

Es gibt immer wieder Gründe, ein Testament anzupassen: Neue Begünstigte werden aufgenommen, alte gestrichen, die einen sollen mehr, die anderen weniger erhalten. Das ist ganz leicht – wenn einige Regeln beachtet werden. Zum Beispiel, dass beim handschriftlichen Testament jede Ände-rung mit vollständigem Namen und Erstelldatum zu unter-zeichnen ist.

Im Merkblatt «Ein Testament ändern» finden Sie alle nötigen Informationen dazu. Sie können es auf dem beigelegten Service-Talon bestellen oder direkt bei Christof Hotz, 044 444 19 45.

PS: Sollten Sie das SAH in Ihrem Testament berücksichtigt haben, müssen Sie trotz der Namensänderung nichts unternehmen. im Zuge einer Änderung empfiehlt es sich jedoch, den neuen Namen Solidar Suisse einzusetzen.

Page 15: Solidarität 3/11

aKTueLL 15

glOBal deNKeN,lOKal haNdelN!Wie nehmen die Gemeinden ihre globale soziale Verant-wortung wahr? Die Resultate des Solidar-Gemeinderatings zeigen enorme Unterschiede. Text: Cédric Wermuth, Foto: Martin Gassner

Solidar Suisse lanciert die erste Kampa-gne unter neuem Namen: Das «Solidar-Gemeinderating – global denken, lokal handeln». Sie ist eine Weiterentwicklung der Kampagne «Kehrseite – keine Aus-beutung mit unseren Steuergeldern!» und richtet sich an die öffentliche Hand, insbesondere an Gemeinden.Mit Telefoninterviews (ca. 70 Fragen) und aufwendigen Recherchen haben wir über 80 Schweizer Gemeinden auf die Frage hin untersucht, ob sie ihre globale Verantwortung wahrnehmen. Konkret untersucht das Rating das entwicklungs-politische Engagement der Gemeinden und ob sie beim Einkauf von Waren auf deren Produktionsbedingungen achten. Beide Bereiche werden in der Bewer-tung je zur Hälfte berücksichtigt. Insge-samt konnten die Gemeinden 100 Punk-te erreichen. Es gibt fünf Kategorien: Für 0 bis 5 Punkte gibt es einen Globus, für 6 bis 25 Punkte zwei Globen und danach je einen zusätzlichen Globus pro 25 Punkte.

die Resultate Ein erster Blick auf die Resultate zeigt enorme Unterschiede. Von Gemeinden, die mehr oder weniger offen die Position einnehmen, die Probleme der Menschen in den Entwicklungsländern gingen sie nichts an, bis zu absoluten Vorzeigefällen haben wir alles angetroffen. Tendenziell achten Gemeinden, die Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit unterstüt-zen, beim Einkauf eher auf die Produkti-onsbedingungen und umgekehrt.

Grosse und KleineDie grösseren Städte übernehmen tendenziell mehr Verantwortung als die kleinen Gemeinden. Sie geben verhält-nismässig viel Geld aus für die Entwick-lungszusammenarbeit und achten beim Einkauf eher auf die Produktionsbedin-gungen. Absolute Spitzenreiterin ist denn auch die grösste Gemeinde, die Stadt Zürich (89 von 100 Punkten). Leider zeigt sich am Beispiel Zürich aber auch eine Gefahr: Gerade die Bei-träge an Projekte in der Ent-wicklungszusammenarbeit werden leicht Opfer von Spar- und Abbauplänen. Mit den be-schlossenen Budgetkürzungen senkt die Stadt Zürich ihre Beiträge ab sofort von 2,6 Millionen jährlich auf 0,5 Millionen. Beim nächsten Rating wird Zürich damit satte 20 Punkte und einen Globus verlie-ren.Auch sonst reihen sich nicht alle grossen Gemeinden vorne ein: So landet Chur (33 000 Einwohner, 1 Globus) ganz un-

ten in der Rangliste. Dass globale Ver-antwortung weniger eine Frage der Grösse als vielmehr des politischen Wil-lens ist, zeigt auch das Beispiel Altdorf: Die 9000-Seelen-Gemeinde erreicht 67 Punkte und schwingt in der Zent-ralschweiz deutlich obenaus.

Regionale unterschiedeSpannend sind auch die regionalen Un-terschiede. So geben Gemeinden in der Nordwestschweiz (Bern, Aargau, Solo-thurn) tendenziell höhere Beiträge für die Entwicklungszusammenarbeit, hin-ken dafür im Beschaffungswesen deut-lich hinterher. Die Südostschweiz (Glarus und Graubünden) schneidet deutlich am schlechtesten ab: Von sechs untersuch-ten Gemeinden kommt keine über zwei Globen hinaus. Das «Solidar-Gemeinderating – global

denken, lokal handeln» wurde 2011 zum ersten Mal durchgeführt. In Zukunft soll das Rating wiederholt und ausgebaut werden. Damit lässt sich die Entwicklung des globalen Verantwortungsbewusst-seins bei den Gemeinden nachvollziehen.

Globale Verantwortung ist weniger eine Frage der Gemeindegrösse als des politischen Willens.

Gemeinden sollen nur Waren einkaufen, die unter fairen Arbeits-bedingungen produziert wurden – wie diese Pflastersteine aus Vietnam.

Page 16: Solidarität 3/11

16 KuLTuReLLes

ZWIScheN «gUteS tUN» UNd KaRRIeReStReBeNDie Ausstellung «Die andere Seite der Welt – Geschichten der humanitären Schweiz» setzt sich mit Sinn und Zweck von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit aus-einander. Text: Katja Schurter

Eine Reise durch das Erfahrungsspekt-rum von Menschen, die sich für die Men-schenrechte, in der Entwicklungszusam-menarbeit oder der humanitären Hilfe engagiert haben, erwartet die Besuche-rin. In zwei- bis fünfminütigen Filmbeiträ-gen werden diverse Themen – von Moti-vation über Wasser und Ernährung, Enttäuschungen, Liebe und Partner-schaft, traumatische Erlebnisse bis zum Einfluss der Medien und der Rolle des Geldes – behandelt und bieten einen Einblick in ganz unterschiedliche Realitä-ten. Welchen Beitrag sie sehen möchten, können die Zuschauenden per Fernbe-dienung bestimmen – im demokrati-schen Abstimmungsverfahren.

Was motiviert, was enttäuscht?Veränderungen in der Motivation für ein Engagement in der Entwicklungszusam-menarbeit werden verschiedentlich fest-gestellt. Während Laurent Barbanneau von Médecins Sans Frontières beklagt, dass der frühere Idealismus von Karrie-restreben abgelöst worden sei, findet es Rudolf Högger von der Deza wohltuend, dass die humanitäre, leicht abwertende Haltung «Tue Gutes» einer nüchternen und trotzdem engagierten Motivation ge-wichen sei. Für Barbara Burri Sharani, die im Auftrag des damaligen SAH im Jahr 2000 in den Kosovo ging, war das Ge-fühl, etwas bewirken zu können, sehr motivierend: «Wir haben viel Tragisches gesehen, aber es war auch viel Hilfe nö-tig und sehr viel möglich.»

Al Imfeld erzählt von seiner grössten Ent-täuschung, als er 1951 sein Idol Albert Schweitzer in Lambarene traf. Schweit-zer teilte ihm mit, «der Afrikaner ist, wenn ein Mensch, dann erst ein Kind», und Im-feld bekam mit, dass Schweitzer den Leuten Nummern um den Hals hängte, da er die Gesichter von Schwarzen nicht unterscheiden konnte. Als Schweitzer dann dem gerade anwesenden südafri-kanischen Innenminister sagte, «ihr geht den richtigen Weg», verliess Imfeld tief enttäuscht Lambarene – und setzte sich später aktiv gegen die Apartheid ein.

Rolle der MedienWeiter führt die Filmspur zur durchaus ambivalent beurteilten Rolle der Medien. Einerseits betont Marta Fotsch von Am-nesty international, dass der Kampf ge-gen Menschenrechtsverletzungen ohne Druck der Medien nicht möglich wäre, andererseits wird kritisiert, dass sich die humanitäre Hilfe immer mehr an der Lo-gik der Medien orientierte und Journalis-tInnen manchmal Öl ins Feuer gössen, wenn sie heikle Bilder veröffentlichten. Auf der Suche nach dem spektakulären Bild wird auch die Würde der Menschen nicht respektiert. Als Martine Bourquin für das IKRK in einem Flüchtlingslager an der Grenze zwischen Kambodscha und Thailand im Einsatz war, riss ein Journalist einfach die Decke von einer Leiche, um ein Foto zu machen. Da wur-de sie so wütend, dass sie auf ihn los-ging.

Menschenrechte in der schweizAusserdem sind die Beiträge für den Kurzfilmwettbewerb zu sehen, der zur Ausstellung ausgeschrieben wurde. Be-merkenswert ist der Film «Unknown» ei-ner siebten Klasse aus Belp, der mit dem Schulpreis ausgezeichnet wurde. Am Beispiel von vier afghanischen Flüchtlin-gen – leider ausschliesslich Männer – findet er stimmige Bilder für die perspek-tivlose und ausgegrenzte Situation von Flüchtlingen in der Schweiz. Und stellt explizit die Frage, wie es um die Einhal-tung der Menschenrechte in der humani-tären Schweiz steht. Zu sehen unter:www.humem.ch

30. Sept. bis 11. Nov. 2011 ETH Zürich7. bis 31. Okt. 2011 Universität Basel18. Nov. 2011 bis 12. Feb. 2012: Historisches Museum St. Gallen17. Nov. 2011 bis Januar 2012: Heiliggeist-Kapelle Luzern9. bis 21. Jan. 2012:Theater Uri in Altdorf

Die Ausstellung wurde von Solidar Suisse unterstützt.

Weitere stationen der ausstellung

Page 17: Solidarität 3/11

Sieben Frauen aus der Türkei, Syrien, Mazedonien und dem Irak, die Kurse des SAH Wallis besucht haben, haben je ein Buch geschrieben, in dem sie ihre Ge-

schichte erzählen. Die Bücher zeigten, dass AsylbewerberInnen und MigrantIn-nen ganz generell etwas zu geben hätten und nicht nur hier seien, um zu profitie-ren, erklärte Véronique Barras, die Ver-antwortliche des Integrationsprogramms, kürzlich im Le Nouvelliste.Die vom SAH Wallis angebotenen Fran-zösischkurse sind stets ausgebucht, und die Warteliste wird immer länger. Das SAH wird sein Kursangebot ausbauen und plant neue Module zur Alphabetisie-rung. www.oseo-vs.ch

sah Zürich: Lauf gegen RassismusZum zehnten Mal wird am Sonntag, den 25. September 2011 in Zürich der Lauf gegen Rassismus durchgeführt. Organi-siert vom Zürcher Gewerkschaftsbund und dem SAH Zürich, findet er wie in den vergangenen Jahren in der Bäckeranla-ge im Kreis 4 statt.Der Erlös kommt dieses Jahr unter ande-rem dem impuls-treffpunkt des SAH Zü-rich zugute. Dieser bietet Hilfe und Bera-tung in den Bereichen Arbeitsrecht, Arbeitslosenversicherung, Umgang mit Erwerbslosigkeit und Stellensuche. Mehr als die Hälfte der Ratsuchenden ist aus-ländischer Herkunft. Unterstützt werden zudem – auch im Zeichen der Kampagne

«10 Jahre Sans-papiers-Bewegung» – die Sans-papiers-Anlaufstelle Zürich, die Freiplatzaktion Zürich und SOS Rassis-mus Deutschschweiz.Weitere Informationen und Anmeldung für LäuferInnen und SponsorInnen unter 044 241 97 92 oderwww.laufgegenrassismus.ch

sah Genf: Mit Kreativität zu mehr eigenständigkeit

Im Motivationssemester Semo des SAH Genf beschäftigen sich die jungen Teil-nehmerInnen mit künstlerischen und handwerklichen Themen, die sich an den aktuellen soziokulturellen Gegebenhei-ten orientieren. Abwechslungsweise be-suchen sie Workshops zu Holz, Ökode-sign und Multimedia und werden dabei von fachlich versierten AusbildnerInnen begleitet.Neben der sozioprofessionellen Integra-tion können die Jugendlichen durch kre-ative Tätigkeiten ihre Eigenständigkeit stärken. Sie eignen sich neue Fachkom-petenzen an und schaffen etwas, das nicht nur kommerziellen Zwecken dient. So werden junge Menschen, die ihren Platz in der Berufswelt noch nicht gefun-den haben, motiviert, eine Arbeit von An-fang bis Ende engagiert zu erledigen, während zugleich ihre Konzentrationsfä-higkeit und ihr Selbstvertrauen wächst. All diese Faktoren sind grundlegende Voraussetzungen für eine zukünftige In-tegration in den Arbeitsmarkt.Die Workshops tragen ausserdem dazu bei, Jugendlichen handwerkliche Berufe näher zu bringen, die heute oft als unat-traktiv gelten. Auch dies erweitert ihren Horizont und zeigt ihnen neue Möglich-keiten für ihre berufliche Zukunft.www.oseo-ge.ch

sah Wallis: Migrantinnen schreiben Bücher

17neTZWeRK

Seit dem 25. Juni 2011 reinigen er-werbslose Flüchtlinge, vorläufig Aufge-nommene und Asylsuchende sieben Schulhausanlagen in der Stadt Luzern. Der Pilotversuch «Team blitzblank» re-agiert einerseits auf die stärkere Nut-zung der Pausen- und Spielplätze von Schulanlagen an den Wochenenden, was zu grösserer Verschmutzung und Vanda-lismus geführt hat. Die regelmässige Reinigung garantiert die Zugänglichkeit der Anlagen und das Wohlbefinden der

Quartierbevölkerung. Andererseits leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Integration von benachteiligten Men-schen in den Arbeitsmarkt. Ihre berufli-chen und persönlichen Kompetenzen werden gestärkt und ihre Vermittlungsfä-higkeit verbessert. Gleichzeitig kommen sie in Kontakt mit der einheimischen Be-völkerung. Das Pilotprojekt ist eine Zu-sammenarbeit von Stadt und Kanton Lu-zern mit dem SAH Zentralschweiz. www.sah-zs.ch

sah Zentralschweiz: Team blitzblank

Page 18: Solidarität 3/11

«alleIN eRZIeheNde mütteR SINd eINe geFähRdete SpeZIeS»Für Jelena Mijovic, die Vertreterin von Solidar Suisse in Serbien, ist der Sozialdialog das wichtigste Mittel, um Krise und Arbeitslosigkeit zu überwinden. Text: Katja Schurter, Foto: Dragan Ivanovic

18

Page 19: Solidarität 3/11

Jelena Mijovic sitzt nicht gerne still. Im-mer ist sie auf der Suche nach der nächs-ten Herausforderung. Daran mangelt es in ihrer Funktion als Leiterin des Solidar-Koordinationsbüros in Serbien nicht. «Mich motiviert es, die ArbeiterInnen zu unterstützen, sei es durch die Vernetzung der SozialpartnerInnen oder durch Wei-terbildung. Es ist ein schwieriges Gebiet, neben Fortschritten gibt es immer wieder auch Rückschläge», ist ihr bereits nach einem Jahr Tätigkeit klar. Geduld und Hartnäckigkeit sind gefragt, denn «du kannst die Situation nicht über Nacht verändern. Wir befinden uns seit dem Auseinanderbrechen von Jugoslawien in einer permanenten Krise, und die Privati-sierungen hatten viele negative Auswir-kungen.» Bevor Jelena Mijovic Mitte Mai in die Schweiz reiste, um am Treffen aller LändervertreterInnen von Solidar Suisse

teilzunehmen, konnte sie sich jedoch über einen Erfolg freuen: Ende April haben die Gewerkschaften, die Regie-rung und die ArbeitgeberInnen ein lan-desweites Sozialabkommen unterzeich-net, mit dem Ziel, die serbische Wirtschaft zu stärken und den Wohlstand allen zu-gänglich zu machen. Das Abkommen schreibt eine Krankenversicherung für alle Angestellten und das Schliessen von Beitragslücken im Pensionsfonds sowie einen Mindeststundenlohn von 102 Dinars (ca. 1.20 Franken) fest. «Davon kannst du zwar nur knapp überleben und keine Familie ernähren, aber es ist trotz-dem ein Fortschritt», ist Jelena überzeugt. «Ich bin froh, dass das Abkommen unter-zeichnet wurde, denn der Sozialdialog war völlig blockiert, weil sich die Sozial-partnerInnen gegenseitig die Legitimität absprachen.» Doch am Ziel ist Jelena Mi-jovic damit noch lange nicht: «Nun geht es um die Umsetzung – denn unterzeich-net wird Vieles.»

Frauen noch immer diskriminiert So schreibt das Arbeitsgesetz in Serbien einen einjährigen Mutterschaftsurlaub vor – die fortschrittliche Regelung wird jedoch in der Praxis unterlaufen: «Junge Frauen werden nicht angestellt oder sie müssen unterschreiben, dass sie nicht schwanger werden. Und allein erziehen-de Mütter sind die am meisten gefährde-te ‹Spezies› überhaupt. Frauen arbeiten immer – während die Männer vor dem Fernseher sitzen. Viele wehren sich nicht gegen unbezahlte Überstunden oder Schikanen, weil sie Angst haben, ihre Stelle zu verlieren», weiss die allein erzie-hende Mutter, die nach einem langen Ar-beitstag mit ihrem vierjährigen Sohn zum Fussballspielen geht, egal wie müde sie ist. Viele ArbeitnehmerInnen hatten bis anhin keine Krankenversicherung, denn der Staat als Hauptarbeitgeber hatte die Beiträge nicht bezahlt. «Als dies vor ein paar Jahren publik wurde, waren die Fir-men jedoch schon an AusländerInnen verkauft, die diese Kosten nicht überneh-men wollten. Folglich haben wir weiterhin weder Krankenversicherung noch Pensi-

on. Mit der Unterzeichnung des Sozialabkommens sollten wir nun endlich Renten bekommen.»

sozialdialog gegen die KriseSolidar engagiert sich seit sechs Jahren für den Sozialdialog, der ArbeitgeberIn-nen, Regierung und Gewerkschaften an einen Tisch bringt. «Wir unterstützen Pro-jekte der Jugend- und Frauensektionen der Gewerkschaften und fördern den Sozialdialog auf nationaler wie lokaler Ebene. Dass die SozialpartnerInnen, die vor ein paar Jahren kein Wort miteinan-der gesprochen hätten, nun zusammen-sitzen, ist auch ein Verdienst von Solidar», ist die diplomierte Übersetzerin über-zeugt. Für sie ist der Sozialdialog das wichtigste Instrument zur Bekämpfung der ökonomischen Krise und der Arbeits-losigkeit in Serbien. Doch dessen Durch-führung ist weiterhin nicht einfach. «Die Regierung sollte Gesetzesentwürfe dem sozialen Wirtschaftsrat zur Vernehmlas-sung vorlegen, doch sie ‘vergessen’ dies häufig oder tun es erst einen Tag vor Ab-lauf der Frist», ärgert sich Jelena Mijovic. Ihr nächstes Ziel sind Gesamtarbeitsver-träge mit einzelnen Unternehmen. Län-gerfristig wünscht sie sich die konse-quente Anwendung des Arbeitsgesetzes und ausländische Investitionen, die nach-haltige und faire Arbeitsplätze schaffen.

Solidar setzt sich in Serbien für den Sozialdialog ein, um die negativen Fol-gen der Privatisierung abzufedern. Dazu bringen wir Behörden, Gewerk-schaften und Arbeitgeber an einen Tisch, damit gemeinsame Lösungen für die ökonomische Krise und die Ar-beitslosigkeit erarbeitet werden kön-nen. Jüngste Erfolge sind der Ab-schluss von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) in verschiedenen Branchen und ein landesweites Sozialabkom-men (siehe Text).

solidar suisse in serbien

Jelena Mijovic beim Besuch einer Baustelle, um die Arbeitsbedingungen zu

kontrollieren und für die Wichtigkeit von Schutzma-

terial zu sensibilisieren.

einBLicK 19

Page 20: Solidarität 3/11

KeINe aUSBeUtUNg Im KaFFeehaNdelWeltweit kämpfen an die 100 Millionen KaffeebäuerInnen und PlantagenarbeiterInnen um

ihre Existenz, während hier im Norden für ein Kilo Kaffee bis zu 100 Franken bezahlt wer-

den (etwa in Form von Nespresso-Kapseln). Abhilfe bietet der faire Handel, der Mindest-

preise und Abnahmegarantien gewährleistet.

sind sie auch der Meinung, dass nestlé konsequent fair gehandelten

Kaffee anbieten soll?

Dann schreiben Sie George Clooney ein E-Mail! Er soll Nestlé auffordern, faire Arbeitsbe-

dingungen für die KaffeebäuerInnen zu garantieren – und andernfalls keine Nespresso-

Werbung mehr machen. www.solidar.ch/kaffee

e presso