solidarität 3/2013

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Ausgabe August 3/2013 Das Magazin von THEMA Kosovo AKTUELL Sambahack für faire WM

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Magazin von Solidar Suisse

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Ausgabe August 3/2013

Das Magazin von

THEMAKosovo

AKTUELLSambahack für faire WM

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Esther MaurerGeschäftsleiterin Solidar Suisse

2 EDITORIAL

MEDIENSCHAU

3.6.2013Schweiz-China: Kein Freihandel à tout prix(…) Die China-Plattform (ein Zusam-menschluss zahlreicher NGO, darunter Solidar Suisse) erinnert daran, dass in China Millionen von Menschen in Zwangsarbeitslagern ausgebeutet wer-den und unabhängige Gewerkschaften noch immer nicht zugelassen sind. Ohne Arbeits- und Menschenrechte führt Frei-handel dazu, dass ausbeuterisch herge-stellte Produkte bevorteilt werden.

24.6.2013Wirbel um «gehackte» Fifa-SeiteWild tanzte Präsident Sepp Blatter über die Website des Weltfussballverbands. Via #Sambahack verbreitete sich die Nach-richt (…) rasend schnell. (…) Hinter der frechen Aktion steckt das Schweizer Hilfswerk Solidar Suisse. Die «Attacke» ist Teil einer Kampagne, die für eine faire WM in Brasilien wirbt. Dafür überreicht die NGO der Fifa heute eine Petition mit über 25 000 Unterschriften. Sepp Blatter hat sie (…) persönlich entgegengenom-men.

5.5.2013Jetzt kommt der faire Grabstein(…) In der Schweiz stammt ein Grossteil der Rohsteine für Grabmale aus Steinbrü-chen in China oder Indien. Hilfswerke be-haupten, dass dort Kinder und Erwachse-ne unter teilweise unmenschlichen Be - dingungen schuften. Steine aus solcher Produktion will der SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr nun von Schweizer Friedhöfen verbannt wissen. (…) Als Präsident von Solidar Suisse kämpft er seit langem da-für, dass die Behörden ihre Waren und Dienstleistungen generell fair beschaffen.

Liebe Leserin, lieber Leser, Als die Schweiz im Februar 2008 die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannte, wurde dies insbesondere von den politi-schen BefürworterInnen als ein symbolisch bedeutsamer politi-scher Akt gewertet. Die Klärung des Kosovostatus sei eine Voraussetzung für die Stabilität und die wirtschaftliche und politische Entwick-lung ganz Südosteuropas, hiess es. Ich erinnere mich gut, dass ich damals bei einem Empfang in der schweize-rischen Botschaft in Bukarest auf unsere damalige Aussenministerin traf, die enorm für diese Anerkennung gekämpft hatte, weil sie mit diesem Schritt der eigenständigen Entwicklung des Kosovo eine Chance geben wollte. Doch sie war sich auch bewusst, dass ein «symboli-scher Akt» bei weitem nicht genügt, wenn es um die Entwicklung eines Lan-des geht, in dem nicht nur Armut vor-herrscht, sondern auch fast jede Infrastruktur durch den Krieg zerstört worden ist. Wenn es der Schweiz also ernst sein sollte mit der «Entwicklungschance für den Kosovo», dann hiesse dies, auch den Aufbau mit Geld und Know-how zu unterstützen.

Chancen geben oder erhalten ist das eine – zentral aber ist die Frage, ob diese Chancen auch genutzt werden. Solidar Suisse ist seit 1999 im Kosovo aktiv, insbesondere im Bereich des Sozialdialogs – z.B. in der Milchwirtschaft oder im Gesundheits-

wesen – und bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Dabei wurde mit Geduld und Fachwissen ein Fundament ge-genseitigen Vertrauens aufgebaut, das konkrete Resultate zu-gunsten der kosovarischen Bevölkerung ermöglichte. Diese

Chance wird auch weiterhin genutzt.

In den vergangenen Monaten hat Solidar viel Energie und Engagement in den Aufbau eines innovativen Pilot projekts gesteckt, das die Entwicklung im Kosovo unter Einbezug der zahlenmässig star-ken Diaspora in der Schweiz unterstüt-zen sollte. Wir hofften, als Mandatsträger der Deza dieses Projekt weiter beraten und gemeinsam mit allen Beteiligen einen konkreten Gewinn für beide Seiten erzielen zu können. Das Mandat wurde von der Deza nun sistiert und ein viel versprechender Dialog bereits in der

Anfangsphase gestoppt. Diese Chance wurde vertan – leider! Doch Solidar ist ja dafür bekannt, nicht so leicht aufzugeben. Wir unterstützen die Bevölkerung im Kosovo weiterhin mit unserem integrativen Engagement. Weil wir uns verpflichtet haben, unseren Teil dazu beizutragen, dass der Kosovo eine Chance erhält – und auch nutzen kann.

Ich wünsche Ihnen eine bereichernde Lektüre! Esther Maurer

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Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: [email protected], www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks SolidarRedaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil VoicesÜbersetzungen: Irene Bisang, Interserv SA Lausanne, Milena Hrdina, Jean-François ZurbriggenKorrektorat: Jeannine Horni, Carol Le Courtois, Sylviane DeriazDruck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 SchaffhausenErscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–,Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr).Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier.

Titelbild: Landwirtschaftliche Familienbetriebe im Kosovo haben das Potenzial Arbeitsplätze zu schaffen. Foto: Christoph Baumann. Rückseite: Eine Auswahl der fast 300 Botschaften an Sepp Blatter für eine faire WM, die Solidar erreichten.

AKTUELL Ende Juni protestierten die Menschen in Brasilien gegen die WM, und Solidar machte auf seine Forderungen für eine faire WM aufmerksam. 15

STANDPUNKT Im Kosovo muss das Bildungs-wesen den Bedürfnissen der Wirtschaft angepasst werden. 13

EINBLICKSotkalingam Lankadevi hat viele Schicksals-schläge erlebt. Doch sie gibt nicht auf und ist nach dem Bürgerkrieg in Sri Lanka in ihr Dorf zurückgekehrt.

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THEMAWie sieht es im Kosovo fünf Jahre nach der Ausrufung der Unabhängigkeit aus? Welchen Beitrag leistet Solidar Suisse zur Entwicklung des jungen Landes? 4

IMPRESSUM

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THEMA Kosovo 4 Wo steht der Kosovo fünf Jahre nach der enthusiastisch verkündeten Unabhängigkeit? 6 Die Gesundheitsversorgung im Kosovo ist desolat und unbezahlbar: Ein Solidar-Projekt will dies ändern 8 Aufschwung in der Milchbranche dank besserer Qualität 10 STANDPUNKT Die Wirtschaft im Kosovo muss neue Bereiche erschliessen, um Armut und Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen 13 AKTUELL Sambahack: Mit einer von Hundert-tausenden unterstützten Online- Aktion fordert Solidar eine faire Fussball-WM 2014 in Brasilien 15 Die Arbeitsbedingungen der ZuckerrohrschneiderInnen in Bolivien sind hart und gefährlich 17 KOLUMNE 11 PINGPONG 12 NETZWERK News aus den SAH-Vereinen 16 EINBLICK Sotkalingam Lankadevi hat sich nach dem Bürgerkrieg in Sri Lanka wieder eine Existenz aufgebaut 18

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Dank sozialem Dialog arbeiten Molkereien und BäuerInnen heute zusammen, um die Milchwirtschaft zu entwicklen.

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THEMA

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Wie sieht es im Kosovo heute, fünf Jahre nach der Ausrufung der Unabhängigkeit, aus? Wie leben die Menschen in einem Land, das in den 1990er Jahren unter der Repression durch das Milosevic-Regime litt und sich 14 Jahre nach dem Krieg um internationale Anerkennung bemüht?Wir zeichnen das Bild eines Landes, das durch seine grosse Diaspora eng mit der Schweiz verbunden ist und für dessen Entwicklung sich Solidar Suisse seit 14 Jahren engagiert. Foto: Brigit Ruprecht

KOSOVO

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erklärung als rechtswidrig. Positive Reaktionen wiederum waren meist mit hohen Erwartungen an den neuen demo-kratischen und multiethnischen Staat verknüpft. So sprach z.B. Bundesrätin Mi-cheline Calmy-Rey von der Verpflichtung für die BürgerInnen des neuen Staats, die Chance zu packen und aus ihrer Hei-mat ein Vorbild für Europa und die Welt zu machen. Die grössten Erwartungen hatten aber die Kosovo-AlbanerInnen selber. Seit Jahren hatten sie diesen Moment her-beigesehnt. Sie waren überzeugt, dies sei der Startschuss für eine bessere Zu-kunft. Eine Zukunft, die möglichst bald innerhalb der Europäischen Union statt-

«Von heute an ist Kosovo stolz, unabhän-gig und frei», erklärte Ministerpräsident Hashim Thaci am 17. Februar 2008, nachdem das Parlament des Kosovo neun Jahre nach dem Kosovo-Krieg die Unabhängigkeit ausgerufen hatte. Zehn-tausende Menschen zogen in Pristina Fahnen schwenkend durch die Strassen, und auch in der Schweiz versammelten sich Kosovarinnen und Kosovaren zu spontanen Kundgebungen der Freude.

Grosse ErwartungenDie Reaktion aus Serbien kam prompt. Belgrad werde eine Unabhängigkeit Ko-sovos niemals anerkennen. Auch Russ-land verurteilte die Unabhängigkeits-

finden sollte. Als wichtigstes politisches Ziel definierte die Regierung in Pristina denn auch die EU-Vollmitgliedschaft, und die EU ihrerseits entsandte im Rah-men der Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX rund 2000 Polizisten, Richterin-nen und Zollbeamte, die dem jungen Staat beim Aufbau seiner Behörden hel-fen sollten.

Auf Euphorie folgt ErnüchterungGut fünf Jahre nach der Unabhängig-keitserklärung hat sich die Euphorie gelegt, und vielerorts macht sich Er - nüch terung breit. Über ein Drittel der Bevölkerung lebt nach wie vor unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit be-

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STOLZ, UNABHÄNGIG UND FREI?Fünf Jahre nach der enthusiastisch verkündeten Unabhängigkeit des Kosovo macht sich Ernüchterung breit. Für nachhaltige Reformen braucht es eine verstärkte Einbindung der Zivilbevölkerung.Text und Fotos: Cyrill Rogger

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Die Probleme sind die gleichen geblieben: 2008 forderten DemonstrantInnen Sozialdialog, Rechtstaatlichkeit und existenzsichernde Minimallöhne.

7THEMA 7

trägt 45 Prozent. Fast die Hälfte der Uno-Mitgliedstaaten hat die Souveränität der Republik Kosovo immer noch nicht anerkannt, darunter EU-Staaten wie Spanien und Griechenland. Mit der Integ-ration in die Europäische Union hinkt Kosovo weit hinter Nachbarstaaten wie Serbien oder Mazedonien hinterher – kosovarische Staatsangehörige benöti-gen derzeit im Gegensatz zu allen ande-ren Westbalkan-Staaten ein Visum, wenn sie in den Schengenraum einreisen wol-len. Auch das am 19. April diesen Jahres beschlossene Abkommen zwischen Ser-bien und Kosovo hat im Kosovo keine Begeisterung ausgelöst. Im Gegenteil: Die albanische Bevölkerung steht den Autonomiezugeständnissen an die serbi-sche Minderheit im Nordkosovo skep-tisch gegenüber, auch wenn Serbien da-mit der Eingliederung des umstrittenen Nordkosovos in den Kosovo zustimmt.

Abhängigkeit von externer HilfeDie wirtschaftliche Stabilität Kosovos ist in hohem Masse von internationalen Geldgebern und Überweisungen von Mi-grantInnen aus der Diaspora (Rimessen) abhängig. Gemäss Schätzungen der CIA tragen sie mit 10 beziehungsweise 14 Prozent fast ein Viertel zum Bruttoin-landprodukt bei. Die Rimessen, zu denen die rund 180 000 Personen zählende Di-aspora der Schweiz namhaft beiträgt,

werden allerdings vorwiegend in den Konsum und kaum in den Aufbau lokaler Unternehmen investiert. Umfragen bei Ko sovarInnen in der Schweiz haben er-geben, dass das schlechte Investitions-klima viele Mitglieder der Diaspora ab-schreckt. Als grösste Hürden bezeichnen sie die Bürokratie und zu hohe Steuern. Die vielen Wirtschaftsförderungspro-gramme, die von internationalen Gebern unterstützt werden, konnten noch keine Direkt in vestitionen im grossen Stil anzie-hen, was zum Teil auch mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab Sommer 2007 und insbesondere mit der Euro-krise ab 2009 zusammenhängt.

Fehlende Bildung, Gesundheitsver-sorgung und PartizipationEine weitere Hürde für die wirtschaft-liche Entwicklung im Kosovo stellt der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften dar. Es mag absurd klingen, dass Unter-

nehmen trotz der hohen Arbeitslosigkeit Mühe haben, geeignete MitarbeiterInnen zu finden. Das Bildungssystem im Koso-vo wurde unter der Repression durch die Milosevic-Regierung in den 1990er Jah-ren stark geschwächt, und noch heute wird an vielen Schulen im Schichtbetrieb unterrichtet. Zwar gibt es Bestrebungen der Regierung, das Bildungswesen und insbesondere die Berufsbildung zu refor-

mieren, doch entscheidende Fortschritte lassen auf sich warten. Auch im Gesundheitswesen bemüht sich die Regierung um – bitter nötige – Re-formen. Zwar ist die medizinische Grund-versorgung an und für sich kostenlos. Im konkreten Krankheitsfall gibt es jedoch kaum etwas umsonst. Die PatientInnen müssen Medikamente und medizinisches Verbrauchsmaterial oft zuerst selber be-schaffen, damit eine Behandlung durch-geführt werden kann (siehe S. 8). Das desolate Gesundheitswesen steht auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung denn auch ganz oben. Und dennoch wer-den die BürgerInnen nicht informiert, wenn die Regierung etwas unternimmt, um das Problem anzugehen. Von der auf Anfang 2013 geplanten Einführung ei-ner obligatorischen Krankenkasse – die dann vertagt wurde – wusste praktisch niemand etwas. Während die Weltbank und andere internationale Geldgeber die

Gesundheitsreform massgeblich beein- flussen, bleibt die Zivilgesellschaft aussen vor – wie bei vielen anderen Bestrebungen, den

jungen Staat aufzubauen. Damit die Bevölkerung aus ihrer Heimat ein Vorbild für Europa und die Welt ma-chen kann, muss sie Bescheid wissen über die Pläne der Regierung und der in-ternationalen Geldgeber. Nur so kann sie zu tragfähigen Reformen beitragen. Mit gezielten Projekten unterstützt Solidar Suisse das Engagement der kosovari-schen Zivilgesellschaft.

Über ein Drittel der Bevölkerung lebt nach wie vor unter der Armutsgrenze.

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hoch. Oben angekommen begrüsst uns Mynevere Hoxha. Die Ärztin mit 30 Jahren Berufserfahrung leitet die Ab-teilung für Geburtshilfe. 11 000 Kinder erblicken hier jedes Jahr das Licht der Welt. Das sind 30 pro Tag. Stolz zeigt uns Dr. Hoxha die mo-dernen Brutkästen, die das Leben von Frühge borenen und kranken Säuglingen retten können. Die teuren Geräte wurden gespendet, unter anderem von einer Stiftung, für die sich die Ärztin eh ren amtlich engagiert. Die Inkubatoren im nächsten Raum ar-beiten nicht mehr zuverlässig: Bei einem lässt sich die Temperatur nicht genau einstellen, bei einem anderen ist ein ab-gebrochenes Stück des Beatmungs-schlauchs mit Klebeband fixiert. «Wir haben es geflickt», sagt die Ärztin, «doch die Stelle ist jetzt hygienisch problema-

tisch. Aber was sollen wir tun? Wir haben nichts anderes!» Das Baby, das darin liegt, weiss nichts davon. Es ist bleich, aber es atmet ruhig.

Die Ärztin erzählt uns, dass sie in ihrer Abteilung aus eigener Initiative Hygiene-vorschriften erlassen und Abläufe fest-gelegt hat. Staatliche Vorschriften oder gar Kontrollen gibt es nicht.

Behandlungsmaterial selbst bezahlen Zurück auf der Strasse fallen mir die vielen Apotheken auf. Dort müssen die PatientInnen Medikamente, Spritzen und das Verbandsmaterial für ihre Behand-

Pristina, Hauptstadt des Kosovo, wo rund 200 000 Menschen leben. Wir befinden uns in einer Stadt in der Stadt. Links und rechts grosse Klinikgebäude, dazwi-schen ein paar kleinere Bauten. Das Uni-versitätsspital. Auf Gehsteigen und in Hauseingängen warten Menschen. An-dere sind in kleinen Gruppen unterwegs, meist mit Zetteln in der Hand. «Viele warten den ganzen Tag, bis sie endlich untersucht werden», erklärt Syzane Baja, Solidar-Koordinatorin im Kosovo. «Vielleicht geschieht dies aber auch erst am nächsten oder übernächs-ten Tag – je nachdem, wie gute Bezie-hungen jemand hat…»

Keine HygienevorschriftenDer düstere Eingang zum Gebäude der Abteilung für Geburtshilfe wird von grim-migen Sicherheitsleuten bewacht. Wir steigen ein verwahrlostes Treppenhaus

Viele warten den ganzen Tag, bis sie endlich unter-sucht werden.

KRANKSEIN IST

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Die Gesundheitsversorgung im Kosovo ist desolat: mangelnde Hygiene, unerschwingliche Behandlungs-kosten, keine Krankenversicherung. Das Solidar- Projekt Kosana will dies ändern.Text und Foto: Christof Hotz

UNBEZAHLBAR

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lung kaufen, denn dies wird nicht vom Krankenhaus zur Verfügung gestellt. Je nach Krankheit kostet das schnell einmal 600 bis 800 Euro – ungefähr zwei durchschnittliche Monatslöhne. Viel zu viel für die KosovarInnen, die in Armut le-ben. Sie machen einen Drittel der Bevöl-kerung aus. Ohne die Hilfe von Angehö-rigen hier und im Ausland wären diese Kosten kaum finanzierbar.Neben dem Unispital in Pristina gibt es im Kosovo sieben Regionalspitäler, viele Privatpraxen und -kliniken sowie 426 so genannte medizinische Familienzentren. Diese Zentren sind die erste Anlaufstelle für alltägliche Krankheiten. Eine Grund-behandlung ist kostenlos, es gibt aber lange Wartezeiten. Und auch hier gilt: Me-dikamente und weiteres Behandlungs-material muss selbst bezahlt werden.Die Situation ist seit dem Zerfall Jugosla-wiens und erst recht seit dem Krieg sehr

unbefriedigend. Das Gesundheitsperso-nal ist zum Teil schlecht ausgebildet und knapp bezahlt. ÄrztInnen empfehlen ih-ren PatientInnen, sie nach der öffentli-chen Sprechstunde für eine umfassende private Behandlung aufzusuchen – aber die kostet Geld.

Neues GesundheitsgesetzUm diese Missstände zu beheben, plant das Gesundheitsministerium ein neues Gesundheitsgesetz, das die privaten Tätigkeiten der ÄrztInnen regeln und ein obligatorisches Krankenkassensystem einführen soll. Doch die Aufgabe ist komplex: Wie kann verhindert werden, dass ÄrztInnen sich auf Privatbehandlun-gen konzentrieren und die kostenlose Grundversorgung vernachlässigen? Heute sind sie auf PrivatpatientInnen angewie-sen, da sie lediglich 500 Euro Monats-lohn erhalten. Und wie soll ein Kranken-kassensystem aussehen? Wie kann die Leistungsvergütung der Spitäler so orga-nisiert werden, dass sie zu einer Quali-tätsverbesserung beiträgt?

Die Bedürfnisse der PatientInnen berücksichtigenIn dieser Situation hat Solidar Suisse sein Programm Kosana lanciert. Wir frag-ten die KosovarInnen, wo der Schuh drückt und inwieweit sie bereit sind, für

eine Krankenversicherung zu bezahlen. Denn bis anhin waren die Bedürfnisse der PatientInnen in keiner Weise berück-sichtigt worden. Die Befragung ergab, dass die Menschen durchaus willens sind, nach ihren finanziellen Möglichkei-ten für eine Krankenversicherung zu be-zahlen, und dass sie sich vor allem eine Verbesserung der medizinischen Versor-gung erhoffen. Die Ergebnisse sollen nun in die Diskussion um das neue Ge-setz einfliessen.Zudem unterstützt Kosana zivilgesell-schaftliche Organisationen dabei, ihre Bedürfnisse – zum Beispiel Hygiene-standards für die medizinische Versor-gung – zu formulieren und so laut anzu-melden, dass sie an offizieller Stelle gehört und im neuen Gesetz aufgenom-men werden.Was motiviert Mynevere Hoxha, bei Ko-sana mitzumachen? «Es ist die richtige Initiative zur richtigen Zeit. Wir möchten über Gesundheitsfragen reden, damit unsere Kinder eine bessere Zukunft er-warten können!»

Das Projekt Kosana hat zum Ziel, die Gesundheitsversorgung im Kosovo zu verbessern. Die von der Regierung an-gestrebte Gesundheitsreform kommt nur schleppend voran und bezieht die Bedürfnisse von PatientInnen und Ge-sundheitspersonal nicht ein. Die Be-dürfnisse der Bevölkerung wurden in einer viel beachteten Studie evaluiert. Patientenorganisationen und Gesund-heitsverbände werden beim Lobbying unterstützt, damit ihre Bedürfnisse in die Reform einfliessen. www.solidar.ch/kosovo_projekte

Kosana

Cartoon der kosovarischen Zeichnerin Luljeta Goranci zu den Missständen im Gesundheitswesen. «Sek. Publik Da Pagesë» = «Öffentlicher Sektor gratis»

THEMA 9

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THEMA10

BäuerInnen und Molkereien ziehen an einem Strick, um das brachliegende Potenzial der Milchwirtschaft im Kosovo zu entwickeln. Text: Christoph Baumann, Fotos: Brigit Ruprecht und Christof Hotz

AUFSCHWUNG DANK QUALITÄT

Salih Abazi schwingt das mächtige Tor zu seinem Bauernhof auf, um uns einzu-lassen. Dahinter öffnet sich ein weiter Vorplatz. Entlang der Mauer stehen im Unterstand ein Traktor und weitere Gerä-te. Das grosse Wohnhaus aus Backstein ist unverputzt wie fast alle Gebäude hier. Unser Ziel ist der Milchlagerraum, wo täglich 600 Liter Milch aus dem ge-schlossenen Melksystem in einen gros-sen, gekühlten Kessel fliessen. Wir be-gleiten die Milchkontrolleurin Donika Nila, die – jeweils unangekündigt – die Milchqualität auf den Bauernhöfen über-prüft. Diese zu verbessern, ist eine der wichtigsten Massnahmen, um die Milch-wirtschaft im Kosovo zu entwickeln, die

vielen Menschen auf dem Land eine Arbeitsmöglichkeit bieten kann.

Der Krieg hat alles zerstörtNach dem Krieg im Jahr 1999 lag die Milchwirtschaft des Kosovo am Boden: Im ganzen Land gab es nur noch eine funktionierende Molkerei, und die meis-ten BäuerInnen mussten bei Null an-fangen. Dank humanitärer Hilfe wurden zwar Tausende Kühe in den Kosovo transportiert, zahlreiche kleine Ställe auf-gebaut und die Molkereien beim Wieder-aufbau unterstützt. Doch dies reichte nicht, um die Milchwirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Denn massive Im-porte von subventionierten Milchproduk-

ten belasten die kosovarische Milchin-dustrie, und einheimische Produkte werden häufig auf dem Schwarzmarkt verkauft. Staatliche Unterstützung fehlte bis anhin weitgehend, ebenso qualifizier-te Landwirte und Milchtechnologinnen. Und weil die Qualität der Milch schlecht ist, ist es auch der Ruf der lokalen Pro-duktion – die Bevölkerung greift lieber zu ausländischen Produkten.

ErfolgsgeschichteBei Salih Abazi jedoch stimmt die Quali-tät. Die Milch seiner Kühe wartet, auf die vorgeschriebenen vier Grad gekühlt, dar-auf, abgeholt zu werden. Abazis Sohn beobachtet, wie Donika Nila die Milch-

Donika Nila kontrolliert die Qualität der Milch von Salih Abazis Kühen: Bessere Qualität führt zu einem höheren Absatz kosovarischer Milchprodukte.

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probe nimmt, und unterschreibt das Pro-tokoll, während der Bauer – auf Deutsch – erzählt: «Vor dem Krieg war ich zwei Jahre in der Schweiz und drei in Deutsch-land. Dort habe ich das Bauern gelernt. Als der Krieg vorbei war, baute ich mit meiner Familie diesen Hof auf.» Abazi freut sich über die unabhängige Quali-tätskontrolle. Seine Milch entspricht den Anforderungen der Extraklasse – auch

die heutige Probe, wie uns Donika Nila später mitteilt. Seine Geschichte belegt den Erfolg des Milchdialogs (siehe Kas-ten): Von Solidar Suisse ins Leben geru-fen, wurden dort konkrete Massnahmen beschlossen, um die Rahmenbedingun-gen der Milchproduktion zu verbessern. Gemeinsame Vision ermöglicht AufschwungDer Weg dazu allerdings war steinig: Als sich Solidar 2009 mit den nationalen Ver-bänden der MilchbäuerInnen und der Mol-kereien an einen Tisch setzte, gingen In-teressen und Ziele weit auseinander. Trotzdem schafften es die Organisa tionen, eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Daraus resultierte eine Strategie, die von beiden AkteurInnen getragen wird – und es gelang, die Regierung ins Boot zu ho-len. Der wichtigste Punkt war die Einfüh-rung einer landesweiten, unabhängigen und transparenten Qualitätskontrolle von Rohmilch, wie sie nun Donika Nila durch-führt. Dafür mussten die Milchbetriebe erstmals registriert und der Verkauf der Milch vertraglich geregelt werden, was im positiven Nebeneffekt den informellen und unkontrollierten Milchverkauf verrin-gerte. Resultat: Die BäuerInnen haben eine Absatzgarantie, ihre Milch hat ein Qualitätssiegel und die kosovarische Milch einen besseren Ruf. Davon profitie-ren grosse Betriebe wie der von Salih Abazi ebenso wie kleinere Höfe.

Subventionen fördern QualitätAnfang 2013 erfolgte ein weiterer Durchbruch: Der Vorschlag der Verbän-de, Subventionen und Direktzahlungen einzuführen, stiess bei der Regierung auf offene Ohren. Subventioniert werden BäuerInnen, die hochwertige Milch pro-duzieren, was einen Anreiz schafft, die Qualität zu verbessern. So wird die koso-varische Milchwirtschaft konkurrenzfähi-

ger gegenüber den hoch subventionierten Milchindus-trien anderer europäischer Länder. Auch Salih Abazi freut sich darüber: «Das Landwirtschaftsministerium zahlt mir pro Liter sieben

Cent zusätzlich. Mit diesem Geld kann ich den Stall vergrössern, so dass die Kühe mehr Platz haben.»

Ausbildung für die PraxisAls Nächstes steht die Einführung von praxisorientierten Lehrgängen für Bäue-rinnen und Milchtechnologen an. Denn bis anhin fehlen Ausbildungsmöglichkei-ten im Kosovo. Dank Bildungspartner-schaften mit ausländischen Ausbildungs-zentren soll eine wachsende Zahl von MilchbäuerInnen und Arbeitskräften in Molkereien befähigt werden, sich ein ausreichendes Einkommen zu erwirt-schaften.

PAKISTAN 7

Der von Solidar Suisse initiierte Dia-log zwischen BäuerInnen, Molkereien und Behörden im Kosovo hat dazu geführt, dass der Milchbauern- und der Molkereiverband in einem dreijäh-rigen Prozess eine breit abgestützte Branchenstrategie entwickelt haben. Wichtige Massnahmen der Strategie waren die Etablierung einer unabhän-gigen Qualitätskontrolle und die Ein-führung von Direktzahlungen. www.solidar.ch/milchdialog

Dialog als

Erfolgsgeschichte

In Bangladesh ist eine Kleiderfabrik eingestürzt und hat über tausend Men-schen unter sich begraben. Sie krachte zusammen, weil sie schlecht gebaut worden war. Dem Bauherrn waren tiefe Kosten wichtiger als das Leben der Angestellten. Diese Missachtung der fundamentalen Rechte der arbeiten-den Menschen ist typisch für Billig-lohn-Länder, in denen westliche Multis ihre Massenproduktion angesiedelt haben. Nicht nur lokale Unternehmen und Behörden gehen mit Menschenle-ben fahrlässig um, sondern auch die TopmanagerInnen der Multis in den USA und in Europa. Sie hätten es in der Hand, mit sehr wenig Geld (15 Rappen pro T-Shirt!) für anständi-ge Löhne und sichere Arbeitsplätze zu sorgen, aber sie tun es nicht von sich aus. Wir müssen sie dazu zwingen. Die Katastrophe in Bangladesh be-weist erneut, dass nicht das Wachstum des Bruttoinlandprodukts Massstab sein darf für Entwicklung, sondern die Arbeitsrechte. Darum muss auch das Freihandelsabkommen der Schweiz mit China weiteren Ansprüchen genü-gen als bloss dem Abbau von Handels-hindernissen. Es muss eine Grundlage liefern für die Verbesserung der Ar-beitsbedingungen in China, für den Kampf gegen Zwangsarbeit und für Gewerkschaftsfreiheit. Es gibt ein Re-gelwerk von völkerrechtlichem Rang, das die Richtung vorgibt – die acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation. Wenn das Frei-handelsabkommen unter diesem Ni-veau bleibt, muss es bekämpft werden.

KOLUMNE

Ein Exempel

statuieren

Subventionen schaffen einen Anreiz, die Qualität zu verbessern.

Hans-Jürg FehrPräsident Solidar Suisse und SP-Nationalrat

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12 PINGPONG

KOSOVO-RÄTSEL

1. Eine solche wünschen sich die Menschen im Kosovo dringend, damit Kranksein nicht länger unbezahlbar ist.

2. Sie sollte im Kosovo mehr einbezogen werden. 3. Muss in kosovarischen Spitälern manchmal mit Klebeband

geflickt werden. 4. So viel Prozent tragen die Überweisungen von Migran-

tInnen zum Bruttoinlandprodukt des Kosovo bei. 5. Das braucht die Wirtschaft im Kosovo. 6. Muss im Kosovo besser an die Bedürfnisse des Arbeits-

markts angepasst werden. 7. Ist im Kosovo in einem desolaten Zustand. 8. Wenn ihre Qualität besser wird, trinken die Menschen im

Kosovo wieder lieber einheimische.9. Sie machen im Kosovo 45 Prozent der Bevölkerung aus. 10. Der Kosovo hat sie am 17. Februar 2008 verkündet. 11. Dieser Teil der kosovarischen Bevölkerung lebt unter der

Armutsgrenze. 12. Diese müssen Menschen im Kosovo bei einer ärztlichen

Behandlung selbst bezahlen.

Das Lösungswort verbessert die Situation von BäuerInnen – in der Schweiz wie im Kosovo.

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: [email protected], Betreff «Rät-sel». Jede richtige Lösung nimmt an der Verlosung teil.

Preis 1 Dose Bio-Safranfäden aus dem Kosovo

Einsendeschluss ist der 23. September 2013. Die Namen der Gewin-nerInnen werden in der Solidarität 4/2013 veröffentlicht. Über den Wettbe-werb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlos-sen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse.

Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 2/2013 lautete «Perspektiven». Die GewinnerInnen sind ausgelost: Evy Merino-Dürr aus Bonstetten, Marti-ne Bartel aus Biel und René Chammartin aus Rossens haben je ein Glas Chutney gewonnen. Wir danken den Mitspielenden für ihre Teilnahme und dem Projekt SalSAH des SAH Zürich für den gestifteten Preis.

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NEUE STRATEGIEN BRAUCHT DAS LANDArmut und Arbeitslosigkeit im Kosovo können nur mit einer Diversifizierung der Wirtschaft wirksam bekämpft werden. Text: Bashkim Iseni, Geschäftsleiter von Albinfo.ch*

Der Kosovo ist ein junger Staat. Seit fünf Jahren bemüht er sich mehr oder weniger erfolgreich um Stabilisierung und um den Aufbau politischer, administrativer und juristischer Institutionen. Gleichzeitig ist das Land bestrebt, seine innere und äus-sere Souveränität wahrzunehmen.

Extreme Armut und hohe ArbeitslosigkeitIn diesen fünf Jahren wurden die Strassen infrastruktur ausgebaut, ehema-lige sozialistische Unternehmen privati-siert und überall neue Gebäude und Ein-kaufszentren errichtet. Gleichzeitig scheint den EntscheidungsträgerInnen aber eine klare Strategie zu fehlen, um die herrschende Armut und strukturelle Arbeitslosigkeit effizient zu bekämpfen. Offiziellen Angaben zufolge leben 29,7 Prozent der Bevölkerung in Armut und verfügen über nur gerade 1.72 Euro pro Tag. 10,2 Prozent der Menschen im Ko-sovo müssen ihren Alltag gar unter ext-remen Armutsbedingungen – mit weni-ger als einem Euro pro Tag – bewältigen. Rund 45 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos. Es drängt sich also die Frage auf, wie Arbeitsplätze geschaffen werden kön-nen. Ausländische InvestorInnen strömen nicht in Scharen in den Kosovo. Dass

kaum ausländisches Kapital ins Land fliesst, hängt ebenso mit dem nach wie vor ungewissen Status des Kosovo zu-sammen wie mit der geringen Wettbe-werbsfähigkeit und Attraktivität eines Landes, das unter Kor-ruption, undurchschaubarem Marktzugang, Problemen mit der Energieversorgung und mangelnden Garantien für aus-ländische InvestorInnen leidet.

Potenzial Landwirtschaft und TourismusDie bisherigen Massnahmen zur Ankur-belung der sozio-ökonomischen Entwick-lung müssen korrigiert werden. Parallel zur aktuellen Förderung von Grossinvesti-tionen muss die kosovarische Führung neue Strategien verfolgen und Mittel für alternative Entwicklungswege zur Verfü-gung stellen, die mittel- oder sogar kurz-fristig zu greifbaren Ergebnissen führen können. Konkret muss ein Arbeitsmarkt geschaffen und das Bildungswesen den tatsächlichen Bedürfnissen der Wirt-schaft angepasst werden. Ausserdem werden die meisten Nahrungsmittel im-portiert, obwohl der ländlich geprägte Staat über eine grosse Zahl landwirt-schaftlicher Familienbetriebe verfügt. Hier könnten Arbeitsplätze geschaffen

STANDPUNKT

werden, denn in den umliegenden Län-dern und in westlichen Staaten, in denen zahlreiche Exil-KosovarInnen leben, gibt es einen grossen potenziellen Absatz-

markt. Bis anhin kommt das Angebot an typischen Nahrungsmitteln, für die es eine Nachfrage der kosovarischen Dias-pora gibt, mehrheitlich aus anderen Bal-kanländern. Auch die touristischen Mög-lichkeiten sind keineswegs ausgeschöpft, da weder der Staat noch die Gemeinden Werbung betreiben für die Naturschön-heiten, die der Kosovo in Hülle und Fülle zu bieten hat. Die schweizerische Erfahrung in diesem Bereich kann die Umsetzung solcher Vi-sionen für die Diversifizierung der Wirt-schaft unterstützen. Die KosovarInnen der Diaspora sollten in diesen Prozess einbe-zogen werden, weil sie massgeblich zum Aufbau einer nachhaltigen Entwicklung im jungen Staat beitragen können.

Es braucht Mittel für alternative Entwicklungs-wege.

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* News- und Informationsplattform der albanischsprachigen Schweiz, die über Entwicklungen in Kosovo, Albanien und anderen Balkanländern mit albanischsprachiger Minderheit sowie in der Schweiz berichtet.

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SOLIFONDS – seit 30 Jahren widerständigDer «Solidaritätsfonds für soziale Be-freiungskämpfe in der Dritten Welt», kurz SOLIFONDS, wurde 1983 als ge-meinsames Projekt vom Schweizeri-schen Gewerkschaftsbund SGB, der SP Schweiz, dem damaligen SAH und 13 entwicklungspolitischen Organisationen gegründet. Karl Aeschbach, SGB-Se-kretär und SAH-Präsident, fas ste die Bedeutung des SOLIFONDS so zusam-men: «Der SOLIFONDS nimmt dabei (in der Entwicklungspolitik) eine Sonder-stellung ein, weil er unabhängig von öf-fentlichen Mitteln, allein gestützt auf die Solidarität seiner Spenderinnen und Spender, auch unbequeme und oppositionelle Basisorganisationen in ihrem Kampf unterstützt. Darum braucht es dieses widerständige Beispiel auch in Zukunft.» Genau darin liegt die Komplementarität zur Arbeit von Solidar Suisse mit seinen längerfristigen Projekten in der Ent-wicklungszusammenarbeit. Bei einem Streik beispielsweise, einer Landbeset-zung oder bei Verhaftungen ist es nötig, rasch und unbürokratisch Unterstützung zu leisten. Dies tut der SOLIFONDS seit 30 Jahren. www.solifonds.ch

ILO-Konferenz: Würdige Arbeit und EntwicklungAn der diesjährigen Konferenz der Inter-nationalen Arbeitsorganisation IAO im Juni hielten die über 2000 Delegierten von Arbeitgebenden, ArbeitnehmerInnen und Regierungen erstmals die Wichtigkeit von würdiger Arbeit für die Entwicklung fest. Sie betonten in einem Positionspa-pier, dass sozialer Dialog, soziale Sicher-heit, Arbeitsrechte und Beschäftigung – die vier Pfeiler der Agenda für würdige Arbeit – unabdingbar sind für eine nach-haltige Entwicklung und im Zentrum jeder

NOTIZEN

Neue Kommunikations-chefin bei SolidarMit der Petitionsübergabe an die Fifa fei-erte Eva Geel, die neue Kommunika-tionschefin von Solidar Suisse, ihren Ein-stand. Sie hat ihren Posten Ende Mai angetreten und Solidar gleich in voller

Fahrt erlebt: an der Solidarkonferenz mit allen LänderkoordinatorInnen, an der Jahreskonferenz bei der Deza und bei der Aktion im Rahmen der Kampagne für eine faire WM Ende Juni (siehe S. 15). Eva Geel arbeitete viele Jahre als Jour-nalistin bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen, bevor sie zur Umwelt-organisation Greenpeace wechselte, zu-nächst als Pressesprecherin, später als Leiterin des Bereichs Klima und Ener-gie. Die letzten zwei Jahre war sie für Kommunikation und Kampagnen im Dienstleistungssektor der Gewerkschaft Unia zuständig. Ihren Eindruck der ers-ten Wochen fasst sie in zwei Worten zu-sammen: «Ungemein spannend!»

Politik für nachhaltiges Wachstum stehen müssen. Denn Entwicklung, Arbeit, Pros-perität und soziale Gerechtigkeit können nur zusammen umgesetzt werden. Wird eines dieser Elemente ausser Acht gelas-sen, ist eine Entwicklung, von der alle pro-fitieren, nicht möglich.Mit einer einstimmig verabschiedeten Re-solution sandten die Delegierten ein Sig-nal an die IAO-Mitgliedsstaaten, dass der soziale Dialog einen wichtigen Beitrag zur sozialen Kohäsion leistet und sie etwas gegen die Missachtung der Sozialpartner-schaft im Zug der Finanzkrise tun müssen.

El Salvador: Frauenleben ohne GewaltEl Salvador ist das Land mit der höchs-ten Rate an Frauenmorden: Auf 100 000 EinwohnerInnen kommen zwölf ermor-dete Frauen pro Jahr, und die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist alarmierend hoch. Deshalb hat Solidar Suisse von November 2012 bis Februar 2013 eine Kampagne für ein Leben ohne Gewalt für Frauen durchgeführt, an der sich 57 Organisationen und 19 Gemeinden beteiligten. Es wurden Werbetafeln an Strassen und in Pärken aufgestellt und mit Einwilligung der Be-wohnerInnen an 3700 Häuser Sprüche

gesprayt wie «Ich mache aus meinem Haus einen Raum frei von Gewalt ge-gen Frauen». Ausserdem wurden Wei-terbildungen, Diskussionsveranstaltun-gen und Demonstrationen durchgeführt.

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Wer am Sonntagabend den Aktionslink (www.fifa-brazil-2014.com) anklickte, staunte nicht schlecht: Auf der offiziellen Fifa-Webseite erschien nach wenigen Sekunden das Spruchband «Wir wollen eine faire WM» und ein Samba tanzender Sepp Blatter hüpfte über den Bildschirm. Die Online-Aktion von Solidar Suisse ver-breitete sich rasend schnell, und inner-halb von 24 Stunden nahmen 240 000 Menschen am «Sambahack» teil. Der Aufruhr ist begründet: In Brasilien hat die Fifa per Sondergesetzgebung weitgehende Steuerbefreiung erreicht. Rund um die Stadien hat sie Sperrzonen für sich und Sponsoren wie Coca Cola erzwungen. Bereits heute verlieren Zehntausende StrassenhändlerInnen ihr Einkommen, weil ihnen die Lizenz entzo-gen wird. Mindestens 200 000 Men-

schen wurden für WM-Bauten aus ihrem Zuhause vertrieben, und auf den Stadion-baustellen in Brasilien herrschen oft pre-käre Bedingungen.

Fifa reagiert auf öffentlichen DruckZu der angekündigten Übergabe der So-lidar-Petition für eine faire WM hatte die Fifa lange geschwiegen. Doch plötzlich war Sepp Blatter höchstpersönlich bereit, die 28 000 Unterschriften entgegenzu-nehmen. Offenbar hatte der öffentliche Druck gewirkt: Während in Brasilien über eine Million Menschen gegen Milliarden-ausgaben für die WM und gegen Korrup-tion protestierten, hatten sich beeindru-ckend viele dem Online-Protest von Solidar Suisse gegen die Fifa ange-schlossen.

Kein Fussball auf Kosten der ÄrmstenAuch sonst mobilisierte der Protest ge-gen die Fifa die Menschen: Knapp 300 Personen hatten uns Botschaften für Sepp Blatter mitgegeben – z.B. «Über-nehmen Sie Verantwortung, wo Sie Ihre Millionen verdienen!» oder «Wie viel Blut darf Ihrer Meinung nach am Fussball kle-ben, bevor die Fifa ihre Politik der Profit-maximierung auf Kosten der Ärmsten ändert?» (siehe auch letzte Seite).In Brasilien brachte der Ex-Fussballstar und jetzige Parlamentarier Romário den Zorn über die Fifa auf den Punkt: «Die Fifa marschiert bei uns ein, wird einen Gewinn von rund vier Milliarden Reais (zwei Milliarden Franken) einstreichen und besteht noch darauf, dass die Regie-rung für alle eventuellen Schäden bürgt.»

Blatter verspricht Dialog für faire WMBei der von einem Sambatänzer beglei-teten Petitionsübergabe am Fifa-Haupt-sitz in Zürich versprach Sepp Blatter Solidar-Geschäftsleiterin Esther Maurer, in einen Dialog für eine faire WM einzu-steigen. Die Fifa nehme die Proteste ernst und sei bereit, sich bei der brasilia-nischen Regierung für bessere Arbeits-bedingungen bei den Stadionbauten einzusetzen. Etliche Punkte wie bei-spielsweise die weitgehende Steuerbe-freiung der Fifa in Brasilien blieben aller-dings offen. Sepp Blatter hat Solidar Suisse ein Gespräch im Herbst zugesi-chert, um den Dialog für eine faire Aus-gestaltung der WM zu beginnen. «Wir hoffen sehr, dass ein Dialog zustande kommt und wir mithelfen können, dass die WM ein Gewinn für alle wird und nicht nur für einige wenige», meinte Esther Maurer. Wir bleiben am Ball.

Ende Juni forderte Solidar mit einer Online-Aktion eine faire WM. Sepp Blatter nahm die Solidar-Petition persönlich entgegen.Text: Katja Schurter, Foto: Sabine Rock

SAMBAHACKFÜR FAIRE WM

Solidar-Geschäftsleiterin Esther Maurer diskutiert mit Sepp Blatter bei der Übergabe der Petition für eine faire WM 2014 in Brasilien.

AKTUELL 15

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13. Lauf gegen Rassismus in ZürichAm 29. September 2013 findet in der Zürcher Bäckeranlage zum 13. Mal der Lauf gegen Rassismus statt. Notwendi-ger denn je angesichts einer von Angst,

Neue nationale Sekretärin Nach dem Weggang von Yves Ecoeur hat Kim Schweri im April dieses Jahres ad interim die Leitung des nationalen Sekretariats der SAH-Regionalvereine übernommen. Per 1. Juni wurde sie zur nationalen Sekretärin gewählt. Die Schwerpunkte des nationalen Sekreta-riats sind die Weiterentwicklung des nationalen Netzwerks der SAH-Regio-nalvereine, Öffentlichkeitsarbeit und Kommunika tion sowie Akquise und Be-treuung von Projekten nationaler Di-mension. «Ich freue mich sehr über die Wahl und den neuen Aufgabenbereich», meint Kim Schweri. «Als wichtig erachte ich die Intensi vierung der Beziehung zu unserer Trägerschaft und zu Solidar Suisse.»Bevor Kim Schweri im August 2011 ihre Arbeit als Assistentin des nationalen Sekretärs aufnahm, war sie vorwiegend im sozialen Bereich tätig – von der Kin-dertagesstätte bis zu Pro Infirmis. Um aktiv bei Gesetzgebungsprozessen mit-wirken zu können, nahm sie ein Jus-studium in Angriff. Ausserdem war sie Grossrätin im Kanton Aargau und ist Geschäftsleitungsmitglied der Grünen Aargau. www.sah-schweiz.ch

Flüchtlingstag in LuzernDer Weltflüchtlingstag wurde in Luzern dieses Jahr am 15. Juni auf dem Ka-pellplatz mit diversen Ständen und At-traktionen begangen. Das SAH Zent-ralschweiz war mit Informationen präsent. Es beteiligte sich an der Kam-pagne der Schweizerischen Flücht-lingshilfe SFH, die unter dem Motto «Gemeinsam schaffen wir es» aufzeig-te, was Wirtschaft und Gesellschaft ge-winnt, wenn Flüchtlinge hier nicht nur Schutz, sondern auch Arbeit finden. Denn wer arbeitet, wird anerkannt und gehört dazu. Die Flüchtlinge können sich aus der Abhängigkeit von staatli-cher Hilfe lösen und die Wirtschaft pro-fitiert von ihren Kompetenzen und Er-fahrungen. www.sah-zs.ch

Neue Geschäftsleiterin des SAH ZentralschweizUrsula Schärli hat Anfang August die Leitung des SAH Zentralschweiz über-nommen. Sie ist seit 2002 Leiterin Fi-nanzen und Dienste und seit 2004 stellvertretende Geschäftsleiterin des SAH Zentralschweiz. Als der neue Ge-schäftsleiter Ruedi Fahrni diesen Früh-ling sein Amt während der Probezeit niederlegte, übernahm Ursula Schärli die Leitung ad interim. Dann wurde sie aus über 80 BewerberInnen als Ge-schäftsleiterin ausgewählt. Ihre profun-den Kenntnisse des Sozialbereiches und des SAH sowie ihre beruflichen Qualifikationen bilden die besten Voraus setzungen, um bevorstehende Herausforderungen zu bewältigen.

In dieser Rubrik bieten wir Organisationen aus unseren Netzwerken eine Plattform. In dieser Nummer sind es Neuigkeiten aus den SAH-Regionalvereinen, die in der Schweiz Programme für Erwerbslose und MigrantInnen durchführen. Mit ihnen verbindet Solidar Suisse eine gemeinsame Geschichte und Trägerschaft.

Abwehr und Fremdenfeindlichkeit ge-prägten Migrations- und Asyldebatte, angesichts sich jagender Verschärfun-gen des Asylgesetzes, angesichts von Ausschluss und Rechtlosigkeit von Menschen ohne geregelten Aufent-haltsstatus in der Schweiz. Der Lauf wird vom SAH Zürich, der Sans-Pa-piers-Anlaufstelle Zürich (SPAZ) und dem Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich organisiert.Der Erlös des Laufs kommt dieses Jahr der Autonomen Schule, der SPAZ und den Alphabetisierungskursen des SAH Zürich zu. Alle können mitlaufen und sich ihre Runden von möglichst vielen Personen sponsern lassen. Infos und Anmeldung bis 20. September: www.laufgegenrassismus.ch

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«MEINE KINDER SOLLEN ES BESSER HABEN»

Seit wann leben Sie in Bermejo?Ich habe mein ganzes Leben in Bermejo ver-bracht. Bereits meine Eltern haben hier Zu-

ckerrohr geschnitten, und auch ich habe als Jugendlicher damit begonnen.

Sind Sie zur Schule gegangen? Ich habe die Primarschule bis zur dritten Klasse besucht, kann aber nicht lesen und schreiben.

Leben Sie nur während der Ernte hier?Nein, ich lebe das ganze Jahr über in Bermejo, zusammen mit meiner Frau Aurora und unserer Tochter Jennifer. Die Zuckerrohrernte dauert von Mai bis No-vember, als einer von wenigen kann ich ausserhalb der Saison auf der Plantage kleinere Arbeiten erledigen, zum Beispiel die Felder von Unkraut reinigen.

Wie sieht ihr Arbeitstag aus?Zur Erntezeit arbeite ich 12 bis 13 Stun-den täglich. Der Arbeitstag beginnt zwi-schen drei und vier Uhr morgens, wir laden das am Vortag geschlagene Zu-ckerrohr auf Lastwagen. Um sechs gibt es eine halbstündige Frühstückspause. Anschliessend schneiden wir bis etwa

10 Uhr Zuckerrohr und laden es bis zum Mittag auf Lastwagen. Die Mittagspause von 12 bis 15 Uhr verbringe ich zuhause. Dann geht es wieder aufs Feld, wo wir bis um 19 Uhr Zuckerrohr schneiden. Wäh-rend der Erntesaison arbeiten wir sieben Tage die Woche, ohne Ruhetag.

Wie viel verdienen Sie pro Tag?Ich schneide täglich etwa drei Tonnen Zu-ckerrohr, mit der Unterstützung meiner Frau und meines Bruders. Der Plantagen-besitzer bezahlt 53 Bolivianos (etwa sie-ben Franken) pro Tonne geschnittenes Zuckerrohr. Alle zwei Wochen erhalte ich einen Teillohn von 400 bis 600 Bolivianos (etwa 50 bis 80 Franken), den Rest gibt es zu Saisonende im November.

Wer lebt alles vom Tageslohn von rund 160 Bolivianos?Mein Bruder, meine Familie und ich. So gut ich kann, unterstütze ich auch meine Eltern und zwei weitere Geschwister. Während der Saison reicht der Lohn, und ich kann etwas sparen. Davon müssen wir aber ausserhalb der Saison zehren, dann habe nur ich einen Verdienst von 70 Bolivianos (neun Franken) pro Tag.

Haben Sie eine Krankenversicherung?Es gibt eine öffentliche Krankenversi-cherung, aber die deckt längst nicht alle Ausgaben. Vieles muss selbst bezahlt werden.

Der 19-jährige Weimar Franco Cardoso arbeitet als Zuckerrohrschneider im bolivianischen Tiefland. Seine Arbeits-bedingungen sind hart. Interview: Joachim Merz, Fotos: Désirée Good und Joachim Merz

Solidar Suisse unterstützt die Ge-werkschaft der ZuckerrohrarbeiterIn-nen. Diese engagiert sich für höhere Löhne und besseren Zugang zu Ge-sundheit und Bildung für die Arbeite-rInnen und ihre Familien, die meist saisonal arbeiten und in Massenunter-künften leben. Ihre Radiosendung «La voz del zafrero» klärt die Zuckerarbei-terInnen über ihre Rechte auf.www.solidar.ch/bolivien_arbeitsrechte

Bessere Löhne, Bildung

und Gesundheit

AKTUELL 17

Gefällt Ihnen die Arbeit?Das Ernten des Zucherrohrs ist eine sehr harte und körperlich anstrengende Ar-beit, denn wir schneiden es mehrheitlich von Hand. Und sie ist gefährlich: Einmal bin ich beim Beladen des Last wagens mitsamt dem Zuckerrohr von der Leiter gefallen und habe mich an der Hüfte ver-letzt. Ein Bündel Zuckerrohr wiegt zwischen 65 und 70 Kilo. Ausserdem gibt es in den Feldern giftige Schlangen.Ich möchte nicht, dass meine Kinder spä-ter ZuckerrohrarbeiterInnen werden. Sie sollen es besser haben.

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«ALLES LAG IN TRÜMMERN»Sotkalingam Lankadevi ist nach dem Ende des Bürger-kriegs in Sri Lanka in ihr zerstörtes Dorf zurückgekehrt. Trotz einiger Schicksalsschläge hat sie sich wieder eine Existenz aufgebaut. Text: Katja Schurter, Fotos: Malith Jayakody

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«Es war ein Schock, nach Arasarkerny zurückzukehren. Strassen, Gebäude, Gär-ten und Felder – alles lag in Trümmern und war überwuchert. Mein kleines Haus war zerstört, und von 60 Kokosnusspal-men lagen 40 auf dem Boden.» Wie viele andere war Sotkalingam Lankadevi vor zwei Jahren, als sie nach dem Ende des Bürgerkriegs in ihr Dorf im Norden Sri Lankas zurückkehrte, mit Zerstörung konfrontiert. Von dort war sie bereits 2006 vertrieben worden.

Mehrfache VertreibungEs war nicht der erste Schicksalsschlag, den Sotkalingam Lankadevi erlebte. 1994 musste ihr Ehemann mit einer Darmkolik notfallmässig ins Spital einge-liefert werden. Trotz des Bürgerkriegs

schafften sie es, nach Jaffna durchzu-kommen, damit er operiert werden konn-te. Doch drei Tage später starb er und liess Sotkalingam Lankadevi alleine mit ihrer vier Jahre alten Tochter zurück. «Die Zukunft wurde schwarz», erinnert sie sich. «Plötzlich lag die ganze Verantwor-tung für meine Tochter auf mir, die kei-nerlei Arbeitserfahrung hatte.» Doch sie schlug sich durch: Sie begann, aus den Blättern ihrer 60 Kokosnussbäume Mat-ten zu flechten und zu verkaufen. Als dies nicht für den Lebensunterhalt reichte, pflanzte sie Reis an auf dem Land, das sie von ihren Eltern erhalten hatte. «Ich dachte, nun könne ich meine Tochter ohne finanzielle Sorgen aufwachsen se-hen», erzählt Sotkalingam Lankadevi. Doch der Krieg zerstörte diese Hoffnung. Sie musste ihr Lager an geflochtenen Kokosmatten zurücklassen und nach Murasumoddani fliehen. Dort investierte sie ihr ganzes Erspartes in den Reisan-bau. Aber der Krieg erreichte auch Mura-sumoddani: «Wegen der anhaltenden Bombenangriffe mussten wir in einem Bunker Zuflucht suchen. Wir überlebten mit Trockenmahlzeiten, die den vertriebe-nen Familien verteilt wurden. Es war schrecklich. 2009 gingen wir ins Flücht-lingslager in Menik Farm. Dort traf ich un-vorstellbare menschliche Tragödien an.»

Wiederaufbau der ExistenzNach zwei Jahren in Menik Farm kehrten Sotkalingam Lankadevi und ihre Tochter in ihr zerstörtes Heimatdorf zurück: «Ich konnte nicht einmal zu meinem Haus ge-langen, da ich kein Geld hatte, um die Zugangsstrasse zu räumen.» So war sie froh, sich am «Cash for work»-Projekt von Solidar beteiligen zu können, bei dem DorfbewohnerInnen für die Repara-tur von öffent lichen Gebäuden, Strassen und Brunnen fünf Franken pro Tag er-hielten. «Ich flocht wieder Kokosmatten, doch mit nur 20 Palmen konnte ich viel weniger produzieren als früher, und auch die Nachfrage war nicht mehr dieselbe. Es reichte nicht zum Überleben.»Sie erhielt von Solidar einen Unterstüt-zungsbeitrag, um sich eine Existenz-

grundlage aufzubauen. «An den Kurs zur Erstellung eines Businessplans ging ich mit der Absicht, meine Kokosmattenpro-duktion zu intensivieren. Doch die Infor-mationen zu Produkten, für die es eine Nachfrage gibt, brachte mich auf andere Ideen», erzählt sie.

Verkaufsschlager Chili Sotkalingam Lankadevi begann Gemüse anzupflanzen. Mit einem ersten Beitrag von 20 000 Rupies (145 Franken) konn-te sie Saatgut, Biodünger und eine Was-serleitung kaufen. «Mit dem Verkauf von grünem Chili, Kürbis, Erdnüssen und Bohnen nahm ich 3000 Rupies (22 Fran-ken) pro Woche ein», erzählt sie. «Mit der zweiten Zahlung konnte ich eine Occa-sion-Wasserpumpe kaufen, um meine Gemüsekultur zu expandieren. Da Chili so gefragt ist, werde ich meine Pflanzen von 600 auf 1000 aufstocken.» Doch manchmal verfolgen sie ihre schrecklichen Erfahrungen, weshalb sie an einem Unterstützungsangebot von Solidar teilnimmt: «Die Gruppendiskus-sionen für Frauen, die ihre Familie alleine durchbringen, haben mir geholfen, den Verlust meines Ehemannes und die Er-lebnisse während des Krieges zu akzep-tieren. Hier sehe ich, dass ich nicht die Einzige bin – die anderen haben sogar noch Schlimmeres erlebt als ich. Wir sind stark miteinander verbunden, während der Regensaison halfen mir Frauen der Gruppe bei der Reisernte.» Besonders wichtig ist für Sotkalingam Lankadevi, dass sie ihrer Tochter ein Uni-versitätsstudium finanzieren kann: «Ich bin durch viele Entbehrungen gegangen, damit sie eine bessere Zukunft hat.»

Dank Gemüseanbau kann Sotkalingam Lankadevi ihren

Lebensunterhalt und das Studium ihrer Tochter finanzieren.

EINBLICK 19

Mit Ihrem Beitrag von 50 Franken kann eine Familie mit Saatgut für eine Saison versorgt werden. Ihre Spende von 130 Franken ermöglicht die An-schaffung einer gebrauchten Wasser-pumpe, um das Feld zu bewässern.

Ihre Spende wirkt

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Fast 300 Menschen haben uns eine Botschaft an Sepp Blatter geschickt,

um die Forderung nach einer fairen WM 2014 in Brasilien zu unterstützen.

Herzlichen Dank fürs Mitmachen! Wir bleiben dran.

FAIRE WM

«WIR DANKEN DER FIFA DAFÜR,

DASS SIE DIE OPFER DER VERTREIBUNGEN FÜR DEN STADIONBAU IN BRASILIEN SELBST-VERSTÄNDLICH ENT-

SCHÄDIGT!»

«DIE FIFA SOLL IHREN PROFIT VERSTEUERN, DAMIT NEBEN FUSS-BALLSTADIEN AUCH SPITÄLER UND SCHULEN IN BRASILIEN GEBAUT WERDEN KÖNNEN!»

«PLEASE PLAY FAIR!»

«ALS FIFA-BOSS HABEN SIE MACHT UND EINFLUSS. WARUM SCHAFFT ES IHRE ORGANISATION NICHT, RUND UM DIE WM IN BRASILIEN BESSERE VERHÄLTNISSE ZU SCHAFFEN? ODER WOLLEN SIE DAS GAR NICHT? DA KANN ICH NUR SAGEN: TSCHAU SEPP!»

«WARUM SCHWEIGEN SIE

ZU DEN BLUTIGEN AUSEINANDERSETZUNGEN

IN BRASILIEN? ÜBERNEHMEN SIE

VERANTWORTUNG!»