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DaSein Ein neuer Blick auf die Pflege Zu den Bildern der Ausstellung www.bmg.bund.de/pflegeausstellung

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DaSeinEin neuer Blick auf die Pflege Zu den Bildern der Ausstellung

www.bmg.bund.de/pflegeausstellung

Alte Erinnerungen wieder lebendig werden lassen: Das Betrachten von Fo- tografien ist eine beliebte Beschäftigung in der Schönholzer Heide. So kön- nen sich die Bewohnerinnen und Bewohner ein Stück in die Vergangenheit zurückziehen. Das sorgt für Sicherheit und beruhigt angesichts eines All- tags, in dem sich demenziell Erkrankte häufig nicht mehr zurechtfinden.

Auch das gemeinsame Leben in der Wohngemeinschaft wird in Fotoalben dokumentiert – zum Beispiel der Geburtstag von Frau Kowalski, den man zusammen gefeiert hat. Besser funktioniert bei den meisten allerdings das Langzeitgedächtnis: Dann regen die Bilder dazu an, Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen. Das ist auch für die Pfleger interessant, die nach und nach mehr Details aus dem Leben der Betreuten erfahren. Manchmal steigen Mitbewohner ins Gespräch ein. Wenn die ganze Grup-pe zuhört, ist das für viele eine Form der Wertschätzung.

Über den visuellen Kanal werden beim Fotoanschauen selbst solche Be-wohner erreicht, deren demenzielle Erkrankung bereits fortgeschritten ist und die sich mit ihren Gedanken ansonsten in einer anderen Welt be-wegen.

Zusammen mit einer Pflegerin betrachtet ein demenziell erkrankter Bewohner die Bilder eines Geburtstags, den man gemeinsam gefeiert hat.

Die Hand der Pflegerin ruht auf der Schulter des demenziell Erkrankten. Vorsichtig versucht sie, Kontakt aufzunehmen und ihn daran zu erinnern, dass er ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt. Häufig sitzt der Mann mit geschlossenen Augen im Gemeinschaftsraum. Er ist dann zwar anwesend und wach, aber nicht richtig ansprechbar. Mit den Gedanken ist er in seiner eigenen Welt.

Die Fotografin hat bewusst diesen Bildausschnitt gewählt: Zwar ist nur das halbe Gesicht des Mannes zu sehen, zugleich wird aber auch die Hand der Pflegerin in den Fokus gerückt. Denn das Foto soll kein Porträt des demenzkranken Mannes zeichnen, sondern zeigen, was in der Pflege mehr zählt als alles andere: mitfühlen, Schutz bieten und für die anderen da sein.

Die Augen geschlossen, in seinen Gedanken versunken: Vorsichtig versucht die Pflegerin, Kontakt zu dem demenziell erkrankten Bewohner aufzunehmen.

Diese Bildkomposition ist komplex: Durch eine Glastür hindurch hat die Fotografin die Reflexion des Aufenthaltsraums in der verglasten Tür des Wohnzimmerschrankes festgehalten. Selbst die Betreuerinnen und Be-treuer der Pflegeeinrichtung, die die Wohngemeinschaft bis ins Detail ken-nen, müssen bei dem Bild überlegen, was rechts und links, vorne und hinten ist. So findet die Fotografin einen künstlerischen Ausdruck für die Orientie-rungsschwierigkeiten, die den Alltag vieler Bewohner prägen. Durch die Vielschichtigkeit der Reflexion und die Gleichzeitigkeit von Unschärfe und Schärfe werden die Betrachter dazu aufgefordert, genau hinzuschauen. So kann man zum Beispiel die überdimensional großen Figuren des Brett-spiels auf dem Esstisch erkennen. Sie deuten auf die Schwierigkeiten hin, die viele Ältere im alltäglichen Umgang mit kleinteiligen Dingen haben.

Eine Reflexion in der gläsernen Schranktür, noch einmal durch die Glastür hindurch fotografiert: So hat die Fotografin diese Szene festgehalten.

Die großen Buchstaben können die meisten der Älteren auch ohne Lupe lesen. So haben sie eine Gedächtnisstütze, wer in welchem Zimmer lebt. Wer die Buchstaben nicht erkennt oder Namen nicht zuordnen kann, dem hilft das Foto weiter: Viele demenziell Erkrankte können sich Gesichter besser merken als Namen. Zudem wirkt die Wohngemeinschaft durch die individuelle Gestaltung gemütlicher und heimeliger. Schließlich ist das Pflegeheim das Zuhause der Frauen und Männer. Das Namensschild ver-hindert auch, dass sich Mitbewohner in der Tür irren, und schützt damit den Privatbereich.

Ihre eigenen Zimmer können die Bewohnerinnen und Bewohner von in-nen verriegeln. Von außen gibt es kein richtiges Schloss. Manchen, wie Frau Grasse, ist es dennoch wichtig, beim Verlassen des Zimmers die Tür nicht nur zuzuziehen. Sie hat daher einen abgebrochenen Schlüssel bei sich, der in den Schlitz unter der Klinke passt, so dass sie ihren Bereich ver-schließen kann. Das ist dann fast so, als würde sie aus ihrer Wohnung ge-hen. Einige Bewohnerinnen tragen daher auch in der Wohngemeinschaft ihre persönlichen Gegenstände in der Handtasche bei sich.

Das Namensschild an der Tür dient als Gedächtnisstütze und gibt dem Zimmer auch von außen eine persönliche Note.

Mit mitgebrachten Möbeln und Erinnerungsstücken schaffen sich die Be-wohner eine vertraute Atmosphäre. Wenn das gleiche Bild überm Sofa hängt und die gleichen Kissen dort liegen wie früher, sorgt das für Ver-trautheit.

Dieses Zimmer gehört dem Herrn im karierten Hemd. Als er der Fotogra-fin sein Zimmer zeigte, kam der neugierige Mitbewohner dazu und setzte sich neben ihn. Normalerweise werden diese Rückzugsräume allerdings eher selten genutzt. Meist finden die Begegnungen in der Küche oder im Wohnzimmer statt, denn in diesen Gemeinschaftsräumen spielt sich der Alltag ab. Die Bewohnerinnen und Bewohner der verschiedenen Wohnge-meinschaften treffen sich einmal wöchentlich beim Tanztee.

Herrenrunde: Ihre Zimmer in der Wohngemeinschaft richten die Bewohner selbst ein.

Im Foyer der Wohngemeinschaft in der Schönholzer Heide steht ein alter Bauernschrank, der jetzt als Küchenvitrine benutzt wird. Ein Bewohner hat ihn mitgebracht, doch er hat nicht mehr in sein Zimmer gepasst. Wer in eine Einrichtung der Altenhilfe zieht, muss meist aussortieren und sich von Dingen trennen, die ihn vielleicht schon das ganze Leben begleitet haben. Im Foyer gibt es so genannte „Mottoecken“. So steht links von der Vitrine eine Werkbank, auf der anderen Seite gibt es eine Wäscheecke, wo die Bewohnerinnen Kleider bügeln und zusammenlegen können.

Die Fotografin steht auf einem Balkon, der Herr in der Weste winkt ihr zu. Da sie durch die Fensterscheibe nach innen fotografiert, sind die Reflexi-onen deutlich zu erkennen. Vor ihm steht ein Rollator, den er als Gehhilfe benutzt.

Viele Bewohner freuen sich über die Aufmerksamkeit, die ihnen durch die Fotos zuteil wird.

Nach dem Mittagessen bleiben die beiden Mitbewohnerinnen noch ein wenig am Tisch sitzen. Bald wird es Kaffee geben. In der Zwischenzeit wird meist nicht viel geredet. Man sitzt einfach beieinander. Später wird sich die eine Frau in ihren Sessel setzen, die andere zieht sich für einen Mittagsschlaf in ihr Zimmer zurück. Die Fotografin hat hier einen Moment der Ruhe eingefangen. Unterstützt wird die Atmosphäre durch das warme Tageslicht, das vom Fenster hereinfällt.

Ruhiger Moment nach dem Mittagessen.

Der Mann ist Ökonom, er arbeitet halbtags als Angestellter im Verwal-tungsbereich einer Pflegeeinrichtung. Zudem lebt er in einer Wohn-gemeinschaft für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, die zu dieser Einrichtung gehört. Als Rollstuhlfahrer ist er in seinem Alltag auf Barrierefreiheit angewiesen.

Zu einem umfassenden Blick auf die Pflege gehört neben den Bereichen Alter, Krankheit und Demenz auch das Thema Körperbehinderung. Die Fotografin sagt: „Ich mag das Bild sehr gerne. Es hat so etwas Direktes.“

Der Mann arbeitet im Verwaltungsbereich einer Pflegeeinrichtung und lebt in einer Wohngemeinschaft der Einrichtung.

Demenziell erkrankten Frauen und Männern bietet das Johannesstift die Möglichkeit, in Hausgemeinschaften ein Leben in der Gruppe zu führen. Wie sie ihren Tagesablauf gestalten, steht ihnen frei. Für Abwechslung sor-gen verschiedene Angebote wie Vorlesen, Singen und Spazierengehen. Im Hintergrund ist eine Bewohnerin zu sehen, die in der Wohnküche der Gruppe sitzt. Der große Raum bildet den Mittelpunkt jeder Hausgemein-schaft. Hier können die Bewohnerinnen und Bewohner je nach Lust und Fähigkeiten beim Kochen mithelfen oder einfach nur dabei sein. Für Men-schen mit Demenz stellen die vertrauten Geräusche und Gerüche eine wichtige Quelle der Orientierung dar, die für Geborgenheit sorgt. Gleich-zeitig ist die Küche der Bereich für gemeinsame Aktivitäten wie Spielen und Vorlesen, hier wird gefeiert und Besuch empfangen.

Die Damen auf dem Foto nutzen das gute Wetter und genießen auf dem Balkon des Hauses die ersten Strahlen der Maisonne. Vom Balkon aus schauen die Bewohnerinnen auf einen Lebensmittelmarkt und einen Friseur, die sich auf dem Gelände des Stifts befinden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme widmeten sich die Frauen dann auch sehr dem Geschehen ge-genüber und waren ganz in ihre Gedanken versunken.

Die Bewohnerinnen einer Hausgemeinschaft nutzen den Balkon ihrer Wohnung und genießen das gute Wetter.

Auf dieses Bild ist nicht nur die Frau hinter der Kamera stolz, sondern auch die Fotografierte. Vor allem, da sie bei den Aufnahmen noch versuchte, die Aufmerksamkeit auf die anderen Frauen und Männer zu lenken – sie selbst hielt sich nämlich für wenig fotogen. Als die Bewohnerin das Ergebnis dann sah, war sie hellauf begeistert. Aufgenommen wurde das Bild während eines Festes. Die Fotografin hat an der Veranstaltung teil-genommen und Fotos gemacht. Dabei hat sie sich wie immer im Hinter-grund gehalten, um möglichst authentische Momente einzufangen. Die Aufnahme wurde durch eine Glastür hindurch gemacht, hinter der sie stand – zunächst unbemerkt von der Bewohnerin. „Irgendwann hat sie mich dann wahrgenommen und war ganz überrascht, dass da jemand ist“, erläutert Julia Baier die Situation. Genau diesen Augenblick hielt sie mit ihrer Kamera fest.

Bewohnerinnen eines Pflegeheims bei einer Feier.

Die Tischunterlage mit Namen und aufgeklebtem Foto ist Teil der Ori-entierungsarbeit in der Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte, genauso wie die Beschriftung der Alltagsgegenstände in Großbuchsta-ben: Nicht nur der Saftkrug, sondern auch die Schubladen und Schränke sind so gekennzeichnet. So können sich Bewohnerinnen und Bewohner, deren Kurzzeitgedächtnis nachlässt, daran erinnern, wo die Messer sind und wo die Tassen stehen. Dies soll unterstützend dazu beitragen, dass sich die Männer und Frauen möglichst eigenständig im Alltag zurecht-finden.

Die personalisierte Tischunterlage erleichtert den Mitbewohnern den Alltag: Man weiß sofort, wo man beim Frühstück sitzt, und braucht die Zimmernachbarin nicht nach dem Namen zu fragen, falls man ihn ver-gessen hat. Die Pflegerinnen und Pfleger siezen die Bewohner. Dass hier dennoch der Vorname verwendet wird, hat den Hintergrund, dass demenziell Erkrankte sich häufig am besten an Ereignisse erinnern, die lange zurückliegen: Viele Frauen kennen dann nur noch ihren Mädchen-namen, und wenn die Erkrankung weiter fortschreitet, haben sie nur noch ihren Vornamen präsent. Sollte auch dieses Wissen oder die Lesefähigkeit verloren gehen, dann dient das Foto als Gedächtnisstütze.

Der Frühstückstisch: Die Tischunterlage zeigt an, wo jeder seinen Sitzplatz hat.

Im altersgerechten Wohnen leben die älteren Männer und Frauen wei-testgehend selbständig. Die Häuser sind mit Fahrstühlen und Rampen ausgestattet.

Der Bewohner braucht im Alltag eigentlich keine Hilfestellung. Sollte er dennoch einmal Unterstützung benötigen, kann jederzeit jemand vom Pflegepersonal vorbeischauen. Auf dem Foto ist zu sehen, wie der Mann zusammen mit einem Besucher ein Kreuzworträtsel löst: Das schult das Gedächtnis und bringt Erfolgserlebnisse. Denn die älteren Menschen erleben hier auch, dass sie in manchen Dingen den Jungen noch immer überlegen sind. Die Lupe in der linken Hand hilft dem Mann dabei, die kleinen Buchstaben in den Kästchen besser zu erkennen.

Gedächtnistraining: Jung und Alt beim Lösen eines Kreuzworträtsels.

Bilder, Deckchen und kleine Figuren, die sie aus ihrem alten Zuhause mit-gebracht haben, sind für viele wichtige Erinnerungsstücke. Auch kleine Geschenke, zum Beispiel aus der Apotheke, werden gerne aufbewahrt. Auf dieser Kommode liegt ein Computerkabel (rechts im Hintergrund), das eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen des Bewohners verrät: Er surft gerne im Internet und ist auch in Chatrooms aktiv. Technisch ist er nahezu perfekt ausgestattet. Von der Fotografin ließ er sich die Bilder, die in seiner Wohnung entstanden, per E-Mail zusenden.

Dieses Bild ist im Bereich des altersgerechten Wohnens entstanden. Die Wohnungen sind barrierefrei, so dass auch Rollstuhlfahrer dort leben können.

Spitzendeckchen mit Computerkabel: Gegenstände des Alltags.

Wären hier nicht die Gehhilfen zu sehen, könnte man meinen, es sei der Hausflur eines ganz normalen Wohnhauses. Erst bei genauerem Betrach-ten fällt auf, dass der Flur extra breit gebaut ist. Dadurch ist es für die Be-wohner einfacher, mit Rollator oder Rollstuhl zu wenden und zu manövrie-ren. Dies ist der Ansatz des altersgerechten Wohnens: so viel Normalität und Eigenständigkeit wie möglich.

Gerade ist der Mann nach Hause zurückgekehrt. In der Hand hält er den Schlüssel zu seiner Wohnung. Mit dem elektrischen Rollstuhl im Hinter-grund ist er viel unterwegs. Wie mit einem kleinen Auto fährt er damit durch den Park und über das Gelände der Pflegeeinrichtung. Er nimmt an vielen Aktivitäten teil, erzählt gerne. Die Gehhilfen gehören zum Alltag. Sie ermöglichen Mobilität und damit auch soziale Kontakte.

Elektrorollstuhl und Rollator parken im Hausflur. Hinter den Türen liegen die altersgerechten Wohnungen.

Im Aufenthaltsraum werden die Fotoalben aufbewahrt, die das ge-meinsame Leben in der Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte dokumentieren. Gerne nimmt sich der Bewohner ein Album aus dem Schrank. Manchmal betrachtet er die Bilder und freut sich dann, wenn die Pflegerin sich dazusetzt – meist nur für einige Minuten, da die Auf-merksamkeitsspanne des Mannes begrenzt ist. Bei anderen Gelegen-heiten legt er sich das Album hin und lässt es doch unberührt.

Für demenziell Erkrankte ist es häufig schwierig, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Sie sind oft tief in ihre Gedanken versunken, manche sprechen nur noch wenig. „Biografiearbeit“ nennt es das Pfle-gepersonal, wenn sich ein Patient beim Bilderbetrachten erinnert und anhand der fotografierten Szenen von Erlebnissen, Vorlieben oder ver-lorenen Fähigkeiten berichtet. Diese Beschäftigung ist sehr wichtig und wird von den demenziell Erkrankten sehr geschätzt, funktioniert ihr Langzeit- doch meist besser als das Kurzzeitgedächtnis.

Gemeinsam mit einer Pflegerin betrachtet der Mann ein Fotoalbum.

In den Wohngemeinschaften wird versucht, den demenziell Erkrankten Orientierungshilfen zu geben, die das Zusammenleben erleichtern. Daher steht an der Tür zu Herrn Goreths Zimmer sein Name. Bei manchen ist die demenzielle Erkrankung allerdings schon so weit fortgeschritten, dass sie das Schild nicht mehr lesen können. An vielen Türen sind deshalb zusätz-lich Fotos aufgehängt: Dadurch haben die Mitbewohner eine Gedächtnis-stütze, die sie daran erinnert, wer in dem Zimmer wohnt. So können die Pflegerinnen und Pfleger zum Beispiel auch Bewohner bitten, die anderen zum Essen zu rufen.

Auf dem Bild ist zu sehen, wie die Pflegerin sich dem Mann nähert und vorsichtig Kontakt aufnimmt. Fokussiert ist allerdings das Namensschild im Hintergrund. Denn die Fotografin findet, dass die Andeutung einer Situation manchmal atmosphärischer und interessanter ist, als alles eins zu eins zu fotografieren. „Die liebevolle Begegnung zwischen den beiden wird so fast noch stärker ausgedrückt.“ Die Pflegerinnen und Pfleger ken-nen die Bewohner teilweise schon seit Jahren und wissen ganz genau um ihre Vorlieben und Bedürfnisse.

Kleine Orientierungshilfen – wie das Namensschild an der Zimmertür – sollen es den Bewohnern ermöglichen, sich im Alltag zurechtzufinden.

Nach dem Frühstück bleibt die Frau bei einer Tasse Kaffee sitzen und war-tet, bis auch ihre Mitbewohner aufgegessen haben. Hinter ihr an der Wand hat ein großer Bildkalender seinen Platz. Mit Datumsangabe, Wochen-tag, Jahreszeit und einem entsprechenden Bildchen bietet er Orientie-rungshilfe. Manche der demenziell Erkrankten fragen mehrmals täglich, welcher Tag gerade ist. Sie können dann auf den Kalender schauen. Eine der Bewohnerinnen soll die Aufgabe übernehmen, den Kalender täglich zu aktualisieren und das richtige Datum einzustellen. Es fällt ihr schwer, sich an die Zahlen zu erinnern und etwa die „28“ nicht mit der „82“ zu ver-wechseln. Auf der links hängenden Tafel ist der Speiseplan vermerkt. Auch er dient als Gedächtnisstütze, damit die Männer und Frauen wissen, was als Nächstes auf den Tisch kommt.

Vor der Frau steht eine Puppe, eine Art Serviettenspender: Wie ein Röck-chen werden die Servietten an die Puppe gesteckt. Die Bewohnerin hat die Aufgabe übernommen, diese wieder aufzufüllen, wenn alle vergriffen sind. Auf diese und ähnliche Weise sind die meisten Mitbewohner in die alltäglichen Abläufe in der Wohngemeinschaft eingebunden.

Der Bildkalender ist mehr als Wandschmuck: Er gibt den demenziell Erkrankten in der Wohngemeinschaft Orientierung im Alltag.

Teller und Gabel liegen bereit, die Getränke sind verteilt: In wenigen Minu-ten gibt es Mittagessen. Einige Bewohner sitzen schon am Tisch und war-ten. Diejenigen, die dazu in der Lage sind, helfen in der Küche oder decken den Tisch. Meist sind es Frauen, die an diesen Tätigkeiten Spaß haben. Beim Kartoffelschälen oder beim Tischabräumen helfen aber auch die Männer. Bei manchen demenziell Erkrankten ist die Gefahr hoch, sich mit spitzen Gegenständen wie einem Messer zu verletzen, so dass sie häufig nur mit Gabel oder Löffel essen. Bei anderen geht die Sehkraft zurück, vieles wird nur unscharf erkannt. Essgeschirr mit einer Umrandung in dunkler Kon-trastfarbe ist praktisch, da sich der Tellerrand dann besser vom Tischunter-grund abhebt.

Das Mittagessen wird in der Schönholzer Heide gemeinsam eingenom-men. Fürs Frühstück gibt es hingegen keinen festen Termin. In der Küche stehen am Morgen Brot und die entsprechenden Beläge und Aufstriche bereit. Dann kann sich jeder nehmen, was er möchte, egal ob man Früh-aufsteherin oder Langschläfer ist. Bei vielen demenziell Erkrankten ist der Tag-Nacht-Rhythmus gestört, so dass sie nachts orientierungslos sind und nur schlecht schlafen können.

Viertel vor zwölf: Gleich gibt es Mittagessen.

Die junge Frau, die auf dem Bild zu sehen ist, hat ein Freiwilliges Sozi-ales Jahr (FSJ) im Pflegeheim gemacht. Zu Beginn lernen die Freiwilligen langsam die Einrichtung und die Bewohnerinnen und Bewohner kennen, anschließend helfen sie bei der allgemeinen Betreuung mit und unter-stützen – soweit sie können und wollen – das Pflegepersonal. Nach einem Jahr sagen fast alle, sie hätten durch den Kontakt zu den älteren Menschen etwas fürs Leben gelernt.

Manche Bewohnerinnen und Bewohner suchen häufiger Körperkontakt als andere und wünschen sich, auch mal in den Arm genommen zu wer-den. So wie der Herr auf dem Foto, der bei den Betreuern als rechter Char-meur gilt: Als die Fotografien entstanden, wollte er unbedingt, dass das Küsschen im Bild festgehalten wird. Die liebevolle Geste gegenüber der jungen Frau ist also auch eine kleine Inszenierung für die Fotografin.

Für die Pflegerinnen ist er ein Charmeur: Manche Bewohnerinnen und Bewohner suchen häufiger Körperkontakt als andere.

„Ich habe nur mit dem vorhandenen Licht gearbeitet – das macht das Authentische aus“, erklärt Julia Baier die Entstehungsbedingungen ihrer Fotoserie zum Thema Pflege. Der Einsatz von Blitzlicht hätte die Bilder künstlicher wirken lassen, zudem hätte der Aufbau der notwendigen tech-nischen Geräte wohl für Unruhe in den Einrichtungen gesorgt.

„Ich wollte Beobachterin sein. Ich hatte keine Bilder im Kopf, als ich dort-hin gegangen bin. Fast ohne Vorgaben zu arbeiten – das war in puncto Freiheit des Ausdrucks für mich sehr gut“, erinnert sie sich.

Ruhige Abendstimmung.

Die Frau möchte sich zur Mittagsruhe hinlegen. Die Pflegerin stützt sie und hilft ihr so dabei, sich zu drehen. Behutsam bewegen sich die beiden in die Ecke, anschließend wird die Decke zurückgeschlagen, die Bewohnerin setzt sich aufs Bett und legt sich dann hin. An manchen Tagen braucht sie dabei mehr Unterstützung durch die Pflegerin als an anderen. Die Art, wie sich die beiden vorwärtsbewegen, ist individuell auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Frau abgestimmt. Der Pflegerin kommen ihr Fingerspit-zengefühl und ihre Erfahrung zugute: Nur deshalb kann sie einschätzen, in welcher Höhe sie ihre Hände halten muss, wie viel Stabilität sie der Frau geben muss und welches das angemessene Tempo ist.

Auf dem Bett sitzt ein kleiner Plüsch-Eisbär. Die Frau hat ihn von ihren Kindern geschenkt bekommen, als im Berliner Zoo Eisbär Knut geboren wurde. Knut hat in vielen Einrichtungen eine große Fangemeinde.

Eisbär Knut hat viele Fans. Diese Frau hat das kleine Plüschtier von ihren Kindern geschenkt bekommen.

Die beiden Frauen wohnen zusammen in einer Wohngemeinschaft in der Schönholzer Heide. Häufig sitzen sie beieinander, ohne zu sprechen – wie viele der Bewohner haben sie ein großes Bedürfnis nach Ruhe. Wer sich nicht an den angebotenen Aktivitäten beteiligt, wird zwar eingeladen, aber nicht gezwungen. Manche haben auch Schwierigkeiten mit dem Hören und reagieren erst bei gezielter, lauter Ansprache. Selten schließen die Bewohner und Bewohnerinnen der Einrichtung enge Freundschaften untereinander, nur wenige besuchen sich gegenseitig auf ihren Zimmern. Eine Rolle spielt dabei der Grad der demenziellen Erkrankung: Manche haben wegen der Erkrankung Schwierigkeiten, die anderen Bewohner wiederzuerkennen, oft ist es eher ein Gefühl. Zudem ist das Verständnis für den gesundheitlichen Zustand des Gegenübers nicht immer gegeben, viele möchten die eigenen Defizite nicht von ihren Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern vor Augen geführt bekommen. Sie halten sich dann lieber ans Pflegepersonal.

Nach dem Essen sitzen die beiden Bewohnerinnen noch ein wenig am Tisch.

Julia Baier hat Eindrücke des Pflegealltags gesammelt – und zum Beispiel diese Szene aus dem Frühstücksraum festgehalten: „Man muss genau hinschauen, dann entdeckt man wirklich interessante Dinge. Es hat mich immer schon fasziniert, dass die Haut irgendwann so etwas unglaublich Transparentes bekommt. Das hat etwas Edles, so Zerbrechliches: wie Per-gament.

Ich fand den Umgang speziell mit diesen demenzkranken Menschen sehr neu für mich. Und ich fand es sehr angenehm, diese Menschen zu fotogra-fieren, denn ich hatte nicht das Gefühl, zu stören. Ich musste mich nicht beeilen und ganz schnell irgendwie ein Bild machen, weil die Leute unge-duldig werden oder das Motiv gleich weg ist. Die Leute sind sehr ruhig und in sich gekehrt, das war unglaublich.“

Detailansicht: der Arm einer 85-Jährigen.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein kleiner Tanz, gehört zum All-tagsprogramm: Die Frau hatte eine Hüftoperation, sie kann nur schlecht laufen und muss daher bewegt werden. Weil sie die Füße kaum hebt, um-fasst die Pflegerin sie und schaukelt mit ihr von einem Fuß auf den ande-ren. Dann klappt auch die Fortbewegung fast automatisch.

Früher konnte die Frau sich noch selbständig mit dem Rollator bewegen, der in der Ecke zu sehen ist. Mittlerweile benötigt sie auch dabei Unter-stützung durch die Pflegerinnen und Pfleger, die dafür oft viel Zeit und Geduld aufwenden müssen. Doch es ist wichtig, dass sich die Bewohne-rinnen und Bewohner eine gewisse Mobilität bewahren, selbst wenn die Bewegungen auch für sie mühsam sind: So bewahren sie Eigenständig-keit, zudem werden schwere Erkrankungen wie Thrombosen und Druck-geschwüre verhindert.

Jeder Schritt macht Mühe. Doch Bewegung ist sehr wichtig. Daher versucht die Pflegerin, die Frau zu motivieren, und unterstützt sie beim Gehen.

Diese Frau ist immer schick gekleidet – so als würde sie gleich nach drau-ßen gehen. Doch die meiste Zeit des Tages läuft sie in der Wohngemein-schaft auf und ab. Diese gewisse Unruhe kommt bei demenziell Erkrankten häufig vor. Weil sie so viel auf den Beinen ist, findet die Frau es angenehm, vor dem Schlafengehen ein Fußbad zu nehmen. Das ist mittlerweile zu einem regelrechten Abendritual geworden. Die Pflegerinnen bereiten ihr die Schüssel mit dem Wasser und einem speziellen Granulat vor, legen das Handtuch bereit. Das Abtrocknen schafft sie alleine.

In den Wohngemeinschaften der demenziell Erkrankten in der Schönhol-zer Heide hat jeder persönliche Wohnbereich ein Bad mit ebenerdigem Duschbereich, Waschbecken und Toilette. Alles ist so gestaltet, dass auch Rollstuhlfahrer dort manövrieren können. In der rechten Bildhälfte erkennt man das Bett der Bewohnerin. Darüber hat sie zahlreiche Fotos aufgehängt, die die Erinnerung wachhalten und die sie gerne stolz vorzeigt: zum Bei-spiel Fotos ihres verstorbenen Mannes, ihrer Heimatstadt am Neckar oder ihres achtzigsten Geburtstags.

Abendritual: Täglich nimmt die Frau ein Fußbad.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des wöchentlich in der Einrichtung stattfindenden Kraft- und Balancetrainings beginnen ihren Kurs mit Auf-wärmübungen. Bei dieser Übung spielen sich die in einem Kreis stehenden Frauen und Männer einen Plastikball zu. Immer in der Nähe: Pflegekräfte, die die Bewohnerinnen und Bewohner bei Bedarf stützen oder zu ihrem Stuhl führen – wenn sich z. B. jemand ein wenig ausruhen möchte oder eine bestimmte Übung nicht mitmachen kann. Denn auch Bewohner, die vielleicht die eine oder andere Übung auslassen müssen, nehmen ger- ne am Training teil. Schließlich geht es bei dem Termin neben der Sturz-prävention vor allem um den Spaß am gemeinsamen Aktivsein.

Das Training kann helfen, Stürze zu vermeiden. Aus diesem Grund müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch keine besondere Kleidung tra-gen, sondern können ihre gewöhnlichen Anziehsachen und Schuhe anbe-halten – jene Kleidungsstücke, die im Alltag getragen werden, wenn Stürze drohen.

Mit Fußballspielen als Aufwärmübung beginnt das Kraft- und Balancetraining.

Einmal in der Woche wird den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Kraft- und Balancetraining angeboten. Das Training kann helfen, Stürze zu ver-meiden. Besonders ältere Menschen sind gefährdet, sich infolge eines Sturzes schwerwiegend zu verletzen. Die auf dem Stuhl abgelegten Han-teln und Manschetten dienen der Kräftigung von Arm- und Beinmuskulatur. Damit jeder der zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiß, wer wo sei-nen Platz hat, verteilt das Pflegepersonal vor dem Training Namenskarten. Herr Fürst, der als großer Freund der Berge nie ohne seinen traditionellen Hut zu sehen ist, kommt auch zum Sport nicht ohne Kopfbedeckung. Für die Übungen legt er sie aber kurz ab. Die Fotografin hält diesen Moment mit ihrer Kamera fest und zeigt so, dass es oft die ganz einfachen, kleinen Dinge sind, mit denen ältere Menschen ihre Erinnerungen lebendig hal-ten. Im Hintergrund zu sehen sind die Beine eines im Rollstuhl sitzenden Bewohners. Auch wenn er nicht jede Übung mitmachen kann, nimmt er am Training teil. Denn neben der Sturzprävention steht bei dem wöchent-lichen Treffen vor allem der Spaß an der Bewegung und am gemeinsamen Aktivsein im Vordergrund.

Weniger Verletzungen durch mehr Kraft und Balance: Regelmäßiges Gruppentraining mit Hanteln und Fußmanschetten kann helfen, Stürze zu vermeiden.

Die Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner umfasst selbstverständlich auch die Maniküre und Pediküre. Für diesen Bewohner ist die Nagelpflege mehr als nur Teil der täglichen Versorgung. Obwohl er sich noch selber die Nägel schneiden und feilen könnte, freut er sich über das Angebot und nimmt es bewusst an – so wie viele Menschen sich den Besuch in einem Nagelstudio zur Entspannung gönnen. Er schätzt die sorgsame Pflege und nutzt die ruhigen Minuten auf seinem Zimmer für einen kleinen Plausch mit der Pflegerin.

Mehr als nur Nagelpflege: Dieser Bewohner entspannt bei der Maniküre und nutzt sie zum Plausch mit der Pflegerin.

Lebenslang gepflegte Rituale haben für viele ältere Menschen eine beson-dere Bedeutung: Sie bieten Orientierung, strukturieren den Alltag und hal-ten die Erinnerung an Vergangenes lebendig. Für den Herrn rechts im Bild war und ist die Lektüre der Tageszeitung täglicher Programmpunkt. Und das, obwohl er mittlerweile nicht mehr so gut sehen kann und die Zeitung daher mehr durchblättert, als dass er darin liest. Es ist eine willkommene Abwechslung, wenn sich, wie auf dem Foto zu sehen, ein Zimmernachbar mit ihm über die Nachrichten austauscht. Die Männer sitzen hier im Flur der Einrichtung, der mit als Gemeinschaftsbereich genutzt wird. Einrich-tungsgegenstände wie der Zeitungsständer oder die Wohnzimmerlampe sorgen für eine behagliche, wohnliche Atmosphäre: Es ist wichtig, dass sich die älteren Menschen hier geborgen und zu Hause fühlen.

Seit einem Schlaganfall sind die Beine des Mannes rechts im Bild gelähmt. Er sitzt auf einem Stuhl, der sich in verschiedene Positionen bringen lässt – von aufrecht sitzend bis fast liegend. Um mobil zu bleiben, haben viele Be-wohnerinnen und Bewohner, die sich nur noch eingeschränkt bewegen können, einen elektrischen Rollstuhl – so wie der Herr mit der Zeitung in der Hand.

Gemeinsam lesen macht mehr Spaß: Zwei Bewohner tauschen sich über die Nachrichten des Tages aus.

Andeutungen machen, Fragen aufwerfen, die Vorstellungskraft anregen: Julia Baier entwirft ihre Bilder gerne wie eine Art Puzzle. Indem sie Situati-onen nur in Ausschnitten zeigt, möchte sie es den Betrachtern überlassen, sich die Inhalte zu erschließen – und so zu einer intensiven Auseinander-setzung mit den Fotos anregen.

Nach dem Schlafen kleidet sich diese Frau an, anschließend steht sie aus ihrem Bett auf – unterstützt durch eine Mitarbeiterin des Johannesstifts. Hervorzuheben ist hierbei das Stichwort „unterstützt“ – denn in der Pfle-ge gilt der Grundsatz: so viel Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zulassen wie möglich, sowohl bei der Freizeitgestaltung als auch bei den Dingen des täglichen Lebens wie zum Beispiel beim Anziehen. Ermöglicht wird dies auch durch Einrichtungsgegenstände wie das elektrische Pfle-gebett: Mit Hilfe einer am Kopfende angebrachten Fernbedienung lässt sich dessen Höhe beliebig verstellen. Das Bett kann so weit nach unten gefahren werden, dass die Füße der Bewohnerin den Boden berühren und sie alleine aufstehen kann. Die Pflegekraft stellt dann die Hausschuhe der Frau bereit und rückt die Gehhilfe in Griffnähe. Im Moment der Aufnahme wird der Bewohnerin aber zunächst beim Anziehen geholfen.

Nach dem Schlafen steht eine Bewohnerin des Pflegeheims auf. Unterstützt wird sie dabei von einer Pflegerin.

Dieses Foto entstand während einer Singstunde. Solche Veranstaltungen sind für die Bewohnerinnen und Bewohner freiwillig, spielen im Rahmen der Pflege aber eine große Rolle. Einerseits strukturieren Programmpunkte wie das gemeinsame Singen den Tagesablauf, andererseits dienen sie der Aktivierung der Seniorinnen und Senioren. Und auch wenn nicht alle der Frauen und Männer mitsingen, genießen sie es, in der großen Runde mit dabei zu sein und zuzuhören. Vor allem, da sie so manches Lied wiederer-kennen und mit vergangenen Ereignissen und Situationen in Verbindung bringen. Für die Fotografin drückte sich dies auch in der besonderen Stim-mung aus, die sie bei der Aufnahme des Bildes erlebte.

Singstunde. Durch die bekannten Lieder werden für viele Bewohnerinnen und Bewohner Erinnerungen an Erlebtes wieder wach.

Zu den Bewohnerinnen und Bewohnern vieler Einrichtungen zählen auch Ehepaare, die hier zusammen ihren Lebensabend verbringen. Für sie gibt es entsprechend größere Apartments, wo sie selbstbestimmt, aber betreut wohnen. Paare im hohen Alter sehen sich oft mit der Situ-ation konfrontiert, dass durch die Erkrankung eines Partners das weitere Zusammenleben unmöglich wird. Denn die Pflege eines Menschen kann eine enorme physische und psychische Belastung darstellen, die dann nicht mehr bewältigt werden kann. So war es auch bei der auf dem Foto abgebildeten Frau mit dem roten Band und ihrem Mann. Bevor das Ehe-paar in das Johannesstift zog, kümmerte sie sich um ihren pflegebedürf-tigen Mann. Die Entscheidung, in ein Wohnheim zu ziehen, fiel, als auch die Seniorin sich nur noch eingeschränkt bewegen und die Pflege nicht mehr allein bewältigen konnte. Im Stift erhält sie nun die Unterstützung, die sie benötigt, und kann weiterhin gemeinsam mit ihrem Mann leben.

Am Handgelenk trägt die Frau einen Notruf, den sie betätigen kann, sollten sie oder ihr Mann schnelle Hilfe benötigen. Bei dem Ehepaar steht eine so genannte Betreuungsassistentin. Sie begleitet die Bewoh-nerinnen und Bewohner im Alltag, geht mit ihnen spazieren oder liest ihnen vor.

Gemeinsam alt werden und füreinander da sein: In vielen Pflegeeinrichtungen leben auch Ehepaare, die auf Unterstützung angewiesen sind.

„Manchmal glaub ich einfach, dass Stillleben sich besser eignen, um In-halte zu transportieren“, kommentiert die Fotografin Julia Baier dieses Foto. Entstanden ist es in einem Gemeinschaftsraum. Bei dem gerahmten Spruch handelt es sich um ein Geschenk einer Bewohnerin, er hing zuvor bei ihr zu Hause. Sie hatte darum gebeten, dass er einen Platz bekommt, wo ihn jeder sehen kann. Vor dem Hintergrund ihres täglichen Umgangs mit den an Demenz erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern be-kommt das Zitat für die Pflegenden einen besonderen Reiz – wirft es doch einige Fragen auf. Kann man wirklich nicht vertrieben werden? Wie viele Erinnerungen bleiben demenziell veränderten Menschen wirklich? Wie erleben sie ihre Erinnerungen? Der Spruch verdeutlicht den Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern so jeden Tag aufs Neue die Notwendigkeit, sich den Betroffenen mit großer Aufmerksamkeit und individueller Betreuung zu widmen.

Der Riss in der Wand wurde kurz nach der Aufnahme verputzt.

Die Erinnerung als Paradies – im Kontext der Demenz erhält dieses Sinnbild eine ganz neue Bedeutung.

Auf dem Gelände des Johannesstifts befinden sich auch Anlagen mit betreuten Wohngemeinschaften für Menschen mit körperlichen Behinde-rungen. In jeder Gemeinschaft leben bis zu acht Männer und Frauen, die durch ein festes Team von Mitarbeitern betreut werden. Die Wohnungen sind in Ausstattung und Einrichtung auf die besonderen Bedürfnisse abge-stimmt.

Das Foto zeigt eine Bewohnerin der Wohnanlage Simonshof, in der Men-schen mit und ohne Behinderung nachbarschaftlich zusammenleben, auf dem Weg zum „Freitagstreff“: Ende der Woche sind alle Bewohnerinnen und Bewohner in das Clubhaus eingeladen, wo wechselnde Veranstal-tungen – wie Vorlese- und Gesprächsrunden oder kleinere Konzerte – stattfinden.

Auf dem Weg zum „Freitagstreff“: Eine Bewohnerin fährt mit ihrem elektrischen Rollstuhl zu einer Veranstaltung.

Die Fotografin Julia Baier hat sich von vielen Bewohnerinnen und Bewoh-nern ihre Zimmer zeigen lassen: „Fotos spielen immer wieder eine Rolle. In fast jedem Zimmer findet man persönliche Fotografien der Familie“, hat sie dabei festgestellt. Bei dieser Frau ist es ein Bild der Enkelin, das sie auf dem Spitzendeckchen platziert hat. Dahinter sind eine Karte und eine Vase zu sehen. Erst kürzlich hatte die Frau Geburtstag, ihre Geschenke hat sie liebevoll auf dem Tisch drapiert.

Im Alltag lebt diese Frau noch ziemlich eigenständig. Wenn sie Besuch empfängt, muss sie nicht zuerst das Pflegepersonal darum bitten, sondern kann den Gästen Kekse aus ihrem eigenen Vorrat anbieten.

Diese Bewohnerin lebt ziemlich eigenständig.Der Fotografin bietet sie gerne Kekse aus ihrem Vorrat an.

Die im Vordergrund unscharf abgelichtete Frau hat eine ganz besondere Beziehung zum Johannesstift: Sie ist nicht nur Bewohnerin, sondern hat auch über 30 Jahre in der Einrichtung gearbeitet. Zum Zeitpunkt der Auf-nahme war sie 102 Jahre alt. „Eine ganz reizende Frau, unglaublich zart und hübsch“, erinnert sich die Fotografin. Aufgenommen hat sie das Foto beim „Freitagstreff“ im Clubhaus des Stifts. An diesem Tag las eine Mitar-beiterin den Bewohnerinnen und Bewohnern bei Kaffee und Kuchen Mär-chen vor. In der Spiegelung der Glastür ist zu erkennen, wie eine Pflegerin der Bewohnerin gerade etwas zu trinken serviert.

Im Hintergrund erhält der Betrachter einen Einblick in das Clubhaus, wo weitere Besucherinnen und Besucher des „Freitagstreffs“ zu sehen sind. Bei denjenigen, die Unterstützung beim Essen und Trinken benötigen, sit-zen Betreuungshelferinnen und -helfer, wie z. B. bei der Frau im Rollstuhl direkt hinter der Durchgangstür.

Gemeinsam etwas erleben: Bewohnerinnen beim wöchentlichen „Freitagstreff“.