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BLICKPUNKTE GENERAL-ANZEIGER 3 Donnerstag, 9. Juli 2015 NACH DEM VÖLKERMORD VON SREBRENICA Vor 20 Jahren eroberte serbisches Militär die UN-Schutzzone. Für Tausende Muslime wurde der Ort zur Todesfalle. Claus Kreß, Kölner Straf- und Völkerrechtler, über den Versuch der juristischen Aufarbeitung „Der lange Atem hat sich ausgezahlt“ D ie Ermordung von Tausenden Musli- men in der UN- Schutzzone Srebre- nica in Bosnien-Her- zegowina vor 20 Jahren gilt als ei- nes der schwersten Völkerrechts- verbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg. Über die Ereignisse und ihre juristische Aufarbeitung sprach Lutz Warkalla mit dem Kölner Professor für Strafrecht und Völkerrecht, Claus Kreß. Herr Kreß, von wie vielen Opfern müssen wir im Zusammenhang mit Srebrenica reden? Claus Kreß: Bis heute ist das nicht völlig sicher. Ich spreche immer etwas vorsichtig von mindestens 7000 getöteten Menschen, aber die Zahlen können auch höher sein. Wie kommt man zu diesen Zahlen? Kreß: Sehr wesentlich durch das Auffinden der Massengräber. In den Verfahren vor dem Internati- onalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag sind daher auch nicht so sehr die Todeszahlen selbst angegriffen worden. Von Seiten der Angeklag- ten sind vielmehr andere Todes- gründe wie etwa Kampfhandlun- gen oder Selbsttötungen geltend gemacht worden. Doch dieser Ein- wand hat die Richter nach der Sichtung zahlreicher Beweise, da- runter Zeugenaussagen, DNA- Analysen und demographische Daten, nicht überzeugt. Seit den Massakern von Srebrenica kreist die Debatte vor allem um die Frage, ob es sich um Völkermord handelte. Warum ist das so wich- tig? Kreß: Das hat damit zu tun, dass der Völkermord in der internatio- nalen Wahrnehmung eine beson- dere verbrecherische „Qualität“ hat. Der Internationale Strafge- richtshof für Ruanda hat den Völ- kermord als das „Verbrechen der Verbrechen“ – The crime of crimes – bezeichnet. Von dieser Feststel- lung befördert hat sich die Vor- stellung festgesetzt: Der Völker- mord ist das Verbrechen schlecht- hin. Was bedeutet das für Opfer und Täter? Kreß: Den Angehörigen der Opfer und den Staaten, die mit den Op- fern besonders verbunden sind, ist es ganz besonders wichtig, etwa vor Gericht bestätigt zu erhalten, dass es sich um einen Völkermord und nicht um irgendein vermeint- lich minderschweres Massenver- brechen gehandelt hat. Und den Tätern und den Staaten hinter den Tätern ist es ebenso wichtig, diese juristische Einschätzung zu ver- meiden. Deshalb wird auch in der Armenien-Debatte so heftig um den Völkermordbegriff gerungen. Oder nehmen Sie den Fall Sudan und seines immer noch amtieren- den Präsidenten Al Bashir: Eine vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte internationale Kommission zum Darfur-Konflikt kam 2005 zwar zu dem Ergebnis, dass die Machtha- ber im Sudan mit hoher Wahr- scheinlichkeit schwerste Völker- straftaten zu verantworten haben, konnte sich aber nicht dazu durchringen, von Völkermord zu sprechen. Das ist vom Regime Al Bashirs fast wie ein Sieg gefeiert worden. Das ist keine gute Ent- wicklung. Was meinen Sie damit? Kreß: Durch die übertriebene He- raushebung des Völkermords werden sehr schwere Völkerstraf- taten, die nicht als Völkermord eingestuft werden können, an den Rand auch des medialen Interesses gedrängt. Es interessiert nur noch die Frage: War es ein Völkermord? Was ist mit sogenannten ethni- schen Säuberungen? Kreß: Das ist ein sehr gutes Bei- spiel. Es ist mit großer Hartnä- ckigkeit um die Frage gerungen worden, ob die brutalen „ethni- schen Säuberungen“, die von den bosnischen Serben zur Herstellung eines „Groß-Serbiens“ in den 1990er Jahren betrieben worden sind, einen Völkermord darstellen. Sowohl der Jugoslawien-Strafge- richtshof als auch der zwischen- staatliche Internationale Gerichts- hof haben das verneint. Die Ge- richte haben erkannt, dass die Staaten sich 1948 bewusst auf eine so enge juristische Definition des Völkermords verständigt haben, dass selbst „ethnische Säuberun- gen“ nicht ohne Weiteres darunter fallen. Aber diese zutreffende Er- kenntnis darf nicht dazu führen, dass ein so schwerwiegendes in- ternationales Verbrechen wie die Vertreibung einer ganzen ethni- schen Bevölkerungsgruppe ver- harmlost wird. Bei solchen Ver- treibungen handelt es sich um „Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit“. Diese Verbrechen, die übrigens schon vor dem Völker- mord als internationale Verbre- chen anerkannt worden waren, können an einen Völkermord zu- mindest nah heranreichen. Was macht juristisch den Völker- mord aus? Kreß: Völkermord ist definiert als der Angriff auf eine ganze Men- schengruppe, die durch nationale, religiöse, ethnische oder rassische Merkmale bestimmt sein muss. Dieser Angriff muss mit dem Ziel unternommen werden, einen we- sentlichen Teil dieser Gruppe zu zerstören. Die Zerstörung verste- hen die internationalen Gerichte eng in einem physisch-biologi- schen Sinn. Sind denn 7000 ermordete Men- schen ein wesentlicher Teil der muslimischen Bosnier gewesen? Kreß: Das war eine der großen Fragen. Die Muslime in Srebrenica machten weniger als fünf Prozent der Muslime in Bosnien aus. Die internationalen Gerichte bewerten Srebrenica dennoch als Völker- mord, weil sie auch qualitative As- pekte berücksichtigen. Sie stehen auf dem Standpunkt, dass die bos- nischen Muslime in der UN- Schutzzone Srebrenica 1995 von ganz besonderer strategisch-sym- bolischer Bedeutung waren: Sre- brenica war damals einer der letz- ten Flucht- und Schutzpunkte für die Muslime in Ost-Bosnien. Nach 20 Jahren sind von 20 Ver- fahren noch immer vier offen, da- runter auch die gegen die mut- maßlichen Haupttäter Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Wa- rum dauert das so lange? Kreß: Zunächst einmal ist es be- merkenswert, dass Srebrenica zum Gegenstand internationaler Strafverfahren geworden ist und dass die Verfahren auch vor den Hauptverantwortlichen nicht haltmachen. Aber fast jedes inter- nationale Strafverfahren ist au- ßergewöhnlich fordernd, was die Ermittlungen, die Beweisaufnah- me und begleitende Maßnahmen wie etwa Zeugenschutz oder Übersetzungen anbetrifft. Zudem geht es um komplexe Konflikte, nicht um einen einzelnen Mord. Das lässt sich nicht in einem Jahr erledigen. Was sind die Hauptprobleme? Kreß: Die internationalen Strafge- richte verfügen über keine eigene Polizei, können ihre Anklagen und Haftbefehle nicht aus eigener Kraft durchsetzen, sondern sind auf die Unterstützung der Staaten ange- wiesen. So fehlte es lange Zeit an der Bereitschaft, die mutmaßli- chen serbischen Haupttäter Ka- radzic und Mladic nach Den Haag zu überstellen. Doch der lange Atem auch der europäischen Poli- tik hat sich am Ende ausgezahlt. Dadurch besteht die Chance, das zu erreichen, worum es im Völ- kerstrafrecht in erster Linie gehen sollte: Die Hauptverantwortlichen, die Spitzen des jeweiligen Un- rechtssystems für ihre Taten haft- bar zu machen. Den internationalen Strafgerichts- höfen wird oft Voreingenommen- heit vorgeworfen... Kreß: Politische Kritik an interna- tionalen Strafgerichtshöfen wird es immer geben, solange die zugrun- de liegenden politischen Konflikte weiter schwelen und eine wirkli- che Versöhnung auf sich warten lässt. In einem solchen Klima wer- den internationale Strafurteile im- mer auf die heftige Kritik einer Sei- te stoßen. Wir kennen das in Deutschland aus eigener Erfah- rung: Denken Sie bitte einmal da- ran, wie lange wir gebraucht ha- ben, um zu den Nürnberger Pro- zessen ein einigermaßen ruhiges Verhältnis zu finden und sie nicht einfach als Siegerjustiz zu denun- zieren. Wie groß ist die Gefahr, dass inter- nationale Gerichtshöfe politisch instrumentalisiert werden? Kreß: Diese Gefahr gibt es natür- lich. Ich glaube aber, dass die Richter und Staatsanwälte am Ju- goslawien-Tribunal ihr Bestes ge- geben haben, dieser Gefahr zu wehren. Das Gericht hat nicht nur gegen Serben ermittelt, sondern auch gegen Kroaten und bosnische Muslime. Ob die Verfahren und die Urteile das Unrecht, das sicherlich alle Konfliktparteien auf sich gela- den haben, am Ende einigermaßen fair abbilden, werden später His- toriker entscheiden müssen. Gilt das Bemühen um die Gleich- heit vor dem Recht auch für andere internationale Strafgerichtshöfe? Kreß: Das Bemühen möchte ich keinem Gericht bestreiten, aber die Ergebnisse waren nicht immer be- friedigend. Im Fall des Ruanda- Tribunals ging es natürlich primär darum, den Genozid an den Tutsi vor Gericht zu bringen. Aber es gab auch sehr gravierende Fragen an die neue ruandische Regierung. Diese Regierung hat mit großer Macht und viel Druck auf die da- malige Chefanklägerin Carla Del Ponte dagegen angekämpft, dass diese wegen Racheverbrechen ge- gen Hutu ermittelte. Am Ende hat sich die internationale Strafge- richtsbarkeit an dieser Stelle als nicht stark genug erwiesen – Del Ponte musste zurücktreten. Der hier zu erhebende Vorwurf richtet sich aber nicht an die Richter und Staatsanwälte, sondern an die Po- litik, die den nötigen Rückhalt ver- sagt hat. Die internationale Straf- gerichtsbarkeit ist auf politische Rückendeckung für ein unpoliti- sches Vorgehen angewiesen. Rü- ckendeckung auch dort, wo sich die kritischen Fragen gegen die ei- genen Freunde richten. Das erfor- dert Prinzipienfestigkeit, Mut und Geduld – und diese haben Sie in der Politik leider nicht immer in ausreichendem Maß. Ehemalige niederländische Blau- helme fordern bis heute Klarheit darüber, warum die Enklave geop- fert und sie im Stich gelassen wur- den. Kreß: In den Haager Strafverfah- ren ging es nicht primär um diese Frage. Es gibt aber einen Bericht des UN-Generalsekretärs und ei- nen solchen einer niederländi- schen Kommission, die sich heute noch beklemmend lesen. Die nie- derländischen Soldaten vor Ort mögen Fehler gemacht haben. Aber der entscheidende Fehler war, dass die internationale Ge- meinschaft sie nicht angemessen ausgestattet und im Angesicht des serbischen Angriffs im Stich ge- lassen hat. Das niederländische Kontingent hat um Hilfe gerufen und um Luftunterstützung gebe- ten. Diese wäre möglich gewesen, wurde aber nicht gewährt. So sa- hen sich die UN-Soldaten am Ende mit serbischen Angreifern kon- frontiert, ohne diesen militärisch etwas entgegensetzen zu können. Zur Person Claus Kreß ist seit 2004 Professor für Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Köln und seit 2012 zusätz- lich Direktor des dort neugegründeten Instituts für Friedenssicherungsrecht. Der gebürtige Kölner war von 1996 bis 2000 als Beamter im Bundesjustizmi- nisterium tätig. Während dieser Zeit war er unter anderem Referent für Strafrecht, Rechtsberater für europäi- sches Strafrecht und 1998 Mitglied der deutschen Delegation bei den Ver- handlungen zur Errichtung des Inter- nationalen Strafgerichtshofes. Kreß ist verheiratet und hat zwei Kinder. lw 20 Jahre Srebrenica Mit der Veranstaltung „Srebrenica – Eine europäische Tragödie. Rückblick und Analysen zum 20. Jahrestag“ erinnert die Universität Köln heute an den Völkermord von Srebrenica. Auf dem Programm ste- hen Beiträge von renommierten Ver- tretern der Rechtswissenschaft, der Geschichtswissenschaft sowie der Rechtsmedizin. 0 9. Juli, 18:00 Uhr, Hörsaal II, Uni Köln Der Schmerz ist groß: Bosnische Musliminnen trauern am 11. Juli 2007 während der Bestattung von 465 Opfern des Massakers in Potocari bei Srebrenica. FOTO: DPA „Es geht um komplexe Konflikte, nicht um einen einzelnen Mord. Das lässt sich nicht in einem Jahr erledigen“ Srebrenica Im ostbosnischen Srebrenica ermor- deten bosnisch-serbische Truppen nach der Eroberung der Enklave im Juli 1995 mindestens 7000 Männer und Jungen. Blauhelm-Soldaten aus den Niederlanden hatten den An- greifern unter General Ratko Mla- dic die UN-Schutzzone kampflos überlassen. Die überwiegend musli- mischen Gefangenen wurden inner- halb von acht Tagen ermordet und in Massengräbern verscharrt. Es war das schlimmste als Völkermord einge- stufte Kriegsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa. dpa 50 km Bosnisch-serbische Republik Muslimisch-kroatische Konföderation UN-Schutzzone Srebrenica 42 000 muslimische Einwohner und Flüchtlinge suchten hier Schutz 11.7.1995: • Eroberung durch die Serben • Männer werden ermordet • Frauen u. Kinder deportiert Serbien Adria Adria Drina Drina Save Save Una Una JUGO- SLAWIEN Montenegro Herzegowina Kroatien Bosnien Srebrenica Sarajevo Serbien Prijedor Banja Luka Travnik Pale Goražde Mostar Tuzla Zvornik Zvornik Bratunac Žepa Srebrenica 10 km Srebrenica im Sommer 1995 Grafik: dpa

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Page 1: NACH DEM VÖLKERMORD VON SREBRENICA wurde · PDF fileGENERAL-ANZEIGER BLICKPUNKTE Donnerstag, 9. Juli 2015 3 NACH DEM VÖLKERMORD VON SREBRENICA Vor 20 Jahren eroberte serbisches Militär

B L I C K P U N K T EGENERAL-ANZEIGER 3Donnerstag, 9. Juli 2015

NACH DEM VÖLKERMORD VON SREBRENICA Vor 20 Jahren eroberte serbisches Militär die UN-Schutzzone. Für Tausende Muslimewurde der Ort zur Todesfalle. Claus Kreß, Kölner Straf- und Völkerrechtler, über den Versuch der juristischen Aufarbeitung

„Der lange Atemhat sich

ausgezahlt“Die Ermordung von

Tausenden Musli-men in der UN-Schutzzone Srebre-nica in Bosnien-Her-

zegowina vor 20 Jahren gilt als ei-nes der schwersten Völkerrechts-verbrechen seit dem ZweitenWeltkrieg. Über die Ereignisse undihre juristische Aufarbeitungsprach Lutz Warkalla mit demKölner Professor für Strafrecht undVölkerrecht, Claus Kreß.

Herr Kreß, von wie vielen Opfernmüssen wir im Zusammenhangmit Srebrenica reden?Claus Kreß: Bis heute ist das nichtvöllig sicher. Ich spreche immeretwas vorsichtig von mindestens7000 getöteten Menschen, aber dieZahlen können auch höher sein.

Wie kommt man zu diesen Zahlen?Kreß: Sehr wesentlich durch dasAuffinden der Massengräber. Inden Verfahren vor dem Internati-onalen Strafgerichtshof für dasehemalige Jugoslawien in DenHaag sind daher auch nicht so sehrdie Todeszahlen selbst angegriffenworden. Von Seiten der Angeklag-ten sind vielmehr andere Todes-gründe wie etwa Kampfhandlun-gen oder Selbsttötungen geltendgemacht worden. Doch dieser Ein-wand hat die Richter nach derSichtung zahlreicher Beweise, da-runter Zeugenaussagen, DNA-Analysen und demographischeDaten, nicht überzeugt.

Seit den Massakern von Srebrenicakreist die Debatte vor allem um dieFrage, ob es sich um Völkermordhandelte. Warum ist das so wich-tig?Kreß: Das hat damit zu tun, dassder Völkermord in der internatio-nalen Wahrnehmung eine beson-dere verbrecherische „Qualität“hat. Der Internationale Strafge-richtshof für Ruanda hat den Völ-kermord als das „Verbrechen derVerbrechen“ – The crime of crimes– bezeichnet. Von dieser Feststel-lung befördert hat sich die Vor-stellung festgesetzt: Der Völker-mord ist das Verbrechen schlecht-hin.

Was bedeutet das für Opfer undTäter?Kreß: Den Angehörigen der Opferund den Staaten, die mit den Op-fern besonders verbunden sind, istes ganz besonders wichtig, etwavor Gericht bestätigt zu erhalten,dass es sich um einen Völkermordund nicht um irgendein vermeint-lich minderschweres Massenver-brechen gehandelt hat. Und denTätern und den Staaten hinter denTätern ist es ebenso wichtig, diesejuristische Einschätzung zu ver-meiden. Deshalb wird auch in derArmenien-Debatte so heftig umden Völkermordbegriff gerungen.Oder nehmen Sie den Fall Sudanund seines immer noch amtieren-den Präsidenten Al Bashir: Einevom UN-Sicherheitsrat eingesetzteinternationale Kommission zum

Darfur-Konflikt kam 2005 zwar zudem Ergebnis, dass die Machtha-ber im Sudan mit hoher Wahr-scheinlichkeit schwerste Völker-straftaten zu verantworten haben,konnte sich aber nicht dazudurchringen, von Völkermord zusprechen. Das ist vom Regime AlBashirs fast wie ein Sieg gefeiertworden. Das ist keine gute Ent-wicklung.

Was meinen Sie damit?Kreß: Durch die übertriebene He-raushebung des Völkermordswerden sehr schwere Völkerstraf-taten, die nicht als Völkermordeingestuft werden können, an denRand auch des medialen Interessesgedrängt. Es interessiert nur nochdie Frage: War es ein Völkermord?

Was ist mit sogenannten ethni-schen Säuberungen?Kreß: Das ist ein sehr gutes Bei-spiel. Es ist mit großer Hartnä-ckigkeit um die Frage gerungenworden, ob die brutalen „ethni-schen Säuberungen“, die von denbosnischen Serben zur Herstellungeines „Groß-Serbiens“ in den1990er Jahren betrieben wordensind, einen Völkermord darstellen.Sowohl der Jugoslawien-Strafge-richtshof als auch der zwischen-staatliche Internationale Gerichts-hof haben das verneint. Die Ge-richte haben erkannt, dass die

Staaten sich 1948 bewusst auf eineso enge juristische Definition desVölkermords verständigt haben,dass selbst „ethnische Säuberun-gen“ nicht ohne Weiteres darunterfallen. Aber diese zutreffende Er-kenntnis darf nicht dazu führen,dass ein so schwerwiegendes in-ternationales Verbrechen wie dieVertreibung einer ganzen ethni-schen Bevölkerungsgruppe ver-harmlost wird. Bei solchen Ver-treibungen handelt es sich um„Verbrechen gegen die Mensch-lichkeit“. Diese Verbrechen, dieübrigens schon vor dem Völker-mord als internationale Verbre-chen anerkannt worden waren,können an einen Völkermord zu-mindest nah heranreichen.

Was macht juristisch den Völker-mord aus?Kreß: Völkermord ist definiert alsder Angriff auf eine ganze Men-schengruppe, die durch nationale,religiöse, ethnische oder rassischeMerkmale bestimmt sein muss.Dieser Angriff muss mit dem Zielunternommen werden, einen we-sentlichen Teil dieser Gruppe zuzerstören. Die Zerstörung verste-hen die internationalen Gerichteeng in einem physisch-biologi-schen Sinn.

Sind denn 7000 ermordete Men-schen ein wesentlicher Teil der

muslimischen Bosnier gewesen?Kreß: Das war eine der großenFragen. Die Muslime in Srebrenicamachten weniger als fünf Prozentder Muslime in Bosnien aus. Dieinternationalen Gerichte bewertenSrebrenica dennoch als Völker-mord, weil sie auch qualitative As-pekte berücksichtigen. Sie stehenauf dem Standpunkt, dass die bos-nischen Muslime in der UN-Schutzzone Srebrenica 1995 vonganz besonderer strategisch-sym-bolischer Bedeutung waren: Sre-brenica war damals einer der letz-ten Flucht- und Schutzpunkte fürdie Muslime in Ost-Bosnien.

Nach 20 Jahren sind von 20 Ver-fahren noch immer vier offen, da-runter auch die gegen die mut-maßlichen Haupttäter RadovanKaradzic und Ratko Mladic. Wa-rum dauert das so lange?Kreß: Zunächst einmal ist es be-merkenswert, dass Srebrenicazum Gegenstand internationalerStrafverfahren geworden ist unddass die Verfahren auch vor denHauptverantwortlichen nichthaltmachen. Aber fast jedes inter-nationale Strafverfahren ist au-ßergewöhnlich fordernd, was dieErmittlungen, die Beweisaufnah-me und begleitende Maßnahmenwie etwa Zeugenschutz oderÜbersetzungen anbetrifft. Zudemgeht es um komplexe Konflikte,nicht um einen einzelnen Mord.Das lässt sich nicht in einem Jahrerledigen.

Was sind die Hauptprobleme?Kreß: Die internationalen Strafge-richte verfügen über keine eigenePolizei, können ihre Anklagen undHaftbefehle nicht aus eigener Kraftdurchsetzen, sondern sind auf dieUnterstützung der Staaten ange-wiesen. So fehlte es lange Zeit ander Bereitschaft, die mutmaßli-chen serbischen Haupttäter Ka-radzic und Mladic nach Den Haagzu überstellen. Doch der langeAtem auch der europäischen Poli-tik hat sich am Ende ausgezahlt.Dadurch besteht die Chance, daszu erreichen, worum es im Völ-kerstrafrecht in erster Linie gehensollte: Die Hauptverantwortlichen,die Spitzen des jeweiligen Un-rechtssystems für ihre Taten haft-bar zu machen.

Den internationalen Strafgerichts-höfen wird oft Voreingenommen-heit vorgeworfen...Kreß: Politische Kritik an interna-tionalen Strafgerichtshöfen wird esimmer geben, solange die zugrun-de liegenden politischen Konflikteweiter schwelen und eine wirkli-che Versöhnung auf sich wartenlässt. In einem solchen Klima wer-den internationale Strafurteile im-mer auf die heftige Kritik einer Sei-te stoßen. Wir kennen das inDeutschland aus eigener Erfah-rung: Denken Sie bitte einmal da-ran, wie lange wir gebraucht ha-ben, um zu den Nürnberger Pro-zessen ein einigermaßen ruhigesVerhältnis zu finden und sie nicht

einfach als Siegerjustiz zu denun-zieren.

Wie groß ist die Gefahr, dass inter-nationale Gerichtshöfe politischinstrumentalisiert werden?Kreß: Diese Gefahr gibt es natür-lich. Ich glaube aber, dass dieRichter und Staatsanwälte am Ju-goslawien-Tribunal ihr Bestes ge-geben haben, dieser Gefahr zuwehren. Das Gericht hat nicht nurgegen Serben ermittelt, sondernauch gegen Kroaten und bosnischeMuslime. Ob die Verfahren und dieUrteile das Unrecht, das sicherlichalle Konfliktparteien auf sich gela-den haben, am Ende einigermaßenfair abbilden, werden später His-toriker entscheiden müssen.

Gilt das Bemühen um die Gleich-heit vor dem Recht auch für andereinternationale Strafgerichtshöfe?Kreß: Das Bemühen möchte ichkeinem Gericht bestreiten, aber die

Ergebnisse waren nicht immer be-friedigend. Im Fall des Ruanda-Tribunals ging es natürlich primärdarum, den Genozid an den Tutsivor Gericht zu bringen. Aber es gabauch sehr gravierende Fragen andie neue ruandische Regierung.Diese Regierung hat mit großerMacht und viel Druck auf die da-malige Chefanklägerin Carla DelPonte dagegen angekämpft, dassdiese wegen Racheverbrechen ge-gen Hutu ermittelte. Am Ende hatsich die internationale Strafge-richtsbarkeit an dieser Stelle alsnicht stark genug erwiesen – DelPonte musste zurücktreten. Derhier zu erhebende Vorwurf richtetsich aber nicht an die Richter undStaatsanwälte, sondern an die Po-litik, die den nötigen Rückhalt ver-sagt hat. Die internationale Straf-gerichtsbarkeit ist auf politischeRückendeckung für ein unpoliti-sches Vorgehen angewiesen. Rü-ckendeckung auch dort, wo sich

die kritischen Fragen gegen die ei-genen Freunde richten. Das erfor-dert Prinzipienfestigkeit, Mut undGeduld – und diese haben Sie inder Politik leider nicht immer inausreichendem Maß.

Ehemalige niederländische Blau-helme fordern bis heute Klarheitdarüber, warum die Enklave geop-fert und sie im Stich gelassen wur-den.Kreß: In den Haager Strafverfah-ren ging es nicht primär um dieseFrage. Es gibt aber einen Berichtdes UN-Generalsekretärs und ei-nen solchen einer niederländi-schen Kommission, die sich heutenoch beklemmend lesen. Die nie-derländischen Soldaten vor Ortmögen Fehler gemacht haben.Aber der entscheidende Fehlerwar, dass die internationale Ge-meinschaft sie nicht angemessenausgestattet und im Angesicht desserbischen Angriffs im Stich ge-lassen hat. Das niederländischeKontingent hat um Hilfe gerufenund um Luftunterstützung gebe-ten. Diese wäre möglich gewesen,wurde aber nicht gewährt. So sa-hen sich die UN-Soldaten am Endemit serbischen Angreifern kon-frontiert, ohne diesen militärischetwas entgegensetzen zu können.

Zur Person

Claus Kreß ist seit 2004 Professor fürStrafrecht und Völkerrecht an derUniversität Köln und seit 2012 zusätz-lich Direktor des dort neugegründetenInstituts für Friedenssicherungsrecht.Der gebürtige Kölner war von 1996 bis2000 als Beamter im Bundesjustizmi-nisterium tätig. Während dieser Zeitwar er unter anderem Referent fürStrafrecht, Rechtsberater für europäi-sches Strafrecht und 1998 Mitglied derdeutschen Delegation bei den Ver-handlungen zur Errichtung des Inter-nationalen Strafgerichtshofes. Kreß istverheiratet und hat zwei Kinder. lw

20 Jahre Srebrenica

Mit der Veranstaltung „Srebrenica– Eine europäische Tragödie.Rückblick und Analysen zum 20.Jahrestag“ erinnert die UniversitätKöln heute an den Völkermord vonSrebrenica. Auf dem Programm ste-hen Beiträge von renommierten Ver-tretern der Rechtswissenschaft, derGeschichtswissenschaft sowie derRechtsmedizin.0 9. Juli, 18:00 Uhr, Hörsaal II, Uni Köln

Der Schmerz ist groß: Bosnische Musliminnen trauern am 11. Juli 2007 während der Bestattung von 465 Opferndes Massakers in Potocari bei Srebrenica. FOTO: DPA

„Es geht um komplexeKonflikte, nicht um

einen einzelnen Mord.Das lässt sich nicht ineinem Jahr erledigen“

Srebrenica

Im ostbosnischen Srebrenica ermor-deten bosnisch-serbische Truppennach der Eroberung der Enklave imJuli 1995 mindestens 7000 Männerund Jungen. Blauhelm-Soldaten ausden Niederlanden hatten den An-greifern unter General Ratko Mla-dic die UN-Schutzzone kampflosüberlassen. Die überwiegend musli-mischen Gefangenen wurden inner-halb von acht Tagen ermordet und inMassengräbern verscharrt. Es war dasschlimmste als Völkermord einge-stufte Kriegsverbrechen nach demZweiten Weltkrieg in Europa. dpa

50 km

Bosnisch-serbischeRepublikMuslimisch-kroatischeKonföderation

UN-Schutzzone Srebrenica42 000 muslimischeEinwohner und Flüchtlingesuchten hier Schutz11.7.1995:• Eroberung durch die Serben• Männer werden ermordet• Frauen u. Kinder deportiert

Serbien

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Kroatien

Bosnien

Srebrenica

Sarajevo

Serbien

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Banja Luka

Travnik

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Zvornik

Zvornik

Bratunac

Žepa

Srebrenica

10 km

Srebrenica im Sommer 1995

Grafik: dpa