archithese 3.02 - bühnenbilder / décors de théâtre

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Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur Revue thématique d’architecture archithese 3 02 Inszenierungen Herbert Wernicke Marthaler/ Viebrock Robert Wilson Bühnen-Architekturen Shigeru Ban Diller + Scofidio Zaha Hadid Toyo Ito Daniel Libeskind MVRDV Jean Nouvel Hans Dieter Schaal Architektur aktuell Herzog & de Meuron Campo Baeza Lost Architekten Bühnenbilder Décors de théâtre mit B A U DOC B A U BULLETIN

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Zeitschrift und Schriftenreihe für ArchitekturRevue thématique d’architecture

archithese3 02

InszenierungenHerbert WernickeMarthaler/ViebrockRobert Wilson

Bühnen-ArchitekturenShigeru BanDiller+ScofidioZaha HadidToyo ItoDaniel LibeskindMVRDVJean NouvelHans Dieter Schaal

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Editorial

BühnenbilderDie ganze Welt, so heisst es bei Shakespeare, ist eine Bühne. Doch wie verhält es sich umgekehrt mit dem Geschehen auf der Bühne? In welcherBeziehung steht es zur Wirklichkeit? Die Theatergeschichte des vergan-genen Jahrhunderts kennt verschiedene Positionen: den Versuch einernaturalistischen Widerspiegelung, wie ihn Konstantin SergejewitschStanislawski propagierte; eine dialektische Haltung, für die BertoltBrechts Konzept eines «epischen Theaters» zentrale Bedeutung besitzt;und schliesslich die surrealistisch inspirierte Demontage traditionellerStrukturen, die im absurden Theater ihre Fortsetzung fand.

Entsprechend vielfältig sind die szenografischen Mittel: auf der einen Seite die naturalistische Konzeption, die in Peter Steins russischenLandschaften für die Tschechow-Inszenierungen der Berliner Schau -bühne noch einmal grandiose Wirkung entfaltete, auf der anderen Seite die Tendenz zur Abstraktion, die sich von Adolphe Appias Theorieder Raumbühne über die Nachkriegsinszenierungen Wieland Wagnersin Bayreuth bis hin zu Robert Wilsons puristischen, inzwischen abermehr und mehr ins Geschmäcklerisch-Dekorative abgleitenden Licht -räumen zieht. Eine besonders radikale Position bezieht seit mehrerenJahrzehnten Peter Brook: Gemäss der Theorie des «leeren Raums» wirdin seinem Pariser Theater der «Bouffes du Nord» auf ein Bühnenbild ge-nerell verzichtet. Brook opponiert damit nicht in erster Linie gegen dasAusstattungstheater, sondern will die Aufmerksamkeit auf die Körper-bewegung im Raum richten.

Das heutige europäische Theater ist ohne den Aufbruch der begin-nenden Siebzigerjahre nicht denkbar. Hatte es experimentelle Konzepteschon in den Zwanzigerjahren gegeben, so trat mit Regisseuren wie Rai-ner Werner Fassbinder, Peter Zadek, Peter Palitzsch oder Claus Peymanneine politisch motivierte Generation von Regisseuren auf, welche dieTrennung von Bühne und Zuschauerraum in Frage stellten und für ihreInszenierungen verstärkt auf alternative Spielorte setzten. In den Acht-zigerjahren gewann das Bühnenbild neues Interesse: Karl-Ernst Herr-mann, Achim Freyer, Axel Manthey, Erich Wonder und Hans DieterSchaal fanden Bilder, welche Poesie und Zeichenhaftigkeit vereinten undviele Stücke um Bedeutungsdimensionen erweiterten.

In einem Zeitalter des Sampling sind bisherige Trennungen nichtmehr aufrechtzuerhalten: Die Stücke Christoph Marthalers kombinierenElemente aus Musiktheater, Theater und Tanz zu dekonstruktiven Col -lagen. Und der unlängst verstorbene Regisseur Herbert Wernicke ver-mochte auf intelligente Weise mit seinen Operninszenierungen ver-schiedene Zeitebenen zu kombinieren: Die Entstehungszeit des Stoffs,des Stücks und des Aufführungsorts verband sich mit der Gegenwart.

Es ist im Sinne des Sampling nicht verwunderlich, dass in den letztenJahren immer wieder auch prominente Architekten auf der Bühne tätigwurden – mit unterschiedlichem Erfolg. Dass MVRDV eines ihrer mitGrossprojektion veranschaulichten Szenarien tanzen lassen, stellt denbisherigen Endpunkt dieser Entwicklung dar.

Redaktion

Achim Freyer: Bühnenbildskizzenzur Inszenierungvon Christoph Wil-libald Glucks Oper«Iphigenie auf Tau-ris», StaatstheaterStuttgart, 1998

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Die Ankunft in Ägypten ist unsanft. Zu den Klängen der Ouvertüre legt ein goldener Nachen an der Spielfläche an, derscharlachrote Feldherrenmantel wird in die Bühnenmitte ge-schleudert, und Cesare geht von Bord. Doch das Terrain bleibtunsicher – ein Krokodil naht sich von rechts und scheuchtden Imperator zurück auf sein Schiff. Erst als das schwarz ge-wandete, Stahlhelme tragende römische Expeditionskorpsaus den Luken kriecht, wagt Cesare einen zweiten Versuch.Das Spiel kann beginnen.Herbert Wernicke – wie immer Regisseur, Bühnenbildner

und Kostümgestalter in einer Person – inszenierte Händels Giulio Cesare in Egitto am Theater Basel 1998 als ein ironisch gebrochenes Kammerspiel um Liebe und Macht. Keine jubelnden Volksmassen empfangen den Sieger von Pharsalos;der zu den Takten eines Menuetts gesungene Huldigungschorerklingt unsichtbar, als müssten sich die Eindringlinge Mutzusprechen, und das «Cesare venne e vide e vinse» («Caesarkam, sah und siegte») klingt eher wie eine Selbstbeschwö rung.

Ägypten – das ist über die drei Akte hinweg eine schwarze,leicht geneigte und mit weissen Schriftzeichen überzogeneSpielfläche. Es handelt sich um den ins Überdimensionalevergrösserten Stein von Rosette, dessen dreisprachigem Text die Ägyptologie die Entzifferung der Hieroglyphen verdankt. Damit riss Wernicke ein Thema an, das zur Basis sei-ner Interpretation wurde: die Konfrontation und Überlage-rung kultureller Formationen. Zu dem Zusammenstoss vonägyptischer und römischer Kultur auf der Handlungsebenetritt die werkimmanente Gegenüberstellung von Sinfonia, Rezitativ und Arie und schliesslich das Ineinanderblendenvon Antike, Barockzeit und moderner Lebenswirklichkeit inder Inszenierung. Durch einen vom Schnürboden abgehäng-ten Spiegel in gleicher Form wie die Spielfläche, der zuweilenin Schieflage gerät, wird das Bühnengeschehen verdoppeltund optisch auf den Kopf gestellt, sodass man die Akteure nicht nur von oben, sondern auch von hinten sehen kann.Während des zweiten Aktes, bei dem die Protagonisten

Arrangierte ZeitschichtenDie Inszenierungen von Herbert Wernicke Hubertus Adam

Am 16. April ist der Regisseur Herbert Wernicke unerwartet in Basel gestorben. 1946 in

Auggen am Rand des Schwarzwalds geboren, zählte er seit seiner ersten eigenständigen

Inszenierung 1978 zu den profiliertesten Neuerern des Musiktheaters. Regisseur und Aus-

statter in einer Person, inszenierte Wernicke stets in einem Einheitsbühnenbild – Theater

sollte als Theater kenntlich sein. In überaus suggestiven Bildern gelang es ihm, verschie-

dene Zeitebenen zu verschmelzen und selbst vertraute Werke in einem neuen insze -

natorischen Licht erscheinen zu lassen.

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1+2 O Ewigkeit, duDonnerwort – Szenen zu vier Kir-chenkantaten vonJohann SebastianBachSzenenfotos zu «O Ewigkeit, du Don-nerwort» (BWV 20)und «Ein feste Burgist unser Gott» (BWV 80) Staatsthea-ter Kassel, 1986/87(Fotos: ThomasHuther)

3 Georg FriedrichHändel: Giulio Cesare in EgittoTheater Basel, 1998

4 Actus TragicusTheater Basel, 2000

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5 Claudio Monte-verdi: OrfeoBühnenbild im Innen-hof der Salzburger ResidenzSalzburger Festspiele1993

6 Christoph Willi-bald Gluck: Orfeoed EuridiceStaatstheater Kassel,1987/88

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Nicht leben, nicht sterbenZwischendurch begibt sich die traumverlorene Gesellschaftauf ein Podest und fährt von der Bühnenmitte aus in den Hin-tergrund, wo sich ein holzvertäfeltes Kompartiment öffnet –an den Seiten eng begrenzt, oben, in grösster Höhe, von einerKassettendecke abgeschlossen. In diesem Ambiente, das denGeist der Zeit um 1900 atmet und etwas verblichen wirkt, lässt man sich nieder und stimmt ritualhaft ein Lied an:«Horch, was kommt von draussen rein?» Das im 19. Jahrhun-dert aufgezeichnete schwäbische Volkslied, dessen vorwärtsdrängender Rhythmus in Widerspruch steht zu einer vomÜbermut zur Traurigkeit sich entwickelnden Grundhaltungund daher die sukzessive Verlangsamung erzwingt, erzähltvon unerwiderter oder nicht mehr erwiderter Liebe und wirdzur repetierten Selbstvergewisserungshymne der um einengrossen Tisch versammelten Gesellschaft: So wie der Liedsän-ger (oder die Liedsängerin ) an der Aussenwelt zweifelt («Gehtvorbei und schaut nicht rein, kanns wohl nicht gewesensein»), zunächst in Trotz verharrt («Kann ja lieben wen ichwill») und sich schliesslich todessüchtig zurückzieht («Setztmir keinen Leichenstein,/sondern pflanzt Vergissnicht-mein»), hat die somnambule Tafelrunde offenkundig die Be-ziehung zur Wirklichkeit verloren. Auf der Hauptbühne mitseltsamen Turnübungen und absurden Gesprächen – eherwechselseitigen Monologen – befasst, sind die Protagonistenvon einem hybriden Raum umgeben: gerundete, plastik -gerahmte Fenster und «overhead bins» auf der linken Seite

sehen aus wie im Flugzeug, während die Klappsitze rechts anD-Zug-Wagen älterer Bauart erinnern.Anna Viebrock hat für Christoph Marthalers Inszenierung

Die Spezialisten (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 1999) eine surreale Bühne geschaffen, die unterschiedlich dyna-misch konnotierte Elemente verbindet. Jedes Requisit ist der Wirklichkeit entlehnt, und doch harmonisieren sie inihrem Zusammenspiel nicht mit der bekannten Welt. Es han-delt sich um eine im wahrsten Sinne des Wortes «ungleich-zeitige» Szenerie, die erst Sinn ergibt, wenn man sie als eineWelt jenseits der Wirklichkeit, eine Welt im Jenseits versteht:In der Tat scheinen die Spezialisten («Niemand braucht sie,aber sie können, was sie können, besonders gut», so das Programmheft) Verstorbene zu sein, die noch einmal von demerzählen, was einst ihr Leben ausgemacht hat. Mit un -bekanntem Ziel fahren sie nun in ihrem Zug-Flugzeug überden Acheron, aber es ist ungewiss, ob sie das andere Ufer jemals erreichen. Sie können nicht leben, sie können nichtsterben.

Ich-Dissoziation und FacettierungUnterwegs zwischen Zeit und Ewigkeit bewegt sich das Per-sonal der Marthaler-Inszenierungen in seltsamer Transitorik.Im geringfügig modifizierten Bühnenbild von Hotel Angst, mitdem im Herbst 2000 die Zürcher Schiffbauhalle als neueSpielstätte des Schauspielhauses eröffnet wurde, inszenierteMarthaler Anfang 2002 Die schöne Müllerin. Wilhelm Müllers

Es gibt kein Aussen mehrZum Theater von Christoph Marthaler und Anna Viebrock Hubertus Adam

Seit 1991 arbeitet der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler mit der Bühnenbildnerin

Anna Viebrock zusammen. Zumeist sind es hohe Hallen, in denen die Schauspieler traum-

verloren agieren; Hallen, die fremd und vertraut zugleich wirken. Viebrock collagiert

Elemente der Realität, sodass sie surreal wirken, in den Massstäben vielfach verzerrt.

Treppen führen ins Leere, Fahrstühle sind ausser Funktion: Aus diesem Kosmos kann nie-

mand fliehen.

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1+2 Die Spezialis -ten. Ein Über -lebenstanzteeDeutsches Schauspiel-haus Hamburg, 1999(Fotos 1– 4 aus: AnnaViebrock, Bühnenräu-me, Berlin 2000)

3 Leos Janácek:Katja KábanovaSalzburger Festspiele.1998

4 Claude Debussy:Pelléas et Mélisan-deOper Frankfurt, 1994

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Der Beginn der Tätigkeit von Coop Himmelb(l)au fällt in diepolitisch motivierten, experimentellen späten Sechziger- sowiein die Siebzigerjahre, als mit grenzüberschreitenden Arbeitendie Idee von Architektur erneuert werden sollte. Am Beginnder Achtziger entstanden zwei Installationen, die den Impetusder frühen Zeit unmittelbar in sich tragen und dabei durch dieTechnik der Bricolage roh wirken. Diese Traditions linie einesRandbereiches der Architektur setzen die späteren Bühnen -arbeiten der Wiener Architekten fort, auch wenn sie nunmehrim institutionalisierten Rahmen des Theaters entstanden: DerWeltbaumeister für den Steirischen Herbst 1993 am Schauspiel-haus Graz, Ödipus Rex für die Salzburger Festspiele 1994 imGrossen Festspielhaus sowie in einer Neuinszenierung 1998für Amsterdam an der Nederlandse Opera, und schliess lich Pen-thesilea für das Schauspiel Frankfurt im Jahr 2001. Experimen-tell im unmittelbaren Sinn ist dabei nur das erste Beispiel; diedarauf folgenden Stücke können als Pa ra phrasen auf bereitsrealisierte architektonische Entwürfe gelten.

Der WeltbaumeisterBasierend auf Bruno Tauts 1920 erschienener, kinematogra-fisch orientierter Zeichnungsfolge Der Weltbaumeister konzi-pierten Coop Himmelb(l)au gemeinsam mit dem Komponis -ten Jens Peter Ostendorf eine Oper ohne Schauspieler undkonventionelles Bühnenbild. Im Mittelpunkt standen alleindie Musik sowie eine architektonische Gestaltung, die dasLicht in den Mittelpunkt rückte. Coop Himmelb(l)au bezogensich zwar auf die Notizen Bruno Tauts, die er im Rahmen sei-nes Weltbaumeister machte, dennoch repräsentiert ihre «Büh-nengestaltung» einen experimentellen Ansatz, der einen eige -nen Entwurf weiterentwickelte. Die Architekten rekurriertenauf eine schnell entstandene, hingekritzelte Skizze vom Be-ginn der Neunzigerjahre, die sich aus einem Gewirr von Li-nien und Punkten zusammensetzt und für den Ostpavillondes Stadtmuseums in Groningen entstanden war. Mit solchenZeichnungen oder vielmehr Skizzen, die den bewussten Ges -tus ausschalten oder zumindest so weit wie möglich zurück-

Experimentierfeld BühneArchitektonische Konzepte für die Bühne von Coop Himmelb(l)au Margit Ulama

Abseits üblicher Reglementierungen und planungspraktischer Vorgaben bietet die Kon-

zeption von Bühnenbildern für Architekten die Möglichkeit, gleichsam im idealen Raum

zu agieren. Das Bühnenbild kann als Bühnen-Raum verstanden werden, welcher der

Auslotung architektonischer Grundfragen dient. Während die Bühne einerseits das Ex -

perimentierfeld für gänzlich neue Ideen darstellt, werden andererseits bereits er probte

Konzepte auf die Bühne transferiert.

1 Der Weltbau -meister, Graz 1993(Fotos: Markus Pillhofer)Die Skizzen zeigen dieÜberlagerung derTheatergrundrisse und-schnitte mit alea -torischen Skizzen derArchitekten.

2– 4 Der Weltbau-meister, Graz 1993Screen, Körper undbeleuchtetes Bühnen-bild sowie Modellfoto

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«Alles schreit. Es ist dasselbe im Venusberg wie im Tristan,dort verliert es sich in die Anmut, hier in den Tod, überall derSchrei, die Klage.» Wagners Selbstexegese lässt einen Traumaufkeimen: Hätte doch Francis Bacon ein Tristan-Bühnenbildgeschaffen. So wie er in Three screaming Popes Velázquez’ Papst-porträt mit dem aufgerissenen Schmerzensmund der Kin-derfrau aus der Freitreppen-Szene von Eisensteins Panzerkreu-zer Potemkin ins Ka tastrophische trieb. Tristan als expres siver,expressionistischer Exzess.So richtig dies ist, so hilflos steht man gleichwohl vor dem

Werk, versucht man, sich dieses solchermassen ausdrucksin-tensiv szenisch zu ima ginieren. Denn sogleich merkt man:Wagner hat hier eben nicht nur eine Passion komponiert, son-dern auch mit Sprach- und Klangmaterial autonom gebaut –und seine rätselhafte Bezeichnung «Handlung» zielt wo -möglich auf nichts Geringeres als eine Art paratheologische«Wandlung» mit den Mitteln ästhetischer Immanenz. Ebendiese liesse sich auf den Begriff bringen: Dekonstruktion.Denn grosse Musik resultiert nicht selten aus ihrem Wider-spiel von Struktursystematik und Explosivkräften: ob Ge-

sualdos Madrigale, die drei grossen B-Dur-Fugen des spä -ten Beethoven, Tristan oder Schönbergs Erwartung – die Dichte der Sprachführung hat essen ziell mit dem Chaos zutun. Insofern bleibt der ominöse Tristan-Akkord zentrale Chiffre der Auflösung wie des Brückenbaus zu anderen Pla-neten.Deshalb fühlen sich abstrakte bildende Künstler, aber auch

Architekten immer wieder gerade zu diesem Schlüsselwerkder Grenzüberschreitung hingezogen: der LichtkünstlerAdolf Luther zusammen mit Nikolaus Lehnhoff in Frankfurt,Günter Uecker und Götz Friedrich in Stuttgart, Hans-DieterSchaal und Ruth Berghaus in Hamburg – und nun auch Da-niel Libeskind in Saarbrücken. Gemeinsam war ihnen allendie Skepsis gegenüber einer allzu wohlfeilen Espressivo-Psychologisierung, gar im Sinne eines schwitzenden Eroto-drams. Stattdessen eher: Kälte, Abstraktion, in Analogie zurQuasi-Absolutheit der Wagner’schen harmonischen, polypho-nen und klangfarblichen Prozesse.Es dürfte Udo Zimmermann, den neuen Intendanten der

Deutschen Oper Berlin, wenig gefreut haben, dass seine in -

Der Raum wird hier zur WandTristanakkordarbeit: Das Saarbrücker Bühnenbilddebüt des Architekten Daniel Libeskind Gerhard R. Koch

Als erste Theaterarbeit von Daniel Libeskind entstand das Bühnenbild für Richard Wag-

ners «Tristan und Isolde» in Saarbrücken. Zentrales Element bildete eine drehbare und

gleichsam perforierte Mauerschale, welche den Protagonisten mal Schutz gewährte, mal

aber auch bedrohlich wirkte. Vielleicht war es die frühere Ausbildung als Musiker, die den

Architekten zu einer der Dramaturgie gerecht werdenden Szenografie befähigte.

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szenatorische Trumpfkarte nun schon ein gutes Jahr vor demSpielbeginn anderenorts auf dem Tisch liegt. Denn als Regis-seur wie Ausstatter sollte Daniel Libeskind, der Stararchitektdes Dekonstruktivismus, in gut einem Jahr in der Berliner Bis-marckstrasse debütieren: der Erbauer des Berliner JüdischenMuseums ausgerechnet mit dem allerkatholischsten HeiligenFranziskus Olivier Messiaens. Da gerade Wagner ein Verehrer des spanischen Barocktheaters, vor allem Calderons, war, lies-se sich vom Urtypus der «autos sacramentales», der «HeiligenHandlungen», durchaus eine Linie ziehen sowohl zu Messiaensfrommer Legende als auch zu Wagners Tristan-«Handlung».Das Saarländische Staatstheater und der Regisseur Chris -

tian Pöppelmann kamen jedenfalls Zimmermann zuvor, undso widerfuhr Saarbrücken die Ehre von Libeskinds Bühnen-debüt. Auch Libeskinds Jüdisches Museum ist alles andere alsein statisches Ausstellungshaus, sondern gibt ein in seiner Dynamik gefrorenes Bild einer entschieden ge- und zerbors -tenen Geschichte, katastrophischer Vergeblichkeit: ein Ortfür das Niemandsland. Wenn nun Libeskind einen Raum fürTristan und Isolde imaginiert, dann geht es ihm ebenfalls

schwerlich um eine lineare Theatererzählung, gar realistischeSchauplatz-Illusion oder auch nur expressiv-mimetische psychologisierende Begründungszusammenhänge – sondernum visuelle Äquivalente zur Musik und damit auch zur Gesamtdramaturgie des Werks. Die vier chromatisch aus ein -ander driftenden Linien des Tristan-Akkords und die alte Un übersicht lichkeit der Vorgeschichte schiessen denn auchzusammen zu einem komplexen Ensemble dekonstruktivis -tischer Architekturskulpturen: Stehen sich im ersten Aktzwei weisse, wie ausgefranst zerstufte Türme gegenüber, de-ren horizontale Aufspaltungen sehr wohl einiges von den ma-g netisch-widerstrebenden Gefühlsregungen des Paars zu ima-ginieren vermögen, so wird im zweiten der Raum, wennschon nicht gleich zur Zeit, so doch zu einer halb durchläs -sigen, fast ein wenig regelhaften Wand, die Grenzüberschrei-tungsmöglichkeiten suggeriert, gleichwohl starr verweigert. Im dritten Akt schliesst sich fast eine Art Kreis, doch keines-wegs im Sinne harmonisierender Auf- oder gar Er lösung: Eherist es ein Kerker, freilich von der luftig-hellen Art, Treppenführen ins Nichts, Stützelemente tragen nichts, der Raum

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Architektur aktuellHerzog&deMeuron, Rehabilitationszentrum für Querschnittgelähmte und Hirnverletzte, Basel, 1998–2002

Lebendige VielfaltDas Basler Rehabilitationszentrum für Querschnittgelähmte und Hirnverletzte von

Herzog & de Meuron verzichtet auf vieles, was herkömmliche Spitalbauten auszeichnet:

Eine Gliederung in Trakte fehlt ebenso wie die repetitive Anordnung von Räumen.

Bestimmend sind stattdessen Themen wie räumliche Vielfalt und Grosszügigkeit, Varia-

tionen von Dichte und Transparenz und subtile Aussenbezüge. Das neue Rehab ist ein in

sich stimmig komponiertes, aber offenes und durchlässiges Gebilde von ausserordentli-

cher gestalterischer Qualität, das auch Langzeitpatienten einen anregenden Lebensraum

bietet; und nicht zuletzt ist es höchst funktional und zu verhältnismässig bescheidenen

Kosten erstellt worden.

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Ein Rehabilitationszentrum für Querschnittgelähmteund Hirnverletzte ist kein Krankenhaus im engeren Sin-ne, sondern ein Ort, an dem Menschen – meist nach einem Unfall – mit Hilfe von Ärzten und Therapeutenalltägliche Bewegungsabläufe und Verrichtungen neuerlernen, um wieder eine möglichst hohe Selbständig-keit zu erlangen. Es handelt sich um einen langwierigenProzess: Die Aufenthaltsdauer der stark in ihrem Be-wegungsspielraum eingeschränkten Patientinnen undPatienten beträgt bis zu 18 Monate. Unter diesen Vor-aussetzungen ist es besonders wichtig, der im Gesund-heitswesen allzu oft vernachlässigten Tatsache Rech-nung zu tragen, dass eine gelungene architektonischeGestaltung der Patientenräume keinen leeren Luxusdarstellt, sondern die Erfolgschancen einer Therapiewesentlich erhöht. Der Neubau des Rehabilitations-zentrums für Querschnittgelähmte und Hirnverletztedes Schweizerischen Paraplegikerzentrums, das Rehabim Nordwesten von Basel, liefert einen schlagendenBeweis dafür, dass sich höchste architektonische Qua-lität, perfekte Funktionalität und verhältnismässig tiefeKosten durchaus vereinbaren lassen.Die 1967 eröffnete Anlage, in der das Rehabilita -

tionszentrum bisher untergebracht war, konnte mit

ihren Vier- und Sechsbettzimmern den gestiegenen räumlichen und medizinischen Anforderungen immerweniger gerecht werden. Deshalb entschied sich dieTrägerschaft des Rehab, eine gemeinnützige Aktienge-sellschaft, für den Bau eines neuen Zentrums. 1998schrieb sie einen Wettbewerb aus und forderte aus-drücklich einen Neubau, der nicht wie ein Spital aussah.Das prämierte Projekt von Herzog & de Meuron,

das Anfang dieses Jahres unmittelbar neben dem Alt-bau fertig gestellt worden ist, zeigt in der Tat keines derMerkmale, die manches Krankenhaus von vornhereintrostlos erscheinen lassen: Es weist weder lange, innenliegende Gänge noch endlose Liftschächte auf, wederdeprimierende, als Wartezonen genutzte Restflächennoch abweisende Stationszimmer; auf eine Trennungder Behandlungs- und Bettentrakte wurde verzichtet.Im Gegensatz zu herkömmlichen Spitalbauten ent-wickelt sich der Neubau in die Horizontale statt in dieVertikale; dem repetitiven Organisationsprinzip setzt erdie erfrischende Vielfalt der räumlichen Gestaltungentgegen. Von innen her wie eine eigenständige, kleine Welt gedacht, ist das Rehab dennoch ein offenesund durchlässiges Gebilde von fliessenden Räumenund subtilen Aussenbezügen.

Ein Pavillon in der LandschaftVon aussen präsentiert sich das Rehab als ein verhält-nismässig flacher, zweigeschossiger Quader. Mit seinen120 Metern Länge und 90 Metern Breite kann es nichtmit einem Blick erfasst werden; das zurückversetzteDachgeschoss ist von unten her nicht sichtbar. Das Gebäude besitzt eine tiefe, strukturierte Holzhülle:Die äusserste Schicht bilden horizontal angebrachte Eichenrundstäbe, die unterschiedlich dicht angeordnetsind, je nachdem, ob sie als Balkonbrüstung, Verklei-dung oder als Verschattungselemente fungieren. Ver-bunden sind sie durch matte Plexiglaskugeln, die jenach Lichteinfall beinahe verschwinden oder sich in

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1 Situation

2 Fassadenaus-schnitt: Die tiefeHolzkonstruktionthematisiert

Transparenz undVerhüllung(Fotos 2–5: Hubertus Adam)

3 Eingangshof mitKulturpflanzen

4– 5 Therapie- undWassergarten

6 Innenhof vonStation 2(Foto 6: Ruedi Walti)

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