archithese 4.15 – luxus

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archithese 4.2015 August Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur International thematic review for architecture Luxus Kultureller Wandel Erlebnis- und Sinnsuche ersetzen Statussymbole Die Rolle von Luxus für die Baukultur Werthaltigkeit statt Statusdenken Quintus Miller – ein Plädoyer für Langlebigkeit Valerio Olgiati spricht über die Villa Além Synchronität Luxus als Mehrwert im urbanen Raum ? Für die soziale Heterogenität der Stadt Neue Akteure Mäzenatentum – wichtig, aber unkontrollierbar ? Digitale Services verändern die Nutzung der Stadt

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archithese 4.2015 August

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

International thematic review for architecture

Luxus

Geberit Duschrinnen CleanLine

Einfach sauber.

Einfach gereinigt:

Ausspülbarer Kammeinsatz

Die neuen Geberit Duschrinnen CleanLine erfüllen höchste Ansprüche an

einfach schön.

Kultureller Wandel

Erlebnis- und Sinnsuche ersetzen Statussymbole

Die Rolle von Luxus für die Baukultur

Werthaltigkeit statt Statusdenken

Quintus Miller – ein Plädoyer für Langlebigkeit

Valerio Olgiati spricht über die Villa Além

Synchronität

Luxus als Mehrwert im urbanen Raum ?

Für die soziale Heterogenität der Stadt

Neue Akteure

Mäzenatentum – wichtig, aber unkontrollierbar ?

Digitale Services verändern die Nutzung der Stadt

Page 2: archithese 4.15 – Luxus

archithese 4.2015 August 45 . Jahrgang

Titelbild: Valerio Olgiati, Villa Além, Portugal 2014 ( Foto: Valerio Olgiati )

6 Editorial

L U X U S

12 Der nächste Luxus

Weniger ist mehr

Martina Kühne

18 Willful forgetting

Luxury, Ethics and Fascist architecture

Annette Condello

26 Auf der Suche nach

nicht-referenzieller Architektur

Valerio Olgiati im Gespräch mit

Jørg Himmelreich und Andrea Wiegelmann

40 Der Luxus des ‹ on demand ›

Über die Auswirkungen neuer digitaler

Dienstleistungen auf unsere Städte

Marion Kalmer

48 Tanz, Luxus, Tanz!

Luxus und sein Publikum

Isa Fahrenholz

54 Archaisch und doch spezifisch

Herzog & de Meuron:

Pérez Art Museum, Miami

Markus Breitschmid

62 Jenseits des Luxus

Private Investoren und Kulturgüter

Christian Welzbacher

68 Kulturelle Nachhaltigkeit

in Architektur und Gesellschaft

Quintus Miller im Gespräch mit

Daniela Meyer und Andrea Wiegelmann

76 Für eine stadträumliche Durchmischung

Über sozialräumliche Segregation und

stadträumliche Ambivalenz

Gerd Kuhn

84 Die neue Lust am Kino

Das Kino als erweitertes Wohnzimmer

Marcel Bächtiger

R U B R I K E N

90 Neues aus der Industrie

94 Premium Brands Online

96 Vorschau und Impressum

97 Ankündigung Städtebau Konferenz

« Zürich – Räumlicher Stand der Dinge »

am 30. Oktober 2015

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2 archithese 4.2015

architheseInternationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

International thematic review for architecture

archithese_ankuendigung_auf-4.2015.indd 1 16.07.15 13:21

Page 4: archithese 4.15 – Luxus

6 archithese 4.2015

E D I T O R I A L

Luxus

Über Luxus zu schreiben, scheint entweder voyeuristisch motiviert oder auf eine Kritik des

Exzessiven abzuzielen. Dabei ist der Diskurs, der sich rund um diesen Begriff in Bezug auf

Architektur aufspannt, wesentlich facettenreicher und substanzieller, als das auf seiner

glänzenden Oberfläche erscheinen mag. Denn es geht auch um die permanente Suche des

Menschen nach mehr Komfort und Lebensqualität – und diese ist weder moralisch fragwür-

dig noch verwerflich.

« Alle Bauwerke, die wir als architektonisch wertvoll erachten oder herausragend finden,

waren zur Zeit ihrer Erbauung Luxus », bemerkte Christoph Gantenbein bei der Vorbereitung

dieser Ausgabe und strich damit heraus, dass ohne das Bedürfnis und die Suche nach Luxus

kaum architektonischer Mehrwert entstanden wäre. Aus diesem Blickwinkel könnte dieses

Streben sogar als wesentliche Triebkraft für architektonische Entwicklung gelesen werden.

Dass es dennoch schwierig, aber auch offensichtlich notwendig ist, über Luxus in der

Architektur zu diskutieren, zeigte in den letzten Wochen die hitzige Diskussion um den von

Morphosis entworfenen schlanken Turm mit Eigentumswohnungen für Vals. Vordergründig

wurde darüber debattiert, wie sinnvoll oder passend diese Typologie in einem Alpendorf ist

und wie öffentlich zugänglich ein solches Projekt wäre. Fast die gesamte Schar der Kritiker

reihte sich zur gemeinsamen Front und blies zur Attacke gegen das ortsfremde Luxus-

Projekt. Aber mit der Logik ihrer Argumentation müsste die selbe Gruppe seit Jahrzehnten

auch gegen andere UFO-artig gelandete Typologien in den Alpen wie das städtische Barock-

palais oder die aufgeblähten Pseudo-Chalets wettern. Auch sie sind – wie die glitzernde

Dubaiesque Nadel für Vals – geschlossene Parallelwelten. Das legt offen, dass ( in der

Schweiz ) zwischen akzeptiertem ‹diskreten › und abzulehnendem ‹obszönen › Luxus in

der Architektur eine scharfe Trennlinie gezogen wird. Erlaubt ist nur, was nicht zu stark

auffällt.

Wir haben versucht, trotz der hohen sommerlichen Temperaturen und dem emotional

aufgeladenen Thema einen kühlen Kopf zu bewahren und einen vielfältigen theoretischen

Diskurs rund um das Thema Luxus aufzuspannen. Denn am Begriff lässt sich ein prägnanter

gesamtgesellschaftlicher Wertewandel aufzeigen. Während Luxus im Nahen Osten oder

Asien mitunter frivole Urstände feiert, verlieren Prestigeobjekte wie Villen, Fahrzeuge und

andere Statussymbole in der westlichen Welt immer mehr an Bedeutung, weil diese sich

demografisch und mental in Richtung Seniorität gewandelt hat. Erlebnisse und Erfahrungen

stehen im Fokus; das Materielle wird unwichtiger und die Frage nach dem Sinn rückt ins

Zentrum – mit weitreichenden Folgen für die Architektur. In der Schweiz kreist der Diskurs

schon länger um Werthaltigkeit und räumlichen Mehrwert.

Aber vor allem wenn es um Urbanität geht, ist weniger nicht unbedingt mehr. War die

mittelalterliche Stadt noch sozial gemischt und waren damit auch die üppigen Fassaden der

Bürgerhäuser und die umliegenden Plätze für alle erleb- und benutzbar, zieht sich die Ober-

schicht aktuell vermehrt in gated communities zurück. Die Qualität von öffentlichem Raum

wird damit ausgedünnt, fragmentiert oder mitunter sogar zerstört. Luxus – das machen die

Diskursstränge dieser Ausgabe deutlich – ist der Luzifer der Architektur. Er mag zu egoisti-

schen Exzessen verführen, aber er kann auch Lichtbringer sein und als produktiver Impuls

für die Architektur und den öffentlichen Raum in Erscheinung treten. Insofern gilt es, das

Biest an den Hörnern zu packen und vor den richtigen Karren zu spannen.

Die Redaktion

2015 wurde die Fondazione Prada von OMA in Mai-land eröffnet. Auf dem Gelände einer alten Brauerei wurde eines der Gebäude in Blatt-gold gehüllt. Ein Turm wird dem Goldstück ab 2016 Gesellschaft leisten. ( Foto: Bas Princen © OMA )

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4 archithese 4.2015

Der Herbst wird scharf.archithese 5.2015 erscheint in bekannter Präzisionund mit geschärftem Layout

archithese_ankuendigung_auf-4.2015.indd 2 16.07.15 13:21

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K L I N K E R K R E AT I O N

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12 archithese 4.2015

DER NÄCHSTE LUXUS Weniger ist mehr Das Verständnis von Luxus orientiert sich immer weniger an Gütern, als vielmehr an Gutem.

Erfahrungen, Wissen und Herausforderungen werden die bisherigen Mottos von schneller, grösser und teurer ersetzen.

Der kommende Luxus sieht anders aus und verändert unsere Gesellschaft.

Autorin: Martina Kühne

Was meinen wir eigentlich heute, wenn wir von Luxus spre-

chen? Für den einen ist es das Fünfsternehotel, der Nächste

versteht darunter eine Tasse sortenreinen Kaffee, und für

den Dritten bedeutet Luxus schlicht, einen Nachmittag lang

nichtstuend im Liegestuhl zu verbringen.

Das ist an sich nichts Neues. Was als Luxus gilt, war

schon immer abhängig vom Zeitgeist wie auch davon, wie

rar oder schwierig zu beschaffen ein Gut war. Pfeffer, Zucker,

Lachs, später dann Kühlschränke, Autos, Flugreisen, Mobil-

telefone – alles war einmal kostbar und teuer, hat sich inzwi-

schen aber von der Ausnahmeerscheinung zum Allgemein-

gut gewandelt. Es liegt auf der Hand, dass Luxus morgen

wieder etwas anderes sein wird. Aber was?

Vier Phasen des Luxus

Um sich in der vielfältigen Luxuswelt überhaupt orientieren

zu können, um die unterschiedlichen Erscheinungsformen

von Luxus zusammenzubringen und den Wandel im Luxus-

konsum besser einzuordnen, greifen wir auf ein idealtypi-

sches Modell zurück. Es orientiert sich an den unterschied-

lichen Lebensphasen des Menschen und überträgt diese

metaphorisch auf die Welt des Luxus. Wichtig für das Ver-

ständnis des Modells ist, dass der beschriebene Reifepro-

zess einerseits die Veränderung des Luxusbegriffs in indi-

viduellen Biografien darstellt, andererseits aber auch die

Entwicklung des Luxusverständnisses gesamter Gesell-

schaften zeigt. Dabei lassen sich folgende Phasen des Lu-

xus unterscheiden:

Die infantile Phase

Die erste Phase in der Luxusentwicklung ist geprägt durch

einen Konsumhunger, der mit dem vorhandenen Angebot

befriedigt wird. Sinnbildlich gesprochen nimmt das Kind –

beziehungsweise der neureiche Konsument – alles an, wo-

mit es ‹gefüttert › wird und was seine Augen zum Leuchten

bringt. Das vorherrschende Prinzip lautet ‹Mehr ist mehr ›.

Zu beobachten ist dieses von Kinderträumen geprägte Kon-

sumverhalten in jungen, aufstrebenden Luxusmärkten. Hier

herrscht Nachholbedarf und der Wunsch nach Aufstieg.

Gleichzeitig gibt es ein Wissensdefizit, wie und für welchen

Lebensstil der neu erworbene Reichtum einzusetzen ist.

Die Adoleszenzphase

Diese zweite Phase der Luxusentwicklung setzt Solvenz vo-

raus, wird aber dominiert von einem verstärkten Wettbe-

werbsdruck (Peer-Pressure ). Der Traum vom (weiteren) so-

zialen Aufstieg weicht zunehmend der Angst vor dem sozia-

len Abstieg. Nun wird das ‹Mehr› zum ‹Muss›. Güter mit

Signalwirkung gewinnen an Bedeutung: Wichtig wird bei-

spielsweise, wie und wo man wohnt, wie gross das Auto

und das Zweitauto sind oder welche Schule die Kinder besu-

chen. Die Sorge darum, mithalten zu können – vor allem im

Vergleich mit den Nachbarn beziehungsweise den sozialen

Peers ( keeping up with the Joneses ) –, treibt insbesondere

in den Vereinigten Staaten eine breite Mittelschicht um.

Die Maturitätsphase

In dieser dritten Phase setzt die Luxusmüdigkeit ein. Sie ist

geprägt vom abnehmenden Grenznutzen des Materiellen –

der Erkenntnis also, dass das Glücksgefühl beim Erwerb

eines Produkts abnimmt, je öfter und hindernisloser dieser

möglich ist. Oder kurz: ‹ Mehr ist ( immer ) weniger. › Folglich

Page 7: archithese 4.15 – Luxus

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verschiebt sich der Luxuskonsum von der Produkt- auf die

Erlebnisebene, denn Erlebnisse lassen sich unendlich stei-

gern: vom einfachen Restaurantbesuch über das luxuriöse

Wellnesswochenende bis hin zur ultimativen Abenteuer-

reise.

Dass Luxus auch immer Grenzüberschreitung bedeutet,

zeigt sich wohl nirgends deutlicher als in der Erlebnisindus-

trie. Wird die Weltreise im Privatjet zum Standard, braucht

es neue, grössere und exklusivere Ideen. Visionäre Milliar-

däre wie Richard Branson oder Elon Musk haben solche be-

reits. Branson versprach mit seinem Virgin Galactic – einem

Nachfolgemodell des SpaceShipOne von 2004 – ab dem Jahr

2015 kommerzielle Reisen ins Weltall. Nach eigenen Anga-

ben kann er für die rund 200 000 US-Dollar teuren Flüge be-

reits über 500 Buchungen vorweisen. Musk will ihm mit sei-

nem Shuttleprogramm Space X folgen.

Die Mehrheit der Bürger der gesättigten Wohlstandsge-

sellschaften befindet sich heute in der Maturitätsphase des

Luxuserlebens. Das klingt zwar einerseits nach einer Art

‹ Ende der Geschichte des Luxus ›, denn wer mit allem ver-

sorgt ist, sehnt sich nach nichts mehr, doch es deutet sich

trotzdem bereits eine neue Phase an. Was kommt also als

Nächstes?

Die Senioritätsphase

Denken wir das idealtypische Modell der Lebensphasen

weiter, befinden wir uns nun an der Schwelle zur Seniori-

tätsphase. Dieser Begriff passt zur demografischen Ent-

wicklung: Unsere Gesellschaft wird unausweichlich älter –

und das ist für den Luxus zentral. Umso mehr, als die Baby-

boomer – die wichtigste Zielgruppe – in den kommenden

Jahren das Pensionsalter erreichen. So werden sie endlich

Zeit zur Verfügung haben, die genussvoll gestaltet werden

kann ( Zeit, die gut informiert genutzt wird, ist der grösste

Luxus der Senioritätsphase ) – und sinnvoll, denn im Be-

wusstsein der eigenen Endlichkeit wird mit zunehmendem

Alter automatisch die Sinnfrage zentral.

Zudem passt der Begriff, weil als ‹ Senioren › im übertra-

genen Sinne des Modells natürlich auch diejenigen gelten,

welche die Erfahrung der vorhergehenden Stufen in ihrer

individuellen Biografie sozusagen im Schnelldurchgang voll-

zogen haben. Für sie – vor allem für die Millennials – gilt: Sie

sind mit einem stärkeren Bewusstsein für Nachhaltigkeit

aufgewachsen, aber auch mit neuen Technologien. Sie brau-

chen kein eigenes Auto mehr, um ihren sozialen Status zu

demonstrieren, dafür aber ein Smartphone, das ihnen Zu-

gang zur vernetzten Welt verschafft – und für ihre Zu-

kunftstauglichkeit steht.

Zugespitzt lässt sich sagen: In der Maturitätsphase weiss

man, wohin man will, und in der Senioritätsphase kennt man

auch den Weg dorthin. ‹ Weniger ist mehr › lässt sich als

neues Leitmotiv verstehen. ‹ Weniger › beschreibt zum einen

eine Abkehr vom alten materiellen Luxus. Die Innenschau

wird in der neuen Phase wichtiger als die Zurschaustellung

des Luxus und das Statusbild nach aussen, oder genauer: Es

geht nicht mehr ums Gesehenwerden, sondern ums Sehen.

Zum anderen ist damit die Fähigkeit gemeint, aus dem Not-

wendigen den maximalen Genuss zu ziehen. Genauer: die

Fähigkeit, das Reduzierte und Essenzielle leben, aber auch

lesen zu können – und zu decodieren.

Die Senioritätsphase ist vom Wunsch nach Veränderung

geprägt. Man will sich nicht gespiegelt finden, sondern sich

erweitern. Kurz: Man will sich nicht in den Dingen finden,

sondern mittels der Dinge über sich selbst hinauswachsen.

Die Luxuserfahrung soll eine Herausforderung sein. Der Be-

zug auf andere ist dabei keine Referenzgrösse mehr; die

Frage, wie die anderen das, was man tut und konsumiert,

bewerten, verliert an Gewicht.

Page 8: archithese 4.15 – Luxus

26 archithese 4.2015

AUF DER SUCHE NACH NICHT- REFERENZIELLER ARCHITEKTURValerio Olgiati im Gespräch mit Jørg Himmelreich und Andrea Wiegelmann Wie kann Architektur

das unmittelbare Empfinden von Raum ermöglichen? Indem sie sich von Referenzen befreit und Neues schafft

und so intuitive Erfahrung ermöglicht, erläutert Valerio Olgiati.

Andrea Wiegelmann: Im letzten Jahr hast du dir mit dei-

ner Frau Tamara mit der Villa Além in Portugal ein Refu-

gium geschaffen. Das Haus ist eigentlich ein von Beton-

wänden umgebener Garten in einer Korkeichenlandschaft,

abseits jeglicher Infrastruktur. Ein luxuriöses Bauwerk in

dem Sinne, dass dieser einsame Ort euch den kompletten

Rückzug aus dem Alltag ermöglicht. Warum hast du das

Haus ‹Além › genannt ?

Valerio Olgiati: Irgendwann bekam ich eine Postkarte

von Eduardo Souto de Moura. Er schrieb: « How is your house

in além Tejo ?» Ich habe meine portugiesische Mitarbeiterin

gefragt, was er damit meint. Sie begann zu lachen und er-

klärte mir, dass es ironisch gemeint sei, denn in Portugal

nennt man die Region Alentejo scherzhaft auch além Tejo –

also ‹ hinter dem Fluss Tejo ›. Damit bezeichnet man eine

Provinz, die abseits liegt und wo niemand sein möchte. Wör-

ter, die mit Al- anfangen, sind oft arabischen oder islami-

schen Ursprungs. Die iberische Halbinsel war ja mehrere

Jahrhunderte lang grossteils unter maurischer Herrschaft.

Je weiter man in den Süden Portugals kommt, desto mehr

Ortsnamen beginnen mit dieser Silbe. Das hat mir und mei-

ner Frau Tamara sehr gut gefallen – dieses ‹ Jenseits ›. Wenn

Besucher kommen, sind sie überrascht, wie weit weg von

allem das Haus liegt. Für uns war genau das der Grund, wa-

rum wir das Grundstück ausgewählt haben.

Jørg Himmelreich: Bedeutet além im Portugiesischen

auch ‹ Jenseits › im Sinne von ‹ nach dem Leben › – und ist

damit eine Metapher für das Paradies ?

Streng genommen ist es eine räumliche, keine spirituelle

Beschreibung, aber natürlich drückt das Haus durch seine

Lage auch einen Geisteszustand aus. Sowohl die Architek-

tur als auch die Wahl eines solch abgeschiedenen Ortes ist

neu. Im Prinzip kennen wir bisher drei Arten des Wohnens:

das urban living in der Stadt, das suburban living in Einfami-

lienhäusern mit ein bisschen Grün drumherum in Dörfern

oder suburbanen Gebieten, und dann gibt es noch das coun-

try living, das vor allem in England zu finden ist – damit sind

Häuser mit Pferdestall, Billard- oder Konzerträumen

gemeint, die wie Gutshöfe aussehen. Zwar sind sie weit von-

einander entfernt, aber Läden, Restaurants oder Kirche sind

immer in Fahr-, respektive Reitdistanz. In Portugal sind wir

noch viel weiter entfernt von allem; geradezu entkoppelt. Ich

würde das landscape living nennen.

AW Die Infrastruktur bricht auf dem Weg zum Haus ein-

fach ab.

Ja, das kann man so sagen. Wir haben das Grundstück

zwar so gewählt, dass wir nur eine Autostunde vom Flugha-

fen Lissabon entfernt sind. Für das nächste Restaurant und

den nächsten Laden aber müssen wir 20 Minuten mit dem

Auto fahren – vorwiegend über staubige Kiesstrassen. Es ist

ein wahnsinniger Luxus, so weitab in der schönsten Land-

schaft leben zu können; das gibt es zumindest im warmen

Europa sonst nirgends und ist künftig auch in Portugal nicht

mehr möglich. Mittlerweile gibt es Gesetze, die es unmög-

lich machen, so weit draussen zu bauen. Das geht nur noch,

wenn man eine Ruine ersetzt oder nachweist, dass man

Bauer ist.

JH Im arabischen Raum gibt es ja eine tradierte Art, wie

ein Garten angelegt wird – mit zwei Wasserrinnen, die ihn

in Viertel teilen und mit denen er bewässert wird. Der Gar-

ten ist dort immer auch eine Metapher für das Paradies.

Die Villa Além, die vor allem aus einem ummauerten Gar-

ten mit einem länglichen Pool besteht, erinnert mich stark

daran.

Der islamische Paradiesgarten ist für mich die wohl

schönste Vorstellung eines Gartens. Damit und mit der Er-

fahrung des strengen Flimser Klimas ist die Sehnsucht nach

einem solchen Garten entstanden. Daher auch die alles

bestimmende Idee, in der Trockenheit und Wärme des Alen-

tejo einen Garten anzulegen. Das Haus, das eigentliche Ge-

bäude als Schutz, war erst einmal zweitrangig. Bei Além

erlebst du vor allem den Garten; das eigentliche Wohn-

haus ist versteckt. Im Zentrum sollte es Wasser geben. Das

Page 9: archithese 4.15 – Luxus

27

Valerio Olgiati, Villa Além, Portugal 2014 ( Fotos: Valerio Olgiati )

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48 archithese 4.2015

Die Collagen übersetzen die räumliche Organisation von Luxus in drei historischen Phasen in drei diagrammatische Bilderwelten. ( Collagen: Isa Fahrenholz )

TANZ, LUXUS, TANZ! Luxus und sein Publikum Zwischen dem Besitzer von Luxusgütern – seien es Kleidung, Fahrzeuge

oder Architektur – und dem, der sie betrachtet, besteht ein zwingender Zusammenhang. Luxus wird ausgestellt,

und der Schauende bestätigt dessen Bedeutung. Die Definition von Luxus, die Zuordnung zu bestimmten

Gütern und die räumliche Organisation der Präsentation mag sich im Verlauf der Geschichte kontinuierlich verändert

haben, doch stets wurde Luxus räumlich organisiert, um ihn präsentieren zu können. Daher liegt ein Vergleich

mit dem Theater nahe, auch wenn sich die Hierarchien von Zuschauerraum, Bühne, Kulisse und dienenden Räumen

permanent verschoben haben und im digitalen Zeitalter mitunter sogar auf den Kopf gestellt wurden.

Autorin: Isa Fahrenholz

Das Phänomen Luxus in Architektur und Städtebau soll hier

mit Fokus auf das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privat-

heit betrachtet werden. Es wurden drei historische Phasen

ausgewählt, die in dieser Hinsicht bedeutend und prägnant

sind und anhand derer sich die räumliche Organisation der

Repräsentation gut nachzeichnen lässt. Im Barock etwa in-

szenierten die europäischen Fürsten ihren gesamten Tages-

ablauf öffentlich in Form prunkvoller Zeremonien im Schloss –

als Zentrum einer politisch motivierten Inszenierung von

Luxus. Das Bürgertum hingegen verschob Ort und Modus

der Darstellung von Luxus auf zwei Ebenen: Zum einen kam

zur inszenierten öffentlichen Präsentation der bürgerlichen

Kultur im Erdgeschoss der Villen eine nicht einsehbare Pri-

vatsphäre in den Obergeschossen hinzu. Zugleich erweiterte

die Bourgeoisie den Präsentationsraum ihres Wohlstands

auf die gesamte Stadt und setzte die Schaffung von Boule-

vards, Galerien und Parkanlagen durch. Diese bürgerlichen

Konzepte der Repräsentation von Luxus wirken bis heute

wesentlich nach, doch spätestens mit dem Web 2.0 verwi-

schen die Grenzen der bisher geordneten räumlichen Sphä-

ren von Repräsentation und Privatheit.

Die totale höfische Inszenierung

Öffnete der absolutistische ‹ Sonnenkönig › Ludwig XIV. mor-

gens seine Augen, so waren Hunderte Augenpaare auf ihn

gerichtet: Die Höflinge drängten sich um sein Paradebett

und beobachteten jeden Morgen aufs Neue, wie er die Beine

aus dem Bett schwang. Das tägliche Aufstehritual – lever

genannt – war einer der wichtigsten Anlässe, um sich am

französischen Hof zu zeigen und um die Gunst der Königs zu

buhlen. Je bedeutender ein Höfling war, desto wichtigere

Aufgaben standen ihm zu – vom Reichen des Taschentuchs

bis hin zum Bereithalten des Hemds.

Der König holte also die Öffentlichkeit ins Schloss und

präsentierte seine pompös inszenierte ‹ Wohnung ›. Damit

instrumentalisierte er seine Intimität geschickt als Macht-

symbol. Das ganze war aber für andere weniger lustvoller

Spass als protokollarischer Zwang. Eine wichtige Zeitzeugin

ist in dieser Hinsicht Liselotte von der Pfalz [ 1652 – 1722 ]. Im

Alter von 19 Jahren wurde sie mit dem Bruder Ludwig XIV.

verheiratet und lebte 50 Jahre am französischen Hof von Ver-

sailles. Das höfische Leben schilderte sie ihren Verwandten

in der Heimat in etlichen Briefen und gibt uns so einen um-

fassenden Einblick in das – mehr oder weniger – glanzvolle

Leben bei Hof. Am 19. Februar 1682 schrieb sie etwa:

« [ … ] es ist nicht alles Gold was glänzt, und, was man auch

von der französischen Liberalität prahlen mag, so seind die

divertissements so gezwungen und voller contrainte, dass

es nicht auszusprechen ist. » 1

Wer sich über längere Zeit morgens nicht im Schlafzimmer

des Königs zeigte, fiel negativ auf und konnte sogar des Ho-

fes verwiesen werden. Im Versailles des 17. / 18. Jahrhun-

derts hob der Sonnenkönig beinahe jegliche Privatsphäre

zugunsten eines allumfassenden Personenkults auf. Er war

permanent den Blicken aller ausgesetzt und das Schloss war

für jeden frei zugänglich. Nur einige Räume galten tatsäch-

lich noch in dem Sinne als privat, als sie lediglich für wenige

Ausgewählte zugänglich waren. Die intimsten Tätigkeiten

fanden in aller Öffentlichkeit statt, sodass Liselotte von der

Pfalz an die Kurfürstin von Hannover schrieb: « Item sieht

uns jeder scheissen; es kommen Männer, Frauen, Mädchen,

Knaben, Priester, Schweizer vorbei. Sie sehen daran, dass

kein Vergnügen ohne Verdruss ist und dass ich in Fontaine-

bleau dann, wenn man gar nicht scheissen müsste, wie ein

Fisch im Wasser leben würde. » 2

Mit der den gesamten Alltag durchdringenden öffentli-

chen Inszenierung des Tagesablaufs scharte der König den

Adel um sich. Von ihm selbst in der Menge platzierte Spitzel

hatten es leicht, an brisante Informationen zu gelangen und

so mögliche Oppositionen im Keim zu ersticken. So berichtet

Liselotte in einem Brief vom 11. September 1686 über die Tak-

tiken des Königs: « [ … ] überall Spionen zu haben, so alle

menschen falsch antragen, seines brudern favoriten zu flat-

tieren und in general alle menschen zu plagen. » 3

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Page 12: archithese 4.15 – Luxus

62 archithese 4.2015

JENSEITS DES LUXUS Private Investoren und Kulturgüter Das Mäzenatentum ist ein grundlegender Pfeiler

unserer Kulturlandschaft. In gewissen Fällen ist es jedoch notwendig, den Einfluss der Investoren

auf unsere Gesellschaft ganau zu untersuchen. Wenn Donationen dazu genutzt werden,

kulturelle und politische Prozesse im eigenen Interesse zu beeinflussen, dann legt sich ein Schatten

über das Förderwesen. Ob dies auf Jonathan Ruffer zutrifft – ein Hedgefonds-Manager, der mit

seinem Kapital die englische Kulturlandschaft restrukturiert – bleibt abzuwarten.

Autor: Christian Welzbacher

Als der frühere deutsche ‹ Topmanager › Thomas Middelhoff

im Oktober 2014 vor Gericht stand, lenkte die Berichterstat-

tung die Aufmerksamkeit auf die Armbanduhr des Delin-

quenten. Es handelte sich um ein nobles Schweizer Fabrikat,

Präzisionsmechanik, hochwertige Verarbeitung, Edelme-

tall  – bei Weitem kein blosses Chronometer also, sondern

eines jener symbolträchtigen Accessoires, die gemeinhin

als Inbegriff von Reichtum und Luxus gelten. Dass Middel-

hoff das gute Stück beim Betreten des Gerichtssaals vom

Handgelenk weggepfändet wurde, quittierte die Presse mit

der Häme derer, die sich so etwas nicht leisten können.

Dabei ist die Uhr von Thomas Middelhoff nur eines von

zahlreichen Repräsentationsmitteln von Macht, die in der

abendländischen Ikonografie vielerlei Gestalt annehmen

können. Man denke an die Bildnisse der italienischen

Renaissance: Neben den Porträtierten erscheinen Objekte

ihrer privaten Kunstsammlungen, sie selbst sind in edle

Stoffe gehüllt, im Hintergrund blitzen ihre Besitztümer in

Form von Bauwerken oder gestalteten Landschaften auf.

Dies alles versinnbildlicht wirtschaftliche oder politische

Potenz, und auch heute noch versteht der Betrachter dieser

Bilder das genau in diesem Sinne. So können die weltweit

verbreiteten Statussymbole der heutigen Mittelklasse – Auto,

Haus, Urlaub – auch als Fortführung der langen, erst im Adel,

dann im Grossbürgertum eingeübten Praktiken der Zur-

schaustellung gelesen werden. Dazu gehört komplementär

fast zwingend der Neid. Schamlos zur Schau gestellter Luxus

wirkt schnell unmoralisch. Dies alles bedient die Presse,

wenn sie sich auf Middelhoffs Uhr stürzt oder an anderer

Stelle breittritt, Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn habe

beim ersten Restaurantbesuch nach der Entlassung aus sei-

ner New Yorker Untersuchungshaft Mitte 2011 ein Steak für

den fantastischen Preis von 200 Dollar verspeist.

Doch an dieser Stelle soll es nicht um solche Oberfläch-

lichkeiten gehen, sondern um Vorgänge auf einer Ebene, auf

der Luxus nicht tändischer Glamour einer Instant-Play-

boy-Plastikwelt ist: der Ebene der Macht. Wenn es stimmt,

dass achtzig Personen auf dieser Erde heutzutage genauso

viel besitzen wie etwa vier Milliarden Menschen aus den un-

teren und untersten Schichten zusammen, so stellt sich die

Frage, was die wirklich Reichen mit ihrem Geld eigentlich

machen. Natürlich lässt sich mutmassen, dass sie investie-

ren – möglichst gewinnbringend auf der ganzen Welt, in Fi-

nanzprodukte, Unternehmen und Unternehmensbeteiligun-

gen, in Stiftungen, mit denen sie sich aktiv in politische,

gesellschaftliche und wirtschaftliche Debatten einbringen

oder, wie ehedem, in Sachwerte, darunter Kunstsammlun-

gen oder Real Estate, das sprichwörtliche oder tatsächliche

Schloss.

Schutz eines Kulturguts oder

strategisches Investment ?

Das Auckland Castle im Norden Englands ist ein solches

Schloss. Es war seit seinem Bau im späten 12. Jahrhundert

fast tausend Jahre lang Residenz der einflussreichen Bi-

schöfe von Durham. Seit Ende 2014 gehört es einem Mann

namens Jonathan Ruffer – möglicherweise einer jener 80

reichsten Erdenbewohner, sicher aber jemand mit Geld und

Einfluss in atemberaubender Fülle. Sein Vermögen, so die

englische Presse, sei grösser als das der Queen. Der 1951

geborene Ruffer machte nach einem Studium in Cambridge

seit den 1980er Jahren Karriere als Finanzinvestor. In den

1990ern gründete er seine eigene Firma und mehrte als

Hedgefonds-Manager kontinuierlich das eigene Kapital und

das seiner Klienten. Folgt man der Berichterstattung, so

strukturierte der hellsichtige Ruffer sein Portfolio bereits vor

Page 13: archithese 4.15 – Luxus

63

etwas zurückgeben. Ruffer hat sich die Pflege des kulturel-

len Erbes ( heritage ) auf die Fahnen geschrieben. Er tritt für

Traditionspflege ein und propagiert den Erhalt historischer

Gebäude, um die sich die öffentliche Hand im Zuge fortge-

schrittener Privatisierung nicht mehr kümmern kann. In Ar-

tikeln und Interviews bekräftigt Ruffer seine Mission.1 Die

Presse, die seine Strategie nicht allzu gründlich hinterfragt,

verlieh ihm das Attribut ‹ Philanthrop ›,2 das seither an ihm

klebt und gebetsmühlenartig wiederholt wird, wann immer

sein Name fällt. Von Verantwortung ist dann die Rede, von

Moral, vom Leitbild der Religion, auf die sich der Hedge-

fonds-Manager bei seinen Handlungen beruft. Und genau

das passt gut zum Auckland Castle.

1 Das Besucher- zentrum des im Nordosten Englands gelege-nen Auckland Castle von Niall McLaughlin Architects wird die Besucher mit einem 29 Meter hohen Aussichtsturm begrüssen. Es soll im August 2016 eröffnet werden.( Visualisierungen 1, 3: Níall McLaug-hin Architects )

1

Beginn der Subprime-Krise ( in Finanzderivate gebündelte

unterfinanzierte Hypothekenkredite amerikanischer Haus-

käufer ) um und nutzte den späteren Zusammenbruch der

Märkte konsequent zur Steigerung des Anlagevermögens.

Im Vergleich zu ähnlich umtriebigen und mächtigen Ma-

nagern fällt das Urteil der Presse in Bezug auf Ruffer zurück-

haltend aus. Er wird weder als Guru in die Nähe von Warren

Buffet gestellt, dem angeblichen Zampano des Neoliberalis-

mus, noch gilt er als gewissenloser Technokrat wie etwa

Goldman-Sachs-CEO Lloyd Blankfein. Weder bewundert

noch verachtet inszeniert sich Ruffer in der Öffentlichkeit als

Mann des Volkes. Wo er auftritt, menschelt es ungemein. In

seinem Umfeld attestiert man ihm, er wolle der Gesellschaft

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68 archithese 4.2015

KULTURELLE NACH- HALTIGKEIT IN ARCHITEKTUR UND GESELLSCHAFTQuintus Miller im Gespräch mit Daniela Meyer und Andrea Wiegelmann Ist es Luxus,

sich als Bauherr und Architekt für kulturelle Werte einzusetzen und gesellschaftliche Verantwor-

tung zu übernehmen, oder vielmehr eine Notwendigkeit ? Quintus Miller argumentiert im

Gespräch mit archithese für Letzteres, weil nur so beide Seiten und die Gesellschaft allgemein

profitieren. In der Architektur muss Luxus also nicht zwingend sichtbar sein. Denn in Baukultur

zu investieren, heisst vor allem einen sorgfältigen Planungsprozess zu ermöglichen.

Andrea Wiegelmann: In der Geschichte haben – so eine

These – immer wieder Bauten, die in ihrer Zeit als Luxus

galten, die Architektur massgeblich weitergebracht. Als

Beispiel sei das Pantheon mit seiner gewaltigen Beton-

kuppel genannt – eine bautechnische Innovation, ohne die

andere derart weitspannende Kuppelbauten nicht denkbar

gewesen wären. Ist es tatsächlich so, dass es luxuriöse

Bauten braucht, um neue Innovationen hervorzubringen,

und wenn ja, in welchen Bereichen gibt es so etwas noch ?

Oder fehlen uns diese Leuchttürme heute gänzlich ?

1

Quintus Miller: Das Bauen in dieser Dimension und Be-

deutung war historisch stets der Macht vorbehalten. Zumin-

dest auf Beispiele wie das Pantheon oder den Petersdom

trifft das zu. Ich glaube aber, dass Macht sich heute weniger

in der baukünstlerischen Innovation manifestiert als mittels

formalem Anspruch. Deine These lässt sich also nicht direkt

auf die heutige Zeit übertragen. Innovation ist dann gefragt,

wenn die Anforderungen mit den vorhandenen Mitteln nicht

mehr erfüllt werden können. Sie entsteht auf verschiedenen

Ebenen – ist das beispielsweise auf Seite der Planung der

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1 Bei der Renova-tion des aus dem Jahr 1237 stammen- den St. Gotthard Hospiz haben Miller & Maranta ver-schiedene über die Jahre getätigte Eingriffe unter einem Dach aus Blei zu einer baulichen Einheit zusammen-geführt. ( Fotos: Ruedi Walti )

Fall, bedeutet das noch nicht, dass es sich dabei um ein kost-

spieliges oder aufwendiges Bauwerk handeln muss. Es be-

darf aber zusätzlicher Mittel, denn innovativ zu sein ist im-

mer mit Arbeit verbunden, und das kostet Geld. Es ist ein

Trugschluss, dass gute Architektur keinen Mehraufwand

braucht: Wer einen besseren Grundriss entwickeln will,

muss doppelt oder dreimal so viel arbeiten.

AW Geschieht das unabhängig vom Budget, das zur Verfü-

gung steht ?

Grösstenteils ja. Und deshalb glaube ich, dass dieser

Schluss, den du aus der Geschichte ziehst, so nicht stehen

kann. Architektur kommt heute nicht nur bei den sogenann-

ten Luxusbauten zum Tragen. Der gemeinnützige Woh-

nungsbau des frühen 20. Jahrhunderts beispielsweise ent-

stand aus einer sozialen und politischen Notwendigkeit und

ist eine wichtige architektonische Aufgabe. Hier gelingt es

auch mit knappem Budget, eine hervorragende Lösung zu