archithese 1.13 - swiss performance 13

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archithese Herzog & de Meuron Parrish Art Museum, Water Mill, NY Boltshauser Architekten Schulpavillon Allenmoos II, Zürich Peter Märkli Synthes Headquarters, Solothurn EMI Architekten Wohnhaus Avellana, Zürich Loeliger Strub Wohnhäuser Winkelriedstrasse, Zürich Sergison Bates Wohnüberbauung und Krippe, Genf Miller & Maranta Patumbah Park, Zürich Valerio Olgiati Wohnüberbauung ZugSchleife, Zug Gigon/Guyer Löwenbräu-Areal, Zürich Patrick Thurston Bärenwaldhaus Tierpark Dählhölzli, Bern idA Gewächshaus Botanischer Garten, Grüningen Herzog & de Meuron The Tanks, Tate Modern, London Gramazio & Kohler Flight Assembled Architecture Bureau A Bab Al Bahrain Pavilion, Manama Barão-Hutter.Atelier Arkadia Südmodul, Kanton St. Gallen Nickisch Walder Hütte und Ferienwohnung, Flims 11 Kurzkritiken zur Longlist der Redaktion Umbau und Denkmalpflege in Zürich Schweizer Architekturbücher 1.2013 Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur International thematic review for architecture Swiss Performance 13

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architheseHerzog & de Meuron Parrish Art Museum, Water Mill, NY

Boltshauser Architekten Schulpavillon Allenmoos II, Zürich

Peter Märkli Synthes Headquarters, Solothurn

EMI Architekten Wohnhaus Avellana, Zürich

Loeliger Strub Wohnhäuser Winkelriedstrasse, Zürich

Sergison Bates Wohnüberbauung und Krippe, Genf

Miller & Maranta Patumbah Park, Zürich

Valerio Olgiati Wohnüberbauung ZugSchleife, Zug

Gigon/Guyer Löwenbräu-Areal, Zürich

Patrick Thurston Bärenwaldhaus Tierpark Dählhölzli, Bern

idA Gewächshaus Botanischer Garten, Grüningen

Herzog & de Meuron The Tanks, Tate Modern, London

Gramazio & Kohler Flight Assembled Architecture

Bureau A Bab Al Bahrain Pavilion, Manama

Barão-Hutter.Atelier Arkadia Südmodul, Kanton St. Gallen

Nickisch Walder Hütte und Ferienwohnung, Flims

11 Kurzkritiken zur Longlist der Redaktion

Umbau und Denkmalpflege in Zürich

Schweizer Architekturbücher

1.2013

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

International thematic review for architecture

Swiss Performance 13

Page 2: archithese 1.13 - Swiss Performance 13

E D I T O R I A L

Swiss Performance 13

Sollte die Zusammenstellung der vorgestellten Projekte bei Ihnen als Leserin oder

Leser keine Zustimmung finden, so könnte man als Redaktion Zuflucht im Aber-

glauben suchen. Tatsächlich war 2012 für die alljährliche Zusammenfassung zu

Beginn des Folgejahrs nicht einfach. Es fehlten die grossen Eröffnungen, das

Spektakel war erst einmal nicht zu erwarten.

Umso mehr freuen wir uns über zu beobachtende Tendenzen, welche wir im

vorliegenden Heft abzubilden versuchen. Eine junge Generation – die Anfang der

Achtziger Geborenen – tritt mit Erstlingswerken auf die Bühne und kann, wenn

auch zunächst mit kleinen Projekten, den schwerfällig gewordenen Platzhirschen

die Resultate einer unbeschwerten Direktheit im Entwerfen entgegensetzen. Er-

wähnenswert ist hierbei, dass es H&deM erneut gelang, mit zwei höchst unter-

schiedlichen Museumsprojekten ihren nationalen Sonderstatus – möglicherweise

überzeugender als 2011 – zu untermauern. Dagegen nimmt sich vieles im Inland

Fertiggestellte als gemässigt, gut, mitunter aber auch belanglos aus. Das ist we-

der für die Stadt noch für die Gesellschaft ein grosser Schaden – war manchmal,

wie im Falle des dritten Wettbewerbentscheids für das Stadion Zürich, sogar ex-

plizit gewünscht. Für eine Zeitschrift, welche sich einem in die Zukunft blicken-

den Verständnis der Architektur verpflichtet fühlt, ist das allerdings eine ausge-

sprochene Herausforderung und kann nicht unkommentiert bleiben. Folglich

vereint unsere Auswahl in diesem Jahr nicht allein Höhepunkte, sondern auch

Bauten, welche stellvertretend Entwicklungen abbilden, die es verdienen disku-

tiert zu werden. Ausserdem gesellt sich zum Hauptteil und der bekannten Rubrik

Swiss Unlimited in diesem Heft erstmals eine Projektübersicht, welche kurz und

bündig – manchmal fordernd, manchmal beschreibend, manchmal unnachgiebig

– eine weitere Auswahl an Projekten vorstellt, teils auch nur einzelne Aspekte

herausgreift oder darüber informiert, welches Bauwerk von einem bekannten Büro

fertiggestellt wurde.

Im Weiteren greift das vorliegende Heft die gesamteuropäische Tendenz zum

Bauen im Bestand auf und präsentiert erstmals fokussiert Projekte aus dem Be-

reich der Denkmalpflege. Ausserdem würdigt eine Übersicht über Schweizer Bü-

cher des vergangenen Jahres den Beitrag, den im Land ansässige Verlage zur

Architekturkultur leisteten.

Damit arbeiten wir an Formaten, die sowohl Überblick verschaffen wie auch

Kritik erlauben und kommen der Verantwortung nach, welcher wir uns als Me-

dium verpflichtet fühlen. Sollte die Kritik auf fruchtbaren Boden fallen, so hoffen

wir in Zukunft auf neue Haltungen, Ansätze und Projekte, die den Stoff für eine

Veröffentlichung bieten.

Im Überblick zum Jahr 2012 wird deutlich erkennbar, wie eine langsame Ab-

kehr von den Begriffen vonstatten geht, die einst der Schweizer Architektur zu

weltweitem Ansehen verhalfen: Konstruktion und Tektonik. Was sich damals als

Kritik an der Moderne verstand, lässt sich im Licht der neuen Tendenzen als eine

Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte des Projekts der Moderne verstehen.

Dabei sind diese Tendenzen keineswegs neu. Der Schweizer Pavillon auf der letz-

ten Architekturbiennale in Venedig etwa, kuratiert von Miroslav Šik, steht para-

digmatisch für die zeitgenössische Rekonstruktion einer romantischen Vormo-

derne, welche die konstruktive Logik und den analytischen Minimalismus dem

emotionalen Stimmungsbild unterstellt. Ein Thema, welches im Heft 4 Das 19.Jahr-

hundert – Vormoderne ist Postmoderne im grösseren Masstab untersucht wird.

Wer sich nun wider Erwarten während der Lektüre an Kritik oder Lob erhitzt,

dem sei baldige Linderung versprochen: Heft 2 behandelt mit «Age of Cool» das

Zeitalter der Coolness (siehe Vorschau auf der letzten Seite).

Die Redaktion

Allreal-Gruppe:Zürich,Basel,Bern,Cham,St.Gallenwww.allreal.chImmobilienProjektentwicklungRealisation

Kauf/Verkauf

Foto:PeterNeusser

8400 Winterthur:Hier realisiert Allreal

den Superblockwww.superblock.ch

4 archithese 1.2013

Page 4: archithese 1.13 - Swiss Performance 13

10 archithese 1.2013

DUCKS AND SHEDSHerzog & de Meuron: Parrish Art Museum, Water Mill, New York In late November 2012, the Parrish Art Museum by

Herzog & de Meuron opened in the Hamptons on Long Island, NY. Founded in 1898, it showcases the story of one of America’s

most notorious artists’ colonies – Eastern Long Island. H&deM’s third museum in the U.S. after the Walker Art and the De

Young is a no-frills design that has been lauded in the press for its simplicity, honesty and austerity – representative of how

to produce architecture in a new economic reality. Indeed, the 2008 financial collapse did directly affect both the building

design and its local stakeholders, but one will need to look further in the past to understand the roots of its architecture

and its popular appeal.

1

Text: Florian Idenburg

In 1931, Martin Maurer, a duck farmer from Flanders, Long

Island, built a twenty feet tall, thirty feet long structure in

the shape of a big duck along the local highway, not far from

the Hamptons. Maurer sold ducks and eggs from the shop in

its belly. Taillights from a Model-T Ford formed its eyes, giv-

ing them a red glow at night. As a premier example of road-

side architecture in America, Robert Venturi, Denise Scott

Brown and Steven Izenour used Maurer’s figurative con-

struct to coin the term “Duck” – and its antonym “decorated

shed” – in their 1972 book Learning from Las Vegas, arguing

that all buildings can be classified as either one or the other.

A building is a “duck” where the architectural systems of

space, structure, and program are subservient to an overall

symbolic form; it is a “the decorated shed” when systems of

space and structure are directly at the service of program,

and ornament is applied independently of them.

Venturi, Scott Brown and Izenour’s work was foundational

to the postmodern discourse in architecture. Aspects of this

approach, in practice, include attempts to unveil social and

historical strata that attach to a project’s site. Rather than

striving to elevate and improve the everyday, the postmod-

ernist strategy aims to grant a certain value to the common.

Learning from Las Vegas presented a transition from late-

modernist ‘heroic’ formalism to accessible symbolism – from

figure to image. An underlying emphasis on populism was

1 View of the 187 metre long north-facing elevation (Photos 1,3, 7–10: Iwan Baan)

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11

essential in their argument, which was already evident in a

previous Venturi text, Complexity and Contradiction in Archi-

tecture, from 1966.

In that same year another document marking the depar-

ture from architectural modernism appeared in Europe. In

The Architecture of the City, Aldo Rossi – in line with Venturi

– asserts a kind of popular urban spirit, noting the impor-

tance of collective memory of a place, or locus, and an ap-

preciation of the relationship between human behavior and

the natural environment – between psychology and ecology.

Rossi introduces the idea of a dominant type in an urban area

or region, which can be understood in two ways. On the one

hand, dominance can stem from the fact that the pertinent

typology is the most characteristic element, familiar due to

its ubiquity and pervasiveness. The second is because of its

special character, its singularity – a building with outstand-

ing quality that holds a special value over a sustained period

of time.

It is well know that Jacques Herzog and Pierre de Meuron

studied under Rossi at the ETH Zurich in the 1970’s. Interest

in typology and a belief that an appropriate design response

can come out of a specific understanding of place, topogra-

phy, surroundings and the position towards the city clearly

marks Rossi’s influence on them as their teacher. But

H&deM have appropriated his notions and evolved them. In

an interview on the company’s website, Jacques Herzog

says: “In Rossi’s case, this relationship to a place has a very

individual dimension. He [Rossi] has tried to categorize

place by means of a certain scientific approach, specifically

addressing the notion of typology.” However, H&deM ex-

panded the notion of place – they state, and began to see,

feel and incorporate different perceptions of a place. While

Rossi’s experience was formed by the landscape of Lom-

bardy “we were strongly influenced by the Swiss situation,

especially that of Basel where quite different ‘images’ exist.

In the beginning, the keyword image was a motive that we

tried to integrate rather collage-like into our architecture.”

A coming together of Venturi’s symbolism – with its empha-

sis on associative imagery – and Rossi’s ideas of locus and

type starts to emerge in this position. I believe it is within

this union that we should assess the architecture of the

Parrish Museum of Art.

The Shed is a Duck

A fifteen minutes drive from Maurer’s Big Duck brings us to

its site, a grassy field along the Montauk Highway. The build-

ing suddenly appears as a giant agricultural shed between

the vineyards, positioned at a skewed angle towards the

road. It is recognizable in form, yet its sheer size and minimal

materialization work alienating. Upon passing it towards the

parking – it is roadside architecture after all – one realizes

the building consists of two large barn-like structures joined

at their ‘hip’ as a Siamese twin. The reference to vernacular

building is clear. To be certain, the official press release

leaves no space for misinterpretation; this is a simple, func-

tional building.

2

4

3

2 One of the fundamental equations formu-lated in the 20th Century architec-ture discourse

3 Aerial view of the joined sheds floating on a grassy field

4 The Duck that ini-tiated the equation as seen in 2 (Photo from the book: Hilar Stadler and Martino Stierli (Hrsg.), Las Vegas Studio – Bilder aus dem Archiv von Robert Venturi und Denise Scott Brown, Zurich 2008)

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20 archithese 1.2013

TECTONIC CONNECTIONSPeter Märkli, Synthes Headquarters, Solothurn With a strictly regulated economy of artistic means Peter Märkli

designed a building of striking presence for the new Synthes headquarters in the outskirts of Solothurn. Its tectonic articula-

tions invite a reconsideration of the modernist tension between architecture as Baukunst and the rationalist notion of Bauen.

1

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21

Author: Irina Davidovici

The recently completed Synthes headquarters building

brings to the infrastructural no-man’s-land outside Solo-

thurn an unmistakably civic presence. Its scale, proportions

and volumetric unity provide a strong counterpoint to the

ad-hoc accumulation of offices and industrial structures. The

literal and metaphorical sense of connection with the his-

torical urban centre and natural topography has a regenera-

tive effect; and yet, the building’s strongest statement lies

in its masterful control of tectonic expression.

The metaphor of industry

In order to better understand this project it is necessary to

view it in a wider historical context. At the turn of the twen-

tieth century, industry became one of the founding meta-

phors of modern architecture. The emulation of mass produc-

tion was intended to free architecture from the surplus value

of artistic subjectivity. And yet, as architects started design-

ing factories, they found themselves unable to replicate the

pragmatism of industrial processes, precisely on account of

their ideological enthusiasm for their (historical) task. Archi-

tect-designed factories like those of Gropius were not simply

factories but icons of progress, ideological platforms for the

industrial aesthetic of Neues Bauen.

The ideal of industrial architecture expressed in the Syn-

thes headquarters is fundamentally different. The building

rejects the functional and tectonic differentiation of office

and factory areas in Gropius’s projects. In bulk and scale it

seems more indebted to their predecessor, Peter Behrens’s

AEG Turbine Hall in Berlin, with its direct connotations of

classical monumentality. Behrens’s explicit appeal to the

Greek temple motif in order to represent the power of modern

industrial production makes an interesting counterpart to

Märkli’s rather more ambiguous statement regarding the sta-

tus of industry today. As inner-city industrial plants are de-

molished or turned into museums, factories are almost with-

out exception relegated to the city limits and beyond. The

scope of industrial production has also changed. The small

and medium industries that remain in or near European city

centres mostly provide the delicate components associated

with the technological life of the post-industrial city.

This is the case with the medical technology manufac-

turer Synthes. Paradoxically, the manufacture of bone im-

plants and high-precision medical equipment recalls less

industrial production than a highly specialised type of craft

production. The location of Synthes’s Swiss headquarters

near Solothurn is indeed determined by the local availability

of precision skills. This is connected to a craft culture borne,

historically, by the regional predominance of silk-weaving

and watch-making.

The client’s vision for the headquarters was to bring un-

der one roof all stages of product design, from initial research

to the realisation of prototypes in factory conditions. Admin-

istration and manufacture, office and workshop, white-collar

and blue-collar blend together. This condition is clearly

readable in the building’s unified massing and elevational

treatment.

Peter Märkli’s project examines the status of a particular

industry that, through continuous refinement, has come to

re-approximate the status of handcraft. In the historical con-

text in which ‘Industry’ helped shape the representational

content of twentieth-century architecture, this exercise is

laden with significance. It sets out new possibilities of archi-

tectural expression by stating a paradoxical affinity with the

proto-industrial past.

Beyond context

The first impression of the Synthes headquarters is that of a

168-meter long, 22-meter high curtain, loosely drawn to de-

lineate two distinct settings. One is man-made – the indus-

trial sprawl outside Solothurn, through which the building is

approached. The other is natural, a verdant bend in the river

Aare. To this disjointed situation, the building’s formal unity

brings a corrective and unifying presence.

2

1 View cross the river (Photos 1, 6, 11–14: Caroline Palla)

2 Location plan. The historic city centre as well as the Synthes head-quarter on the river to the east is hatched in darker grey

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HOFFNUNGSSCHIMMER IN DER STEUEROASEValerio Olgiati: Wohnüberbauung ZugSchleife, Zug Konzeptionell radikale Architektur und Investorendenken vertragen

sich selten. Dass die Fokussierung auf das Essenzielle gleichwohl Möglichkeiten eröffnet, die eigenen Ansprüche nicht zu

kompromittieren, zeigt ein Wohnblock in Zug, der pragmatisch, enigmatisch und poetisch irrlichtert.

1

ale begann, ist in diesen Bereichen der Stadt wenig urbane

Qualität entstanden. Problematisch ist dabei nicht nur die

Monofunktionalität dieser Quartiere, sondern auch die Plat­

zierung der Gebäude, die – so Kees Christiaanse – «ohne

vermittelnde Übergangszonen zwischen öffentlichem, halb­

öffentlichem oder privatem Grund auf dem Rasen» stünden.2

Die einzigartige Situation, dass Zug so gut wie keine Grün­

derzeitquartiere besitzt – der pittoreske Altstadtkern also

sozusagen nahtlos an die urbanen Interventionsbereiche der

vergangenen Jahrzehnte stösst –, macht die Problematik

noch augenfälliger.

Autor: Hubertus Adam

«In den fetten Jahren hat Zug einige Chancen verpasst»,

konstatierte unlängst Hugo Sieber, der langjährige Präsident

des örtlichen Bauforums.1 In der Tat wird man nur Weniges

von dem, was sich in den letzten Dekaden in Zug ereignet

hat, als wirklich geglückt ansehen. Natürlich gibt es bemer­

kenswerte Einzelbauten, etwa die Sporthalle von Bétrix &

Consolascio oder das Hotel von EM2N; als städtebauliche

Reparatur überzeugt insbesondere die geschickt differen­

zierte Bebauung am Bundesplatz von Diener & Diener. Doch

seit vor dreissig Jahren die Transformation der Industrieare­

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«Steueroase» ist das Schlagwort, mit dem die Autoren des

Städtebaulichen Porträts der Schweiz die Region um Zug cha­

rakterisieren.3 Der niedrige Steuersatz, der die Ansiedlung

von Firmen­Dépendancen begünstigt und damit auch den

Zustrom von reicher Wohnbevölkerung nach sich zieht, führt

zu einer auseinanderklaffenden Schere zwischen den ange­

stammten Bewohnern und den reichen Neuzugern. Durch

eine «Zone für preisgünstigen Wohnungsbau» will man auf

städtischer Ebene der Kostenexplosion im Miet segment be­

gegnen,4 während der jüngste raumplanerische Bericht des

Kantons die Zunahme der Bevölkerung insgesamt drosseln

will. Die Beeinträchtigung der Landschaft, der Verlust der

Identität und der Mangel an preisgünstigem Wohnraum wer­

den in dem Bericht als grösste aktuelle Probleme gesehen.5

Die verkehrsgünstige Lage zwischen Luzern und Zürich ver­

stärkt die Prozesse; nach Interpretation des ETH Studio

Basel gehört Zug sowohl dem Städtenetz Zentralschweiz als

auch der Metropolitanregion Zürich an.

Eigentumswohnen am unwirtlichen Ort

In diesem potenten Kontext führte die SBB 2006/2007 einen

Studienauftrag für ein Areal nördlich und südlich der Feld­

strasse im Norden von Zug durch. Gefordert war für das

Grundstück, das im Osten an die viel befahrene Bahnstrecke

Zürich–Baar–Zug angrenzt und im Norden an die Gleiskurve

einer früheren Güterbahn – daher auch der Projektname Zug­

Schleife – eine kompakte Wohnbebauung mit möglichst zu­

sammenhängendem Freiraum. Am Ende konnte sich Valerio

Olgiati gegenüber seinen Mitkonkurrenten agps, Bauart,

Baumschlager Eberle, Gigon/Guyer, Von Ballmoos Krucker

und huggen_berger durchsetzen. Nach dem Entscheid ver­

kaufte die SBB als bisherige Eigentümerin die durch die Un­

terführung der Feldstrasse getrennten Grundstücke an zwei

unterschiedliche Investoren. Realisiert nach Plänen von Ol­

giati wurde indes nur der nördliche Part des Gesamtprojekts.

32

Mit der Lösung der skizzierten, in Zug und Umgebung

virulenten Probleme hat die Wohnüberbauung ZugSchleife

nichts zu tun: Bei den auf sechs Geschosse verteilten 78

Wohnungen handelt es sich ausschliesslich um Eigentums­

wohnungen, die nicht eben den Markt des preisgünstigen

Wohnungsbaus befruchten. Zusätzliche Nutzungen wurden

nicht integriert, die Monofunktionalität bleibt gewahrt. Und

zur lebendigen Aufwertung des Quartiers leistet der 130

Meter lange Wohnblock ebenfalls keinen Beitrag, was aber

angesichts der Lage auch kaum möglich wäre: im Osten die

verkehrsreiche Bahntrasse, im Süden die unwirtliche Unter­

führung, im Westen mit einigem Abstand ein wenig ansehn­

liches Gegenüber. Ein dicht bewachsener Parkstreifen

schafft Distanz: Abstandsgrün im wahrsten Sinne des Wor­

tes, aber nicht in seiner üblichen Rasenvariante, sondern –

zumindest in Zukunft – als kräftiges Pflanzendickicht.

Effiziente Organisation

Valerio Olgiati ist durch radikale Projekte bekannt gewor­

den, die architektonische Themen bis aufs Äusserste zuspit­

zen. Das ist ihm in einer Reihe von öffentlichen Bauten ge­

lungen, aber auch im Sektor des Einfamilienhausbaus. In

Zug stellte sich die Frage, wie sich seine nicht auf Kompro­

misse zielende architektonische Haltung im Investorenwoh­

nungsbau bewähren würde.

Gemeinhin herrscht die Meinung, dass sich renditeorien­

tierte Developer und konzeptionell radikale Architekten

nicht vertragen. Doch Valerio Olgiati beweist in Zug das Ge­

genteil. Dabei kam ihm zunächst zugute, dass der Wohnrie­

gel höchst effizient organisiert ist: Über der Tiefgarage und

dem zur Westseite hin weitgehend im rückspringenden So­

ckel verborgenen Eingangsgeschoss (in dem sich die Neben­

räume befinden) stapeln sich die Wohngeschosse, deren

letztes als Attika ausgebildet ist; über sieben Treppenhäu­

ser werden pro Hauptgeschoss zwei Wohnungen erschlos­

1 Vertikaler Blick durch die Ellipsen an der Westfassade (Fotos: Javier Miguel Verme)

2 Situationsplan

3 Westfassade mit elliptischen Durch-brüchen in den Geschossplatten

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ERSCHLIESSUNG NEUER BRACHENDas Löwenbräu-Areal in Zürich von Gigon/Guyer Architekten Mit dem Abschluss der Baumassnahmen auf dem

Löwenbräu-Areal verfestigt sich ein progressives Entwicklungsgebiet zu einer formal beherrschten, jedoch wagnisfernen

Kunstanlage in einem Konglomerat mit hochwertigem Büro- und Wohnraum. Nach Jahren, in denen die Kunst als bedeuten-

der Förderer herausragender Architektur auftrat, obliegt es nun den Galerien selbst, mit der Bespielung ihrer Räume für

Aufregung zu sorgen.

1

Autor: Sasha Cisar

Im Verlauf dieses Jahres wird eine weitere Grossüberbauung

eines ehemaligen Produktionsstandorts im innerstädtischen

Bereich von Zürich ihren Abschluss finden: das ehemalige

Löwenbräu-Areal. Prominent an der Limmatstrasse zwi-

schen Escher-Wyss-Platz und dem Viadukt gelegen, werden

hier – gemeinsam mit der angrenzenden Aufstockung der

Swissmill-Silos – die stadtnächsten Planungen von Zürich-

West umgesetzt. Sie markieren den Beginn einer im Mass-

stab nicht allein für Zürich ungewöhnlich grossen Gebiets-

entwicklung, die angesichts der Eingriffe in die Substanz

und das städtische Gefüge als Stadtumbau bezeichnet wer-

den muss.

In Bezug auf Zürich-West kann das Löwenbräu-Areal nicht

nur durch seine Lage als Vorbote bezeichnet werden. Bereits

seit den frühen Neunzigerjahren wurden die alten Brauerei-

räume für die Kunst genutzt; das Areal entwickelte sich zum

Brennpunkt der Zürcher Kunstszene. Der bald fertige Umbau

wurde entsprechend mit grossen Erwartungen behaftet.

Doch während sich die Kunst auf dem Löwenbräu-Areal im-

mer als Gegenpol zum Kunsthaus positionierte, ist die neu

entstandene Löwenbräu-Architektur der Mutlosigkeit jener

jüngst beschlossenen Planung von David Chipperfield eben-

bürtig. Auf gewisse Weise spiegeln die jetzt endenden Bau-

massnahmen somit die Verfestigung progressiver Pioniere

in etablierte Institutionen wider.

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53

Zeiten ändern Dich

Bis 1986 wurde im Löwenbräu auf dem Areal im grossen Stil

Bier gebraut. Der repräsentative Industriebau aus rotem

Backstein an der Limmatstrasse, 1898 errichtet, zeugt auch

heute noch von besseren Zeiten; auf die ehemalige Nutzung

weist abgesehen vom Namen allerdings nur noch das Silo hin

– das später ergänzte Sudhaus an der stadteinwärts gelege-

nen Ecke fiel dem Umbau zum Opfer. 1984 kam es zur Über-

nahme der Traditionsbrauerei durch den Konkurrenten

Hürlimann, der jedoch nur zwei Jahre später den Produk-

tionsstandort schloss. Mit Hürlimann haben sich im gleichen

Zeitraum viele andere Industriebetriebe aus dem Stadtgebiet

zurückgezogen und dabei für die Stadtentwicklung attrak-

tive Brachen zurückgelassen. Diese werden – nach einer

ersten, informellen Nutzungsphase – allmählich von Neu-

bauprojekten besetzt. Ein ganzes Quartier kommt in der

post-industriellen, gentrifizierten Gegenwart an.

Mehrfach wurde in den Jahren seit der Schliessung nach

einer allumfassenden Lösung für das Löwenbräu-Areal ge-

sucht. Wie liesse sich das innerstädtische Areal entwickeln?

Die Chronolgie des nun endenden Bauprojektes reicht mehr

als zehn Jahre zurück. Ein Meilenstein war der 2004 von PSP

Swiss Properties durchgeführte Wettbewerb, den das Archi-

tekturbüro Atelier WW für sich entschied und darauf aufbau-

end einen privaten Gestaltungsplan entwickelte. Im Bearbei-

tungsprozess regte die Stadt an, ein weiteres Architekturbüro

zu beteiligen, und folglich bildete Atelier WW mit Gigon/

Guyer eine Arbeitsgemeinschaft.

Der Entwurf der Architekten sah ein Konglomerat aus Alt

und Neu vor, welches sich dadurch auszeichnete, die Haupt-

fassade des alten Backsteingebäudes entlang der Limmat-

strasse nahezu gänzlich zu erhalten und die Präsenz der

Neubauten auf drei Akzente zu kondensieren. Das Projekt auf

dem Löwenbräu-Areal besteht im Grunde aus einem Umbau-

projekt und drei verschiedenen Neubauprojekten. Diese drei

wurden zu Marketingzwecken anhand ihrer farbigen Fassa-

dengestaltung «Red», «Black» und «White» getauft.

Rot – Schwarz – Weiss

«Red» steht als einziges der neuen Gebäude neben dem alten

Backsteinbau an der Strassenfront und ersetzt das vormalige

Sudhaus. Damit setzt es mit dreissig Metern Höhe einen

neuen Akzent am östlichen Rand des Areals, der das Stras-

senprofil bis an das Bahnviadukt heran schliesst. Rote Kera-

mikkacheln überziehen die abstrakt gerasterte Fassade wie

ein gewellter flimmernder Vorhang, suchen in ihrer Serialität

und im Löwenbräu-Rot Anschluss an die vergangene, aber

sichtbar industrielle Geschichte des Ortes. Sie betonen in

der Nachbarschaft zum Backstein die neue Zeit und polari-

sieren in der Kritik erstaunlicherweise mehr als das Gesamt-

projekt. In diesem neungeschossigen Hochhaus finden sind

ausschliesslich Büro- und Gewerbenutzungen. In Richtung

Stadt öffnet sich ein Entree aus weissem Marmor mit Akzen-

ten verchromter Elemente. Mit einer befremdlichen Exklusi-

vität zeugt es von der Veredelung des Löwenbräu-Areals.

«Black» besetzt den hinteren Teil des Areals hin zur

Swiss-Mill und rahmt mit seinem flachen Gebäudeteil den

neu geschaffenen Brauereihof. Bedeutsamer jedoch ist der

daneben aufragende Wohnturm, welcher die Mitte des gan-

zen Ensembles bildet. Das Marketing für «Black» bedient

eine Sehnsucht nach weltstädtischem Wohnen im Hochhaus,

untermalt mit dem Versprechen vom Wohnen im Quartier: So

kann durch grosse, öffenbare Jahreszeitenfenster nahezu

jede der 37 Turmwohnungen und 21 Hofwohnungen am Le-

ben im Kreis 5 teilnehmen – wenn auch nur akustisch aus

einer Höhe von siebzig Metern.

Gegen oben kragt der Turm von hinten über den Bestand

an der Strasse. Eine räumliche Geste, die zugleich markant

und dezent sein will: markant als ikonische Geste, dezent als

Zurückhaltung gegenüber dem Bestand sowie der Stadt.

Diese Sprache spricht auch die Fassade – erneut aus Kera-

mikkacheln; hier in Schwarz. Wie beim ebenfalls von Gigon/

Guyer entworfenen Prime Tower, der mit seiner ikonoklasti-

schen, grün schimmernden Fassade im Tageslicht versucht,

in den Farben der umgebenden Umwelt aufzugehen, ver-

1 Westansicht des Neubaus Löwen-bräukunst, mit Aufstockung der Kunsthalle Zürich und den alten Werkstätten von der Ecke Limmat-/Gerstenstrasse (Fotos 1, 7, 9, 10: Thies Wachter)

2 Situationsplan

2

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62 archithese 1.2013

ARBOR ABSTRAHIERTGewächshaus Grüningen von idA Architekten idA Architekten haben ein bemerkenswertes Gewächshaus für den

Botanischen Garten von Grüningen errichtet: ein Glashaus, welches vom jüngeren Dogma weitgespannter stützenfreier

Hallen abrückt und den Pfeiler als konstruktives wie expressives Element wiederentdeckt – und dabei ein seltenes Plädoyer

für Komplexität im Schweizer Bauten verkörpert.

Autor: Jørg Himmelreich

Der Botanische Garten Grüningen liegt im ländlichen Raum

des Zürcher Oberlandes, circa zwanzig Kilometer südöstlich

der Kantonshauptstadt. Etwas ausserhalb der namensge-

benden Gemeinde gelegen, unterscheidet sich die Anlage

zunächst kaum von den vielen kleinen Waldresten, die

ringsum in die Felder eingestreut sind. Nur ein Zaun deutet

an, dass in der Tiefe des Wäldchens eine besondere Attrak-

tion zu finden ist. Betritt man von der Landstrasse kommend

über den kleinen Besucherparkplatz den Park, schwingt sich

der gepflasterte Weg zwischen Eichen, Buchen, Eschen und

Erlen hindurch. Hier gleicht der Garten zunächst einem lich-

ten Wald. Dringt man weiter in die Anlage ein, so wird deut-

licher ablesbar, dass die Pflanzen ausgewählt und arrangiert

wurden – es folgen Stein-, Rosen- und Kräutergärten, die sich

einen kleinen Hügel hinaufstaffeln. Ein zeltförmiges Ganz-

dachhaus und die Laternen entlang des Weges verströmen

den Charme der Sechzigerjahre und geben Zeugnis von der

Entstehungszeit der Anlage. Das heutige Glück, welches

man beim Besuch empfinden mag, stand dabei keineswegs

am Anfang der Geschichte. 1961 hatte ein Privatmann das

Areal gekauft, um – so das Ziel – einen privaten Garten mit

Wohnhaus zu errichten. Der Garten wurde angelegt und

Hinrich Kordes aus der deutschen Rosenzüchterdynastie war

zeitweilig involviert, doch ein Konkurs 1979 verhinderte die

weitere Entwicklung. Der Park gelangte in den Besitz des

Gläubigers, die Zürcher Kantonalbank. In der Folge nutzte

die ETH das Areal als Versuchsgarten, während die Bank

mögliche Nutzungsmodelle prüfte. Schliesslich wurde ent-

schieden, den Garten in eine Stiftung umzuwandeln, ihn

dauerhaft als Erholungsgebiet zu erhalten und weiter auszu-

bauen.

Den Kubus verhindert

An zentraler Stelle der Anlage befanden sich zwei in die

Jahre gekommene gewöhnliche Gewächshäuser zur An-

zucht und Präsentation subtropischer Pflanzen. Da sie weder

optisch attraktiv noch energetisch effizient waren, wurde

nach einer Neubaulösung gesucht und das junge Büro idA

2009 mit einer Studie beauftragt. Sie überzeugten mit ihrem

Vorschlag, an gleicher Stelle ein neues attraktives Schau-

gewächshaus zu errichten und die Anzucht in ein Standard-

gewächshaus im hinteren Teil des Parks zu verlegen.

Auf Basis dieser ersten Studie wurden drei weitere Büros

sowie idA selbst zu einem Wettbewerb für das neue Schau-

haus geladen. Der Auftraggeber erwartete anfänglich einen

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1 Westansicht mit Eingangssituation (Fotos: Markus Bertschi)