archithese 1.04 - swiss performance 04
DESCRIPTION
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architheseBearth & Deplazes Wohnhaus Chur
Mario Botta Fondation Bodmer Cologny
Bosshard & Vaquer Aufbahrungshalle Dietlikon
Diener & Diener Häuser in Ypenburg
e2a Wohnüberbauung Broëlberg
EM2N Wohnanlage Friesenberg Zürich
Gigon/Guyer Anlage Appisberg
Giraudi & Wettstein/Cruz y Ortiz Passerelle Basel
Herzog & de Meuron Kunsthaus Aarau
Rodolphe Luscher Schiessausbildungsanlage Bière
Rolf Mühlethaler Bierhübeli Bern
Romero & Schaefle Hotel Greulich Zürich
Livio Vacchini Galleria Luini Locarno
1.2004
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Revue thématique d’architecture
Swiss Performance 04
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Leserdienst 103
2 archithese 1.2004
E D I T O R I A L
Swiss Performance 04
Im Jahr 2001 erschien Heft 1 der archithese erstmals unter dem Titel «Swiss
Performance». Mit der Ausgabe 2004 liegt damit nun schon zum vierten Mal ein
Jahresrückblick auf Gelungenes, Spektakuläres oder Diskussionswürdiges im
aktuellen Schweizer Baugeschehen vor. Objektivität beanspruchen wir nicht,
weil es diese für eine Architekturzeitschrift auch nicht geben kann; und man-
ches, was in den Kontext von «Swiss Performance» gehörte, hat schon Eingang
in die vergangenen fünf Hefte gefunden. Ein Blick zurück lohnt also, das obli-
gatorische Jahresregister in der vergangenen Ausgabe erleichtert ihn.
Wie immer in «Swiss Performance» wurde die klassische Trennung der archi-
these in Thementeil, aktuelle Architektur und Rubriken vorübergehend sus -
pendiert. Erstmals in diesem Heft findet sich indes eine Sequenz von Bauten
unter dem Rubrikentitel «Swiss Unlimited». Berücksichtigt werden dort expe-
rimentelle Bauten und Projekte, die unseres Erachtens über das Alltägliche hi -
nausweisen und auf andere, zum Teil utopische Pfade führen. Von einer konkre -
ten und realisierten Bar in Kapstadt reicht das Spektrum bis hin zur Idee der
Aushöhlung unseres Planeten, um eine neue, ausgedehntere Lebenswelt zu
schaffen. Dieses Projekt von Christian Waldvogel, das den Titel «Globus Cas-
sus» trägt, wurde unlängst von der Eidgenössischen Kunstkommission als
Schweizer Beitrag für die diesjährige Architekturbiennale in Venedig ausge-
wählt und wird vom Sommer an im Schweizer Pavillon in den Giardini zu sehen
sein.
Die gewohnte Aufteilung findet sich dann wieder in den kommenden
Ausgaben. Heft 2 beschäftigt sich mit der zeitgenössischen Diskussion um
das Ornamentale, Heft 3 mit dem Thema «Architektur und Alkohol», also mit
Weingütern, Bars und Brauereien. Heft 4 widmet sich dem Thema Ökologie, und
Heft 5 setzt sich mit westlichen Architekturexporten nach China auseinander.
Die durchaus positive Resonanz, auf welche die vergangenen «Swiss Per-
formance»-Hefte gestossen sind, hat uns zum Nachdenken über eine kompakte
Ausgabe angeregt: Im Laufe des Jahres wird im NiggliVerlag eine Sonder -
publikation erscheinen, in welcher vier Jahrgänge «Swiss Performance»
zusammengefasst sind, ergänzt durch zusätzliche Beiträge zum Schweizer
Baugeschehen.
Redaktion
Rémy Zaugg:Kunstinstallationfür die Erweite-rung des Kunst -hauses Aarau von Herzog & deMeuron, 2003(Foto: HubertusAdam)
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gauer Kunstvereins nach einem grösseren Museum für die
Kunstsammlung. Nachdem der Architekt Loepfe den Wettbe-
werb für den Gebäudekomplex im Jahr 1937 für sich entschei-
den konnte, wurde der überarbeitete Entwurf erst 1954 im zwei-
ten Anlauf vom Volk angenommen und fünf Jahre später von
der Bürogemeinschaft Loepfe, Hänni, Hänggli fertig gestellt.
Während in den Achtzigerjahren die notwendige Erwei -
terung der Bibliothek mit einer Aufstockung des fünfgeschos-
sigen «Bücherturms» um weitere zwei Stockwerke gelöst
wurde (Günthard & Meissner), folgten für die geplante Er -
weiterung des Kunstmuseums verschiedene Machbarkeits-
studien. Aufgrund umfangreicher Schenkungen sowie einer
Schwerpunktverlagerung hin zu Ausstellungen lagen damals
grosse Teile der Sammlung in Depots brach. Neben der Mög-
lichkeit, das Museum auf zwei Standorte zu verteilen, wurde
auch überlegt, einen Neubau an anderer Stelle zu errichten
und das bestehende Gebäude als Bibliothek umzunutzen.
«schwergewichtig» unterirdisch
1996 fällte der Regierungsrat die Entscheidung für einen ein-
geladenen Projektwettbewerb einer Erweiterung des Kunst-
hauses. Für die Ausschreibung konnte das Preisgericht, dem
auch die Denkmalpflege beisass, die Auflage durchsetzen,
dass die Erweiterung «schwergewichtig» unterirdisch erfol-
gen musste. Auf die Ausschreibung des Baudepartements
des Kantons Aargaus bewarben sich etwa hundert Architek-
turbüros, von denen 18 in die zweite Runde zugelassen wur-
den. Am Ende belegten die ersten beiden Plätze die Arbeiten
von René Stoos und dem Team von Herzog & de Meuron mit
Rémy Zaugg (dritter Platz: Gigon/Guyer)– Entwürfe, die
stark oberirdisch orientiert waren.
Nach einer Überarbeitung der Siegerentwürfe fiel ein
Jahr später der einstimmige Entscheid für den Entwurf von
Herzog & de Meuron mit Rémy Zaugg. Zur Beschreibung des
Siegerprojektes hiess es: «Der Erweiterungsbau des Kunst-
hauses ist als ein Sockel mit einer Stadtterasse über dem
Aargauerplatz vorgeschlagen. Auf diese Weise wird ein Teil
der Freifläche zwischen dem bestehenden Kunsthaus und
dem Regierungsgebäude durch den Erweiterungsbau wohl
besetzt, aber sie wird auf der Ebene des parkähnlichen Rat -
hausgartens als öffentlicher Raum zurückgewonnen.» Der
Grosse Rat stimmte dem Projekt sowie den Baukosten von
rund 17 Millionen Franken im Jahr 2000 zu, und nach zwei-
jähriger Bauzeit wurde die Erweiterung des Kunsthauses im
Oktober 2003 eröffnet.
Das Kunsthaus als Autobus
Die Komplexität des Eingriffes ergab sich aus der städtebau-
lichen Situation. Zum einen galt es, bei der Erweiterung einen
respektvollen Umgang mit dem architektonisch wertvollen
Bestand zu finden, zum anderen musste eine Beziehung zum
denkmalgeschützten Gebäudekomplex für Regierung und
Grossrat sowie zum rückseitig gelegenen Rathausgarten ge-
knüpft werden.
Die Erweiterung besteht aus einem eingeschossigen
U-förmigen Bau, der auf der Fläche des ehemaligen, unge-
Text: Katja Hasche
Der Aargauerplatz befindet sich in der Vorderen Vorstadt,
der ersten Stadterweiterung Aaraus, die im 14. Jahrhundert
vor dem Obertor in südlicher Richtung angelegt wurde. Auf
engem Raum versammeln sich hier wichtige Gebäude der
Stadt mit unterschiedlichen Funktionen: Der baulichen Ein-
heit von Regierungsgebäude (1824) und Grossratsgebäude
(1828) steht der Komplex von Kantonsbibliothek, Bücherturm
und Kunsthaus (1959) gegenüber. Auch wenn das städte-
bauliche Zusammenspiel der einzelnen Bauten selbstver-
ständlich wirkt, ist hier fast nichts so, wie es scheint.
Das Regierungsgebäude ist eine Ummantelung des we-
sentlich älteren Gasthofs zum Löwen. Dieser wurde 1811– 24
durch zwei quer gestellte Seitenflügel sowie eine gross zügige
Freitreppe ergänzt. Gleichzeitig wurde das Terrain der er-
höhten Parkterrasse, auf dem der Bau stand, abgetragen, was
zur Abschottung des Parks von der Stadt führte und das ur-
sprüngliche Kellergeschoss zum rustizierten ebenerdigen
Sockelgeschoss umwandelte. Das hinter dem Regierungsge-
bäude auf der Anhöhe des Rathausgartens liegende Gross-
ratsgebäude wurde erstellt, nachdem der benötigte Gross-
ratssaal in der Erweiterung des Regierungsgebäu des keinen
Platz gefunden hatte. Das Gebäude beherbergte neben dem
Saal auch die Kantonsbibliothek sowie das Staatsarchiv.
Der Komplex von Staatsarchiv, Kantonsbibliothek und
Kunsthaus, der den beiden Regierungsbauten gegenüber
liegt, ist zum einen dem starken Wachstum der Kantons -
bibliothek zu verdanken, zum anderen dem Wunsch des Aar-
Herzog & de Meuron: Erweiterung Aargauer Kunsthaus, Aarau
Die bauliche Entwicklung des Aargauer Platzes in Aarau, des-
sen neustes Schmuckstück die 2003 fertig gestellte Erweiterung des
Kunsthauses ist, verkörpert eine Geschichte des Umnutzens,
Umbauens und Weiterbauens. Mit ihrem Anbau transformieren
Herzog & de Meuron diese Geschichte und erzählen sie auf
spannende Art weiter.
WEGE DURCH EINMUSEUM
1 Die Treppe, die den Passantenauf das «Moosdach»der Erweiterungführt(Foto: MargheritaSpiluttini)
26 archithese 1.2004
Mario Botta: Museum der Fondation Bodmer in Cologny Der
neuste Museumsbau von Mario Botta ist nicht zuletzt deswegen
interessant, weil er die vorgefassten Erwartungen an dessen Werke
nur zum Teil erfüllt: Für die Biblioteca Bodmeriana der Fondation
Martin Bodmer in Cologny bei Genf, welche für ihre kostbaren Hand-
schriften und Erstausgaben aus über zweitausend Jahren berühmt
ist, hat der Architekt aus Lugano ein weitgehend unterirdisches
Ausstellungsgebäude realisiert. Entstanden ist ein gelungener Neu-
bau, der sich ebenso sorgsam wie diskret in das bestehende
Bauensemble einfügt.
UNTERIRDISCHE GEWÖLBE
Text: Roman Hollenstein
Der sechzigjährige Luganeser Architekt Mario Botta ist, man
weiss es nachgerade, ein Meister der kleinen Form. Zwar
baut er immer wieder mit Erfolg auch grosse Baukomplexe
wie den unlängst im indischen «Silicon Valley» bei Hyde -
rabad vollendeten TCS-Deccan-Park und den ebenfalls ganz
neuen Kyobo-Tower in Seoul. Doch waren es immer «Minia-
turen», die den meisten Beifall der Kritik erhielten – von den
frühen Einfamilienhäusern im Tessin über die Kapelle am
Monte Tamaro bis hin zur Cymbalista-Synagoge auf dem
Campus der Tel Aviv University. In diesen gebauten Juwelen
gehen primäre geometrische Formen, symmetrische Fassa-
den, einfache Raumsequenzen und sorgfältige Materialisie-
rung und Detaillierung eine meist glückliche Verbindung ein.
Nun konnte Botta Mitte November in Cologny bei Genf ein
weiteres Werk dieser Kategorie einweihen: das von der Fon-
dation Bodmer in Auftrag gegebene Museum der Biblioteca
Bodmeriana.
Ein Haus für eine Weltbibliothek
Die Stiftung geht zurück auf Martin Bodmer (1899 –1971),
den Spross einer reichen Zürcher Industriellenfamilie. Bereits
als Gymnasiast war er finanziell in der Lage gewesen, Erst-
ausgaben und bald auch kostbare Manuskripte zu erwerben.
Nach und nach baute er seinen Besitz zu einer alle schrift-
lichen «Schöpfungen des menschlichen Geistes» einschlies-
senden Bibliothek der Weltliteratur aus. Dabei war er sich
wohl bewusst, «dass die Sammlung stets ein Fragment blei-
ben» musste. Deswegen bemühte er sich um eine «Auswahl
nach Autoren, Texten, Sprachen, Ausgaben», mit der er «das
Allgemeingültige im Typischen» aufzuzeigen suchte.
Im Zusammenhang mit seiner 1939 aufgenommenen kul-
turpolitischen Tätigkeit für das IKRK, dessen Vizepräsident
er bald werden sollte, liess Bodmer sich in Genf nieder und er-
warb auf den Rebhügeln von Cologny ein prachtvolles An-
Texte français pp. 84
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wesen. An dessen äusserstem Ende, beim alten Dorfkern von
Cologny, liess er zwei dem Classicisme von Louis XIV ver-
pflichtete Pavillons errichten. In diesen bewahrte er seine
museale Bibliothek auf, die von ägyptischen Totenbüchern
über die älteste bekannte Abschrift des Johannesevange -
liums, persische Manuskripte, wissenschaftliche Abhandlun -
gen, musikalische Autographen und ungezählte Inkunabeln
bis hin zu Kunstwerken seine stark humanistisch geprägte
Vorstellung von Literatur in heute über 160 000 Objekten do-
kumentiert. Dass die Ausrichtung der Bestände auf die fünf
Pfeiler Bibel, Homer, Dante, Shakespeare und Goethe stark
von der grossbürgerlichen Kultur Bodmers geprägt war, ver-
leiht der Bibliothek einen aus der Zeit heraus bedingten stark
abendländischen Charakter.
Botta statt Michelangelo
Die kurz nach Bodmers Tod im März 1971 in eine Stiftung ein-
gebrachte Biblioteca Bodmeriana genoss in den letzten 30
Jahren nicht nur in Gelehrtenkreisen einen ausgezeichneten
Ruf. Mit Publikationen und Ausstellungen versuchte sie auch
ein breiteres Publikum zu erreichen. Dabei war es ihrem
jetzigen Direktor, Martin Bircher, seit langem klar, dass die
Fondation Bodmer nur mit einem den heutigen Ansprüchen
genügenden Museum, das permanent seine Highlights prä-
sentieren sowie Wechselausstellungen veranstalten kann, im
gegenwärtigen Kulturbetrieb zu bestehen vermag. Das sah
die Fondation ein und nahm deshalb 1998 Kontakt mit Botta
auf. Der im Jahr darauf erfolgte Verkauf einer einst als ita -
lienische Arbeit für wenig Geld in die Sammlung ge -
lang ten Zeichnung, die im Rahmen der Wiener Vittoria-
Colonna-Ausstellung vor nicht allzu langer Zeit als Michel -
angelos Christus und die Samariterin erkannt worden war,
erlaubte dann weitgehend die Finanzierung des Museums-
neubaus, der inklusive Innenausbau auf fast zwölf Millionen
Franken zu stehen kam.
Mit einer chirurgisch präzisen Intervention schuf Botta
einen neuen Raum in der Genfer Stadtlandschaft, der nicht
nur zum Wallfahrtsort für Bibliophile, sondern – dank seiner
schönen Lage – auch zu einem beliebten Ausflugsziel werden
könnte. Bieten Bottas Bauten für gewöhnlich kaum Überra-
schungen, da sie sich – wenn sie auch auf unterschiedlichen
typologischen Ansätzen basieren – aufgrund von zylinder-
förmigen und kubischen Baukörpern, Ziegelmauern oder
horizontal gestreiften Natursteinhüllen, Fassadenschlitzen,
Oberlichtgiebeln sowie strenger Symmetrie gleichen und iso-
liert als zeichenhafte Solitäre im städtischen Kontext oder in
der Landschaft stehen. All dies sucht man in Cologny ver -
gebens: Tritt man nämlich durch das schmied eiserne Tor
an der Route du Guignard in den kleinen, von zwei neuba -
rocken Pavillons gerahmten Ehrenhof, so öffnet sich dem
Auge eine fast mediterran anmutende, von Zypressen und
Rebpergolen akzentuierte Sicht auf den Genfersee und die
Kalkriffe der Jurakette. Erst auf den zweiten Blick nimmt
man, geblen det von diesem klassischen Panorama, Bottas
Intervention wahr: einen mit feinen weissen und grauen
Bändern aus Marmor und Granit gestreiften Bodenbelag, in
1 Ehrenhof mit Oberlichternund Platzbelag(Fotos: Pino Musi)
2 Querschnittdurch Gesamt -anlage 1 : 500
3 Längsschnittdurch Mittelachse1: 500
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30 archithese 1.2004
TOPOGRAFIE UND RAUM
1
2
Bearth & Deplazes Architekten, Wohnhaus
Böschenstrasse, Chur In diesem Jahr sind
an der Böschenstrasse in Chur sechs Einfamilien -
häuser gebaut worden. Bearth & Deplazes,
die den Quartierplan für die gesamte Überbau -
ung entworfen haben, realisierten eines davon.
Entstanden ist ein Ensemble, das trotz einiger
Abweichungen als solches lesbar bleibt, und
ein Gebäude, das die Topografie des Ortes kunst-
voll inszeniert und auf glückliche Weise Offenheit
mit Intimität kombiniert.
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Text: Judit Solt
Das Untere Böschengut liegt am östlichen Stadtrand von
Chur. Die Hanglage ist überaus attraktiv, die Aussicht auf
das Stadtzentrum und die Berge bemerkenswert – ein Stand-
ort wie dazu prädestiniert, eine beliebige Ansammlung kon-
textlos geplanter Einfamilienhäuser aufzunehmen. Doch hier
kam es anders. 2001 beauftragte die Stadt als Besitzerin des
Landes Bearth & Deplazes mit der Ausarbeitung eines Quar-
tierplans. Der Vorschlag der Architekten sah eine Siedlung
von sieben entlang der scharfen Hangkante aufgereihten Ein-
familienhäuser vor, die ein zusammenhängendes Ensemble
bilden und den Ort klar definieren sollten. Obgleich die Stadt
schliesslich beschloss, beim Bau der sieben Häuser verschie-
dene Architekten zum Zuge kommen zu lassen, das Gelände
entsprechend zu parzellieren und die Grundstücke im Bau-
recht abzugeben beziehungsweise zu verkaufen, konnte der
Ensemble-Gedanke – dank den klaren Vorgaben des Quar-
tierplans und den topografischen Einschränkungen – den-
noch zu einem grossen Teil erhalten bleiben.
Fast ein Ensemble
Die Form und die Lage der sechs bisher realisierten Häuser
sind weitgehend durch den Quartierplan bestimmt, welcher
die Baufenster für die Hauptgebäude, die Platzierung der
Garage, die Erschliessung von oben über die Böschenstrasse,
die Anzahl zulässiger Geschosse und die Profilierung der
Baukörper festlegt. Die Häuser stehen leicht von der Strasse
zurückversetzt und werden über einen Hof erschlossen; zur
Böschenstrasse hin, auf der Ostseite, sind sie eingeschossig,
auf der Westseite dagegen wegen der Steilheit der Hang-
kante dreigeschossig; die Dächer sind flach. Die nördliche
Grenze der Grundstücke bildet jeweils eine Mauer, an welche
die Häuser angebaut sind und die als Trennung zwischen
den Gärten fungiert: Dieser Verzicht auf den viel beschwore-
nen «Umschwung» verleiht der Überbauung einen repetiti-
ven Charakter, schafft eine spürbare Verbindung zwischen
den unterschiedlichen Objekten und ersetzt vorteilhaft die
für Einfamilienhausquartiere übliche Streuung. Um uner-
wünschte Einblicke zu vermeiden, sind an der Nordseite
keine Fenster zugelassen.
Die Materialisierung dagegen ist nicht restlos festgelegt:
Die im Quartierplan geforderte Ausführung – «mural und
1 Blick von derBöschenstrasse aufdas Quartier(Fotos: Ralph Feiner)
2 Situation 1:1750
3 Eingangssitua-tion und Hof(Foto: Ralph Feiner)
54 archithese 1.2004
Text: J. Christoph Bürkle
Kürzlich wurde in Kilchberg die dritte Überbauung exklusiver
Wohnbauten am Broëlberg fertig gestellt (archithese 5.1997,
5.2003). Schon die beiden früheren, vielbeachteten Wohn-
siedlungen von Gigon/Guyer brachten moderne, scharfkan-
tige, mit ungewöhnlicher Farbgebung gestaltete Wohn -
welten ins etwas abseits gelegene, zum Teil noch ländlich ge-
prägte Kilchberg. Den bisherigen Höhepunkt gediegenen
Wohnens an der Peripherie stellen zwei «Wohninseln im
Park» dar, die von e2a, Eckert und Eckert Architekten AG,
stammen – zwei jungen Schweizer Architekten belgischer
Abstammung.
Programmatische Konzeptionen
Die Brüder Piet und Wim Eckert wurden zunächst mit ihrem
Beitrag «Nouvelle DestiNation» für die Expo.02 bekannt,
in welchem auf der Arteplage in Biel die Welt des Sports the-
matisiert worden war. Sie entwickelten damals ein amorphes
Luftzelt, das durch eine aufblasbare Haut sein Volumen
modifizieren konnte. Je nach Besucherandrang und regulier-
tem Luftdruck veränderten sich die Wände und damit der ge-
samte Pavillon: zu einer prallen, die Räume verengenden Form
oder zu einer rektangulären Struktur mit erweiterten Gängen.
Schon dieses Projekt zeigte den Ansatz von Piet und Wim
Eckert, gegebene Strukturen zu überdenken und in interdis-
ziplinären Arbeitsschritten mit einem programmatischen,
stark urbanistisch geprägten Ansatz zu verschmelzen. Ihr
starkes Interesse für urbane Architekturen wurde nicht
zuletzt durch die dreijährige Mitarbeit bei Rem Koolhaas ge-
prägt, in dessen Office for Metropolitan Architecture (OMA)
sie zwischen 1995 und 1997 wichtige Erfahrungen sammel-
ten. Im Gegensatz zu Schweizer Kollegen interessieren sie
sich nicht in erster Linie für historische Typologien, für Ober-
flächenbehandlungen oder Materialien, sondern vielmehr da-
e2a: Wohninseln Broëlberg, Kilchberg Auf einem
weitläufigen Parkgrundstück in Kilchberg, in
dem schon von Gigon/Guyer zwei Wohnkomplexe
realisiert wurden, hat das Zürcher Team e2a
zwei weitere «Wohninseln» erstellt. Die luxuriösen,
aufwändig materialisierten Bauten umschlies sen
ausgedehnte Höfe und öffnen sich über weite
Terrassen zur Landschaft.
ZWISCHEN VISION UND REALITÄT
1 Blick ausNordwesten auf dieöstliche der beidenWohninseln(Foto: e2a)
2 Gesamtplan1: 5000Im Nordosten diebeiden Wohnbautenvon Gigon/Guyer, im Süden die neuentstandenenWohninseln von e2a
1
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für, städtische Lösungsstrategien zu entwickeln, die sich aus
den regionalen und globalen Forderungen der Gegenwart
ergeben. Das klingt kompliziert, aber letztlich geht es heute
in der aktuellen Architekturdebatte mehr denn je darum,
den Mythos der Visionen durch das wirkliche Erkennen und
Durchdringen der immer komplexeren Gegenwart zu er -
setzen.
Vor diesem Hintergrund ist auch der Prototyp eines ihrer
ersten Projekte entstanden, des Stahlhauses in Frick, von
dem drei Einheiten zwischen 1997 und 2002 gebaut wurden.
Um das Haus für den Niedrigpreis von unter 600 000 Franken
erstellen zu können, wurde es in einer präfabrizierten Stahl-
konstruktion gebaut. Durch den aufgefächerten Grundriss
hat beinahe jeder Raum des Fünfzimmer-Hauses Bezug zu
einem kleinen umschlossenen Garten, wodurch die mäan-
drierende Raumfolge an ein Atriumhaus aus den Sechziger-
jahren erinnert. Mit den alternierenden Stahlmodulen und
den vollverglasten Fensterflächen ergibt sich ein introver-
tiertes Haus, das zwar einen weit gefächerten Grundriss auf-
weist, zugleich aber nicht viel an Freifläche benötigt und sich
somit für eine Serienbauweise bestens eignet.2
64 archithese 1.2004
REPETITION UND MODULATION
1 Blick zwischenden Werkstatt -gebäuden hindurchRichtung See(Foto: Harald F.Müller)
Gigon/Guyer: Anlage Appisberg, Männedorf ZH
Eine Gebäudegruppe aus den Dreissigerjahren, hoch über
dem Zürichsee gelegen, wurde durch drei Neubauten
erweitert. Den Architekten gelang nicht nur die Integration
zu einem konsistenten Ensemble, sondern überdies
eine überzeugende Interpretation der topografischen Situa-
tion. Nicht zuletzt das Farbkonzept unterstützt die
Wirkung der Baukörper.
65
Text: Hubertus Adam
Vom Bahnhof Männedorf aus führt der Weg stetig bergan. Wie
andere Gemeinden am Zürichsee hat sich der Ort kon ti -
nuierlich den Hang hinauf entwickelt, und so durchquert man
auf dem Weg nach oben, den Ortskern mit der Kirche seitlich
zurücklassend, eine Streusiedlung aus Einfamilienhäusern,
Heimen und Bildungsstätten. Nach knapp 20 Minuten scheint
das Ende des Siedlungsgebietes erreicht, doch dann geraten
auf einem Plateau vor dem Waldrand drei grellgrüne und ein
orangefarbener Baukörper in Sicht. Zusammen mit einer
Reihe älterer Bauten in gedecktem Grau bilden sie ein En-
semble: die Anlage Appisberg, ein Sozialunternehmen für
berufliche Abklärung und Ausbildung von Menschen mit
Handicap. Ende 1965 war der Verein Appisberg gegründet
worden, um eine Eingliederungsstätte von behinderten Men-
schen oberhalb von Männedorf zu betreiben – in einem bau-
lichen Ensemble aus den Dreissigerjahren, das die Zürcher
Kantonale Liga gegenTuberkulose hatte errichten lassen.
Im Allgemeinen unterstützt durch die Invalidenversiche-
rung werden auf dem Appisberg Massnahmen durchgeführt,
mit welchen die spezielle berufliche Eignung leicht körper-
lich, psychisch oder lernbehinderter Menschen getestet wird,
um sie anschliessend in einen privatwirtschaftlichen Ar-
beitsprozess zu integrieren. Zentrales Element ist die Beruf-
liche Abklärungsstelle (BEFAS), in denen Versicherte, die
sich hinsichtlich möglicher zukünftiger Tätigkeitsfelder im
Unklaren sind, über einen Zeitraum von in der Regel vier Wo-
chen arbeitspraktisch, beruflich, psychologisch und medizi-
nisch beraten werden. Nach der einwöchigen Basisabklärung
unternehmen die Teilnehmer Arbeitsversuche in unter-
schiedlichen Berufsfeldern. Im Angebot befinden sich Unter-
richtstage in der Holzwerkstatt, in einem kunsthandwerk-
lichen Atelier, im Bereich Textil/Leder oder im Sektor Büro,
Informatik und Dienstleistung. Im mechanisch-technischen
Bereich können industrielle Montage- und Recyclingarbeiten,
Elektrotechnik, Eletronik, Metallbearbeitung, CNC und Tech-
nisches Zeichnen erprobt werden. Daneben bietet Appisberg
Berufsvorbereitungsjahre, Umschulungen (1 Jahr), Anlehren
(2 Jahre) und Lehren (3 Jahre) an.
Plastische Volumina
Der gestiegene Bedarf an Abklärungen machte Ende der
Neunzigerjahre eine Erweiterung des Ensembles nötig;
einen Wettbewerb des Jahres 1998 konnte das Büro Gigon/
Guyer für sich entscheiden. Der Plan sah eine sukzessive
Ergänzung des Ensembles durch eine Reihe paralleler Hal-
lenbauten vor, die auf der Südseite des Areals in strenger
Reihung errichtet werden sollten. Die nördlichen Schmal -
seiten der quer zum Hang orientierten Baukörper stiessen
gemäss dem Erweiterungskonzept an den das Ensemble
durchmessenden Erschliessungsweg, während die Architek-
ten vorschlugen, die bestehenden Gebäude in den weiteren
Bauphasen nach Süden, also zur Talseite hin, durch leicht
versetzte Volumina identischer Grösse zu erweitern – der -
gestalt, dass das Erdgeschoss des Ursprungsbaus seine Fort-
setzung im Obergeschoss der Erweiterung gefunden hätte.