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Seite 1 von 5 Ausgabe Nr. 2 / 2021 Ein erster Nachweis Von der Nordsee in die Nordheide Wir haben vor einiger Zeit eine interessante Nachricht erhalten. Im Raum Sprötze wurde erstmals das Vorkommen einer Tierart nachgewiesen, für die es bisher bei uns im Landkreis keinen Nachweis gab. Wobei ich mich korrigieren muss, es gab für das gesamte niedersächsische Festland keinen Nachweis. Allein auf dem Memmert, einer ostfriesischen Insel südwestlich von Juist wurde im Jahr 1930 das Vorkommen dieser Art bisher bestätigt. Sicherlich haben Sie jetzt schon Bilder von Seeschwalben, Möwen, Limikolen oder anderen maritimen Tierarten vor Augen - aber wir machen es in dieser NaturPlus noch ein wenig spannend. Der Blick auf die Dinge Bleiben wir aber zunächst noch bei uns Menschen. Es ist durchaus interessant bei einer solchen Nachricht zum Vorkommen einer neuen Tierart zu beobachten, wie diese aufgenommen wird. Viele Menschen haben dabei oft ein ganz eigenes Bewertungsmuster entwickelt, nämlich „Nützt sie mir oder nützt sie mir nicht?“. Der Nutzen wird dabei in der Regel zunächst an ganz individuellen Bedürfnissen und danach an Werten und Normen An der Nordsee © Armin Hirt

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Page 1: Ausgabe Nr. 2 / 2021

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Ausgabe Nr. 2 / 2021

Ein erster Nachweis

Von der Nordsee in die Nordheide Wir haben vor einiger Zeit eine interessante Nachricht erhalten. Im Raum Sprötze wurde erstmals das Vorkommen einer Tierart nachgewiesen, für die es bisher bei uns im Landkreis keinen Nachweis gab. Wobei ich mich korrigieren muss, es gab für das gesamte niedersächsische Festland keinen Nachweis. Allein auf dem Memmert, einer ostfriesischen Insel südwestlich von Juist wurde im Jahr 1930 das Vorkommen dieser Art bisher bestätigt.

Sicherlich haben Sie jetzt schon Bilder von Seeschwalben, Möwen, Limikolen oder anderen maritimen Tierarten vor Augen - aber wir machen es in dieser NaturPlus noch ein wenig spannend.

Der Blick auf die Dinge Bleiben wir aber zunächst noch bei uns Menschen. Es ist durchaus interessant bei einer solchen Nachricht zum Vorkommen einer neuen Tierart zu beobachten, wie diese aufgenommen wird. Viele Menschen haben dabei oft ein ganz eigenes Bewertungsmuster entwickelt, nämlich „Nützt sie mir oder nützt sie mir nicht?“. Der Nutzen wird dabei in der Regel zunächst an ganz individuellen Bedürfnissen und danach an Werten und Normen

An der Nordsee © Armin Hirt

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festgemacht, über die es einen vermeintlichen allgemeingesellschaftlichen Konsens gibt, z.B.: Wertschöpfung und Wachstum. Vielleicht fragen wir uns noch, ob wir etwas schön oder hässlich finden und blenden auch dabei gerne aus, dass dies zumeist völlig subjektiv ist und allein im Auge des Betrachters liegt. Altruistische Bewertungen sind eher selten, wissenschaftliche leider ebenso.

Erst seit wenigen Jahren wird vor diesem Hintergrund aber immer häufiger hinterfragt, welche „Werte“ die Natur und insbesondere bestimmte Arten eigentlich tatsächlich haben. Eine der Vorgehensweisen ist es, den Wert anhand der sogenannten Ökosystemdienst-leistungen zu ermitteln und letztendlich durchaus auch in Euro abzubilden. Dies mag beindruckend und anschaulich sein, endet aber zumeist wieder in einer materiellen Sackgasse. Besonders interessant wird die Wertfrage bei Arten die wir, ohne mit der Wimper zu zucken, als völlig unnütz, hässlich und womöglich schädlich beurteilen, wie z.B. Parasiten, sprich Schmarotzer. Denken wir nur an Stechmücken. Haben sie tatsächlich eine Daseinsberechtigung abseits unseres Werte-systems?

Einfach nur unnütz? Am Beispiel der Mücke lassen sich eher verborgene Funktionen gut erklären. Viele Mückenarten kommen, ganz zu unserem Ärger, in sehr großen Mengen vor. Als Filtrierer tragen die

Larven zu einer enormen Reinigung in den Gewässern bei. Darüber hinaus sind sie aber auch essentieller Teil natürlicher Nahrungsketten in der Tierwelt. Mückenlarven dienen z.B. als Nahrung für Fische und Amphibien und später als ausgewachsene Insekten sind sie wichtige Nahrungsquelle für Vögel, Fledermäuse, Spinnen etc.

Das Vorkommen von Parasiten beschleunigt zudem maßgeblich die natürliche Evolution. Denn gerade die Tiere, die bei einem Befall nicht stark geschwächt werden, sondern besonders gut mit einem vermeintlichen „Peiniger“ leben können, sind auch vitaler und können sich im Ergebnis daher auch besser fortpflanzen.

Zu Guter Letzt regulieren Parasiten auch die Größe von Populationen, so dass diese im Gleichgewicht mit den umgebenden natürlichen Systemen bleiben. Diese letzte Funktion wird dann sehr deutlich, wenn z.B. Arten in ein neues Land eingeschleppt werden und sich invasiv, also rasant vermehren. Ein Hauptgrund hierfür ist zumeist das Fehlen von natürlichen Feinden und eben auch Parasiten.

Kommen wir aber zu unserer neuen Art: Ornithomyla chloropus –nordische Lausfliege.

Klein und sehr speziell Lausfliegen sind flache kompakte Insekten, die als Außenparasiten an warmblütigen Wirbeltieren leben. Sie haben kräftige Krallen, um sich im Fell oder Gefieder ihrer Wirtstiere festzuhalten und Mundwerkzeuge zum Blutsaugen.

Nützliche Sauger? © segovax / pixelio.de

Lausfliege © Udo Sellenschlo

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Nun ist es raus: Unsere neue Lausfliegenart ist also auch ein Parasit. Sie lebt ausschließlich an Vögeln und wurde nun erstmals in einem Nest aus einem Nistkasten in der Nähe vom Brunsberg nachgewiesen: Der Erstfund für das niedersächsische Festland. Mit Sicherheit ist es nicht das einzige Vorkommen aber Lausfliegen stehen leider wenig im Fokus der Forschung und so sind viele Vorkommen bis heute wahrscheinlich einfach nur unentdeckt geblieben.

Weltweit gibt es nur 150 bis 200 bekannte Lausfliegenarten, 30 von ihnen kommen in Europa vor, 15 Arten sind in Deutschland und 8 in Niedersachsen bekannt. Vier von ihnen leben auf Vögeln.

Einfach faszinierend Eine Besonderheit der Lausfliegen ist, dass sie anders als andere Insekten keine Eier legen, sondern lebendgebärend sind. Diese faszinierenden Tiere bringen tatsächlich Larven zur Welt, die zuvor im Körper der Mutter mit Hilfe einer Art „Milchdrüse“ ernährt und zudem auf eine einzigartige Weise mit Sauerstoff versorgt wurden. Dabei reift immer nur eine Larve im Muttertier heran, die sich nach der „Geburt“ unmittelbar am Wirtsvogel oder im Vogelnest verpuppt.

Über Lausfliegen ist bis heute nur wenig bekannt. Sie sind aber zum Teil hoch spezialisiert, so dass einige Lausfliegenarten nur auf einer einzigen Vogelart vorkommen und damit manchmal mindestens genau so selten sind wie die jeweilige Vogelart selber. Die ausgewachsenen Tiere leben überwiegend am Wirtsvogel. Einmal gelandet, werfen einige Arten ihre Flügel ab und begleiten ihn, wenn er ein Zugvogel ist, auch auf seinen Zugstrecken. Lausfliegen können somit als „blinde Passagiere“ sehr große Distanzen überwinden.

Wunderwelt Vogelnest

Als Puppe überwintern Lausfliegen auch in verlassenen Vogelnestern. Bislang wenig beachtet ist die Tatsache, dass Vogelnester ganz eigene Ökosysteme sind, die eine Vielzahl von Lebewesen aufweisen, die ohne diese Nester nicht existieren könnten. Allein in Deutschland sind etwa 100 Fliegenarten allein auf Vogelnester als Habitat angewiesen. Sind die Nester, wie von Natur aus vorgesehen, gut geschützt in natürlichen Baumhöhlen oder außerhalb der Reichweite des Menschen gibt es kein Problem, denn sie verbleiben dort dauerhaft. Nistkästen

Lausfliegenpuppen © Dr. Vilmut Brock

Vogelnisthilfe in den Sprötzer Fuhren © Armin Hirt / Landkreis Harburg

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werden jedoch von uns Menschen regelmäßig gereinigt und z.T. sogar desinfiziert – sollen es unsere gefiederten Lieblinge doch behaglich haben. Bei den Säuberungsaktionen kommt es dann zum Totalverlust der komplexen Nestökosysteme. Ein Apell der Insektenforscher ist es daher, die Nistkästen nicht oder zumindest nicht vollständig und nicht jedes Jahr und niemals alle auf einmal zu reinigen.

Begegnungen der besonderen Art Manchmal landen Lausfliegen aus Versehen auch auf uns Menschen, sie bemerken aber den Irrtum meist schnell und gerade die auf Vögel spezialisierten Arten verlassen uns rasch wieder. Eine kurze Begegnung, die uns nicht ärgern sollte, denken wir an die vielfältigen Funktionen die gerade parasitisch lebenden Tiere in ihren Ökosystemen erfüllen und welche faszinierenden Lebensweisen sie im Laufe der Evolution entwickelt haben.

Neuer Blick Und wenn wir das bedrohliche Insektensterben vor Augen haben, dürfen wir nicht nur an nütz-liche Honigbienen und hübsche Schmetterlinge denken, sondern sollten alle unsere heimischen Insektenarten wohlwollend und wertschätzend im Blick haben.

Geschichte hinter der Geschichte

Interessant ist auch die Geschichte hinter dem Nachweis dieser Art. Als Naturschutzbehörde arbeiten wir seit Jahren mit der Naturparkschule in Sprötze zusammen. Die dortigen Lehrkräfte haben eine ganz wunderbare Art entwickelt, ihre Schüler für die Natur zu interessieren und ihnen das komplexe Wissen von den Zusammenhängen in Natur und Landschaft beizubringen. Hierzu gehörte bisher auch das Reinigen von Nistkästen in den „Sprötzer Fuhren“ und das Bestimmen der Vogelart anhand des Nestbaus. Der Ehemann einer dieser Lehrerinnen ist ein ausgezeichneter und bekannter Insektenforscher. Er hatte seine Frau gebeten einige Nester der Reinigungsaktion mitzubringen, um sie auf bestimmte Käferarten zu untersuchen. Zwar fand er kaum Käfer aber eine kleine Lausfliege kam ihm interessant vor. Er schickte das Exemplar einem anderen Insektenforscher, der auch Experte für Lausfliegen ist. Ihm gelangen die Bestimmung und der bemerkenswerte Nachweis.

Wir danken Frau Sabine Adolphi- Schacht, Herrn Dr. Wolfgang Schacht sowie Herrn Dr. Jens-Hermann Stuke für die Zusammenarbeit.

von Armin Hirt

Naturparkschule am Brunsberg © Armin Hirt / Landkreis Harburg

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Herausgeber Landkreis Harburg Abt. Naturschutz / Landschaftspflege Schloßplatz 6 21423 Winsen (Luhe) E-Mail: [email protected] Internet: www.landkreis-harburg.de/naturplus Telefon: 04171 / 693 – 296 Idee: Armin Hirt Layout: Niels Vollmers Engagierter Naturschutz findet oft abseits der Schlagzeilen statt. „NaturPlus“ möchte Sie daher in unregelmäßigen Abständen über die Arbeit der Abteilung Naturschutz des Landkreises Harburg informieren. Das Plus steht dabei für das erreichte MEHR für die Natur. Als übersichtliche Kurzmitteilung hat „NaturPlus“ ausdrücklich nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Veröffentlichung. Die „NaturPlus“ erscheint auch als E-Mail Newsletter. Diesen können Sie auf den Seiten der Naturschutzabteilung unter www.landkreis-harburg.de abonnieren. Sofern nicht anders angegeben liegen die Rechte für die in diesem Newsletter verwendeten Bilder beim Landkreis Harburg.