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    Jens Wissel

    Die Transnationalisierung von

    Herrschaftsverhltnissen

    Zur Aktualitt von Nicos Poulantzas' Staatstheorie

    Nomos

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    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in

    der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar.

    ISBN 978-3-8329-2689-2

    1.Auflage 2007

    Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2007. Printed in Germany. Alle Rechte,auch die des Nachdrucks von Auszgen, der fotomechanischen Wiedergabe undder bersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier.

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    Inhaltsverzeichnis

    Einleitung 9

    1. Problemaufriss 92. Staat und Globalisierung 113. Theoretische Ausgangsbasis und grundlegende Thesen 134. Aufbau der Arbeit 15

    Erster Teil:Internationalisierung des Staates und die Transnationalisierung vonHerrschaftsverhltnissen. Der Stand der Dinge 19

    1. Regimetheorie, Global Governance und Mehrebenenanalyse 191.1 Regimetheorie 191.2. Global Governance 261.3. Die Mehrebenentheorie 28

    1.4. Zwischenfazit 322. Regulationstheorie, eine kurze Bestandsaufnahme 33

    2.1. Der Pariser Ansatz 332.1.1 Theoretische Grundlagen 332.1.2. Internationale Regulation 382.1.3. Krise 392.1.4. Die Analyse des Fordismus und seiner Krise 402.1.5. Probleme des Pariser Ansatzes 43

    2.1.5.1. Gesellschaftstheoretische Defizite 432.1.5.2. Unzureichende Bercksichtigung der

    internationalen Regulation 442.2. Staatstheoretische Reformulierung der Regulationstheorie 48

    3. Aktuelle Probleme und Perspektiven der staatstheoretisch fundiertenRegulationstheorie 533.1. Die Arbeiten von Joachim Hirsch und Bob Jessop 55

    4. Theoretische Suchbewegungen 584.1. Regulationstheorie und Weltsystemtheorie 58

    4.1.1. berblick 584.1.2. Kritik 60

    4.2. Anschluss an neogramscianische Perspektiven 63

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    4.2.1. berblick 634.2.2. Kritik 65

    5. Zusammenfassung 67

    Zweiter Teil:Transformation von Staat und Hegemonie. Poulantzas' Intervention in dieInternational isierungsdebatten der 70er Jahre 69

    1. Warum Poulantzas? 692. Der Staat als materielle Verdichtung eines Krfteverhl tnisses 71

    2.1. Staat und Raum 772.2. Der Staat und die herrschenden Klassen 79

    2.3. Der Staat und die Volkskmpfe 812.4. Staat und konomie 823. Krit ik 84

    3.1. Kapitalismus als Klassenvergesellschaftung 854. Die Internationalisierung der kapitalist ischen Verhltnisse 89

    4.1. Periodisierung 904.2. Die Fnf >Schlsselfragen< 92

    Frage 1: Welche Beziehungen bestehen zwischen denimperialistischen Gesellscha ftsformat ionen? 92

    Frage 2: Welche Auswirkungen haben diese vernderten

    Beziehungen auf die Nationalstaaten? Die Entstehung derinneren Bourgeoisie. 93

    Frage 3: Kann man gegenwrtig von einem Nationalstaat in denimperialistischen Metropolen sprechen? 96

    Frage 4: Welche Beziehungen haben diese Staaten zur>Internationalisierung des Kapitals< oder den >multinationalenKonzernen

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    2.2. Klassen- und staatstheoretische Konsequenzen aus derTransnationalisierung, die Rekonfiguration von Politik undkonomie 115

    2.3. Transnationalisier te innere Bourgeoisie 1193. Ein neuer transnationaler Machtblock 1223.1. Der neue Machtblock und die subalternen Klassen? 130

    4. Rekonfigurat ion der Rume 1354.1. Allgemeine Bestimmungen 136

    4.1.1. Die Raummatrix 1364.1.2. Das Territor ium 137

    4.2. Intermedire Begrif fe 1384.2.1. Spatio-temporal Fix 1384.2.2. Organisat ionsformen der Arbeit 139

    4.2.3. Neue Akkumulationsrume 1404.2.4. Neue Regulat ionsrume 141

    4.3. Trans formationsprozesse 1434.3.1. Reorganisation des Gewaltmonopols 1434.3.2. Der neoliberale Raum 1444.3.3. Supranationale Blcke 1444.3.4. Der transnationale Raum 145

    4.4. Resmee 1464.4.1. Reterritorialisierung und innere Auflsung 1464.4.2. Postfordistische Produktionsbedingungen nationaler

    Territorialitt 1484.4.3. Politische Form des Raums 150

    5. Expansion des Kapitals: Oder Macht, Kapital, Imperialismus? 1516. Noch einmal Regulationstheorie 157

    Vierter Teil:Verdichtung transnat ionaler Krfteverhltnisse im WTO-Regime 161

    1. Warum die WTO? 1612. Zur Entstehungsgeschichte des WTO-Regimes 1633. Das Strei tschlichtungsverfahren 1664. Die WTO und die Verselbststndigung der Streitschlichtung 1685. Einbet tung der WTO oder, Welthandel, Macht, Politik 173

    5.1. Streitbeilegung und Herr schaf t 1735.2. Die Auseinandersetzung um das TRIPs-Abkommen 1765.3. Die Auseinandersetzungen um das MAI 1785.4. Folgen des erweiterten Zugangs 1815.5. Die instabile Position der WTO 183

    6. Zur insti tutionellen Dichte der WTO 186

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    7. Krise der WTO und die Globalisierung der Klassenkmpfe 188

    Fnfter Teil 192

    1. Resmee1.1. Fnf vorlufige Antworten

    192192

    Frage 1: Welche Beziehungen bestehen zwischen denherrschenden Gesell schaft sfonnat ionen? 192

    Frage 2: Welche Auswirkungen haben dieTransformationsprozesse auf die Nationalstaaten? 193

    Frage 3: Welchen Stellenwert hat der Nationalstaat gegenwrtigin den herrschenden Metropolen? 194

    Frage 4: Welche Beziehungen haben die Staaten zur>Transnationalisierung des Kapitals< oder den>transnationalen Konzernen

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    Einlei tung

    1. Problemaufriss

    Seil der Krise des Fordismus haben alle gesellschaftlichen Bereiche grundlegendeVernderungsprozesse durchlaufen. Mit der beginnenden Aushhlung der>nationalen konomien< hat sich nicht nur die konomische Konstellation verndert,auch auf der politischen Ebene sind dramatische Umbrche zu beobachten. Die

    Frage, ob mit der >neoliberalen< Globalisierung, die sich als hegemoniales Musterder Krisenbewltigung durchzusetzen scheint, bereits eine neue konsistentekapitalistische Formation >gefunden< wurde, bleibt umstritten. Die rumlichen undstaatstheoretischen Implikationen der Vernderungen werden kontrovers diskutiert.Dies liegt in der Hauptsache nicht an differierendem empirischem Datenmaterial,vielmehr zeigen sich in den unterschiedlichen Anstzen Schwierigkeiten, dieStrukturvernderungen der letzten dreiig Jahre theoretisch ins Visier zu nehmen.Vieles deutet daraufhin, dass mit den im Fordismus gebildeten Kategorien die Ver-hltnisse nicht mehr angemessen erklrt werden knnen. Alte Evidenzen lsen sichebenso schnell auf wie grundlegende Kategorien verschwimmen. Besonders deutlichwird diese Bewegung in Bezug auf den Staat; wie Staat und Staatlichkeil im >Post-fordismus< zu fassen, bzw. zu definieren sind, ist unklarer denn je.1

    In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die strukturellen Ver-nderungen des Weltsystems theoretisch aufgenommen und unter Begriffen wie>Internationalisierung< (Poulantzas 2001) oder internationaler >komplexer Inter-dependenz< (Keohane/Nye 1977) diskutiert. Whrend bei Poulantzas die Ver-nderung der Klassenverhltnisse im Vordergrund stand, waren letztere an der Fragenach den Bestandsbedingungen der von den USA und ihren Verbndeten er-richteten Nachkriegsordnung (Kohler-Koch 1989, 17) orientiert. Ausgangspunkt

    dieser Diskussionen war die Annahme, dass die Interdependenzprobleme zu einemerhhten Bedarf an internationaler Kooperation fhren. Autorinnen, die in derTradition der Realistischen Schule argumentierten, gingen dem entgegen davon aus,dass nach dem proklamierten >american decline< internationale Ordnung ohne ein-deutige Hegemonialmacht auf Dauer instabil bleiben msse (etwa Gilpin 1987; 1989

    1 So stellt etwa Michael Zrn fest: An Analysen zur Globalisierung der Wirtschaft und zurInternationalisierung der Politik mangelt es nicht. Im Ergebnis unterminieren diese Analysendie tradierte, national kodierte Vorstellung von Politik. Ein Mangel besteht hingegen anStudien, die sich konstitutiv mit den theoretisch-konzeptionellen Implikationen fr die Politik-

    wissenschaft auseinandersetzen (Zrn 2002, 215).

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    und Kindleberger 1986). Die Tatsache allerdings, dass internationale Kooperationimmer mehr an Bedeutung gewann, fhrte Anfang der 1980er Jahre mit der Regime-theorie zu einem Ansatz, in dem >idealistische< und >realistische< Annahmen2 mit-

    einander verbunden wurden (Haggard/Simmson 1987; zur Regimetheorie siehe vorallem Krasner 1983; Rittberger 1993; Kohler-Koch 1989; kritisch Strange 1983).Nachdem es in den 1970ern noch um die Strkung der >governability< von National-staaten ging, rckte jetzt die Frage nach Stabilitt und internationaler Kooperation,

    bzw. Global Governance in den Fokus der Analyse (siehe Czempiel/Rosenau 1992;Rosenau 1995; Kohler-Koch 1989; Messner/N uschler 1996).

    Wie zu zeigen sein wird, konnten in diesen Debatten zwar einzelne Phnomenedes Prozesses durchaus getroffen werden, theoretisch blieben sie aber defizitr, weilentscheidende Aspekte, insbesondere der widersprchliche Zusammenhang vonPolitik und konomie sowie internationale Macht- und Gewaltverhltnisse unbe-

    rcksichtigt blieben.Aber auch kritischen Anstzen, die hier ihren Ausgangspunkt haben, ist es nicht

    gelungen, eine konsistente Theorie der aktuellen Transformation des Kapitalismuszu formulieren. Auch hier liegen die Probleme darin, dass die traditionellen Kate-gorien nicht mehr ausreichen, um das, was aus den Vernderungen hervorgegangenist, angemessen in den Blick zu nehmen. Die gewohnten Begriffe und theoretischenKonzeptionalisierungen stehen erneut zur Debatte.

    Die Einschtzungen postfordistischer Realitten widersprechen sich oft funda-mental. Macht- und staatstheoretisch sind selbst Ort und Territorialitt von Macht-verdichtungen umstritten. Nicht wenige Autorinnen halten die traditionelle Dialektik

    von Innen und Auen fr hoffnungslos veraltet. Auch wenn man die These, dasssich die einst strikte Aufgabentrennung zwischen uerem und innerem Arm derMacht (Hardt/ Negri 2002, 201) im Unbestimmbaren verliert, fr berzogen hlt,wird immer deutlicher, dass die gegenseitigen Durchdringungsprozesse der unter-schiedlichen >Ebenen< politischer Regulation klare Trennungslinien immer un-

    plausibler werden lassen. Die Probleme liegen auch darin, dass die neueKonstellation nicht so eindeutig strukturiert ist, wie die vorhergehende fordistischePhase. Mit anderen Worten: Die nationale Ebene hat ihren im atlantischenFordismus als selbstverstndlich hingenommenen Primat verloren, aber keine andereDimension konomischer, politischer oder sozialer Organisation (ob >global< oder

    >lokalurban< oder >triadisch

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    den kann, noch ohne weiteres von einer relativen Kontinuitt der Verhltnisse aus-zugehen ist, ist es Aufgabe der Sozialwissenschaften, die Prozesse theoretisch ein-zuordnen. Mglich wre es, dass gerade hier schon zwei Merkmale des Postfordis-

    mus benannt sind. Ohne den Anspruch erheben zu wollen historische Entwicklungs-tendenzen aus den Verhltnissen ableiten zu knnen, muss Gesellschaftstheorie aberin der Lage sein, die Entwicklungen nachzuzeichnen sowie die momentanen Rich-tungen auszumachen.

    In der Regulationstheorie, der es in den 1980er Jahren gelungen war, plausibleKategorien zur Analyse des Fordismus zu entwickeln, hat mit dem Niedergang desFordismus ein Prozess der Selbstkritik des eigenen Analysegerstes eingesetzt.Insbesondere die methodische Fokussierung des Ansatzes auf den Nationalstaat er-schien mit zunehmender Relevanz sub- und transnationaler Zusammenhnge frag-wrdig. Konsens besteht nur darin, dass der nationalstaatliche Fokus der Regula-

    tionstheorie aufgegeben werden muss, vllig unklar bleibt hingegen, wie das Ver-hltnis von Staat, Nationalstaat und Weltsystem in der Globalisierung zu kon-zeptionalisieren ist.

    2. Staat und Globalisierung

    Der Begriff der Globalisierung ist in den 1980er Jahren in die wissenschaftliche De-batte eingedrungen und hat ber die Grenzen der unterschiedlichen Denkschulenhinweg in unzhligen Publikationen Verwendung gefunden.

    Trotz, oder gerade wegen der kaum noch zu berschauenden Schwemme an Bei-trgen zur Globalisierungsdebatte, bleibt meist im dunkeln, was mit dem Begriffberhaupt gesagt werden soll, bzw., die Definitionen differieren derart, dass einewissenschaftliche Kommunikation erheblich erschwert wird (einen berblick bietenAltvater/Mahnkopf 1999, Hbner 1998, 17ff. sowie Grande/Risse 2000). Whrendder Begriff fr die einen einen kaum noch hinterfragbaren Sachzwang beschreibt,whnen die andern dahinter >hauptschlich< eine ideologische Offensive, um die imFordismus institutionalisierten Formen der Konfliktbearbeitung zu beseitigen (sieheMisik 1997; Dolata 1997; abgeschwcht Boyer/Drache 1996). Umstritten bleibt

    auch, ob berhaupt von Globalisierung gesprochen werden kann und ob man nichtviel eher von einer Fragmentierung (vgl. Menzel 1998) oder Triadisierung (Esser1999) des globalen Raums reden muss, weil weite Teile der Welt von diesenProzessen abgekoppelt bleiben. Verschiedene Autoren versuchen demgegenber,den Zusammenhang von Fragmentierung und Globalisierung mit dem Begriff der>Glokalisierung< zu verdeutlichen (vgl. Amin/Thrift 1994; Knox/Tayler 1995; Alt-vater/Mahnkopf 1999, 68ff). Auch die Frage, ab wann von Globalisierung aus-gegangen werden kann, ist strittig. Immanuel Wallerstein etwa geht, im Anschlussan Marx, davon aus, dass der Kapitalismus seit seinen Anfngen ein Weltsystem war(vgl. Wallerstein 1986).

    Der Begriff der Globalisierung ist zwar unscharf und insofern missverstndlich,

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    als er den Anschein erweckt, es handle sich um einen vereinheitlichenden Prozess(zur Kritik einer solchen Perspektive Grg 2002), dennoch gehe ich hier davon aus,dass mit dem, was gemeinhin als Globalisierung bezeichnet wird, eine qualitativ

    neue politische, konomische und kulturelle Entwicklung beschrieben wird. DasEnde der Blockkonfrontation hat den Kapitalismus tatschlich global werden lassen.

    Nach dem Wegfall des Ostb locks sind die USA die einzige Weltmacht. Die west-lichen Wertvorstellungen, wie liberale Demokratie, Menschenrechte und kapitalis-tische Konsumnormen knnen seitdem Universalitt beanspruchen. Gleichzeitig hatdas Verschwinden der vermeintlichen Bedrohung aus dem Osten, aber auch die Bin-dungen in der >westlichen Welt< gelockert. konomisch ist nach dem Ende desFordismus unter Globalisierung eine umfassende wirtschaftliche Liberalisierung zuverstehen, in der sich die globalen Dominanz- und Abhngigkeitsverhltnisse grund-legend gewandelt haben. (Hirsch 1997, 18)

    Ich werde in dieser Arbeit den Begriff der Transnationalisierung zur Be-schreibung dieser Prozesse verwenden, weil er die angesprochenen Entwicklungenvon vorangegangenen Perioden der Internationalisierung zu unterscheiden erlaubt.Dass die gesellschaftliche Verfasstheit dieser Prozesse noch unscharf ist, drckt sichin dem Begriff des Postfordismus aus. Er besagt nicht viel mehr, als die Tatsache,dass die fordistische Phase des Kapitalismus an ihr Ende gekommen ist. Einadquater Begriff zur >positiven< Bestimmung des Neuen fehlt noch.

    Es wird kaum noch verwundern, dass auch Interpretationenversuche hinsichtlichder Rolle des Staates in der vernderten Konstellation breit gefchert sind. Zum Teilwird von einem erheblichen Verlust der Handlungskompetenzen ausgegangen (z. B.

    Zrn 1998; Habermas 1998; Willke 2001; siehe auch Altvater/Mahnkopf 1999),manche sehen den Nationalstaat gar nur noch als berbleibsel einer vergangenenEpoche. Fr Hardt und Negri haben die Vernderungen der Globalisierung zur Ent-stehung einer neuen Form von Souvernitt gefhrt. In dieser imperialen Form vonHerrschaft, in der konomie und Politik tendenziell verschmelzen, gibt es keinAuen mehr (vgl. 2002; zu der kontrovers gefhrten Debatte siehe u.a. Das Argu-ment 248 und Atzert/Mller 2003). Martin Shaw spricht demgegenber von einementstandenen globalen Staat, bzw. von einem Western-global conglomerate of State

    power 3 (Shaw 2000, 213; siehe auch Albrow 1998).Die Transformation des Staates durch die Aufwertung von subnationalen und

    supranationalen Rumen und die einhergehende Vernderung des Verhltnisses vonTerritorialitt und Souvernitt (vgl. Sassen 1996b) haben eine Reihe von Fragen inden Fokus sozialwissenschaftlicher Debatten rcken lassen: Hat der Nationalstaatals privilegiertes Feld der Politik abgedankt? Hat die Internationalisierung des Staa-tes neue Felder entstehen lassen, auf denen jenseits der Nationalstaaten formelle undinformelle (transnationale) Strukturen wirkungsmchtig geworden sind? Muss im

    3 Allerd ings hat er Schwierigkeit en, zu zeigen , was denn nun der neue >w es tl ic he Staat< ist, undwie Bob Jessop anfuhrt, bleibt letztlich nicht viel mehr brig als der Zusammenschluss

    nationaler Souvernitten unter US-Hegemonie (Jessop 2001a, 165).

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    Zuge der Entwicklung von Elementen einer transnationalen Staatlichkeit (Bieling2001: 223f.), wie beispielhaft in der EU, aber auch in transnationalen Netzwerkenwie G7, WTO, IWF, OECD und Weltbank, davon ausgegangen werden, dass wir

    uns in einem Transformationsprozess vom >nationalen Wettbewerbsstaat< (Hirsch1995) zum >imperialen Netzwerkstaat< (Demirovic 2001) befinden? Oder ist Staattatschlich die falsche Kategorie um die neue Ordnung zu fassen?

    In der Regel wird von einer Umstrukturierung ausgegangen, die keinesfalls auto-matisch zur Beseitigung des Nationalstaates fhrt (siehe beispielsweiseLeibfried/Zrn 2006). In der wissenschaftlichen Debatte herrscht weitgehendKonsens darber, dass sich der Staat und seine Stellung im internationalen Systemgrundlegend verndert haben. Thomas Fues fasst diese Position so zusammen:Auch wenn die nationalen Regierungen die zentralen Akteure in einem komplexenMehrebenensystem bleiben, wird die traditionelle Staatenordnung, in der die staat-

    liche Souvernitt als hchstes Prinzip der internationalen Beziehungen gilt, durchneue Steuerungsmuster ersetzt (2001, 50). Lothar Brock spricht von Anstzen einerdie Staaten ergnzenden Staatlichkeit. Was die realen Anknpfungspunkte einersolchen Entwicklung betrifft, so sind hier die Einrichtungen des Streitschlichtungs-mechanismus der Welthandelsorganisation, die bestehenden Formen des inter-nationalen Schutzes der Menschenrechte auf regionaler Ebene (Europa, Amerika)oder der Ausbau der internationalen Gerichtsbarkeit (Stndiger Strafgerichtshof) zunennen, aber auch die zunehmende Bedeutung nichtstaatlicher Einrichtungen zurDefinition und Kontrolle von Produkt- und Verfahrensstandards, die Kontrolle staat-licher Machtausbung durch global vernetzte Nichtregierungsorganisationen und dieHerausbildung pluraler Rechtssysteme [...] (Brock 2001, 397). In der Regulations-theorie wurden diese Prozesse zunchst als Netzwerke internationaler Regulation(Brand/Grg 2001), bzw. als rumliche Differenzierung und Inlernationalisierungder Regulationssysteme (Hirsch 2001a, 188) gedeutet. In jngster Zeit sind zu-nehmend Versuche zu beobachten, die Regulationstheorie mit Erkenntnissen aus denneogramscianischen Anstzen zu kombinieren, da hier mit der Annahme einer ent-stehenden transnationalen Zivilgesellschaft die Transnationalisierungsprozesse imZentrum der Analyse stehen (siehe Rttger 1997; Borg 2001a+b; Bieling 2000,Demirovic 2000, Winter 2003). Die vorliegende Arbeit ist in diesem Kontext zu

    sehen.

    3. Theoretische Ausgangsbasis und grundlegende Thesen

    Die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Globalisierungsprozesse und dieVernderungen der gesellschaftlichen Strukturen und Krfteverhltnisse wurdennicht einfach nur in bestehende Theorien integriert, vielmehr hat sich das diskursiveFeld der theoretischen Auseinandersetzungen entscheidend verndert. Nachdem En-de der 1960er Jahre ein Revival polit-konomischer Theoriebildung einsetzte, ge-

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    rieten in den 1980er und 1990er Jahren gesamtgesellschaftlich orientiertetheoretische Anstze ins Abseits. Die Dependenztheorie4 - und im Anschluss hieranauch die Weltsystemtheorie - wurden nicht ganz zu Unrecht wegen ihrer de-

    terministischen Vorstellungen kritisiert. Schon vorher war der Optimismus derModernisierungstheorien durch die realen Entwicklungen widerlegt worden. Abernicht nur die beiden Gegenspieler der 1960er und 1970er Jahre - Modernisierungs-theorie und Dependenztheorie - gerieten in Misskredit, vielmehr wurden >groeTheorien< (Menzel 1992) generell in Frage gestellt, sodass der Anspruch, gesamt-gesellschaftliche Zusammenhnge erklren zu wollen, immer mehr in den Hinter-grund gedrngt wurde. Dennoch sind nach dem Paradigmenwechsel von der

    poli tikkonomischen Analyse zur Wiederentdeckung der Kultur, von der globalenGesellschaftstheorie zu den Problemen des eigenen Lebensbereiches (ebd., 63), ge-sellschaftstheoretische Anstze nicht vllig verschwunden. Insbesondere die

    Globalisierungsprozesse der letzten zwei Jahrzehnte haben gezeigt, wie wichtig esist, die Zusammenhnge von konomie und Politik aufzuzeigen. Hier ist besondersoffenkundig, dass die bloe Beschreibung einzelner Bereiche, die den Zusammen-hang aller gesellschaftlichen Momente in der Totalitt ignoriert, die Fakten nicht an-gemessen begreifen kann (vgl. Adorno 1990, 33). Dies uert sich auch in der zu-nehmenden >Entgrenzung< der Disziplin der internationalen Beziehungen hier sindzunehmend Anleihen bei anderen Disziplinen zu beobachten, ohne diese allerdingsin einen gesellschaftstheoretischen Zusammenhang stellen zu knnen (Albert 2003,568ff.).

    Ich werde deshalb, neben den einschlgigen Anstzen in den >internationalen Be-

    ziehungen ein besonderes Augenmerk auf politikkonomische Zugnge legen.Dabei bildet der staatstheoretisch orientierte Flgel der Regulationstheorie5 denAusgangspunkt der Untersuchung.

    Bei dem Versuch, die gewonnenen Erkenntnisse theoretisch zu konzeptiona-lisieren, greife ich nicht nur auf die allgemeinen staatstheoretischen berlegungenvon Nicos Poulantzas zurck, sondern auch auf die von ihm entwickelte Theorie derInternationalisierung. Poulantzas' Gesellschaftstheorie ist dazu geeignet, dualis-tische Vorstellungen - sowohl von Politik und konomie als auch von innen undauen - in Bezug auf den Staat zu berwinden. In seinen theoretischen ber-legungen zur Internationalisierung der kapitalistischen Verhltnisse hat Poulantzaszudem wesentliche Hinweise gegeben, wie dieser Prozess analysiert werden kann.

    4 Dies triff t nicht auf die strker handlungstheore tisch orientierten Varianten der Dependen z-theorie zu. Card oso kritisiert den Determinismus, der der Vorstellung der >En twi ckl un g zurUnterentwicklu ng < zugrunde liegt, ausdrcklich (vgl. Cardoso 1974, 218ff.).

    5 Die Klassifizierung in unterschiedliche Denkschulen darf nicht darber hinwegtuschen, dasshierunter zum Teil hchst differierende Positionen zusammengefasst werden. Trotz der zumTeil erheblichen Unterschiede zwischen einzelnen Autoren, die fr den gleichen theoretischenAnsatz stehen, halte ich es fr gerechtfertigt, diese Einteilung vorzunehmen, da sie sich bei al-len Differenzen dennoch auf ein gemeinsames Set von Grundannahmen berufen, die sich klar

    von anderen theoretischen Anstzen unterscheiden lassen.

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    Zwar konnte er viele Entwicklungen in den 1970er Jahren nicht antizipieren,dennoch hat er, so die hier vertretene These, zur Entwicklung einer theoretischenPerspektive beigetragen, die hchst aktuell ist. Mit der von ihm, Anfang der 70er

    Jahre, ausgemachten neuen Phase des Imperialismus beschreibt er die neue Qualitteiner den Imperialismus von Beginn an kennzeichnenden Entwicklung, nmlich derTendenz zur internationalen Durchdringung der Kapitale (Poulantzas 2001, 50).Diese Entwicklung hat die globalen Klassenverhltnisse und ihre politische Re-gulierung nachhaltig verndert.

    Drei Thesen liegen dieser Arbeit zu Grunde:

    Die Klassenstrukturen haben sich nicht nur internationalisiert , es sind vielmehrtransnationale Klassenfraktionen entstanden (vgl. Cox 1987, 359 ff.; Rttger

    1997, 106 ff.). Kurz, die Bindungen zwischen bestimmten Kapitalen und be-stimmten Nationalstaaten sind prekrer, bzw. konstellationsabhngiger ge-worden.

    Hieraus resultierend, hat eine Denationalisie rung der Nationalstaaten eingesetzt,in der eine Reihe von Funktionen des Nationalstaates auf sub- sowie supra-nationale Ebenen verlagert werden (Jessop 1997).

    Es ist ein transnationalisiertes Feld entstanden, das mehr ist als die Summe derNationalstaaten, die auf internationaler Ebene agieren. Dieses Feld spielt eine

    bedeutende Rolle bei der Entstehung eines neuartigen Machtblocks. Kurz: Eshaben sich politische Vermittlungsinstanzen herausgebildet (WTO, IWF, usw.),in denen sich transnationale Krfteverhltnisse verdichten.

    In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach neuen hegemonialen Kon-stellationen sowohl auf nationaler wie auf internationaler, bzw. transnationaler Ebe-ne. Der Fokus der Arbeit liegt also auf der zunehmenden Transnationalisierung desStaates sowie der Entstehung eines neuen Machtblocks: In der Folge knnen vieleAspekte, die gesellschaftstheoretisch relevant sind - wie etwa die Vernderungender Geschlechterverhltnisse, die Transformation gesellschaftlicher Naturverhlt-nisse oder die Entstehung von transnationalen oppositionellen Bewegungen - umnur drei zentrale Felder anzusprechen allenfal ls angedeutet werden, sie bedr fteneigener Untersuchungen.

    4. Aufbau der Arbeit

    Die eingangs kurz skizzierte Debatte sollte gezeigt haben, dass der Ausgangspunktdieser Arbeit eine lebhaft und zugleich hchst widersprchlich gefhrte Aus-

    einandersetzung ber die Entstehung von transnationalen Herrschaftsstrukturen,

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    bzw. transnationalen politischen Strukturen ist. Die Debatte, die an Intensitt ge-wonnen hat, weil immer deutlicher wird, dass es die rapiden Vernderungen nichtmehr erlauben, ungebrochen mit den gewohnten Kategorien zu arbeiten, zeichnet

    sich vielmehr durch das Bemhen aus, sich einer adquaten Interpretation der Trans-formationsprozesse anzunhern. Lebhaft sind die Auseinandersetzungen deshalb,weil aus ihnen eine ganze Reihe theoretisch-begrifflicher Innovationen hervor-gegangen sind. Zur gleichen Zeit sind die meisten Anstze aber noch am Anfangund nicht ber das Stadium von interessanten Konzepten hinausgekommen. Dabeiwidersprechen sich nicht nur die jeweiligen Grundannahmen der unterschiedlichentheoretischen Anstze, vielmehr sind auch bei hnlichen theoretischen Bezgen zumTeil gegenstzliche Interpretationen der Transnationalisierungsprozesse anzutreffen.

    Meine Arbeit ist als Theoriearbeit angelegt und wird insofern keine neuenempirischen Befunde beisteuern. Der Anspruch liegt gerade darin, einen Blick auf

    die Verhltnisse zu entwickeln, der es erlaubt, empirische Forschung so zu be-treiben, dass sie Antworten liefern kann auf Fragen, die erst mit einem adquatentheoretischen Zugang formuliert werden knnen, die aber theorieimmanent nicht zuklren sind.

    Die Arbeit soll es also ermglichen, Kategorien zu entwickeln, die erst noch em-pirisch berprft werden mssen. In diesem Sinne knnen die hier vertretenen The-sen empirisch nicht belegt werden. Lediglich in einem Kapitel wird anhand derUntersuchung des WTO-Regimes versucht, die theoretisch entwickelte Perspektivezu veranschaulichen.

    Im ersten Kapitel werden die relevanten theoretischen Anstze dargestellt und

    diskutiert. Begonnen wird mit den gegenwrtig vorherrschenden Debatten in denTheorien der internationalen Beziehungen. Insbesondere die Regimetheorie, derGlobal Governance-Ansatz sowie der Mehrebenenansatz sind hier von Interesse.Zum einen, weil diese Anstze als Reaktion auf die entscheidenden Vernderungender internationalen und transnationalen Beziehungen zu verstehen sind und zumanderen, weil sie innerhalb der politischen Wissenschaften eine Relevanz entwickelthaben, die ber die Grenzen der eigenen Anstze hinausgeht. Ihre zentralen Begriffewurden unter anderem auch in die Regulationstheorie aufgenommen.

    Im Anschluss an die Kritik dieser Anstze, die auch die relevanten Ergebnissefesthalten soll, werde ich die Debatten und theoretischen Anstze zusammenfassen,

    die sich selbst als herrschaftskritisch verstehen und eine politik-konomische Per-spektive einnehmen.

    Ausgehen werde ich in meiner Untersuchung von der Regulationstheorie. MitBlick auf die Entstehung von transnationalen Herrschaftsverhltnissen sind darberhinaus insbesondere die neogramscianische Schule sowie die Weltsystemtheorie vonInteresse. Erstere wegen des Versuchs, Gramscis Staats- und Hegemonietheorie aufdie globale Ebene zu hieven und damit eine neue Perspektive auf internationale Ver-hltnisse zu gewinnen und letztere, weil sie schon immer von einem kapitalistischenWeltsystem ausging.

    In einem Resmee werden noch einmal die zentralen Aussagen der unterschied-

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    liehen Anstze zusammengefasst und diskutiert, auf welchen Erkenntnissen aus denbesprochenen Anstzen aufgebaut werden kann, um dann meinen eigenen Ansatz zukonturieren.

    Im zweiten Teil der Arbeit werden die Grundzge von Nicos Poulantzas' Staats-und Internationalisierungstheorie dargestellt, weil sie die Basis fr meine Analyseder aktuellen Umbrche sind.

    Die grundlegenden Thesen meiner Untersuchung werden im dritten Kapitel ent-wickelt und theoretisch begrndet. Im Zentrum steht dabei die Annahme einerTransnationalisierung der Klassenstrukturen. Diese ist allerdings ein uerst wider-sprchlicher Prozess, der es nur bedingt erlaubt, von transnationalen Klassen zusprechen. Um diesen Prozess zu analysieren, wird auf den von Poulantzas ent-wickelten Begriff der inneren Bourgeoisie zurckgegriffen, weil ich davon ausgehe,dass er es ermglicht, den hchst komplexen Bezug dieser Klassenfraktion auf

    unterschiedliche Machtverdichtungen zu fassen. Allerdings muss dieser Begriff re-formuliert werden, zum einen, da er die neueren Entwicklungen im Anschluss an dieKrise des Fordismus nicht fassen kann, und zum anderen, weil er immanente Wider-sprche aufweist. Meine These ist, dass man hier Poulantzas mit Poulantzas kritisie-ren kann.

    Wenn die Annahmen einer Transnationalisierung von Klassenverhltnissen zu-treffen, dann folgt hieraus auch eine Transformation der globalen politischen Struk-turen. Es spricht vieles dafr, dass sich im Zuge der Vernderung der Krfteverhlt-nisse in den Nationalstaaten, inter- und transnationale Institutionen und Netzwerkeherausbilden konnten, in denen sich Machtverhltnisse verdichten, die nicht auf die

    Nationalstaaten zu reduzieren sind.Vor diesem Hintergrund werden die grundlegenden Merkmale der neu ent-

    standenen Netzwerke transnationaler Regulierung analysiert. Auch hier lassen sichdie Verschiebungen in den globalen Herrschaftsstrukturen erkennen. Es wird sichzeigen, dass die zentralen Institutionen inter- und transnationaler Regulation, wieetwa WTO, Weltbank und IWF, Teile eines weitverzweigten Netzes flexiblerMachtverdichtungen sind, in dem sich ein neuer Typ Machtblock konstituierenkann.

    Die Knotenpunkte transnationaler Regulation ziehen immer mehr Aufmerksam-keit auf sich und um ihre Rolle und Funktion haben sich globale Debatten ent-wickelt. Die dabei entstandenen Felder der Auseinandersetzung werden ausneogramscianischer Perspektive als neue Formen einer transnationalen Zivil-gesellschaft interpretiert. Damit ist ein weiteres zentrales Feld der Untersuchung be-nannt.

    Die Globalisierung der Klassenstruktur muss auch hier nachweisbar sein. Dasheit, auch hier mssen sich Strukturen und Praxiszusammenhnge finden, die berdie nationalen zivilgesellschaftlichen Strukturen und deren Verbindungen hinaus-gehen. Im Anschluss an die Analyse des transnationalen Machtblocks wird es alsoum diese neuen transnationalen Formen des erweiterten Staates gehen. Hierunter

    sind Netzwerke zu verstehen, die sich um Institutionen transnationaler Regulierung

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    (oder auch in Politikfelder, in denen es diese noch gar nicht gibt) gruppieren, undversuchen, auf die internen Debatten Einfluss zu nehmen. Das schliet Netzwerkeein, in denen sich die unterschiedlichen Fraktionen der herrschenden Klasse

    organisieren, als auch oppositionelle Netzwerke, wie beispielsweise der NGO's,oder der neuen globalen Protestbewegung.Im folgenden vierten Kapitel sollen die sich herausbildenden Strukturen am Bei-

    spiel der WTO nachgezeichnet werden. Die WTO bietet sich fr eine Analyse trans-nationaler Regulation an: Zum einen handelt es sich um eine Organisation mitglobaler Reichweite, darber hinaus scheint gerade in der WTO mit ihrem Streit-schlichtungsverfahren der Versuch auf, ein verbindliches transnationales Regelwerkzu etablieren, das in Konfliktfllen mit akzeptierter Autoritt ausgestattet ist. Wenndies zutrifft, dann handelt es sich bei der WTO um einen wichtigen Knoten desneuen transnationalen Machtblocks. Die Frage ist also, ob sich die transnational

    orientierten Klassenfraktionen im globalen Kapitalismus zu einem Block formierenkonnten mit eigenen politisch-institutionellen Sttzpunkten, bzw., ob es gelungenist, ein institutionelles Umfeld zu schaffen, das den Raum zur Organisierung einerzunchst in Konkurrenz zueinander stehenden transnationalisierten Klassenfraktionzu Verfugung stellt. Gleichzeitig soll die Struktur dieses in sich widersprchlichenBlocks untersucht werden.

    Insbesondere das Verhltnis dieses neuen Machtblockes, sowohl zu den National-staaten als auch zu den inter- und transnationalen Institutionen, ist hier vonInteresse, weil sich hier entscheidet, wie eine Reformulierung des von Poulantzasgeprgten Begriffs des >Blocks an der Macht< aussehen kann.

    Abschlieend ( f nf te s Kapitel) wird versucht, die diskutierten Strnge noch ein-mal zusammenzufhren, um die neue Form der Herrschaftsverhltnisse in ihrenunterschiedlichen Verdichtungen zu betrachten. Im Rahmen der Schlussfolgerungenwird es dann auch um die Frage politischer Strategien gehen. Die theoretische Ein-ordnung der unterschiedlichen Machtverdichtungen ist politisch von immenser Be-deutung, weil sie ber die Orte des Widerstands gegen die nunmehr global ge-wordene Ausbeutung von Mensch und Natur entscheidet.

    Immer noch gilt der von Marx proklamierte kategorische Imperativ alle Verhlt-nisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein ver-lassenes, ein verchtliches Wesen ist. Verhltnisse, die man nicht besser schildernkann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer:Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln! (Marx 1957, 385).

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    Erster Teil: Internationalisierung des Staates und die Trans-

    nationalisierung von Herrschaftsverhltnissen. Der Stand der Dinge

    1. Regimetheorie, Global Governance und Mehrebenenanalyse

    1.1 Regimetheorie

    Die Theorien der internationalen Beziehungen sind, wie die Sozialwissenschaften imAllgemeinen, durchzogen von grundlegenden theoretischen Differenzen (vgl.Spindler/Schieder 2003). Neben den erkenntnistheoretischen Fragen und den Kon-troversen ber die Normativitt von Theorien, sind die Debatten ber das inter-nationale System nach wie vor dominiert von zwei Denkrichtungen: Realismus 6 undIdealismus, bzw. Liberalismus. Whrend im Realismus davon ausgegangen wird,dass internationale Politik immer Machtpolitik von rational handelnden Staaten be-deutet, stellt der Idealismus einen Zusammenhang von gesellschaftlichen Akteuren

    und staatlichem Handeln her und baut auf die Kraft der Aufklrung zur Zivilisierunginternationaler Politik.Nachdem der Realismus auch durch das Scheitern des Vlkerbundes, dem Aus-

    bruch des zweiten Weltkriegs und dem Kalten Krieg zur vorherrschenden Perspekti-ve wurde, haben die eingangs angedeuteten Entwicklungen zentrale Annahmen desklassischen Realismus ins Wanken gebracht. Die Regimetheorie reagierte auf diezunehmenden Interdependenzen im internationalen System. Damit wollte man vorallem dem Auftauchen von neuen nichtstaatlichen Akteuren Rechnung tragen unddie in der realistischen Tradition stehenden Vorstellung des Staates und des Staaten-systems relativieren.

    Ausgangspunkt war die Frage, warum es auf der internationalen Ebene nach derErosion der US-Hegemonie in den 1970er und 1980er Jahren nicht zu anarchischenVerhltnissen gekommen ist, wie es aus der realistischen Perspektive zu erwartengewesen wre. In Anlehnung an die von Koehane und Nye schon in den 1970er Jah-

    6 Zu den Kernanna hmen der >real isti sche n< Schule zhlt, dass (a) mangels einer zentralenZwangsgewalt im internationalen System Anarchie herrscht, (b) Staaten die wichtigsten Akteu-re in diesem System sind, (c) die Auenpolitik eines Staates im wesentlichen durch das inter-nationale System beeinflut wird, und (d) zwischen den Staaten ein Nullsummenspiel umMacht, Einflu und Ressourcen herrscht (vgl. Junne 1990, 356; Meyer 1993, 60) (Scherrer

    2000, 14).

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    ren entwickelte Vorstellung einer >komplexen Interdependenz< wurde von Krasnereine weithin akzeptierte Definition fr internationale Regime entwickelt: Regimescan be defined as sets of implicit or explicit principles, norms, rules, and decision-

    making procedures around which actors' expectations converge in a given area ofinternational relations (Krasner 1983, 2; zum Regimebegriff siehe auch Wolf/Zrn1986, 201; Hasenclever/Mayer/Rittberger 1997, 8ff).

    Mit Prinzipien sind allgemeine Grundstze gemeint, in denen sich die ge-meinsamen Ziele der Beteiligten ausdrcken, diese werden durch Nonnen, in denensich gemeinsame Verhaltensregeln spiegeln, operationalisierbar und durch >Re-geln< und >Verfahren< operationalisiert (Efinger et al. 1990, 266).

    Ziel von Regimen ist, die Vereinfachung von kooperativem Handeln auf inter-nationaler Ebene, das, so die zugrunde liegende Annahme, fr alle Beteiligten vonVorteil ist. Mit den Internationalisierungsprozessen und der relativen Abnahme der

    US-Hegemonie in den 1980er Jahren haben Regime aufgrund des erhhten Ko-operationsbedarfs an Bedeutung gewonnen. Effektivittssteigerung gehrt dabei zuden zentralen Merkmalen von Regimen7.

    Eine Voraussetzung der Regimebildung liegt in der Freiwilligkeit der Ko-operation. Regime zeichnen sich zudem durch eine gewisse Dauerhaftigkeit aus, dasheit, sogenannte >ad hoc Gemeinschaften< werden nicht dazugerechnet. Zudemgehen die meisten Regimetheoretikerlnnen von einer Eigendynamik in Regimen aus,die sie im Falle vernderter internationaler Konstellationen nicht funktionsunfhigmachen (Brand 2000, 47f.). Regime sind das institutionalisierte Resultat von inInteraktion tretenden Individuen, Gruppen und Institutionen.

    Zum Teil wird zwischen Regimen im engeren Sinne und Regimen im weiterenSinne unterschieden. Im engeren Sinne sind unter Regimen Kooperationen zu ver-stehen, die sich auf ein klar abgestecktes Politikfeld beziehen. In der allgemeinerenVerwendung werden dagegen alle mglichen Formen strukturierter Handlungs-zusammenhnge erfasst (Kohler-Koch 1989, 19).

    Mit Hilfe von spieltheoretischen Untersuchungen wird im Anschluss an Effektivi-ttsannahmen gezeigt, dass Kooperationen von Staaten, die ihr jeweiliges Eigen-interesse vertreten, unter bestimmten Voraussetzungen von beiderseitigem Vorteilsein knnen. In diesem Kontext sind eine Reihe von Studien entstanden, die existie-rende Regime analysieren und verdeutlichen wollen, wie durch >gute Regime< (sieheZrn 1998, 192ff) das internationale System besser bzw. friedlicher zu organisierenwre. Ein Schwerpunkt der Regimeforschung liegt daher in der Sicherheitspolitik.Allerdings unterscheiden sich dabei die Anstze erheblich, whrend die Regime-theorie in der Bundesrepublik in der Tradition der Friedensforschung steht und ihrenormative Ausrichtung explizit auf Friedens- und Wohlstandssicherung zielt, ist sie

    7 Beispie lhaft Harald Mller, die Effiz ienz eines Regimes bemiss t sich daran, inwieweit seineNormen und Rege ln von den te ilnehm enden Staaten akzept iert werden, inwiewei t sich ihr Ver-halten an diesen Normen lind Regeln ausrichtet, und inwieweit das daraus resultierende Ver-halten der Staaten sich unterscheidet von ihrem voraussichtlichen Verhalten in Abwesenheit

    des Regimes (1989, 292).

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    in den USA in einem anderen Kontext entstanden: Sie wurde in auenpolitischenForen intemational-orientierter Kapitalgruppen der USA entwickelt, denen es umdie Sicherung weltwirtschaftlicher Strukturen zu tun war (Scherrer 2000, 13; siehe

    auch Brand 2000, 48 und Kohler-Koch 1989, 17f ).Im >klassischen Realismus< der internationalen Beziehungen hatten berlegungenzu kooperativem Handeln von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren keinenStellenwert. Die sozialontologischen Prsuppositionen lieen die Frage nach

    Normen, Regeln und internationaler Kooperation gar nicht erst aufkomm en. Das aufHobbes zurckgehende Menschenbild impliziert eine Wesensbestimmung desMenschen, der ein fortwhrendes und unaufhrliches Verlangen nach immer neuerMacht fr einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit [hlt], der nur mit demTod endet (Hobbes 1966, 75). In direkter Anlehnung hieran, formuliert Hans J.Morgenthau, einer der Begrnder der realistischen Schule, seinen >anthropo-

    logischen RealismusBalance of Power< fuhren 8.

    Im Neorealismus haben sich die Akzente verschoben, insbesondere bei denAutorinnen, die sich auf die Regimetheorie beziehen. Stabilitt und internationaleInterdependenzen haben hier eine grere Bedeutung gewonnen. Der anarchische

    Charakter des Staatensystems wird jetzt aus dem fehlenden Gewaltmonopol iminternationalen Staatensystem abgeleitet. Fr die einzelnen Staaten steht wenigerMacht und Machtgewinn im Vordergrund, als Sicherheit (vgl. Waltz 1995). In der>Theorie der hegemonialen Stabilitt< ist Kooperation im internationalen Systemnotwendig an die Existenz eines Hegemons gebunden.

    Obwohl sich die Regimetheorie deutlich abhebt von der >reali sti schen Perspekti-ve< und diese zum Teil scharf kritisiert 9, finden sich viele aus dem Realismuskommende Annahmen auch bei den Regimetheoretikerlnnen wieder. In gewisserWeise knnte man in der Regimetheorie den Versuch einer Vershnung vonrealistischen und idealistischen Annahmen ber das internationale Staatensystem

    sehen (vgl. Haggerd/Simmsons 1987). Dies wird auch daran deutlich, dass sichsowohl Autorinnen aus der realistischen Schule auf die Regimetheorie sttzen als

    8 Morgen tau lehnte die Vorst ellung einer >Balance of Power< als nicht berechenbar ab und bauteausschl ielich auf gute Diplomatie (siehe Jacobs 2003, 49).

    9 We believe that the assum ptions of political realists, whose theorie s dominated the post warperiod, are of ten an inadequate basis for analyzing the politics of in terdependence. The realistassumptions about world politics can be seen as defining an extreme set of conditions or idealtype. One could also imagine very different conditions. In these chapters, we shall constructanoth er ideal type, the opposi te of realism. We call it complex inte rdependence (Keohane/

    Ny e 1991, 133).

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    auch Autorinnen, die eher der idealistischen Tradition zuzurechnen sind. In strkeridealistisch (neoliberal) orientierten Anstzen der Regimetheorie nehmen inter-nationale Institutionen eine noch prominentere Rolle ein als im Neorealismus. Ins-

    besondere wird im Neoliberalismus den gesellschaftlichen Akteuren mehr Einflussauf die Strukturen des internationalen Systems zuerkannt.Whrend fr die Neorealisten die Aufgabe von internationalen Regimen darin be-

    steht, die >s trukturel le Anarchie< im internationalen System in friedl iche Bahnen zulenken, gibt sich der Liberalismus nicht damit zufrieden, Konflikte aus der Strukturdes internationalen Staatensystems zu erklren. Konflikte in der internationalenPolitik werden hier vielmehr als Folge der Inkompatibilitt staatlich organisierterund reprsentierter gesellschaftlicher Prferenzen gesehen (Krell 2000, 150;Moravcsik 1993 u. 1997; auch Zangl 2003, 132). Mit der Rckbindung von staat-lichem Handeln an gesellschaftliche Konstellationen vermeidet der Liberalismus den

    dominierenden Staatszentrismus der internationalen Beziehungen. Ernst OttoCzempiel etwa weist darauf hin, dass in einer liberalen Demokratie das politischeSystem kein Eigenleben fhrt, sondern immer auf die Anforderungen aus seinemUmfeld reagiert.

    Es wird deshalb nicht zum Agenten bestimmter Verbnde, etwa der Wirtschaft, sondern be-hlt durchaus seinen Spielraum, den es zur Herstellung eines mglichst breiten Konsenses be-nutzen kann. Es kann sich jedoch von seinem gesellschaftlichen Umfeld niemals so weitemanzipieren, dass es eigene, nicht aus der Gesellschaft stammende Interessen realisiert.(Czempiel 1981,21)

    Der Liberalismus teilt nicht das hobbessche Menschenbild und auch nicht die

    >neorealistische< Annahme einer vorgegebenen >stru ktu rel len Anarchie< im Staaten-system. Mit dem klassischen Realismus verbinden ihn hingegen die sozialonlo-logischen Prmissen des methodologischen Individualismus. Dabei stellt das Indivi-duum und sein Handeln den zentralen Referenzpunkt dar, auf den alle Institutionen

    bzw. alle Strukturen zurckzufhren sind10 . Mit der Regimetheorie ist allerdingseine institutionalistische Variante des methodologischen Individualismus dominantgeworden. Harald Mller etwa bezeichnet seinen Ansatz als liberalen Institu-

    10 Es ist nicht einfach, die unter diesem Begri ff zusammengefassten theoretischen Richtungen zu

    charakterisieren. Radikale Vertreter des methodischen Indivi dualismus lehnen jede Vorstellungvon sozialen Phnomenen ab, die nicht unmittelbar auf handelnde Individuen zurckzufuhrensind. In diesem Sinne mssten Aussagen ber sogenannte >makroskopische< Eigenschafteneines sozialen Zusammenhangs [...] >ohne Verlust von Sinn< (Lukes) in solche ber Individuen[...] bersetzbar sein (Ritsert 1976, 86; siehe auch Giddens 1995, 270ff.). In den Theorieninternationaler Beziehungen werden allerdings weniger radikale Varianten vertreten. Der hiereinflussreiche Institutionalismus erkennt auch Entitten an, die nicht unmittelbar beobachtbarsind. Letztlich kommen die Vertreterinnen des Ansatzes nicht umhin, auch Annahmen berGesellschaft als berindividuellen Zusammenhang zu gebrauchen, im Realismus ist dies offen-sichtlich, denn die handelnden Akteure sind hier Staaten. Allerdings wird im Institutionalismusdie Materialitt gesellschaftlicher Entitten auf ideelle Gehalte, die Situationsdeutung derIndividuen [...] oder die Normen eines Regelsystems fr Verhalten (Poppers Institutionen-

    begr if f) , zu r ck ge f hr t (ebd., 92).

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    tionalismus (vgl. Mller 1993, 1). Beate Kohler-Koch rekurriert zudem auf denvom symbolischen Interaktionismus geprgten Begriff der >Kontextualitt< vonInteraktionen (1989, 56), auch hierbei bleibt Gesellschaft ein Produkt der Ver-

    kettung von Einzelaktionen (vgl. AG Soziologie 1992, 63). Anders formuliert:Realism and liberalism begin with actors not structures. For realism the international systemis constituted only by states. For liberalism many different actors including states, bureaucra-cies, interest groups, transnational corporations, and international organisations have inde-

    penden t Standing. For both realism and liberalism structures and institut ions must be explainedby the capabi li ties and intcrests of ac tors. (Krasner 1994, 14)

    Auf den Neorealismus beziehungsweise den >strukturalen Realismus< (Waltz)trifft Krasners Aussage aber nur bedingt zu, weil hier das Handeln der Akteure weit-gehend durch die Struktur des internationalen Systems determiniert ist. Diekonstruktivistische Kritik hat allerdings gezeigt, dass aus der Struktur des inter-

    nationalen Systems und dem Fehlen eines Gewaltmonopols keineswegs zwingendein Selbsthilfesystem mit Zwang zu Machtpolitik folgt (Schrning 2003, 84;Wendt 1992, 398). Letztlich scheint auch hinter der Annahme einer Anarchie iminternationalen Staatensystem (bei Abwesenheit eines Hegemons) Hobbes' Weltbildauf. Die transhistorische Setzung der Anarchie im Staatensystem kann inhaltlichnicht begrndet werden (Teschke 2003, 16). Die Kritiken am Neorealismus habenaber viele Theoretikerinnen dazu bewogen, ihr neorealistisches Weltbild zu er-weitern, sodass konstruktivistische Elemente aufgenommen und die >struktura-listische Perspektive< erweitert wurde (Schrnig 2003, 85).

    Bei allen Differenzen der unterschiedlichen Anstze, die sich auf die Regime-

    theorie beziehen (hierzu Haggard/Simmons 1987), ist man sich einig darber, dassdie beiden letzten Jahrzehnte zu einer Aufwertung der internationalen Politik-

    prozesse fhrten, und sich eine Vielzahl von neuen politischen Feldern undAkteuren entwickelt haben. Die Strken des Ansatzes liegen in der handlungs-theoretischen Beleuchtung von Prozessen und Dynamiken, die bei einer Fokussie-rung auf staatliches Handeln und intergouvernementale Organisationen leicht ber-sehen werden knnen.

    Hier deuten sich allerdings theoretische Schwchen des Ansatzes an. Obwohl mitdem Regimebegriff auch andere Akteure neben den Staaten theoretisch in den Blickgenommen werden knnen, bleiben die Analysen doch meist auf staatliche Akteurefixiert, oder nichtstaatliche Akteure werden kurzerhand wie Staaten behandelt.Abgesehen von wenigen Ausnahmen (vgl. Zangl 2003, 132ff.), wird ihre innereStruktur nicht analysiert, sodass die reduktionistische Vorstellung von homogenenund souvernen Staaten aufrechterhalten werden kann und die Vernderung in deninternationalen Beziehungen mit dem Hinzutreten von weiteren souvernen Akteu-ren beschrieben werden (vgl. Scherrer 2000, 15). In feministisch-orientierten An-stzen wird zudem moniert, dass hier Macht als >mnnlich< und statisch, weil quasi

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    naturgegeben11 charakterisiert wird (Ruppert 1997, 259; Fink 2003). Die Fokussie-rung auf staatliche Akteure zeigt sich auch in der Konzentration auf vertraglichebereinkommen, die letztendlich durch Staaten abgesichert werden. Arbeiten zu

    nichtstaatlichen Politikformen und Akteuren sind zwar entstanden (siehe Keck/Sikkink 1998; O'Brien et al. 2000), insgesamt konnte das hier liegende Potenzial desAnsatzes aber bisher nicht entsprechend entwickelt werden.

    Das reduktionistische Staatsverstndnis aus der realistischen Tradition wirdweder im Neorealismus noch im Institutionalismus berwunden. So wird der Staatnicht als ein soziales Verhltnis begriffen, sondern als homogener, rational han-delnder Akteur, der im >nationalen Interesse< auf internationaler Ebene handelt. Der

    Neoinsti tutionalismus kann mit seinem einigermaen simpel und staatstheoretischrecht naiv formulierten handlungstheoretischen Ansatz weder die Konstitutions-

    bedingungen gesellschaft licher Institutionalisierungsprozesse noch die darin zum

    Ausdruck kommenden strukturellen Konflik te und Dynamiken (Hirsch 1993, 204)fassen.

    Auch wird unter Rationalitt, im hier diskutierten Staatsverstndnis nur eine ganzbest immte Zweck/Mittel orientierte Form von Rationalitt berhaupt thematisiert.

    Das machttheoretische Defizit in der Regimetheorie, die Macht auf staatlicheMacht reduziert, fhrt Scherrer auf den Kontext zurck, in dem die Regimetheorieentstanden ist: Die Macht der in den auenpolitischen Foren versammelten >tri-lateralen< Kapitalgruppen blieb aus naheliegenden Grnden unreflektiert (Scherrer2000, 14).

    Die konstruktivistische Kritik in den 1990er Jahren hat mageblich dazu bei-

    getragen, dass immer mehr Theoretikerlnnen von der Vorstellung rational vor-gegebener staatlicher Interessen Abstand genommen haben. Die Kritik insistiertdarauf, dass Interessen und Identitten keineswegs objektiv vorgegeben sind, viel-mehr bilden sich diese erst in spezifischen Praktiken und Konstellationen heraus.Ideen und argumentatives Handel spielen demnach eine zentrale Rolle bei der Ent-stehung von Interessen in Regimen, (vgl. Zangl/Zrn 1999; Zangl 2003, 136f.) Diekonstruktivistisch angeregte Erweiterung regimetheoretischer Analysen ist zweifel-los ein Fortschritt.

    Die machttheoretischen Defizite konnten aber nicht berwunden werden.Insbesondere bleibt der Interessensbegriff unscharf, was dazu fhrt, dass die Frage,wie sich Macht- und Herrschaftsbeziehungen in Interessen vermitteln und welchenStellenwert Ideen und argumentatives Handeln dabei einnehmen, nicht beantwortetwerden kann.

    Am schwersten wiegt die Tatsache, dass konomische Aspekte der inter-nationalen Beziehungen theoretisch nicht im Zusammenhang thematisiert werden.Weder wird die internationale Arbeitsteilung, noch das Verhltnis von Politik undkonomie reflektiert (vgl. Strange 1983; Brand 2000, 52). Strukturelle Zwnge und

    11 Sofern nicht anders gekennze ichnet, gehen Hervorhebungen in Zitaten im Folgenden immer

    auf das Orig inal zu rck.

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    die Rolle einflussreicher nichtstaatlicher Akteure, bzw., die Bedeutung von ko-nomischen Determinanten fr staatliche Entscheidungen drohen so unreflektiert zu

    bleiben. Gerade die Voraussetzungen, die zur Bi ldung von Regimen ntig sind, er-

    scheinen fragwrdig. Insbesondere ist die Annahme der freiwilligen Kooperation inRegimen problematisch, da hier Strukturzusammenhnge und Machtverhltnisse,die zur Teilnahme zwingen, ausgeblendet bleiben. Ebenso unbercksichtigt bleibtdie Frage der Instrumentalisierung von Regimen durch einzelne Staaten. Die in derRegimetheorie implizierte Vorstellung, dass Regime zur Bearbeitung und Be-seitigung von Konflikten fhren, vergisst, wie Junne (1990) kritisiert, dass Regimeauch die Ursache von Konflikten sein knnen.

    Die fehlende Vermittlung des Ansatzes mit strukturtheoretischen Analysen ver-stellt zusammengefasst den Blick auf den Objektivittsberhang der brgerlichenGesellschaft als bestnde nicht das spezifisch Gesellschaftliche im bergewicht

    von Verhltnissen ber Menschen (Adorno 1979, 9). Der methodologische In-dividualismus kann gesellschaftliche Zusammenhnge nicht angemessen in ihrereigenen Materialitt fassen und behandelt so die auf der internationalen Bhnehandelnden Staaten, Institutionen und Unternehmen als Subjekte.

    Auf der anderen Seite ist aber auch der strukturale Realismus nicht dazu in derLage, seine Prmissen zu begrnden. Das Fehlen eines adquaten Gesellschafts-

    begr if fs hat gerade in der Konzeptionalisierung von Politik und konomie schwer-wiegende Folgen. Diese werden nicht in ihrer widersprchlichen Verbindung er-kannt, vielmehr wird - ohne es zu begrnden - von einer deutlichen Dichotomie,von eigenstndigen Ebenen ausgegangen (Brunnengrber/Stock 1999, 457) 12. Dies

    fhrt dazu, Globalisierung als einen uerlich auf die Nationalstaaten einwirkendenProzess zu begreifen, nmlich als Abkopplung eines globalisierten Marktes von na-tionaler politischer Steuerung. bersehen wird dabei, dass Globalisierung ein politi-sches Projekt ist, das gerade durch einige bedeutende Nationalstaaten vorangetriebenwird.

    Die unterschiedlichen theoretischen Bezge machen es schwierig, von >einerRegimetheorie< zu sprechen, genau genommen greifen unterschiedliche theoretischeRichtungen auf regimetheoretische Analysen zurck. Aus den angefhrten Grndenschliet diese Arbeit weder an die idealistischen noch an die neorealistischen Theo-rien an; auf den Regimebegriff wird allerdings in einem anderen Begrndungs-

    zusammenhang zurckzukommen sein.Um an den Regimebegriff anschlieen zu knnen, mssen zentrale regime-

    theoretische Annahmen zurckgewiesen werden. Weder sollte von der Freiwilligkeitder beteiligten Akteure, noch unkritisch von einer Nutzenmaximierung, bzw.Effektivittssteigerung ausgegangen werden, ohne zu fragen, aus welcherPerspektive es sich um eine solche handelt. Wird dies bercksichtigt, kann derRegimebegriff bei der Untersuchung von Institutionalisierungsprozessen in der

    12 Diese von Achi m Brunn engrber und Christian Stock auf die unterschiedl ichen Governance-

    Anstze gemnzte Feststellung trifft auch auf die Regimetheorie zu.

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    Transnationalisierung den Blick auf die Akteure erweitern, die nicht unmittelbar inden Institutionen oder Organisationen13 beteiligt sind; das schliet auch ko-nomische Akteure ein.

    1.2. Global Governance

    Der Global Governance-Ansatz baut, hnlich wie der Mehrebenenansatz, auf Er-kenntnissen der Regimetheorie auf, unterscheidet sich jedoch von dieser durch einumfassenderes Verstndnis der entstandenen informellen Politikformen.

    Despite the similarities between the two concepts, they are far from identical. The widely ac-cepted definition of the characteristics of regimes quoted above has an added phrase whichsummarizes the prime difference: the principles, norms, rules and procedures of any regime

    are defined as converging >in a given area of international relations*, or what has also beencalled an >issue-area

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    zu alle Autorinnen davon aus, dass Anstze von Global Governance schon jetzt zubeobachten sind.

    Dazu gehrt die Herausbildung von regionalen und internationalen Netzwerken,

    in denen der Staat zwar oft den Rahmen stellt, aber nur noch ein Akteur unter vielenist. Private Organisationen wie Rating Agencies14 , Consultant-Firmen oder trans-nationale intellektuelle Netzwerke (Trilaterale Kommission, WEF, NGO's u.s.w.)tragen nicht unerheblich zur Entwicklung von internationalen Nonnen und Ver-haltensmustern bei und bilden so eine der Sulen der globalen Governance-Strukturen (vgl. Cutler/Haufler/Porter 1999; Brhl 2001 sowie van der Pijl 1998a,I60f.). Insbesondere die NGO's nehmen in den Global Governance-Anstzen einezentrale Rolle ein. Als bedeutender Teil einer sich herausbildenden globalen Zivil-gesellschaft werden ihnen Korrektur- und Kontrollaufgaben zugeschrieben (Mess-ner/Nuschler 1996, 6; Albert et al. 2004).

    In den Governance-Vorstellungen zeigt sich auch der Wunsch nach einer Rck-kehr des Politischen, nachdem sich die neoliberalen Gesellschaftsformationen zu-nehmend als krisenanfllig erwiesen haben. In diesem Sinne liegt in dem Ansatzauch eine Revitalisierung eines technokratischen Steuerungsmodells, das nur nochneutrale oder rationale beziehungsweise sachbezogene Entscheidungen kennt(Brand 2004, 114). Renate Mayntz spricht in diesem Zusammenhang von einem>Problemlsungsbias< (2005, 17).

    In der aktuellen politischen Situation wird deutlich, dass Governance-Prozesseuerst fragil sind und dass von einer >ordentlichen< Informalisierung der inter-nationalen Beziehungen in Gestalt der >global GovernanceGlobal Governance< (Mller 2003, 59f.; siehe auchBrock 2003) offengelegt. Lsst man die normativen Implikationen beiseite undmissversteht die beschriebenen neuen kooperativem und >dialogischen< Politik-fomien nicht als Demokratisierung, sondern als Restrukturierung globaler Herr-schaftsverhltnisse, so widersprechen die Entwicklungen nach dem 11. Septembernicht grundstzlich dem Ansatz; denn Governance-Strukturen sind nach wie vorwirksam.

    Schwerer wiegt, dass der Ansatz die wesentlichen Schwchen der Regimetheorieteilt. Christoph Scherrer weist zu Recht darauf hin, dass die Aufwertung von inter-nationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Abkommen sowie Normen undinternationalen wirkungsmchtigen Ideologien, wie in der Regimeanalyse, durcheine berproportionale Betonung von Stabilitt erkauft wurde, sodass andereAspekte, wie z. B. Machtasymmetrien oder Exklusionsmechanismen unterbelichtet

    bleiben (Scherrer 2000, 15; so auch Barnett/Duvall 2005; Soederberg 2006, 24ff .) .

    14 Hierbei handelt es sich um international operi erende Firmen, die u.a. Ratings zur Kredit-wrdigkeit von Firmen, aber auch von Regionen oder sogar Nationalstaaten erstellen und somit

    einen erheblichen Anpassungsdruck erzeugen (siehe hierzu Sinclair 1999).

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    Dies wird auch deutlich an dem in diesem Zusammenhang verwandten Begriffvon Zivilgesellschaft, in dem von Hierarchien und Macht keine Rede ist. Vielmehrklingt unmiverstndlich ein auf Management ausgerichtetes Grundverstndnis

    von Zivilgesellschaft an. Die invisible band des Marktes und die visible hand desStaates wird um die third hand sozialer zivilgesellschaftlicher Akteure ergnzt(Brunnengrber/Stock 1999, 461).

    Dennoch: Will man die Transformationen nach der Krise des Fordismus be-greifen, muss man in jedem Fall den Blick auf internationale Beziehungen um nicht-staatliche globale Strukturen und Aushandlungssystemen im Sinne von GlobalGovernance erweitern und die Aufmerksamkeit auf zunehmende Inierdependenzenim transnationalen Kapitalismus lenken.

    Die Ergebnisse dieses Ansatzes deuten auf eine radikale Vernderung des Ver-hltnisses von Politik und konomie hin (siehe z. B. Ltz 2002), in der sich die

    Grenzen zwischen konomischen und politischen Rumen verschieben. Zu be-obachten ist eine konomisierung der Politik sowie eine Politisierung der konomie(siehe zu dieser Tendenz auch Deppe 1999, 35). Leider bleiben diese Vernderungenim Governance-Ansatz unreflektiert.

    Das Verdienst dieser Perspektive besteht zweifellos darin, die Aufmerksamkeitder Analysen auf die qualitativ neuen Erscheinungsformen der internationalenRegulationsprozesse als >umkmpftes Terrain< (Brock 2003, 85) gelenkt zu haben.In diesem Sinne hat die Governance-Perspektive nicht nur zur ffnung derklassischen IB-Theorien (Jachtenfuchs 2003, 511) beigetragen, vielmehr wurdenhier Prozesse wahrgenommen, die auch in politkonomischen Anstzen lange Zeit

    unterschtzt wurden. Man muss nicht die Hoffnungen teilen, die oft mit der Supra-nationalisierung von Politik verbunden sind, wenn man einen Trend zur immerdichteren Institutionalisierung und Verregelung der internationalen Ebene feststellt(vgl. Zrn 2002, 220 ff.15 ).

    1.3. Die Mehrebenentheorie

    Es lsst sich schwerlich eine klare Linie ziehen zwischen dem Global Governance-

    Ansatz und der Mehrebenentheorie, zumal auch in der Mehrebenentheorie Erkennt-nisse des Governance-Ansatzes aufgenommen wurden, wie der Begriff des MultiLevel-Governance verdeutlicht. In der Mehrebenenperspektive, die sich mageblichin der Europaforschung herausgebildet hat, wird der Blick auf den Forschungs-gegenstand noch einmal erweitert und versucht, die unterschiedlichen Ebenen

    politischer Territoriali tt in Beziehung zueinander zu setzen. Lokale, regionale,nationale oder supranationale Ebenen werden nicht losgelst voneinander betrachtet.

    15 Zu den Versu chen der >internationalen BeziehungenRegierungszentrik< durch einestrkere Orientierung an transnationalen gesellschaftlichen Prozessen zu berwinden, siehe

    Nlke 2003 .

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    Es wird von einem Funktionswandel des Nationalstaates und seiner zunehmendenEinbindung in einem >komplexen Mehrebenensystem< ausgegangen. Dabei gebendie Nationalstaaten immer mehr ihrer Ansprche auf Souvernitt auf. Zrn kommt

    aus dieser Sicht zu dem Ergebnis, da in der postnationalen Konstellation dieDimension der Staatlichkeit ausdifferenziert und nicht mehr in einer politischenOrganisation - dem Nationalstaat - zusammenlaufen. Postnationale Staatlichkeit istin diesem Sinne ausfransende Staatlichkeit (2002, 224).

    So gert postnationale Politik zu einer permanenten ideen- und interessen-geleiteten Auseinandersetzung ber regieren jenseits des Nationalstaates (ebd.,226). Entscheidend ist, dass Mehrebenenstrukturen eine hohe Strukturvariabilittaufweisen, also nicht als festgefgte Verfechtungsmuster begriffen werdenknnen (Benz 1998,564).

    Die akteurszentrierte Perspektive fhrt in diesem Ansatz zunchst dazu, dass die

    Annahme, der Staat wre ein einheitlicher Akteur im internationalen System, auf-gegeben wurde. Die schon angesprochene staatszentrierte Sichtweise in den inter-nationalen Beziehungen konnte so berwunden werden. Die Analyse spezifischerAkteurskonstellationen in der Europischen Union ffnete den Blick fr politischeProzesse innerhalb flexibler Netzwerke, die auf unterschiedlichen Ebenen und inunterschiedlichen politischen Feldern zu beobachten sind. Die Metapher des MultiLevel-Gobernance wurde entwickelt in dem Bemhen, die verschiedenen Ebenen,auf denen diese Prozesse stattfinden, miteinander in Beziehung zu setzen (Knodt/-Groe Httmann 2005, 225f.): Mit der Ausdifferenzierung des Staates und der Be-schreibung einer Situation, in der Staaten und staatliche Akteure eingebunden sind

    in einen multidimensionalen Politikprozess, an dem auch nichtstaatliche Akteurebeteiligt sind, habe sich eine neue postmoderne Form der Politik entwickelt. Diesezeige sich in der EU zwar besonders deutlich, sei aber nicht auf sie beschrnkt.Thomas Gehring zeigt, dass ein Netzwerk miteinander verknpfter internationalerInstitutionen mit der Welthandelsorganisation als Zentrum im Entstehen begriffenist (2002, 112). Durch die Analyse von institutionellen Prozessen auf unterschied-lichen Ebenen konnte insbesondere gezeigt werden, dass sich diese nicht uerlichgegenberstehen. Vielmehr muss von einer komplexen Verschachtelung der Ebenenausgegangen werden, sodass etwa lokale und regionale Akteure auf supranationaleroder internationaler Ebene agieren, um nationalstaatliche Instanzen zu umgehen.

    Die alte machttheoretisch defizitre Vorstellung des Staates scheint aber auch indiesem Ansatz noch durch. Mit der Feststellung, dass die Trennung von innen undauen, von nationaler und internationaler Politik nicht mehr aufrecht erhalten wer-den kann (Zrn 2002, 225), wird nicht gefragt, ob eine derart strikte Trennung

    jemals plausibel war. Die fehlende staatstheoretische Fundierung fhrt zu einemunterkomplexen Bild der Verhltnisse. Staaten werden dabei nicht als in sich wider-sprchliche soziale Verhltnisse betrachtet, sondern als funktional bestimmbare Ak-teure, die in der Globalisierung ausdifferenzieren, indem sie immer mehr Funktionenan private Akteure, abgeben oder auf unterschiedliche Governance-Ebenen ver-lagern. So stellen etwa auch Beate Kohler-Koch und Michle Knodt fest:

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    Territoriale Grenzen werden kontrolliert, um die staatliche Souvernitt zu sichern, die aufden Hoheitsanspruch nach innen wie nach auen zielt. Gleichzeitig werden Grenzen genutzt,um vor unerwnschten, vor allem politisch und kulturell destabilisierenden Einflssen vonauen abzuschirmen. Ein Auseinanderfallen staatlicher Handlungsrume einerseits und die

    Reichweite der zu bewltigenden Probleme andererseits stellt die Funktionsfhigkeit desNational staa tes au f den Prfstand und hebt das poli ti sche Prinzip der Tren nu ng von >innenauen< auf. (Kohler-Koch/Knodt 1999, 239)

    Die Folge ist, dass die Nationalstaaten ihr Monopol auf Auenpolitik verlorenhaben, da sie diese Aufgaben mit einer ganzen Reihe von neuen >ressourcenstarkengesellschaftlichen Akteurennationalen Konstellation< gerecht, noch ihrer Rekonfigurierung. Dienationale Konstellation* wird rckblickend dualistisch konzeptionalisiert, was dazu

    fuhrt, dass die Differenz von innen und auen zur Analyse der aktuellen Verhlt-nisse nicht mehr haltbar scheint, obwohl mit diesen Unterscheidungen nach wie voroperiert wird.

    Dabei wird auch nicht registriert, dass der Nationalstaat niemals ein Monopol aufAuenpolitik hatte, beziehungsweise Auenpolitik immer das Ergebnis von wider-streitenden gesellschaftlichen Krften war, die auch schon frher keineswegs aufden Nationalstaat zu beschrnken waren. Weder wird die Frage thematisiert, wie>nat iona les Interesse< geschaffen wird, noch welchen Stellenwert es als ideo-logisches Konstrukt hat.

    Josef Esser kritisiert zu Recht den einseitigen Souvernittsbegriff, der hier inAnschlag gebracht wird, in dem Souvernitt auf innere und uere Handlungs-freiheit reduziert und nicht mehr zwischen Herrschaft und Ttigkeit des modernenStaates unterschieden wird. Damit wird jedoch der historisch wie systematischentscheidende Gesichtspunkt unterschlagen, der dem Souvernittsbegriff seit derliberalen Staatstheorie (Lock, Kant, Hegel, Weber) ebenso eigen ist wie der sozial-staatlichen (Heller) oder materialistischen (Marx, Neumann). (Esser 1999, 129;siehe aus normativer Sicht auch Maus 2002)

    Selbst wenn konstatiert wird, dass diese Perspektive nicht mehr trgt (vgl. Zrn2002; siehe auch Grande/Risse 2000), bleibt diese defizitre Vorstellung von Souve-

    rnitt grundlegend.Das >juridische Souvernittskonstrukt< (Foucault) ist aber keine sozialwissen-

    schaftlich brauchbare Kategorie. Grande und Risse weisen mit Krasner darauf hin,dass Souvernitt nach innern und auen [...] ohnehin nur >organi siert e Heucheleisouvern< und immer waren ihre Bewegungsspiel-rume nach innen wie auen durch internationale Machtverhltnisse beschrnkt

    (Hirsch 2003,41.).

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    Wer dies nicht bercksichtigt, gelangt schnell zu einer personalisierten bzw. ver-dinglichten Vorstellung des Staates. Es kann eben nicht darum gehen, empirisch zuermitteln, was der Nationalstaat noch allein kann. (Grande/Risse 2000, 255f.). Der

    Nationalstaat konnte noch nie irgendetwas alleine tun oder lassen, weil er auch fr-her kein einheitlich handelnder Akteur war, der seine Macht aus sich selbst bezogenhtte (Czempiel 1981, 21)16 . Die Transnationalisierungsprozesse stehen nicht ineinem ueren Verhltnis zu den Nationalstaaten, wie der Mehrebenen-Ansatz selbstgezeigt hat. Eine solche Perspektive kann nicht erklren, warum transnationaleHandlungszusammenhnge zunehmend nationales Handeln berlagern, ohne dass eszu Konflikten zwischen nationalen und transnationalen Instanzen kommen muss(vgl. Buckel 2003, 62; siehe auch Slaughter 2000). Unklar bleibt auch, wie das da-hinter stehende Interesse produziert wird.

    Gleichwohl deutet die Debatte um die schwindende Souvernitt des National-

    staates, bei der es immer um die Frage von innen und auen in Bezug auf den Staatgeht, auf Vernderungen hin, die mit einer bestimmten Vorstellung von Souvernittnicht mehr korrespondieren. Eine Entwicklung, die nichts Neues ist im Diskurs derSouvernitt. Die Vorstellungen ber das was innen und auen konstituiert, variesdramaticaly throughout the history of political ideas, and does so in strict inter-dependence with changing knowledge (Bartelson 1995, 52).

    Begriffe wie >Mehrebenennetzwerkregieren< (Kohler-Koch 1999) oder komple-xes We!tregieren< (Zrn 1998), beschreiben durchaus treffend eine Situation, in dersich die Position des Nationalstaates verschiebt, sie bleiben aber letztlich deskriptivund knnen nicht erklren, worin diese Tendenzen ihre Ursachen haben und welche

    Form Staatlichkeit in transnationalisierten Verhltnissen jenseits der funktionalenAusdifferenzierung annimmt. So kann auch, die eingangs aufgeworfene Frage, wel-che Qualitt diese Prozesse haben und ob diese es erlauben, von einer >staatsber-greifenden Staatlichkeit< (Brock 2001) zu sprechen, nicht beantwortet werden.

    Das wesentliche Problem dieses Ansatzes ist allerdings die Nichtthematisierungvon Interessen und Interessenlagen, weil sie dazu fhrt, dass implizit unterstelltwird, es ginge beim >Weltregieren< um rationale Problemlsung und nicht um dasAustarieren von unterschiedlichen interessengesteuerten Machtpositionen, bei denenrationale Argumentation, mindestens eine untergeordnete Rolle spielt. In diesemSinne ist Bernd Rttgers Kritik an der Dethematisierung zentraler Aspekte brger-

    licher Vergesellschaftung zuzustimmen.

    16 Grande und Risse haben aber insofern Recht, als der Nationals taat in seiner fordi stischen Formauf einen relativ geschlossenen konomischen und gesellschaftlichen Raum bezogen war undso wesentlich zentralistischer organisiert war, als dies heute noch mglich wre. DieOrganisation von Herrschaft restrukturiert sich tatschlich in einer globalisierten konomie(Grande/Risse 2000, 245). ber dieser Erkenntnis sollte aber nicht vergessen werden, dass der

    Nationalstaa t immer schon aus un terschiedl ichen Appara ten bestand, die wiederum Her r-schaft in netzwerkfrmigen Zusammenhngen (ebd.) organisieren und um Dominanz im

    Staatsapparat ringen.

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    Konsequent wird auf der Grundlage der Beerdigung von Klassenverhltnissen eine neue Per-spektive des demokratischen Regierens eingefordert. Sie msse sich von der Prmisse einer>Homogenitt< der sozialen Basis politischer Herrschaft lsen (Grande 1996). Damit aber ge-rinnt Politik endgltig zu einer formalen, leeren Geste, zu einer Hlle, die ihres materiellen

    Kerns, des Problems der sozialen Verteilungsrelationen, entledigt ist. Soziale Ungleichheitkann nun politisch stillschweigend vorausgesetzt und akzeptiert werden. (Rttger 1997, 77f.)

    Die Diversifizierung und die Transnationalisierung von politischen Prozessen17

    haben zu tiefgreifenden Vernderungen gefhrt, die auch im Rahmen einer>komplexen Mehrebenenanalyse< theoretisch nicht eingeholt sind. Die an-

    gesprochenen Unzulnglichkeiten sind jedoch keine Defizite im herkmmlichenSinne, also Lcken die noch auszufllen wren. Vielmehr fhren die verengtePerspektive und die systematische Dethematisierung zentraler Aspekte des kapita-listischen Weltsystems zu grundlegenden Fehlschlssen.

    1.4. Zwischenfazit

    Ungeachtet dieser Schwchen, ist es mglich, in Teilbereichen auf Erkenntnisse derdiskutierten Anstze zurckzugreifen, ist es ihnen doch gelungen, Tendenzen undMuster der neuen politischen Formen im Rahmen zunehmender internationalerInterdependenz herauszuarbeiten. Festzuhalten bleibt, dass mit der Trans-nationalisierung von Politik in Form von flexiblen Netzwerken miteinander ver-knpfter internationaler Regime und dem Auftauchen von neuen Akteuren, bei

    gleichzeitiger Regionalisierung auch ein Trend zur Privatisierung von Politik aus-zumachen ist. Durch diese Prozesse diversifizieren sich auch die territorialen Innen-Auen-Verhltnisse. Insbesondere im Mehrebenenansatz ist es gelungen, ber dieBeschreibung der politischen Vernderungen im Zuge der Entstehung der EU, einePolitikform zu analysieren, in der die Akteure relativ flexibel auf den unterschied-lichen Ebenen politischer Regulation und in den unterschiedlichen Politikarenen frihre Interessen eintreten. Diese neuen Politikformen, so die hier vertretene These,sind nicht auf die EU beschrnkt, vielmehr sind solche Tendenzen auch auf dertransnationalen Eben zu beobachten. Hierauf wird zurckzukommen sein.

    17 Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass eine zunehmende Vernetzung zwischen deninternationalen Institutionen zu beobachten ist (vgl. Jachtenfuchs/Knodt 2002). Michael Zrngeht davon aus, dass der Bcdeutungszuwachs transnationaler Akteure bei der berwachungder Regelungen und der legitimatorischen Absicherung von Entscheidungen durch inter-nationale Gerichtshfe zu einer Transnationalisierung von internationalen Institutionen fhre

    (Zrn 2002, 221).

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    2. Regulationstheorie, eine kurze Bestandsaufnahme

    2.1. Der Pariser Ansatz18

    2.1.1 Theoretische Grundlagen

    Im Unterschied zur Regimeanalyse, Global Governance und Mehrebenentheoriewerden in Arbeiten, die in der Tradition der marxschen Theorie stehen, politischeProzesse nicht losgelst von konomischen Entwicklungen analysiert: Nicht seltenwurde das Vermittlungsproblem19 , das dadurch entsteht, durch eine konomistischeInterpretation des Basis-berbau-Schemas20 >gelstdie konomien reduziertGeschichte auf die Bewegung eines automatischen Subjektes

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    im Anschluss an Agliettas Analyse (1979a) der historischen Entwicklung desKapitalismus in den USA. Die Attraktivitt des Ansatzes resultiert im Wesentlichenaus dem ambitionierten Versuch, eine allgemeine Theorie des Kapitalismus mit

    konkreten historischen Untersuchungen zu verbinden und ein dafr konzipiertesKategoriengerst zu liefern.Die Regulationstheorie ist im theoretischen Kontext des strukturalen Marxismus

    entstanden, aufbauend auf dessen Erkenntnis, dass die geschichtliche Wirklichkeitals ein Gewebe widersprchlicher Verhltnisse zu betrachten [ist], die in Bezug auf-einander autonom sind, wenn sie auch einander berdeterminieren und sich nichtgegenseitig >reflektierenKonfigurationenRegulationisten< vom strukturalen Mar-xismus weggefhrt ; erstens wehrten sie sich gegen die Konzentrat ion auf die Kate-gorie der Reproduktion, hinter der sich immer strker die Annahme einer sich selbstreproduzierenden Struktur verbarg, in der die Widersprchlichkeit kapitalistischerVergesellschaftung unterschlagen wurde. Zweitens nahm die Regulationstheorie dieKritik am fehlenden Subjektbegriff des strukturalen Marxismus' auf.

    In der Absetzbewegung konzentrierte sich die Regulationstheorie auf drei wesent-liche Punkte: Zum einen wollten die Regulationstheoretikerlnnen zeigen, dass diekapitalistische Reproduktion keineswegs von selbst funktioniert. Gleichzeitig sollteerklrt werden, warum sie dennoch ber lange Zeitperioden wie >von selbst< luft.

    Und drittens, warum sie frher oder spter in die Krise gert. (Lipietz 1992a, 49)Neu waren insbesondere die entwickelten Kategorien zur Analyse der je spezi-

    fischen Ausbildung des Kapitalismus. Mit den in diesem Rahmen gebildeten >inter-mediren B e g r i f f e n < - Akkumulationsregime und Regulationsweise - gelang es, dieDifferenzen der unterschiedlichen kapitalistischen Phasen herauszuarbeiten. DieseBegriffe liegen auf einer mittleren Abstraktionsebene zwischen der Produktions-weise und der Gesellschaftsformation (Sablowski 1994, 142). Die Kategorien derRegulationstheorie erlauben es nicht, nur ein zeitlich, sondern auch ein rumlich dif-ferenziertes Bild des Kapitalismus zu entwickeln21 . Aus diesem Grund wird in derRegulationstheorie von verschiedenen Kapitalismen, anstatt von >dem KapitalismusTheorie der langen Wellen< oder >Kontratieff-Zyklenrelativ< unabhngig von ihr bestimmt (so bei Lipietz im gleichen Text, vgl.

    Lipietz 1985, 120 und 121) (Hirsch 1990, 24; siehe auch Hbner 1990, 43ff.).

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    Der Staat wird weder als Subjekt noch als steuerndes Zentrum konzipiert, ernimmt aber eine zentrale Position innerhalb der Regulationsweise ein, Lipietz siehtin ihm die archetypische Form der Regulation.

    Der Staat ist die Form der Regulation, damit die verschiedenen Fraktionen der Gesellschaft(die durch die sozialen Verhltnisse bestimmt sind: die sozialen Klassen, die Geschlechter, dieStnde oder die Individuen) sich nicht in einem Kampf ohne Ende zerreiben. Nicht etwa, dader Kampf ein Ende hat, aber solange die hegemoniale Konfiguration sozialer Verhltnisseandauert, gehen die sich im Kampf befindenden Individuen und Klassen nicht vollstndigunter. (Lipietz 1985, 112)

    Die anderen Formen der Regulation entfalten sich in institutionellen (oder struk-turellen) Formen und Netzen, diese Formen sind durch bereinkunft und Gewohn-heit kodifiziert, hufig sogar, bevor sie das Siegel der Souvernitt erhalten. Sie sinddas Resultat eines institutionalisierten Kompromisses (ebd.).

    Fr die Vertreter des Pariser Ansatzes nimmt das Lohnverhltnis eine zentraleStellung ein, sodass nach den konomischen und gesellschaftlichen Institutionen ge-sucht wird, die auf dem Kompromiss zwischen Lohnarbeit und Kapital aufbauen.Diese Kompromisse werden aus der regulationstheoretischen Perspektive auch heutenoch im Rahmen des Nationalstaates geschlossen. Daraus resultiert, dass der Na-tionalstaat als >Grundlage des Internationalen< favorisiert wird. (Waringo 1998, 41)Akkumulationsregime und Regulationsweisen sind also Kategorien, die sich aufnationale Gesellschaftsformationen beziehen.

    Die Tatsache, dass die Regulation die Reproduktion eines widersprchlichenVerhltnisses gewhrleistet, heit keineswegs, dass sie fr diese Funktion ge-

    schaffen wurde. Das hiee die Erfordernisse oder die theoretischen Voraus-setzungen eines im Nachhinein identifizierten und theoretisierten sozialen Verhlt-nisses [...] zu verwechseln mit den historischen Bedingungen seines Entstehens, soals ob Geschichte die Verwirklichung dieses Verhltnisses vorbereitet und als Zielseine Verwirklichung gehabt habe (Lipietz 1985, 113f.).

    Die Entstehung einer relativ stabilen Phase, in der sich ein Entsprechungsverhlt-nis zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise hergestellt hat, beschreibtLipietz als >glckliche Fundsache< (1985, 115). Damit ist nicht gemeint, dass dieEntstehung einer Entwicklungsweise ein historischer Zufall wre. Vielmehr versuchtLipietz zum Ausdruck zu bringen, dass Entwicklung nie nur das Ergebnis bewusster

    Strategien oder struktureller Zwnge ist, sondern sich aus den gesellschaftlichenKmpfen heraus kontingent entwickelt. Den sozialen Akteuren wird ein wesentlichgrerer Raum eingerumt, als dies im orthodoxen oder im strukturalistischen Mar-xismus der Fall war.

    Im Unterschied zum methodologischen Individualismus der Regimetheorie, be-hlt die Struktur aber eine eigenstndige Dimension, die nicht handlungstheoretischaufgelst werden kann. Den Versuch des methodologischen Individualismus, jedeBeziehung auf die bereinkunft zwischen Individuen, auf die Akzeptanz einer ge-meinsamen Norm zu reduzieren, weist Lipietz ausdrcklich zurck (1998b, 87f.;

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    siehe auch Boyer 1986, 21f.)23. Zu Recht verweist er darauf, dass gerade Marx'Materialismus den Versuch darstellte, Struktur und Handlung zu vermitteln. DieWeigerung, Verhaltensweisen und Intentionen auf die Erfordernisse der Struktur zu

    reduzieren, ist bekanntlich die Bruchstelle des >dialektischen< Materialismus vonMarx mit dem >metaphysischen< Materialismus Feuerbachs (wobei >metaphysischstroboskopisches< Phnomen bezeichnet, lsst einsoziales Verhltnis als Struktur erscheinen, die den Individuen gegenbersteht undsich wie von selbst reproduziert. Dies habe zu lange dazu gefhrt, denkonfliktorischen, widersprchlichen, unwahrscheinlichen und gewagten Charakterdieser Reproduktion von Praktiken zu berdecken. Aber die Autonomie, dieKreativitt oder die Unzufriedenheit der Individuen und der sozialen Gruppen (alsFolge des widersprchlichen Charakters sozialer Verhltnisse) fhrt dazu, neue

    Normen und neue Verhltnisse vorzuschlagen, oder auch einfach innerhalbhegemonialer Verhltnisse eine andere Art und Weise >das Spiel zu spielen< undeine Neuverteilung der Karten zu fordern (ebd.).

    Es geht also darum, den Zusammenhang von Struktur und Handlung in den Blickzu bekommen. Der entscheidende Begriff, den die Regulationstheorie hierfr bereit-hlt, ist der der institutionellen Formen (Lipietz 1985, 121).

    Geschichte wird als ein grundstzlich offener Prozess ohne strategisches Subjektaufgefasst, der im Zusammenhang mit den institutionalisierten strukturellen Voraus-setzungen des Handelns gesehen werden muss.

    Im Gegensatz zum Fortschrittsglauben frherer Marxismen, kritisiert Alain

    Lipietz nicht nur den verkrzten, um seinen sozialen Gehalt beraubten Begriff derProduktivkrfte, sondern geht zudem von einem Primat der Produktionsverhltnisseber die Produktivkrfte aus (Lipietz 1998a, 17; 1992, 9ff.). Mit der Benennung des

    Nationalstaates als mageblichem Feld, auf dem spezifische Traditionen, Hand-lungsmuster und Denkweisen24 und damit auch Produktions- und Konsumnormenherausgebildet werden, die nicht in das Schema einer abstrakten Logik passen,

    23 Michel Aglietta hat sich in seinen spteren Schriften immer strker Positionen angenhert, diedem methodologischen Individualismus gleichen.

    24 Das schliet je spezifische Geschlecht erarragements ebenso ein, wie spezifische ethnische

    Unterdrckungsmechanismen und gesellschaftliche Naturverhltnisse.

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    konnte die Regulationstheorie diese Vorstellung operationalisieren und den ko-nomismus der Weltsystemtheorie vermeiden.

    Die Regulationstheorie verspricht also eine historisch-materialistische Per-

    spektive, die frei ist von Klassenreduktionismus und dem Glauben, der Kapitalismusentwickle quasi natrlich seine eigene Negation.

    2.1.2. Internationale Regulation

    Das kapitalistische Weltsystem stellt sich aus regulationstheoretischer Perspektiveals eine komplexe Verflechtung von einer Vielzahl nationaler Reproduktions-zusammenhnge mit jeweils eigenen Akkumulationsmodi und Regulationsweisendar. Wallersteins Weltsystem ist fr Lipietz nur the effect of the interaction be-

    tween several relatively autonomous processes, of the provisionally stabilized com-plementarity and antagonism that exists between various national regimes of accu-mulation (1987, 25). Die Stellung eines Nationalstaates im internationalen Systemist nicht strukturell vorgegeben, sondern hngt im Wesentlichen von endogenenFaktoren, d.h. den Krfteverhltnissen und institutionalisierten Kompromissen inden Nationalstaaten ab. Die jeweiligen nationalen Akkumulationsregime knnenzwar nicht ohne eine adquate globale Konfiguration existieren, diese aber bleibt nur

    partiell und hchst fragil (siehe Lipietz 1987,40; vgl. auch Roblesl994, 128).Konfiguration heit in diesem Zusammenhang, dass die internationale Arbeit-

    steilung weder rein strukturtheoretisch, noch verschwrungstheoretisch als das Er-

    gebnis einer bestimmten Strategie zu deuten ist. It is a random configuration result-ing from the myriad strategies adopted by different companies and stales, from a mi-raculous harmonization of the very different regimes of accumulation adopted as aresult of the impersonal process of class struggle between the multiple social f