hand in hand gegen rheuma

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14 MMW-Fortschr. Med. Nr. 2 / 2013 (155. Jg.) _ Die Einführung neuer, den Krank- heitsverlauf beeinflussbarer Substanzen (DMARD) hat die Therapie der rheuma- toiden Arthritis wesentlich verbessert. „Damit können wir heute bei vielen Pati- enten das eigentliche Therapieziel, näm- lich eine volle Lebensqualität mit unein- geschränkter Arbeitsfähigkeit, errei- chen“, so Prof. Klaus Krüger vom Rheu- matologischen Praxiszentrum St. Boni- fatius in München auf dem DGIM-Kon- gress in Wiesbaden. Vorraussetzung sei, dass die Diagnose möglichst früh gestellt und eine gezielte Therapie eingeleitet werde: „Die optimale Betreuung dieser Patienten erfordert Netzwerke zwischen Hausärzten und Spezialisten.“ Basisdiagnostik beim Hausarzt Nicht bei jedem Gelenkschmerz muss gleich an eine RA gedacht werden. Ty- pisch für diese Erkrankung ist jedoch, dass mehr als zwei Gelenke betroffen sind, ein polyartikuläres symmetrisches Verteilungsmuster vorliegt, Morgenstei- figkeit von mindestens 60 Minuten an- gegeben wird und die Gelenkbeschwer- den mindestens sechs Wochen bestehen. Wird angesichts einer solchen Symp- tomatik der Verdacht auf rheumatoide Arthritis geäußert, sollte in der Haus- arztpraxis immer ein Basislabor be- stimmt werden. Dazu gehören die BSG, Interdisziplinäre Kooperation unabdingbar Hand in Hand gegen Rheuma Die rheumatoide Arthritis (RA) ist in den letzten Jahren zu einer gut behandelbaren Erkrankung ge- worden. Um das Therapieziel, nämlich eine unein- geschränkte Lebensqualität mit Arbeitsfähigkeit zu erreichen, ist eine frühzeitige Diagnosestellung mit Therapieeinleitung und eine enge Kooperation zwischen Hausarzt und Rheumatologen unverzichtbar. © Hanels/fotolia Botschaften für den Hausarzt vom US-Rheumatologenkongress Speed-Dating beim Rheumatologen Immer mehr Studien sprechen dafür, dass eine frühe und konsequente Behandlung mit krankheitsmodifizie- renden Antirheumatika wie Methotrexat oder sogar mit Biologics den Krankheits- verlauf bei rheumatoider Arthritis (RA) beeinflussen und das Auftreten von Langzeitkomplikationen verhindern kann. Um nicht wertvolle Zeit mit Warten auf einen Termin zu verlieren, riet Vivian B. Bykerk, New York, zu einem „Speed-Da- ting“ beim Rheumatologen bzw. in einer rheumatologischen Ambulanz. Patienten mit Verdacht auf frühe RA sollten kurz einem Spezialisten vorgestellt werden, damit er die Diagnose bestätigt und Vor- schläge für das weitere Vorgehen macht. Doch ist auch nicht alles verloren, wenn das „Window of opportunity“ verpasst wird: „Für eine effektive gezielte Therapie ist es nie zu spät!“ Das „Go-Gen“ des Rheuma- patienten aktivieren Wir alle sollten uns viel mehr bewegen, gerade auch Rheumapatienten, betonte Basia Belza, Seattle. Dafür hatte sie ganz einfache Tipps parat: Wer den ganzen Tag am Computer sitzen muss, sollte wenigs- tens zum Telefonieren aufstehen und he- rumlaufen. Und reichlich Wasser trinken – das treibt dann doch jeden mal weg vom Schreibtisch aufs stille Örtchen ... Mehr Bewegung ist laut Belza einer der effektivsten Wege, um Schmerzen und Fatigue bei Rheumapatienten zu lindern. Bereits mit einer Stunde körperliche Ak- tivität dreimal pro Woche lassen sich Schmerzen und Funktionseinschränkung um fast 50% reduzieren. Belza appellierte an die Ärzte, den Patienten zu helfen, ihr „Go-Gen“ (wieder) zu entdecken, also die Faktoren, die sie dazu bringen, aufzuste- hen und sich zu bewegen. Meldungen

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Page 1: Hand in Hand gegen Rheuma

14 MMW-Fortschr. Med. Nr. 2 / 2013 (155. Jg.)

_ Die Einführung neuer, den Krank-heitsverlauf beeinflussbarer Substanzen (DMARD) hat die Therapie der rheuma-toiden Arthritis wesentlich verbessert. „Damit können wir heute bei vielen Pati-enten das eigentliche Therapieziel, näm-lich eine volle Lebensqualität mit unein-geschränkter Arbeitsfähigkeit, errei-chen“, so Prof. Klaus Krüger vom Rheu-matologischen Praxiszentrum St. Boni-fatius in München auf dem DGIM-Kon-

gress in Wiesbaden. Vorraussetzung sei, dass die Diagnose möglichst früh gestellt und eine gezielte Therapie eingeleitet werde: „Die optimale Betreuung dieser Patienten erfordert Netzwerke zwischen Hausärzten und Spezialisten.“

Basisdiagnostik beim HausarztNicht bei jedem Gelenkschmerz muss gleich an eine RA gedacht werden. Ty-pisch für diese Erkrankung ist jedoch,

dass mehr als zwei Gelenke betroffen sind, ein polyartikuläres symmetrisches Verteilungsmuster vorliegt, Morgenstei-figkeit von mindestens 60 Minuten an-gegeben wird und die Gelenkbeschwer-den mindestens sechs Wochen bestehen.

Wird angesichts einer solchen Symp-tomatik der Verdacht auf rheumatoide Arthritis geäußert, sollte in der Haus-arztpraxis immer ein Basislabor be-stimmt werden. Dazu gehören die BSG,

Interdisziplinäre Kooperation unabdingbar

Hand in Hand gegen RheumaDie rheumatoide Arthritis (RA) ist in den letzten Jahren zu einer gut behandelbaren Erkrankung ge-worden. Um das Therapieziel, nämlich eine unein-geschränkte Lebensqualität mit Arbeitsfähigkeit zu erreichen, ist eine frühzeitige Diagnosestellung mit Therapieeinleitung und eine enge Kooperation zwischen Hausarzt und Rheumatologen unverzichtbar.©

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Botschaften für den Hausarzt vom US-RheumatologenkongressSpeed-Dating beim RheumatologenImmer mehr Studien sprechen dafür, dass eine frühe und konsequente Behandlung mit krankheitsmodifizie-renden Antirheumatika wie Methotrexat oder sogar mit Biologics den Krankheits-verlauf bei rheumatoider Arthritis (RA) beeinflussen und das Auftreten von Langzeitkomplika tionen verhindern kann. Um nicht wertvolle Zeit mit Warten auf einen Termin zu verlieren, riet Vivian B. Bykerk, New York, zu einem „Speed-Da-ting“ beim Rheumatologen bzw. in einer rheumatologischen Ambulanz. Patienten mit Verdacht auf frühe RA sollten kurz

einem Spezialisten vorgestellt werden, damit er die Diagnose bestätigt und Vor-schläge für das weitere Vorgehen macht. Doch ist auch nicht alles verloren, wenn das „Window of opportunity“ verpasst wird: „Für eine effektive gezielte Therapie ist es nie zu spät!“

Das „Go-Gen“ des Rheuma-patienten aktivierenWir alle sollten uns viel mehr bewegen, gerade auch Rheumapatienten, betonte Basia Belza, Seattle. Dafür hatte sie ganz einfache Tipps parat: Wer den ganzen Tag am Computer sitzen muss, sollte wenigs-

tens zum Telefonieren aufstehen und he-rumlaufen. Und reichlich Wasser trinken – das treibt dann doch jeden mal weg vom Schreibtisch aufs stille Örtchen ...Mehr Bewegung ist laut Belza einer der effektivsten Wege, um Schmerzen und Fatigue bei Rheumapatienten zu lindern. Bereits mit einer Stunde körperliche Ak-tivität dreimal pro Woche lassen sich Schmerzen und Funktionseinschränkung um fast 50% reduzieren. Belza appellierte an die Ärzte, den Patienten zu helfen, ihr „Go-Gen“ (wieder) zu entdecken, also die Faktoren, die sie dazu bringen, aufzuste-hen und sich zu bewegen.

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AKTUELLE MEDIZIN–REPORT

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das C-reaktive Protein und ein Blutbild. „Das Rheumalabor kann, muss aber nicht in der Hausarztpraxis erbracht werden“, so Krüger. Dies umfasse die Rheumafaktoren, Anti-CCP und einen Suchtest auf antinukleäre Antikörper (ANA). Unabhängig von den Ergebnis-sen dieser Zusatzuntersuchungen sollte bei RA-Verdacht immer eine Vorstellung beim Rheumatologen innerhalb von zwei Wochen angestrebt werden. „Die meisten Rheumatologen sind inzwischen dazu übergegangen, solchen Patienten vorran-gig Termine einzuräumen“, sagte Krüger.

Bestätigung der Diagnose durch den SpezialistenIn den letzten Jahren wurden neue Klas-sifikationskriterien für die rheumatoide Arthritis erarbeitet. Damit wird die Krankheitswahrscheinlichkeit mit einem Punkte-Score-System erfasst, in den Aus-maß des Gelenkbefalls, Dauer der Be-schwerden, Schwellung der Gelenke und Laborparameter eingehen. Erreicht ein Patient mindestens sechs Punkte, spricht dies für eine rheumatoide Arthritis.“

Um die Diagnose mit letzter Sicher-heit stellen zu können, müssen auch an-dere Differenzialdiagnosen ausgeschlos-sen werden. Dazu zählen die parainfekti-öse virale Arthritis, die durch Hepatitis-

viren oder Parvo-Virus B 19 verur sacht wird, eine Kollagenose wie der sys-temische Lupus erythematodes, die Pso-riasis-Arthritis und die paraneoplastische Arthritis. „Diese oft nicht einfache diffe-renzialdiagnostische Abgrenzung bleibt dem Spezialisten vorbehalten“, so Krüger.

Die neuen Diagnosekriterien haben dazu geführt, dass die Sensitivität der Erfassung der rheumatoiden Arthritis von 61% auf 84% gesteigert werden konnte. Dies ging jedoch mit einer Ab-nahme der Spezifität von 74% auf 60% einher. Einer Erhebung zufolge muss die primäre Diagnose „rheumatoide Arthri-tis“ bei 18% der Patienten nach einem Jahr korrigiert werden.

Primärtherapie durch den HausarztPatienten mit Gelenkbeschwerden be-nötigen eine sofortige medikamentöse Therapie. Therapie der Wahl ist, soweit keine Kontraindikationen bestehen, ein nicht steroidales Antirheumatikum. Reicht dies nicht aus, ist es laut Krüger vertretbar, dass bereits der Hausarzt mit einer Prednisolon-Stoßtherapie (20 mg täglich) beginnt, um das Zeitintervall bis zur Vorstellung beim Rheumatologen erträglich zu gestalten.

Wird die Verdachtsdiagnose beim Rheumatologen bestätigt, besteht immer

die Indikation für den sofortigen Beginn einer gezielten Therapie mit einer Sub-stanz, die den Krankheitsverlauf güns tig beeinflusst, d. h. DMARD bzw. Biologika. Mittel der ersten Wahl ist Methotrexat (15 mg einmal wöchentlich subkutan). Zu-sätzlich empfiehlt sich die Gabe von 10 mg Prednisolon täglich.

Interdisziplinäre WeiterbetreuungAuch die Weiterbetreuung eines Pati-enten mit rheumatoider Arthritis erfor-dert eine enge Kooperation zwischen Hausarzt und Spezialisten. Dem Haus-arzt obliegen die regelmäßigen Labor-kontrollen und das Verordnen der Me-dikamente. Auch ist er meist erster An-sprechpartner bei Nebenwirkungen der Medikamente oder wenn ein akuter Schub auftritt. Zusätzlich ist er für den Impfschutz und das Management der Komorbiditäten verantwortlich.

Für die Kontrolluntersuchungen beim Rheumatologen werden feste Ter-mine vereinbart, nämlich nach 6, 12, 24, 36 und 48 Wochen. „Der Rheumatologe ist unverzichtbar für das weitere Thera-pie-Management. Nicht wenige Pati-enten benötigen eine mehrfache Ände-rung der Therapie, bis sie sich schließ-lich ‚nahezu gesund‘ fühlen“, so Krüger.

Dr. meD. Peter Stiefelhagen ■

Übergewicht – für die Gelenke kommt es dickeBei Übergewicht drohen nicht nur Ar-throsen der Knie- und Hüftgelenke. Auch das Risiko, an einer rheumatoiden Arthri-tis zu erkranken, wächst mit der Leibes-fülle. Das unterstreichen aktuelle Daten aus zwei großen prospektiven Langzeit-Kohortenstudien, der Nurses’ Health Stu-dy (NHS) und ihrer Folgestudie (NHS II) mit jeweils weit über 100 000 Teilneh-merinnen. Wie Bing Lu, Boston, erläu-terte, war das Risiko, im Laufe der Jahre eine RA zu entwickeln, bei übergewich-tigen (BMI ≥ 25 kg/m2) und adipösen Frauen (BMI ≥ 30 kg/m2) signifikant grö-ßer als bei normalgewichtigen (BMI < 25 kg/m2). Vor allem bei seronegativer RA

erwies sich ein Zuviel an Gewicht als Risikofaktor. Über die Ursa-chen kann bisher nur spekuliert werden. Laut Lu könnten die von den Fettzellen sezernierten proin-flammatorischen Zytokine eine Rolle spielen.

Auf Schlafprobleme achtenSechs von zehn Patienten mit RA schlafen schlecht, ergab eine dänische Quer-schnittstudie. Katrine Løppenthin, Ko-penhagen, berichtete, dass Patienten mit Schmerzen > 30 auf einer visuellen Ana-logskala von 1–100 auffallend oft mit schlechter Schlafqualität, kurzer Schlaf-dauer und unbefriedigender Schlafeffi-zienz zu kämpfen hatten.

Im Behandlungsalltag sollte man bei Rheumapatienten gezielt nach Schlaf prob-lemen fahnden, betonte Ül-kü Uçar, Manisa/Türkei. Nach ihren Daten sind Krankheits-aktivität, Laborparameter und funktioneller Status nicht signifikant mit der

Schlafqualität korreliert. Behandlungsstra-tegien, die nur auf die Entzündung abzie-len, seien daher nicht genug. Verhaltens-therapeutische Maßnahmen für besseren Schlaf könnten hier Sinn machen.

Dr. meD. Ulrike WePner ■

■ Jahrestagung des American College of Rheumatology (ACR) und der Association of Rheumatology Health Professionals (ARHP), Washington, 10–14.11.2012

Rheumabegleiter schlechter Schlaf.

© R

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schk

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