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Oberlandesgericht Köln, Urteil 15. 07. 2011 - Ling Zhi Pilz Sporenpulver Dr. Andreas Reinhart

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Oberlandesgericht Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“ Art. 1 Abs. 2, Art. 3 und Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 258/97; §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1,Abs. 3 UWG

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Oberlandesgericht Köln, Urteil 15. 07. 2011 - Ling Zhi Pilz Sporenpulver

Dr. Andreas Reinhart

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Erscheinungsjahr: 2012

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Rechtsprechung

1. Oberlandesgericht Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“

Art. 1 Abs. 2, Art. 3 und Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 258/97; §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1,Abs. 3 UWG

1. Das Sporenpulver des „Ling Zhi Pilzes“ ist eine neuartige Lebensmittelzutatgemäß Art. 1 Abs. 2Verordnung (EG) Nr. 258/97.

2. Darlegungs- und beweisbelastet für die Tatsache, dass ein Lebensmittel oder eineZutat vor dem 15.5.1997 in der Gemeinschaft in nennenswertem Umfang für denmenschlichen Verzehr verwendet wurde, ist grundsätzlich der Kläger. DieserBeweislast genügt der Kläger, wenn er auf die Ungenießbarkeit des fraglichenLebensmittels verweist und substantiiert in Abrede stellt, dass ein nennenswerterVerzehr der angegriffenen Zutat in der EU erfolgt.

3. Die Beklagte trifft eine sekundäre Beweislast. Sie muss konkrete Umstände vortra-gen können, aus denen auf einen vor dem Stichtag erfolgten hinreichend umfang-reichen Verzehr des von ihr vertriebenen Lebensmittels geschlossen werden kann.Dieser Beweislast kommt die Beklagte nicht ausreichend nach, wenn sie jeweils aufdas Ergebnis der von einem Dritten überwiegend lange nach dem Stichtag (15. Mai1997) abgegebene Bewertung (z.B. den „Novel food catalogue“) verweist. Sie mussstattdessen konkrete Tatsachen mitteilen, anhand derer die inhaltliche Richtigkeitdieser Bewertung überprüft und ihre Anwendbarkeit gerade auf das im Streitfallgegenständliche Sporenpulver nachvollzogen werden kann.

OLG Köln, Urteil vom 15. 7. 2011 – 6 U 192/10

Aus dem Tatbestand:

I.

Die Beklagte bot im Dezember 2005 über das Internet „Ling Zhi Pilz Sporenpulver100%“ als Nahrungsergänzungsmittel an. „Ling Zhi“ (chinesisch) oder „Reishi“(japanisch) wird ein in Deutschland als „Glänzender Lackporling“ bekannter Baum-schwamm (Ganoderma lucidum) genannt, der als ungenießbar (nicht giftig) gilt.

Der Kläger, ein Wettbewerbsverein, nimmt die Beklagte wegen unzulässigenVertriebsihres Pilzpulvers auf Unterlassung in Anspruch und behauptet, Zubereitungen ausBestandteilen des Pilzes seien in Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorInkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und desRates vom 27.01.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittel-

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zutaten (Novel-Food-Verordnung, NFV) nicht in nennenswertem Umfang zummenschlichen Verzehr verwendet worden. Die Beklagte hat sich für ihre gegenteiligeBehauptung auf den Vertrieb von Erzeugnissen näher bezeichneter Unternehmen,Privatgutachten, Angaben und Listen in- und ausländischer Stellen sowie der EU-Kommission, Gerichtsentscheidungen und weitere Unterlagen bezogen.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten des erstinstanzlichenSach- und Streitstandes und der Beurteilung durch die Kammer verwiesen wird, hatdas Landgericht die Beklagte gemäß dem (nach einer Teilrücknahme verbliebenen)Klageantrag unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, das Anbieten und/oder den Vertrieb des Produkts „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“ zu unterlassen.

Mit ihrer den Klageabweisungsantrag weiter verfolgenden Berufung rügt die Be-klagte logische Widersprüche des Urteils und fehlerhafte Anforderungen des Landge-richts an die Substantiierung des beiderseitigen Sachvortrags. Sie macht geltend, dieKammer habe ihr Vorbringen nicht vollständig gewürdigt und rechtsfehlerhaft eineDarlegung desVertriebs identischer Produkte in Europa vor dem Stichtag verlangt. Inder Berufungsverhandlung sowie mit Schriftsatz vom gleichen Tag hat sie weitereDokumente vorgelegt, auf die verwiesen wird. Sie hält eine enge Auslegung der denVertrieb neuartiger Lebensmittel beschränkenden Vorschriften für geboten und regtan, dem Europäischen Gerichtshof mehrere im Schriftsatz vom 01.07.2011 ausformu-lierte Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Aus den Entscheidungsgründen:

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Die entsprechend dem Antrag des Klägers in der Berufungsverhandlung vorge-nommene Ergänzung der erstinstanzlichen Urteilsformel ist lediglich redaktionellerNatur. Sie dient zum einen der Vervollständigung der unstreitigen Bezeichnung desangegriffenen Produkts („100%“) und zum anderen der Klarstellung des mit derKlage geltend gemachten Verbotsumfangs („sofern das Produkt nicht nach der Ver-ordnung [EG] Nr. 258/97 [Novel-Food-Verordnung] zugelassen oder notifiziert ist“),ohne damit den Wegfall des Anspruchs oder die Entstehung einer Unterlassungs-pflicht aus anderen Gründen auszuschließen.

2. Das Landgericht hat den aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG, Art. 1 Abs. 2lit. d, Art. 3 Abs. 2 und 4, Artt. 4ff. NFV folgenden Unterlassungsanspruch des Klägersauf der Grundlage des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands zu Recht und mitzutreffenden Erwägungen bejaht. Der Senat nimmt zur Vermeidung überflüssigerWiederholungen vorab auf die sorgfältigen, die in erster Instanz aufgeworfenen Fra-

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gen gründlich abhandelnden, abgewogenen und im Ergebnis überzeugenden Ausfüh-rungen der Kammer zustimmend Bezug. Das Vorbringen der Beklagten im Beru-fungsrechtszug rechtfertigt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht keine andereEntscheidung.

a) Ersichtlich zutreffend hat das Landgericht das von der Beklagten angebotene Pilz-Sporenpulver – auf der Grundlage ihrer eigenen Angaben – als ein aus Pilzen beste-hendes (oder daraus isoliertes) Lebensmittel (oder eine Lebensmittelzutat) im Sinneder Definition des Art. 1 Abs. 2 lit. d NFV eingeordnet. Die Berufung bringt dagegennichts vor. Ihre Rüge, es sei widersprüchlich, das Produkt einerseits als Lebensmittelzur Nahrungsergänzung zu qualifizieren und andererseits seinen Vertrieb als Nah-rungsergänzungsmittel zu verbieten, verkennt den – mit der Neufassung des Tenorsklargestellten – Umfang des vom Landgericht ausgesprochenen, allein auf einen Ver-trieb ohne Genehmigung oder Notifizierung als neuartiges Lebensmittel abzielendenVerbots.

b) Soweit die Berufung unter Hinweis auf die vom Bundesgerichtshof bejahte parti-elle Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des im deutschem Recht bestehenden präventi-ven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für Lebensmittel-Zusatzstoffe (BGH, GRUR2011, 355 = WRP 2011, 220 – Gelenknahrung II) die Statuierung eines Genehmigungs-vorbehalts für neuartige Lebensmittel prinzipiell in Frage stellt und stattdessen einevom Kläger konkret darzulegende Gesundheitsgefahr fordert, weil es an einem demGrundsatz der Verhältnismäßigkeit genügenden, leicht zugänglichen, transparentenund in angemessener Zeit abzuschließendenVerfahren zur Erlangung einerVertriebs-genehmigung fehle, kann sie damit keinen Erfolg haben.

Während der Bundesgerichtshof vom europäischen Mindeststandard abweichendenationale Bestimmungen zur Lebensmittelsicherheit an primärem Unionsrechtgemessen hat, beruht das Vertriebsverbot mit Erlaubnisvorbehalt für neuartigeLebensmittel und Lebensmittelzutaten auf einer Entscheidung des Unionsgesetzge-bers selbst, der solche Lebensmittel zum Schutz der öffentlichen Gesundheit einereinheitlichen Sicherheitsprüfung in einem Gemeinschaftsverfahren unterwerfenwollte, bevor sie in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden (Erwägungsgrund2). Die deutscheVerordnung zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicherVorschriftenüber neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten (NLV) trifft insoweit keineweitergehenden Regelungen, sondern bestimmt im Wesentlichen nur die in Deutsch-land zuständigen Prüfstellen. Anhaltspunkte für eine rechtsstaatlichen Grundsätzenwidersprechende Ausgestaltung des vom europäischen Gesetzgebers vorgesehenenGenehmigungs- oder Notifizierungsverfahrens zeigt die Berufung im Übrigen nichtauf. Die faktische Zeitdauer anderer anhängigerVerfahren allein lässt keine Schlüssein diese Richtung zu und unzumutbare Verzögerungen der Entscheidung über eigeneAnträge legt die Beklagte nicht dar. Insbesondere behauptet sie selbst nicht, sich fürdas streitgegenständliche Produkt vergeblich um eine Genehmigung oder Notifizie-

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rung (im vereinfachten Verfahren gemäß Art. 3 Abs. 4, Art. 5 NFV, § 3 Abs. 2 NLV)bemüht zu haben.

c) Die das Marktverhalten regelnden Bestimmungen der Novel-Food-Verordnungsind auf das Pilz-Sporenpulver der Beklagten anwendbar, sofern es sich dabei um einin der Europäischen Union neuartiges Lebensmittel oder eine neuartige Lebensmit-telzutat handelt. Das ist nach den fehlerfrei getroffenen und ungeachtet des ergän-zenden Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz weiterhin zutreffendenFeststellungen des Landgerichts der Fall.

aa) Gemäß Art. 1 Abs. 2 NFV kommt es für die Neuartigkeit darauf an, ob das betref-fende Lebensmittel oder die betreffende Lebensmittelzutat bis zum Inkrafttreten derVerordnung in der Europäischen Union noch nicht in nennenswertem Umfang fürden menschlichenVerzehr verwendet wurde. In Übereinstimmung mit der Rechtspre-chung des Europäischen Gerichtshofs (Slg. 2005, I-5141 = WRP 2005, 863 = BeckRS2005, 70422 – HLH Warenvertrieb und Orthica) und des Bundesgerichtshofs (GRUR2008, 625 = WRP 2008, 924 – Fruchtextrakt; GRUR 2009, 413 = WRP 2009, 300 – Erfo-kol-Kapseln) hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, ob unter Berücksich-tigung aller Umstände des Einzelfalls feststeht, dass Pilz-Sporenpulver der streitbe-fangenen Art vor dem 15.05.1997 in keinem Mitgliedstaat in erheblicher Menge fürden menschlichen Verzehr verwendet wurde.

Maßgebend dafür sind qualitative und quantitative Kriterien (BGH, GRUR 2009, 413= WRP 2009, 300 [Rn. 30] – Erfokol-Kapseln). In diesem Zusammenhang ist derUmstand, dass das betreffende Lebensmittel oder die betreffende Zutat vor demBezugszeitpunkt auf dem Markt eines Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaatenvertrieben worden sind, lediglich mit von Bedeutung. Die berücksichtigten Umständemüssen das Lebensmittel oder die Zutat selbst betreffen, auf das oder auf die sich diePrüfung erstreckt, und nicht ein ähnliches oder vergleichbares Lebensmittel odereine ähnliche oder vergleichbare Zutat. Denn auf dem Gebiet der neuartigen Lebens-mittel oder Lebensmittelzutaten lässt sich nicht ausschließen, dass selbst geringerscheinende Abweichungen ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevöl-kerung nach sich ziehen können, zumindest solange nicht die Unschädlichkeit desfraglichen Lebensmittels oder der fraglichen Zutat durch angemessene Verfahrennachgewiesen ist (EuGH, a.a.O., Rdnrn. 83ff.; BGH, GRUR 2008, 625 = WRP 2008, 924[Rn. 16] – Fruchtextrakt).

Im Streitfall kann sich die Prüfung mithin nicht allgemein auf denVertrieb beliebigerLing-Zhi- oder Reishi-Pilz-Zubereitungen vor dem Stichtag beschränken; abzustel-len ist vielmehr auf das konkret beanstandete, ausschließlich (zu 100%) aus den Spo-ren des Ling-Zhi-Pilzes hergestellte Pulver, das in Mitgliedsstaaten der EuropäischenUnion in erheblicher Menge zum Verzehr, nicht allein zu arzneilichen Zwecken ver-wendet worden sein muss. Diese Prüfung hat das Landgericht mit großer Sorgfalt

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vorgenommen, wobei der von ihm benutzte Begriff der Produktidentität erkennbarnicht auf spezifische Erzeugnisse eines bestimmten Unternehmens in bestimmterDarreichungsform und Aufmachung, sondern auf denVerzehr identischer Lebensmit-tel im vorbeschriebenen Sinn abzielt. Der Senat teilt nicht die Auffassung derBeklagten, dass es für die Beurteilung allein darauf ankomme, ob die stofflichenBestandteile des beanstandeten Produkts ohne Rücksicht auf die Art der Zubereitungund mögliche weitere Bestandteile schon vor dem Stichtag in Europa von Menschenüber den Verdauungstrakt aufgenommen wurden; an der Neuartigkeit fehlt es viel-mehr bereits dann, wenn keine hinreichend umfangreiche Verwendung gleichartigerZubereitungen als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel – unabhängig voneiner etwaigen Verwendung als Arzneimittel – stattgefunden hat. Hiervon geht letzt-lich auch die Beklagte selbst aus, wenn sie gegenüber demVorbringen des Klägers zurUngenießbarkeit des „Glänzenden Lackporlings“ als Pilz darauf verweist, dass dasvon ihr angebotene Pulver aus den Sporen dieses Pilzes etwas ganz anderes (ernäh-rungsphysiologisch wertvolleres) sei.

bb) Das Landgericht hat angenommen, dass zur Nahrungsergänzung angebotenesLing-Zhi-Pilz-Sporenpulver ein neuartiges Lebensmittel im vorgenannten Sinn ist.Zu dieser Feststellung ist die Kammer unter umfassender Würdigung des erstinstanz-lichenVorbringens beider Parteien gelangt, ohne für die Darlegungslast in Bezug aufden Kläger von zu geringen und in Bezug auf die Beklagte von zu hohen Anforderun-gen auszugehen.

(1) Darlegungs- und beweisbelastet für die seinen Unterlassungsanspruch mitbe-gründende negative Tatsache, dass ein Lebensmittel oder eine Zutat vor dem15.5.1997 in der Gemeinschaft nicht in nennenswertem Umfang für den menschli-chen Verzehr verwendet wurde, ist zwar der Kläger (BGH, GRUR 2008, 625 = WRP2008, 924 [Rn. 18] – Fruchtextrakt). Die beklagte Anbieterin eines beanstandeten Pro-dukts trifft aber eine sekundäre Darlegungslast; erst wenn sie konkrete Umständevorträgt, aus denen auf einen vor dem Stichtag erfolgten hinreichend umfangreichenVerzehr des gerade von ihr angebotenen Lebensmittels geschlossen werden kann,muss der Kläger darauf seinerseits – gegebenenfalls unter Beweisantritt – eingehen.Dafür spricht zum einen, dass an den Beweis einer negativen Tatsache keine unerfüll-baren Anforderungen gestellt werden dürfen (BGH, GRUR 2007, 629 = WRP 2007, 781[Rn. 12f.] – Zugang des Abmahnschreibens). Zum anderen wird auch der Beklagtennichts Unzumutbares abverlangt, weil sie als Lebensmittelunternehmerin Sorgedafür zu tragen, dass die von ihr beworbenen und vertriebenen Lebensmittel dieAnforderungen des Lebensmittelrechts erfüllen (BGH, GRUR 2008, 625 = WRP 2008,924 [Rn. 19] – Fruchtextrakt).

(2) Seiner primären Darlegungslast in Bezug auf die negative Tatsache der fehlendenVerwendung von Ling-Zhi-Pilz-Sporenpulver in der Gemeinschaft hat der Klägergemäß der zutreffenden Annahme des Landgerichts und entgegen den Angriffen der

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Berufung genügt. Er hat nicht nur wiederholt auf die Ungenießbarkeit des Pilzesselbst verwiesen (was der Sache nach durchaus als ein Indiz gegen eine Verwendungvon Pilzbestandteilen als Nahrungsergänzungsmittel in Betracht kommt), sondernebenso eindeutig (beispielsweise in seinen Schriftsätzen vom 4.7.2006, 28.4.2010 undvom 28.7.2010 und mitVorlage des Gutachtens E. zu 9HK O 8523/06 LG München I =29 U 3012/09 OLG München) einen relevantenVerzehr von aus dem Pilz gewonnenenZubereitungen, für die es keinen Bedarf gebe, in Abrede gestellt. Soweit von derBeklagten aufgestellte Tatsachenbehauptungen dazu Anlass gaben, hat er sich nichtallein mit Nichtwissen erklärt, sondern substantiiert dargelegt, warum er das Vor-bringen für unerheblich halte.

(3) Das Landgericht hat dasVorbringen der Beklagten und den Inhalt der von ihr vor-gelegten Dokumente in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils imEinzelnen gewürdigt, im Ergebnis aber nicht für ausreichend zur Darlegung einesSachverhalts erachtet, der inVerbindung mit den oben dargestellten Rechtsgrundsät-zen den Schluss zuließ, bei dem von der Beklagten angebotenen Pilz-Sporenpulverhandele es sich um ein bereits vor dem 15.5.1997 in der Europäischen Union in erheb-lichem Umfang zum Verzehr von Menschen verwendetes Lebensmittel. Die Berufungzeigt weder konkrete Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit undVollstän-digkeit dieser Feststellungen begründen, noch legt sie im Berufungsrechtszug neueberücksichtigungsfähige Tatsachen dar (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO).

(a) Soweit die Berufung sich konkret und nicht nur pauschal auf den Vortrag derBeklagten in erster Instanz bezieht, bleibt sie eine inhaltliche Auseinandersetzungmit den sorgfältigen Erwägungen des Landgerichts weithin schuldig. Sie rückt – ausden oben dargestellten Gründen ohne Erfolg – den Aspekt in den Vordergrund, dassdie Kammer von einem falschen Verständnis ihrer sekundären Darlegungslast undeinem rechtlich unzutreffenden Begriff der Produktidentität im Lebensmittelrechtausgegangen sei, verstellt sich damit aber den Blick für die abgewogenen und zutref-fenden Ausführungen, mit denen das Landgericht die inhaltliche Insuffizienz der vonihr für einen Verzehr von Pilz-Sporenpulver der in Rede stehenden Art angeführtenBelege begründet hat.

Die Bezugnahme auf das Vorbringen in zwei erstinstanzlichen Schriftsätzen zuUnternehmen, die „entsprechende“ Produkte in Verkehr gebracht hätten, genügt fürsich allein nicht, die Erheblichkeit desVorbringens oder gar die Notwendigkeit einerVernehmung der in erster Instanz benannten Zeugen zu begründen. Angesichts dersorgfältigen Ausführungen im angefochtenen Urteil hätte die Beklagte vielmehrzumindest vortragen können und müssen, welche konkreten, vom Landgericht fürnicht erheblich angesehenen Tatsachenbehauptungen ihrer Ansicht nach zur Darle-gung der fehlenden Neuartigkeit von Ling-Zhi-Pilz-Sporenpulver als Lebensmitteloder Lebensmittelzutat geeignet sind. Auf die überzeugenden Argumente des Land-gerichts zur fehlenden Erheblichkeit des Vertriebs in nur geringem Umfang oder zu

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arzneilichen Zwecken – auch als Erzeugnis der traditionellen chinesischen Medizin –geht die Berufung nicht ein.

Mit den Bedenken der Kammer an der Aussagekraft der vorgelegten Privatgutachtensetzt sich die Berufung inhaltlich ebenfalls nicht auseinander. Dazu hätte aber um somehr Anlass bestanden, als sogar der Gutachter M. im Jahr 2004 bestätigt hat, dassder Pilz hier früher als wertlos gegolten habe; wieso es vor diesem Hintergrund füreinenVerzehr durch Menschen in erheblichem Umfang schon vor Mitte 1997 sprechensoll, dass es „inzwischen“ auch hier „mehrere“ Kultivateure gebe und das Pulver „inerheblichem Umfang zum Würzen von Speisen verwendet“ werde, erschließt sichnicht, wie das Landgericht richtig ausgeführt hat. Die übrigen Gutachten befassensich – ersichtlich zu Prozesszwecken – mit Fragen der Genehmigungsfähigkeit, abernicht substantiiert mit einemVerzehr von Ling-Zhi-Pilz-Sporenpulver in erheblicherMenge vor 1997 in Europa. In der Analyse des Chemikers U. ist von einerVerwendungin Europa keine Rede.

Soweit sich die Beklagte auf verschiedene instanzgerichtliche Entscheidungen, Mar-kenanmeldungen, Auskünfte von Behörden des Bundes, der Länder und anderereuropäischer Staaten sowie die Erwähnung des Pilzes Ganoderma lucidum in einemvon der EU-Kommission verantwortetenVerzeichnis im Internet („Novel food catalo-gue“) als „Non novel food“ beruft, krankt ihre Darlegung abgesehen von der fehlen-den Auseinandersetzung mit den insoweit im angefochtenen Urteil im Einzelnen auf-gezeigten Bedenken vor allem daran, dass sie jeweils nur das Ergebnis der von einemDritten überwiegend lange nach dem Stichtag abgegebenen Bewertung, nicht aberkonkrete Tatsachen mitteilt, an Hand derer die inhaltliche Richtigkeit dieser Bewer-tung überprüft und ihre Anwendbarkeit gerade auf das im Streitfall gegenständlichePilz-Sporenpulver nachvollzogen werden kann. In dieser Form ist ihr Vorbringenindes nicht einlassungsfähig und schon im Ansatz ungeeignet, den erhöhten Anforde-rungen an die sekundäre Darlegungslast eines Lebensmittelanbieters zu genügen,dem es zugemutet werden kann, sich jedenfalls in einem seit Jahren anhängigenRechtsstreit, in dem es um die Neuartigkeit des von ihm angebotenen Nahrungser-gänzungsmittels geht, über die tatsächlichen Grundlagen der angeführten Drittbe-wertungen zu informieren und diese Tatsachen dem Gericht als Grundlage für seineeigene Entscheidung vorzutragen.

(b) Die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung und kurz danach vorgelegtenDokumente und der von ihr dazu gehaltene, schriftsätzlich nur rudimentär aufberei-teteVortrag stellen neueVerteidigungsmittel dar, die bei gehöriger prozessualer Sorg-falt schon in erster Instanz, spätestens aber in der Berufungsbegründung hätten gel-tend gemacht werden können, so dass sie nicht zuzulassen (§ 531 Abs. 2 ZPO) oderjedenfalls als verspätet zurückzuweisen (§§ 530, 520, 296 ZPO) waren.

Für das im Wesentlichen in derVorlage umfangreicher Listen bestehendeVorbringen,aus denen sich die behördlich als zulässig angesehene Verwendung des Pilzes Gano-

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derma lucidum als Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel in mehreren euro-päischen Staaten – darunter Italien und dem Vereinigten Königreich – ergeben soll,gelten im Übrigen die vorstehend aufgezeigten Bedenken entsprechend: Die tatsäch-lichen Grundlagen und weithin auch weitere – den Zeitpunkt der Entscheidung, diePrüfungskompetenz und die Arbeitsweise der listenführenden Stellen betreffenden –Bedingungen der vorgetragenen Bewertungen werden von der Beklagten nicht mitge-teilt und dem Kläger wird eine substantiierte Stellungnahme ebenso wenig wie derAntritt des Negativbeweises ermöglicht.

Anmerkung:

Überzogenes Sicherheitsstreben bei neuartigen Lebensmitteln

Regelmäßig werden wir mit Rechtsprechung zur Novel Food-Problematik beglückt,was auch in Zukunft mit schöner Regelmäßigkeit der Fall sein wird, da bei der anste-henden Neuordnung des Novel Food-Rechts durch die neue EU-Verordnung an demwillkürlichen Zeitpunkt 15. Mai 1997 festgehalten werden soll. Aus Gründen der„Kontinuität“ (Erwägungsgrund 4 des Standpunkts (EU) Nr. 6/2010 des Rates imHinblick auf den Erlass einerVerordnung über neuartige Lebensmittel vom 15. März2010) wird auch künftig bei der Prüfung der Neuartigkeit auf einen – zurzeit – 15Jahre zurückliegenden Zeitpunkt abgestellt. Das Risiko, dass ein „neues“ Produkt alsneuartig eingestuft werden könnte, steigt mit jedem Tag/Monat/Jahr, mit dem mansich weiter von dem 15. Mai 1997 entfernt. Allerdings bestehen seitens des EU-Gesetzgebers insbesondere insoweit keine Bedenken, als bei der geplanten Ausdeh-nung des Anwendungsbereichs der neuen Novel Food-Verordnung Produkte bis zu 15Jahre (plus „X“, abhängig vom Zeitpunkt der Geltung der neuen EU-Verordnung)rückwirkend ihre Verkehrsfähigkeit – weil plötzlich neuartig – verlieren können.

Im „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“-Fall des OLG Köln wurde die Neuartigkeit auch inzweiter Instanz ohne großen Aufwand bejaht, indem eine sehr strenge „Produktiden-tität“ gefordert und die primäre Darlegungslast des Klägers gegen Null reduziertwurde.

1. Primäre / sekundäre Darlegungslast

Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung trifft die beklagte Anbieterin einesbeanstandeten Produkts eine sog. sekundäre Darlegungslast. Dies bedeutet, dasszunächst das beklagte Lebensmittelunternehmen konkrete Umstände, aus denen aufeinen vor dem Stichtag erfolgten hinreichend umfangreichen Verzehr des gerade vonihr angebotenen Lebensmittels geschlossen werden kann, vortragen muss, bevor derKläger darauf seinerseits – gegebenenfalls unter Beweisantritt – eingehen muss (vgl.Rz. 20 (nach juris) des OLG-Urteils). Erst auf substantiierten Vortrag der Beklagtenmuss der Kläger seine Behauptung ebenfalls substantiieren und unter Beweis stellen.

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ZLR 2/2012Reinhart, Anm. zu OLG Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“

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Dafür spreche zum einen, dass an den Beweis einer negativen Tatsache keine uner-füllbaren Anforderungen gestellt werden dürfen (BGH, WRP 2007, 781 Rz. 12f. –Zugang des Abmahnschreibens). Zum anderen werde auch der Beklagten nichtsUnzumutbares abverlangt, weil sie als Lebensmittelunternehmerin Sorge dafür zutragen hat, dass die von ihr beworbenen und vertriebenen Lebensmittel die Anforde-rungen des Lebensmittelrechts erfüllen (BGH,WRP 2008, 924 Rz. 19 – Fruchtextrakt).Dieser mehrstufige Ansatz im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungslast istgrundsätzlich als angemessen zu beurteilen, da den tatsächlichen Verhältnissen aus-reichend Rechnung getragen wird.

Abzulehnen ist dagegen der rein pragmatische, schon fast an Arbeitsverweigerunggrenzende Ansatz des OLG Köln, wonach der Kläger seiner primären Darlegungslastin Bezug auf die negative Tatsache der fehlendenVerwendung von Ling Zhi Pilz Spo-renpulver in der EU bereits dadurch genügt habe, dass er im Hinblick auf den Pilz,der früher als wertlos gegolten habe, einen relevanten Verzehr von daraus gewonne-nen Zubereitungen, für die es keinen Bedarf gebe, in Abrede gestellt hat (vgl. Rz. 21,25 des OLG-Urteils). Das erstinstanzliche LG Köln hat sogar die bloße klägerischeBehauptung, vor dem 15. Mai 1997 sei das besagte Sporenpulver in der EuropäischenUnion nicht in nennenswertem Umfang verzehrt worden, als der primären Darle-gungspflicht genügend angesehen. Es käme nämlich auf die Frage, ob die Argumenta-tion des Klägers, der Nichtverzehr ergebe sich bereits daraus, dass der Pilz zum Ver-zehr ungeeignet sei, schlüssig ist, nicht an (LG Köln, Urt. v. 21.10.2010 – 31 O 304/06Rz. 27 – Ling Zhi Pilz Sporenpulver).

Die faktische Aufhebung der primären Darlegungslast durch die Entscheidungen desLG und OLG Köln widerspricht aber der höchstrichterlichen Rechtsprechung zuNovel Food. Nach der Rechtsprechung des BGH hat grundsätzlich der Kläger die sei-nen Anspruch begründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Dazu gehörenbei Novel Food-Verfahren die Darlegung und der Beweis der negativen Tatsache, dasses sich bei den beanstandeten Produkten um Lebensmittel oder Zutaten handelt, dievor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den mensch-lichenVerzehr verwendet worden sind. DieseVerteilung der Darlegungs- und Beweis-last trägt dem Umstand Rechnung, dass das Inverkehrbringen von Lebensmitteln undLebensmittelzutaten grundsätzlich keiner vorherigen Genehmigung bedarf (BGH,WRP 2008, 924 Rz. 18 – Fruchtextrakt; BGH, ZLR 2009, 350 Rz. 28 – Erfokol-Kap-seln). Der Kläger hat im Fall des § 4 Nr. 11 UWG entsprechend den allgemeinenRegeln den Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung als anspruchsbegründendeTatsache darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BGH, WRP 2010, 250 Rz. 15 –Quizalofop).

Der zur Erfüllung der primären Darlegungslast erforderliche Substantiierungsgraddes klägerischenVortrags umfasst damit mehr als das bloße Behaupten der Neuartig-keit des Produkts. Demgemäß kann sich das beklagte Lebensmittelunternehmen im

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ZLR 2/2012 Reinhart, Anm. zu OLG Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“

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Hinblick auf seine sekundäre Darlegungslast nicht darauf beschränken, den klägeri-schenVortrag nur zu bestreiten oder zu versuchen ihn durch pauschale Ausführungenzu widerlegen, ohne jedoch durch geeigneten Beweisantritt über die tatsächlichenGrundlagen derVerteidigung zu informieren, so dass diese Tatsachen dem Gericht alsGrundlage für seine eigene Entscheidung dienen können. Dem OLG Köln genügt esindes aber nicht, dass für die Verneinung der behaupteten Neuartigkeit des verfah-rensgegenständlichen Produkts auf Auskünfte von Behörden des Bundes, der Länderund anderer europäischer Staaten sowie auf die Erwähnung des Stoffes – hier des Pil-zes – in dem von der EU-Kommission verantworteten „Novel food catalogue“ als„Non novel food“ verwiesen wird. Die Beklagte habe jeweils nur das Ergebnis der voneinem Dritten überwiegend lange nach dem Stichtag (15. Mai 1997) abgegebenenBewertung, nicht aber konkrete Tatsachen mitgeteilt, anhand derer die inhaltlicheRichtigkeit dieser Bewertung hätte überprüft und ihre Anwendbarkeit gerade auf dasim Streitfall gegenständliche Pilz-Sporenpulver nachvollzogen werden können (vgl.Rz. 26 des OLG-Urteils). Das OLG Köln verkennt insoweit aber, dass sich behördlicheEinschätzungen traditionell nicht durch einen transparenten Diskussionsprozessauszeichnen.Vielmehr regiert insoweit das Selbstverständnis der staatlichen Stellen,dass sich die Richtigkeit ihrer Ausführungen aus ihrer hoheitlichen Stellung ergibt.Es mag zwar wiederum dem Selbstverständnis deutscher Gerichte entsprechen, dassdiese imVerfahren vorgelegte Äußerungen grundsätzlich nicht als „unfehlbar“ anse-hen, jedoch ist es dem zur Verteidigung gezwungenen Lebensmittelunternehmerregelmäßig verwehrt, eine detaillierte Begründung für eine behördliche Äußerungeinzufordern. Dies gilt insbesondere für den von der EU-Kommission betreuten„Novel food catalogue“, der im Einklang mit den Experten der EU-Mitgliedstaatenals dynamisches Instrument betrieben wird.

Die – wenn auch knapp gefasste – Bestätigung einer fachlich kompetenten Behördeeines EU-Mitgliedstaates über einen vor dem Stichtag erfolgten hinreichend umfang-reichen Verzehr des Stoffes und/oder die Erwähnung des Stoffes in dem „Novel foodcatalogue“ der EU-Kommission als „Non novel food“ ist deshalb grundsätzlich alsder sekundären Darlegungslast genügend anzusehen, wenn die behördliche Bestäti-gung bzw. der Katalogeintrag das verfahrensgegenständliche Lebensmittel umfasst.Insofern mag im Einzelfall ein detaillierteres, mit konkreten Tatsachen zur Feststel-lung der Übertragbarkeit auf das betroffene Produkt versehenes Beweismittel erfor-derlich sein, was sich aber als Problem der vom LG Köln als „Produktidentität“beschriebenenVoraussetzung für eine erfolgreicheVerteidigung darstellt. Die behörd-liche Bestätigung als „Non novel food“ oder der entsprechende Eintrag im „Novelfood catalogue“ der EU-Kommission sind somit als solche grundsätzlich ausrei-chend, um eine Einstufung als neuartiges Lebensmittel abzuwehren. Deren Verwert-barkeit im konkreten Verfahren hängt aber davon ab, ob die Bestätigung das zu prü-fende Lebensmittel – zumindest auch – umfasst.

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ZLR 2/2012Reinhart, Anm. zu OLG Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“

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2. Produktidentität

Nach der Rechtsprechung von EuGH und BGH müssen die berücksichtigtenUmstände (wie behördliche Bestätigung oder „Novel food catalogue“ der EU-Kom-mission) das Lebensmittel oder die Zutat selbst, auf das oder die sich die Prüfungerstreckt, betreffen und nicht ein „ähnliches oder vergleichbares“ Lebensmittel odereine „ähnliche oder vergleichbare“ Zutat. Auf dem Gebiet der neuartigen Lebensmit-tel oder neuartigen Lebensmittelzutaten lässt sich nicht ausschließen, dass selbstgering erscheinende Abweichungen ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit derBevölkerung nach sich ziehen können, zumindest solange nicht die Unschädlichkeitdes fraglichen Lebensmittels oder der fraglichen Zutat durch angemesseneVerfahrennachgewiesen wurde (BGH,WRP 2008, 924 Rz. 16 – Fruchtextrakt; EuGH,WRP 2005,863 Rz. 86 – HLH Warenvertrieb und Orthica). Auch das OLG Köln zitiert zwar dieseRechtsprechung (vgl. Rz. 17 des OLG-Urteils), stützt seine Entscheidung sodann aberauf den vom erstinstanzlichen Landgericht benutzten Begriff der „Produktidentität“.

Der Begriff der „Produktidentität“ wird dabei zwar nicht auf spezifische Erzeugnisseeines bestimmten Unternehmens in bestimmter Darreichungsform und Aufmachung,jedoch auf denVerzehr identischer Lebensmittel beschränkt. Im konkreten Fall sollendemnach beliebige Ling Zhi Pilz-Zubereitungen, die vor dem Stichtag in der EU alsLebensmittel hinreichend umfangreich verzehrt wurden, unerheblich sein, da „aufdas konkret beanstandete, ausschließlich (zu 100%) aus den Sporen des Ling-Zhi-Pilzes hergestellte Pulver“ abzustellen sei. Nach Auffassung des OLG Köln kommt esfür die Prüfung nicht allein darauf an, „ob die stofflichen Bestandteile des beanstan-deten Produkts ohne Rücksicht auf die Art der Zubereitung und mögliche weitereBestandteile“ schon vor dem Stichtag in der EU verzehrt wurden. Es sei vielmehrmaßgeblich, ob eine hinreichend umfangreiche Verwendung „gleichartiger Zuberei-tungen“ als Lebensmittel stattgefunden hat (vgl. Rz. 18 des OLG-Urteils). Auf nichtzu 100% identische Produkte komme es nicht an, auch wenn diese aus denselbenZutaten hergestellt oder aus denselben Pflanzen bzw. Pilzen gewonnen werden (LGKöln, Urt. v. 21.10.2010 – 31 O 304/06 Rz. 22 – Ling Zhi Pilz Sporenpulver).

Diese Theorie einer „Produktidentität“ steht im Widerspruch zu derVerordnung (EG)Nr. 258/97 und insbesondere zu deren doppelter Zielsetzung, wonach das Funktionie-ren des Gemeinsamen Marktes der neuartigen Lebensmittel zu sichern und dieöffentliche Gesundheit vor den Risiken, die sich aus diesen Lebensmitteln ergebenkönnen, zu schützen ist (EuGH, ZLR 2009, 233 Rz. 22 – Man-Koso). Zwar ergibt sichaus Art. 1 Abs. 2 lit. fVerordnung (EG) Nr. 258/97, dass für die Zwecke der Einstufungeines Lebensmittel-Enderzeugnisses als neuartiges Lebensmittel im Sinne der NovelFood-Verordnung dem Herstellungsverfahren Bedeutung zukommt. Nach dem Wort-laut dieser Bestimmung fallen unter die Gruppe der neuartigen Lebensmittel diejeni-gen Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, bei deren Herstellung ein „nicht üblichesVerfahren“ angewandt worden ist und bei denen dieses Verfahren eine bedeutende

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ZLR 2/2012 Reinhart, Anm. zu OLG Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“

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Veränderung ihrer Zusammensetzung oder Struktur bewirkt hat. Im Hinblick aufArt. 1 Abs. 2 lit. fVerordnung (EG) Nr. 258/97 („nicht üblichesVerfahren“) reicht des-halb allein der Umstand, dass alle Zutaten, aus denen ein Lebensmittel besteht, innennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr in der Union verwendet wur-den, nicht aus, um das Lebensmittel-Enderzeugnis nicht als neuartiges Lebensmittelim Sinne der Verordnung (EG) Nr. 258/97 anzusehen (EuGH, ZLR 2009, 233 Rz. 26 –Man-Koso). Die Problematik, die sich im Zusammenhang mit der Einstufung einesLebensmittels als neuartiges Lebensmittel in Bezug auf das Herstellungsverfahrenstellt, ist jedenfalls dann von maßgeblicher Rolle, wenn es um ein „nicht üblichesVer-fahren“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. fVerordnung (EG) Nr. 258/97 geht (EuGH, ZLR2009, 233 Rz. 28 – Man-Koso). Eine pauschale Übertragung auf sämtliche Fallgruppender Novel Food-Verordnung – insbesondere Buchstabe e) – ist jedoch abzulehnen.

Zwar ist nach dem EuGH nicht ausgeschlossen, „dass der Herstellungsvorgang in derStruktur eines Lebensmittels zu physikalischen, chemischen oder biologischen Ände-rungen der verwendeten Zutaten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen fürdie öffentliche Gesundheit führen kann“, weshalb die Prüfung, „welche Folgen dieserVorgang hat, selbst dann geboten“ sein kann, „wenn das Enderzeugnis aus Zutatenbesteht, die jeweils für sich genommen dieVoraussetzung des Art. 1 Abs. 2 derVerord-nung (EG) Nr. 258/97 erfüllen“ (EuGH, ZLR 2009, 233 Rz. 27 – Man-Koso). In demkonkretenVerfahren hat der EuGH deshalb auf die betreffendenVorlagefragen geant-wortet, dass der Umstand, dass alle Zutaten eines Lebensmittels für sich genommennicht neuartig oder unbedenklich sind, nicht dafür ausreicht, die Anwendung derVer-ordnung (EG) Nr. 258/97 auf das erzeugte Lebensmittel auszuschließen. Umgekehrtkann aus der bloßen Be-/Verarbeitung einer nicht neuartigen Rohware nichtgeschlossen werden, dass das daraus erzeugte Lebensmittel im Zweifel neuartig ist.Die Entscheidung, ob ein neuartiges Lebensmittel gegeben ist, muss vielmehr fürjeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Merkmale des Lebensmittels und desHerstellungsverfahrens erfolgen (EuGH, ZLR 2009, 233 Rz. 30 – Man-Koso).

Die Prüfung der Neuartigkeit ist demnach geboten, wenn es in der EuropäischenUnion unstreitig keinerlei Erfahrungen mit der Anwendung des fraglichen Herstel-lungsverfahrens auf die betreffenden Zutaten gibt (EuGH, ZLR 2009, 233 Rz. 28 –Man-Koso) bzw. wenn das Lebensmittel mit einer in der Lebensmittelherstellung inder Union zuvor nicht genutzten Produktionstechnologie hergestellt wurde (Erwä-gungsgrund 6 des Standpunkts (EU) Nr. 6/2010 des Rates im Hinblick auf den Erlasseiner Verordnung über neuartige Lebensmittel vom 15. März 2010). Dabei sollen sol-che neuen Technologien der Lebensmittelherstellung von der neuen Novel Food-Ver-ordnung erfasst werden, die sich auf die Lebensmittel auswirken und somit auchAuswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit haben könnten. Im Standpunkt desRates vom 15. März 2010 werden insoweit als Beispiel Lebensmittel genannt, dietechnisch hergestellte Nanomaterialien enthalten oder aus solchen bestehen.

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ZLR 2/2012Reinhart, Anm. zu OLG Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“

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Im Falle der Herstellung von Lebensmittelerzeugnissen, die aus bereits vorhandenen,auf dem Gemeinschaftsmarkt verfügbaren Lebensmittelzutaten – vor allem durch dieVeränderung der Zusammensetzung oder der Anteile dieser Zutaten – erzeugt wer-den, sollen dagegen die betreffenden Lebensmittel nicht als neuartig eingestuft wer-den (Erwägungsgrund 8 des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung überneuartige Lebensmittel und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 258/97 vom 14.Januar 2008, KOM(2007) 872 endg.). Auch nach der geplanten neuen Novel Food-Ver-ordnung sollen damit Lebensmittel, die aus Lebensmittelzutaten hergestellt werden,die nicht neuartig sind, auch nicht als neuartig eingestuft werden, wenn die verwen-deten Lebensmittelzutaten, die Zusammensetzung der Lebensmittel oder Anteilegeändert werden. Nur bei weitreichenden Veränderungen einer Lebensmittelzutat,wie beispielsweise durch „selektive Extraktion“ (Zubereitungen aus Lebensmitteln,die durch selektive Extraktion von einzelnen Bestandteilen imVergleich zu den ande-ren Bestandteilen gewonnen werden; vgl. Erwägungsgrund 5 und Anhang I Nr. 2 derVerordnung (EG) Nr. 1333/2008), oder bei Verwendung „anderer Teile einer Pflanze“,die in der Union bisher nicht für den menschlichenVerzehr verwendet wurden (wennz.B. traditionell die Früchte einer Pflanze verzehrt werden, in dem Lebensmittel abereine Zubereitung aus der Wurzel der Pflanze enthalten ist), soll der Geltungsbereichder Novel Food-Verordnung eröffnet sein (Erwägungsgrund 10 des Standpunkts (EU)Nr. 6/2010 des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung über neuartigeLebensmittel vom 15. März 2010). Unter derVoraussetzung, dass der „Ling Zhi“ Pilzals solcher nicht neuartig ist, weil er z.B. dem im „Novel food catalogue“ der EU-Kommission als nicht neuartig gelisteten Pilz „Ganoderma lucidum“ entspricht,bedeutet dies für den vorliegenden Fall, dass das „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“ nurdann als neuartig anzusehen ist, wenn die Herstellung des Sporenpulvers als bedeu-tende Veränderung des verwendeten Ling Zhi Pilzes anzusehen ist, etwa wenn dasSporenpulver durch selektive Extraktion gewonnen wurde. Informationen hierzu las-sen sich aber weder der erstinstanzlichen Entscheidung noch dem Urteil des OLGKöln entnehmen, weil die Gerichte nur das Vorliegen einer echten Produktidentität(„zu 100%“) geprüft haben.

Rechtsanwalt Dr. Andreas Reinhart, München

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ZLR 2/2012 Reinhart, Anm. zu OLG Köln – „Ling Zhi Pilz Sporenpulver“

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punktmäßig auf dem Gebiet des Lebens-mittel- und Heilmittelwerberechts und dabei nicht nur forensisch, sondern auch beratend tätig. Er prüft geplante Werbe- bzw. Marketingmaßnahmen im Vorfeld auf ihre Zulässigkeit. Daneben berät und vertritt Herr Dr. Reinhart Apotheker in allen Fragen des Apothekenrechts.

Herr Dr. Reinhart ist durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen als Ken-ner der von ihm bearbeiteten Rechtsge-biete ausgewiesen. So ist er etwa Heraus-geber des Werkes „Praxishandbuch Kos-metische Mittel“ (Behr´s Verlag) und Autor des Buches „Kosmetikrecht“ (WVG Verlag). Herr Dr. Reinhart ist darüber hin-aus Mitherausgeber des HWG-Kommen-tars Gröning (WVG Verlag). Ferner ist er Mitautor in dem Lebensmittelrecht-Kom-mentar von Meyer/Streinz (C.H. Beck Ver-lag), dem Wettbewerbsrecht-Kommentar (UWG) von Fezer (C.H. Beck Verlag) und in dem Handbuch des Fachanwalts Gewerblicher Rechtsschutz (Hrsg. Erd-mann/Rojahn/Sosnitza; Luchterhand Verlag).

Neben seinen Lehraufträgen an der TU Weihenstephan und an der Universität Salzburg sowie seiner Dozententätigkeit bei der Deutschen Anwaltsakademie (DAA) ist Herr Dr. Reinhart als Referent auf verschiedenen Veranstaltungen tätig.

Rechtsanwalt Dr. Andreas Reinhart, geb. 1971, hat Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität Mün-chen studiert. Er promovierte an der Paris-Lodron-Universität Salzburg bei Prof. DDr. J. Michael Rainer. Seine Doktor-arbeit befasste sich rechtsvergleichend mit dem anglo-amerikanischen Recht.

Dr. Andreas Reinhart ist Partner der meyer.rechtsanwälte Partnerschaft.

Seit 2005 ist er Lehrbeauftragter für Lebensmittelrecht an der TU München in Weihenstephan und seit 2010 auch als Lehrbeauftragter an der Paris-Londron-Universität Salzburg tätig.

Rechtsanwalt Dr. Reinhart betreut Man-date überwiegend aus der Lebensmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie. Ergän-zend kommen markenrechtliche Manda-te hinzu, die sich von der Markeneintra-gung und -pflege, über die Pflege bis zur Abwehr von Ansprüchen Dritter erstrecken.

Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Bereich der kosmetischen

Mittel, von der Produktentwicklung, über Vertrieb und Vermarktung, bis hin zur Verteidigung des Kosmetikums gegen-über Behörden und vor Gerichten. Darü-ber hinaus ist Herr Dr. Reinhart schwer-

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