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Aktion Erinnerung Menschen wie wir ... (Zweiter Teil)

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A k t i o n E r i n n e r u n g

Menschen wie wir . . .

( Z w e i t e r T e i l )

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Menschen wie wir ...

Volksbund DeutscheKriegsgräberfürsorge e. V.

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Herausgegeben vom:Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Werner-Hilpert-Straße 2, 34112 KasselInternet. www.volksbund.deE-Mail: [email protected] helfen: Konto 4300 603, Postbank Frankfurt, BLZ 500 100 60

Verantwortlich: Burkhard Nipper, GeneralsekretärRedaktion und Gestaltung: Anja Kammerer, AWK-Dialog MarketingEndredaktion: Dr. Martin Dodenhöft1. Auflage 2002Druck: GGP Media, Pößneck /115

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3Menschen wie wir ...

Inhalt

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Erinnerungen an den Bruder – von Brüdern

Erinnerungen an den Bruder – von Schwestern

Erinnerungen an den Onkel

Erinnerungen an den Vater

Erinnerungen an den Ehemann,den Verlobten, den Freund

Erinnerungen an liebe Menschen

Erinnerungen an die Familie

Vorwort

Nachwort

Abkürzungsverzeichnis

Namensverzeichnis

Bisher in der Volksbund-Buchreihe erschienen

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4 Menschen wie wir ...

Vorwort

Täglich gehen in der Abteilung Gräbernachweis und Angehörigen be -treuung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge Anfragen nachdem Schick sal geliebter Menschen ein – nach Ehemännern, Ver lobten,Brü dern, Vätern oder Großvätern, nach Freunden oder Kriegskamera -den. So entstand im Herbst 1999 bei uns im Volksbund die Idee, die Er -in ne run gen der Angehörigen an ihre Gefallenen und Vermissten in einerumfassenden Dokumentation festzuhalten.

Es gehört zum schwersten und bedrückendsten Teil unserer Arbeit,nicht immer Auskunft geben zu können, wie ein Angehöriger starb, ober ein würdiges Grab erhielt oder ob wenigstens Aussicht besteht, ihnzu finden und auf einer Kriegsgräberstätte zu bestatten. So möchten wirwenigstens das festhalten, was die Angehörigen und Freunde selbstüber die Opfer des Krieges wissen und schreiben können. Wir wollenihnen zeigen, dass sie in ihrem Gedenken nicht allein sind. Daraus ent-stand die „Aktion Erinnerung“.

Wird das Wissen über den Krieg und seine Folgen mit dem Tod der letz-ten Zeitzeugen aus der Kriegsgeneration verloren gehen? Wie sollen diejüngeren Menschen lernen, was Krieg wirklich bedeutet, wenn es ihnenniemand mehr erzählen kann? Wissen wir denn, was Krieg ist, wenn erin unseren Medien wie ein Computerspiel erscheint? Es ist an der Zeit,die Erinnerungen und Erfahrungen der Kriegsgeneration für die Nach -welt festzuhalten.

Die Geschichtsforschung kennt den Begriff der „oral history“, der vonZeit zeugen erzählten Geschichte. Anders als die „große Geschichte“ derMensch heit mit ihren weltweiten, europäischen oder nationalen Bezugs -punkten leistet „oral history“ einen Beitrag für eine „Geschichte von un -ten“. Viele Menschen haben ihre eigene Geschichte bereits für sich undihre Familien dokumentiert. Form und Reichweite dieser Zeitzeug nissesind sehr unterschiedlich. Manche haben sie in Buchform niedergelegt,andere in Tagebüchern, in Fotobänden oder Filmen. Manches lebt überErzählungen in der Erinnerung der Nachkommen weiter. Aber auchdiese Erinnerung verblasst, und sie verliert sich eines Tages ganz.

Die „Aktion Erinnerung“ leistet einen Beitrag dazu, dass die Opfer desKrieges und ebenso die Gedanken und Ge fühle ihrer Angehörigen undFreunde nicht vergessen oder verdrängt werden. Wir wünschen uns,dass die „Aktion Erinnerung“ mit ihren Lebensgeschichten und Gedan -ken an den Schulen für den Geschichtsunterricht und die Friedens -

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erziehung Verwendung findet, in Verbindung und als Ergänzung zuanderen Lernmitteln über die Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Zugleich verfolgt die „Aktion Erinnerung“, aus der wir bereits rund100 Beiträge in einem ersten Band veröffentlicht und aus der wir aufvielfachen Wunsch weitere Beiträge für dieses zweite Buch herausge-sucht haben, ein anderes Ziel. Es war nicht ausschlaggebend für dasProjekt. Aber wir akzeptieren es, und ich spreche es deshalb an.

In vielen der Beiträge, die uns erreichen, und in einer Fülle von Briefenspüren wir, wie die in Deutschland gängige kollektive Miss achtung undVerleumdung der Kriegsteilnehmer als „Verbrecher, Mörder oder Hand -langer des NS-Terrors“ die damals ganz Jungen und heute alt geworde-nen letzten Überlebenden der Kriegsgeneration und die Angehörigender Millionen Opfer von Krieg und Gewalt aufs Tiefste verletzt. Sie lei -den darunter, ohne sich wehren zu können, und auch darunter, dass ihreigenes, oft namenloses Leid, ihr eigener Verlust, aber auch ihre eigene Leistung – während und nach dem Krieg – verdrängt und vergessenwerden.

Die „Aktion Erinnerung“ bietet zu diesem Thema keine letzten Ant -worten, und sie beansprucht natürlich nicht, Geschichte darzustellenoder sie gar neu und anders zu entwerfen.

Sie ergreift allerdings Partei dadurch, dass sie als Beitrag zur „oralhistory“ Stimmen, Gedanken, Erinnerungen und Spuren der Kriegs -gene ration festhält, sie aufbewahrt und einbringt in die großen ge -schicht lichen Zusammenhänge. Sie gehört zur Erbschaft unserer Zeit.Die „Aktion Erinnerung“ überliefert und erhält sie deshalb kommendenforschenden und fragenden Generationen.

Seien wir uns unserer Sache nicht allzu sicher. Die durch große Kriegeund Menschheitskatastrophen geprägte Geschichte des 20. Jahrhundertsist weder zu Ende – noch zu Ende geschrieben. Und wir sind wederbesser noch klüger als die Menschen, von denen dieses Buch berichtet.Also lassen Sie uns ihnen aufmerksam zuhören und aus ihrem Lebenlernen. Sie waren Menschen wie wir ...

Karl-Wilhelm LangePräsident des Volksbundes

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7Erinnerungen an den Bruder

Erinnerungen an den Brudervon Brüdern geschrieben

Kurt Eugen Krösa

Jakob Kirchhoffs

Hans-Joachim Kuck

Otto Jahn

Josef Kimmig

Heini Koch

Gottfried Jacobs

Heinz und Kurt Paul Lange

von Alfred Krösa

von Egon Kirchhoffs

von Georg Vohlken

von Friedrich Jahn

von Lorenz Kimmig

von Gerhard Koch

von Norbert Jacobs

von Richard Lange

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Karl-Joachim Heiße

Franz Lirche

Martin Voigt

Achim Kluger

Johann Tatarczyk

Emil Vohlken

von Burkhard Kuck

von Leberecht Heiße

von Joseph Lirche

von Dr. Joachim Voigt

von Karl Kluger

von Hubert Tannhausen

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8 Erinnerungen an den Bruder

Hans-Joachim Kuck

* 25. Oktober 1921= 16. Januar 1945

Von Burkhard Kuck

Am heutigen Volkstrauertag im Jahr 2001 habe ich meinem gefallenenBruder einen Brief geschrieben, den ich Ihnen hiermit überreiche. Er istbeim Absturz eines neu übernommenen Flugzeuges ums Leben gekom-men.

Lieber Hans-Joachim,

Dein Bild steht vor mir, beleuchtet von einer brennenden Kerze. Ichdenke an dich, meinen Bruder, den besten Freund meiner Kindheit.Dein Lachen und dein Humor ist mir noch heute gegenwärtig. Aberauch dein Eingehen auf meine Sorgen, gleich welcher Art. Man sollnicht glauben, dass Kinder keine Sorgen haben. Damals wie heute. Obich morgen in Latein drankomme, oder in Mathe. Du hast mir auf denZahn gefühlt, wo es brennt, und dann hast du mir das erklärt und ein-gepaukt, was mir die Lehrer vergeblich versuchten beizubringen. Duhast zum Beispiel erkannt, dass es nur aufs Bruchrechnen ankommt,um in Mathe nicht zu versagen. Und auf einmal ging es. Ich denke andie frühen morgendlichen Waldläufe bis zum See, an das Eintauchen indie noch spiegelglatte Fläche, an das gemeinsame Erleben der aufwa-chenden Natur. Wie sprühtest du immer von Ideen. Was hattest du fürPläne in Physik und Chemie. Die Lehrer staunten oft über deine Fragen,die weit über das hinausgingen, was sie beantworten konnten. Was

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9Erinnerungen an den Bruder

wäre aus dir geworden, wenn das Schicksal dir ein längeres Leben ver-gönnt hätte.

Als ich noch zur Schule ging, wurdest du Soldat, wurdest Flieger, Fern -aufklärer. Als ich dich das letzte Mal sah, im Herbst 1942, kurz bevorauch ich einrücken musste, hattest du mehr als zweihundert einsameFeindflüge hinter dir. Damals erzähltest du mir auch, wie sehr dich dasSchicksal der russischen Kriegsgefangenen berührt hatte, die du amRande des Rollfeldes hast arbeiten sehen. Als ich zwei Jahre später ver-misst gemeldet wurde, hattest du noch Mutti in deinen Briefen getröstetund in deinem letzten Schreiben die Freude über die Nach richt ausge-drückt, dass ich noch lebe.

Ich lag damals als Kriegsgefangener in einem Lazarett in England ohneNachricht von meinen Angehörigen. Normalerweise behalte ich keineTräume in Erinnerung, aber Mitte Januar 1945 träumte ich so intensivvon dir, dass ich bis heute diesen Traum nicht vergessen habe. Ein Jahrspäter erfuhr ich dann, dass du am 16. Januar 1945 tödlich abgestürztbist und in Tharau beerdigt wurdest. Seitdem kann ich kaum dieTränen zurück halten, wenn ich das Lied vom Ännchen von Tharauhöre.

Lieber Hans-Joachim, es vergeht selten ein Tag, an dem ich nicht andich denke, dein Bild hängt über meinem Bett. Du warst und bist einTeil meines Lebens. Dafür danke ich dir.

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10 Erinnerungen an den Bruder

Kurt Eugen Krösa

* 28. November 1922 in Olmütz (Mähren)Vermisst seit Januar 1945

Von Alfred Krösa

Als erster Sohn des Ehepaares Otto und Ada Krösa, geb. Hrabal,besuchte Kurt die Volksschule im Vorort Olmütz-Powel, trat dann indas Realgymnasium Olmütz ein, das er mit der Reifeprüfung im März1941 mit ausgezeichnetem Erfolg abschloss.

Seine Begabungen und Interessen lagen auf den Gebieten der Musik –er hatte das „absolute Gehör“ und spielte sehr gut Violoncello, fernerauf dem Gebiet der Biologe, die er studieren wollte. Als Hobby unter-hielt er viele Jahre im elterlichen Garten ein Terrarium, in dem erSchildkröten, Lurche und Reptilien hielt. Auch eine kleine Schmetter -lingszucht machte ihm große Freude.

Kurt Krösa war etwa 1,78 Meter groß und hatte volles braunes Haar.Nach seinem Abitur wurde er zu einer Panzergrenadiereinheit nachDresden eingezogen und nach seiner Ausbildung Anfang 1942 an dieOstfront abgeordnet. Bereits am 23. Juni 1942 durch Granatsplitter amOberarm verwundet, kam er in das Reserve-Lazarett von Biberach ander Riß, wo ihm bei der Entlassung am 16. Juli 1942 das Verwundeten-Abzeichen in Schwarz verliehen wurde (Urkunde vorhanden). DieAngabe über seinen Truppenteil lautet dort 6./Schtz. Rgt. 103. Nach sei-ner Genesung in einer Ausbildungs-Einheit wurde er wieder an dieOstfront abgeordnet, wo er, inzwischen zum Obergefreiten befördertund mit dem EK II ausgezeichnet, zum zweiten Mal eine Verwundungam (anderen) Oberarm erlitt. Nach dem Lazarett-Aufenthalt (der Ort istunbekannt) war er in einer Genesenden-Kompanie in Dresden statio-niert. Zu Weihnachten 1944 war Kurt als Urlauber für einige Tage inOlmütz bei seinen Eltern zu Besuch.

Von seinem weiteren Einsatz fehlen genauere Angaben. Es ist nurbekannt, dass seine Einheit, das 1./Pz.Gren.Rgt. 103, an der Ostfront imBereich Westpreußen im Winter 1944/45 eingesetzt war, etwa im RaumDirschau/Westpreußen, aus dem die letzte Post seine Eltern erreichte.Bei Kriegsende wurde ein Suchantrag beim Deutschen Roten Kreuzgestellt, der aber erfolglos blieb.

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11Erinnerungen an den Bruder

Ihren Wunsch entsprechend möchte ich Ihnen etwas aus meinerErinnerung über meinen Bruder Jakob Kirchhoffs mitteilen.

Unsere Familie war sehr arm, Vater war bis 1936 sieben Jahre arbeitslos.Unsere Wohnung bestand aus einer Wohnküche, einem Schlafzimmer,in dem die Eltern und die beiden kleinsten Kinder schliefen. In einemgrößeren Mansardenzimmer schliefen meine Brüder Jakob undJohannes, in einem kleineren Mansardenzimmer unsere SchwesterEleonore. Wasser gab es nur auf dem Etagenflur, auch die Toilettebefand sich dort und musste von allen Bewohnern der Etage benutztwerden. In der Wohnküche gab es einen Gasanschluss, so konnte dieserRaum mit einer Gaslampe beleuchtet werden.

Nach achtjährigem Besuch der Volksschule 36 in Krefeld begann Jakobam 1. April 1937 eine Lehre als Maschinenschlosser und trat dort in denSpielmannszug der Hitlerjugend ein, denn er war ein begeisterterTrommler. Da er aber noch keine eigene Trommel besaß, übte er immerauf der rechten Ecke des Unterteils vom Küchenschrank. Meine Mutterschimpfte oft mit Jakob, da ihr die Trommelei auf die Nerven ging.

Jakob war das ruhigste Kind unserer Familie und löste gerne Kreuz -worträtsel. Er hatte dabei die Angewohnheit, beim Nachdenken mit sei-nen Fingern in den Haaren zu drehen. Da mein Bruder sehr starkeNaturkrause hatte, drehte er sich die Haare oft so ineinander, dass siespäter mit dem Kamm nicht mehr auseinander zu bringen waren. Esblieb dann der Mutter nichts anderes übrig, als die zusammen gedreh-ten Haare mit der Schere abzuschneiden.

Wenn mein Bruder Samstagnacht bis zum Morgen Kreuzworträtsellöste, schlief er am Sonntag bis zum Mittag. Er hatte dann die Zeit zumMittagessen verschlafen. Hier aber war meine Mutter konsequent. Weram Sonntag nicht pünktlich um 12.00 Uhr am Mittagstisch saß, bekamkein Mittagessen mehr. Beim Frühstück am Sonntagmorgen habe ichJakob nie gesehen, außer an den Weihnachtsfeiertagen.

Jakob Kirchhoffs

* 27. Februar 1923 in Krefeld= 28. Oktober 1944 im Gebiet Woroschilowgrad/Sowjetunion

Von Egon Kirchhoffs

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12 Erinnerungen an den Bruder

Neben den Kreuzworträtseln und der Musik hatte Jakob ein weiteresSteckenpferd: Er sammelte aus den Zigarettenpackungen die Bilder -schecks oder die bei einigen Zigarettenmarken in den Packungen lie-genden Bilder. In den Packungen mit drei Zigaretten war ein Bilder -scheck, in den Sechserpackungen ein Doppelscheck. Die Bilderscheckswaren von 1 bis 50 nummeriert, und zweimal 1 bis 50 als Einzelscheck,oder einmal 1 bis 50 als Doppelscheck waren eine komplette Scheck -serie. Die Scheckserien konnten gegen Bilderserien eingetauscht wer-den, und dafür konnte man preiswerte Sammelalben zum Einklebender Bilder in den Tabakwarengeschäften für eine Reichsmark kaufen. Jenach Größe der Sammelalben, benötigte man sechs bis acht Bilder -serien, bis alle Bilder für das Album komplett vorhanden waren. Beieinigen Zigarettenmarken waren anstelle der Bilderschecks Bilder inden Sechserpackungen, alle von gleicher Größe. Jakob versuchte durchTauschen von doppelten Bildern die Bilder für ein Sammelalbum kom-plett zu bekommen.

Ich kam am 1. April 1939 in die Schule, im gleichen Jahr wurde Johannaus der Schule entlassen, und Jakob begann sein drittes Lehrjahr. Jetztwaren meine beiden Brüder tagsüber arbeiten, mussten aber am Abendimmer Futter für die 116 Kaninchen besorgen, die mein Vater im Gartenhatte. Durch den Verkauf von Kaninchen finanzierte Vater unser Weih -nachtsfest. Im Laufe des Sommer 1939 gab es mehrfach Streit zwischenmeinem Vater und meinen Brüdern, wegen der Kaninchen. So vieleKaninchen brauchten eine ganze Menge Futter. Meine Brüder hatten amAbend, wenn sie von der Arbeit nach Hause kamen, keine Lust mehr,noch Futter für die Kaninchen zu besorgen. Mein Bruder Jakob wolltelieber auf seiner Trommel üben, die er inzwischen besaß, oft war erabends mit dem Spielmannszug der HJ unterwegs.

Es wurde jeder Grünabfall aus dem Garten verfüttert, Blätter vonKohlrabi, Karotten und anderes. Die Nachbarn brachten Grünabfällezum Verfüttern, trotzdem musste noch viel Futter zusätzlich besorgtwerden, besonders Gras, Klee und Löwenzahn. Ein Teil des Futters, dasmeine Brüder besorgten, wurde vom Vater als Wintervorrat getrocknet.Ab September 1939 gab es nicht mehr so viele Abfälle, mit denen unserVater das Vieh, Kaninchen und Hühner, füttern konnte. Es gab jetztweniger Brotreste sowie trocken gewordenes Brot. Diese Brotabfällefehlten jetzt fast ganz, denn seit Ende August 1939 gab es Brot nur nochauf Bezugscheinkarten, und darauf konnte nur noch die Brotmengegekauft werden, wie für den Ausgabezeitraum vorgesehen war. Bis zurAusgabe der Bezugscheinkarten hatten auch die Garten nachbarn immerihre Brotreste zum Verfüttern an die Tiere gebracht.

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13Erinnerungen an den Bruder

Jakob mit 17 Jahren

1943 als Soldat inRussland.

Jakob, ganz hinten, bei derGoldenen Hochzeit seinerGroßeltern.

Jakob, zweitervon links, mitFreunden beimSport.

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14 Erinnerungen an den Bruder

Nach einem Bombentreffer in unserem Garten schaffte der Vater alleTiere im Garten ab. Von diesem Tag an brauchten meine Brüder Jakobund Johannes kein Futter für die Kaninchen mehr zu besorgen.

Jakob und Johann spielten beide Fußball im Fußball verein Spiel undSport 08 Krefeld, Jakob in der A-Jugend und Johann in der B-Jugend.Als die B-Jugend im Winter auf gefrorenem Boden spielte, rutschteJohann aus und brach sich das Handgelenk. Nach diesem Bruch spielteer nie wieder Fußball, im Gegensatz zu Jakob, der bis zu seiner Einbe-rufung zur Wehrmacht weiter spielte. 1940 kaufte sich Jakob eine Zieh-harmonika, auf der er fleißig übte.

Am 1. April 1942 wurde Jakob Soldat, kam zur Ausbildung nachNaum burg an der Saale und wurde als Richtkanonier an einer 8,8 cm-Flak ausgebildet. Er meldete sich freiwillig zu den verschiedenstenLehrgängen. Der letzte Lehrgang, den er vor seinem Fronteinsatz mit-machte, war ein Funkerlehrgang in Budweis. Von dort schrieb er mireine bunte Postkarte. Es sollte das einzige Schreiben bleiben, das ich jevon Jakob bekommen habe. Neun Monate nach seiner Einberufungkam Jakob nach Russland an die Front. Die Flakbatterie, der er ange-hörte, wurde zur Panzerabwehr eingesetzt.

Mit meinem Bruder Jakob wurden gleichzeitig 20 weitere junge Männeraus der Nachbarschaft, alle im gleichen Alter, zum Wehrdienst einberu-fen. Mit fast allen war mein Bruder in der gleichen Schulklasse gewe-sen. Es war auch fast die gesamte Fußballmannschaft, in der er bis zuseiner Einberufung gespielt hatte. Drei junge Männer, die ebenfalls andiesem Tag aus der Nachbarschaft zum Wehrdienst einrückten, warenein Jahr jünger, diese drei hatten sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet.Sie wollten, wie sie sagten, in einer Eliteeinheit kämpfen. Ich sah siewieder, als sie auf Urlaub kamen, die Brust voller Orden, die Nah -kampf spange in Silber, das Deutsche Kreuz in Gold. Zwei hatten dassilberne, einer das goldene Verwundeten-Abzeichen. Alle hatten dasEK I und zwischen drei und sechs Panzerknackerabzeichen auf denÄrmeln ihrer Uniformjacken. Das Kriegsende hat keiner von ihnenerlebt. Von den 20 jungen Männern, die an diesem Tag mit meinemBruder Jakob eingezogen wurden, haben nur drei den Krieg überlebt,zwei unverletzt und einer mit nur noch mit einem Bein. Einer der bei-den Unverletzten wurde 1956 aus russischer Kriegsgefangenschaft ent-lassen. Er gehörte zu den Kriegsgefangenen, die nach dem Besuch vonBundeskanzler Konrad Adenauer 1956 in Moskau freigelassen wurden.

Mitte September kam mein Bruder Jakob zu einem Kurzurlaub nachHause. Er hatte sich freiwillig zu einem Funkerlehrgang gemeldet und

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15Erinnerungen an den Bruder

durfte die Tage, bevor der Funkerlehrgang in Budweis begann, zuHause verbringen. Obwohl er keine Erlaubnis für das Tragen vonZivilkleidung hatte, zog er sich an einem Tag Zivilkleidung an. Er woll-te in die Stadt, und hatte, wie er sagte, keine Lust, dauernd „Männchenzu bauen“. Er meinte damit das Grüßen aller Soldatendienstgrade vomUnteroffizier aufwärts. Mein Bruder Johann nutzte die Abwesenheitvon Jakob, zog dessen Uniform an und ließ sich auf dem Hof fotogra-fieren. Die Mutter schimpfte, als sie Johann in der Uniform von Jakobdurch das Haus laufen sah. Was Johann machte, war verboten, deshalbkonnte er auch später das Bild niemandem zeigen.

Am 1. Oktober wurde Johann einberufen und kam zu den Panzer -grenadieren. Als mein Bruder sich am Ende seines Urlaubs von derFamilie verabschiedete, ahnte keiner, dass wir Jakob nie mehr wieder -sehen sollten.

Kurz vor Weihnachten 1942 bekamen meine Eltern Briefe von Jakobund Johann, beide wünschten ein frohes Weihnachtsfest und hofften,dass sie die Familie gesund und munter wiedersehen würden. Jakobteilte den Eltern mit, dass er sich Weihnachten mit einem Mädel ausNaumburg an der Saale verloben werde, und schickte ein Foto von sichund seiner Auserwählten. Dieses Foto besitze ich immer noch. Er teilteden Eltern mit, dass sein Regiment Anfang Januar 1943 nach Russlandverlegt werde. Dieser Brief kam nicht mit der Feldpost, er trug alsAbsender die Anschrift der Freundin von Jakob. Der Brief wäre mit die-sem Inhalt nie durch die Militärzensur gegangen. Die Mutter antworte-te sofort, sie schrieb auch einen kurzen Brief an seine Freundin, in demsie die Hoffnung ausdrückte, die zukünftige Schwiegertochter bald per-sönlich kennenzulernen. Diesem Brief legte sie den Brief für Jakob bei,mit der Bitte, den Brief Jakob auszuhändigen. In beiden Schreiben gra-tulierte sie auch im Namen der Familie zur bevorstehenden Verlobungund wünschte den beiden für die Zukunft alles Gute.

Zehn Tage vor Weihnachten 1943 kam ein Brief von Jakob. Die Mutterweinte, als sie den Brief las, und steckte ihn, nachdem sie ihn gelesenhatte, in ihre Kitteltasche. Bis zum Abend sagte sie kein Wort über denInhalt. Erst nachdem mein Vater von der Arbeit nach Hause gekommenwar und die Familie das Abendbrot gegessen hatten, sprach sie vonJakobs Brief und las ihn vor. Wie sollte man diesen Brief bezeichnen?Als Jakobs Vermächtnis, als Testament oder als Abschiedsbrief? Jakobverschenkte in diesem Brief alle seine persönlichen Sachen. Hatte meinBruder geahnt, dass er seine Familie nicht mehr wiedersehen werde?Ich bekam Jakobs Ziehharmonika und begann noch am gleichen Abenddarauf zu üben. Ich freute mich über das Geschenk, denn ich mit

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16 Erinnerungen an den Bruder

meinen elf Jahren hatte die Bedeutung dieses Briefes nicht verstanden.Es war der Brief eines Menschen, der geahnt hatte, dass er die Heimatnicht mehr wiedersehen sollte.

Am 10. Februar 1944 kam ein Brief von Johann. Er teilte den Eltern mit,dass er am 27. Februar in Bad Harzburg heiraten werde. Er hatte denGeburtstag seines Bruders Jakob als Hochzeitstag gewählt, der an die-sem Tag 21 Jahre alt wurde. Johann hatte, ohne es zu ahnen, den Taggewählt, den die Familie als Todestag von Jakob ansehen sollte. Er soll-te öfter ohne es zu ahnen bestimmte Tage als Schicksalstage wählen.

Da er noch immer bettlägerig war, fand die Trauung an seinem Bett imLazarett statt. Nach der Trauung bekamen beide vom StandesbeamtenAdolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ geschenkt. Nachdem sie die Heirats -urkunde unterschrieben hatten, schenkte der Standesbeamte Johannden Federhalter und der Braut die Feder zur Erinnerung.

Anfang März 1944 bekamen meine Eltern einen Brief vom Leutnant ausJakobs Kompanie. Der Leutnant teilte mit, dass Jakob seit dem 27. Feb -ruar bei der Truppe vermisst werde. Es war Jakobs Geburtstag, undzugleich der Hochzeitstag von Johann. Dieser Brief ging beim Todemeines Vaters verloren. Ich nahm an, Johann hätte diesen Brief, er wie-derum glaubte, unsere jüngste Schwester Anneliese hätte ihn. Als ichJahre später nach dem Brief fragte, war er nicht mehr aufzufinden. Daich diesen Brief mehrfach gelesen habe, kann ich mich noch gut an denInhalt erinnern.

Der Leutnant schrieb, die Einheit sei an diesem Tag von russischenTruppen eingekesselt worden, hätte aber nach heftigem Kampf denKessel sprengen können. Dabei hätte Jakob einen Kopf streifschuss undeinen Oberarmdurchschuss erhalten. Er wäre dann mit anderen Ver -wundeten auf einem Raupenschlepper zum Haupt ver band platzgebracht worden. Auf dem Weg dorthin seien Schwer ver wun dete aufeinen LKW umgeladen worden. Dieser sei auf dem Haupt verband platzangekommen, vom langsameren Raupen schlepper mit den leichterVerwundeten würde jedoch jede Spur fehlen. Er hätte die vorgeschrie-benen drei Tage gewartet, ob noch ein Lebens zeichen von einem der aufdem Raupenschlepper befindlichen Soldaten kommen würde, aber eswäre vergeblich gewesen. So erfülle er die traurige Pflicht, die Elterndavon zu unterrichten, dass ihr Sohn Jakob Kirch hoffs bei der Truppevermisst werde. Normalerweise hätte der Haupt mann als Kompanie-chef diese Mitteilung geschrieben, aber auch von ihm und vom stellver-tretenden Kompaniechef, die ebenfalls als Leicht ver wundete auf diesemRaupenschlepper gewesen waren, fehlte seitdem jede Spur.

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17Erinnerungen an den Bruder

Johann hatte seinem Bruder Jakob in einem Brief seine Hochzeit mitge-teilt. Johann hatte diesen Brief, zwei Tage bevor die Eltern den Brief desLeutnants erhielten, mit dem Vermerk „Empfänger vermisst“ zurücker-halten. Der Hochzeitstag von Johann wurde seitdem in der Familie alsTodestag von Jakob angesehen.

Als ich zwei Tage nach Weihnachten 1944 nach Hause kam, traf ich dreifremde Personen bei uns in der Wohnung an. Die Frau wurde mir alsdie Verlobte von Jakob und die beiden Männer als deren Brüder vorge-stellt. Als sie die Wohnung verlassen hatten, erfuhr ich den Grund ihresBesuches: Die Verlobte meines Bruders war gekommen, um meinenEltern mitzuteilen, dass sie die Verlobung mit Jakob gelöst habe, da sievon ihm seit mehr als einem Jahr nichts mehr gehört habe. Sie wärenoch so jung und wolle nicht ewig auf Jakob warten, sie wüsste ja auchnicht, ob er noch leben würde. Sie hätte einen anderen Mann kennengelernt, mit dem sie ihre Zukunft planen wolle.

Aufgrund der Vermisstenmeldung vom März 1944 nahm die Familiebis 1997 an, dass der Hochzeitstag von Johann auch der Todestag vonJakob war. Mit Datum vom 2. Juli 1997 erreichte meine SchwesterAnneliese ein Schreiben vom Suchdienst des Roten Kreuzes, in dem ihrmitgeteilt wurde, dass Jakob am 28. Oktober 1944 in russischer Kriegs -gefangen schaft im Gebiet Woroschilowgrad verstorben ist. Der angege-bene Todestag war der 20. Geburtstag von Johann. Da Johann bereits1993 verstarb, hat er den wahren Todestag seines Bruders nicht mehrerfahren. Nicht sein Hochzeitstag, sondern sein Geburtstag war derTodestag unseres Bruders Jakob.

Das Gebiet von Woroschilowgrad umfasste die heutige Südregion derUkraine und Moldawien. Ich habe beim Standesamt nachgefragt, ob einSterbeort bekannt sei. Es wurde mir Gorskoje als Ort des Kriegsge -fangenenlagers genannt. Dieser Ort wurde inzwischen auch in dieTodesurkunde meines Bruders beim Standesamt Krefeld eingetragen.Damit wurde das Schicksal meines Bruders nach 53 Jahren aufgeklärt.

Die drei Trommeln, die Jakob gehörten, wurden nach dem Krieg gegenLebensmittel eingetauscht, seine Kleidung hat unser Vater aufgehoben.Er hatte immer die Hoffnung, dass sein Sohn lebt und wieder nachHause kommt. Im Frühjahr 1948 bekam ich einen der Anzüge meinesBruders, damit ich sonntags „etwas Vernünftiges zum Anziehen hätte“.Die Fotos, die ich meinem Schreiben beilege, sind alles, was mir nebender Erinnerung an meinem Bruder Jakob geblieben ist.

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18 Erinnerungen an den Bruder

Meine Eltern besaßen in Gr. Wittenberg, in der Nähe von Schneide mühlin Ostpreußen, einen kleinen Bauernhof. Da sich Vater und Mutter inder schweren Zeit von 1929 bis 1934 keine Hilfskräfte leisten konnten,mussten wir drei Jungen – Karl, Otto und ich – kräftig zu Hause helfen.

Es war im Frühjahr 1932, als mein Vater Karl und Otto bat, mit demPferdegespann beim Landwirt Klawitter im Nachbarort HasenbergSaatkartoffeln abzuholen. Beide Jungen wussten das Vertrauen, das derVater in sie setzte, zu würdigen und nahmen ihm die Arbeit ab. Von derReichsstraße, die von Deutsch Krone nach Schneidemühl führte, gab eseinen etwa einen Kilometer langen Landweg nach Hasenberg, den fuh-ren die Jungen. Als sie die Kartoffeln geladen hatten, versuchte Karl,zwölf Jahre alt, das Gespann in ruhiger Gangart wieder zum Hofzurückzukutschieren. Neben ihm saß Otto, neun Jahre alt. Sehr baldkam die Wegstrecke, wo es abwärts ging, langsam kam der Wagen insRollen, und plötzlich hatten die Pferde das Gefühl, dass der Wagenihnen in die Hacken geriet. Sie rasten los, der Wagen holperte durchausgefahrene Löcher und über harte Steinbrocken. Karl versuchte diePferde zu beruhigen, jedoch ohne die Leine fest in die Hände zu neh-men.

Otto spürte, welche Gefahr im Verzuge war. Er riss Karl die Leine ausder Hand, stemmte sich mit beiden Beinen gegen die Kante des Kasten -wagens und zügelte die Pferde mit ganzer Kraft. Karl konnte sich nichtmehr halten, er fiel vom Wagen und konnte sich in letzter Sekundedurch eine Körperdrehung davor retten, vom Hinterrad des Wagensüberfahren zu werden.

Otto stand wie ein alter Kutscher auf dem Wagen und bekam nacheiner kurzen Wegstrecke die Pferde zum Stehen. Karl stieg wieder auf,aber Otto ließ sich die Zügel nicht mehr aus den Händen nehmen!

Ja, so war er, der Bruder Otto. Er redete nicht viel, sondern handelte.Alles sah er sich genau an und beobachtete stets Tiere, Bäume undPflanzen auf unserem Hof. Auch konnte er mit allen landwirtschaftli-

Otto Jahn

* 2. März 1923 in Gr. Wittenberg= 29. November 1943 in Russland

Von Friedrich Jahn

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19Erinnerungen an den Bruder

chen Geräten gut umgehen, sie sogar, wenn nötig, reparieren. Oft konn-te er sogar dem Vater diesen oder jenen guten Tipp geben.

Eine weiterführende Schule wollte Otto nicht besuchen. Mit 14 Jahrenverließ er die Volksschule und widmete sich von da an den Arbeitenauf dem Hof.

Mit 19 Jahren wurde er 1942 zur Infanterie eingezogen, noch im glei-chen Jahr wurde er in Russland schwer verwundet. In seinem Gene -sungs urlaub im Sommer 1943 sahen wir drei Brüder uns zum letztenMal zu Hause. Der Feldwebel Karl – Luftwaffe – der Gefreite Friedrich– Nachrichtentruppe – und der Gefreite Otto – Infanterist – tauschtenihre Kriegserfahrungen aus. Es waren unvergessene Urlaubs tage aufunserem Bauernhof in Gr. Wittenberg.

Als Karl und ich unseren Bruder Otto in Schneidemühl an den Zugbrachten, der ihn zu seiner Ersatzeinheit zurückbringen sollte, schlos-sen wir uns noch einmal in die Arme, und da sagte Otto: „Ich komme jadoch nicht wieder!“

Er fiel am 29. November 1943 – er, der den Bauernhof erben sollte!

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20 Erinnerungen an den Bruder

Mein Bruder Josef Kimmig ist am 18. Oktober 1919 in Bad Peterstal alserster Sohn der Eheleute Lorenz Kimmig (Landwirt) und Franziska geb.Huber, geboren.

Er starb am 21. Oktober 1944 in Lötzen an seiner schweren Kopf ver -letzung. Dort wurde er auch auf dem Friedhof begraben, was schriftlichbestätigt wurde. Eine weitere Nachricht ist mir nicht mehr bekannt.

Merkmale: 1,80 Meter groß, schwarze Haare, graue Augen, kräftig. Erwar ein tüchtiger Bauer mit Leib und Seele und sollte den elterlichenHof übernehmen. Schon während der Schulzeit und in den Jahren biszur Einberufung als Soldat liebte er die Arbeit als Land- und Forstwirt.

Da der Vater durch eine Kriegsverletzung nicht immer einsatzfähig war,musste er oft die Arbeit allein mit den vier Geschwistern, Mutter undTagelöhnern bewältigen. Es war ihm nichts zu viel, wenn es auch imSommer abends manchmal sehr spät wurde. Sein hervorragender Sinnfür Ordnung hat manche Arbeit erleichtert. Gerade im Wald hat sichdas als lohnend erwiesen. Die Felder und Wiesen, aber auch derObstbaum bestand und das Vieh zeugten von seinem Können und seiner Liebe. Im Urlaub war er von der ersten bis zur letzten Minute inFeld und Wald tätig. Bei jedem Abschied schaute er mit wehmütigemBlick in den Stall.

Josef Kimmig

* 18. Oktober 1919 in Bad Peterstal= 21. Oktober 1944 in Lötzen

Kriegsgräberstätte Bartossen (Bartosze)/PolenBlock 5, Reihe 29, Grab 1439

Von Lorenz Kimmig

Josef Kimmig als Soldat

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21Erinnerungen an den Bruder

Beim letzten Urlaub, im August 1944, soll er mehrmals stehen gebliebensein, beim Abschied, und immer wieder zum Haus hingewendet gesagthaben: „Ja, soll ich dich nicht mehr sehen?“ Ähnliche Gedanken äußerteer auch mir gegenüber, als er mich in Stuttgart besuchte, wo ich damalsals Soldat in Ausbildung war. Die Zeit seines Todes stimmte genau mitder Zeit überein, als meine Mutter nachts aufgeschreckt wurde, durcheinen Riss, den es in der Wand gab. Sie weckte den Vater und sagte:„Jetzt ist unser Josef gefallen.“ So hat es sich dann auch bestätigt.

Das Bild meines lieben Bruders lebt noch in meinem Herzen. MeinWunsch, sein Grab einmal besuchen zu können ist nicht möglich ge -worden, da der Friedhof in Lötzen nicht mehr besteht. Wenn ich schonauf sein Grab keine Blumen mehr legen kann, werde ich immer wiedermein Scherflein geben, damit andere Gefallene geehrt werden können.

Inzwischen hat der Umbettungsdienst des Volksbundes das Grab von Josef Kimmig gefunden

und den Gefallenen auf die Kriegsgräberstätte Bartossen (heute Bartosze)/Polen umgebettet.

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22 Erinnerungen an den Bruder

Der DRK-Suchdienst gab Ende der 50er Jahre, nach Rückkehr einesSpätheimkehrers bekannt, dass der Gefreite Steinmetz in russischerGefangenschaft ihm erzählt habe, dass er meinen Bruder Heini Kochnach seiner Gefangennahme bei einer Zuckerfabrik tot habe liegensehen.

Persönliche Merkmale meines Bruders: 1,77 Meter groß, Haarfarbebräunlich, Augenfarbe braun. Besondere Eigenschaften: Vorbildlich inHilfs bereitschaft, kameradschaftliche Haltung, praktisch veranlagt,sportlich sehr begabt, er hatte verschiedene Sportabzeichen sowie denSchein als Rettungschwimmer der DLG. Er war voller Ideale und such-te 1936 als Freiwilliger in der Deutschen Wehrmacht seine Zukunft.

Unser Vater war im Ersten Weltkrieg Soldat und in Frankreich gefallen.War es ein vorgezeichnetes Schicksal, dass auch mein Bruder, wiemeine Mutter meinte, im Zweiten Weltkrieg hat sterben müssen?

1922 bis 1930 besuchte er die Volksschule in Uslar. Er hatte eine guteEinstellung zur Natur. So war er gern am Wasser, stand gern mit denFüßen in Bächen und Flüssen, Forellen jagen war ein Hobby, an der Seebei Verwandten konnte er den ganzen Tag im oder am Wasser verbrin-gen, um Muscheln zu suchen. Er hatte ein freundliches, bescheidenesWesen.

Von 1930 bis 1933 folgte die Lehre als Holzkaufmann bei der Klein -möbelfabrik Ilse & Co. in Uslar sowie der Besuch der KaufmännischenBerufsschule. Als er 1930 ein Fahrrad bekam, war die Freude groß. Esfolgten viele Fahrten in die nähere und weitere Umgebung mitFreunden und Jugendverbänden. Er kümmerte sich viel um mich, sei-nen neun Jahre jüngeren Bruder. So nahm er mich auf dem Fahrrad mitund zeigte mir in Wald und Flur die Natur, wobei wir dann die klet-ternden Eichhörnchen, Vogelarten und verschiedenen Wildarten beob-achteten. Kamen wir an Quellen vorbei, wurde halt gemacht undgetrunken. Fuhr er zum Schwimmen, so nahm er mich ebenfalls mit. Solehrte er mich das Schwimmen und später auch das Rad fahren.

Heini Albert Ernst Koch

* 30. Januar 1916= Januar 1945 am Baranow-Brückenkopf, Raum Opatow/Cmielow

Von Gerhard Koch

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23Erinnerungen an den Bruder

Am 1. April wurde er bis zum 30. September 1936 zum Reichsarbeits -dienst nach Northeim einberufen. Zu dieser Zeit wurde die „Weihe -stätte am Gesundbrunnen“ eröffnet, eine Freilichtbühne, heute unterdem Namen „Waldbühne Northeim“ bekannt. Sein Kommentar: „Wennspäter mal Veranstaltungen dort stattfinden, dann denk daran, dass wirhier so manchen Schweißtropfen vergossen und uns manche Schwieleuns an den Händen geholt haben.“ Aber wer denkt oder weiß heutevon den jungen Leuten, wenn sie das Fest der Volksmusik dort besu-chen, dass ihre Väter und Großväter, die heute auf irgendwelchen Sol -daten friedhof in Europa liegen, diese schöne Anlage gebaut haben.

Die Wehrmachtszeit begann im Oktober 1936, er musste er sich beim105. Infanterieregiments in Trier melden. Dort wurde er als Funker imNach rich ten zug des Regiments ausgebildet. So durchlief er die Rekru -tenzeit und war wegen seiner sportlichen Begabung bald Trainings -partner von verschiedenen Offizieren. 1937 war er Regimentssieger beiden Wehr sport kämpfen des Regiments und erhielt einen Pokal. In sei-ner Freizeit war er viel mit dem „Dienstpaddelboot“ auf Mosel undSaar unterwegs, was ihm sicher Spaß machte.

Ein lustiges Erlebnis aus der Ausbildungszeit 1937 auf dem Truppen -übungsplatz Hammelburg möchte ich noch erwähnen: Er schickte mei-ner Großmutter ein Päckchen mit schmutziger Wäsche, mit großer Auf -schrift: „Sechs Tage Quarantäne wegen Ungeziefer“. Es war nur einScherz, doch die Oma nahm das sehr ernst.

1939 bei Kriegsbeginn bezog er mit seiner Einheit Stellung im Westwall,es folgte 1940 der Westfeldzug, der ihn bis zum Atlantik bei Nantesbrachte, im Herbst folgten rund drei Monate Wachregiment in Paris.Hier machte er seinen Führerschein. Dann ging es in die Vogesen, imJanuar 1941 weiter nach Rumänien als Angehöriger einer sogenanntenLehrtruppe. Es folgten dann im März 1941 der Einmarsch in Bulgarienund im April 1941 die Durchbruchs kämpfe in Griechenland bei Salonikiund weiter bis zum Olymp.

Inzwischen zum Feldwebel befördert, machte er im Mai 1941 den Rück -marsch durch Bulgarien mit dem Ziel Rumänien mit. Im Juni 1941begann der Angriff auf die Sowjetunion, er führte ihn über den Dnjestrund den Bug bis Melitopol ans Asowsche Meer. Der weitere Vormarschführte ihn auf die Halbinsel Krim. Die Städte Sewastopol und Jaltawaren die markantesten Punkte.

Man schrieb 1942. Es gab einen Führerbefehl, dass Söhne von im ErstenWeltkrieg gefallenen Vätern aus der kämpfenden Truppe herausgezo-

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24 Erinnerungen an den Bruder

gen und in einem Ersatztruppenteil oder in einer Einheit der Versor -gungstruppen eingesetzt werden könnten. Ende August wurde die Ein -heit meines Bruders in die Abwehrschlacht im Raum Rshew verlegt.Hier kam der Bewilligungsbescheid auf ein rückwärtiges Kom mando.Mein Bruder wurde stellvertretender Verbindungsoffizier der 72. Infan -teriedivision in Warschau (Anschrift: Kdo. UKftV. Postfach 1379). Auf -gabe dieser Dienststelle war die Ersatzteilbeschaffung. In dieser Zeit hatmein Bruder in Moringen/Northeim geheiratet und konnte mit seinerFrau auch einige Zeit in einem Warschauer Hotel wohnen. Auch sport-lich war er in Warschau sehr aktiv. So spielte er dort in einer Hand ball -mannschaft, die sich „Sportgemeinschaft Fort Berna Warschau“ nannte,und wurde mit dieser Handballmeister 1943/44 im Distrikt Warschau.Er war viel auf Dienstreisen in Deutschland. Auf einer solchen Reisebesuchte er mich einen Tag vor der ersten Bombardierung der FirmaKugelfischer in Schweinfurt – es war im Oktober 1943. Es war das letzteMal, dass ich meinen Bruder gesehen habe. Als sich Ende 1944 dieFront auf Warschau zu bewegte, wurde die Dienst stelle nach Krakauverlegt. Hier holte der Krieg meinen Bruder wieder ein. In seinem letz-ten Brief vom 7. Januar 1945 schrieb er an Mutter:

„Hoffentlich habt ihr meine Briefe erhalten, vor allem die Marken fürGerhard, damit ihr dem armen Bengel einige Päckchen schicken könnt. Mirbraucht ihr nichts zu schicken, ich habe von allem.“

Weiter schreibt er dann:„Haben Weihnachten gut gefeiert, hatten Kuchen und Bohnenkaffee, Weinund Schnaps. Am dritten Weihnachtstag war ich mit der Kutsche weg undhabe drei Hasen für Silvester geschossen. Der Iwan war sehr ruhig, er hatuns durch Lautsprecher ein frohes Weihnachtsfest und ein frohes NeuesJahr gewünscht.“

Er wusste, dass seine Frau Hannchen Nachwuchs erwartete:„Hoffentlich wird es ein kleiner Junge, mir ist aber auch eine Monika recht.Wenn ihr diesen Brief habt, werde ich wohl schon Nachricht haben.“

Er hat es nicht mehr erfahren. Seine Tochter wurde am 14. Januar 1945geboren.

Am 12. Januar 1945 begann die große russische Offensive im Osten.Seine Einheit lag zu der Zeit am Baranow-Brückenkopf, dem äußerstenEnde im Raum Sandonierz – Opatow – Ostrowice. Hier ereilte ihn dasSoldatenschicksal, wahrscheinlich zwischen dem 14. und 20. Januar1945. Damit wurde ein hoffnungsvolles Leben ausgelöscht. Man fragtsich heute: „Wofür?“

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25Erinnerungen an den Bruder

Ich möchte Ihnen in der Sache „Aktion Erinnerung“ das Schreiben desRegimentkommandeurs Major Below vom 6. April 1944 zusenden.

Regimentskommandeur 669 Osten, 6.4.44

Sehr geehrter Herr Jacobs,ich habe die traurige Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Sohn Gottfried am16. März 1944 um 3.00 Uhr den Heldentod gestorben ist.Als ich im Februar 1944 das Regiment als Kommandeur übernahm, wurdeIhr Sohn in meinen Stab als Ordonanzoffizier kommandiert. Wir haben inangenehmen, frohen Stunden im Kameradenkreis unvergessliche Stundenerlebt, Stunden, in denen wir über existierende Fragen des Lebens, desKrieges und des Sterbens sprachen. Immer wieder hat mich an Ihrem Sohndas tiefe Verständnis, das weit über seine Lebensjahre ging und das er andie letzten Tage des Daseins richtete, erfreut.Unser Stab, der eine Gemeinschaft … bildet und unser „Jacöble“, wie wirihn nannten, war einer der Besten. Es kamen schwere Tage des Kampfes,gegen starke russische Verbände mussten wir uns wehren. Ihr Sohn hat indiesen schweren Stunden als Offizier sein Bestes gegeben. In diesen Tagenist er mir mehr als ein Begleitoffizier geworden. Trotz des Dienstgrad- undAlters unterschiedes wurde er mir ein persönlicher Freund. Bereit, dieDinge des Krieges von ihrer besten Seite zu sehen, hat er mit seiner

Gottfried Jacobs

* 31. Oktober 1921= 16. März 1944

Von Norbert Jacobs

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26 Erinnerungen an den Bruder

Heiterkeit des Herzens mir nahe gestanden. Es ging in diesem Krieg nichtalles glatt. Schlimme drei Tage vor seinem Tod habe ich mit Gottfried unterArtilleriefeuer gesessen. Wir sprachen über die Gegenwart, die Zukunftund über die Interessen.

Am 16. März 1944 war ein verhältnismäßig ruhiger Tag. Wir feierten denGeburtstag eines Kameraden. Gegen 3.00 Uhr erfolgte ein starker Angriffder Russen. Ihr Sohn und ich sprangen mit der Maschinen pistole aus demGraben, da ging unmittelbar vor uns eine Granate rein. Gottfried rief zumir: „Donnerwetter, es hat mich erwischt.“ Ich fing ihn auf, riss ihn in denGraben zurück. Er war in meinen Armen sofort tot. Der ärztliche Befundergab einen Granatsplitter in seinem Herzen.

Ihr Sohn starb als tapferer Offizier. Er war in diesen Tagen mein Freundgeworden. So galt mir sein letzter Satz in seinem Sterben. Meine Aufgabeist es, nichts als Trost zu spenden. So mag es denn so sein. Gottfried ist auseinem frohen Offiziersleben gegangen, ohne die Stunde des Sterbens zukennen. Er ist mit lachendem Gesicht gefallen. Er war immer ein beliebterOffizier. Ich habe ihn am ukrainischen Bug der Erde übergeben. ZweiKirschbäume stehen an seinem Grab. Bald werden sie blühen. Uns Überle-benden aber bleibt ein bitterer Eindruck zurück.

Am letzten Tag konnte ich Ihrem Sohn wegen seiner Tapferkeit das EK 2und 1 überreichen. Er erklärte mir, es sei der schönste Tag in seinem Leben.Durch die gegenwärtigen Kampfesumstände kann ich Ihnen das letzteBesitztum Ihres Sohnes, eine Geldbörse und persönliche Briefe, nicht über-geben. Alles andere haben wir in den letzten Kämpfen verloren. Sobald dieMöglichkeit besteht, auf gewohnte Weise Post zu übersenden, werde ichdiese Dinge Ihnen zusenden.

Sie werden entschuldigen, wenn ich diesen Brief nicht mit Tinte schreibe.Er ist unter erschwerten Kampfverhältnissen entstanden. Sehr geehrterHerr Jacobs, immer wenn Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin vonmeinem guten Freund Gottfried noch etwas wissen wollen, stehe ich Ihnenjederzeit zur Verfügung. Ich möchte Sie nur bitten, stark zu sein in IhrerTrauer. Von den vielen gefallenen Kameraden in diesen Kriegsjahren warIhr Sohn einer der besten. Er war einer, dessen Sterben mir sehr nahege-gangen ist. Er war mir ein guter Freund.

Ihr Hauptmann BelowMajor und Regimentskommandeur

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27Erinnerungen an den Bruder

Kurt Heinz Lange:Größe: ca. 1,72 Meter,Haar: dunkelblond,Augen: blau.

Mein um ein Jahr jüngerer Bruder Heinz hat mir von meinen Geschwis -tern am nächsten gestanden. Er war charakterlich feiner, zarter und stil-ler veranlagt als ich und war, soweit ich mich an frühe Kindheit zurück -erinnern kann, bis zum Beginn meiner Dienstzeit ständiger Gefährtevielartiger Jugenderlebnisse.

In der Schulzeit entwickelte Heinz eine besondere Begabung zumMalen und Zeichnen. Er liebte vor allem Tier- und Landschaftsmotive.Sein Talent wurde von unserem Vater und von unserem Vetter MaxKropp – damals Kunststudent in München – gefördert. Schularbeitenund häusliche Aufgaben erledigte Heinz fleißig, gewissenhaft und sau-ber. Während ich in den schulischen Hauptfächern vieles spielenderfasste und mir gute Noten zuflogen, musste Heinz sich alles gründ-lich erarbeiten. Unsere Eltern ließen mir die Freiheit, vom vierten biszum siebten Volksschuljahr, nach dem Schulunterricht und währendder Ferien, bei einem Bauer als sogenannter „Kuhjunge“ für Bekösti -gung und ein kleines Taschengeld zu arbeiten. Heinz durfte das nicht.Er musste im Haushalt helfen.

In diese Zeit fällt ein Ereignis, das charakteristisch für unser gegenseiti-ges enges Verhältnis war. Auf dem Gutshof des Bauern Schubert wurdeauch ein mehrere Jahre älterer Junge namens Gerhard Werner, genannt„Werner-Kaas“ (Käse), für grobe Arbeiten beschäftigt. Der war für unse-re Begriffe ein bärenstarker Kerl, aber wie wir sagten „im Kopf leicht

Heinz Lange

* 12. Juli 1920 in Oelsnitz/Erzgebirge = 31. Oktober 1941 in Erunowo

Kurt Paul Lange

* 22. August 1924 in Oelsnitz/Erzgebirgevermisst seit 9. März 1944 bei Staro Konstantinow

Von Richard Lange

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28 Erinnerungen an den Bruder

behämmert“. Ich kannte und sah ihn nie anders als mit laufender Rotz -nase. Werner-Kaas wurde oft von den Knechten und Mägden des Hofesaufgestachelt, sich mit mir herumzukeilen. Da ich ihm geistig überle-gen, aber körperlich nicht gewachsen war, brachten mir die Prügeleienmehr blaue Flecke ein als ihm.

Mehr noch als ich war Heinz das Opfer dieses Raufboldes. Mein Bruderbesuchte mich trotzdem häufig auf dem Hof, denn er liebte den Um -gang mit Tieren. Eines Tages konnte ich ihn vor brutalen Schlägen nurretten, indem ich Werner-Kaas auf mich lenkte und selbst die Prügeleinsteckte. Meine blutende Nase bewog die ältere Tochter des Bauern,uns Streithähne mit einem Rutenbesen auseinander zu jagen. Das Ge -lächter der Hofknechte stachelte mich an und zornerfüllt forderte ich„Kaas“ auf, den Kampf nach Feierabend auf der Straße am Blei-Teichfortzusetzen.

Ich stellte mich pünktlich dem angekündigten Kampf. Heinz wich mirnicht von der Seite. Sein Antlitz war blass, aber entschlossen. Werner-Kaas lehnte am Teichgeländer mit einer Rute in der Hand. Noch hattenwir die Möglichkeit, den vorteilhafteren Teil der Tapferkeit in rasanterFlucht zu erproben. Dann schritten wir, wie zwei der sicheren Nieder -lage tapfer ins Auge blickenden Gladiatoren, dem „Feind“ entgegen. Dageschah etwas merkwürdiges: Unser Gegner machte plötzlich kehrtund preschte wie in panischer Furcht davon. Heinz und ich liefen mitdrohendem Geschrei ein Stück hinterher, holten ihn aber nicht ein undhatten, ehrlich zugegeben, auch gar nicht die Absicht dazu. Wir warenglücklich, einen nicht erwarteten Sieg errungen zu haben. Werner-Kaashat uns von da an nie mehr belästigt.

Unser Vater wollte nicht, dass seine Söhne – wie er selbst, unsereGroßväter und weitere Vorfahren – Bergleute würden. Ich musste denKaufmannsberuf erlernen, obwohl ich eine Abneigung gegen Schlipsund Kragen, lange Hosen und geschraubte Höflichkeitsfloskeln hatte.Dieser Beruf passte für Heinz schon besser. Seine Lehrstelle war aberrecht kümmerlich. Trotzdem schaffte er die Gehilfenprüfung, fandsogar Interesse am Hobby seines verkalkten, knauserigen Lehrherrnund richtete sich im Elternhaus einen Taubenschlag ein.

Nachdem Heinz ausgelernt hatte, war er, wie vordem auch ich, einigeZeit arbeitslos. Dann arbeitete er mehrere Wochen lang als Tiefbau -arbeiter in einem Abschnitt der Reichsautobahn und schließlich alskaufmännischer Angestellter im Kaufhaus Merkur/Lugau. Dort lernteer auch Lieselotte kennen.

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29Erinnerungen an den Bruder

Nach Kriegsbeginn wurde Heinz am 8. April 1940 zum Reichsarbeits -dienst eingezogen und mit seiner RAD-Abteilung für rückwärtigeDienste in Frankreich eingesetzt. Am 28. Oktober 1940 aus dem RADentlassen, folgte am 15. November 1940 der Wehrdienst. Heinz wurdezur 4. MG-Kompanie im I. Infanterieersatzbataillon nach Glauchau ein-gezogen.

Als ich in der zweiten Novemberhälfte aus Belgien auf Heimaturlaubkam, besuchte ich Heinz in seiner Glauchauer Kaserne. 1936 hatten wirdort mit einigen Freunden die „Reiterscheinprüfung“ bestanden. Erfreute sich sehr über unser Wiedersehen, sprach aber weniger als ichund schien sich in der neuen Umgebung unwohl zu fühlen. Wir glaub-ten damals, wie viele andere, dass nach dem siegreichen Frankreich -feldzug nur noch England zum Friedensschluss bewogen werdenmüsse. Wir ahnten nicht, dass dies unser letztes Wiedersehen war.

Bevor Heinz am 21. August 1941 zur 1. Kompanie des Marschbataillons2064 versetzt wurde, fand am 18. August 1941 in Oelsnitz/Erzgebirgeseine Kriegstrauung mit Lieselotte statt. In der folgenden Woche fuhrdas Marschbataillon an die Ostfront. Zu dieser Zeit wurden die Divi -sionen der Heeresgruppe Mitte zur Fortsetzung der deutschen Offen -sive aufgefüllt. Das Operationsziel war Moskau. Ab dem 14. September1941 war Heinz Soldat im Granatwerferzug der 8. MG-Kompanie desInfanterieregiments 471. Dieses Regiment lag in jener Zeit südlich desQuell gebietes der Wolga in den riesigen Wäldern der Waldai-Höhen.

Am 4. November 1941 schrieb der Führer der 8./IR 471 an Lieselottefolgenden Brief:

Sehr geehrte Frau Lange,im Kampf um die Ortschaft Erunowo fiel am 31.10.1941 um 15.30 Uhr IhrEhegatte, Oberschütze Heinz Lange, in soldatischer Pflichterfüllung getreuseinem Fahneneide für Führer und Vaterland. Ihr Ehegatte hat nicht gelit-ten, der Tod trat auf der Stelle ein. Ich spreche Ihnen, zugleich im Namenseiner Kameraden, meine wärmste Anteilnahme aus. Die Kompanie wirdihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.Die Gewissheit, dass Ihr Gemahl sein Leben für die Größe und den Bestanddes deutschen Volkes und Reiches hingegeben hat, möge Ihnen Trost sein.Ihr Gemahl wurde am 31.10.1941 im Ort Erunowo, 45 km südwestlichTorshok, in einem Einzelgrab beigesetzt.

Ich grüße Sie in aufrichtigem Mitgefühl.

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30 Erinnerungen an den Bruder

Unter dem Einfluss eigener Kampferlebnisse und durch den Soldaten -tod des Bruders voller aufgewühlter Empfindungen schrieb ich in derWinterstellung vor Sewastopol für Heinz als Nachruf:

Mein Bruder

Als mich die Fahne riefhast du gedacht, du käm’st zu spät ins Feldund sah’st in mir, was du nun bist, den Held,mein Bruder.

Bald kam der Tag,da rief man dich, und du war’st selbst Soldat.Du spartest große Worte, sprach’st durch deine Tat,mein Bruder.

Kurz war dein Kampf,doch hast das Beste du gegeben,das du besaß’st, dein treues junges Leben,mein Bruder.

Nun schwör ich diran Deinem früheren Heldengrabe,treue Gefolgschaft, bis ich selber falle,mein Bruder!

Kurt Paul Lange:Größe: 1,70 Meter,Haar: dunkelblond,Augen: blau.

Mitte September 1944 kam nach mehreren Wochen Unterbrechung end-lich wieder Heimatpost zu den in Lettland kämpfenden Fronttruppen.Ich erhielt zwei Briefe. Lieselotte sandte die freudige Botschaft, dass sienun „guter Hoffnung” sei und Anfang Dezember unser lang ersehntesKind erwarte. Meine große Freude über diese gute Nachricht wurdedurch den zweiten Brief gedämpft. Die Eltern teilten mit, dass Kurt seitdem 9. März 1944, nach bei Staro-Konstantinow stattgefundenen schwe-ren Abwehrkämpfen, vermisst werde.

Vater und Mutter hofften, dass Kurt in russische Kriegsgefangen schaftgeraten sei. So sehr auch ich dies wünschte, konnte ich nach inneremEmpfinden und eigenen Erfahrungen diese Hoffnung nicht teilen.Während der fraglichen Märztage hatten im gesamten Kampfraum der

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31Erinnerungen an den Bruder

Heeresgruppe Süd, zwischen dem Schwarzen Meer und den Pripjet-Sümpfen, heftige Panzerschlachten getobt. Den angreifenden drei„Ukrainischen Fronten” (Fronten = sowjetische Heeresgruppen) war esdabei gelungen, die bereits angeschlagene Heeresgruppe Süd unterenormen Verlusten vom Dnjepr bis zum Längengrad der östlichenrumänischen Staatsgrenze zurückzudrängen und die Ukraine, mitAusnahme eines kleinen Restzipfels, zurückzuerobern. In den Brenn -punkten großer Panzerschlachten war erfahrungsgemäß die Zahl derGefallenen oder nach erlittener Verwundung Sterbenden größer als dieder versprengt in Gefangenschaft geratenden Überlebenden.

Viele Jahre später konnte ich, anhand des Wortlautes der Vermissten -meldung, sowjetischer Militärliteratur und Situationskarten den Ver -such unternehmen, mit Erzählung des kurzen Lebenslaufs meines jüng-sten Bruders auch sein Soldatenschicksal bis zum Tag zu beschreiben,an dem es sich in dunkel bleibende Nimmerwiederkehr verlor.

Kurt wurde am 22. August 1924 als dritter Sohn unserer Eltern geboren.Schwester Irmgard war damals zehn, ich fünf, Bruder Heinz vier Jahrealt. An Kurts Geburtstag kann ich mich auch heute noch gut erinnern.Vormittags wurde ich mit Heinz an der einen, einer vollen Pflaumen -tüte in der anderen Hand zur Großmutter Anna Lange ge schickt, diemehrere hundert Meter entfernt in der gleichen Straße wohnte. Als unsunsere Großmutter am späten Nachmittag wieder heimbrachte, hatteuns der „Klapperstorch“ ein kleines Brüderchen gebracht. Wir durftenes „Kurtl“ nennen. Mit dieser Verkleinerungs form seines Namenswurde er sein ganzes Leben lang gerufen.

Kurt war und blieb das „Nesthäkchen“ der Familie. Er wuchs zu einemknapp unter Durchschnitt bleibenden, aber stämmigen Jungen heran. Erwar oft eigenwillig-trotzig, vorwiegend aber sehr anhänglich, zunei-gungsbedürftig und empfindsam veranlagt. Mutter bedeutete ihmmehr als alles andere. Die Erfüllung der Schulpflichten fiel ihm schwe-rer als meinem fleißigen Bruder Heinz, aber er kam schließlich gut überdie Hürden. Er lernte den Strumpfwirkerberuf und verdiente vonAnfang an mehr Geld als seine beiden Brüder.

Im Kriegsjahr 1942 wurde er, nach Ableistung seiner Zeit im Reichs -arbeitsdienst in Russ land, nahtlos zur Wehrmacht eingezogen und kamzu einem Ge birgs jägerregiment. Dieses nahm im Winter 1942/43 an denKaukasus kämpfen teil. Die Gebirgsjäger mussten sich in schwerenRückzugs kämp fen zur Taman-Halbinsel durchschlagen. Nach weitererAus blu tung wurden die Reste des Regiments auf die Halbinsel Krimge bracht und zur Neuaufstellung in die Heimatgarnison verlegt.

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32 Erinnerungen an den Bruder

Anfang Juli 1943 war ich von der Leningrader Front auf Heimat urlaub.Kurz nach meiner Ankunft traf auch Kurt in unserem Elternhaus ein. Eswar ein seltener Glücksfall, der uns ein solches Wiedersehen bescherte.Niemand ahnte, dass dies unsere letzten gemeinsamen Tage waren.

Kurt sah, nach überstandenen Strapazen und Ent behrungen, in seinerviel zu weit gewordenen feldgrünen Kluft krank und elend aus. SeinVerhalten war sehr schüchtern geworden, so als könne er es noch nichtfassen, wieder daheim sein zu dürfen. Mir erzählte er mehrere Male mitknappen Worten durchstandene Erlebnisse. Ich fühlte sein Bedürfnis,sich am „großen” Bruder aufzurichten.

Ab dem ersten Urlaubstag litt Kurt unter heftigen Malaria-Anfällen.Der Arzt drang auf Einlieferung ins Stollberger Reserve-Lazarett. Bevormein Urlaub zu Ende ging, haben Lieselotte und ich ihn dort noch ein-mal besucht. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.

Kurt ist nach hinreichender Genesung für mehrere Wochen zur Erho -lungskur geschickt worden. Dann kam er zu einem in Freiberg statio-nierten Infanterieersatzbataillon. Während dieser Zeit war er noch meh-rere Male auf Heimaturlaub. Mutter hat später oft davon gesprochen,dass Kurt am letzten im Elternhaus verbrachten Abend entgegen seinersonstigen Gewohnheit sehr fröhlich gewesen sei und viel gelacht habe.In seinem letzten Brief teilte er den Eltern Mitte Februar 1944 mit, dasser einen Marschbefehl für die Ostfront habe.

Erst durch die Vermisstenmeldung vom 14. Mai 1944 erfuhren dieEltern, dass Kurt zu einem Panzergrenadierregiment versetzt wordenwar. Das Schreiben seines Kompanie-Führers lautete:

„Sehr geehrter Herr Lange!Zu meinem größten Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihr Sohn, derPanzergrenadier Kurt Lange, seit dem 9. März 1944 vermisst wird.Die Kompanie befand sich an diesem Tage bei Staro-Konstantinow infolgedes Nachdrängens einer Überzahl Russen in einer äußerst kritischen Lage.Nach Abschluss des Gefechts fanden sich nur Teile der Kompanie wiederein. Unter den Fehlenden befand sich auch Ihr Sohn. Leider ist es mir nichtmöglich, Ihnen irgendeinen Anhaltspunkt über das Schick sal Ihres Sohneszu geben. Insbesondere weiß ich nicht, ob er noch lebt, oder ob er in dieHand der Russen geraten ist. Ich weiß, wie schwer gerade diese Ungewiss -heit für Sie zu ertragen ist und nehme zutiefst daran Anteil.”

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33Erinnerungen an den Bruder

Als mir meine 42-jährige Tochter Monika Ihr Schreiben gab, wurden alldie Erinnerungen von damals, die eigentlich nie ganz verblassten, wie-der wach. Ich bin jetzt 69 Jahre alt und 1945 nur knapp dem Wehrdienstentgangen. Ein Jahr vor mir Geborene wurden in den letzten Kriegs -monaten teilweise noch zum Wehrdienst einberufen.

Mein Bruder Karl-Joachim erlernte, genau wie mein jüngster Bruderund ich, das Schneiderhandwerk. Bereits drei Monate nach der Gehil -fen prüfung wurde er 1941 zum RAD (Reichsarbeitsdienst) nachRadeberg eingezogen, später dann zum Militär nach Altenburg. Nacheiniger Zeit wurde ihm eine Ausbildung als Offizieranwärter angebo-ten. Als er mit den Worten antwortete: „Ich kann den Sinn meinesLebens nicht darin sehen, Menschen über den Kasernenhof zu jagen“,wurde er an die Ostfront versetzt. Alle seine Briefe bis zum bitterenEnde hat meine Mutter aufbewahrt, auch alle an ihn gerichteten Briefeschickte er zurück bzw. brachte sie im Urlaub mit nach Hause. Seinletzter Brief ist mit dem 21. Juni 1944 datiert.

Auch die Vermisstenmeldung: „…Er ist somit seit den Kämpfen nörd-lich Orscha in der Zeit vom 22. bis 26. Juni 1944 vermisst …“ habe ichnoch in Besitz.

Was gibt es noch über „Karli“ zu erzählen? Er war uns ein lieber ältererBruder, insgesamt waren wir vier Brüder, Jahrgang 1923, 1930 (ich),

Karl-Joachim Heiße

* 20. September 1923Vermisst seit dem 22.–26. Juni 1944

Von Leberecht Heiße

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34 Erinnerungen an den Bruder

Jahrgang 1933 und 1938. Der jüngste Bruder kann sich nur schwach andie wenigen Urlaubstage von Karli besinnen. Meine Mutter hat den Todmeines Bruders ihr Leben lang nicht verwinden können. Er sollte dastraditionsreiche Schneidergeschäft (über 200 Jahre in gerader Erbfolge)weiterführen. Das blieb dann mir, meinem jüngsten Bruder und meinenbeiden Töchtern vorbehalten.

Ein Erlebnis erzählte uns Karli bei seinem letzten Urlaub. Er sollte aufBefehl seines Vorgesetzten eine verwundete Partisanin erschießen. Daer sich weigerte, richtete der Vorgesetzte die Pistole auf Karli. Daraufgriff auch mein Bruder zur Waffe und drohte ebenfalls im gleichenMoment abzudrücken. Der Vorgesetzte verließ daraufhin schweigendden Ort.

Oberkommando des HeeresRudolstadt i/Thür., den 2. Dez. 1944

Sehr geehrter Herr Heiße!Der Abschluss der Ermittlungen über das Schicksal Ihres Sohnes, desOgefr. Karl-Joachim Heiße, geb. 20.9.23, 12. G.R. 456 FpNr. 31115 E, hatsomit keine restlose Klarheit erbracht. Er ist somit seit den Kämpfen nörd-lich Orscha in der Zeit vom 22.–26.6.1944 vermisst.

Die Sowjet-Union lehnt die namentliche Bekanntgabe der in ihrer Handbefindlichen Kriegsgefangenen ab, obwohl ein derartiges Verhalten imWiderspruch zu dem Kriegsrecht steht. Bemühungen internationalerHilfsgesellschaften oder neutraler Staaten, die darauf abzielten, dieseHaltung der UdSSR zu ändern, sind ergebnislos verlaufen.

Nachrichten, die über das Schicksal der Kriegsgefangenen umlaufen odereingehen, sind unkontrollierbar und es besteht Veranlassung zu derAnnahme, dass sie zur Irreführung sowie Beunruhigung weiter Volkskreiseals feindliche Zweckpropaganda in die Welt gesetzt sind.

Ich bedaure daher tief, dass ich nicht in der Lage bin, Ihnen eine aufklären-de Mitteilung und tröstende Gewissheit zukommen zu lassen.Heil Hitler!Hptm. u. Sachbearbeiter

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35Erinnerungen an den Bruder

Sulzbach den 10. März 1946

Werte Frau Heiße!Vor zwei Tagen erhielt ich Ihren Brief vom 29.1. und will auch heute gleichdenselben beantworten. Ich habe ja schon verschiedene Mütter und Frauenbenachrichtigen dürfen, dass ihre Angehörigen noch am Leben sind, mussteaber auch, so Leid es mir tat, wiederum meine Pflicht erfüllen, traurigeNach richten zu übermitteln. Ihren Sohn Karl kannte ich sogar sehr gut, daer ja auch manchmal innerhalb der Kompanie geschneidert hat. Leider mussich Ihnen gestehen, dass ich über den Verbleib Ihres Sohnes nicht näherAuskunft geben kann. Am 22.6.44 mussten wir unsere Stellung aufgebenund das Kesseltreiben ging los. Wir wurden dann alle selbständig, da wirkeine Führung mehr hatten. Ich selbst konnte mich bis 28.6.44 durchschla -gen, wonach wir dann auch in Gefangenschaft geraten sind. Wir wurdendann nach Orscha transportiert, wo hernach wieder die Transporte nachMoskau und noch weiter so 1900 km hinter den Ural gingen. Ich glaube, esdürften keine 15 Mann mehr vom ganzen Bataillon gewesen sein, als wiruns im Lager getroffen haben. Sie brauchen aber nicht deshalb damit rech-nen, dass die anderen alle gefallen sind, denn es sind ja schon vor uns aller-hand von Divisionen in Gefangenschaft geraten. Ich kann nur das eine mit-teilen, dass Ihr Sohn Karl bis zur Einkesselung bei der Kompanie war.

In der Hoffnung, dass Ihr Sohn Karl gesund und vor allem recht bald zuIhnen zurückkehren wird, grüßt Sie recht freundlichstMichael PirnerSulzbach-Rosenberg (Bayern)

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36 Erinnerungen an den Bruder

Franz Lirche

* 18. Juni 1929= 31. Mai 1945

Friedhof Berlin-Spandau „In den Kisseln“Block IVb, Reihe 16, Grab 24

Von Joseph Lirche

Anbei meine Erzählungen über den Tod meines Bruders, der als Flak -helfer schwer verwundet wurde und eine Woche später daran starb. Erliegt auf dem Ehrenfeld des Friedhofes „In den Kisseln“ in Berlin-Spandau. Mein Bruder war Jahrgang 1929.

Erinnerungen an schwere Tage im April/Mai 1945 in Spandau

Im überfüllten Luftschutzkeller saßen wir bei Kerzenlicht. Strom undWasser gab es seit Tagen nicht mehr. Draußen war es Tag, als jemandvon der Kellertreppe rief: „Die Russen kommen.” Unsere Propagandahatte nichts Gutes über die Rotarmisten berichtet. Wir wussten nicht,was auf uns zukommen würde. Alle hatten Angst. Als keine Kämpfemehr zu erwarten waren, durften wir Kinder, ich war damals zehnJahre alt, vor das Haus, um Luft zu schnappen.

Wir schauten uns das Szenarium an und waren erschrocken – wir sahenzwei ausgebrannte Schützenpanzerwagen. Zwei verkohlte Leichen hin-gen über der Panzerung und ein dritter Soldat saß verkohlt am Steuer.Russische Offiziere und Mannschaften standen auf den Bürgersteigenund sahen zu, wie ein Arzt im weißen Kittel und ein paar Zivilisten dieToten nach Erkennungsmarken durchsuchten.

Als ich nach Hause kam, sagte meine Mutter, dass eine Frau Krügermitgeteilt habe, dass Franz, der als Flakhelfer eingezogen war, schwerverwundet in den Kasematten an der Teltower Straße liege. Man hattedie Verwundeten aus dem Bereich des Olympia-Geländes dorthin ge-tragen. Die Russen hatten die Anwohner der gegenüber liegendenHäuser aus den Kellern geholt und befohlen, sich um die verwundetenund gefallenen deutschen Soldaten zu kümmern. Das Sanitätspersonalder Wehr macht hatte sich abgesetzt oder war in Gefangenschaft gera-

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37Erinnerungen an den Bruder

ten. Unser Bruder Franz gab sich Frau Krüger zu erkennen und sagteihr, dass er „An der Kappe 79“ zu Hause sei. Als keine Gefechte mehrstattfanden, kam Frau Krüger dann und benachrichtigte uns.

Meine Schwester Agnes, die Nachbarin Frau Ottermann, ihre TochterUrsel und zwei Männer aus der Nachbarschaft zogen mit einem Hand -karren, den der Klempnermeister Kirst von gegenüber uns lieh, undeinem Feldbett los. Meine Mutter konnte nicht mitgehen, denn wir hat-ten noch zwei kleinere Brüder. Nach Stunden kehrten sie zurück, nichtnur mit einem, sondern mit zwei kleinen Leiterwagen, auf beiden lagenverwundete Soldaten.

Mein Bruder hatte einen Granatsplitter im Unterleib und der zweiteVerwundete, ein Junglehrer aus Königsstein (Sachsen), hatte Splitter imRücken und Gesäß. Frau Ottermann, die ihren Mann und einen Sohn ander Front verloren hatte, nahm den Verwundeten auf. Unser Bruder, dernoch Uniform trug, und der andere Soldat konnten weder in ein Laza -rett noch in ein Krankenhaus gebracht werden. Sie wären unweigerlichin Gefangenschaft geraten.

Dr. Manitz wurde verständigt und kam nach langem Warten auch. Erversorgte beide Verletzte. Unser Bruder Franz hätte sofort operiert wer-den müssen, doch unter den gegebenen Umständen war es nicht mög-lich. Es dauerte noch ein paar Tage, bis eine Oberschwester aus unsererGemeinde eine Möglichkeit sah, meinen Bruder auf Schleichwegenheimlich ins Lynar-Krankenhaus einzuschleusen.

Unser Bruder verstarb am 31. Mai 1945 im Lynar-Krankenhaus an sei-ner schweren Verwundung. Am 18. Juni wäre er 16 Jahre alt geworden.Weil es keine Särge gab, wurde er in seiner Militärdecke eingewickeltund beigesetzt. Er liegt mit den Gefallenen der Seegefelder Straße ineinem Massengrab auf dem späteren Ehrenfeld. In den Gräberreihenliegen viele unbekannte Soldaten.

Unser aller Wunsch: „Nie wieder Krieg“ hat sich leider nie verwirklicht!

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38 Erinnerungen an den Bruder

Martin Voigt

* 20. Januar 1922= 30. März 1944

Von Dr. Joachim Voigt

Mein Bruder Martin wurde am 20. Januar 1922 in Hannover geborenund wuchs in Celle und Hildesheim in der Geborgenheit und Beschei -denheit einer christlich geprägten Beamtenfamilie auf, für die es einOpfer bedeutete, den Söhnen das Gymnasium zu ermöglichen.

Er war schlank, hellblond und schon früh hochgeschossen, aber trotzdieses „nordischen“ Aussehens unsportlich und nicht kämpferisch ver-anlagt. Gewalt war ihm zuwider. Als Kind der Weimarer Zeit hatte ergern gesungen: „Nie, nie woll’n wir Waffen tragen, nie, nie woll’n wirwieder Krieg! Lasst die Großen selber sich doch schlagen, wir macheneinfach nicht mehr mit!“ Mich kleinen Bruder hat er nie verhauen,obwohl ich ihn manchmal ärgerte. Ich habe ihn niemals ein Tier odereinen Menschen quälen sehen. Hitlerjugend und „politische Schulung“machte er ohne Begeisterung mit, weil es Pflicht war. Lieber war er zuHause und las, experimentierte mit Freunden oder spielte Klavier, waser sich selbst beigebracht hatte. Das wohl aufregendste Erlebnis dieserJahre war eine Klassenfahrt ins Riesengebirge.

Paradoxer Weise war das erste Kriegsjahr vermutlich seine schönsteLebenszeit. Wie alle 18-jährigen Jungen wurde auch er gemustert, aberwegen schwächlicher Gesundheit zurückgestellt. So konnte er dasChemiestudium an der TH Hannover beginnen. Wie seine sorgfältigen

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39Erinnerungen an den Bruder

Nachschriften und Protokolle belegen, betrieb er das Studium fleißig.Aber daneben eröffnete sich ihm auch eine neue, weitere Welt desGeistes, der Geselligkeit und einer relativ großen Freiheit. Und er be -geg nete seiner ersten – und einzigen – Liebe. Seine Gerda war „einMädchen, das man sofort lieb haben musste“, wie meine Mutter sagte,als er sie zu Hause vorgestellt hatte.

1941 – im 4. Trimester – wurde er eingezogen. Seine Abneigung gegendas Soldatsein wurde durch die entwürdigenden Schikanen, an denenbesonders die niedrigen Dienstgrade gegenüber den studentischenRekruten ihren Spaß hatten, schnell zum Hass. Das „Schleifen“ machteihn so krank, dass er – zunächst als „Simulant“ beschimpft – neunWochen ins Laza rett musste. Das bescherte ihm eine zweite Rekruten -zeit. Danach empfand er es fast als eine Befreiung, an die Ostfront zukommen, wo die Offiziere die unnötige Schinderei unterbanden.

Als Kanonier der Nebeltruppe machte er den Vormarsch bis zur Wolgamit. Zwei Tage vor der Einkesselung der 6. Armee wurde er aus Stalin -grad im Lazarettzug abtransportiert. Er hatte das Glück, dass sein Er -satz truppenteil in seinem Heimatort stationiert war. Erst in der Gene -sen denbatterie, danach in Unterführer– und Offizierlehrgängen blieb erein ganzes Jahr in der Heimat und konnte fast täglich nach dem Dienstfür Stunden – bei zunehmenden Fliegeralarm oft auch nur für halbeStunden – heimeilen. Wir alle genossen das zerbrechliche Glück dieses„Gnadenjahres“ sehr bewusst.

Es endete mit Martins Beförderung zum Leutnant. 5 000 Oberfähnrichewurden in Breslau vom „Führer“ selber über den Ernst der Kriegslageinformiert. Bedrückt, aber auch beeindruckt kam er zurück und sagte:„Als ich das erste Mal im Osten war, fühlte ich mich als Kanonenfutter,aber heute weiß ich, dass es jetzt um die Existenz Deutschlands geht.“

Er wurde einem neu aufgestellten Regiment zugeteilt. Es belastete ihn,dass fast alle seiner Männer viel älter waren als er und er ihnen zubefehlen hatte. Wie wir später erfuhren, bemühte er sich, ihnen zuersparen, was er als Rekrut hatte durchmachen müssen, und sie liebtenihn dafür. Anfangs März 1944 war die Front um 1 500 Kilometer nähergekommen, und das Regiment wurde in Russisch-Polen in die Schlachtgeworfen. Martins Briefe handelten von Landschaft und Wetter, nichtvom Kriege. Am 30. März 1944 fiel er. Er hatte nur 22 Jahre leben dür-fen. Alle unsere Briefe an ihn kamen ungeöffnet zurück mit dem Ver -merk: „Gefallen für Großdeutschland.“ Seine Kameraden begruben ihnbei Hutniki südlich Brody. Die Gräber dort sind nicht mehr zu finden.

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40 Erinnerungen an den Bruder

Achim Kluger

* 3. Dezember 1925Vermisst seit 20. August 1944

Von Karl Kluger

Wie Sie mitteilen, wollen Sie eine Dokumentation erstellen und sind fürUnterlagen dankbar. Hiermit übersende ich Ihnen solche. Ich werde77 Jahre alt und habe niemanden, der sich nach meinem Ableben dafürinteressieren würde oder eine Verwendung dafür hätte. Ich stelle Ihnendie Originale zur Verfügung.

Es handelt sich um meinen Bruder. Ich selbst war, mit Unterbrechung,zwei Jahre in Russland. Auch im Winter. Vor Kriegsende wurde ich ent-lassen, da ich mir eine Lungentuberkulose zugezogen hatte.

Ich überweise Ihnen seit über 20 Jahren, es können auch 25 oder 30 sein,jedes Jahr eine kleine Spende. Der Grund war und ist, dass es vielleichtein Grab eines unbekannten Soldaten geben könnte, das von Ihnengepflegt wird und in dem mein vermisster Bruder liegt.

An Frau Marta KlugerAbsender: Gefreiter Kluger 20161 D

Luftfeldpost geht nicht mehr!

Im Osten, am 20.7.43

Liebe Mama, liebe Anneliese!Heute muss ich wieder einmal an euch schreiben, denn es ist schon wiedereine ganze Reihe von Tagen vergangen. Ich hoffe, dass es euch beiden nochgut geht und ihr wohlauf seid. Ich habe von dem Angriff am 7.7. gehörtund befürchte das Schlimmste. Ich habe nämlich seit nunmehr fast einemMonat keine Post mehr von euch. Überhaupt habe ich noch keine Zeile wei-ter erhalten als den einen Brief von Anneliese und den von Mama. Gehtdenn die Post so lang? Habt ihr denn meine Briefe immer erhalten? MeinePäckchen, sind die alle angekommen?

Mir geht es soweit gut. Das Wetter scheint sich jetzt auf Regen umzu stel -len, denn es ist immer trübe und aller Stunden kommt es nass von oben. In letzter Zeit haben wir sehr viel Obst gegessen, vor allem Birnen und

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41Erinnerungen an den Bruder

Pfir siche, die es in rauhen Mengen gibt. Wenn ihr das Obst alles habenkönntet! Wir wissen gar nicht, wo wir alles hinessen sollen.

Von Papa habe ich aus Kaufbeuren eine Postkarte bekommen. Wie erschreibt, kommt er von da weg und bekommt eine neue Anschrift. AuchKurtchen hat mir wieder einmal geschrieben. Er ist froh, dass er nicht auchfort muss. Anscheinend geht es dem Rudi auch nicht gut dort. Ja, er hatteauch etwas Anderes erwartet. So muss er nun in den sauren Apfel beißen.Wie es aussieht, scheint der Krieg doch noch eine Weile zu dauern. Na,wenn es hier so ruhig bleibt, wie es ist, kann man es schon aushalten.

Wir haben uns einen prima Bunker gebaut mit Tisch und Spiegel, dieWände sind sogar mit Teppichen ausgeschlagen. Alles neue Teppiche, diedie Bevölkerung hierlassen musste. Wenn wir so einen in unsererWohnung haben könnten! Sogar eine weiße Tischdecke haben wir. Leidersind wir nur Stunden am Tage hier drinnen, dann müssen wir wieder aufPosten. Aber so ist es gemütlich.

Ich möchte nun schließen und hoffe bald auf Post von euch. Ich wünscheeuch alles Gute und grüße herzlich, euer Achim

O.U. 15. Mai 44

Liebe Mutti!Zum Muttertag übersende ich dir meine herzlichen Grüße und wünschefür die Zukunft alles Gute. Bleib gesund und lass es dir gut gehen. Wirsind zur Zeit an der ungarisch-rumänischen Grenze angekommen. HeuteMittag geht es weiter. Das Wetter ist herrlich, die Stimmung ausgezeich -net. Ich hoffe, dass du und Papa und Anneliese noch wohlauf sind, was ichauch von mir sagen kann.Es grüßt dich dein Sohn Achim

An Frau Marta KlugerAbsender Gefreiter Kluger 20161 D

Im Osten, d. 29. Juli 1944

Liebe Mutter, liebe Schwester!Vor wenigen Tagen erhielt ich Euren Brief vom 8.7., wofür ich mich viel-mals bedanke. Ich freute mich, als ich las, dass bei dem Angriff auf unserLeipzig noch einmal alles gut gegangen ist. Ich hatte schon große Sorge umeuch. Wieviel steht denn immer noch von unserer Stadt?

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42 Erinnerungen an den Bruder

Gestern erhielt ich auch wieder zwei Päckchen mit Keksen von euch. Leiderhat man sie wieder auf einer Feldpostsammelstelle neu verpacken müssen.Ihr müsst immer etwas Papier darum machen. Sonst haben sie sehr gutgeschmeckt und es war einmal eine Abwechslung. Das Essen, was wir seiteinigen Wochen bekommen, ist unter aller Sau. Fast jeden Abend sauerund so dünn, dass fast der Löffel abbricht. Auch knapp, vor allem die kalteKost. Es ist wirklich nicht mehr schön!

Und dies alles bei einer so festen Stellung wie hier, wo es nicht rück wärtsgeht. Dazu kommt noch, dass wir fast keinen Schlaf haben, weil wir sowenig Leute sind. Wir haben vor wenigen Tagen unseren Stand ort gewech-selt und sind nun leider aus unserer schönen Obstplantage herausgekom-men. Auch die Waschgelegenheit ist ganz schlecht. Ich sehne mich nacheinem kleinen, ganz bescheidenen Bad. So wie jetzt habe ich die Nase nochnie voll gehabt. Es wäre besser, der Krieg ginge ganz schnell zu Ende.

Papa hat mir heute auch einen Brief geschrieben und zwar aus Nagold. Ersoll aber wieder versetzt werden. Auch bittet er um Rauchwaren. Schicktihm nur etwas. Wieviel Päckchen sind nun schon von mir angekommen?Es sind ca. 16 bis 17 Stück unterwegs. In einem Päckchen ist Tabak undeine Armbanduhr. Sie ist kaputt. Ich hatte sie von einem Kameraden aufder Fahrt hier herausbekommen.

Sonst bin ich gesundheitlich noch wohlauf und hoffe und wünsche euch dasgleiche. Seid nun auf der Hut, dass euch nichts passiert. Ich werde schontüchtig aufpassen, dass mir nichts geschieht. Karlchen hat es ja Gott seiDank geschafft. Er kann nur froh sein. Der Krieg hat eben bald seinenhöchsten Punkt erreicht. Wie er ausgeht, ist noch nicht abzusehen. DieLage ist nicht so glänzend für uns. Im Westen sieht es nicht so gut aus.Auch im Osten ist allerhand los.

Die Flieger sind ja auch noch immer über dem Reichsgebiet und es werdennoch tüchtige Angriffe durchgeführt. Man hat gedacht, dass es etwas nach-lassen wird, aber es ist nicht der Fall.

Sonst hätte ich nichts mehr zu berichten. Dass es keine Luftfeldpost mehrgibt, hatte ich schon geschrieben. Nun möchte ich schließen, denn ich mussauf Posten. Lasst es euch gut gehen und seid vielmals gegrüßt von euremJungen!

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43Erinnerungen an den Bruder

Leipzig, 29.10.44

Mein herzlichster Junge!Es sind nun gute elf Wochen, dass wir von dir keine Nachricht haben. Wosteckst du denn eigentlich? Wir sind in großer Sorge um dich. Hast du dieletzte Post erhalten mit der Einwilligung? Uns geht es noch gut. Aber wiegeht es dir? Karlchen hat am 20.10. geheiratet. Anneliese und ich warendort. Papa bekam keinen Urlaub, er ist jetzt in Koblenz. Es gab sehr gut zuessen. Die beiden wohnen vorläufig hier. Es geht somit ganz gut.Es grüßen dich herzlichst deine Mutti, Karlchen und die beidenAnneliesen.

Deutsches Rotes Kreuz München, den 15. April 1970Suchdienst München

GUTACHTEN über das Schicksal des VerschollenenAchim Kluger, geb. 3.12.25Letzte eigene Nachricht vom 13. August 1944

Ausgangspunkt für die Nachforschungen waren die dem Suchantrag ent-nommenen Angaben, die in die Verschollenen-Bildlisten aufgenommenwurden. Damit sind alle erreichbaren Heimkehrer aus Krieg und Gefan -genschaft befragt worden, von denen angenommen werden konnte, dass siemit dem Verschollenen zuletzt zusammen gewesen sind. Ferner sind vonanderen Stellen, die Unterlagen über die Verluste im Zweiten Weltkriegbesitzen, Informationen eingeholt worden.

Über diese individuellen Ermittlungen hinaus wurde die Frage geprüft, obder Verschollene in Gefangenschaft geraten sein konnte. Dabei wurden dieKampfhandlungen, an denen er zuletzt teilgenommen hat, rekonstruiert.Als Unterlage dienten dem DRK-Suchdienst Angaben über Kameraden, dieder gleichen Einheit angehört hatten und zum selben Zeitpunkt und amselben Einsatzort verschollen sind, Heimkehrer berichte, Schilderungen vonKampfhandlungen, Kriegstagebücher sowie Heeres- und Speziallandkarten.

Das Ergebnis aller Nachforschungen führte zu dem Schluss, dass AchimKluger mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen dem 20. August und denersten Septembertagen 1944 in Rumänien oder in der ersten Zeit derGefangenschaft den Tod gefunden hat. Da es aber keinen Hinweis dafürgibt, dass der Verschollene in Gefangenschaft geriet oder in einem Lagergesehen wurde, zwingen alle Feststellungen zu der Schluss folgerung, dasser bei den Kämpfen gefallen ist.

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Johann Tatarczyk

* 1. November 1913= 28. Juni 1942

Von Hubert Tannhausen

Geboren wurde Hans im oberschlesischen Mszanna, als erster Sohn desBäcker- und Konditormeisters Alois Tatarczyk, der an einer Schuss wun -de während der Flucht im Frühjahr 1945 starb und in einem Massen -grab bei Svitava (Tschechien) beigesetzt wurde, und seiner EhefrauAnna Tatarczyk, vermisst, verschollen seit Februar 1945.

Hans war der Bruder von Rudi Tatarczyk, der, eine Klasse übersprin-gend, kurz vor dem Abitur verhungerte; Bruder von Hubert Tatarczyk,der, nach der Kesselschlacht von Bobruisk in russische Gefangenschaftgeraten, im September 1944 als vermisst, Wochen später als „gefallenauf dem Felde der Ehre für Führer, Volk und Reich“ gemeldet wurde;Bruder von Edeltraud Tatarczyk; Bruder von Christa Tatarczyk, die sichim Frühjahr 1945 mit zwei Kindern durch die Tschechei nach Deutsch -land durchschlug; Enkel von Johann Tatarczyk, der von den Russenerschossen wurde.

Das ist die kurze Familien-Saga derer aus Ratibor/Mszanna (Ober -schlesien): Zweimal um die Heimat gebracht, zweimal um Hab und

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45Erinnerungen an den Bruder

Gut, zweimal Krieg und Not, zweimal Flucht ... und dann? Dann der Tod.

Hans, blond, blauäugig, war ein Lebenskünstler, heiter, sonnig, pro-blemlos. Als Sechsjähriger rettete er seine kaum dreijährige Schwestervor dem Ertrinken. Nicht weit vom Elternhaus floss ein Dorfbach, inden wir Kinder im Sommer Sand von der erhöhten Straße warfen. Einheftiger Wind wehte die Schwester in den Bach hinein. Entsetzt flohenwir in alle Richtungen. Nur Hans behielt klaren Kopf, rannte nachHause, verständigte die Eltern. Unser Vater holte die Kleine aus demWasser.

Während des polnischen Aufstandes in Oberschlesien (1920/1921)wurde Vater, als Deutscher im Ort nicht gelitten, von einer Kugel, diedurchs Fenster ins Zimmer schlug, nah am Auge getroffen. Noch ehedie Auf ständischen ins Haus eindrangen, um Vater zu holen, versteckteihn Mutter im Zimmereck hinterm Schrank. Auf kindlich unbeholfeneArt half Hans, der noch keine zehn Jahre alt war, den Schrank zurecht-zurücken.

1921 flüchteten die Eltern ins deutsch gebliebene Ratibor (35 Kilometerentfernt), gründeten dort eine neue Existenz. Hans und ich blieben beiden Großeltern. Da war Großmutters schwarze Kuh, ein Phänomen voneiner Kuh, die Hans auf die Hörner nahm, als er ihr zu nahe kam. Dawar der Kuhstall, in den Hans flüchtete, wenn die Aufständischen wie-derkamen, die Küchendielen aufrissen und nach Geld suchten. AmSchluss stahlen sie Großvaters frisch geschlachtetes Schwein aus demTrog. In Großvaters Wohnküche war ein Fleischerhaken an der Deckeangebracht. Hans befestigte daran eine Schnur zum Schaukeln. DieSchnur riss, Hans fiel auf den Rücken, lief blau an, bekam keine Luft.Tante Marianka heulte, ich mit, sie betete vor dem Kreuz und Hanskam wieder zu sich.

Eines Tages holte uns Vater zu sich nach Ratibor. Da mussten wir ersteinmal bei einem Privatlehrer „richtig“ Deutsch lernen. Statt „Was“fragte Hans auf polnisch „co“, worauf Mutter gleich sagte: „Das heißtwas!“

Hans, begabt für Musik und Malerei, saß in der Küche vorm Fenster,mit Blick zum Garten und malte Tiere und Landschaften. Einmal malteer in der Volksschule auf Geheiß des Lehrers aus Mangel an Anschau -ungs material für den Unterricht Tiere an die Tafel. Mir spielte er Liedermit der Mundharmonika vor, später auf der Geige, ohne Noten.

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46 Erinnerungen an den Bruder

Und zu Streichen war er stets aufgelegt. So vernagelte er das Hoffensterdes vermieteten Lebensmittelgeschäftes mit Brettern. Vater und Mutterdrückten bei allen Streichen mehr als ein Auge zu. Auch klauten wirvon Nachbars Baum die reifen Birnen, die ganz an der Grenze zu unse-rem Hof hingen. Der Eigentümer, ein Gastwirt, jagte Hans hinterher bisins Vorderhaus, vier Stockwerke hoch. Hans erklomm die Leiter zurDachluke, zog sie ein und setzte sich auf den Deckel der Dachluke.

Wir vier Geschwister, zwei Schwestern, zwei Brüder, besuchten dieHöhere Schule, aber Hans nur die Volksschule. Denn, so Rektor Scholzzum Vater, wozu aufs Gymnasium? Hans brauche nur deutscheHörnchen zu backen, keine englischen oder französischen ... Das warWasser auf Vaters Mühlen. So sah er es auch. Für ihn war Hans derkünftige Bäcker- und Konditormeister, der den väterlichen Betrieb spä-ter einmal übernehmen würde. Immerhin waren es zwei Häuser mitzwei Geschäften. So kam Hans nach Beendigung der Schule in dieLehre. Zwar fertigte er Geburtstagstorten mit Blumenmotiven vonbestechender Schönheit an, aber es füllte ihn nicht aus, das Hand werk -liche in ihm zerstörte das Künstlerische.

Ende der dreißiger Jahre wurde er zur Wehrmacht eingezogen, machtegleich den Polenfeldzug als Infanterist mit, wurde vermisst, tauchteaber wieder auf. Er wurde verwundet und kam nach Wien ins Lazarett.Von einem „Kameraden“ denunziert, einem polnischen Kriegsge -fangenen Brot gegeben zu haben, wurde er wegen „Veräußerung vonWehrmachtsgut an den Feind“ verurteilt, degradiert und ins Straf -bataillon versetzt.

Auch am Krieg gegen Frankreich und die Sowjetunion nahm er teil.Das letzte Mal sahen wir ihn, als er unverhofft auf Urlaub heimkam.Mutter setzte ihm gebratene Gans mit polnischen Klößen vor, aberHans war so müde, dass er während des Essens einschlief, mit demEssbesteck in den Händen.

Über den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge erhielten wir nachfast 60 Jahren, im Frühjahr 2002, folgende Nachricht:

„Johann Tatarczyk, geboren am 1. November 1913 in Mszanna, ist am26. Juni 1942 im Wald, fünf Kilometer südwestlich von Mostki (Erika -schneise), gefallen.Grablage: am Westufer des Polistj-Baches an der Brücke, 1500 Meter nörd-lich des Punktes 40.5.“

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47Erinnerungen an den Bruder

Emil Friedrich Vohlken

* 29. Juli 1924= 16. April 1944

Von Georg Vohlken

Seine letzte Nachricht kam aus dem Reservelazarett I Lemberg.Persönliche Merkmale: Größe: 1,85 Meter, Haarfarbe mittelblond,Augenfarbe blau. Schlank. Besondere Eigenschaften: fleißig und streb-sam, liebevolles Wesen, kameradschaftlich, technische Begabung (erbastelte Doppeldecker - Flugzeuge aus Pappe nach eigenem Entwurf),spielte Geige.

Sein Lebenslauf:- Volksschule- Berufsschule- kaufmännische Lehre- Lehrabschlussprüfung zum Industriekaufmann- Maschinenbuchhalter- Teilnahme an einem Fernstudium zur Ablegung der Bilanzbuchhalter -

Prüfung mit sehr gutem Erfolg, leider durch Einberufung zur Wehr -macht unterbrochen

- militärische Ausbildung in Lübeck und Lüneburg- anschließend Einsatz an der Ostfront, Raum Tarnopol- Eisernes Kreuz II. Klasse- schwere Verwundung im Raum Tarnopol- verstorben in einem Lazarettzug auf der Fahrt nach Lemberg am

16.4.1944- bestattet auf dem Soldatenfriedhof Stryerpark in Lemberg

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48 Erinnerungen an den Bruder

Erinnerungen

Da mein Bruder und ich beide unsere kaufmännische Tätigkeit inFleischwarenfabriken hatten, dazu noch im selben Ort, kam es, wie esbei jungen Menschen oft üblich ist, zu Rivalitäten bezüglich derQualität der Erzeugnisse des Arbeitgebers. Mein Bruder lobte dieWurstwaren aus „seiner“ Fabrik, besonders deren Haltbarkeit, ich dieaus „meinem“ benachbarten Betrieb. Eines Tages – er war schon an derOstfront – hatten wir von zu Hause ein Feldpostpäckchen an ihn abge-sandt, unter anderem auch mit Wurstwaren aus „meiner“ Fabrik. Nacheiner gewissen Zeit – wir hatten schon befürchtet, das Päckchen seinicht angekommen – schrieb er, dass er es erhalten hätte und sehr überden Inhalt erstaunt gewesen wäre. Die Wurst wäre in bestem Zustandund von hervorragendem Geschmack gewesen. „Koopmanns (Nameder Fabrik) Wurst in Ehren“, war sein Kommentar.

Emils Feldpostbriefe waren stets sehr ausführlich und aufschlussreich.Er war zunächst einer Pioniereinheit zugeteilt worden und bei einerrussischen Familie in Quartier. Nach einiger Zeit entwickelte sich einsehr gutes Verhältnis zwischen den deutschen Besatzern und den russi-schen Familien. So schrieb mein Bruder in einem seiner letzten Briefe,dass die Frau ihm jeden Morgen, bevor er zum Stellungsbau ausrückenmusste, einen Hirsebrei kochte. „Ich bekomme hier das vergolten, wasdu, liebe Mutter, dem Wassil gegeben hast“ (Wassil war ein ukraini-scher Zivilarbeiter – etwa 60 Jahre alt – der bei einem Landwirt in unse-rer Nähe arbeitete). Er wurde von unserer Mutter, obwohl es streng ver-boten war, oft in unser Haus eingeladen.

Reserve-Lazarett Lemberg– Universitätsklinik –Lemberg, den 18.4.1944

An Familie Georg Vohlken

Sehr geehrte Familie Vohlken!

Da ich nicht weiß, ob Sie von irgendeiner Seite eine Nachricht über IhrenSohn erhalten haben, fühle ich mich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, dassIhr Sohn, der Schtz. Emil-Friedrich Vohlken, am 16.4.1944 in einemLazarettzug an den Folgen seiner schweren Verwundung verstorben ist.Wie ich aus dem Verwundetenbegleitzettel entnehmen kann, wurde IhrSohn am 13.4.1944 auf dem Hauptverbandsplatz Jaslowiec wegen

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49Erinnerungen an den Bruder

Granatsplitterverletzung am Gesäß, am Rücken und am linken Kniegelenkärztlich versorgt. Am 14.4.1944 wurde Ihr Sohn in einen Lazarettzug ver-laden, um möglichst rasch in ein Fachlazarett zur Weiterbehandlung ver-legt zu werden. Auf dem Transport ist Ihr Sohn infolge Versagens derHerz kraft am 16.4.1944 um 6 Uhr 45 Minuten verstorben. Nähere Einzel -heiten konnte ich leider nicht erfahren.

Die Leiche Ihres Sohnes wurde in Lemberg ausgeladen und meinem Laza -rett zur Beisetzung übergeben. Wir haben die Leiche Ihres Sohnes hier wür-dig aufgebahrt und werden Ihren Sohn am 19.4.1944 vormittags 10 Uhrauf dem Heldenfriedhof (Stryerpark) in Lemberg mit allen militärischenEhren beisetzten.

Zu diesem schweren Verlust spreche ich Ihnen mein herzlichstes Beileidaus.

Möge die Gewißheit, dass ihr Sohn sein Leben für die Größe und Zukunftunseres ewigen Deutschen Volkes hingab, Kraft geben und Ihnen Trost seinin diesem schweren Leid, das Sie betroffen hat.

Die Nachlasssachen werden von uns in den nächsten Tagen abgesandt. Beider allgemeinen Transportlage dürfte es jedoch noch einige Wochen dauern,bis Sie dieselben erhalten.

In herzlicher Anteilnahme grüße ich Sie mit Heil Hitler!Oberstabsarzt und Chefarzt

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51Erinnerungen an den Bruder

Helmut Peitz

Heinz und Robert Henk

Alfons Wurm

Erwin Albrecht

Wolf-Dietrich Steinbach

Rudolf Schulz

Herwig Haesner

Günter Korsitzky

Herbert Kautz

Horst-Günter Zedel

Bernhard Terhünte

Harm-Wulf Greulich

Heinz Kirchner

Jakob Heigert

Gerhard Renz

Hans und Wolfgang Zaeske

Hermann + Gerhard Wilkens

von Lydia Littek

von M. Strickhausen

von Gisela Mathes

von Ursula Steinbach

von Christa Schlüter

von Else Albrecht

von Heide Krukow

von Herta Schweitzer

von Gertrud Volkmann

von Charlotte Kalberlah

von Maria Böckmann

von Elgin Loos

von Inge Kievelitz

von Katharina Lautz

von Irmgard Karl

von Gisela Meichelböck

von Paula Korte 81

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Erinnerungen an den Brudervon Schwestern geschrieben

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52 Erinnerungen an den Bruder

Mein Bruder Herwig Haesner war das erste Kind meiner Eltern undwurde mit viel Liebe großgezogen. Als Kleinkind war er oft krank under suchte sich die ausgefallensten Kinderkrankheiten aus, zum Beispieleine Dickdarmentzündung, bei der sich der ganze Darm häutete.Unsere jüdische Kinderärztin, Frau Dr. Amalie Peiser, wachte zusam-men mit meiner Mutter die ganze Nacht bei uns zu Hause am Kinder -bett, bis die Krise vorüber war. Anschließend ging Frau Dr. Peiser wie-der in ihre Praxis. So eine Ärztin gibt es so schnell nicht wieder.

Behütet von meiner Mutter und meiner Großmutter wuchsen wirKinder in unserer Mietwohnung und im Schrebergarten auf. MeinBruder sollte in den Kindergarten gehen und sich an andere Kindergewöhnen. Doch allein blieb er nicht im Kindergarten. Ich war fast dreiJahre jünger als mein Bruder und musste mit in den Kindergarten. Inder Schule lernte er gut und schnell.

1933 zogen meine Eltern mit uns nach Lankwitz. Dort hatten wir eineneigenen Garten und ein eigenes Häuschen, das meine Eltern gebaut hat-ten, weil Kinder im Mietshaus unerwünscht waren und der Kinder wa -gen unseres kleinen Bruders wiederholt die Treppe hinuntergeschubstworden war.

Herwig Haesner

*13. Dezember 1925 in Berlinvermisst seit Anfang Dezember 1945= 12. Dezember 1945 in Woroschilowgrad im DongebietTodesanzeige im Juni 1997 erhalten

Von Heide Krukow

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53Erinnerungen an den Bruder

In Lankwitz lebten wir glücklich und zufrieden. Mein Bruder war einfleißiger Schüler. Jedes Jahr, wenn es neue Schulbücher gab, war ermehrere Tage nicht zu sehen. Er ging alle Bücher durch, um am Endefestzustellen: Jetzt kann ich das ganze Pensum vom neuen Schul jahr.

Weihnachten bekamen wir drei Kinder neben anderen Geschenkenjeder ein Buch. Herwig las sie alle, zuerst das von unserem kleinenBruder, dann meines und zum Schluss sein eigenes. Im letzten Schul-jahr belegte er Flugphysik und war ein begeisterter Mathematiker.Wenn sein Lehrer sagte, für diese Aufgabe gäbe es nur eine Lösung, sosetzte sich mein Bruder den ganzen Nachmittag hin, um dem Lehrer zubeweisen, dass noch eine andere Lösung möglich sei.

Im August 1939 am ersten Mobilmachungstag musste sich mein Vaterbei der Wehrmacht stellen. Nun vertrat mein Bruder meinen Vater. Erstützte den Luftschutzkeller mit dicken Holzstämmen ab und warf ander Außenseite einen Erdwall auf. Hatte er nach der harten, ungewohn-ten Arbeit Schwielen an den Händen, war er stolz.

1943 stürzte unser Haus durch eine Luftmine ein, es fiel in sich zusam-men wie ein Kartenhaus. Doch meine Großmutter und mein Vater, diesich im Luftschutzkeller aufhielten, konnten unverletzt aus den Trüm -mern kriechen, sie halfen noch, die toten Nachbarn aus dem Nebenhauszu bergen. Wahrscheinlich haben die Versteifungen, die mein Brudereinbaute, meinen Vater und meine Großmutter davor bewahrt, ver-schüttet zu werden.

Als der Krieg ausbrach, wurde mein Bruder im Dezember 14 Jahre alt.In seinem Urlaub fuhr er nach Westpreußen mit seinem Vetter zu Ver -wandten auf ein großes Gut. Die beiden Jungen fuhren alle Tage mitPferd und Hungerharke auf das Feld, um die letzten Getreidehalmezusammenzuharken. Es gab dort noch kein elektrisches Licht. Herwighatte sofort die Idee: „Wenn das mein Hof wäre, hätte ich schon längstStrom vom nahen Bach zum Haus herüber geleitet“.

Mit 17 Jahren wurde Herwig von der Schulbank weg zum Militär gezo-gen. Er kam nach Verden an der Aller, um als Funker ausgebildet zuwerden. Danach wurde er nach Russland an die Front geschickt, um alsVorgeschobener Beobachter die Truppenbewegungen zu registrierenund der Truppe zu melden. Er war am Weichselbogen, genau dort, woder Durchbruch der Russen begann. Die letzte Nachricht erhielten wirvon ihm im November oder Dezember 1944. Unser Haus war zerstört,Schulen gab es nicht mehr in Berlin. Ende Januar 1945 machten wir unsmit Pferd und Wagen auf den Weg, um den Russen zu entkommen. Wir

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54 Erinnerungen an den Bruder

kamen bis in die Nähe von Rostock, als die Russen uns einholten. ImSeptember 1945 gingen wir zurück nach Berlin.

Von meinem Bruder Herwig sollten wir nie wieder etwas hören. Ver -gebens warteten wir auf das winzigste Lebenszeichen, vor allem meineMutter. Ein junges Leben, das eigentlich erst anfangen wollte, seineZukunft zu gestalten, es hatte keine Zeit, seine Träume zu verwirkli-chen. Mein Bruder hatte geträumt, Bauer zu werden, eine Familie zugründen, er wollte einen Führerschein machen, um ein Auto fahren zukönnen, er wollte fliegen lernen …

Nichts von alledem konnte er verwirklichen!

Ein Mensch, der nie einem anderen weh tun konnte, ein friedlicher, flei-ßiger, arbeitsamer, intelligenter Bürger wurde einfach in einen sinnlosenKrieg geholt, um darin umzukommen.

Im Sommer 1997 erhielt ich die Nachricht vom Deutschen Roten Kreuz,dass mein Bruder Herwig am 12. Dezember 1945, genau einen Tag vorseinem zwanzigsten Geburtstag, im Gebiet von Woroschilowgrad imKriegsgefangenenlager verstorben sei. 52 Jahre waren seit seinerGefangen nahme verflossen. Meine Mutter und mein Vater haben es nieerfahren, sie lebten beide nicht mehr, obwohl mein Vater 95 Jahre altgeworden ist. Es ist unvorstellbar!

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55Erinnerungen an den Bruder

Im Gedenken an meinen kleinen Bruder (er war viereinhalb Jahre jün-ger als ich), der an seiner Verwundung beim Kampf in der Normandiegestorben ist. Er war zehn Jahre lang vermisst, gefunden wurde er vomVolksbund.

Er hatte blonde Haare und blaue Augen, war weich und künstlerisch.

Günter besuchte das Gymnasium. Zeichnen und Musik waren seinLeben. Er vergrößerte in Kohle oder Kreide nach Fotografien Bilder,auch von Menschen der Geschichte wie zum Beispiel Bismarck, die sonaturgetreu waren, dass sie ihm sogar für Dienststellen abgekauft wur-den. Er spielte Klavier, Ziehharmonika, Badonium. Er gründete in derJugendorganisation eine Musikkapelle, schrieb für acht Mann die Notenund spielte in der Tanzstunde, um sein Taschengeld aufzubessern.Einmal komponierte er einen Walzer, den wegen seiner Schüchternheitein anderer, der sich an erster Stelle nannte, mit ihm einreichte. Wennihm im Radio ein Lied gefiel, nahm er seine Zieh harmonika und spieltedas Lied nach. Als er das Abitur geschafft hatte, führte seine Klasse dasStück „Lumpazi Vagabundus“ auf. Einer der maßgebenden Herrenunseres Stadttheaters, der die Aufführung sah, fragte, ob er nicht Schau-spieler werden wolle. Aber er musste in den Krieg.

Seine Mitschüler waren zur SS gemustert, er zur Luftwaffe. Da sagtensie: „Günter, du bist ja eine ,Missgeburt‘, sonst hätten sie dich dochauch zur SS genommen!“ Wer läßt sich schon gerne sagen, dass er eineMissgeburt sei – also meldete sich Günter auch zur SS.

Er war 19 Jahre alt als er ging. Wegen meiner Hochzeit bekam er nocheinige Tage Aufschub. Als Krad melder hatte er irgendwann einenUnfall und verlor einige Zähne. Bei dem Zahnarzt arbeitete auch ein SS-Unter offizier. In der Ecke sah Günter eine Ziehharmonika stehen. Erbat den Unteroffizier, doch einmal spielen zu dürfen. Der Unteroffiziersagte: „Komm doch zu uns, da kannst du dir schon für deinen späteren

Günter Korsitzky

* 11. Februar 1924 in Troppau/Sudetenland,= 17. August 1944 in der Normandie

Kriegsgräberstätte Champigny-St-André/Frankreich,Block 17, Reihe 40, Grab 2161

Von Herta Schweitzer

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Beruf ein paar Kenntnisse erwerben und wir könnten zusammen musi-zieren“. Günter wollte Zahnarzt werden, da meine Eltern ein Musik -studium für eine brotlose Kunst hielten – Günter war schon in Wienimmatrikuliert. Und so nahm er das Angebot des Unteroffiziers an.Nun spielten sie bei Offiziers-Abenden, wobei Günter in kürzester Zeitder Gefragtere war. Der Neid oder der Hass des Anderen war somitvorprogrammiert, und immer wieder denunzierte er Günter bei ihremVorgesetzten, dem Zahnarzt. Eines Tages wurde diese Einheit der SS-Division „Hohenstaufen“ nach Russland verlegt. Beim nächtlichenSchanzen im Schützengraben griff der Unteroffizier Günter mit einerSchaufel an und wollte ihn erschlagen. Am nächsten Tag hat er wohlGünters Meldung befürchtet und verdrehte die ganze Sache so, als obGünter ihn angegriffen hätte. Wem glaubte man mehr? Natürlich demRang höheren, und so wurde Günter zu einem Strafbataillon versetzt. Erschrieb: „Was bis jetzt war, war furchtbar, was jetzt kommen wird, wirdnoch viel schlimmer sein.“

Meine Mutter besorgte vom Gymnasialdirektor ein Schreiben, in demdieser als sein langjähriger Lehrer schrieb, dass er einen derartigenAngriff von Günter für völlig unmöglich halte, schon auf Grund seinerMentalität. Er war ja wirklich viel zu weich, er weinte schon, wenn erden Eltern zum Geburtstag gratulierte. Mein Schwager, der bei derWehrmacht Leutnant war, rief auch noch den Kompaniechef vonGünter an, aber der sagte nur, dass das Bataillon in drei Kampfein hei -ten eingeteilt sei und nicht festzustellen ist, zu welcher Einheit Güntergekommen wäre.

Eines Tages bekamen wir Verwundeten-Gepäck von Günter – seine letz-ten Habseligkeiten. Dann blieb er zehn Jahre lang verschollen, bis ihndie Kriegsgräberfürsorge entdeckte. Meine Mutter schrieb an denBürger meister des Ortes, wo seine sterblichen Überrest gefunden wur-den. Dieser erzählte, dass die verwundeten Soldaten in einer Kircheuntergebracht gewesen wären, wo sie sich gegenseitig gepflegt hätten.

Mit 19 Jahren eingerückt, mit 20 Jahren tot, das Schicksal ließ ihn nichteinmal großjährig werden – gestorben … Wofür? Ob er geahnt hat, dasser die Heimat nie wiedersehen würde? Als ihn meine Eltern zum Zugbrachten und der Zug abfuhr, liefen ihm die Tränen über die Wangen.

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Günters letzter Brief!

Westen, 10. August 1944

Liebste Eltern und Herti!Ich schreib noch schnell ein paar Zeilen, weil ich dann eine längere Zeitnicht oder nur ganz selten werde schreiben können. Heute abend oder mor-gen früh geht’s dann nach vorn und, hoffentlich geht alles einiger maßengut aus, aber mit Geduld und Spucke geht’s schon …

Ich habe vorgestern noch ein paar (zwei Briefe) abgesandt mit russischemTee. Hoffentlich kommen sie an. – Bis jetzt war alles nichts gegen das, waserst kommt. Der Herr Zahnarzt hat schon gewusst, wo er mich hingibt.Na, ist ja egal!

Wie geht es bei euch zu? Ich kann mir das schöne Bad usw. bei der Hitzegut vorstellen. Bei uns brennt die Sonne nicht allzu lind. Wie geht esHansi und Frau Olsen? Ich lasse beide recht herzlich grüßen und, falls ichheute noch ein paar Minuten Zeit haben sollte, so schreibe ich ihr auch! –Die Feldpost-Nr., die auf diesem Brief ist, ist die von der Kompanie, wo ichbin. Die vorherige war vom Bataillon.

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Bernhard Terhünte

* 11. Juli 1929= Januar 1949 in Rovno in russischer Kriegsgefangenschaft

Von Maria Böckmann

Unser Bruder, wir nannten ihn Berni, war das älteste von sechs Kin -dern. Der Zweitgeborene starb als Säugling, dann kamen wir vierSchwestern, die alle noch leben. Berni war ein nachdenklicher ernsterJunge, sehr naturverbunden, immer um das Wohl seiner jüngerenGeschwister bemüht. Als eines Tages das „Fahrende Volk“ mit klappri-gen Wagen und dürren Gäulen durch unser Dorf fuhr und er nebendem Lenker des Pferdefuhrwerks ein dunkelhaariges Mädchen mit lan-gen Zöpfen entdeckte, das große Ähnlichkeit mit unserer ältestenSchwester hatte, kam er ganz aufgeregt ins Haus gerannt und war sehrerleichtert, dass er sie daheim beim Spielen vorfand. Seine Tauben undKaninchen liebte er über alles, und wir durften ihm bei der Pflege undVersorgung immer gerne helfen.

Als Berni im September 1943 als 16-jähriger aus der Untersekunda he -raus zur Luftwaffe eingezogen wurde, war ich gerade neun Jahre alt.Somit habe ich nicht sehr viele Erinnerungen an ihn. Wenn mein Bruderaber in einem seiner zahlreichen Briefe an sein „liebes kleines Schwes -

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terlein“ mich tröstete, weil drei seiner Kaninchen eingegangen waren,für die ich doch sorgen musste, so konnte er dies besser als meineEltern es vermochten.

Einmal als Berni als Flakhelfer zwei Tage Sonderurlaub hatte und am 1. Mai früh morgens zur Luftwaffe zurückkehren musste, weckte ermich in der Frühe um 5 Uhr heimlich. Das hatten wir so ausgemacht.Mein Vater machte nämlich jedes Jahr mit ihm und meinen beiden älte-ren Schwestern einen Maigang, an dem ich auch gern teilnehmen woll-te, doch in den Augen meiner Eltern noch zu klein war. So zog ich michschnell an und konnte dann mit den anderen unseren Bruder zur Bahnbringen. Nach dem Abschiednehmen gingen wir dann gemeinsamdurch den Wald, sangen mit Vater Mailieder und lauschten dem Vogel -gezwitscher. Aber wir waren auch alle sehr traurig, dass unser Bruderan diesem 1. Mai nicht mit uns wandern konnte – er hätte es bestimmtsehr genossen. Seine Naturverbundenheit kam in einem seiner Briefeals Luftwaffenhelfer zum Ausdruck:

„Ich muss leider auf Posten sein in einsamer Nacht. Aber in solch einerschönen Sommernacht stehe ich gerne, wenn alles in der Natur ruhig ist.Nur ab und zu hoppeln einige Kaninchen oder Hasen herum, oder es ruftein Kiebitz. Auch fliegt manchmal eine Eule um die Geschütze herum.“

Den Reichsarbeitsdienst verbrachte mein Bruder in Allendorf, KreisMarburg, bis zum 8. September 1944. Bei Nacht und Nebel wurde erdann nach Ostpreußen abkommandiert und kam nach einer langen undbeschwerlichen Bahnfahrt nach 5 Tagen in Ittau an. Aus seinen Briefengeht hervor, wie sehr er unter Heimweh litt, hatte er doch seine Familieüber ein Jahr nicht mehr gesehen. Immer wieder war ihm Heimat -urlaub zugesichert worden, doch immer wieder wurde ihm dieser imletzten Augenblick gestrichen. Auch an Weihnachten 1944 wurde derzuerst versprochene Urlaub wieder abgesagt. So verbrachte meinBruder das Weihnachtsfest 1944 in Piaski (Südostpreußen) in traurigerErinnerung an das letzte Weihnachten im Elternhaus, als er drei TageSonderurlaub bekommen hatte:

„Wie hat mein Schwesterchen Gerda geweint, als ich am Weihnachts -morgen plötzlich vor ihr stand und ich sie vor lauter Wiedersehens freude inden Arm nahm!“

Die Zigaretten, ein Fläschchen Kölnisch Wasser und zwei Tafeln Scho -kolade, die er Heiligabend als Weihnachtsgeschenke von seinem Zug -führer bekam, schickte er nach Hause, um meinen Eltern und uns eineFreude zu machen, da er sonst kein Weihnachtsgeschenk hatte.

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Immer wieder hatte mein Bruder große Sorge um unseren Vater, dass erauch eingezogen werden könnte. Aus all seinen Briefen spürt man dasgroße Heimweh, und auf seinem Rückzug aus Ostpreußen Ende Januar1945 schreibt er:

„Ihr werdet sicher in großer Sorge um mich sein. Aber diesmal bin ich demIwan noch entkommen. Es ist jetzt 3:20 Uhr. Nun geht es weiter zumWesten. Herrlich! Endlich ein Stück näher zur Heimat. Wir sind aber auchgelaufen, um nicht von den Russen abgeschnitten zu werden! Beinahe hätteich euch ein Mädchen im Alter von Anneliese (12 Jahre) geschickt, dasVater und Mutter auf der Flucht verloren hat. Ihr schreibt ja immer, ichsollte nur einen Kameraden, der die Heimat verloren hat, mitbringen. Sohättet ihr auch gleichzeitig von mir Nachricht gehabt. Wäre ich doch erstmal zu Hause!“

Am 27. Januar 1945 schrieb Berni aus Bülow (Ostpreußen) wiederumeine Karte:

„Ihr seht, der Russe hat uns doch noch nicht erwischt. Ich kann euchsagen, das war eine Reise! Von Mielau aus bis hier mit Pferdewagen durchEis und Schnee und auf Schusters Rappen. Meine Füße sind angefroren,doch da macht euch deswegen keine Sorgen. Ich muss noch ein paar Tagehierbleiben, und zwar als Ordonanz beim RAD-Auffangkommando, um dieversprengten Arbeitsmänner zu sammeln. In den nächsten Tagen geht esdann wahrscheinlich mit dem Zug weiter nach Westen, der Heimat immernäher. Ihr braucht euch also keine Sorgen mehr um mich zu machen, baldbin ich daheim!“

„Daheim“, das war zunächst Rodewald bei Hannover, wo er nach sei-nem großen Treck durch Ostpreußen Anfang Februar 1945 eintraf undam 23. Februar 1945 seinen letzten ausführlichen Brief nach Hauseschrieb. Berni bat unter anderem darum, dass Vater ihn dort nicht besu-chen solle:

„Jetzt macht mir keinen Unfug und kommt herüber, um mich zu besuchen.Denn in den nächsten vier bis sechs Wochen komme ich doch auf Urlaub!Die Fahrt nach hier ist für euch zu weit, und jetzt geht inzwischen einegroße Gefahr von den Tieffliegern aus.“

Unser Vater hat Berni trotzdem besucht. Er war viele Tage mit demFahrrad unterwegs. Glücklicherweise hat er seine abenteuerliche Fahr -radtour trotz Bombennächten und Tieffliegerangriffen heil überstanden.Die Gespräche zwischen Vater und Sohn waren das letzte Lebens -zeichen, das wir von unserem Bruder erhalten haben. Bei den Kämpfen

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61Erinnerungen an den Bruder

um Berlin im April 1945 muss er wohl in russische Kriegsgefangen -schaft geraten sein.

Sein Schicksal war vorausbestimmt. Genau an dem Tag seines 18. Ge -burts tages wurden alle Kriegsgefangenen, die unter 18 Jahre alt waren,entlassen. Er war an diesem Tag nicht mehr unter 18, er musste somitbleiben. Diese traurige Wahrheit berichtete uns später ein Mit gefan -gener.

Im August 1948 brachte uns ein Heimkehrer die Todesnachricht vonunserem Berni. Er hatte mit meinem Bruder in Rowno in russischerKriegsgefangenschaft gelebt und ihn beim Sterben begleitet. Eine Weltstürzte für uns alle ein, hatten wir doch bis zum letzten Tag die Hoff-nung auf eine Heimkehr nicht aufgegeben. Friedlich und Gott ergebensei er mit 18 Jahren an Unterernährung gestorben, Mutters Rosenkranz,den er immer bei sich trug, um den Hals.

Meine Schwester und ich haben im August 2002 an einer Sonderreisedes Volksbundes durch die Ukraine teilgenommen. Wir haben auf die-ser Reise auf einigen deutschen Soldaten- und Kriegsgefangenen -friedhöfen Spurensuche betrieben, in der Hoffnung, am Grabe unseresBruders verweilen zu dürfen – leider war uns dies nicht vergönnt. Dochdie Suche geht weiter – wir hoffen, mit Hilfe des Volksbundes, dochnoch eines Tages das Grabe unseres Bruders zu finden. Auf unsererReise durch die Ukraine waren wir sehr beeindruckt und bewegt vondem, was der Volksbund geleistet hat und noch leistet. Auch wir gebenunsere Hoffnung nicht auf, dass auch unser Bruder eines Tages einewürdige Ruhestätte auf einem der Friedhöfe in der Ukraine bekommt.Dann hätten auch wir Geschwister unseren inneren Frieden gefunden.

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62 Erinnerungen an den Bruder

Herbert Kautz

* 12. Dezember 1921= 14. Dezember 1945 in französischer Gefangenschaft

Kriegsgräberstätte Andilly/FrankreichBlock 34, Reihe 4, Grab 242

Von Gertrud Volkmann

Die Ursache seines Todes ist uns unbekannt und wird es wohl fürimmer bleiben.

Mein Bruder war groß, schlank, dunkelhaarig und hatte wunderschöneblaue Augen. Er war immer lustig und hat gern gesungen. Sein Lieb -lings Lied war „Mamatschi, schenk mir doch ein Pferdchen“. Er hat vonseiner Jugend nicht viel gehabt, musste sehr jung in den Krieg. FürFührer, Volk und Vaterland, wie man so schön sagte.

Ich kann mich nur sehr wenig an ihn erinnern. Ich war erst fünf Jahrealt, als er in diesen sinnlosen Krieg musste. Meine Mutter hat immerviel von ihm erzählt. Ich habe meinen Bruder eigentlich nur durch dieseErzählungen meiner Mutter kennen gelernt. Meine Eltern haben ihn imSommer 1943 in Breslau das letzte Mal gesehen. Da hatte er ein oderzwei Tage Aufenthalt, bevor er weiter an die Front ziehen musste.Danach haben wir keine Verbindung mehr zu ihm gehabt.

Nach langem Suchen, haben wir im Jahr 2000 endlich erfahren, dassmein Bruder seine letzte Ruhestätte auf dem Soldatenfriedhof inAndilly (Frankreich) hat. So lange ich lebe, wird mein Bruder inGedanken immer bei mir sein.

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63Erinnerungen an den Bruder

Horst-Günter Zedel

* 2. Februar 1920 in BraunschweigVermisst seit 24. August 1944

Von Charlotte Kalberlah

Ihrer Aufforderung, etwas über meinen Bruder Horst-Günter Zedel zuschreiben, bin ich gerne gefolgt. Viele Erinnerungen wurden dabeiwach.

Mein Bruder Horst-Günter Albert Wilhelm Zedel und sein 20 Minutenälterer Zwillingsbruder Heinz-Joachim Hermann Richard Zedel, beidenach den Großvätern Hermann (väterlicherseits) und Albert (mütterli-cherseits) und den Paten, den Brüdern meines Vaters Wilhelm undRichard, benannt, wurden am 2. Februar 1920, mittags um 13.30 Uhr inder elterlichen Wohnung in Braunschweig geboren.

Als ich von der Schule nach Hause kam, ich war sieben Jahre alt, lagenmeine Brüder in der Wiege nebeneinander. Sie waren sehr zart, wogenzusammen siebeneinhalb Kilo, und ich bewunderte ihre braunenAugen, die dunkelblonden Haare und ihre kleinen Händchen mit denwinzigen Fingernägeln. Der Arzt schlug meinen Eltern vor, sie insSäuglingsheim zu bringen, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Derältere Zwil ling, Heinz-Joachim, hatte von Geburt an einen schwerenHerzfehler, an dem er dann mit viereinhalb Jahren starb.

Im Juli 1920 mussten meine Eltern meine Brüder wegen einer im Heimausgebrochenen Infektionskrankheit nach Hause holen. Eine An steck -ung hätten sie wohl nicht überlebt. Da sie besonders ernährt wurden,mussten wir jeden Tag Säuglingsflaschen mit entsprechender Nahrungvom Säuglingsheim abholen. Horst hatte dort noch im Brut kasten gele-gen. So schafften es meine Eltern durch sorgfältige Betreu ung, sie überdie ersten schweren Jahre hinweg zu bringen. Sie durften zum Beispielmöglichst nicht weinen, da dies ihr Gewicht vermindern konnte. AmAbend saß ich also zwischen ihren Bettchen und jeder hielt einen mei-ner Finger, bis sie eingeschlafen waren.

Heinz, der ältere, nannte seinen Bruder Horst „Bua, Bua“, wohl weil erder jüngere Bruder war, und Horst seinen Bruder Heinz „Hachi“. Sielernten früh sprechen und konnten sich gut beschäftigen.

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64 Erinnerungen an den Bruder

Horst konnte mit sechseinviertel Jahren zu Ostern 1926 eingeschultwerden. Nach der schulärztlichen Untersuchung wurde meine Mutterzur Schule bestellt und ihr eröffnet, dass Horst der Schwächlichste vonallen Schülern sei und etwas für ihn getan werden müsste. Der Lehrerahnte ja nicht, was bereits alles für ihn getan worden war ...

Mit acht Jahren wurde mein Bruder zur Kur in die Nordseeklinik aufNorderney geschickt. Dort infizierte er sich mit Scharlach und wurdeisoliert betreut und verwöhnt. Nach der Genesung bat er, von denSchwestern weiter betreut zu werden und kam gut erholt zurück.

Ein Vetter meines Vaters war Korvettenkapitän, daher interessierten wiruns alle für die Marine. So trat Horst in die Marinejugendabteilung desMarinevereins ein. Sie hatten einen vorzüglichen Jugendbetreuer, derdie Jugend begeisterte. 1933 schenkte die Kriegsmarine ihnen einenalten Kutter, den Graf Luckner an Ostern auf seinen Namen taufte. DieMarinejugend wurde dann später Marine-Hitlerjugend und Marine-SAgenannt, trug aber weiter die Marineuniform.

Mit zehn Jahren fiel Horst durch die Prüfung für das Gymnasium, be -stand aber die Prüfung für die Mittelschule, die er ab Ostern besuchte.Im nächsten Jahr bestand er die Prüfung für das Gymnasium danndoch noch. Ostern 1939 machte er sein Abitur.

Dann wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Als er dort einmalein Opernmotiv vor sich hin pfiff, sprach ihn ein Kamerad darauf an. Eswar Rudolf Schock, der am Braunschweiger Staatstheater als Sängertätig war, aber auch noch seinen Arbeitsdienst ableisten musste und nurzu den Proben und Aufführungen beurlaubt war.

Im Sommer wurde mein Bruder zum Dienst in der Landwirtschaft ab -kommandiert und Mitte Oktober entlassen. Da er sich als Kriegs frei -williger bei der Marine gemeldet hatte, aber nach dem Arbeitsdienstnicht eingezogen wurde, hatte er die Möglichkeit, von November 1939bis April 1940 bei der MIAG in Braunschweig die halbjährige Vorpraxiszum Studium des Schiffsbaus und anschließend ein Trimester an derTH Braunschweig zu belegen.

Am 7. August 1940 erhielt er den Gestellungsbefehl zum „Seetransport -chef zur besonderen Verwendung”, Paris. Dort erhielt er französischesMarinezeug und deutsche Marinedrillichanzüge – er war Zivil ange -stellter der Marine. Alles diente zur Vorbereitung für die Landung inEngland. Die Matrosen wohnten in einer Villa von Rothschild und lern-ten Paris kennen.

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65Erinnerungen an den Bruder

Seinen Gestellungsbefehl zur Marine erhielt Horst am 15. Oktober 1940in Paris. Am 9. November kam er nach Cuxhaven. Am 30. November1940 war die Vereidigung und am 10. Januar 1941 erfolgte dann dieAbkommandierung zur Marine-Flak. Leider bekam er keinen Weih -nachts urlaub, so dass er seinen Vater, der im April 1941 starb, nichtmehr sehen konnte. Das traf ihn sehr hart.

Nach der Ausbildung kamen die Marineartilleristen am 8. Mai 1941nach Gotenhafen und am 7. Juni 1941 nach Libau. Zusammen miteinem Kame raden nahm er Russischunterricht bei einer Balten deut -schen, besuchte auch andere baltendeutsche Familien und, wenn esmöglich war, das Theater. Außerdem führte er in jenen Tagen einen leb-haften Brief wechsel.

Am 20. August 1944 erhielten meine Mutter in Braunschweig und ich inBerlin die letzte Nachricht von ihm. Darin hieß es: „VorübergehendesKommando. Neue Feldpostnr. abwarten“.

Da wir aber nie die neue Feldpostnummer erhielten, schrieb ich anseine alte Dienst stelle. Darauf bekam ich vom Batteriechef die Kopieeines Schreibens, das an meine Mutter gegangen war, sie aber nieerreicht hatte. Darin hieß es, dass mein Bruder seit dem 24. August 1944vermisst sei. Er war bei einer Kampfgruppe als Angehöriger derMarine flak abteilung 712 zum besonderen Einsatz in der Nähe des litau-ischen Dorfes Kruopiai, als das Dorf von starken russischen Kräftenangegriffen wurde. Meine Mutter hat lange angenommen, ihr Sohn seiin einem Schweigelager in Russland. Leider muss ich annehmen, dasser beim Einsatz um das litauische Dorf Kruopiai gefallen ist.

Als meine Mutter die Vermisstenmeldung meines Bruders erhielt, woll-te und konnte sie nicht verstehen, dass ihr der zweite Zwilling auchnoch genommen war. Wir erinnerten uns gemeinsam an den August1944. Mutter war in Braun lage und als ich sie dort traf, erzählte sie mir,sie hätte so schwer von Horst geträumt. Da er am 24. August 1944 beiKruopiai vermisst wurde, kann das seine Todesstunde gewesen sein.Denn wir haben nie mehr von ihm gehört.

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66 Erinnerungen an den Bruder

Harm-Wulf Greulich

* 27. Juli 1923= 13. Juli 1944

Kriegsgräber stätte Orglandes in derNormandie/Frankreich, Block 20, Reihe 7, Grab 239

Mein Vater Hermann Greulich, geboren am 19. April 1886, gefallen am29. März 1945, fiel als Kompanieführer beim Volkssturm mit 59 Jahrenbei der Verteidigung der Festung Glogau in Schlesien. Er ruht in einemMassengrab auf dem dortigen Garnisonsfriedhof, wie ich vom Volks -bund erfuhr.

Einst waren wir fünf in der Familie und wohnten in Glogau/Schle sien.Den Krieg überlebten nur drei, meine Mutter, meine Zwil lings schwesterund ich. Mein Vater und mein Bruder fielen innerhalb eines Jahres.

Von meinem Bruder Harm-Wulf will ich berichten. Er war zweieinhalbJahre älter als wir Zwillinge. Wir verlebten eine glückliche und unge-trübte Kindheit in der Geborgenheit unserer Familie.

Hermann Greulich (Vater)

* 19. April 1886= 29. März 1945

Von Elgin Loos

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67Erinnerungen an den Bruder

Er war ein guter Schüler mit besonderer Begabung für Zeichnen undMusik, spielte Klavier und Akkordeon, sang viele Jahre im Kirchenchor.1930 wurde er in die Evangelische Knabenvolksschule eingeschult undwechselte 1934 über auf das Evangelische Gymnasium, an dem er 1942das Abitur ablegte. Er wollte Architektur studieren, um später dieNach folge unseres Vaters anzutreten, der selbständiger Baumeistereines großen Baugeschäftes war. Unser Bruder malte und musiziertesehr gern und hatte noch ein weiteres Hobby: Eine Hühnerzucht, in derer reinrassige Hühner züchtete und die er ab seinem vierzehntenLebens jahr eigenverantwortlich betreute.

Wie die meisten jungen Männer damals wartete er nach dem Abiturvoller Ungeduld auf seine Einberufung in die Wehrmacht. Er wollte fürsein Vaterland kämpfen, im Glauben an eine gerechte Sache. SeinWunsch war, Flugzeugführer werden. Dazu musste er sich in Dresdeneiner Taug lichkeitsprüfung unterziehen. Wegen eines leichten chroni-schen Augen leidens wurde er nicht genommen. Spontan bewarb er sichals Fall schirmjäger. In Stendal absolvierte er die Sprin gerschule undtrug von da an stolz das Sprungabzeichen an der Uniform.

Er war ein begeisterter Soldat, kämpfte in Italien bei Monte Cassino,1943 bei der Infanterie an der Ostfront. Nur zweimal bekam er einenkurzen Heimaturlaub. Die Familie stand in reger brieflicher Verbindungmit ihm. Unzählige Briefe und hundert Gramm schwere kleine Feld -postpäckchen gingen an seine Feldpostnummer. Seine Briefe waren vol-ler Hoffnung und Zuversicht. Ausführlich malte er uns aus, was ernach Beendigung des Krieges, nach dem Endsieg, auf den wir total ver-blendet alle hofften, alles mit uns unternehmen wollte. Es waren Luft -schlösser von einer friedlicheren, besseren Zeit.

1944 wurde seine Division nach Frankreich an die Landungsfront ab -kommandiert. Von dort kam, wenige Tage vor seinem Tod, sein letzterBrief, dessen Inhalt verzagt und niedergeschlagen klang. Er schrieb denBrief, in einem Panzerdeckungsloch kauernd bei strömenden Regen,war völlig durchnässt und hatte Hunger.

Am 13. Juli 1944 ist er gefallen. Uns erreichte die Nachricht erst einigeWochen später. Ein „Amtswalter“ in brauner Uniform überbrachte sie.Da habe ich meinen Vater das erste Mal weinen sehen. Unsere Mutterwar zu dieser Zeit zur Kur in Franzensbad. Auch sie und wir Schwes -tern versanken in tiefe Trauer, konnten den Verlust kaum fassen.

Es gab keinen Adventskranz und keinen Christbaum in diesem Jahr.Dabei ahnten wir zu der Zeit nicht, dass wir bald auch unseren Vater

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68 Erinnerungen an den Bruder

und die Heimat und allen Besitz verlieren würden. Auf einem dramati-schen Fluchtweg durch die Tschechei gelangten wir in die Nieder -lausitz, wo wir einige Jahre wohnten, bis wir 1953 nach West deutsch -land flüchteten. Hier bekam unsere Mutter wenigstens eine Kriegs -witwen rente und ich zur Fortsetzung meines begonnenen Studiums füreinige Monate eine Kriegswaisenrente.

So lange unsere Mutter lebte, haben wir auf Nachforschungen nachdem Grab unseres Bruder verzichtet. Erst 1971 schrieb ich eine Anfragenach Kassel und bekam in kürzester Zeit erschöpfende Auskunft übersein Grab auf dem Sol daten friedhof in Orglandes in der Normandie. ImNovember 1971 fuhren wir zum ersten Mal dorthin. Die Glocken dernahen Dorfkirche läuteten, als wir tief bewegt am Grab unseres Brudersstanden. Meine Sohn war damals neun Jahre alt. Er kauerte vor demKreuz seines Onkels Wulf, von dem wir so oft erzählt hatten, und maltees ab.

Die Anlage des Friedhofes passt sich in optimaler Weise in die Land -schaft der Normandie ein. Obwohl Orglandes 1 200 Kilometer vonunserem Wohnort entfernt ist, waren wir mehrmals dort und sinddankbar, dass der Friedhof so gut betreut wird. Zuletzt besuchtenmeine Schwester und ich das Grab im Juli 1994 zum 50. Todestag unse-res Bruders. Wir wohnten in Saint-Lo und gingen durch die Innenstadt,standen erschüttert vor der nur noch zum Teil erhaltenen Kathedrale.Dabei kam uns zum Bewusstsein, welches Ausmaß an Opfern gerade inder Normandie von der Zivilbevölkerung bei den Kämpfen gefordertwurde.

Alles, was wir unseren Kindern und Enkeln eindringlichst weitergeben,lässt sich in drei Worten sagen: Nie wieder Krieg! Darüber hinaus wol-len wir die Erinnerung an unsere gefallenen Angehörigen wach haltenund von Generation zu Generation weitergeben.

Heute ist mein Sohn 37 Jahre alt und hat selbst zwei Kinder. WelcheFreude empfand ich, dass er 1996 das Grab seines Onkels mit seinerFamilie besuchte. Sein eineinhalb Jahre alter Jonathan konnte damalsnoch nicht verstehen, hinter welchem Kreuz er stand. Aber heute weißer es wohl dank unseres Erzählens. So wird das Andenken an unserelieben Toten wachgehalten.

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69Erinnerungen an den Bruder

Heinz Franz Hermann Kirchner

* 28. Februar 1921 in Duisburg= 7. November 1945 bei Flamizoule

Kriegsgräberstätte Recogne-Bastogne/Belgien, Block 8, Nr. 77

Von Inge Kievelitz

Ihre Idee finde ich großartig. Anbei sende ich Ihnen die wichtigstenFakten über meinen Bruder.

Größe: 1,74 Meter, Haarfarbe mittelblond, Augenfarbe blau – er trugeine Brille. Eigenschaften: gutmütig, sportlich, freundlich.

Das machte ihm Freude: Radtouren mit seinem Freund und CousinKonrad, der in Düsseldorf wohnte. In sechs Tagen mit dem Rad bisTrier und zurück. Am ersten Tag schafften sie 162 Kilometer, danach sozwischen 75 und 108 Kilometer. Übernachtet wurde in einer Jugend -herberge, wenn die besetzt war, in einer Scheune oder einem Kloster,auch schon mal in einem Heuschuppen. Die Räder waren schwer bela-den mit Proviant. An Konrads Geburtstag leisteten sie sich eine FlascheWein. Gewaschen haben sie sich in der Mosel oder einem Bach. Erschrieb von Stürzen und heiß gefahrenen Rücktrittsbremsen. Auf jedenFall hatten sie viel Spaß, und gesehen haben sie auch etwas.

Gern erinnere ich mich an unsere Besuche im Freibad. Es war ziemlichweit, und so fuhren wir mit einem Rad. Ich besaß keines und saß daherauf dem Gepäckträger auf den Badesachen. Heinz passte auf Polizistenauf, denn es war verboten Kinder über sechs Jahre auf dem Gepäck -träger mitzunehmen. Kam ein Polizist, musste ich abspringen. MeinBruder fuhr langsam, ich lief sportlich nebenher, bis unser Gegneraußer Sicht war. Dann stieg ich wieder auf, und weiter ging es. Oftkonnten wir auch ungehindert durchfahren. Wir hatten unseren Spaßdabei, und es erhöhte den Reiz des Unternehmens. Unsere Eltern erfuh-ren nichts, denn wir wurden nie erwischt. Die Polizisten hatten seltenein Rad bei sich und wogen meistens mehr als wir beide zusammen.

Mein Bruder Heinz wurde am 28. Februar 1921 in Duisburg-Meiderichgeboren. Die Familie wohnte zuerst in einem Häuschen im Stadtparkund dann auf der Gabelsberger Straße neben der Stadt gärtnerei, wo derVater arbeitete. Im April 1927 kam Heinz zur Volks schule. Er erkrankte

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70 Erinnerungen an den Bruder

le bens gefährlich an Diphterie, Scharlach und eitriger Mittelohrent zün -dung und lag lange im Kranken haus.

1932 zog die Familie nach Duisburg-Wanheimerort, im Süden der Stadt,wo der Vater einen anderen Arbeitsbereich übernommen hatte. Heinzbesuchte hier die Mittelschule, die er mit der Mittleren Reife abschloss.Danach begann er eine Ausbildung als Ver wal tungskaufmann bei derStadt Duisburg. 1940 war diese beendet. Er war nun Inspektoranwärterund auf dem Standesamt Duisburg-Süd tätig, was ihm sehr zusagte. ImNovember musste er zum Arbeitsdienst nach Bad Zwischenahn inOldenburg. Dort wurde draußen auf dem Lande gearbeitet.

Im März 1941 kam er wieder nach Hause und konnte noch kurze Zeitin seinem Beruf arbeiten. Am 5. Mai wurde Heinz zur Wehrmacht ein-berufen und kam zu einer Sanitätsausbildungsabteilung der Luftwaffenach Bonn-Venusberg. Am 15. Juli wurde diese nach Essen-Kupferdrehverlegt. Das war nicht weit von zu Hause, und er konnte mit dem„Kleinen Urlaubsschein“ schon mal Eltern und Schwester in Duisburgbesuchen. Am 24. Dezember 1941 war er bei uns, am ersten Weih -nachtstag und an Silvester auch.

In der letzten Maiwoche 1942 wurde er, für uns ganz plötzlich, nachRussland abkommandiert. Dort wurde Heinz auf verschiedenen Flug -plätzen als Sanitäter eingesetzt, mal im Norden, im Mittelabschnitt oderim Süden Russlands. Zu Weihnachten 1942 hatte er Heimaturlaub.

Im Januar/Februar 1944 gab es noch einmal Urlaub. Im August kamdas Geschwader (Legion Condor) nach Deutschland und wurde teilwei-se aufgelöst. Da die Luftwaffe kaum noch Benzin zum Fliegen hatte,wurden die Soldaten auf andere Einheiten verteilt. Auch Heinz landetebei verschiedenen Einheiten, diese wurden mit der Eisen bahn hin- undher transportiert. Er schrieb immer wenn er Gelegenheit hatte, einenBrief einzuwerfen. Die Post von zu Hause hat ihn wohl selten erreicht,wenn überhaupt.

Im Dezember war er in der Nähe, in Mönchengladbach. Der letzte Briefwar vom 25. Dezember 1944. Da muss er schon in der Nähe der Kampf -handlungen gewesen sein. Danach kam nichts mehr. Er fiel am 7. Janu -ar 1945 bei Flamizoule im Raum Bastogne und ruht heute auf der deut-schen Kriegsgräberstätte Recogne-Bastogne. Seit der Einweihung 1960sind wir jedes Jahr dorthin gefahren. Bis 1980 fuhr ich mit meinenEltern, danach fuhr mein Sohn mit mir. Dem Volks bund Dank für alleMühe und sein Engagement.

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Er war Bombenschütze eines Sturzkampfbombers (Ju 88) imKampfgeschwader „Hindenburg“. Todesursache: RussischerFlakvolltreffer.

Was kann ich über meinen gefallenen Bruder Jakob sagen oder schrei-ben?

Er hat kein Grab! Die Maschine ist restlos verbrannt! Da kann keinKnochen übrig sein! Absturzstelle ist Kolodedesi, westlich von Orel.

Sein letzter Brief war vom 14. August 1942 mit Stempel vom 17. August1942 (Königsberg). Er schrieb: „Wir werden siegen, und wo gehobeltwird, da fallen Späne, und für Großdeutschland zu sterben, dafür lohntes sich schon.“

Persönliche Merkmale: Jakob war ein fröhlicher Mensch, 1,75 Metergroß, dunkelblond und hatte braune Augen. Er war Hitlerjunge undbegeisterter Segelflieger.

Lebenslauf: Er machte eine Lehre des Sattler- und Tapezierer-Hand -werks, der Gesellenbrief ist vom 1. Oktober 1938. Ab dem 2. Oktober1938 arbeitete Jakob in Mainz-Mombach in der Westwaggonfabrik bis

Jakob Robert Heigert

* 7. Juni 1921= 17. August 1942

Von Katharina Lautz

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72 Erinnerungen an den Bruder

zum 17. September 1939. Hier wurden Omnibusse hergestellt, er pol-sterte Sitze.

Wir waren fünf Geschwister, drei Jungen, Jakob, Franz und Georg, undzwei Schwestern, Katharina und Annemarie. Alle sind tot, nur ich, seitdrei Jahren Witwe und 100-prozentig schwerbehindert, bin übrig geblie-ben, heute 76 Jahre alt.

Erinnerungen: Wenn ein Fest in unserem Ort war, gewann mein BruderJakob immer bei der Tombola. Peter, Willi und Jakob waren Freundeund alle sind gefallen im Krieg. Wenn mein Bruder ausging, kam er erstmorgens heim. Dann sagte er immer zu unseren Eltern: „Anstän digeLeute kommen am Tag heim“.

Lustiges Erlebnis: Sein letzter Urlaub war Ostern 1942. Wir waren zudritt, er mit seiner Braut Käthi und ich. Wir speisten gemeinsam imbenachbarten Gasthaus und es fiel ihm seine Gabel auf den Boden. Dasetzte er sich aus Spaß auf den Boden und aß dort weiter.

Seinen Abschied werde ich nie vergessen, wir wohnten in Bahnhofs -nähe und wir gingen beide gemeinsam dort hin. Unterwegs rannte ichnoch schnell heim und holte sein Feuerzeug, das er vergessen hatte. Alswir uns auf Wiedersehen sagten, war seine Gesichtsfarbe kalkweiß. Ermuss seinen Tod geahnt haben.

Als Kleinkind war mein Bruder schwer krank, lag im Krankenhaus mitLungen- und Rippenfellentzündung und weil er vor Heimweh nichtsaß, nahm ihn mein Vater mit nach Hause und sagte: „Wenn der Bubstirbt, dann sterbe ich auch.” Als wir am 3. September 1942 die Todes -nachricht bekamen, starb Vater sechs Tage später, am 9. September 1942.

Weitere Erinnerungen: Zuerst war Jakob in Stendal, er wollte Fall -schirm springer werden. Wegen einer Blinddarm-Operationsnarbewurde er heimgeschickt. Danach war er in der FliegerschützenschuleRahmel über Gotenhafen – Warschau – Oslo.

Sein Flugbuch befindet sich in meinem Besitz. Es begann am 19. Sep -tember 1941 und endete mit Eintragungen am 16. August 1942. Flug 29– rechter Motor zerschossen, 7. August 1942. Frontflug 38 – rechterMotor ausgefallen, Flugdauer 92 Minuten 10. August 1942.

Jakob bekam am 23. Mai 1942 die Frontflugspange in Bronze, am18. Juli die Frontflugspange in Silber. Am 18. Juni 1942 das EiserneKreuz 2. Klasse. Nach seinem Tod am 31. August 1942 wurde ihm das

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Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen. Sein Eigentum, Koffer, Flieger-Schirmmütze und Fliegerdolch, wurde uns zugeschickt.

Im Frühjahr 1999 beauftragte ich den Suchdienst des Deutschen RotenKreuzes mit der Nachforschung nach seinem Verbleib. Am 21. Sep tem -ber 1999 bekam ich ein Schreiben der Deutschen Dienststelle in Berlin.Nach den dortigen Unterlagen gilt er seit dem 17. August 1942 in derehemaligen Sowjetunion als vermisst.

Nun sind 60 Jahre vergangen, aber die Trauer über seinen schrecklichenTod vergeht nicht. Jakob ist unvergessen. Ich habe aber immer noch dieHoffnung, dass seine Erkennungsmarke gefunden wird.

Russland, 19.8.42

Sehr geehrter Herr Heigert!Ein ernster Anlass zwingt mich leider, Ihnen zu schreiben. Ihr Sohn, derGefreite Jakob Heigert, ist am 17. August getreu seinem Fahneneid fürFührer, Volk und Vaterland gefallen. Die Staffel war an diesem Tag zurUnterstützung des Heeres nordwestlich Orel eingesetzt. Ihr Sohn flog inder Maschine von Leutnant Seefried. Sie wurde bei einem An griff auf starkbesetzte russische Stellungen von russischer Flak abgeschossen, kurz nach -dem sie ihre Bomben geworfen hatte, die als Voll treffer in die russischenStellungen einschlugen.

Die Maschine schlug etwa drei km jenseits der eigenen Linien brennend aufund verbrannte restlos. Es ist nicht anzunehmen, dass es einem Besat -zungs mitglied geglückt ist, sich zu retten, die Besatzung wurde wohl durchden Aufschlag getötet. Die Gruppe hat Verbindung mit den Heeresteilenaufgenommen, die in der Nähe der Aufschlagstelle lagen, um Näheres zuerfahren, die Aufschlagstelle ist inzwischen in eigene Hand gefallen. Sieerhalten sofort Nachricht von dem, was ich über das Schicksal, gegebenen -falls Grablage usw. erfahre. Eine Kartenskizze der Aufschlagstelle liegt bei.Ihr Sohn, der Gefreite Heigert, hat sich während der kurzen Zeit, die er derStaffel angehörte, als tapferer Soldat und stets aufrechter guter Kameraderwiesen, seine Besatzung versprach eine der besten zu werden. Noch zweiTage vor seinem Tode war Ihr Sohn wegen seiner tapferen Pflichterfüllungzum E. K. I eingereicht worden. Die Staffel wird ihn und seine mit ihmgefallenen Kameraden stets in ehrendem Gedenken behalten.

Die Staffel trauert mit Ihnen und Ihrer Familie um den schweren Verlust,den Sie, Ihre Frau und Ihre Angehörigen erlitten haben. Möge es Ihnenaber ein Trost sein, dass Ihr Sohn nicht umsonst gefallen sein wird, denn

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74 Erinnerungen an den Bruder

dieser Krieg wird siegreich für Deutschland beendet. Ihr Sohn hat durchsein Opfer aber den Sieg ermöglicht.

Ich bitte Sie, mir den Empfang dieses Schreibens kurz zu bestätigen. FürAnfragen stehe ich gern zur Verfügung. Das Privateigentum Ihres Sohneswird Ihnen, sobald es die Umstände zulassen, zugesandt.

In tiefen und aufrichtigem Mitgefühl grüße ich Sie, sehr geehrter HerrHeigert, und Ihre Frau Gemahlin mit Heil Hitler!Ihr ergebener Karl GebhardtOberleutnant

Russland, den 5.9.42

Sehr geehrter Herr Heigert!Nach längerer Wartezeit kann ich Ihnen leider noch nichts genaues, amtli-ches über das Schicksal der Besatzung Ihres Sohnes mitteilen. DieAufschlagstelle fiel wohl in deutsche Hand, doch wurde sie nach kurzerZeit wieder von den deutschen Truppen geräumt. Die Besatzung und damitIhr Sohn gelten daher als vermisst, doch will ich bei Ihnen mit diesem Wortkeine unnützen Hoffnungen wecken, ich glaube, dass es in Ihrem Sinn ist.

Nach mehreren übereinstimmenden Beobachtungen stürzte das Flugzeugjenseits der Linien nach einem Flakvolltreffer ab und verbrannte nach demAufschlag. Fallschirmabsprung wurde nicht beobachtet. Es ist daher mitallergrößter Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Besatzung einenkurzen und schnellen Tod beim Aufschlag gefunden hat.

Falls Sie den Wunsch haben, mit den Angehörigen der Kameraden IhresSohnes in Verbindung zu treten, lege ich Ihnen deren Adressen bei.Es tut mir Leid, dass ich Ihnen keine bessere Nachricht zukommen lassenkann.

Ich versichere Sie nochmals des Mitgefühls der ganzen Staffel, die um einenguten und aufrichtigen Kameraden trauert.

In tiefen und aufrichtigem Mitgefühl grüße ich Sie, sehr geehrter HerrHeigert,mit deutschem Gruß. Heil Hitler!Ihr ergebener Karl GebhardtHauptmann

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75Erinnerungen an den Bruder

Gerhard Willy Renz

* 12. Dezember 1914 in Plauen= 21. Mai 1940 in Chemery/Frankreich

Kriegsgräberstätte Noyers-Pont-Maugis/FrankreichBlock 2, Grab 2120

Von Irmgard Karl

Mein unvergessener Bruder Gerhard verlor sein Leben bei einemSpähtrupp in Frankreich, kurz vor Kriegsende bei Chemery. Von dieserNachricht erholten sich meine Eltern nicht mehr.

Sein Beruf war Friseur, später arbeitete er in der Schiffswerft vonWismar. Er war sehr musikalisch und bei der Wehrmacht im Spiel-mannszug.

Wir waren sechs Geschwister, fünf Mädchen, Gerhard als einziger Jungewurde von der Familie sehr verwöhnt. Wir verbrachten eine schöneJugendzeit im Elternhaus mit großem Garten. Mein Vater war ein sehrguter Zeichner und Maler, er arbeitete als Theatermaler für die Bühnen -bilder im Plauener Theater. Er wurde dienstverpflichtet, als das Theaterwegen des Krieges geschlossen wurde. Er kam bei einem Bom ben -angriff auf Plauen ums Leben! Meine Mutter starb vor Kum mer.

Wir Schwestern waren ausgebombt – keine Wohnung. Zum Glückwaren wir und unsere Kinder noch am Leben. So trafen wir alle wiederim Elternhaus zusammen, das den Krieg überstanden hatte. Unsere

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76 Erinnerungen an den Bruder

Männer kehrten bis auf einen, der vermisst gemeldet wurde, zurück.Von unserer großen Familie sind nur noch meine jüngere Schwesterund ich am Leben, wie lange, weiß nur Gott!

Mein Bruder war 1,80 Meter groß, hatte braunes Haar, braune Augen,war sehr hübsch, lustig und witzig! Ich kann nur mit Goethe sagen: Erwar edel, hilfreich und gut! Er war ein liebenswerter, hoffnungsvollerjunger Mann, wollte heiraten und Kinder haben. Seine Braut trugschwer an der Nachricht über seinen Tod. Aber so ein Schicksal trafMillionen. Nie wieder Krieg!

Ich glaube er wurde auf einen Soldatenfriedhof umgebettet, aber wo inFrankreich, das weiß ich nicht. Es würde mich freuen, wenn Sie mirdarüber eine Antwort senden könnten.

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77Erinnerungen an den Bruder

Hans Arnold war immer voller Ideen, wie Indianerlager im Wald,Schülerzeitung, Zirkusvorstellungen oder Geld ver dienen durch Ein -kaufen für ältere Leute. Immer war ein ganzer Schwarm Kinder, meistJungen aller Altersstufen um ihn herum. Von der Schule war er nicht sosehr begeistert, aber er schaffte doch acht Klassen Gymnasium. Danachwar er kaufmännischer Lehrling bei der Deutsch-AmerikanischenPetroleumgesellschaft (Standardöl).

Hans Arnold Zaeske

* 27. Juni 1916= 21. Oktober 1944

Kriegsgräberstätte Costermano/ItalienBlock 6, Grab 1146

Wolfgang Zaeske

* 7. November 1926= 9. September 1944

KriegsgräberstätteLommel/Belgien

Block 52, Grab 366

Von Gisela Meichelböck

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78 Erinnerungen an den Bruder

Nach etwa einem Jahr war bei ihm der Entschluss gereift, das Abiturnachzumachen und Offizier zu werden. Mit Hilfe meines Vaters (Matheund Naturwissenschaften) und meiner Mutter (Sprachen) schaffte er essehr bald und gut. Die Frist für seine Bewerbung als Offizier war aberabgelaufen, so musste er den längeren und schwierigeren Weg gehenund sich vom untersten Mannschaftsgrad an bewähren. Er schaffteauch das und kam 1939 auf die Kriegsschule nach Dresden.

Da er immer sehr sportlich war, wurde er ausgewählt, an der Olympia -de 1940 teilzunehmen, aber es kam der Krieg dazwischen und HansArnold war vom ersten Tag an mit dabei, zuerst in Polen, dann inFrank reich und in Russland. Unter Guderian erlebte er den kalten russi-schen Winter und bekam eine schwere Gelbsucht.

Er war inzwischen Hauptmann geworden und hatte immer ein sehrgutes Einvernehmen mit seinen Leuten. Als Letzter ging er in Urlaub,kümmerte sich um jeden seiner Männer und schrieb persönlich an dieAngehörigen. Er war bei seinen Leuten sehr beliebt.

Nachdem seine Einheit in Orel völlig aufgerieben wurde, kam er nachItalien. Hier wurde die Einheit neu zusammengestellt, mein Bruderwurde zurück an den Gardasee abkommandiert, weil er den ganzenKrieg an vorderster Front gewesen war. Es fiel ihm sehr schwer, vonseiner Einheit fort zu müssen, er schrieb es uns mehrmals, wie schwerihm dieses Kommando fiel.

Er wollte nicht weg von seinen Männern und umgekehrt war es dassel-be, seine Männer unterschrieben einen Brief mit: „Die trauerndenHinterbliebenen“.

Hans Arnold hatte am 17. November 1943 geheiratet, es war eine sehrschöne Kriegstrauung gewesen.

Auf dem Weg zum Gardasee stürzte ein Panzer um und begrub meinenBruder unter sich. Er war sofort tot. Es war am 21. Oktober 1944, vierMonate später kam seine Tochter auf die Welt.

Nun möchte ich noch von meinem kleinen Bruder Wolfgang erzählen,geboren am 7. November 1926. Er war zwar größer als ich, er blieb aberder „Kleine“, denn er war sieben Jahre jünger als ich. Wir verstandenuns sehr gut, auch seine Freunde mochten und akzeptierten mich, wassonst bei älteren Schwestern nicht so oft vorkommt. Ich war ja nur mitJungen groß geworden und allen ein guter Kamerad und Kumpel.

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79Erinnerungen an den Bruder

Wolfi war von klein auf sehr beliebt durch seine Kameradschaftlichkeitund Hilfsbereitschaft. Er war ein begeisterter Segelflieger, hatte mitsechzehn Jahren schon alle drei Segelflugscheine, A, B und C und warim Januar 1944 in Erding, um den Motorflugschein zu bekommen.

Im Sommer 1943 machten wir eine Radtour ins Allgäu. Da stür zte ervor meinen Augen mit einem Felsbrocken den steilen Abhang hinunterund blieb knapp vor dem Abgrund liegen, gebremst nur durch einenkleinen hervorstehenden Felsen. Unten hörte man die Felsbrocken auf-schlagen. Uns beiden zitterten die Knie und eine Stunde konnten wirnicht weiter. Er hatte einen Schutzengel, seine Zeit war noch nicht um.

Als der Krieg ausbrach, war Wolfgang zwölf Jahre alt und mein Vatertröstete meine Mutter mit den Worten: „Wir haben ja noch den Kleinen,er muss nicht hinaus.“ Das war ein Irrtum. Als sein Jahrgang dran war,meldete er sich freiwillig zu den Fliegern. Er war groß, blond und blau-äugig und es bestand die Möglichkeit, dass er zur Waffen-SS eingezo-gen würde wie zwei andere aus seiner Klasse. Aber er wollte nur zuden Fliegern.

Als sich mein Bruder Hans Arnold nach der Hochzeit im November1943 verabschiedete, um wieder an die Front zu fahren, stand Wolfilange am Gartentor und weinte bitterlich. Auf unsere Fragen nach demGrund schüttelte er nur mit dem Kopf, sagte dann aber: „Wir gehenauseinander, geben uns die Hand, sagen auf Wiedersehen und wirsehen uns nie wieder.“

Und so war es auch, Wolfgang ging im April 1944 und fiel am 8. Sep -tember 1944 in einer Regennacht, als er Wache hatte, an der Kanal -brücke Aart, am Maas-Schelde-Kanal zwischen Geel und Casterkedurch eine Handgranate, 17-jährig. Er wurde von Engländern begraben.Ein Kamerad von Wolfi hat uns später alles erzählt.

Wolfis letzte Post, mit dem einzigen Foto in Uniform von ihm, kamzum 31. August zum Geburtstag meiner Mutter. Er schrieb darin unteranderem, jetzt wisse er, was es bedeute, so einen guten Vorgesetzten zuhaben wie sein Bruder es sei.

Wir hatten immer zweistimmig zusammen gesungen und gepfiffen. Alser im April 1944 nach Nagold eingezogen wurde und er sich verab-schiedete, fragte ich: „Und wer singt jetzt mit mir?“ Er antwortete: „Ichkomm ja wieder.“ Er kam aber nicht wieder.

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80 Erinnerungen an den Bruder

Hans Arnold schrieb am 9. September 1944 an seine Frau, sein Kame radder 1. Kompanie sei gefallen, aber ihm sei es so, als wäre heute seinBruder gefallen. Wenn er fallen würde, solle man nichts schreiben vonGottes unerforschlichem Ratschluss, sondern er würde sterben getreuseiner Pflicht.

Der Kommandeur von Hans Arnold ließ ihn zu seiner Einheit zurück -bringen und er wurde mit allen Ehren begraben, es war ein großesBegräbnis mit Kameraden und Offizieren, mit Ansprachen und Gesang.

Lange wussten wir nichts von Wolfi, bis dann die Nachricht kam, dasser gefunden und in Lommel beigesetzt wurde. Hans Arnold liegt inCostermano.

Meine Mutter starb vier Jahre später, wohl an Herzeleid. Mit meinemVater und mit meinem Mann und den Kindern waren wir oft an beidenGräbern und ich nahm selbstgebundene Kränze mit.

Meine Brüder sind unvergessen und oft habe ich Sehnsucht nach ihnen.

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81Erinnerungen an den Bruder

Hermann Wilkens

* 12. Februar 1924 in Papenburg/EmsVermisst seit 9. Mai 1944 bei Sewastopol auf der Krim

Ihre Aktion „Erinnerung“ hat mich ermutigt, über meinen gefallenenBruder Gerhard Wilkens, geboren am 18. Nov ember 1920 in Papenburg,gefallen am 15. November 1943 in Godin kowa, bestattet in Worony ander Rollbahn Witebsk-Smolensk und über meinen vermissten BruderHermann Wilkens, geboren am 12. Februar 1924 in Papenburg, vermisstam 9. Mai 1944 in Sewastopol/Krim, einige Unterlagen beizufügen.

Gerhard Wilkens

* 18. November 1920= 15. November 1943 bei Godinkowa

Beigesetzt in Worony an derRoll bahn Witebsk – Smolensk

Von Paula Korte

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82 Erinnerungen an den Bruder

O.U., den 16. Juni 1944

Sehr verehrter Herr Wilkens!Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Sohn Hermannseit dem Einsatz um Sewastopol vermisst wird. Er wurde zuletzt am 9. Mai 1944 in der Nähe des Ölberges bei der Festung Sewastopol gesehenund ist seitdem zu seiner Kompanie nicht zurückgekehrt. Die von hier ausangestellten Nachforschungen haben bisher zu keinem Ergebnis geführt.

Betrachten Sie, verehrter Herr Wilkens, diese Nachricht nicht als end -gültig. Es besteht die Möglichkeit, dass Ihr Sohn während der schwerenKämpfe um Sewastopol krank oder verwundet in ein Feldlazarett überführtworden ist. Falls Sie also aus einem Lazarett eine Nachricht erhalten haben,betrachten Sie meine Mitteilung bitte als erledigt. Ich wäre Ihnen in diesemFalle für eine Nachricht dankbar. Ich und alle Kame raden Ihres Sohnesgedenken Ihrer und Ihrer Familie in herzlicher An teilnahme, die Sie dieschwere Last der Ungewissheit über den Verbleib Ihres Sohnes zu tragenhaben. Mit Ihnen hoffen wir, dass er noch lebt und Ihnen erhalten bleibenmöge. Die Bedeutung des Opfers der von der Krim nicht mehr zurückge-kehrten Kameraden liegt darin, dass sie in entscheidenden Wochen desKrieges dem Ansturm zahlenmäßig weit überlegener Feindkräfte tapferstandhielten und so deren Ein satz an anderen entscheidenden Abschnittender Ostfront unmöglich machten. Sie schützten so die Heimat an entschei-dender Stelle.

Möge Ihnen, verehrter Herr Wilkens, die Gewißheit, dass Ihr Sohn sich imEntscheidungskampf um Großdeutschlands Sieg und Zukunft getreu sei-nem Fahneneide als tapferer Soldat mit dem Leben eingesetzt hat, helfen,die schwere Last zu tragen, die Ihnen das Schicksal auferlegt hat.

In aufrichtigem Mitgefühl grüße ich Sie(L. S.) gez. Martin Ohlbrecht, Leutnant und KompanieführerFeldp. Nr. 16084 D

Oblt. Peters d. 23.11.43.

Sehr geehrter Herr Wilkens!Ich habe die traurige und auch für Sie überaus schmerzliche Pflicht, Ihnenmitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn, der San. Obergefreite Gerhard Wilkensam 15.11.43 gefallen ist.

Seit dem 9.11. stand das Batl. an der Rollbahn Witebsk – Smolensk inschwerem Abwehrkampf und hatte unter beständig schwerem Beschuss fast

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83Erinnerungen an den Bruder

täglich Angriffe abzuwehren. Am 15.11. griff der Russe besonders heftigan, so dass die Komp. erhebliche Ausfälle hatte. Als Ihr Sohn einen Schwer -verwundeten versorgen wollte und sich dazu aus dem Wald heraus auf einefreie Pläne begab und kriechend schon fast bis zu dem Ver wundeten heran-gekommen war, erhielt er einen Kopfschuss und war sofort tot.

Ich weiß, dass Worte bei der Schwere des Verlustes, der Sie betroffen hat,wenig zu sagen vermögen. Es mag aber Ihnen und den Ihren in IhremSchmerz ein Trost sein die Gewissheit, dass auch wir wenigen Überleben-den um einen lieben und allseitig beliebten Kameraden trauern, der in stil-ler, unermüdlicher Pflichterfüllung im Dienst für seine verwundetenKameraden das Höchste gegeben hat, was er einzusetzen hatte, sein Leben.Immer in meiner Nähe habe ich ihn besonders gern gehabt und ich sehenoch seine stolze Freude, als ich ihm einige Tage vorher das EK II an dieBrust heften konnte.

Dass sein und aller unser Toten Opfer nicht umsonst war, dafür haben wirnun einzustehen, wir Lebenden. Zusammen mit seinen toten Kameradenhaben wir ihn am 16.11. in Worony an der Rollbahn Witebsk – Smolenskmit militärischen Ehren zur letzten Ruhe bestattet.

Er wird bei uns, in seiner Kompanie, in der er sich wohl fühlte und der erseinen unermüdlichen Arbeitseifer schenkte, unvergessen sein!

In aufrichtigstem Mitgefühl grüße ich Sie und die Ihren.Ihrgez. J. Peters, Oblt. und Komp. Chef

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84 Erinnerungen an den Bruder

Er war 1,94 Meter groß, blond und hatte blaue Augen. Von uns zehnGeschwistern war er der Zweite. Er spielte Geige.

Nach der mittleren Reife machte er eine Ausbildung bei den Aus bes -serungs werken der Reichsbahn in Duisburg-Wedau. Im September 1944wurde er zum Wehrmacht-Ertüchtigungslager einberufen. Dort verun-glückte er auf einem Lastwagen und lag bis März 1945 in Ander nach imLazarett.

Mitte März 1945 stand er bei Mutter vor der Tür, in Oberhessen. Dahinwar sie mit den jüngeren Geschwistern evakuiert worden. Helmut gingnoch an einer Krücke, hatte sich aber „frontdienstverwendungsfähig“schreiben lassen. Als die Mutter fragte: „Helmut, denkst du, das gehtnoch gut?“, da hat er gesagt: „Mutter, warte mal ab, wenn die neuenWaffen eingesetzt werden. Außerdem ist Vater in Duisburg, und daschießen die Amis schon hinein. Jetzt wird jeder gebraucht.“

Er hatte einen Gestellungsbefehl nach Frankfurt an der Oder. Tagsüberfuhr kein Zug, sie wurden alle beschossen. Ich brachte ihn abends zumBahnhof im nächsten Ort und trug sein Gewehr. Seine letzten Worte anmich waren: „Wenn ich nicht wiederkomme, tröste du die Mutter.“

Er war ein liebenswerter Bruder, aufmerksam und hilfsbereit. MeineMutter hat oft gesagt: „Hätte ich ihn doch festgehalten und versteckt.“Denn einige Tage später waren die Amis da, und der Krieg war vorbei!

Erst im September 1972 erhielt mein Vater die Nachricht von seinemTod, 27 Jahre später! Bis dahin galt er als vermisst. Meine Mutter, dietäglich auf eine Nachricht wartete, erfuhr es nicht mehr. Sie starb 1960.Dabei waren sein Name und die Nummer seiner Erkennungsmarke dieganze Zeit im Kirchenregister von Halbe eingetragen gewesen.

Helmut Peitz

* 27. Januar 1926 in Duisburg= Anfang Mai 1945 südlich von Berlin

Kriegsgräberstätte Halbe/DeutschlandBlock 3, Reihe 3, Grab 367

Von Lydia Littek

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85Erinnerungen an den Bruder

Heinz-Wilhelm (Willi) Henk

* 27. März 1921= 22. August 1941 in Russland

Meine beiden Brüder hingen sehr aneinander. Willi war für den jünge-ren Bruder Robert stets ein Vorbild und wurde von ihm beson dersgeliebt. Ich war die Jüngste, und wir drei verlebten in unseremElternhaus, einem idyllisch gelegenen alten Fachwerkhaus, eine unbe-schwerte Jugend.

Ich erinnere mich gerne an schöne Spaziergänge mit den Eltern, anSchwimmen und Drachensteigenlassen im Sommer. Einmal hattenmeine Brüder ihren roten Drachen an einer langen Schnur im Kirsch -baum festgebunden, und wir konnten ihn vom Sportplatz aus sehen. ImWinter waren sie oft mit den Skiern unterwegs und wir waren manch-mal in Sorge, wenn sie erst bei Dunkelheit nach Hause kamen. Bei unszu Hause wurde viel gesungen und musiziert. Beide Jungen spieltenSchifferklavier und Mundharmonika. Robert hatte eine schöne Stimme.Ich erinnere mich, dass er als Schüler bei einer Weihnachtsfeier in derKirche „Der Mond ist aufgegangen“ sang – nie höre ich dieses Lied,ohne an ihn zu denken.

Willi absolvierte eine Lehre bei der Spar- und Darlehenskasse undRobert eine kaufmännische Lehre bei einer Holz verarbeitenden Firma,beide mit gutem Abschluss. Es sah für unsere Familie alles ganz hoff-nungsfroh aus, aber es kam der Krieg. Unseren Vater erfüllte dies vonAnfang an mit großer Sorge und Zweifel. Er hatte den Ersten Weltkriegmitgemacht und zwei Brüder verloren.

Willi wurde am 21. August 1940 zum Arbeitsdienst und nach wenigenTagen zu Hause zur Panzerdivision nach Büdingen eingezogen. ZurBeerdigung unserer Großmutter am 14. April 1941 erhielt Willi Urlaub,

Robert Henk

* 9. Oktober 1923Vermisst seit April 1944 in Russland

Von Margarete Strickhausen

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86 Erinnerungen an den Bruder

Willi und Robert als Kinder

Robert Henk

Willi Henk

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87Erinnerungen an den Bruder

und so sahen wir ihn Ostern zum ersten Mal als Soldat und zugleichzum letzten Mal. Ihr plötzlicher Tod bewahrte unsere Großmutterdavor, zu erleben, dass ihre vier Enkelsöhne – meine beiden Brüder und meine zwei Vetter – aus Russland nicht zurückkamen.

Willis Truppe wurde Anfang Juni nach Thüringen verlegt. Dort verleb-ten die jungen Soldaten noch einige unbeschwerte Tage. Von dort ginges zum Einsatz zur litauischen Grenze. Wir erhielten sechs kurze Feld -postbriefe von ihm, auch er erhielt Post und kleine Päckchen von zuHause. Dann hörten wir nichts mehr.

Nach langem bangem Warten erhielten wir dann in einen Feldpostbriefseiner Einheit die Nachricht, dass Willi am 22. August 1941 beimAngriff auf Welikije Luki beim Dorf Tichonowa gefallen sei. Die Todes -nachricht traf uns alle schwer, besonders Robert, der erst abends spätnach Hause kam. Als ich ihn weinend in seinem Zimmer traf und ihnzu trösten versuchte, sagte er: „Aber ich sehe ihn doch nie wieder“.Erschüttert hat mich auch der Ausspruch unserer Mutter: „Wenn mor-gens über dem Höllscheid die Sonne aufgeht, muss ich immer denken,sie hat dem Jungen schon auf sein Grab geschienen.“

Am 7. Oktober 1941 wurde Robert dann zum Reichsarbeitsdienst einge-zogen und kam von dort nach einem Jahr zur Wehrmacht. Bis zumNovem ber 1943 arbeitete er auf der Schreibstube, danach wurde er nachRadom/Polen abgestellt. Ende Februar 1944 kam er von dort unverhofftfür einen Tag und eine Nacht nach Hause und besuchte alle Ver wand -ten und Bekannten. Zu einer Tante von uns sagte er: „Ich musste nochmal nach Hause, es konnte gehen wie es wollte.“

Vielleicht hat er von dem bevorstehenden Einsatz gewusst, denn am 9. März 1944 ging es nach Tarnopol. Die Stadt wurde von russischenTruppen eingeschlossen. Nach schweren Kämpfen und in hoffnungs -loser Lage brachen rund 1 500 Soldaten nach Westen aus. Von ihnenkamen nur 55 bei den deutschen Linien an, Robert war nicht darunter.

Der Vermisstenbescheid vom 10. Mai 1944 verschlimmerte unsere schonseit Wochen währende Angst und Sorge. Vom Suchdienst des RotenKreuzes erhielten meine Eltern 1974 ein Gutachten, in dem die Kampf -handlungen in und um Tarnopol und der Ausbruch beschrieben wur-den. Es wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass Robert entwedergefallen oder in der ersten Zeit der Gefangenschaft – noch vor derRegistrierung – gestorben sei.

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88 Erinnerungen an den Bruder

Eine Anzeige in der Zeitschrift „Der Heimkehrer“ brachte uns 1984 eineZuschrift aus Leverkusen. Der Kamerad berichtete uns, dass er bei demAusbruch am 16. April 1944 mit mehreren anderen in Gefangenschaftgeraten sei. Mein Bruder Robert, sagte er, sei auch dabei gewesen. DieGefangenen seien nach Kiew marschiert. Robert sei gesund und unver-letzt gewesen und hätte schwächeren Kameraden Mut gemacht undgeholfen. In Kiew hätten sich ihre Wege getrennt, da er selbst in einLazarett eingeliefert worden sei.

Auch die Öffnung der russischen Archive in den neunziger Jahrenbrachte uns bis jetzt keine Gewissheit. Meine Eltern, die 92 und 95 Jahrealt wurden, haben bis an ihr Lebensende um ihre Söhne getrauert. Auchich trauere noch heute.

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89Erinnerungen an den Bruder

Alfons Wurm

* 18. Juli 1915= 25. April 1944

Von Gisela Mathes

Unser Elternhaus, ein Bauernhof mit 140 Tagwerk im Chiemgau, stehtauf einer Hochebene über dem Trauntal, mit Ausblick aufs Gebirge vomSteinernen Meer bis zur Zugspitze. Unsere Eltern haben am 12. Dezem -ber 1912 geheiratet. Sie bekamen fünf Buben und drei Mädchen. Alfonswar das dritte Kind, der zweite Bub.

Unsere Kindheit war wie bei den meisten Bauernkindern sehr karg,und man musste schon früh zur Arbeit ran und auch mit den Pferdenarbeiten. Alfons ging in seiner Jugend zum Turn- und SportvereinTrostberg. Er wurde mit 17 Jahren Gaumeister des Gaues Rosenheim imRingen und Stemmen.

Später rückte er zur Landespolizei nach München ein. Als Hitler ansRuder kam, wurde die Landespolizei aufgelöst. Alfons ging zur Reichs -wehr. Als die Saar „heimgeholt“ wurde, hatten wir Angst um ihn. Eskam lange keine Post. Gott sei Dank lief aber alles glimpflich ab.

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90 Erinnerungen an den Bruder

Als der Anschluss Österreichs erfolgte, kam Alfons mit einigen Kame -raden nach Salzburg, von wo er öfter heimkam und auch manchmaleinen Kameraden mitbrachte. Das war für uns immer eine großeFreude.

Im Herbst 1938 kam der Anschluss des Sudetenlandes, die Truppenkamen aber bald wieder zurück. Im Frühjahr 1939 ging’s in dieTschechei und Alfons war überall dabei.

Und dann war Krieg. Krieg mit Polen. Mutter kam von der Kircheheim, und sagte, die Leute hätten sie so seltsam angesehen. Nach einpaar Tagen erfuhren wir, dass das Gerücht umging, unser Alfons seigefallen. Die Leute wunderten sich, dass Mutter nicht weinte. Schwarzangezogen ging sie ja immer in die Kirche, von den Strümpfen bis zumhier üblichen Prienerhut. Aber mein Bruder war nicht tot. Ein Sprich -wort sagt: „Ein Totgemeldeter lebt lange“. Alfons aber durfte danndoch nur 29 Jahre alt werden.

Der Polenkrieg ging schnell vorbei. Dann kam der Frankreichkrieg, dawar schon unser Bruder Hansi mit dabei. Wir haben täglich nach demAbendessen für den Schutz der beiden Brüdern gebetet; das großeAbendgebet und zehn Vaterunser.

Alfons heiratete im Dezember 1940. Er brachte aus Frankreich zweiKisten Sekt mit. Die Stimmung auf der Hochzeitsfeier war sehrgedämpft, es wurde nicht getanzt. Im „Weinstüberl“ wurde gesungen:Alfons’ Lieblingslieder „Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen“ und„Im schönsten Wiesengrunde steht meiner Heimat Haus“. EinigeHochzeitsgäste mussten am anderen Tag schon wieder an die Front.Alfons’ Frau lebte weiter bei ihren Eltern. Wenn er auf Urlaub kam,waren sie abwechselnd bei uns oder bei ihren Leuten.

Auch der Frankreichkrieg ging zu Ende. Nach kurzer Verschnaufpausedann der Krieg mit Russland. Viele mussten einrücken, da kamen dannBriefe aus allen Ecken der Welt. Wir freuten uns über jeden Brief undtrauerten aus tiefsten Herzen, wenn einer zurückkam mit dem Ver merk:„Gefallen für Großdeutschland“.

Inzwischen war auch schon mein dritter Bruder Rasso dabei, alsPanzerjäger. Irrtümlich wurde er im März 1942 als tot gemeldet. AberAlfons schickte uns ein Telegramm: „Rasso lebt“. Das Telegramm habenwir heute noch.

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91Erinnerungen an den Bruder

Einmal waren wir in der Küche, die Fenster standen weit offen, daschob sich ein wunderschönes Auto vor das Küchenfenster. Alfons hatteden Auftrag bekommen, einen Wagen für einen General von Wien nachMünchen zu bringen. Er fuhr die Autobahn. Kurz vor Traunstein knurr-te ihm der Magen, da flitzte er schnell die 20 Kilometer nach Hause. Errief: „Mama, hast du was zu essen für einen hungrigen Soldaten?“ UndMutter machte ihm gleich eine Pfanne Ochsenaugen (Spiegeleier).Alfons kam in der Nacht wieder heim, und erzählte, als er den Wagenabgeliefert hatte, wäre der General mit ausgestrecktem Finger auf ihnzugekommen und hätte gesagt: „Sie kenne ich noch. Sie sind derOberfeldwebel Wurm!“ Das hat Alfons sehr gefreut.

Der Krieg ging weiter. Inzwischen war auch der vierte Bruder – Hartl –an der Front. Alfons hat nur einmal heimtelefoniert, Hartl tat dies öfter.Er war bei den „Nachrichten“. Wenn gegen Morgen zwischen 3.00 und5.00 Uhr das Telefon läutete, standen wir alle bei Fuß, wir wussten jawer es war.

Alfons war bei den Vorgesetzten sehr beliebt. Er hat für sie und dieKameraden sehr gesorgt. Als sein Chef eine Ferntrauung hatte, sorgte ermit seinen Kameraden für ein Hochzeitsessen. Kuchen, Braten, roheKartoffelklöße – und das alles auf einem Kanonenofen. Alfons war beiallen der „Papa“. Selbst die Brüder fragten nach „Papa“, wenn sieGelegenheit hatten, bei ihm vorbeizuschauen.

Alfons ahnte, dass er nicht heimkommen würde. Er schickte seinenEhering heim zu uns, aber wir durften es seiner Frau nicht sagen. Er tatDienst auf einem Schiff. An einem Tag sagte er zu seinem Kameraden:„Mir ist heut’ so mulmig, bocken wir unseren Karren auf und pumpendie Schläuche auf“. Sie taten das und aßen noch eine Tafel Schokolade.Dann ging der Höllenzauber los. Die Flieger kamen, bombardierten dasgrößte Schiff von drei Schiffen. Alfons hat es gleich erwischt, das Schiffbrannte. Wir verloren einen vielgeliebten Bruder.

Wir haben viel verloren, und er ist uns unvergessen. Aber wir müssenauch dankbar sein: Von vier Brüdern durften drei heimkommen.

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92 Erinnerungen an den Bruder

Wolf-Dietrich Steinbach

* 25. Oktober 1914= 17. Juni 1940

Kriegsgräberstätte Andilly/FrankreichBlock 14, Reihe 1, Grab 12

Von Ursula Steinbach

Meine drei Brüder im Krieg 1940 – 1945:

Wolf-Dietrich, geboren am 25. Oktober 1914, war der jüngste meinerdrei Brüder und etwas über ein Jahr älter als ich. Wir sind zusammenaufgewachsen und hingen sehr aneinander. Als Kinder wie auch späterals Erwachsene unternahmen wir viel miteinander – zumal wir auchgemeinsame Interessen hatten, wie zum Beispiel Sport. Dieter war einfroher und sehr hilfsbereiter Mensch. Aber durch seinen Wagemutbrachte er mich auch manches Mal in Gefahr. Er gehörte den GoslarerJägern an und dort wurde auch seine Einsatzbereitschaft sehr geschätzt.

Wolf-Dietrich hatte dunkelbraune, wellige Haare und schöne brauneAugen – wie mein Vater. Als wir einer Bekannten aus der Nachbar -schaft sagen mussten, dass er gefallen sei, sagte diese ganz entsetzt:„Diesen schönen Jungen haben Sie Ihnen genommen!“

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93Erinnerungen an den Bruder

Ich habe seinen Tod bis heute nicht überwunden – zumal auch vonunseren gemeinsamen Freunden nur einer zurückgekehrt ist.Meine Mutter gewann dem Leben erst wieder etwas Positives ab, alsHorst (mein zweiter Bruder, geboren 1911 – er war zunächst beiStalingrad als vermisst gemeldet) 1948 aus russischer Gefangenschaftzurückkehrte. Mein Vater, der im Januar 1945 starb, hat dies nicht mehrerlebt. Horst hatte ein Auge verloren und war von einer russischen Ärz-tin operiert worden. Als er nach seiner Rückkehr zu einem deutschenAugen arzt ging, war dieser voll des Lobes über die ausgezeichneteBehand lung des Auges durch die russische Ärztin.

Mein älterer Bruder Hans-Joachim hatte den Polenfeldzug mitgemachtund wurde dann auf die Insel Usedom geschickt und bei der Entwick -lung der V2-Waffen eingesetzt – mein Bruder war Diplomingenieur.Nachdem die Anlagen dort durch englische Flieger zerstört wordensind, wurde in Nordhausen in unterirdischen Anlagen weiter darangearbeitet – eine starke gesundheitliche Belastung. Beide Brüder starbenspäter plötzlich an Herzversagen.

Mein Vater wollte während der Fliegerangriffe auf Hannover nie mit inden Keller gehen. Er meinte, er könne sich nicht in Sicherheit bringen,während seine drei Söhne im Krieg in Gefahr seien. Ich konnte ihn nurdazu bewegen, wenn ich mich weigerte, ohne ihn hinunter zu gehen.

Als ich das erste Mal mit dem Volksbund, Bezirksverband Hannover,nach Andilly fuhr und am Grab meines Bruders stand, hat es langegedauert, bis ich – abgesehen von dem Schmerz, der mich am Grabemeines Bruders übermannte – den tiefen Eindruck, den die endlosenGräberreihen und das Grab für die vielen unbekannten Soldaten amEnde des Friedhofes hinterlassen haben, verarbeitet hatte. Später bin ichnoch zweimal mit dem eigenen Wagen dort gewesen. Heute kann ichaus gesundheitlichen und Altersgründen eine so weite Reise nicht mehrunternehmen. Da ist es ein beruhigender Gedanke und eine großeHilfe, zu wissen, dass der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorgefür die Gräber der Gefallenen sorgt. Dafür bin ich sehr dankbar.

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94 Erinnerungen an den Bruder

Erwin Albrecht

* 21. Juni 1919 in Frankfurt am Main= 20. Juli 1944 bei Chiltschizy

Von Else Albrecht

Nun stehe ich da, wo du zuletzt gelebt, gekämpft, gehofft hast, meinBruder: Am Ortsausgang von Chiltschizy, in der heute unabhängigenRepublik Ukraine, die zu deiner Zeit Galizien hieß und zu Sowjet -russland gehörte. Ich kam, um zu sehen, was du zuletzt gesehen hast.Die Landschaft hat sich nicht verändert seit 1944, wie die 90-jährigeZeitzeugin sagt, die noch in ihrem abseits des Dorfes liegenden Häus -chen wohnt. Ihr Sohn, der damals zwei Jahre alt war, ist gestorben.

Vier deutsche Divisionen, erinnert sie sich, waren auf dem Rückzugdurch das Dorf gezogen. Der Koch hatte seine Küche neben ihrem Hausund wohnte im Haus. Alle Offiziere, die das Essen für ihre Leute orga-nisierten, kamen auf ihr Grundstück. Sie glaubt, dass viele, vieleSoldaten in dem gegenüber liegenden Wald begraben sind. Die Dorf -bewohner haben sie dort – oftmals mit bloßen Händen – beerdigt.

Und Erwin? Er hatte die Regimentsspitze zu führen, aus derUmklammerung durch die Sowjetarmeen. Er sprang also als erster ausder Deckung und gab das Angriffssignal mit dem linken Arm. Auf deneinzeln stehenden Kiefern vor dem Waldrand saßen russische Scharf -schützen, die sofort seine Handschlagader durchschossen. Als seinMelder vom Feldverbandsplatz zurückkam, hatte er zusätzlich einenKopfschuss.

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95Erinnerungen an den Bruder

Wo und ob du begraben wurdest, mein Bruder, habe ich nicht erfahren.Jener Melder, der unsere Eltern besuchte und ihnen deine Erkennungs -marke, Orden und sonstige Habseligkeiten überbrachte, vermutete,dass das Schlachtfeld von den Russen aus Zeitdruck überwalzt wurde.

Du durftest – obwohl noch 25 Jahre jung – nicht leben.

Aber ich bin froh, dass ich dich aufsuchen konnte, nach so vielen Jahrender vergeblichen Recherchen nach dem Ort Chiltschizy, der mit seinenfünf verschiedenen Schreibweisen die Suche erschwerte.

Die unendliche Weite der ukrainischen Ebenen atmet so viel Stille. Ichsehe sie nun vor meinem inneren Auge, dank der Reise zu dir mit demVolksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Ich bin aufs neue mit direng verbunden, wie damals auf dem Hanauer Bahnhof, wo der Trup -pen transportzug dich für immer nach Russland entführte.

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96 Erinnerungen an den Bruder

Rudolf Schulz

* 16. April 1918Vermisst seit dem 6. Juli 1942

Von Christa Schlüter

Rudolf wurde als drittes von fünf Kindern im April 1918 in Halle/Saalegeboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Halle und besuchte dort dasStadtgymnasium. Er wählte den naturwissenschaftlichen Zweig. DasLernen fiel ihm leicht, aber er war auch ein guter Sportler. Seine Leiden -schaft war das Zeichnen.

Nach dem Abitur kam er für ein halbes Jahr zum Arbeitsdienst. An -schließend leistete er bis Kriegsausbruch seine zwei Jahre Wehrdienstbei der berittenen Artillerie in Naumburg ab. Kurz nach Kriegsaus -bruch meldete er sich als Aufklärungsflieger zur Luftwaffe. Nach derAusbildung zum Flieger, bei der sein bester Freund abstürzte, kam ernach Frankreich, dann an die Ostfront: Rumänien, Bulgarien, Russland.

Am 6. Juli 1942 kehrte er von einem Aufklärungsflug in der Nähe vonLiwny (Russland) nicht zurück und ist seitdem vermisst.

Lieber Rudolf,

heute ist dein Geburtstag und ich denke an dich. Mit Freude würde ichdir heute gratulieren. Aber vor nunmehr 60 Jahren kam ein Brief, indem stand das schreckliche Wort „vermisst“. Seitdem suchen dichmeine Gedanken vergeblich irgendwo in Russland. Du bist von einemBeobachtungsflug nicht zurückgekehrt: Abgestürzt? Abgeschossen?Tot? In Gefangenschaft? Deine Staffelkameraden haben nach euremFlug zeug gesucht. Die ganze Gegend sind sie abgeflogen, vergeblich!Dein Einsatz war über besiedeltem Acker gelände. Warum hat man nichtwenigstens die Trümmer des Flug zeuges entdeckt?

Heute wärst du 84 Jahre alt. In meiner Erinnerung lebst du als der 24-jährige. fröhliche, junge Mann, den wir liebten. Da stehst du vor mir,

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97Erinnerungen an den Bruder

leicht an den Türrahmen der geöffneten Esszimmertür gelehnt, schonhalb im Aufbruch, und hörst dir dein Lieblingslied an, das vom „AltenCowboy“ von den Comedian Harmonists. Bei jedem Abschied legtestdu diese Platte aufs Grammophon – auch bei deinem letzten.

Du warst viereinhalb Jahre älter als ich. In der Kindheit ist das viel.Später verwischt sich der Abstand. Aber von unserer Schwester Hannitrennten dich nur elf Monate. Ihr wart wie Zwillinge: gemeinsame Kon -firmation, gemeinsame Tanzstunde, gemeinsame Freundschaften. Han -ni erzähltest du deine Erlebnisse, Schulstreiche und auch mal Liebes -kummer. Ich hörte oft mit, denn Hanni und ich teilten ein Zim mer.Manchmal, wenn Hanni krank war, kamst du vorm Schlafen gehen nochan ihr Bett und hast auf der Mundharmonika gespielt. Du spieltest sehrgut.

Du warst ein guter Sportler und ein guter Tänzer und du gefielst denMädchen. Eine Geschichte habe ich bis heute nicht vergessen: Es warwenige Wochen vor deinem Abitur. Du gingst mit einer Freundin ander Saale spazieren und ihr habt deinen Lateinlehrer getroffen. Amnächsten Tag sprach der dich daraufhin im Schulflur an und warnteernsthaft: „Schulz, das Abitur macht man nicht mit dem Herzen, dasmacht man mit dem Verstand!“

Dass es dir an Verstand nicht mangelte, hast du bald darauf im Abiturbewiesen. Mit den besten Noten des Jahrgangs bekamst du einen Preis.Von deiner Prüfung in Mathematik hast du uns lachend erzählt: DerSchulleiter wollte zum Ende der Prüfung kommen, aber dein Lehrerwollte mit seinem Schüler glänzen. „Noch eine Frage, Herr Direktor,noch eine Frage!“, bat er immer wieder.

Im Arbeitsdienst bist du ungern gewesen. „Keine gute Atmosphäre“,das war deine Meinung. Dagegen gefiel dir der Dienst bei der beritte-nen Artillerie gut, auch wenn es ein harter Dienst war. Du warst Fahrer,und wenn die Kanoniere Feierabend hatten, musstet ihr Fahrer erst eurePferde versorgen. Aber du liebtest deine zwei Pferde.

Aus dieser Zeit fällt mir eine Geschichte ein, die typisch für dich ist: Beieinem Manöver wurdest du auf einem Bauernhof einquartiert. Beimgemeinsamen Mittagessen aß die Familie aus einer Schüssel, aber dirhatten sie extra einen Teller hingestellt. Du jedoch hast den Teller beisei-te geschoben und erklärt: „Wenn Sie es erlauben, möchte ich gerne ausIhrer Schüssel essen.“ Und von da an hattest du bei den Bauersleuteneinen dicken Stein im Brett. Ja, genauso warst du. Selbstsicher undzugleich taktvoll, dazu begabt mit viel Humor.

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98 Erinnerungen an den Bruder

Als der Krieg ausbrach, warst du gerade fertig mit deinem zweijährigenWehrdienst. Nach dem Willen deiner Vorgesetzten solltest du inNaumburg als Ausbilder bleiben. Aber das passte dir nicht. Auf keinenFall wolltest du daheim einen „ruhige Kugel schieben“, während deineFreunde an der Front ihren Kopf hinhalten mussten. Darum hast dudich bei der ersten Gelegenheit als Artilleriebeobachter zur Luftwaffegemeldet.

Was hast du damals im Krieg gedacht? Du warst solch ein Idealist. DieMenschen die du liebtest, dein Vaterland, uns wolltest du beschützenund verteidigen. Das weiß ich aus vielen Gesprächen mir dir. Undmanch mal bin ich heute fast froh, dass dir die Enttäuschung und Ver -zweif lung erspart blieb, die wir nach dem Krieg durchlebten, als wirvon Verbrechen erfuhren, von denen du und ich damals nichts ahnten.

Bei deinem letzten Heimaturlaub musst du geahnt haben, was auf dichzukommt. Als wir beide vor deiner Abfahrt allein am Fenster standen,sagtest du zu mir: „Wenn ich nicht zurückkomme, dann tröste du dieEltern, dann war mein Leben erfüllt.“ Mit diesem Satz meintest dumehr als die soldatische Pflichterfüllung. Du glaubtest, dass Gott jedemMenschen für dieses Leben eine bestimmte Aufgabe zugedacht hat.Dieses innere Wissen machte dich ruhig. Und so habe ich das späterunseren Eltern weitergesagt.

Noch eins muss ich nachtragen: Unsere Eltern haben bis 1956 in Halleauf dich gewartet. Erst dann sind sie zu unserer ältesten Schwester nachMünchen gezogen. Bis dahin haben sie immer noch gehofft, du könn-test doch noch leben. Und du solltest auf keinen Fall vor fremder, ver-schlossener Tür stehen, falls du heimkämest.

Lieber Rudolf, was so oft an Gräbern gesprochen wird, ich rufe es dirheute in eine unbekannte Ferne zu: Du bist nicht vergessen.

Deine Schwester Christa

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99Erinnerungen an den Bruder

Brief von Rudolf Schulz an seine Eltern aus Russland vom 6.7.1942 –am Tage seines letzten Fluges:

Liebe Eltern!Diesmal bin ich nun mit dabei. Seit einigen Tagen ist’s mit der Ruhe -stellung vorbei. Immerhin ist seit den ersten Tagen mit Regen jetzt schönesWetter, so dass es sich in den Zelten gut leben lässt. Wir wohnen zu 15 ineinem großen Zelt, in dem wir sogar aufrecht gehen können. Seit gesternhabe ich sogar einen Strohsack, so dass ich nicht mehr nur auf meinerZeltplane schlafe. Zwei Tage lang war meine Erkältung sehr unangenehmmit Kopf- und Ohrenschmerzen, so dass ich nicht fliegen konnte, aber nunist nur noch ein mittlerer Schnupfen geblieben, der auch schon im Abflauenist.Sonst geht es mir sehr gut und ich fühle mich sehr wohl. Die Verpfle gungist immer noch recht ordentlich. Gestern habe ich mit meinen Kameradenein Huhn gekauft und zum Abendbrot gebraten. Würde euch auch schme-cken, was?(...)Ein Sommerbärtchen, so ein kleines auf der Oberlippe, bin ich auch wiederim Begriff mir zuzulegen. Zum Zeichnen werde ich wohl vorerst wenigkommen.Wie geht es euch? Wenn der Brief eintrifft, wird der Urlaub schon bald ransein. Post ist jetzt rar, denn die Eisenbahn hat anderes zu transportieren.Luftpost gibt’s für uns immer noch nicht. Na, mir geht’s immer gut undschlechte Nachrichten gehen ja meist sehr schnell. Also keine Sorge, wennmal die Post ausbleibt.

Viel Vergnügen für den Urlaub und herzliche Grüße,Euer Rudolf

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101Erinnerungen an den Onkel

Erinnerungen an den Onkel

Günther Kiesel

Joachim Methner

Gerhard und Otto Thräner

Kurt Mann

Hugo Bornmann

Alfred Krämer

Bernhard Koss

Erwin Schwambach

Max Leo Müller

Aloysius Inderdühnen

von Rolf Kiesel

von Dr. Margarethe Sitz

von Paul Koss

von Jörg Jacob

von Monika Müller

von E. Inderdühnen

von Gerhard Konrad

von Gerhard Methner

von Frank-M. Mann

von Hildegard Koch

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102 Erinnerungen an den Onkel

Die deutschen Soldaten, die den Befehlen gehorchten, weil sie aus demVerständnis dieser damaligen Zeit und ihrer Erziehung heraus demStaat und dem Prinzip „Befehl und Gehorsam“ vertrauten, darf manbei Betrachtung der heutigen Erkenntnisse und Erfahrungen nicht vor-schnell, undifferenziert und ungerecht verurteilen.

Mein Onkel Günther machte in Hannover eine kaufmännische Lehreund wurde nach seiner RAD-Zeit im April 1944 der Schnellen Ab -teilung 509 in den Niederlanden zugeteilt. Sein Bruder Rolf war bereitsseit dem 15. Juli 1942 als 20-jähriger Schütze vor Woroschilowgrad ver-misst. Rolf konnte bei einem Gegenangriff der Russen, verwundet aufdem Schlachtfeld liegend, nicht zurückgebracht werden. Bei der Rück -eroberung konnte er nicht mehr gefunden werden. Seine Kameradengingen später in Stalingrad mit der 6. Armee unter. Ich hoffe nochheute, dass die Erkennungsmarke meines Onkels Rolf gefunden wirdund der Volksbund ihm ein würdiges Grab geben kann.

Nach der Landung der Alliierten und dem Chaos in Frankreich schafftees Günther, sich im September 1944 mit einigen Kameraden nachDeutsch land zurückzuschlagen. Was noch an Resten der Schnellen Ab -teilung 509 übrig war, wurde der Panzer-Lehr-Division eingegliedert.

Es folgte eine Verlegung in den Hunsrück. Günther wurde als Unter -offizer (ROB) mit 19 Jahren Zugführer. Notdürftig mit jungen kampf -

Günther Kiesel

* 13. November 1925= 26. November 1944

Von Rolf Kiesel

Günter im Mai 1944 als Gefreiter (ROA)

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uner fahrenen Männern aufgefüllt und mangelhaft mit Fahrzeugen undschweren Waffen ausgerüstet, ereilte die Division am 22. November1944 der überstürzte Abmarschbefehl und er schrieb an meineGroßeltern und meinen Vater sein letztes Lebenszeichen:

„Liebe Eltern, lieber Henry! Es ist 0.30 Uhr. Wir sind gerade im gemüt -lichen Kreis beim Tanzen, da kommt ein Melder vom Bataillon: Sofort fertigmachen. Abmarsch noch heute Nacht, Richtung Front (Saarlautern). Willeuch nur kurz benachrichtigen. Keine Angst, wenn ihr längere Zeit keinePost bekommt. Wird schon alles gut gehen. Meine Einheit ist 5. Komp./2.Batl./Pz.Gren.Lehr.Rgt. 901 für evtl. Anfragen. Alles Gute, in Gedankenbin ich bei euch, in der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen. EuerGünther.“

Meine Großeltern erhielten erst am 18. Januar 1945 die Todesnachrichtmit folgendem Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Kiesel! Als Kompanieführer Ihres Sohnes und unseresKameraden, Uffz. Günther Kiesel, habe ich die traurige Pflicht, Ihnen mit-zuteilen, dass Ihr Sohn am 25.11.1944 durch Granatsplitter am Ober -schenkel schwer verwundet wurde. Er wurde von seinen Kameraden sofortzum Hauptverbandsplatz Oermingen Krs. Zabern geschafft. Erst jetzterhielt ich die Nachricht von der San. Kompanie, dass Ihr Sohn dort am sel-ben Tage an den Folgen seiner schweren Ver wundung verschieden ist. IhrSohn, unser lieber Kamerad Günther, war bei allen Vorgesetzten undKameraden sehr beliebt. Die Kompanie verliert in ihm einen ihrer bestenKameraden. Wenn wir einerseits in stiller Trauer seiner gedenken, so sindwir andererseits stolz auf ihn, der sein Bestes und Höchstes gab, um seinesoldatische Pflicht fürs Vater land, für eine bessere Zukunft und Freiheit, zuerfüllen. Ebenso sind unsere Gedanken teilnehmend bei Ihnen, den Elternunseres Kame raden. Er und seine Kameraden, die bei den schweren Kämp -fen bei Hirschland (Elsass-Lothringen) fielen oder verwundet wurden,haben insbesondere dazu beigetragen, einen weiteren Schritt zum sieg -reichen Ende dieses großen Ringes zu tun. Er fehlt in unserer Mitte, wirdaber in unseren Gedanken immer unvergessen bleiben. Die Kameraden bet-teten ihn auf dem Heldenfriedhof im Garten des Gemeinde hausesOermingen unter allen militärischen Ehren zur letzten Ruhe. Möge ihmdie fremde Erde leicht werden. Nach diesem großen Ringen werden sichunsere Fahnen in Ehrfurcht vor diesen Helden neigen, zu denen nun auchIhr Sohn gehört … In teilnehmendem Gedenken …“

Über 50 Jahre nach Kriegsende habe ich durch Nachforschungen nachmeinen gefallenen und vermissten Angehörigen von einem ehemaligenKameraden über Günthers letzte Stunden folgendes erfahren:

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104 Erinnerungen an den Onkel

„Das Regiment sollte bei Hirschland angreifen, da der Amerikaner durchge-brochen war. Am 25. November 1944 erreichten wir den Bereitstellungs -raum. Ich lehnte mit Günther an einem Panzer und er sagte zu mir, dasswir noch eine Zigarette rauchen sollten, obwohl wir Nichtraucher waren.Als ob er geahnt hat, dass es seine letzte Zigarette sein würde. Zur Unter -stützung unseres Angriffs sollte Artillerie feuern, was jedoch ausblieb. Dawir Grenadiere keine Fahrzeuge hatten, wurde der Angriff auf Panzern auf-gesessen gefahren. Insgesamt hatten wir vier Panzer. Es entwickelte sicheine Panzerschlacht und während des Kampfes wurde ein anderer Uffz. ver-letzt. Günther und ich sowie zwei weitere Kameraden sprangen sofort zuihm, legten den Ver wundeten in eine Zeltbahn und zogen ihn durch die tie-fen Panzer spuren zurück. Der 25. November 1944 war ein regnerischerTag. Kurz bevor wir über eine sichere Anhöhe kamen wurde Güntherschwer verwundet. Ich lief sofort zu ihm, um ihm zu helfen. Als ich ihm dieHose und das Hemd aufknöpfte sah ich, dass er schwerste Verwundungenerlitten hatte. Ich ahnte, dass er es nicht schaffen würde. Notdürftig drückteich ihm das Verbandsmaterial auf die Wunde und sorgte dafür, dass er zumSanitätsplatz kam. Kurze Zeit später wurde auch ich schwer verwun det.“

Mein Onkel verstarb in der Nacht zum 26. November 1944. Er liegtheute auf dem vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gepfleg-ten Soldatenfriedhof Sandweiler in Luxemburg. Jährlich besuche ich mitmeiner Frau und, wenn möglich, meinen Eltern sein Grab. Trauer undStolz auf seinen Mut, seine Tapferkeit und seine Angst, die er durch-stand, verbinden meine Gedanken.

Wir, die wir nach dem Krieg geboren wurden, haben die Pflicht, unse-ren ehemaligen Soldaten Ehre zu erweisen und den Gefallenen undVermissten ein ehrendes Andenken zu bewahren, denn sie haben aneine gute Sache geglaubt und sind dafür in den Krieg gezogen. DemGroßteil der 18 Millionen deutschen Soldaten war nicht klar, in wel-chem politischen Spiel ihr Leben eingesetzt wurde.

Die Arbeit des Volksbundes ist für mich eine ganz besonders wichtigeArbeit, denn sie gibt uns die Möglichkeit, unserer gefallenen Soldatenzu gedenken und daran zu erinnern, wieviel Leid Kriege bringen. DieseArbeit schafft Versöhnung vieler Nationen, über diesen Soldaten grä -bern. Ein kleiner Trost, dass die vielen Opfer doch nicht ganz umsonstwaren. Ich danke Ihnen persönlich für Ihren Einsatz und vielleicht kannich zukünftig einmal ehrenamtlich für den Volksbund tätig sein undhierdurch mehr tun als einen jährlich bescheidenen finanziellen Beitragzu leisten.

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Joachim Methner

* 17. Mai 1918 in Königsberg/Ostpreußen = 7. Mai 1945 als U-Bootkommandant

Name verzeichnet am U–Boot–Ehrenmal in Kiel-Möltenort

Von Gerhard Methner

Ich habe Onkel Joachim (Achim) nicht persönlich kennengelernt. Vaterberichtete gelegentlich über ihn, wenn auch kurz. So muss ich aus derErinnerung erzählen.

Onkel Joachim war ein schlanker, gut aussehender Mann, gut 1,75 Metergroß, dunkelhaarig, mit scharf geschnittenem, markantem Gesicht undoffensichtlich der Schwarm der Frauen. So soll die Familie froh gewesensein, dass er zur See fuhr, denn er hatte in der Damenwelt – auch derVerwandtschaft – einige Verwirrung angestiftet.

Am 7. Mai 1945 soll er als Kommandant beschlossen haben, sein U–Bootsamt Besatzung nach Dänemark zu überführen, um sich internieren zulassen. Bei der Ausfahrt aus der Flensburger Förde soll das Boot voneiner englischen Fliegerbombe getroffen und versenkt worden sein.Meine Tante schrieb mir neulich, dass der Ort der Versenkung die

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Flensburger Reede gewesen ist. Von der Besatzung hat niemand über-lebt. Die Namen der Crew sind am U–Boot–Denkmal in Kiel-Möltenortauf einer Gedenktafel vermerkt.

Bliebe noch eine Episode zu ergänzen, von der meine Tante Rosemarieberichtet:So hat Onkel Joachim ein dem Kaiserhaus wichtiges Hirschgeweih ausOstpreußen gerettet, indem er es am Heck des U–Bootes befestigt inden Westen brachte. Dieses Geweih soll im Ostpreußen–Museum inLüne burg ausgestellt sein. Prinz Louis Ferdinand von Preußen hat die-sen Vorgang erwähnt, wenn auch der Name meines Onkels unrichtigwiedergegeben ist.

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Ich selbst bin die Tochter von Alfred Krämers ältester Schwester. Ichwurde 1939 geboren und kann mich nur dunkel an meinen Onkel erin-nern. Er muss mich sehr gern gehabt haben, und von seiner vielseitigenBegabung durfte ich mehrfach profitieren: Mit seiner Leica machte ervon mir die schönsten Kinderfotos, als guter Zeichner malte er für michwunderschöne Bilder, und die Laute, die er als begeistertes Mitglied derkatholischen Jugendbewegung gespielt hatte, kann ich heute noch spie-len und halte sie als Erinnerungsstück in Ehren.

Alfred Wilhelm Krämer wurde als achtes von zehn Kindern desMaurer meisters und Bauunternehmers Viktor Krämer und seiner FrauWilhelmine geb. Schädel in Neckarsulm geboren.

Er erlernte das Maurerhandwerk und wurde für kurze Zeit vom Militärbeurlaubt, um 1942, nach weniger als drei Monaten Vorbereitung, dieMeisterprüfung ablegen zu können. Auf ihm ruhten die größten Hof f -nungen seiner Eltern und Geschwister: Er verstand es, in der Familiebestehende Spannungen auszugleichen, er sollte seiner seit 1941 verwit-weten Mutter einen angenehmen Lebensabend sichern und das Bau -geschäft im Einvernehmen mit seinem älteren Bruder weiterführen.Sein Wunschtraum, mit 30 Jahren selbst eine Familie zu gründen, hatsich nicht erfüllt.

Seit dem 26. August 1939 war er Soldat, wurde 1940 Feldwebel, 1941Oberfeldwebel. 1940 nahm er am Westfeldzug teil, im Juli wurde er andie Ostfront verbracht. Am 24. November 1942 erlitt er bei Stalingradeinen Durchschuss vom rechten Ohr zur linken Nasenhälfte. Nach demLazarettaufenthalt in Oberschlesien einigermaßen wieder hergestellt,war er ab September 1943 an der Front bei Witebsk und wurde am 4. Dezember 1943 nach einem Durchschuss knapp oberhalb der Nierebis Juli 1944 kampfunfähig. Mit einem neuformierten Pionierbataillonkam er im September an die Westfront in die Gegend von Aachen. Dortfiel er am 18. November 1944.

Alfred Wilhelm Krämer

* 23. März 1914 in Neckarsulm= 18. November 1944

Kriegsgräberstätte Ysselstein/Niederlande Block I, Reihe 11, Grab 252

Von Dr. Margarete Sitz

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Ein Kamerad schreibt im Februar 1945 über die näheren Umständeseines Todes:

„… Wir bauten damals eine 60-Tonnen-Brücke in der Nähe von Geilen -kirchen. Die Brücke war noch nicht fertig, da trat der Ameri kaner am17. November zum Großangriff an. Noch in der Nacht kam für uns Bereit -schaft. Am Vormittag des 18. November sollten wir dann in Stellunggehen. In Abständen gingen wir einzeln vom Schloss weg, wo wir lagen.Am ersten Waldeck wurde Halt gemacht. Da sollten wir näher unterwiesenwerden. Wir waren 40 Mann und standen alle auf einem Haufen beisam -men. Da gab es plötzlich einen Kracher, und ich konnte vor Staub undDreck nichts mehr sehen. Ich brauchte mich nicht lange zu besinnen, umzu wissen, was los war. Wir hatten einen Voll treffer bekommen: sechs Tote,drei Schwer- und Leichtverwundete. Der Oberfeldwebel hatte einen Splitterins Gesicht und durch den Hals bekommen. Er wollte noch einmal hoch,kam jedoch nur auf die Knie. Das Blut trat aus den Wunden, und seinSchreien wurde allmählich zu einem Röcheln. Er brach dann vollendszusammen und verschied nach wenigen Minuten. Er wurde sofort miteinem Wagen zurückgefahren und auf einem Heldenfriedhof beerdigt.“

1950 wurde Alfred Krämer auf den Friedhof Ysselstein umgebettet, erruht heute in Block I, Reihe 11, Grab 252.

Seine Gedanken über den Krieg, die er Herbst 1943 an der Ostfront nie-derschreibt, erscheinen mir wert, überliefert zu werden:

„Wir als Pioniere arbeiten mit allen Kräften am Ausbau der Stellung,damit es der Infanterie gelingt, den Russen wenigsten über Winter aufzu-halten. Sogar Frauenbataillone arbeiten jetzt mit. Vorgestern sollen allegeweint haben (wenig Kleidung – in der Nacht in offenen Scheunen oderStrohhaufen!). Wenn ich denke, dass ein solches Schicksal auch einmaldeutsche Frauen treffen könnte! … Wir müssen ja den Krieg gewinnen unddürfen ihn nicht verlieren. Wehe uns, wenn es einen Richter gibt, der vondieser Generation schon Sühne fordert.“

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Die Heeresleitung teilte meiner Mutter 1944 mit, dass ihr Bruder (meinOnkel) Erwin Schwambach vermisst sei. Der zuletzt bekannte Einsatz -ort lag irgendwo in Holland. Eine Todesnachricht erhielten wir nicht. Erblieb auch nach Kriegsende verschollen. Mein Vater war vor Kriegsendevon Griechenland zur Front nach Holland versetzt worden; über denAufenthalt meines Onkels wusste er aber auch nichts.

Ein Kamerad aus der Kriegsgefangenschaft in England wurde nach ihmentlassen. Durch Briefkontakt stellten sie fest, dass sie nur rund 150 Ki -lo meter voneinander entfernt wohnten. Mein Vater besuchte ihn aufeiner ausgedehnten „Hamsterfahrt“ kurz vor Weihnachten. Am Abendwurden Familien- und Kriegsfotos angeschaut. Da entdeckte mein Vaterauf einem Gruppenfoto meinen Onkel. Sein Gastgeber bestätigte ihm:„Ja, das ist der Schwambach Erwin. Ich habe ihn in Holland begraben.“Sie lagen nach seinen Angaben den ganzen Tag unter Flammenwerfer -beschuss, im Erdreich eingegraben. Mein Onkel soll es nicht mehr aus-

Erwin Schwambach

* 2. Juni 1909= 11. Oktober 1944

Kriegsgräberstätte YsselsteinBlock W, Reihe 2, Grab 47

Von Jörg Jacob

Mein Onkel rechts auf dem Bild, August 1941

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gehalten und versucht haben, in den Schutz eines Dammes zu kommen.Den Weg schaffte er nicht mehr. Mich erschütterte diese Er zählung sehrund ich weinte nächtelang. Meine Eltern wussten nun aber, dass keineHoffnung mehr bestand. Wir begannen, nach seinem Grab zu suchen.Anfragen beim Roten Kreuz blieben erfolglos. Wir suchten vergeblichim Umfeld des genannten Dorfes nach Gräbern.

Erst Anfang der 80er Jahre bekamen wir Nachricht, dass mein Onkelauf dem Soldatenfriedhof in Ysselstein, nahe der deutschen Grenze,begraben sei. Er war von Südholland hierher umgebettet worden.

Vier Jahre später kam ich beruflich in die Nähe in Weeze, nicht weit vonder riesigen Anlage entfernt. Bei meinem ersten Besuch war ich so er -schüttert wie damals als Jugendlicher bei der Nachricht vom Tod mei-nes Onkels. Jetzt stand ich vor über 30 000 Kreuzen. Der Kreis hatte sichendlich geschlossen, nach fast vierzig Jahren. So hatte ich über Jahrehinweg Gelegenheit, das Grab zu besuchen, um meinem Lieblingsonkeldie letzte Ehre zu erweisen. Leider konnten meine Eltern, aus Alters -gründen und der langen Anreise wegen, nur noch einmal dorthin fah-ren.

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Bernhard Koss

* 27. Januar 1917 in Hindenburg = vermutlich 12. Januar 1945 vor dem Baranow-Brückenkopf

Von Paul Koss

Persönliche Merkmale:Größe: etwa 1,72 Meter,Haarfarbe: dunkelblond, gescheitelt, zurückgekämmt,Augenfarbe: blau-grau,Figur: schlank, Gesicht oval.Besondere Eigenschaften: still, in sich gekehrt; Hang zum Mystischenund zum Dichten.

Dies ist die kurze Lebensgeschichte eines jungen Deutschen, der in denschrecklichsten aller Kriege ziehen musste, nur weil die Politiker derWelt es so wollten. Er hat sich in Nichts aufgelöst, war einfach nichtmehr da. Er war Soldat der Deutschen Wehrmacht.

Bernhard Koss lag seit etwa April 1944 vor dem sowjetischen Brücken -kopf auf dem linken Weichselufer, auch als Baranow-Brückenkopfbekannt. Nach den Aufzeichnungen des DRK-Suchdienstes hatte dieInfanterie-Sicherungsdivision 213, in deren Bestand auch das Infanterie-Sicherungsregiment 177 einging, auf der Linie Ostrowiec-WasniówStellung bezogen.

In der Nacht vom 12./13. Januar 1945 brach aus dem Brückenkopf diegroße Winteroffensive der Sowjets los. Seitdem fehlt von Bernhard Kossjegliche Spur!

Bernhard wird am 27. Januar 1917 als achtes Kind des KesselschmiedsPaul Koss in Oberschlesien geboren. Sein Vater stirbt 1918 an einerdamals unheilbaren Lungenentzündung. 1923 wird der Sechsjährige indie erste Klasse der Volksschule in Hindenburg 3 aufgenommen. In die-ser Zeit haben es die Familien schwer und müssen hart ums Überlebenkämpfen. Es herrscht große Arbeitslosigkeit und die älteren Brüder ste-hen erst in der Ausbildung. Die Mutter muss klug haushalten. Man lebtvon dem, was der kleine Streifen gepachteten Feldes hergibt. DieFamilie hält in der Hoffnung auf ein besseres Morgen, in ihrem katholi-schen Glauben fest, zusammen.

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1929 geht Bernhard zur ersten Heiligen Kommunion. 1932, nach Ab -schluss der Volksschule, wird er in die Missionsschule, das GymnasiumCarolinum in Heiligkreuz bei Neiße O/S, aufgenommen. Es folgen un -beschwerte Jahre in Internaten und Schulen. Bernhard hat sich zum Zielgesetzt, Priester zu werden.

Am 7. März 1939 erhielt Bernhard nach der Reifeprüfung das Ab -schluss zeugnis. Inzwischen ist eine neue Zeit angebrochen. Erstmalsmunkelt man, dass man zunächst beim Staat einen Dienst für dieAllgemeinheit wird ableisten müssen. Das wird wohl eine kurzeVerzögerung geben, denkt jeder, aber wenn es nicht zu umgehen ist, sowird man sich halt fügen müssen. Bislang hat in keinem Staat der Erdeein Bürger machen können, was er wollte, es sei denn, er stellte sichaußerhalb des Gesetzes.

Dieser Staatsdienst heißt Reichsarbeitsdienst, kurz RAD. Daran kann,so die Meinung, außer der lästigen Verzögerung des Studiums nichtsSchlechtes sein, denn für die Allgemeinheit zu arbeiten ist eine ehren-hafte Pflicht und kann nur Gott wohlgefällig sein. Bernhards BruderArnold ist bereits in den RAD gekommen. Viel sind die Brüder nichtzusammen. Zum Austauschen von Erfahrungen gibt es kaum Gele -genheit.

Gleich nach Abschluss des Carolinums hat Bernhard seine Bewer bungs -unterlagen im Priesterseminar St. Augustin/Rheon eingereicht. AlsRAD-Mann kann er im Sommer 1939 seine Tante Gertrud (jetzt Schwes -ter Limbania) in St. Mauritz besuchen und der Gottesfrau von seinemAbschluss und dem bevorstehenden Theologie studium berichten. Werhat geahnt, dass die Würfel für Millionen von Menschen, von denSatans dieser Welt gerührt, die Schicksale lenken würden?

Und nun verläuft Bernhards Leben ganz anders, als er und seine An -gehörigen es sich vorgestellt und gewünscht haben. Vom RAD wirdBernhard unmittelbar zur 213. Infanteriedivision eingezogen. Er wirdals Funker ausgebildet und anschließend beim Divisionsstab eingesetzt.Am 1. September 1939 beginnt der Polenfeldzug. Die Division rückt ausdem Raum Forst (ostwärts Breslau) über Kalisch nach Lodz – Modlinvor. Anschließend wird sie als Besatzungstruppe in der Provinz Poseneingesetzt. 1940 folgt der Feldzug gegen Frankreich. Von Warthelagergeht es in den Bereitstellungsraum Villingen/Baden, von dort an denOberrhein, von wo aus im Rahmen des XXXIII. Korps in Verfolgungs -kämpfen der Raum Mühlhausen/Elsass erreicht wird und die Beset -zung von Ostfrankreich erfolgt.

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113Erinnerungen an den Onkel

Bernhard wird wieder ins Zivilleben nach Hause entlassen. Die Freude,diesen Krieg glücklich überstanden zu haben und nun das ersehnteTheologiestudium antreten zu können, währt nur kurz. Die erneuteEinberufung kommt früher als der Antritt des Studiums. Im März 1941ist er wieder bei seiner alten Einheit.

Am 22. Juni 1941 bricht der Krieg gegen Russland los. Von der erstenStunde an ist Bernhard mit im Brennpunkt der Geschehnisse. Im RaumKiew gelingt es ihm, bei einem überraschenden Panzerangriff in letzterMinute schwimmend den Dnjepr zu durchqueren und das noch vonden Kameraden gesicherte westliche Ufer zu erreichen. Erst im August1943 erhält Bernhard den fälligen Heimaturlaub.

Der Zufall will es, dass auch zwei seiner Brüder, die ebenfalls an derOstfront kämpfen, im Heimaturlaub sind. Die Tage voller Freude undFrieden bei Mutter und den Lieben daheim fließen schnell dahin. InOberschlesien hat man zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung vondem, was Krieg heißt. Die Front ist noch weit weg und man hört nurvom täglichen Bombenterror der Alliierten aus dem Radio. Ober -schlesien ist noch „der Luftschutzkeller des Reiches“.

Bernhard berichtet von einem Angebot, das ihm sein Stabsfeldwebelgemacht hat: „Du bist doch ein ,Studierter‘. Wir müssen einige Leute indie Heimat zum Medizinstudium abstellen, ich habe keine großeAuswahl, überlege es dir, ob du ,Medizinmann‘ werden willst.“Bernhard schlägt das Angebot aus. Seine Berufung ist die Theologie,und er hat sich doch bereits in St. Augustin um einen Studienplatzbeworben. Victor, der älteste Bruder rät ihm, zuzugreifen und sichdafür zu melden. In einem Feldpostbrief vom 5. Januar 1944 rät Victornoch mal, doch das Angebot der Vorgesetzten für das Medizinstudiumanzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt aber sind die Würfel bereits gefallen– Bernhard wird vom Divisionsstab als Funker in eine Kompanie ver-setzt. Er ist jetzt direkt am „Geschehen“. Vielleicht war das Schicksal fürBernhard so vorgezeichnet?

Zu Pfingsten 1944 erhält er Heimaturlaub. Diesmal hat er es nicht mehrweit bis nach Hause. Die Front ist an die Ostgrenze des Reiches heran-gerückt, nur etwa 200 Kilometer von der Heimatstadt Hindenburg ent-fernt steht in diesen Junitagen 1944 schon der Feind.

Das Pfingstfest verbringt Bernhard im Kreise der Familie, doch dieUrlaubstage sind nicht mehr so unbeschwert. Auch die Heimat ist nichtmehr so sicher. Sie ist nicht mehr der Luftschutzkeller des Reiches. DasPfingstfest verläuft trotz allem in Frieden. Bernhard zieht seine Zivil -

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114 Erinnerungen an den Onkel

kleider wieder aus und legt den Waffenrock an. Vier Tage später sitzt ererneut an seinem Funkgerät bei den Kameraden.

Weihnachten und Neujahr 1945 verlaufen ohne besondere Ereignisse.Am 5. Januar 1945 ruft Bruder Arnold, der in Warschau stationiert ist,Bernhard kurz an. Belangloses Zeug wird geredet. Eigentlich sind jegli-che Privatgespräche untersagt, aber Bernhard sitzt doch an der Quelle,und so will Arnold nochmals kurz, wie von einer Vorahnung getrieben,mit ihm sprechen.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Januar 1945 bricht aus dem Baranow-Brückenkopf ein auch von alten Fronthasen bisher noch nicht erlebterFeuerorkan los. Die Sowjets haben auf einem Kilometer Frontbreite 200Geschütze platziert, aus denen sie stundenlang ihre tödlichen Salvenauf die dünn besetzten deutschen Stellungen niederprasseln lassen.

Seit diesem 12./13. Januar 1945 ist der Obergefreite Bernhard Koss ausHindenburg spurlos verschwunden. Jegliche Bemühungen über denDRK-Suchdienst, den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge,Wojennyje Memoriale-Moskau oder auch über den direkten Kontakt zuBürgermeistern verschiedener Dörfer im Raum Konskie/Polen eineSpur von Bernhard Koss zu finden, blieben bisher ohne Erfolg.

Besondere Erinnerungen:

Mein Onkel Bernhard, der jüngste Bruder meines Vaters, war selten zuHause. Schule, Internat, RAD, Wehrmachtsdienst hatten ihn immer nurfür kurze Zeit in der Heimatstadt weilen lassen.

Ich habe ihn mit Kinderaugen als stillen, unauffälligen, freundlichlächelnden Menschen gesehen, dessen Bild mir so im Gedächtnis erhal-ten geblieben ist.

Wenn er von der Front in Heimaturlaub kam, hat er viel Zeit zu Hausebei Muttern, meiner Oma, mit Schlafen verbracht (wahrscheinlich holteer alles nach, was ihm im Feld an Schlaf entzogen worden war). Wirwaren vier Cousins, Kerlchen von neun bis elf Jahren, und für uns wardie Gegenwart des „Kriegshelden“ etwas ganz Besonderes. Wir schli-chen uns ins Schlafzimmer und begannen ihn zu necken und albertenherum. Der Schlaf war natürlich dahin. Oma, auf das Wohlbefindenihres Jüngsten bedacht, schimpfte mit uns und scheuchte uns mit demWorten weg: „Onkel Bernhard ist doch nicht euer Spielkamerad.“ DerOnkel beschwichtigte daraufhin: „Ach lass doch, Mutter, das sind dochJungens.“

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115Erinnerungen an den Onkel

Große Freude hat er mir mit kleinen Geschenken, mit Büchern wie „DieGeschichte vom Hasen Langohr“ oder „Die Wiesenapotheke“ vonSophie Reinheimer gemacht. Letzteres Büchlein, in Sütterlin geschrie-ben, hat alle Wirren der roten und polnischen Jahre voller Elend undTerror von 1945 bis zum Verlassen meiner Heimat 1962 überstanden.Noch heute, wenn ich als 66-jähriger beim Kramen in den Schubladendieses Büchlein in die Finger bekomme, lese ich es von vorn bis hintendurch, und da ist auch mein Onkel Bernhard wieder da, der sich mit28 Jahren in Nichts aufgelöst hat, der aus dieser Welt verschwunden ist.

Sein Gedicht für den gefallenen Kameraden ist wohl nach Kämpfen inFrankreich entstanden.

Am FreundesgrabVon Bernhard Koss

Des Lebens Schicksal probte ohne Maßen,Und warf dir Not, Verachtung, Kummer in den Schoß,Ich sah dich täglich unter dieser Last erblassen,Und meine Sorgen waren um dich groß.

Ich sah dein Weichen vor der übergroßen Wucht,Mit starkem Arm verscheuchte ich die Stunde,Die dennoch kam, mit schmerzerfüllter LustUnd drückte auf dir deine Todeswunde.

Nun liegst du tot, gebrochen von dem Sturm,Und ruhst im stillen Schoß der Erde,Ein sanfter Hügel wölbt sich über deiner Brust,Ein Kreuzlein kündet deine Ruhestätte.

Du harrst dem Tag, dem ich auch seh’ entgegen,Mich bangt die Stund’, die einmal mir noch schlägt,Nach überstandener Angst vereint wir sind hienieden,Kein Kummer dann, nur Freude uns bewegt.

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116 Erinnerungen an den Onkel

Gerne beteilige ich mich an Ihrer Aktion und sende Ihnen eine Beschrei -bung des kurzen Lebens meines Onkels Max Müller.

Ich war noch sehr klein, da erzählte mir mein Vater von seinem Bruder,der im Krieg gefallen sei. Von nun an begann ich, in den Kirchen dieGedenktafeln der Kriegsopfer zu studieren. Später, als in der Schule imErdkundeunterricht die Karte von Skandinavien an der Tafel hing,suchte ich den Ort Murmansk. Denn dort irgendwo, so hieß es, sei meinOnkel gefallen.

Als es Zeit war, Maschinenschreiben zu lernen, stand auf einmal diealte schwarze Schreibmaschine vor mir, auf der mein Onkel immerseine Manuskripte geschrieben hatte.

Bei der Abschlussprüfung entschied ich mich für das AufsatzthemaUmweltschutz. Erst Jahre später erfuhr ich, dass Onkel auch mal einenArtikel über Umweltschutz geschrieben hatte.

Ich bezog meine erste kleine Wohnung und sofort erzählte man mir,dass genau gegenüber mein Onkel einmal gewohnt hatte.

Nach und nach erfuhr und begriff ich, wer mein Onkel war: Max LeoMüller, geboren am 25. Juli 1917, hatte viele Talente. In erster Linie warer Schriftsteller. In frühester Jugend schrieb er bereits Romane, mit

Max Leo Müller

* 25. Juli 1917= 12. Juli 1943 bei Murmansk

Von Monika Müller

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117Erinnerungen an den Onkel

24 Jahren arbeitete er als freier Schriftsteller. Bedingt durch den Kriegschaffte er es nicht mehr, seine Werke als Bücher herauszugeben. KleineGeschichten und Berichte von ihm sind jedoch in Zeitungen erschienen.

Er gab Klavierabende, spielte Bassgeige in einer Band und hatte Ver -bindungen zu einem Münchener Kabarett. Er schrieb Schlagertexte,malte Bilder, konnte mehrere Sprachen sprechen und war auch sehr gutim Weitsprung.

Während einer Frankreichreise lernte er seine Frau Carmen kennen. Erbrachte sie mit nach Landshut und vermählte sich 1942 mit ihr. 1943 fieler bei Murmansk. Es war eine schwere Minenverletzung, bei der erseine Beine verlor. Er wollte einem Kameraden zu Hilfe eilen und über-lebte noch schwerverletzt eine Weile im Lazarett. Und er diktierte nochBriefe an seine Mutter und an seine Frau. In einem der Briefe soll ergeschrieben haben: „Alles können sie mir nehmen, aber nicht meinenKopf (Verstand).“ Am 12. Juli 1943, um 12.40 Uhr starb er den soge-nannten Heldentod. Seine Witwe ging zurück nach Frankreich.

Über Jahrzehnte wuchs mein Wunsch, wenigstens eine einzige Zeile zuhaben, die aus seiner Feder stammte. Als ich 40 Jahre alt war, bekam icheinen entscheidenden Hinweis, fasste mir ein Herz und begann, ineinem Archiv zu stöbern. Nach einiger Zeit der Suche wurde mir dieAussichtslosigkeit, nach einer Stecknadel im Heuhaufen zu suchen,klar. Ich blätterte, gleich mehrere Seiten greifend, noch einmal durchund las plötzlich den Namen meines Onkels. Ich weinte nicht, ich warnur erschrocken und konnte vor Aufregung nicht weiterlesen. Ich hattedas Gefühl, mein Onkel wäre plötzlich im Raum und er sagt zu mir:„Jetzt lernst du mich endlich kennen, das hast du dir ja immer ge -wünscht.“ Ganz vorsichtig begann ich, die wunderschöne historischeNovelle zu lesen. Den ersten Absatz lernte ich im Nu auswendig. Es istsein Erbe an mich.

Durch die Freude dieses Fundes begann ich, mir sämtliche Urkundenund Unterlagen über ihn zu besorgen. Es sind auch noch Fotos von ihmaufgetaucht. Sein Hochzeitsfoto hat einen Ehrenplatz auf meinerKommode.

Darüber denke ich oft nach: Max Leo war an einem 25. geboren,Carmen war an einem 25. geboren, die Heirat war an einem 25., er starbmit 25 Jahren, sie starb an einem 25. ...

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118 Erinnerungen an den Onkel

Aloysius Inderdühnen war mein Lieblingsonkel. Als Bruder meinesVaters hat er mich als kleiner Junge mit Wehrmachtsabzeichen ausge-stattet. Er kaufte immer ein paar mehr für seinen Neffen.

Einmal beteten wir im Oktober in der Heimat (in Bracht am Nieder -rhein) für ihn den Rosenkranz. Plötzlich, während unseres Gebetes inder Familie, klopfte es bei Dunkelheit am Fenster und eine Stimme rief„Engelbert“. Erstaunen erfasste uns alle – Onkel Alois stand draußenvor der Tür. Er war auf Urlaub nach Hause gekommen.

Vor dem Krieg bzw. seiner Einberufung war er mein bester Kameradund Freund. Der Onkel war unverheiratet und arbeitete in der heimi-schen Dachziegelindustrie. Er war ein leidenschaftlicher Hobby fotograf.Ich besitze noch seine alte Kameraausrüstung in funktions fähigemZustand. Diese war in den Kriegsjahren in einem Brunnen schacht ver-steckt. Nachher zeigte sich das Gerät noch voll intakt. Selbst bereitsüber zehn Jahre alte Platten habe ich noch belichtet. Die Ergeb nissewaren tadellos.

Zu Streichen mit mir war der Onkel immer aufgelegt. Der Weg in dennahegelegenen Wald war für uns beide immer eine große Freude. ZurNikolauszeit gab es Weckmänner; mit der Pfeife des Weckmannes woll-te er mir das Rauchen lehren. Er stopfte die Pfeife mit Tabak und ichdurfte ziehen, mit dem entsprechenden Erfolg … (mit acht Jahren!).

Der Onkel ist leider nicht aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt.Eine spätere Nachforschung durch die Schwester des Vermissten überdas DRK brachte das Ergebnis: „Der Gesuchte ist vermisst zwischendem 16. und 18. Januar 1945 bei Nowe Miasto und wahrscheinlichgefallen. Es keinen Hinweis, dass der Verschollene in Kriegsgefangen -schaft geraten ist.“ Dies ist alles, was wir über das Schicksal meinesOnkels Alois Inderdühnen erfahren konnten. Mein Vater hat ihn späterfür tot erklären lassen, um familiäre Entscheidungen treffen zu können.

Aloysius Inderdühnen

* 31. Dezember 1919Vermisst seit 16. – 18. Januar 1945 bei Nowe Miasto

Von Engelbert Inderdühnen

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119Erinnerungen an den Onkel

Otto Thräner

* 25. November 1914 in Tiefengruben bei Kranichfeld/Thüringen

= 10. März 1943 bei Tawanowka/Charkow

Die Erinnerung darf nicht verlorengehen! Ja, ich mache bei der Aktiondes Volksbundes mit und schreibe etwas über meinen Angehörigen:

Name: ThränerVorname: OttoGröße: 1,70 Meter,Haarfarbe: blond,Augenfarbe: blau,Besondere Eigenschaften: sind mir nicht bekannt.

Gerhard Thräner

* 3. Juli 1921 in Haarhausen, KreisArnstadt/Thüringen

= 9. Juli 1941 bei Witebsk

Von Gerhard Konrad

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120 Erinnerungen an den Onkel

Lebenslauf:

25. November 1914 in Tiefengruben bei Kranichfeld/Thüringen gebo-ren; Vater: Otto Hugo Thräner, Mutter: Olga Thräner geb. Möller.

2. November 1916 – 6. März 1920: Kriegsgefangenschaft seines Vaters inFrankreich.

1922–1930: Volksschule in Haarhausen.

9. Juli 1941: Sein Stiefbruder fällt bei den schweren Kämpfen umWitebsk.

16. Januar 1942: Einberufung zur Wehrmacht durch das Wehrbezirks -kommando Weimar; militärische Ausbildung am Standort Gotha –Messbatterie Heeres-Flak Art.Ers.Abt. 279. Ab 23. Mai 1942 Kanonier in2./Heeres-Flak-Abteilung (mot.) 274.

1. Juli 1942: Eingliederung der 2./Heeres-Flak-Abteilung (mot.) 274 indas Panzerartillerie-Regiment 16 (16. Panzerdivision; 6. Armee), Einsatzin der Ukraine und in Südrussland.

10. März 1943: Otto fällt bei Tawanowka (Ukraine) durch Infanterie -geschoss in die Brust; Grablage in Oschotschaje etwa 40 Kilometer süd-lich von Charkow, 3. Reihe Kameradengrab Nr. 9 von links.

Ich, Gerhard Konrad, bin am 29. November 1946 geboren, somit gibt eskeine persönlichen Erinnerungen an meinen Onkel.

Name: ThränerVornamen: Gerhard Otto KarlGröße: 1,62 Meter,Haarfarbe: schwarz,Augenfarbe: blaugrün,Besondere Eigenschaften: sind mir nicht bekannt.

Lebenslauf:

3. Juli 1921 Haarhausen Kreis Arnstadt/Thüringen geboren; Vater: OttoHugo Thräner, Mutter: Olga Thräner geborene Möller.

7. August 1921: Taufe in der St. Nicolai Kirche zu Haarhausen.

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121Erinnerungen an den Onkel

21. Dezember 1926: Geburt seiner Schwester Ursula Paula Thräner.

Juli 1928 – Juli 1936: Besuch der Volksschule in Haarhausen.

August 1936 – Februar 1941: Geschirrführer auf dem Bauernhof vonPaul Geyersbach (Haarhausen).

22. April 1937: Tod der Mutter (Alter 41 Jahre).

März 1941: Einberufung zur Wehrmacht und ab 28. März 1941 militäri-sche Ausbildung am Standort Meiningen – 1. Kompanie Kradschützen-Ersatzbataillon.

16. Mai 1941 – 20. Panzerdivision – hier wird Gerhard Kradschütze inder 2. Kompanie des Kradschützenbataillon 20 (K 20).

20. Mai 1941: Verlegung in den Raum Ohrdruf/Thüringen. In einemBrief vom 29. Mai 1941 an seine Schwester Ursula heißt es: „Ich bin inein Dorf W. bei Ohrdruf gekommen.“ (Bei dem Dorf W. handelt es sichum Wölfis, wo er bei den Eltern des ihm bekannten Werner HeynQuartier bezieht.)

8. Juni 1941: Gerhard besucht ein letztes Mal sein Elternhaus.

14. Juni 1941: Mitteilung an seine Schwester: „Mit Urlaub ist es jetztganz vorbei, denn in Kürze werden wir fortkommen. Wohin ist unbe-kannt.“

9. Juli 1941: K 20 steht um 0.15 Uhr bereits einen Kilometer vor Witebsk;7.45 Uhr beginnt der Angriff auf Witebsk; Vorausabteilung mit K 20stößt auf harten Widerstand; nachmittags gegen 15.00 Uhr dringt K 20in das brennende Witebsk ein; Stoßtrupps des K 20 besetzen nach har-tem Kampf die Eisenbahnbrücke in Richtung Smolensk.

Im Laufe der Kämpfe zwischen 7.45 und 19.00 Uhr wird Gerhard voneinem Granatsplitter am Hinterkopf getroffen. Nach dem Bericht einerseiner Kameraden wurde der Kopf vom Körper gerissen …

Nach der Einnahme von Witebsk am 10. Juli 1941 wird Gerhardzunächst drei Kilometer ostwärts der Stadt beerdigt, später erfolgt seineUmbettung auf den damaligen Heldenfriedhof II Witebsk.

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122 Erinnerungen an den Onkel

Kurt Mann

* 8. März 1924 = 26. Januar 1946

Von Frank-Matthias Mann

Kurt Mann wurde am 8. März 1924 als drittes von fünf Kindern gebo-ren. Mein Vater Walter war zwei Jahre jünger – er starb, als ich 17 Jahrealt war. Die Familie wohnte im 4. Stock des Hauses Schillerstraße 13 inKassel, in unmittelbarer Nähe der heutigen Bundesgeschäftsstelle desVolksbundes. Der Vater war Zimmermann, die Mutter Näherin, wirwaren einfache Leute in geordneten Verhältnissen. Was es gab, wurdegeteilt – auch die Wohnung, mit ihnen lebte ein jüdischer Untermieter.

In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 1943 wurde die Familie aus-gebombt und zog dann in die Friedenstraße. Der älteste Bruder, Hel -mut, war damals bei der Marine.

Kurt war nach dem Besuch der Knaben-Mittelschule, der „Horst-Wessel-Schule“, Werkzeugmacher-Lehrling. In seinen Musterungs -unterlagen stehen die Angaben „Größe: 160, Gewicht: 47, Körperbau:schlank“, unter „Nachträge“ steht: „will sich auf 12 Jahre verpflichten“.

Kurt Mann (im Bild links) mit seinemBruder Walter im Kriegsjahr 1943 vordem Theater in Kassel.

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123Erinnerungen an den Onkel

Aus der ersten Musterung geht er mit dem Stempel „untauglich“. Diezweite Musterung ergibt: „Zurückgestellt bis zum 31. Januar 1943“.

Aber dennoch: als 18-jähriger wird er am 10. Dezember 1942 in denDienst der Wehrmacht einberufen. Seine Ausbildung erfolgte in derDrachenberg-Kaserne in Meinigen/Thüringen zum Krad-Schützen imErsatzbataillon 1, 1. Kompanie. „Ausbildung an der schnellsten erdge-bundenen Waffe“ hieß das im Wehrmachts-Werbetext.

Ein Kamerad, der mit ihm ausgebildet wurde, erinnerte sich, dass Kurtnicht nur ein weiches Gesicht, sondern auch ein weiches Wesen hatteund sehr anhänglich war. Während seiner Ausbildung verlor Kurt beieinem Schießunfall ein Auge, ihm wurde ein Glasauge eingesetzt.

Kurt schrieb meinem Bruder schließlich mit der Feldpost: aus Däne -mark (1944) und aus Weimar. Am 2. Juni 1944 schrieb er den gewagtenSatz: „Ich muss nur staunen, dass du einen so großen Optimismus hast...“. Zu Weinachten schickt er ihm eine angerauchte Tabakpfeife vomHeimaturlaub, bevor er wieder zu seiner Einheit zurückmusste. „Dasich nicht davon begeistert bin, kannst du dir sicher vorstellen. Aberman ist Soldat und muss das tun, was befohlen wird.“ So schrieb er anseinen Bruder, der mittlerweile auch 18-jährig, in die Ardennen offensive„geschmissen“ worden war.

Von Kurt gibt es vier erhaltene Fotos. Zwei zeigen ihn, vor Dattel -palmen, auf einem Kasernengelände. Auf dem dritten steht er vor einerPhoenix-Palme. Als Angehöriger der 1. Panzer-Division muss er sichdamals im Raum Patras in Griechenland aufgehalten haben. Auf dieRückseite hat er geschrieben: „Meinem lb. Bruder Walter zum An -denken an seinen Bruder Kurt. O.h. d. 3. Oktober 1943.“ Feldpost vonKurt aus seinen östlichen Einsatzgebieten (Russland und Ukraine) istnicht erhalten, wohl aber eine Urkunde über die Verleihung eines„Eisernen Kreuzes 2. Klasse“ – mit dem Blechstück dabei – unterschrie-ben vom General der Panzertruppe aus dieser Einsatzzeit. Kurt bekames offensichtlich für eine schwere Verwundung verliehen.

Am 26. Januar 1946 ist Kurt in einem Kriegsgefangenenhospital inLublin/Polen verstorben. Ein Grab ist nicht vorhanden. Auf dem in Baubefindlichen Soldatenfriedhof wird auf einer Namenstafel bzw. ineinem Namenbuch an ihn erinnert werden, wie mir der VolksbundDeutsche Kriegsgräberfürsorge in einem Brief mitgeteilt hat.

In meiner Erinnerung sehe ich ein gerahmtes Foto von Kurt auf demFernseher meiner Oma, seiner Mutter. Ein schwarzes Bändchen befand

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124 Erinnerungen an den Onkel

sich – als Trauerflor – am oberen linken Rand. Manchmal kam bei Omaso eine Melancholie auf, die irreale „Vielleicht kommt er ja eines Tagesdoch noch“-Hoffnung. Und stand nicht an Festtagen ein zusätzlichesGedeck auf dem Tisch? Das aber mag Fiktion sein, fabuliert aus meinenkindlichen Erinnerungen und Phantasien.

Als 14-jähriger sammelte ich, im Klassenverband, das erste Mal miteiner Spendenbüchse für den Volksbund im Gedenken an Onkel Kurt.Als 18-jähriger verweigerte ich den Kriegsdienst in der Überzeugung,dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf. Im vergan-genen Jahr wurde ich Mitglied im Volksbund im Gedenken an denOnkel und immer noch in der Hoffnung, dass Menschen aufhören,gegeneinander Krieg zu führen.

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125Erinnerungen an den Onkel

Hugo Bornmann

* 5. März 1921 in Utphe/Kreis Giessen= 14. Juni 1943

Von Hildegard Koch

Von meinem Onkel Hugo möchte ich erzählen.Er wurde als das sechstes Kind der Familie geboren. Der Großvaterhatte eine kleine Landwirtschaft, in der alle mithelfen mussten, bis sieins Berufsleben gingen. Onkel Hugo hatte sich für den Beruf desMetzgers entschieden, er fand in Wetzlar nach der Volksschule eineLehrstelle. Ich denke, dass er noch seine Gesellenprüfung absolvierte,genaues ist mir darüber aber nicht bekannt.

Jedenfalls meldete er sich, als der Krieg begann, freiwillig zur Marine.Wie kommt ein junger, liebenswerter, fröhlicher Mann aus Hessen, woweit und breit kein Wasser ist, dazu, sich zur Marine zu melden? Ichhabe es nicht verstanden.

Hugo Bornemann, imBild vorne rechts.

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126 Erinnerungen an den Onkel

Onkel Hugo ist ein begeisterter Seemann geworden. Wenn er aufUrlaub kam, erzählte er uns von seiner Ausbildung, von dem schönenSchiff „Robert Ley“, von dem Hafen Pillau und von der Ostsee. WirKinder hörten gespannt zu, das war alles so neu und so weit weg. Vomgroßen Wasser, der Ostsee, hatten wir keine Vorstellung. Wir planschtenim Sommer in der Horloff, einem kleinen Gewässer, in dem wir nochnicht mal schwimmen lernen konnten.

Nach der Grundausbildung (als Koch und am Geschütz) kam OnkelHugo auf ein U-Boot in Frankreich. Dort waren die U-Boot-Bunker, vondort liefen die Boote zur „Feindfahrt“ aus, dahin kamen sie zurück zurReparatur, Ausbesserungen und zum Bereitmachen für die nächste„Feindfahrt“. Für die Bootsmannschaft gab es vier bis sechs WochenHeimaturlaub, je nachdem wie stark das Boot beschädigt war.

Wir Kinder freuten uns sehr, wenn Onkel Hugo heimkam. Er hatteimmer viel zu erzählen: Dass sie wieder einmal Glück gehabt hätten,dass aber das Boot durch Wasserbomben Beschädigungen abbekommenhätte. Nie hat er uns erzählt, welchen Erfolg sie mit ihren Torpedosgehabt haben. Einmal erzählte er uns ein Geheimnis. Wir mussten ihmversprechen, mit niemandem darüber zu reden! Mit ihrem U-Boot hat-ten sie eine Fahrt nach Südamerika unternommen bis nahe an dieKüste, um Spione abzusetzen!

Von einer schrecklichen Sache hat er auch mal gesprochen. Ein Deser -teur sollte erschossen werden. Willkürlich wurden sechs Matrosen aus-gewählt, sie mussten alle schießen, aber nur in einem Gewehr war dietödliche Kugel. Keiner wusste, wer dieses Gewehr bekommen hatte. Ichwar entsetzt, so grausam ist der Krieg: einen Kameraden erschießen!

Bei seinen Urlauben brachte Onkel Hugo seinen großen Seesack mit.Wir durften darin wühlen, bis wir in der Schmutzwäsche Herrlich kei -ten fanden, die wir nicht kannten und die wir nicht kaufen konnten: Dakamen Fläschchen Kölnisch Wasser 4711 zum Vorschein oder Lacalut-Pulver in Flaschen zum Zähneputzen. Heute noch kaufe ich Lacalut, esgibt aber nur Pasta. Wir fanden noch andere Köstlichkeiten, wohlrie-chende Seife, Plätzchen und Zwieback, die wir sehr sparsam verbrauch-ten, um recht lange davon zu haben.

Einmal hat er uns den Nikolaus gespielt. Meine jüngste Schwester warfünf oder sechs Jahre alt, sie war sehr krank. Mutter hatte in der immerwarmen Küche auf der Bank ein Bett für sie gebaut, ich habe ihr vorge-lesen. Da polterte es draußen, ein Klopfen an der Küchentüre und her-ein kam der Nikolaus mit einem großen, gefüllten Sack. Meine kleine

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127Erinnerungen an den Onkel

Schwester hat sich sehr gefürchtet; ich musste ein Gedicht aufsagen.Irgendwie habe ich herausbekommen, dass der Nikolaus vielleichtOnkel Hugo sein könnte. Meiner Schwester wollte ich zeigen, dass derNikolaus ganz harmlos ist: Ich zupfte und zog am Mantel und Sack.Diesen hatte er inzwischen ausgeleert. Was drinnen war, ich weiß esnicht! Der Nikolaus drehte sich wieder zu mir um, schnappte mich undsetzte mich kopfüber in den Sack, meine Beine schauten noch raus, erband ihn zu, nahm ihn auf den Rücken und ging, unter dem Geschreimeiner Schwester, zur Tür hinaus. In seinem Bart brummte er: „Dichnehme ich mit!“ Er ging zur Tür und zum Haus hinaus. Jetzt wurde mirAngst und Bange. War das doch nicht Onkel Hugo? Am Hoftor hat ermich dann aus dem Sack befreit und mit tiefer Stimme gebrummt:„Necke nie den Nikolaus! Und nun geh zu deiner Schwester und tröstesie.“ Da wusste ich genau, das es doch Onkel Hugo war. Wir habenaber nie darüber gesprochen.

Onkel Hugos letzter Urlaub. Dieser Urlaub dauerte nur 14 Tage. Sein U-Boot hatte einen neuen Kommandanten bekommen und der wollteso schnell wie möglich wieder „an den Feind“. Es war heller Mond -schein am letzten Abend. Ich habe Onkel Hugo zum Zug gebracht. Eswar im Mai 1943 und ich war zwölf Jahre alt. Onkels Seesack lag gefülltmit frischer Wäsche und Proviant auf unserem Handwagen, den wirgemeinsam die vier Kilometer bis zum Bahnhof zogen. Unterwegs warOnkel Hugo sehr ernst. Sonst hatten wir auf diesem Weg immer fröh-lich gesungen und Witze erzählt. Doch dieses Mal sagte er: „Hör zu,was ich dir jetzt sage, musst du für dich behalten: Dies war mein letzterUrlaub, ich komme nicht mehr wieder! Unser Kommandant ist sehrehrgeizig, er hat schon das Ritterkreuz und nun will er auch noch dasmit Eichen laub und Schwertern.“ Onkel Hugo hat mich ganz festgedrückt und wir haben beide sehr geweint. Ich habe ihn nie wiedergesehen!

Nach Monaten kam ein Brief aus Amerika an meine Großeltern vomKommandanten. Er schrieb: „Ihr Sohn Hugo ist in Tapferkeit auf sei-nem Posten an der Flak gefallen. Das Boot konnte nicht mehr tauchen,wurde getroffen und sank am 14. Juni 1943.“ Ein paar Kameraden undder Kommandant wurden von amerikanischen Schiffen gerettet. OnkelHugo ist mit dem U-Boot untergegangen.

Für meine Großeltern war 1943 ein schlimmes Jahr, es ist noch ein Sohnin Italien gefallen, ein anderer wurde in Afrika vermisst.

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129Erinnerungen an den Vater

Friedrich Koch

Otto Woggon

Franz Hügen

Curt Hildebrand

Dr. Fritz Röhricht

Ernst Kampe

Wilhelm Knoch

Friedrich Ihle

August Kunz

Reinhold Pinske

Adolf Lerche

Emil Witzke

Hermann Mette

Kurt Masson

Franz-Joseph Vantroyen

Kurt Johannes Stephan

Edwin Schunda

Heinrich Jakob Vierheller

Friedrich Münstermann

Wilhelm Neidel

von Anneliese Langbeck

von Dr. Friedrich Koch

von Gerda Michels

von Ingeborg Linder

von Dr. Gisela Koch

von Dieter Kampe

von Dieter Knoch

von Barbara Ihle

von Ingeborg Kunz

von Dorothea Lange

von Hans Ulrich Lerche

von Alfreda Mielcarek

von Gisela Müller

von Helga Kuhnert

von Marianne Tropper

von Alice Stephan

von Ingrid Tschorn

von Ilse Müller

von Albert Münstermann

von Christoph Neidel

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Erinnerungen an den Vater

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130 Erinnerungen an den Vater

Friedrich Koch

* 25. März 1919 in Riga= 17. Juli 1941

Von Dr. Friedrich Koch

Mein Vater starb etwa drei Wochen vor meiner Geburt im Alter von nur25 Jahren. Ich kann trotzdem einiges, wenn auch nicht sehr viel, überihn berichten, denn Verwandte, Bekannte, Kameraden, seine Lehrer undsein Bruder haben viel über ihn erzählt. Sie sprachen durchweg mit großer Hochachtung von ihm.

Er ist am 25. März 1916 in Riga als ältester Sohn des FrauenarztesDr. Ernst Koch geboren. Vater und Mutter entstammten deutsch-balti-schen Familien. Seine Mutter war die Schwester des bekannten balti-schen Schriftstellers Siegfried von Vegesack, der seit dem ErstenWeltkrieg sein Domizil im Bayerischen Wald hatte.

Mein Vater bekam, wie damals üblich, zuerst häuslichen Unterricht,besuchte dann die städtische Deutsche Grundschule und das KlassischeGymnasium in Riga. Sein Ziel war die Universitätslaufbahn, doch derbeginnende Zweite Weltkrieg zerschlug diese Pläne. Hitler hatte imSeptember 1939 Polen überfallen und alle Baltendeutschen musstennach dem Hitler-Stalin Pakt ihre Heimat verlassen und in den eroberten„Warthegau“ (Posen) umsiedeln.

Am 27. September 1940 heirateten mein Vater und meine Mutter inPosen. Nach zwei Monaten glücklicher Ehe erhielt mein Vater denEinberufungsbefehl und Anfang Dezember hieß es Abschied nehmen.Im Laufe des Frühlings 1941 erhielt er einmal kurzen Urlaub.

Der letzte Brief meines Vaters an meine Mutter stammte vom April1941. Er schreibt:

„Ich habe jetzt öfter über die Zukunft nachgedacht, und zwar auch überden Fall, dass es schief geht. – Zunächst mal, sollte ich weit fort kommen,z. B. Afrika, so ist es klar, dass Nachrichten nur selten und in sehr langenZwischenräumen an dich gelangen können. 14 Tage – drei bis vier Wochenist dann nichts ungewöhnliches für Feldpost! Wenn du nun dann in Un ru -he gerätst und die Eltern auch, so wäre mir das schmerzlich, – es ist nichtgut für dich und unser Kindchen. – Darum bitte ich dich sehr, gewöhne

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131Erinnerungen an den Vater

dich an den Gedanken langer Briefpausen – solange du keine authentischeNachricht hast, dass ich gefallen bin, solange besteht stets die hohe Wahr -scheinlichkeit, dass ich wieder komme.

Ich glaube, dass unser nächster Einsatz in sehr großen Räumen sich abspie-len wird, d.h. für uns, dass wir leicht auf Gegner stoßen können, unseresehr starke Bewaffnung lässt mir das wahrscheinlich erscheinen. Dabei istnatürlich mit Verlusten und Gefangenen zu rechnen. Aus Gefangenschaftwird eine Nachricht von mir dich erst sehr spät erreichen! – Siehst du, sol-che Sachen wollen alle bedacht sein, damit im gegebenen Fall etwas da ist,an das sich Hoffnungen anknüpfen können. Ich hoffe, mein Liebes, es ist dirnicht zu schmerzlich, darüber mit mir zu schwatzen. Es ist doch viel besserund leichter, wenn wir wissen, was wir darüber denken und im Ernstfallein Trost. Ich glaube zwar bestimmt, dass ich wiederkomme, aber wissenkann das niemand. Man kann das doch nicht so abtun, wie ich das bishertat. Ich glaube, es wird für dich viel leichter sein, wenn du weißt, wie ichüber den Tod als Soldat denke und was ich wünsche.

Das ist doch noch so ein letzter Ruf, wenn es soweit kommen sollte. Fallsich also falle, so ist mir daran nur ein Gedanke sehr, sehr schwer, und dasist dein Leben! Wirst du mein Kindchen weiter erziehen, wenn ich es nichtmehr können sollte? Du kannst es ja nicht anders als ich! Ich bin sehr froh,dass du nun in dem Kind stets etwas haben wirst, was dein Leben ausfüllt.Mein Tod wird (falls ich nachher noch denken kann) mir nicht unnütz vor-kommen

Mein Sohn, oder meine Tochter (beide wären mir gleich lieb) sollen das spä-ter wissen, sie sollen Balten werden – sollen trotz aller Schwere denKonflikt spüren oder zumindest verstehen, den wir tragen müssen.

So, viel lieber aber will ich und werde ich mit dir mein Leben noch selbst indie Hand nehmen. Ich bin natürlich derselbe Schwärmer, das siehst duschon aus diesem Brief, aber doch haben mich Ehe und jetzt die Soldaten -zeit ein wenig geändert, und den Nutzen davon werde ich ein Leben langhaben. Ich werde in meinem Beruf etwas erreichen, du wirst zufrieden mitmir sein können. Ich will, da wir hier nun leben, auch eine äußere Aner -kennung erringen, aber vor allem nie innerlich einrosten.

Jetzt warte ich auf die Post, die gleich gebracht wird und vielleicht ist einBrief von dir dabei. Weißt du, ich merke, dass es so viel schwerer ist, dirschriftlich etwas Liebes zu sagen und nett zu sein, als mündlich oder wennwir ganz still zusammen sind. Ich sehe noch deine liebe Gestalt von dir, mitden für mich unendlich schönen Zeichen einer jungen Mutter … dasGefühl, dass ich dein Beschützer bin und der unserer Kinder, wächst noch

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132 Erinnerungen an den Vater

mehr. Es ist schön, dass wir in unserer Ehe alles sein können, Geliebte,Geliebter, Ehemann und Ehefrau, Vater und Mutter. Ich umarme dich vol-ler Liebe und küsse dich,meine geliebte FrauDein Mann.“

Die erste Nachricht vom Tode meines Vaters ist vom 24. Juli 1941 datiertund war an meine Mutter gerichtet. Am 17. Juli fiel er durch einenLungenschuss in der Gegend zwischen Smolensk und Witebsk. MeineMutter war vor Schmerz versteinert und wusste, dass sie ihren kleinenSohn, der drei Wochen später zur Welt kommen sollte, alleine würdeaufziehen müssen.

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133Erinnerungen an den Vater

Otto Woggon

* 17. Februar 1921 in Kirchweyhe bei Uelzen= 14. März 1942 in Russland

Von Anneliese Langbeck

Ich habe keine Erinnerung an meinen Vater, nur Bilder und Erzäh -lungen meiner Mutter. Ich wurde im August 1939 geboren. 1940 wurdemein Vater eingezogen. 1941 hatte er noch einmal Urlaub und wirhaben Bilder davon. Dann kam er nach Russland und dort ist er am 14. März 1942 gefallen. Mit 21 Jahren. Der Ort hieß Toßno.

Meine Mutter bekam alle Papiere und Auszeichnungen zugeschickt,auch Bilder vom Soldatenfriedhof, auf dem mein Vater begrabenwurde. Als Kind habe ich sehr darunter gelitten, ohne Vater aufzuwach-sen. Als die ersten Heimkehrer aus Russland kamen, dachte ich immer,mein Vater könnte dabei sein. Es ging mir nicht aus dem Kopf. Viel -leicht hätten sich alle geirrt und er stünde auf einmal vor unserer Tür.

Meine Mutter hatte es damals nicht leicht mit mir. Aber das Wundergeschah nicht und ich musste mich damit abfinden. Als Andenken bliebmir nur seine Mandoline. Die hatte er mit großer Leidenschaft seit sei-nem achten Lebensjahr gespielt.

Nun bin auch ich Mutter und mein Sohn ist Berufssoldat und für einhalbes Jahr im Kosovo.

Warum gibt es immer wieder Krieg?Wann lernen die Menschen endlich, miteinander zu leben?

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134 Erinnerungen an den Vater

Franz Hügen

* 5. April 1914= zwischen 17. Februar und 30. März 1945

Soldatenfriedhof Saldus/Lettland Grablage: Block F, Reihe 28, Grab 1192

Von Gerda Michels

Mein Vater, Franz Hügen, wurde 1914 in Kranenburg, einer kleinenGemeinde im Kreis Kleve am Niederrhein geboren. Er war das jüngstevon sieben Kindern. Seine Mutter und sein Vater verstarben früh, alsmein Vater sieben Jahre alt war. Er wuchs bei einer Schwester auf undbe suchte die Volksschule in Kranenburg. Nach deren Beendigung trater in den Dienst der Reichsbahn. Im November 1940 heiratete er.

Wann er zum Wehrdienst einberufen wurde, ist mir nicht bekannt.Seine Anfangsbriefe von der Ostfront haben das Datum Frühjahr 1943.Er schrieb in seinem Briefen, dass er bei Polok in Weißrussland liegeund bei den feldgrauen Eisenbahnern wäre. Wahrscheinlich war meinVater bei der Heeresgruppe Nord.

Im Juni/Juli 1944 mussten sie vor den Russen zurückweichen. Dannschrieb er, er liege bei Dünaburg/Lettland. Ende 1944 schrieb er ausWindau/Lettland. Seine letzten Briefe stammten vom 6., 7. und 8. No -vember 1944. Da Kranenburg/Kleve am Niederrhein Frontgebietgeworden und die Bevölkerung evakuiert worden war, sind wohl Briefevon Vater verloren gegangen.

Mein Vater und meineMutter

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135Erinnerungen an den Vater

In den Briefen schrieb Vater auch, dass er über zwei Jahre keinenUrlaub hatte und nicht mehr zu Hause war. Bekannt ist mir, dass Vaterim Januar 1945 überraschend kurz auf Urlaub in Kranenburg war, alsaber alle Urlauber wieder zurück an die Front mussten, ist auch erzurückgefahren.

Auch in Lettland/Kurland ging im Januar 1945 alles drunter und drü-ber. Es gab dort sechs Schlachten bis Kriegsende. Meine Mutter hat vonVater nie mehr etwas gehört. Keine Nachricht, keinen Brief. Sie hatKame raden gefragt, an heimkehrende Kameraden geschrieben, ob dieseVater gesehen hätten oder etwas von ihm wüssten, aber niemand konn-te ihr etwas über den Verbleib meines Vaters sagen. Seit dieser Zeit galter als vermisst. Mutter hat 1951 wieder geheiratet und Vater für toterklären lassen. Danach wollte Mutter nicht mehr über den Krieg oderüber Vater sprechen. Meine Schwester und ich waren noch zu klein,meine Schwester Jahrgang 1942 und ich 1941, um dies zu begreifen.

Meine Mutter verstarb 1995 und so hat sie nie etwas von Vater erfahren.Nach Mutters Tod bekamen wir, meine Schwester und ich, den Nach -lass mit Vaters Briefen und wenigen Fotos. Da die Briefe in Sütterlinge schrieben waren, mussten wir sie erst übersetzen, um sie lesen zukönnen. Es war für meine Schwester und mich sehr schmerzvoll zulesen, was Vater so schrieb, bewegte und dass er voller Sorge um seineFamilie in der Fremde war.

Am 27. November 1998 kam der Brief an meinen Halbbruder, von derBenachrichtigungsstelle in Berlin, dass man Vater bei Umbettungs -arbeiten in Bukupe/Lettland gefunden hat und seine Gebeine auf denSoldatenfriedhof in Saldus beigesetzt wurden.

Bei den Einweihungsfeierlichkeiten durfte ich dank der unermüdlichenArbeit des Volksbundes im Osten an seinem Grab stehen. Ich werdeIhre Arbeit und Mühe auch weiterhin unterstützen, so gut es geht.Denn ohne Sie hätten wir nie mehr etwas vom Schicksal meines Vaterserfahren und hätten nicht gewusst, wo er geblieben ist! Für Ihre großeMühe und Arbeit bedanke ich mich ganz herzlich.

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136 Erinnerungen an den Vater

Curt Hildebrand

Vermisst seit Mai 1945

Von Ingeborg Linder

Mein Vater wurde schon am 26. August 1939 eingezogen. Die wehr-pflichtigen Männer in den Grenzorten waren zuerst dran. Die Ein -berufungsbefehle mussten von Postbeamten zugestellt werden. Sieschafften es tagsüber nicht, und so lief der Bote auch in der Nachtherum und kletterte, wenn nötig, sogar über Zäune, um an die Schlaf -zimmerfenster zu klopfen.

Ich wachte durch den Lichtschein der Nacht tischlampe und durch einefremde Stimme auf. Mein Vater wandte mir, weiß und lang behemdet,den Rücken zu und nahm ein Papier entgegen. Das Fenster war wiedergeschlossen. Meine Mutter redete aufgeregt. Das Licht war aus, aber ichhörte noch lange, wie die Mama weinte und der Papa leise flüsterte. Eswar der 26. August 1939. Wir waren gerade aus dem Urlaub in Henken -hagen an der Ostsee zurückgekommen. Es war ein ganz besondersschöner Sommer! Die Koffer waren noch nicht auf den Speicher gestellt.Einer wurde nun wieder gepackt.

An dem Tag, als meine Schwester getauft werden sollte, klingelte es ander Tür. Ich öffnete – da stand der Papa und strahlte übers ganzeGesicht. Nachdem das Baby im Stubenwagen gebührend bewundertwar, tauschte Papa schnell und gern die Uniform mit seinem bestenAnzug. Während der Taufzeremonie konnten die Eltern abwechselnddas Baby im Kissen halten und wiegen.

18. Dezember 1944Meine liebe Lieselotte!Herzlichen Dank für deinen lieben Brief vom 12. d. M., den ich heuteMittag erhielt. Ich habe alles mit Interesse gelesen. Am meisten Sorgemacht man sich nun um die Eltern; denn fast alle Tage liest man ja vonEinflügen nach dort (Korbach bei Kassel!), so auch heute wieder. Was magdort noch vor sich gehen, was man nicht weiß bzw. hört. Ich habe ihnengestern meinen Weihnachtsbrief geschrieben.

Es ist ja immer viel Leid in der Welt gewesen; aber was der furchtbareKrieg für Leid hervorgerufen hat, das ist so schrecklich, dass man in einer

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137Erinnerungen an den Vater

ruhigen, besinnlichen Stunde zu keinem Resultat kommt, weshalb das allesüber uns kommen und ertragen werden muss.

Nun, liebe Lieselotte, wir fühlen darin ja nur mit den anderen. Wir selbstsind ja, trotz allem Schweren, das der Krieg für uns, jeder auf seinemPlatze, mit sich gebracht hat, noch gesund daraus hervorgegangen, allesechs. Und dafür wollen wir dem Schicksal dankbar sein.

Nun, wir wollen nicht nur das Trübe sehen. Vielmehr wollen wir geradeangesichts des Weihnachtsbaumes etwas froher ins Licht sehen. Der Christ -baum hat uns unser Leben lang fast nur frohe Stunden bereitet, uns zufrie -den und glücklich gemacht, sodass wir auch in dieser ernsten Zeit nichtganz mutlos werden wollen; hoffen wir, dass auf uns alle mal wieder etwasLicht und Sonne fällt.

Ich lege diesem Brief ein Weihnachtskärtchen für Klein-Rosemarie undeinen Brief für die große Ingeborg bei; bitte lege den lieben Kleinen meineGrüße auf den Weihnachtstisch. Was ich darin gesagt habe, wird ja jedesverstehen. Die bescheidenen Geschenke, die ich im Laufe der Wochengeschickt habe, machen ihnen hoffentlich auch Freude.

Nur vor dir stehe ich mit leeren Händen. Aber ich denke, ein irgendwoerstandenes Schmuckstück oder ein anderer Gegenstand macht’s bei dirauch nicht. Was ich meine, weißt du.

Und nun, liebe Lieselotte, habe ich den Wunsch, dass du den Weihnachts -abend so gestalten möchtest, als wenn ich auch dabei wäre. Alles, was unsfrüher froh gemacht hat, soll die Kinder auch froh machen. Feiert ein frohes,deutsches Weihnachtsfest, und ich will herzlich an euch denken.

Dir, liebe Lieselotte, auch viele liebe Weihnachtsgrüße.

Dein Curt

N.S.Das Feldpostpäckchen mit Kuchen und Gepäck ist heute auch noch ange-kommen; vielen Dank dafür.

Mein Vater ist nie wiedergekommen Sein letztes Lebenszeichen war einBrief vom 14. März 1945 aus Littau (bei Olmütz, Tschechoslowakei) anseinen Freund aus der Wandervogelzeit:

„Wieder muss ich heute schreiben: Wie hat sich die Lage verändert! Dumeinst, dass uns am Tage deines Schreibens der Boden auch in Krakau heiß

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138 Erinnerungen an den Vater

werden würde. Nun, am 18.1. waren die Russen schon im Besitz dieserStadt. Es überstürzten sich die Ereignisse. Am 16.1. rückte das Gros unse-rer Kompanie ab; ich blieb bei einem Nachkommando von 20 Mann. … Wirmussten auf Befehl bald weiter über Auschwitz, Pleß und Rybnik nachRatibor. Auf diesen Wegen und später noch sahen wir Bilder schrecklichenJammers; endlose Züge der flüchtenden Zivil bevölkerung, Gefangenen -kolonnen und Wehrmachtstrosse bei eisiger Kälte von 15 bis 20 Grad aufder Chaussee. Wir sahen noch mehr, was man nicht schreiben kann. – InRatibor blieben wir einige Tage und wurden dann in jenes kleine Städtchenbei Olmütz befohlen, wo wir schon mal vergangenen Sommer fünf Wochengelegen hatten. Es ging über Troppau und Bärn im Sudetenland; wäre derAnlass nicht so traurig gewesen, behielte man die Fahrt als schönesErlebnis in Erinnerung. – Nun sind wir schon wieder sieben Wochen hier,können aber jeden Tag wegkommen.“

Nach Auskunft des Suchdienstes vom Roten Kreuz wurde mein Vaternoch am 1. Mai 1945 von Lissa an der Elbe zu einem Lehrgang nachNymwegen abkommandiert. Es wird angenommen, dass er auf diesemWeg nicht weit gekommen und in den Wäldern bei Prag bei letztenKämpfen (evtl. durch Partisanen) umgekommen ist.

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139Erinnerungen an den Vater

Dr. Fritz Röhricht

* 26. März 1898= 9. September 1945 in Kragujevac/Jugoslawien

Von Dr. med. Gisela Koch

Ich bedanke mich für den Anstoß zur eigenen Erinnerung. Schön daranist allein schon, dass man sich selbst, veranlasst durch Ihre Aktion, nocheinmal mit demVerstorbenen intensiv befasst und eigene Erinnerungen,wenn sie auch noch so gering sind, hervorsucht. So habe ich meine älte-re Schwester beauftragt, mit dabei zu helfen und lege Ihnen derenAufzeichnungen bei, da sie Persönliches und Anekdotisches besser alsich behalten hat.

Ich habe meinen Vater nur in meinen allerersten Kinderjahren erlebtund kann mich nur noch sehr verschwommen an ihn erinnern. Es warein Gefühl von Geborgenheit und Liebe. Ich kann mich noch an zweiLieder erinnern, die er immer gesungen hat. Oft hat unser Vati mich aufden Arm genommen und mir vorgesungen. Das sind so etwa meineersten Kindheitserinnerungen.

Dann weiß ich noch einige Episoden, die mir Mutti und unsere Anna(Kinderfrau) erzählt haben. Als ich geboren wurde, hatte ich noch keineHaare, ich hatte eine Glatze, die schön in der Sonne glänzte. Als unserVati kurz nach meiner Geburt Mutti im Krankenhaus besuchte, stand erda und betrachtete mich mit zerfurchter Stirn. Unsere Mutti fragte ihn,was denn los wäre, warum er mich so sorgenvoll ansehen würde. Dafragte er ganz besorgt: „Wird die Kleine denn lebenslänglich die Glatzebehalten?“ Da lachte seine Frau und klärte ihn darüber auf, dass diemeisten Babys mit einer Glatze auf die Welt kommen und die Haaredann im Laufe der Zeit wachsen.

Vati hat sehr viel und gern gelesen. Wir hatten ein riesengroßes Biblio -thekszimmer mit Bücherregalen ringsherum. Unser Vati hatte fast seinganzes Geld für Bücher ausgegeben. Er konnte so viel verdienen, wie erwollte, spätestens in der Mitte des Monats hatte er nichts mehr. Darauf -hin hat unsere Mutti das Geld verwaltet. Das hat sie oft erzählt.

Eine heitere Geschichte: Unser Vati war zwar intellektuell und geistigsehr hochstehend, aber im praktischen Leben völlig ungeschickt. Ein -mal war er allein zu Hause und hatte den Abwasch erledigt. Als Anna

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und unsere Mutti nach Hause kamen, hatten sie das Geschirr gesucht.Nirgendwo war ein Teller oder eine Tasse zu finden. Dann hatte Annaim äußersten Winkel hinter dem Ofen ein Bündel entdeckt, das in einTuch eingebunden war. Als sie sich das Bündel genau ansah, warendarin lauter zerbrochene Teller und Tassen, die Scherben vom Abwaschunseres Vaters.

Eine merkwürdige Geschichte: Es war das letzte Kriegsjahr, etwaAnfang 1945. Vater war im Herbst 1944 zum Kriegsdienst eingezogenworden. Anna hörte plötzlich nachts in ihrem Schlafzimmer ganz lautund deutlich neben sich die Stimmen unseres Vaters: „Anna, ich binwieder da!“ Anna war daraufhin aufgestanden, hatte das Licht ange-knipst, aber nirgendwo war Vater zu sehen. Sie suchte ihn überall. Denganzen Raum hat sie abgesucht, in den Schränken und unter dem Bett(als ob unser Vater, wenn er wirklich wiedergekommen wäre, sich imSchrank oder gar unter dem Bett versteckt hätte). Das war ein Zeichen,dass er niemals wieder zurückkehren würde, hat Anna gesagt, und soist es ja auch wirklich gekommen ...

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Ernst Kampe

* 16. Dezember 1910 in Salzwedel/AltmarkVermisst 1944/45

Von Dieter Kampe

Lange habe ich überlegt, ob ich Ihnen die Lebensgeschichte meinesVaters, über den ich selbst auch nur wenig weiß, aufschreiben soll. Aberauch heute noch, 60 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, nach-dem ich selber schon alt bin, geht mir immer wieder die Frage durchden Kopf, wie und wo sein Leben ein Ende fand, unter welchen Um -ständen er, wenn überhaupt, begraben wurde.

Mein Vater kam als Sechs- oder Achtjähriger mit seiner Großmutter undseiner Mutter nach Berlin. Beide Frauen hatten keine Männer mehr undschlugen sich recht und schlecht durch die schweren Jahre.

Die Großmutter lebte von einer kleinen Rente, die sie für zwei imErsten Weltkrieg gefallene Söhne bekam. Sie wurde im Zweiten Welt -krieg zweimal in Berlin bei den Bombenangriffen verschüttet und ver-lor all das Wenige, was sie besaß. Die Bombenangriffe überlebte sieunversehrt, starb aber 1949 ärmlich und gebrochen im Alter von nur60 Jahren an Krebs.

In der Obhut der beiden Frauen – Großmutter und Mutter – wuchsmein Vater nicht weit vom Luisenplatz, direkt bei der berühmtenBerliner Charité, auf. Es war die Zeit der Unruhen, Revolution, Auf -stände, Inflation, Arbeitslosigkeit und des Elends. Mein Vater konntekeinen Beruf erlernen, auch wenn er für kurze Zeit eine Lehrstelle als

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142 Erinnerungen an den Vater

Schmied hatte, er musste sie abbrechen, da sie so weit außerhalb vonBerlin lag, dass er sie kaum erreichen konnte. Er muss sehr fleißig undzu jeder Arbeit bereit gewesen sein, so dass er immer wieder eine Be -schäftigung fand.

1929 lernte er dann Mutter kennen, 1933 heirateten meine Eltern, ichwurde 1934 geboren. Zu der Zeit arbeitete mein Vater als Rollkutscher,wie man damals noch sagte, für Speditionsfirmen. Allerdings nichtmehr mit Pferd und Wagen, sondern schon als Lastkraftwagenfahrer, daer in der Zwischenzeit seinen Führerschein gemacht hatte. MeineMutter hat in den Jahren immer mitgearbeitet, sofern sie oder beide inder Zeit überhaupt Arbeit hatten. Ich glaube, es war im Frühjahr 1938,als mein Vater sich freiwillig für ein paar Monate zum Wehrdienst mel-dete, da er wieder mal keine Arbeit hatte.

Mein Vater war immer guter Dinge und sehr zuverlässig, denn irgend-wann nach Kriegsende fragte man bei meiner Mutter an, was aus ihmgeworden sei, und ob er nicht wieder bei der Firma anfangen und alsHaus- und Platzmeister arbeiten wolle. Überhaupt waren meine Elternsehr lebenslustig, haben gern und viel gelesen, gingen auch gern tanzenund ins Theater, aber auch mal in die Oper oder Operette, sofern sie dasGeld dafür abzweigen konnten, denn es fehlte an vielem. Auch sind siegern mit dem Fahrrad gefahren, aber auch zum Schwimmen an dieSeen rund um Berlin. Wenn ich heute an meine Kindheit denke, warmeine Mutter viel und oft daheim am Singen. Ich sehe heute noch, wieVater eines Morgens unsere Wohnung in seiner Lederjacke verließ, dieer als Kraftfahrer immer trug. Ich stand am Fenster unserer kleinenEinzim mer wohnung, die im Parterre lag und winkte, als er am Fenstervorbei ging. Es war der 30. August 1939, und man hatte ihn eingezogen.Eine Woche später, meine Mutter war hochschwanger, kam meinBruder Rüdiger zur Welt.

Mein Vater bekam nicht gleich Urlaub, und es wundert mich, dass manihn damals unter den gegebenen Umständen gleich eingezogen hatte,zumal er ja nur zur Reserve kam. Mein Bruder Rüdiger und mein imFebruar 1944 geborener Bruder Ingo können sich an ihren Vater kaumoder gar nicht erinnern. Es war sogar so, dass Rüdiger, als mein Vatereinmal auf Urlaub kam, gesagt haben soll: „Mutti, was will der fremdeMann hier, er soll wieder gehen!“

Damals, zu Beginn des Krieges, war mein Vater für eine längere Zeit beieiner Einheit im Osten von Berlin stationiert. Er kam alle 14 Tage amWochenende nach Hause. Dazwischen besuchte ihn manchmal meineMutter. Aus dieser Zeit stammt ein kleines, für mich unvergessenes

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Erlebnis. Meine Mutter hatte mich mit zu ihm genommen, und ichdurfte mit meinem Vater zurück auf seinem Fahrrad fahren. Wir mach-ten uns auf den fast zehn Kilometer langen Weg nach Fürstenwalde. Ichsaß auf dem Gepäckständer und sollte die Beine schön gespreizt halten,was nur eine Weile gut ging, dann kam ich immer wieder mit denFüßen gefährlich nahe ans Rad, und es gab eine Ermahnung. Irgend -wann passierte es dann doch und ich war mit den Füßen in denSpeichen, was zur Folge hatte, dass wir im Chausseegraben landeten.Uns war weiter nichts passiert, aber das Fahrrad war ziemlich rampo-niert, und wir mussten den Rest der Strecke bis zur Bahn zu Fuß gehen.Ich hatte Angst, dass mein Vater schimpft und im Moment war er wohlauch sauer, aber gesagt hat er nicht viel, sondern nahm es relativ gelas-sen hin.

1944 wurde Vater nach Debrecen abkommandiert, wo der Russe durch-zubrechen drohte. Aus dieser Zeit stammt auch ein Brief, in dem erschrieb, sie bekämen jeden Tag ein halbes Pfund Butter zu essen, manwolle sie wohl fürs Sterben mästen … Schon 1944 kam er immer selte-ner auf Urlaub. Ich kann mich nur noch entsinnen, dass er ganz kurznoch einmal kam, nach der Geburt meines jüngsten Bruders im Februar1944. Ich war damals neuneinhalb Jahre alt.

Die letzte Post meines Vaters erhielten wir Weihnachten 1944 zusam-men mit einem Holzkoffer, wie er wohl bei der Wehrmacht üblich war.Der Koffer war voll mit Walnüssen und anderen Leckereien, die damalskostbar waren. Ein Kamerad meines Vaters überbrachte uns den Kofferund auch die Post.

Danach haben wir nie wieder etwas gehört, weder von meinem Vater,noch von seiner Einheit oder von einzelnen Kameraden.

Meinen Vater habe ich nie vergessen und oft in stillen Stunden gehofft,er würde doch eines Tages wiederkommen. Es waren Träume undSehnsüchte.

Meine Mutter hat in den ersten Jahren nach ihm geforscht, bis sie ihndann für tot erklären ließ, weil sie auf das Kindergeld und die Renteangewiesen war. Aber auch noch später hat sie jeden ehemaligenWehrmachtsangehörigen, dem sie begegnete und der in Ungarn oderBudapest stationiert gewesen war, ausgefragt, ob er evtl. meinem Vateroder seiner Einheit zum Schluss begegnet sei. Jedoch ohne Erfolg!

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144 Erinnerungen an den Vater

Wilhelm Knoch

* 12. September 1905 in Weißenborn – Schwalm-Eder-Kreis = 14. April 1945 in Dömitz an der Elbe

Von Dieter Knoch

Mein Vater war ein großer blonder stattlicher Mann, 1,80 Meter groß. Erwar Holzkaufmann und Besitzer eines Sägewerks, das ich und meineSchwester einmal erben sollten, aber der Krieg hat alles zunichte ge -macht. Ich war aber noch zu klein und meine Mutter konnte das Säge -werk nicht allein weiterführen. Ich bin 1939 geboren, meine Schwester1934. So haben meine Mutter und wir durch den Krieg fast alles verlo-ren und ich hätte meinen Vater so gebraucht.

Das Grab befindet sich auf dem Friedhof in Dömitz, auf dem 37 Sol da -ten ruhen. 1951 hat meine Mutter einen Grabstein setzen lassen (sie istam 21. März 1978 verstorben). Zu DDR-Zeiten wurde das Grab nichtgepflegt und ich konnte die Grabstätte meines Vaters nicht besuchen,weil Dömitz in der „Fünf-Kilometer-Zone“ lag. Nach der Wende 1989bin ich sofort nach Dömitz ans Grab gefahren. Die Grabsteine waren ineinem sehr schlechten Zustand, man konnte den Namen meines Vaterskaum lesen. Zu DDR-Zeiten war alles verwildert. 1990 hat die Stadtdurch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Soldaten grä -ber wieder hergerichtet. 1992 habe ich den Grabstein auf meine Kostenvon einem Steinmetz in Dömitz neu herstellen lassen. In jedem Jahrfahre ich mit meiner Frau an das Grab meines Vaters, eine Fahrtstreckevon 350 Kilometern.

Heute bin ich selbst Vater von zwei Söhnen und erzähle ihnen, was ichvon meiner Mutter über meinen lieben und guten Vater weiß. Den letz-ten Brief (den ich in Ehren aufbewahre) hat er mir zu meinem fünftenGeburtstag, am 21. Dezember 1944, von der Front geschrieben, dass erbald wieder nach Hause käme und mich in den Arm nähme undGeburtstag und Weihnachten nachhole.

Aber der Krieg wollte es anders und mein Vater fiel noch zu guterLetzt, eine Schande. Nach dem Krieg bekamen alle Hilfe, bis heutenoch, aber uns Kindern ist wenig geholfen worden und keiner fragtheute noch nach uns. Nur die Trauer bliebt, wenn ich am Grab stehe.

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Friedrich Ihle

* 31. Mai 1901 in Chemnitz= 19. August 1944

Kriegsgräberstätte Champigny-St-André/FrankreichBlock 14, Reihe 9, Grab 498

Von Barbara Ihle

Als ich im Herbst 1945 eingeschult werden sollte, examinierte michmeine Mutter: „Und was sagst du, wenn man dich in der Schule fragt,was dein Vater von Beruf gewesen ist?“ Das wusste ich: „Ober zahl -meister“. „Das war er im Krieg, und sonst?“ „Ach so, Ortsgruppen -leiter.“ „Das sag lieber nicht, sondern?“ „Bankangestellter!“, fiel mirschließlich noch ein. Dieses Gespräch sagt schon allerhand über meinenVater und meine kindliche Sicht auf ihn.

Als er am 20. August 1944 in Nordfrankreich fiel, war ich fünf Jahre alt.1940 war er eingezogen worden, ich kannte ihn also nur von den selte-nen Urlaubsaufenthalten, doch kann ich von ihm, den ich schwärme-risch verehrte, viel berichten, teils nach Erzählungen meiner Mutter,teils nach noch vorhandenen Unterlagen.

Mein Vater wurde am 31. Mai 1901 in Chemnitz geboren. Bei Ausbruchdes Ersten Weltkrieges legte sein älterer Bruder Paul ein Notabitur abund meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Er wurde am 13. Mai1915 in Flandern nach einem Gefecht bei Verlorenheck vermisst gemel-det. Mein Großvater überlebte den Verlust seines Sohnes Paul nichtlange, er starb einige Wochen später an einem Krebsleiden. Im Ge -denken an den Bruder, über dessen Tod trotz Nachforschung nichtsnäheres in Erfahrung gebracht werden konnte, wurde Vater späterMitglied beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

1918 ging Friedrich Ihle von der Schule ab und trat als Volontär beieiner Bank ein. Nach dem Friedensschluss wurden Arbeitsplätze füraus dem Krieg heimkehrende Angestellte gebraucht, Fritz musste wei-chen und ging für einige Zeit nach Pommern, um in der Landwirtschaftzu arbeiten. 1923 konnte er zur Stadtbank zurückkehren und war dortin der Effektenabteilung und als Börsenvertreter beschäftigt. 1925 heira-teten mein Vater und meine Mutter. Beide hatten Arbeit und reisten imUrlaub in die Alpen, denn sie waren große Berg- und Wanderfreunde.

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1927 konnten sie eine Wohnung in der „Kriegersiedlung“ in einemVorort von Chemnitz beziehen. Else gab ihre Arbeit auf, denn „Doppel -verdiener“ wurden damals nicht gern gesehen. Fritz trat in die NSDAPein, nicht aus Opportunismus, sondern aus Überzeugung. Er nahm anLehrgängen teil, leitete die Ortsgruppe im Wohngebiet, war 1934Stadtverordneter und wurde später zum Kreiskassenleiter berufen. Anfang 1940 wurde mein Vater ins „Protektorat Böhmen und Mähren“als Kriegsverwaltungs-Inspektor eingezogen. Er zahlte Gehälter an dieHeeresbeamten aus, musste aber auch über Land fahren und zum Bei -spiel Schulen zu Lazaretten umfunktionieren. Irgendwelche Kampf -handlungen gab es dort nicht, es war ein besetztes Land, in dem dieVersorgung mit Waren des täglichen Bedarfs besser als im „Reich“ war,wo schon die Kriegs-Mangelwirtschaft herrschte.

Neben seinem Dienst hatte er Zeit, für die Familie einzukaufen undPakete abzuschicken. Bis Mai 1943 war er so im Protektorat gewesen,wo er außer der Trennung von Frau und Kindern keine Not leidenmusste. Dies alles änderte sich, als er an die Ostfront ging. Nach einemHeimaturlaub im Januar 1944 wurde er in Bessarabien eingesetzt, bevorer im Zusammenhang mit der Landung der Alliierten nach Frankreichmusste. Nach einigen Wochen brach der bis dahin aufrechterhalteneBriefkontakt meiner Eltern ab, obwohl Mutter zuletzt täglich zweiBriefe aufgab. Schließlich kam der 20. September, an dem sie von derKreisleitung die Todesnachricht erhielt.

Als sich nach dem Kriege die Lage stabilisiert hatte, stellte meineMutter Nachforschungen an. Den Volksbund Deutsche Kriegsgräber -fürsorge gab es in der DDR natürlich nicht, zuständig war eine Ein -richtung in Berlin. Von dort konnte ihr 1964 mitgeteilt werden, dass ihrMann in Champigny-St. André begraben liegt. Sie selbst hat die Wendenicht erlebt. Ich aber besuchte 1992 auf einer Reise mit dem Volksbunddas Grab meines Vaters.

Oberleutnant Hustert O.U., den 10. Oktober 1944

Sehr geehrte Frau Ihle!Bei den überaus harten und schweren Kämpfen an der Invasionsfront imWesten hat Ihr Gatte, der Oberzahlmeister Friedrich Ihle, getreu seinemSoldateneid den Heldentod gefunden. Ich fand seine Leiche am 20.8.44 beiMoissy, zwischen St. Lambert und Chambois, 5 km südostw. Trun, Nor -mandie. Die Art seiner Verwundung, mehrere Schüsse durch Brust undBauch, ließ darauf schließen, dass er sofort tot gewesen ist und nicht mehrzu leiden hatte. Ich habe ihn mit einigen Kameraden beerdigt, doch musstedies wegen des scharf nachdrängenden Feindes in aller Eile geschehen.

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Ihr Gatte gehörte weder meinem Bataillon noch meiner Division an, ichhabe seine Leiche nur zufällig gefunden und war glücklich, ihm den letztenKameradendienst erweisen zu können, indem ich ihn beerdigte.

Geehrte Frau Ihle, ich habe vollstes Verständnis für Ihre Trauer und IhrLeid. Bedenken Sie, dass Ihr Gatte für sein geliebtes Vaterland als Held denTod fand. Auch sein Blutopfer wird ein Beitrag zum deutschen Sieg sein,auf den wir fest vertrauen wollen.

Ich grüße Sie und Ihre Familie im tiefsten Mitgefühl mit IhnenIhr stets hilfsbereiterHustert

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148 Erinnerungen an den Vater

August Kunz

* 7. Januar 1901= 20. September 1944

Von Ingeborg Kunz

Ich bin Ihnen dankbar, für die Möglichkeit, die mir gegeben ist, dieErinnerung an einen wertvollen Menschen zu dokumentieren, zumalwir in unserer Familie keine Nachkommen haben.

Das war einmal eine Familie, die der Krieg für immer zerstörte. Inner -halb eines Jahres verloren wir durch amerikanische Bomber unserHaus, ist mein Vater als Soldat gefallen und meine Mutter wurde vonAmerikanern verschleppt und unschuldig in verschiedenen Internie -rungs lagern über zwei Jahre festgehalten.

Mein Vater August Kunz war zuletzt in Pirmasens stationiert. Dort trafihn ein Geschoss eines amerikanische Tieffliegers in den Kopf und einesins Herz, als er den Bunker im Kasernenhof nicht mehr erreichte. ImWaldfriedhof von Pirmasens hat er auf einem Ehrenfeld der Kriegs -gräber fürsorge einen würdevollen Ruheplatz, wie er ihn sich sichergewünscht hätte, denn er liebte den Pfälzer Wald.

Über persönliche äußere Merkmale kann ich nicht viel sagen, ich habenur eine schwache Erinnerung an ihn als Soldat in Uniform, wenn ermal zu kurzem Urlaub zu Hause war. Ich bin 1937 geboren, und meinVater war so ziemlich von Anfang an im Krieg. Ich habe oft in meinemLeben gehört, wie ähnlich ich meinem Vater im Wesen bin, und ichkann sagen, ich hätte ihn sehr gerne gekannt!

Mein Vater hatte eine kaufmännische Ausbildung und war dann nachVerwaltungsseminaren in der Beamtenlaufbahn bei der Stadt verwal -tung unserer Heimatstadt Limburg in Hessen. Als Stadtinspektor war

Meine Eltern und meinBruder; ich bin das

kleine Mädchen links.

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149Erinnerungen an den Vater

er zuletzt Leiter des Einwohnermelde- und Ordnungsamtes, also derOrtspolizeibehörde. Als Menschenfreund, wie er geschildert wird,konnte er dort sicher einiges bewirken, obwohl es nicht der ideale Beruffür ihn war.

Mein Vater war ein musischer Mensch mit wunderbaren Talenten undvor allen Dingen liebte er die Natur über alles. Als junger Mensch, dasheißt vor dem Krieg, war er ein fröhlicher, geselliger Mann, der einemWanderclub angehörte, dort für seine Wanderfreunde Gitarre spielteund sang. Wir erhielten mit seinem Nachlass sehr schöne Naturbilder,vor allem Wiesenblumen, die er in seiner Soldatenzeit mit einfachenMitteln, teilweise mit Buntstiften auf Butterbrotpapier gemalt hat, aberauch bemalte Kacheln, in denen sich das Motiv fortsetzt. Ebenso erhiel-ten wir Notizbücher mit tiefgründigen Versen, die er in feinster Druck -schrift abgefasst hatte.

Aus seinen Briefen an unsere Mutter sehe ich, dass nur seine Liebe zurNatur und die Möglichkeit, diese Gefühle in Bildern und Versen auszu-drücken, ihm geholfen haben, die Grausamkeiten des Krieges auszuhal-ten.

Arme kleine Tannevon August Kunz

Mit einem weißen Kleidehat sich die Flur geschmückt,und eine kleine Tannehat mich so sehr entzückt.

Beladen mit dem Leide,sie stumm und reglos stand,Wie eine kleine Heldin,so schaut sie über’s Land.

Es trägt auch unter Menschengar mancher schweres Leid,und trägt mit Stolz und Würdedazu ein festlich Kleid.

Dein Vaterlandvon August Kunz

Was wär’ des Lebens Freude,Was wär’ des Soldes Wert,Was wär’ des Sieges Beute,Was wär’ des Heimes Herd.Was alles auf der Erde,Was wär’ das Stückes Pfand,Wenn nicht die Liebe wäreUnd nicht Dein Vaterland?

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Reinhold Ferdinand Christian Pinske

* 29.1.1906 in Kartowen/Westpreußen= 4. April 1948 im Internierungslager Mühlberg an TBC

Von Dorothea Lange

Ich sende Ihnen meine Erinnerungen an meinen Vater. Es sind ja nur dieErlebnisse mit ihm bis zu meinem zehnten Lebensjahr, bzw. bis zumdreizehnten Lebensjahr, Sommer 1948.

Anbei finden Sie ein Foto von meinem Vater und ein Zettelchen, das eraus dem Lager herausschmuggeln konnte. Ferner die Benachrichtigungvom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, München. An allemhängt ein Stück persönliches Erleben, ein Stück meines Herzens.

Größe 1,70 Meter, Haarfarbe braun, Augenfarbe graublau, kräftige, ker-nige Gestalt, besondere Eigenschaften: liebender, treu sorgender Gatteund Familienvater, lebensbejahend, wahrhaftig, geradlinig, korrekt, ziel-strebig, ideenreich, unternehmungslustig, fröhlich, sportlich, gütig, got-tesfürchtig.

Lebenslauf (Stationen)29. Januar 1906: in Westpreußen geboren.1933: Eheschließung mit Erna Heiß.Tätig als Hauptwachtmeister in Wittenberg, Halle, Hamersleben KreisIschersleben (alles Sachsen-Anhalt)1934–1937: Geburt der Kinder Joachim, Dorothea und Wilfried.1939: Umzug nach Wegeleben/Ostharz (Sachsen-Anhalt).

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1939: Einberufung zum Wehrdienst, bis Kriegsende ...1945: Soldat an der Front (1941 Verwundung).1943: Geburt der Tochter Bärbel.1945: Heimkehr nach dem Krieg von München nach Wegeleben am8. Juni in die Ostzone mit russischer Besatzung. Tätig auf der Domänein Wegeleben als Pferdeknecht.1945: Am 10. Oktober denunziert, verhaftet durch die russische Besat - zungs macht und ins Internierungslager Mühlberg/Elbe verschleppt.1948: Dort am 4. April an TBC umgekommen.

Diese Nachricht erfuhren unsere Mutter und wir vier Kinder durchKameraden, die im Juli 1948 aus Mühlberg entlassen wurden. IhreAussage beruht auf dem Bericht des Barackenältesten.

1993 im Januar erfuhr ich durch die Kriegsgräberfürsorge von derExistenz der „Initiativgruppe Lager Mühlberg e.V.“ und konnte dieMassengrabstelle aufsuchen und betreten, wo mein Vater begrabenwurde. Im gleichen Jahr ließ ich ein Holzkreuz zum ehrenden Geden kenan meinen Vaters dort errichten. Ich kann nun diese Stelle pflegen unddadurch meinen Vater ehren.

Besondere Erinnerungen:

Vati war unkompliziert! Schnell entschlossen hieß es einmal: „Mutti, lassAbwasch Abwasch sein, lass alles stehn und liegen, das Wetter ist heuteso schön, wir fahren in den Harz!“ (Mit der Eisenbahn versteht sich!)Und es ging in den Harz! Durchs Bodetal, die Schurre hoch, zur Roß-trappe, zum Hexentanzplatz, wieder hinunter zum Teufelskessel! Herr-lich war es, im Wald zu wandern, zu spielen und Vatis frohe Stimme zuhören.

Vati konnte so herrlich mit uns turnen. Wenn er mal auf Urlaub kam,ging es in der Stube hoch her. War das eine Lust! Oder wenn wir sonn-tags in den Nachbarort zum Gastwirt Schulze wanderten, führte unserWeg durch die Wiesen längs der Bode, die ja an Wegeleben vorbeifließt.Auch auf der Wiese war „turnen“ angesagt! Handstand – Kopfstand –Spagat – Brücke – Welle vorwärts und rückwärts! Arme, Beine und Kopfkreisen – alles war dran – und alles war drin!

„Die Amis kommen! – Die Amis kommen!“ Und dann waren sie da!Einfach so! Über Nacht kamen sie in unsere Kleinstadt. Der Acker vorunserem Haus auf der anderen Straßenseite war übersät mit Panzernund Kriegsfahrzeugen.

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152 Erinnerungen an den Vater

Und dann stand mein Vater vor unserer Hoftür in Knickerbockern undKniestrümpfen mit gemustertem Jackett und einem Fahrrad. Hurra,hurra, er lebt, und ist gesund! Ohne Schramme – ohne Makel! – Direktvon München ist er bis Wegeleben geradelt bei all den Nachkriegs wir -ren. Das war genau am 8. Juni 1945. Wir hatten Vati endlich, endlichwieder, für immer bei uns, der Krieg war zu Ende! Wir waren wiedereine richtige Familie. Das Bangen um sein Leben war vorbei. Er arbeiteteauf dem Bauernhof und war zu Hause! „Großer Gott, wir loben dich!“

Und dann kam der wohl schwärzeste Tag für Vati und für uns alle! Eswar der Abend des 9. Oktober 1945. Vater und Mutter waren nicht zuHause. Es klingelte. Draußen stand der Jungpolizist aus der Nachbar -schaft. Er solle einen Mann aufs Rathaus bringen und nennt die Per -sonalien. Alles passt haargenau auf unseren Vati! – bis auf eine klitze -kleine Kleinigkeit. Er solle Reinhold Rinske holen, nicht Pinske!!! Diesnahm er zum Anlass fortzugehen, vielleicht morgen wiederzukommen.Als Vati heimkam, sah er dies als Warnung an und wollte flüch ten. AberMutti glaubte seinen Befürchtungen nicht und Vati blieb!

Am Nachmittag des nächsten Tages brachte uns eine Nachbarin dieNachricht: „Euer Vati wurde von den Russen vom Feld geholt und zurKommandantur nach Oschersleben gebracht. Er rief mir zu: ,Grüßen Siemeine Frau und die Kinder, ich komme bald zurück!‘”Das war das Ende!

20.11.45Liebes Frauchen, liebe Kinderlein, ihr Lieben Alle!

Heute sollt ihr wieder mal ein Lebenszeichen erhalten. Die schwerstenZeiten werden wohl überstanden sein. Sonst geht es mir gut und ich bingesund. Wie mag es euch ergehen? Seid ihr gesund? Habt ihr Sorgengehabt?

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153Erinnerungen an den Vater

Besucht Joachim die Schule? Habt ihr Gerste zum Schroten gekauft? Wirddas Schlachten genehmigt werden? Gestern träumte ich, dass ich zu Hauseangelangt sei. Die Freude war unbeschreiblich, nicht zu fassen. Gott derHerr möge uns bald ein endgültiges Wiedersehen schenken. Wie habt ihrdeinen lieben Geburtstag verlebt? Falls ich zu Weihnachten nicht daheimsein kann, dann wünsche ich gesunde, gesegnete und fröhliche Weihnach -ten. Strafe ist hart, der Herr weiß warum. Auch Brüderlein gratuliere ichzum Geburtstag und wünsche ihm Gottes Segen. Ist Timpe schon daheim?Ich wünsche mir nichts anderes als Weihnachten daheim. Ich will hinfortganz bescheiden sein. Habt ihr die Kartoffeln besser zugedeckt?

Schöner ist, wenn wir Mitte Dezember nach Hause kommen könnten. Dannist es auch nicht notwendig. Hebt mit bitte Senfgurken, Kürbis, Käse undetwas Haferflocken auf. Bleibt nun dem Allmächtigen Herrgott befohlen!Was er tut, ist wohlgetan.

Recht herzliche Grüße und tausend Küsse von Eurem euch liebenden Vatiund Onkel Reinhold

DRK-Suchdienst München

Pinske, Reinhold, geb. 29.1.1906 in Kartowen/WestpreußenIhr Schreiben vom 28.10.1993

Sehr geehrte Frau Lange,der Gesuchte ist in unserer Zentralen Namenskartei (ZNK) registriert.Aufgrund unserer Anfrage beim ehemaligen Sowjetischen Roten Kreuzwurde mitgeteilt, dass der Gesuchte am 4. April 1948 verstorben ist. DerTodesort und die Todesursache wurden grundsätzlich nicht bekanntgegeben.

Nach Aussagen von Gewährspersonen ist er 1948 im Lager Mühlberg ver-storben. Weitere Angaben können leider nicht gemacht werden.

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154 Erinnerungen an den Vater

Adolf Lerche

* 10. Februar 1887 in Braunschweig= 23. Oktober 1945 im Kriegsgefangenenlager-Lazarett Tost

Von Hans Ulrich Lerche

Mein Vater war ein humanistisch gebildeter, national eingestellter undsozial denkender Mann, der bei der Belegschaft des Kaiserin-Augusta-Schachtes ein hohes Ansehen genoss.

Er wurde 1887 in einer Braunschweiger Pastorenfamilie geboren, stu-dierte das Bergfach in Freiburg und war Offizier im Ersten Weltkrieg.Der Kaiserin-Augusta-Schacht war seit 1922 seine Arbeitsstätte. Zuerstwar er Bergverwalter, später Bergdirektor und Mitglied des Gruben -vorstands. Unter seiner Leitung wurden wichtige Werksanlagen erstellt.Später gehörte zu seinen Aufgaben die Ausbildung und die sozialeBetreuung der Arbeiter. In den letzten Kriegstagen 1945 wurde meinVater noch Bataillonsführer im Volkssturm. Wie mir ein ehemaligerAngehöriger des damaligen Volkssturms in Oelsnitz mitteilte, war seineinziger Befehl der, dass er die Einheit auflöste.

Nach dem Zusammenbruch des NS-Staates verlor er seine leitendeStellung, arbeitete aber weiter als Reviersteiger unter Tage. Dann kamder Einmarsch der sowjetischen Armee. Deutsche Kommunisten verhaf-teten ihn am 27. Mai 1945 und brachten ihn in das Gefängnis Hohen eck.Da wurde er von der sowjetischen Besatzungsmacht übernommen undüber Chemnitz und Bautzen in das oberschlesische Internierungs lagerTost gebracht. Durch Krankheiten geschwächt erlag er den Be lastungender Internierung am 23. Oktober 1945 und wurde in Tost beerdigt.

Vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wurde in Tost einKreuz errichtet zum Gedenken an das unermessliche Leid des Kriegesund zur Mahnung für eine Zukunft in Frieden.

Standesamt Köln I Köln, den 10. Februar 1951

Es erscheint Herr Dr. Ing. Diplomoberingenieur Herbert Riess und erklärtan Eides statt:Ich war als Feldscher im russischen Kriegsgefangenenlager in Tost(Oberschlesien). Unter den im August 1945 eingelieferten Kranken erkann-te ich meinen früheren Berufskollegen, Bergwerksdirektor Adolf Lerche,

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155Erinnerungen an den Vater

wieder. Lerche war herzkrank und wurde nach etwa vier Wochen wiederaus dem Lazarett entlassen. Mitte Oktober 1945 wurde er wiederum einge-liefert. Der Krankheitszustand Lerches war aber derart schwer, dass erschon am 23. Oktober 1945 starb.

Ich habe ihn gepflegt und war bei seinem Tode persönlich zugegen. Amdarauffolgenden Tag fand die Beerdigung in der Sandgrube von Tost statt.An der Beerdigung habe ich nicht teilgenommen.

Lerche ist als früherer Offizier von den Russen verschleppt worden. ZurZeit des Todes war Lerche kein Soldat.

Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben.Der Standesbeamte

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156 Erinnerungen an den Vater

Emil Witzke

* 14. Januar 1897= 11. April 1945

Kriegsgräberstätte Wallachisch Meseritsch/Tschechische Republik, Block 3, Reihe 18, Grab 564

Von Alfreda Mielcarek

Als ich im Juni 1934 auf die Welt kam, war mein Vater schon 37 Jahrealt. Wir waren fünf Geschwister, drei noch jünger als ich. Unsere Elternwaren nicht jung, aber sie waren mit uns Kindern sehr verbunden undbehandelten uns liebevoll.

An meinen Vater denke ich als einen echten Bauern. Ich sehe ihn abernicht nur bei seiner Arbeit vor mir, sondern auch mit dem Netz vollerFische, wie er uns die Bibel vorlas, mit uns Lieder sang, aber auch oftsehr ernst die Schularbeiten kontrollierte. Ich denke, er war ein guterBauer. Nie fehlte es uns an Brot und Butter.

Mein erstes großes Kinderdrama erlebte ich, als ich fünf Jahre als war:Zu Beginn des Krieges wurde mein Vater abgeführt und für ein paarTage verschleppt. Ich weinte mich fast krank und konnte nichts hören.Ich habe mir bald mein Herz aus dem Leib gerissen und war überglük-klich, als er wieder zurückkam.

Zuletzt sah ich meinen Vater im Oktober 1943, als er in den Krieg muss -te. Seine vier jüngeren Brüder waren schon früher eingezogen worden.Drei von ihnen sind im Krieg gefallen, einer kam spät aus der russi-schen Gefangenschaft zurück und starb bald danach.

In unserem Haus änderte sich viel: Mutter blieb mit uns fünf kleinenKindern alleine, mein kleiner Bruder war damals kaum vier Monate alt.Vaters Platz am Tisch war leer. Die Bibel wurde auch nicht mehr vorge-lesen. Unsere Mama weinte oft. Laut und mit Tränen und Freude wur-den jetzt die Briefe vorgelesen, die aus dem Feld kamen – das war jaimmer ein Zeichen vom Vater und die Hoffnung, dass er noch lebte. Mein Vater kehrte nicht wieder aus dem Krieg zurück, wir wurden ausunserer Heimat vertrieben und mussten viel Schlimmes erleiden. Heutebesuchen wir den Friedhof, wo unser Vater die letzte Ruhe im eigenenGrab hat, in jedem Frühling.

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157Erinnerungen an den Vater

Hermann Mette

* geb. 28. Mai 1909 in Wernigerode= 16. Oktober 1944 Pargaskut in Ungarn

Von Gisela Müller

Der Vater in meinem Herzen, den ich nie kennenlernte ...

Mein Vater starb am eigentlichen Beginn seines Lebens. Der Krieg zer-störte alles. Er zerstörte seine Wünsche und Hoffnungen, seine Pläneund Ziele, seine Träume und sein junges Glück. Doch immer werdenirgendwo Spuren seines Lebens sein, Gedanken, Bilder, Augenblickeund Gefühle.

Als mein Vater im Oktober 1944 in Ungarn starb, war ich erst ein Jahrund elf Monate alt. Ich kann mich deshalb nicht bewusst an ihn erin-nern. Meine Mutter war es, die, geprägt von der unerschütterlichenHoffnung auf die Heimkehr ihres Ehemannes aus diesen unseligenKrieg, viel erzählte und mein Bild von ihm prägte.

Im Frühjahr 1942 hatten meine Eltern geheiratet, nachdem mein Vaterseinen Dienst als landwirtschaftlicher Inspektor auf einem großen Gutangetreten hatte. Doch alles berufliche und familiäre Glück fand einjähes Ende, als er im September 1942 den Einberufungsbefehl erhielt.

Am Jahresende wurde ich geboren. Mutter schrieb meinem Vater dieschönsten Briefe. Sie fotografierte mich unentwegt, um meinem Vatermit den Fotos Kraft und Trost von zu Hause zu signalisieren, Kost -barkeiten, die sie eigentlich selbst suchte. Hatte doch der Krieg ihrengemeinsam erträumten Himmel so erbarmungslos geteilt.

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158 Erinnerungen an den Vater

Er hasste diesen sinnlosen Krieg, und sein Wille und seine Hoffnung,dieses Unheil zu überleben, waren groß und lebendig. In jedem seinerBriefe klang die Sorge um das Wohl und das Glück seiner noch so jun-gen kleinen Familie mit. Wusste er doch zu jenem Zeitpunkt, dassbereits drei liebe Menschen aus seinem familiären Umfeld Opfer diesesKrieges geworden waren.

Doch wenige Tage vor Weihnachten 1944 kam die bittere Nachricht,dass mein Vater seit dem 8. Oktober 1944 vermisst und er an diesemTag zuletzt bei Püspök-Ladany in Ungarn gesehen worden ist.Ständiges Hoffen und Bangen bestimmte von nun an die Ungewissheitdes täglichen Lebens. Mutter war gerade erst 29 Jahre alt. In unseremWohn zimmer hing neben einem großen Fenster mit vielen Blumen dasBild meines Vaters in nahezu Lebensgröße. Oft holte ich als Kind frischeBlumen für die kleine Wandvase.

Ich wuchs heran, und Mutter suchte und fand wohl an mir viele Ge -mein samkeiten des äußeren Aussehens und manche Charakter eigen -schaften, die es zwischen mir und meinem Vater gibt. Amüsiert erzähltesie oft die Begebenheit, als ich unverwechselbar gleich der Eigenheitmeines Vaters, eines Tages Schulranzen und Schuhe mit dem Taschen -tuch auf Hochglanz poliert haben soll. Er hatte nämlich einmal –scheinbar sich unbeobachtet fühlend – eine ähnliche vergleichbareEitelkeits prozedur vor einem Rendezvous mit meiner Mutter prakti-ziert.

So erzählte sie mir oft und gern mit liebevollen Worten ausgeschmücktekleine Begebenheiten dieser Art immer wieder und brachte mir aufdiese Weise die menschliche Seite meines Vaters sehr nahe. Erst ein Jahrnach meinem Abitur im August 1962 erreichte uns ein Brief mit derNachricht, dass mein Vater am 16. Oktober 1944 in Pargaskut in Ungarnan den Schussverletzungen der linken Schulter und der linken Seiteverstorben ist.

Dienststelle O.U., den 15. Dezember 1944Feldpost-Nr. 25 751 D

An FrauElisabeth Mette

Sehr geehrte Frau Mette!Die Kompanie bedauert Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr lieber Mann,der Gefreite Hermann Mette, seit 8. Oktober 1944 vermisst wird.

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159Erinnerungen an den Vater

Trotz aller Nachforschungen nach dem Verbleib Ihres lieben Gatten war esleider nicht möglich, irgendeinen Bescheid zu erhalten. Ihr lieber Mannwurde zuletzt am 8. Oktober 1944 gegen 10.30 Uhr in Püspök-Ladany,südl. des Bahnhofs, gesehen. Die Nachforschungen werden auch weiterhinfortgesetzt. Sollten noch Nachrichten über Ihren lieben Gatten eingehen,werden Sie von hier aus sofort unterrichtet.Die Kompanie bedauert, einen lieben Kameraden verloren zu haben. DerGedanke, dass Ihr lieber Mann für den Kampf um Deutschlands Zukunftgeblieben ist, sei Ihnen in Ihrem großen Schmerz ein Trost.Mit aufrichtiger Anteilnahme undHeil Hitler! Ihr ...

Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigenvon Gefallenen der ehemaligen deutschen WehrmachtBerlin-Borsigwalde

23.8.1962

Sehr geehrte Frau Mette!Als Rechtsnachfolgerin der früheren Wehrmachtsauskunftsstelle fürKriegsverluste und Kriegsgefangene haben wir die Aufgabe, die Sterbe fälledes letzten Krieges zu erfassen, der standesamtlichen Beur kundung zuzu-führen und die Angehörigen zu verständigen. Wir bedauern, Ihnen heutedie Nachricht übermitteln zu müssen, dass sich Ihr Ehemann HermannMette, geb. am 28.5.1909, nicht mehr am Leben befindet.

Bei der Bearbeitung des hier vorhandenen umfangreichen Materials, daszum Teil erst nach dem Kriege auf vielen Umwegen in unseren Besitzgelangte, stellten wir jetzt die Meldung fest, nach der am 16. Oktober 1944in Pargaskut (Ungarn) ein Wehrmachtsangehöriger mit Schuss verletzun -gen an der linken Schulter und linken Seite tot aufgefunden wurde unddortselbst beerdigt worden ist.

Weiter geht aus dieser Meldung hervor, dass die Soldaten von einer ungari-schen Frau benachrichtigt wurden, dass sie einen kranken deutschenSoldaten aus Furcht vor den Russen in einem Maishaufen verborgen undschon seit einigen Tagen gepflegt hat. Am Abend des 15.10.1944 hatte ernoch gelebt. Eine Erkennungsmarke mit der Beschriftung „ – 5873 –I. Pz.Jg.E.Kp.209“ war beigefügt. Wert gegenstände, persönliches Eigentumund das Soldbuch wurden nicht gefunden.

Nach den hier vorliegenden Erkennungsmarkenverzeichnissen der ehe ma li -gen Wehrmacht war Ihr Ehemann Träger der genannten Erken nungsmarke.

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160 Erinnerungen an den Vater

Da nach Aussage der ungarischen Frau Ihr Ehemann noch am Abend des15.10.1944 gelebt hat, ist anzunehmen, dass er in der darauffolgendenNacht verstorben ist.

Zu dem schweren Verlust, den Sie durch den Tod Ihres Ehemanns erlittenhaben, sprechen wir Ihnen unsere aufrichtige Anteilnahme aus.

Um den Sterbefall nunmehr dem zuständigen Standesamt anzeigen undIhnen somit zu Sterbeurkunden verhelfen zu können, bitten wir Sie, den alsAnlage beigefügten Personalfragebogen ergänzt zurückzusenden.

HochachtungsvollIm Auftrage...

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161Erinnerungen an den Vater

Kurt Masson

= 6. November 1940

Von Helga Kuhnert

Mein Vater Kurt Masson wurde 1940 in Russland von einem Partisanenerschossen. Der genaue Ort ist nicht bekannt. Er starb schon vor demZeitpunkt meiner Geburt am 6. November 1940.

Uns erreichte zunächst nur die Todesnachricht. In den 70er Jahren, alsseine Mutter in Freiburg/Breisgau im Krankenhaus lag, klopfte ein ehe-maliger Kriegskamerad, der ihren Namen an der Tür gelesen hatte, undberichtete über die Todesumstände. Er betonte, dass Kurt ein sehr guterKamerad gewesen sein.

Als er in den Krieg musste, versicherte er: „Ich weiß, ich komme ganzbestimmt nicht wieder zurück!“

Er hatte zwei jüngere Brüder, Richard und Helmut, die beide heimge-kehrt sind.

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Franz-Joseph Vantroyen

* 23.März 1906= 5. Juli 1946

Von Marianne Tropper

Ich danke Ihnen, dass sie versuchen, die Erinnerung an die Toten unddie Schrecken des Krieges wachzuhalten. Hoffentlich können unsereKinder und Enkelkinder daraus lernen.

Bevor mein Vater Soldat wurde, war er bei den Junkers-Flugzeug -werken in Dessau beschäftigt. Sein Vorgesetzter hatte ihn lange als„unabkömmlich“ in der Heimat halten können. Anfang 1943 sagte er zuihm: „Herr Vantroyen, gehen sie doch in die Partei, ich kann sie hiersonst nicht länger halten.“ Mein Vater antwortete: „Ich verkaufe meineGesinnung nicht!“ Damit begann sein Weg in den Tod.

Im März 1943 wurde er als Kanonier eingezogen und kam sehr schnellan die russische Front, wo er zweimal verwundet wurde. Weihnachten1943 war sein letzter Heimaturlaub, am 3. Dezember 1944 schrieb er sei-nen letzten Feldpostbrief. Im Dezember 1944 kam Vater in russischeKriegs gefangenschaft. Sein Weg von der Gefangenschaft bis zu seinemTod wurde von drei Kameraden begleitet, die sich zu verschiedenenZeiten bei meiner Mutter meldeten.

Der erste Kriegskamerad brachte die Nachricht über die Gefangen -nahme meines Vaters am 5. Dezember 1944 um etwa 17 Uhr bei Buda -pest. Der Kamerad war erst 21 Jahre alt und er half meinem Vater, dernoch unter seiner Verwundung litt, auf dem langen Fußmarsch nachFocsani am Schwarzen Meer in Rumänien. Wer nicht laufen konnte undam Straßenrand liegen blieb, wurde erschossen.

Der zweite Kriegskamerad brachte Weihnachten 1945 aus Focsani dieNachricht, dass mein Vater lebte. Er war in dem Lager überdurch-schnittlich beliebt, da er trotz aller Hoffnungslosigkeit viel Hoffnungund Glauben an eine gute Zukunft verbreitete.

Anfang Juni 1946 wurden die Gefangenen auf Güterzüge verladen. Esging das Gerücht, sie kämen nach Hause. Der Zug fuhr aber nach Tiflisim Kaukasus. Völlig entkräftet kam mein Vater in ein Kriegsgefange -

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nen lazarett, wo er am 5. Juli 1946 in den Morgenstunden an Unter -ernährung und Wasseransammlung verstarb.

Der dritte Kriegskamerad, der in der Sterbestunde bei meinem Vaterwar, brachte meiner Mutter im November 1946 die Todesnachricht. Erbrachte sogar Fotografien von uns mit, die mein Vater trotz vielerRepressalien noch bei sich gehabt hatte.

Das Leben meiner Mutter war für lange Zeit von Sorge um ihre beidenKinder – ich habe noch einen elf Jahre jüngeren Bruder – geprägt. Nachihrem Tode 1997 fand ich die Feldpostbriefe meines Vaters. Unter ihnengibt es viele Gedichte, die im Schützengraben, im Feldlazarett und ananderen Kriegsorten geschrieben wurden.

Obwohl die Not so groß war und Sorge und Heimweh meinen Vaterquälten, waren seine Briefe voller Hoffnung, Liebe und Gottvertrauen,aber oftmals auch voller Verzweiflung und Anklage gegen die Kriegs -treiber. Wären seine Briefe damals geöffnet worden, hätte sein Wegwohl nicht in die Gefangenschaft geführt ...

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Kurt Johannes Stephan

* 21. Juni 1899= 8. Juni 1945

Kriegsgräberstätte Rüdersdorf bei Berlin/DeutschlandBlock C

Von Alice Stephan

Mein Vater kam 1907 mit seinen Eltern nach Berlin, besuchte hier dieVolksschule und begann eine kaufmännische Lehre. Er wurde im ErstenWeltkrieg Soldat und damals auch verwundet.

Nach dem Krieg – sein Vater war Invalide und 1917 verstorben – trat erin die Deutsche Reichspost ein, war zunächst Hilfs-, dann regulärerPostschaffner im Bahnpostdienst, vornehmlich auf der Strecke Berlin-Hamburg. Dort lernte er 1929 meine Mutter kennen. Sie zog nach Berlinund heiratete meinen Vater am 28. September 1929. Ich wurde am25. Juni 1930 geboren.

Zum Haushalt gehörte bis zu ihrem Tode 1937 auch die Mutter meinesVaters. Aus guten Tagen ist mir besonders ihre Weihnachtsbäckerei inErinnerung geblieben.

Für 25-jährige Dienste erhielt mein Vater im Krieg das Treudienst-Ehrenzeichen, wurde auch zum Postbetriebsassistenten befördert.

Ich habe meinen Vater zum letzten Mal bei seinem genehmigungs-pflichtigen Besuch bei mir im Lager der Kinderlandverschickung inKönigsaal (Zbraslav) südlich von Prag im Dezember 1944 gesehen. Bei

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einem gemeinsamen Spaziergang auf einen Aussichtsberg hatten wireinen eindrucksvollen Blick auf Königsaal, die Moldau und die umlie-genden Dörfer. Wir haben auch eine Fahrt nach Prag unternommen undsind über den Wenzelsplatz und durch die Altstadt gegangen. Bei die-ser letzten Begegnung hat mir mein Vater wesentliche Ein sichten fürmein späteres Leben vermittelt.

Während des Krieges war Vater u.k.-gestellt. Er bekam noch im April1945 einen Einberufungsbefehl nach Rathenow. Er hätte sich der Ein -berufung entziehen und bei unseren Verwandten in Hamburg untertau-chen und dort das – absehbare – Kriegsende abwarten können, begabsich aber doch aus Pflichtbewusstsein an den Gestellungsort.

Nach Kriegsende versuchten wir, Näheres über sein Schicksal zu erfah-ren. Wir richteten Anfragen am 14. März 1946 an Oberst Mamenko,Leiter der Abteilung für Kriegsgefangene der Sowjetischen Militär -administration in Potsdam und am 15. April 1946 an die DeutscheDienststelle für die Benachrichtigung der Angehörigen von Gefallenender ehemaligen Deutschen Wehrmacht in Berlin. Wir erhielten keinerleiAntwort, nicht einmal eine Eingangsbestätigung.

Auf Umwegen erfuhren meine Mutter und ich dann 1947, dass meinVater bei Kriegsende in das Kriegsgefangenenlager in Rüdersdorf beiBerlin gekommen war. Dort ist er unter desolaten Umständen am 8. Juni 1945 gestorben und auf einem – jetzt nicht mehr bestehenden –Soldatenfriedhof beigesetzt worden.

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166 Erinnerungen an den Vater

Edwin Schunda

* 22. September 1904Vermisst seit Juni 1944

Von Ingrid Tschorn

Ich wurde 1939 geboren und habe nur ganz magere Erinnerungen anmeinen Vater. Aber von meiner Mutter Elli Schunda, die vor kurzem90 Jahre alt geworden ist, habe ich allerhand Daten und Fakten zusam -men getragen.

Mein Vater Edwin Schunda, geboren am 22. September 1904 in Böh -misch Aicha bei Reichenberg, war Obergefreiter in der Stabsbatterie II./Artillerieregiment 6 (L), FpNr. 29 997 A. Er ist seit den Kämpfen umWitebsk vom 23. Juni bis 30. Juni 1944 vermisst und wir haben trotz vie-ler Nach forschungen nichts Genaues erfahren können.

Mein Vater war ein sensibler und gebildeter Mensch und seinen zweiKindern ein liebevoller Vater. Er arbeitete bei der Exportfirma W. Klarin Gablonz a. N. als Buchhalter und Korrespondent, wo er seine engli-schen und französischen Sprachkenntnisse anwenden konnte. Im Sep -tember 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Widerwillig nur zog

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er in den Krieg, war zuerst in Frankreich und kam dann nach Russlandin den Mittelabschnitt bei Welikije Luki. Dort wurden die Deutscheneingekesselt, und es kam keine Post mehr.

Meine Großeltern väterlicherseits hatten vier Söhne. Der älteste wurde1945 noch zur Wehrmacht eingezogen und ist ebenfalls vermisst. Diebeiden jüngeren Brüder wurden während des Krieges verwundet undüberlebten. Der Krieg hat die Eltern zwei Söhne gekostet, nur Leid undElend und noch außerdem die Vertreibung.

Im November 2001 wurde in unserem Ort auch eine Gedenktafel mitden Namen der gefallenen und vermissten Soldaten des ZweitenWeltkrieges aus Koblenz enthüllt. Durch die Vertreibung aus unsererHeimat wird es solch eine Gedenktafel für meinen Vater nicht geben,und so möchte ich wenigstens auf diese Art und Weise meinem Vaterein kleines „Denkmal“ setzen.

Oberkommando des Heeres, Rudolstadt/Th., den 16.2.1945

An Frau Elli Schunda

Der Abschluss der Ermittlungen über das Schicksal Ihres Gatten, desObergefreiten Edwin Schunda, geb. 22.9.1904, Aicha bei Reichenberg,Stabsbatterie II./Artillerie-Rgt. 6 (L), hat keine restlose Klarheit er bracht.Er ist seit den Kämpfen um Witebsk vom 23.6. – 30.6.1944 vermisst.

Ich bedauere tief, dass ich nicht in der Lage bin, Ihnen eine tröstendeGewißheit zu verschaffen, will aber mit Ihnen hoffen, dass er noch gesundund glücklich heimkehren wird.

Im AuftragHauptmann und Sachbearbeiter

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168 Erinnerungen an den Vater

Heinrich Jakob Vierheller

* 13. August 1900Vermisst seit 18. Januar 1943

Von Ilse Müller

Mein Vater: Heinrich Jakob Vierhellergeboren 13. August 1900 in Mundeheim Krs. Speyer am Rheinzuletzt wohnhaft in Schotten – OberhessenBeruf: SanitäterVermisst: seit 18. Januar 1943, letzte Post: 11. Januar 1943Woronesch, Charkow, StalingradLuftwaffenbaubataillon, Feldpost-Nr. L 12437

Mein Vater Heinrich Jakob Vierheller wurde als zweites von neunKindern geboren. Am 20. Februar 1921 heiratete er Anna, geb. Nies,geb. am 26. Mai 1898, in Schotten. Aus der Ehe gingen sieben Kinderhervor, sechs Mädchen und ein Junge.

Im Krankenhaus Schotten war er als Krankenpfleger, also auch für alleanfallenden Arbeiten im und ums Krankenhaus tätig. (Das war zur

Links: Heinrich Vierheller als Soldat,oben: seine Frau und die Kinder wartenzu Hause auf ihn.

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169Erinnerungen an den Vater

damaligen Zeit so üblich). Tatkräftige Unterstützung fand er durchmeine älteren Geschwister. Nur so war es ihm möglich, allen an ihngestellten Forderungen gerecht zu werden. Er übte seinen Beruf mitLeib und Seele aus und war daher in ganz Schotten und Umgebungbekannt und beliebt.

Ich, Ilse, wurde mit sieben Jahren Abstand zu meinen älteren vier Ge -schwistern am 18. März 1935, geboren. Danach folgten noch Hedwigund Marianne. Mein Vater war sehr stolz auf seine Kinder. So wurdenwir des öfteren den Kranken im Krankenhaus vorgeführt. Ich hattestrohweißes Haar und wurde „blondes Gift“ genannt. Ein kinderloserZahnarzt war so sehr von mir angetan, dass er mich adoptieren wollte.Dazu kam es Gott sei Dank nicht, da sich meine Eltern nicht dazu ent-schließen konnten. Denn sie liebten all ihre sieben Kinder gleicherma-ßen, wie mir meine Mutter des öfteren immer wieder erzählte. Daskann ich aus vollstem Herzen nur bestätigen.

1939 wurde in Eigenleistung ein Eigenheim erbaut. Kurz darauf wurdeVater zur Wehrmacht einberufen. Nun stand meine Mutter alleine mitihren sieben Kindern da, es begann eine schwere Zeit für sie. Sie hatalles mit Bravour gemeistert, jedes Kind hat einen Beruf erlernt und sei-nen Weg gefunden. Darauf war sie immer sehr stolz und das mit Recht.Ein anderer Mann hat in ihrem ganzen Leben nie mehr eine Rolle ge -spielt. Somit ist die ganze Familie ganz eng zusammengewachsen undwir haben alles Schöne und Schwere im Leben gemeinsam gemeistert.

Vom 7. bis 12. September 2001 haben ich, meine Schwester Hedwigsowie mein Sohn Jürgen eine Reise nach Stalingrad (Wolgograd) – Mos -kau unternommen, um nach meinem vermissten Vater zu suchen. DieReise wurde von der Kriegsgräberfürsorge organisiert. Es war einebewegende Reise voller Erlebnisse, die ich nie vergessen werde. Vonganzen Herzen danke ich der Kriegsgräberfürsorge, dass sie durchuner müdliche Verhandlungen die Möglichkeiten geschaffen hat, dassHinterbliebene endlich die Möglichkeit haben, von ihren Lieben in denWeiten Russlands Abschied zu nehmen. Weiter so.

Leider haben wir von meinem Vater sowie von zweien seiner Brüder inRossoschka keine Spur gefunden. Die nächste Reise führt uns nachWoronesch, wir suchen weiter.

Das Geschehene darf nicht vergessen werden, denn ich möchte nicht,dass meinen Kindern und Enkelkinder das gleiche Schicksal widerfährt.

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170 Erinnerungen an den Vater

Friedrich Albert Münstermann

* 20. September 1909= 20. Juli 1942 Wolchow-Front Russland

Von Albert Münstermann

Geboren wurde mein Vater am 20. September 1909 als siebtes Kind desGlasmachers Christian Münstermann und dessen Ehefrau Auguste,geborene Kaufhold. Sein Vater verstarb, als er knapp fünf Jahre alt war.Deshalb wuchs er in großer Armut auf. Drei Brüder waren im ErstenWeltkrieg Soldat, einer davon fiel, einer wurde stark verwundet an derrechten Hand, so dass er nach dem Krieg seinen Beruf als Glasmachernur noch beschränkt ausüben konnte. Ein Bruder kam schwer krank1920 aus französischer Gefangenschaft zurück.

Wegen der Armut in der Familie war mein Vater unzureichend ernährt,blieb klein und schwächlich in jungen Jahren. Er konnte deshalb nicht,wie in der Familie üblich, zum Glasmacher ausgebildet werden; er warzu schwach und zu klein, um als „Einträger“ in der Glasfabrik arbeitenzu können. So begann er eine Lehre in einem Eisenwerk. Da er zu kleinwar, um am Schraubstock richtig arbeiten zu können, stand er auf einerHolzkiste. Später half er seinem älteren Bruder als Malergehilfe.

In dreieinhalb Jahren, von 1925 bis 1929, erlernte er während der Winterdas Hausschlachter-Handwerk. Die Gesellenprüfung legte er im März1935 ab, danach war er in diesem Beruf selbständig. Im Som mer war erweiter als Maler und Anstreicher tätig. Am 19. Dezem ber 1937 bestander die Meisterprüfung für das Hausschlachter-Handwerk.

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171Erinnerungen an den Vater

Wegen seines Berufes bekam er im Winter 1940/41 von der Wehrmachtsechs Wochen Sonderurlaub, um in seinem Heimatort bei zahlreichenFamilien die Hausschlachtung von Schweinen vorzunehmen.

Meine Eltern heirateten am 30. August 1930. Aus dieser Ehe gingenzwei Söhne hervor: Ich wurde im Dezember 1930 geboren, mein BruderGünter im Dezember 1940.

Mein Vater erlitt beim Entschärfen einer sowjetischen Mine schwereVerletzungen, er verlor den rechten Arm. Ich erinnere mich an seineVerabschiedung nach dem Genesungsurlaub, den er im Februar/März1942 nach dem Verlust seines Armes bekam. Meine Mutter und ich ver-abschiedeten ihn auf dem Bahnhof in Porta. Seine letzten Worte warenan meine Mutter: „Mariechen, vergiss es nicht, dass die Jungens etwaslernen, damit sie unter Dach arbeiten können“ – unvergesslich! Seineletzten Worte hat meine Mutter immer im Herzen getragen und michund meinen Bruder entsprechende Berufe lernen lassen.

Dieser Gedanke resultierte wohl aus seiner eigenen Arbeit als Malerund Hausschlachter, bei deren Ausübung er Wind und Wetter immerstark ausgesetzt gewesen war. Durch seinen Beruf als Hausschlachterkam mein Vater in zahlreiche Familien und lernte dort den Umgang mitden verschiedensten Menschen. Was hätten mein Bruder und ich nichtalles von ihm für unseren Lebensweg lernen können, wenn der Kriegihn uns nicht geraubt hätte! Am 19. Juli 1942 wurde er in den Wolchow-Sümpfen erneut schwer verletzt, diesmal am rechten Bein. Am 20. Juli1942 versuchte man im Lazarett, sein Bein zu amputieren, dabei starber.

Persönliche Erinnerungen

Ich habe meinen Vater als lebensfrohen Papa in bleibender Erinnerung,der mit seiner Familie glücklich lebte. Er pflegte einen innigen Kontaktzu den Familien seiner Geschwister und deren Kindern. Zu persönli -chen Festtagen, insbesondere zu Geburtstagen seiner Mutter waren allezu Gast in unserem Haus, das gleichzeitig das Elternhaus seinerGeschwister war.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit galt seine Neigung dem Obst- undGartenbau auf dem von ihm geerbten Grundstück mit kleinem Haus,das er 1937 zur Hälfte abreißen und neu aufbauen ließ. Auf diesemGrundstück gab es ca. 150 bis 160 Obstbäume! Deshalb war er auchMitglied im Hausberger Gartenbauverein.

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Seine besondere Liebe galt indes dem Sport mit Brieftauben. Ich erinne-re mich, dass im Sommer die zum Preisflug bestimmten Tauben ineinem speziellen Reisekorb samstags „eingesetzt“ wurden und vomVereinslokal mit anderen Tauben „verschickt“ wurden. Sonntags wardann Rückflug zum heimatlichen Schlag. Es musste aufgepasst werden,dass die heimkehrenden Tauben nicht auf dem Hausdach oder einemgroßen Baum vor dem Haus sitzen blieben. Deshalb versuchte meinVater (wie jeder andere Taubenzüchter, als „Taubenvater“) die Taubendurch Flöten und Rufen in den Schlag zu locken, damit ihnen derGummi ring für den Einwurf in die Konstatieruhr abgenommen werdenkonnte.

Noch als ich ein kleiner Junge war, weckte Papa mein Interesse für dieTauben und für deren Pflege und Betreuung. So verabschiedete er sichbei seinem letzten Heimaturlaub auf dem Taubenschlag von mir mitden Worten: „ Nun bist du der kleine Taubenvater.“ Der „Tauben ver -ein“ war ein fester treuer Freundeskreis, der meiner Mutter auch nachKriegsende manche Hilfe zuteil werden ließ.

Im Frühjahr 1942 schrieb Vater dann, dass die Tauben nach und nachabgeschafft werden sollten. Es war immer schwieriger geworden, fürentsprechendes Futter zu sorgen, obwohl wir schon Bucheckern undEicheln gesucht, diese getrocknet und zum Verfüttern zerkleinert hat-ten. „Wenn der Krieg vorbei ist, schaffen wir wieder neue Tauben an“,schrieb er. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen.

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Wilhelm Neidel

* 12. November 1895 in Grün/Asch, Sudetengau= 10. Mai 1945 in Pilsen (Bory)

Kriegsgräberstätte Pilsen/Tschechische Republikauf der Namentafel verzeichnet

Von Christoph Neidel

In jenen schlimmen Kriegsjahren (1939-1945) wurde nicht nur an derFront gelitten und gestorben, sondern auch hinter der Front, ja sogar inder zu schützenden Heimat. Wie verworren und verflochten manchemenschliche Schicksale eben oft sind, so auch manche Lebensabläufegerade in der Zeit des Nationalsozialismus. Mein Vater hätte durchausnoch viele Jahre in unserer Mitte sein können, wenn nicht sehr unglück -liche Umstände zu seinem frühen Tod geführt hätten.

Er wurde am 12. November 1895 in Grün bei Asch im Sudetengaugeboren, ist dort aufgewachsen und hat dort auch acht Jahre die Volks -schule besucht. Nach einer Kellnerlehre im nahen Bad Elster (Sachsen)und anschließender Weiterbildung in einer Hotelfachschule bei Dresdenwar er in verschiedenen guten Hotels in Deutschland tätig. Währenddes Ersten Weltkrieges musste er zwei Jahre in einer Munitionsfabrikbei Wien arbeiten. Danach war er aufgrund seiner guten Ausbildungeinige Jahre in Frankreich in verschiedenen Hotels.

Anfang 1936 heirateten meine Eltern, wohnten anfänglich in Grün undmein Vater arbeitete wieder in Bad Elster als Ober kellner im Hotel

Unsere Familieim April 1943.

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„Wettiner Hof“. 1938 machten sich meine Eltern selbständig und pach-teten von 1938 bis 1941 die Ausflugsgaststätte auf dem Hainberg.Im Sommer 1941 begann dann die verhängnisvolle weitere Ent wick -lung: Deutsche Offiziere hatten wieder mal in unserem Lokal etwasüber den Durst getrunken und taten dann Dinge, die sie in normalenZustand wahrscheinlich nie getan hätten. Sie entnahmen unerlaubt ausunserer Hauptkasse einige größere Geldscheine. Nach genauer Über-prüfung der ganzen Situation seitens meiner Eltern meldete mein Vaterdiesen Vorgang der Polizei. Doch nun wurden in den folgenden Tagennicht die Schuldigen bestraft, sondern meine Eltern: Am 8. August 1941wurde er (damals 46 Jahre) zur Polizeireserve eingezogen und musstevon nun an in Kosolup, Kreis Mies im Sudeten gau seinen Dienst tun.

Damit war meinen Eltern die gemeinsame Existenzgrundlage entzogen;der Pachtvertrag wurde gekündigt und meine Eltern erwarben einHaus in der Nähe von Bad Brambach. In den folgenden Jahren bis Ende1947 wohnten wir dort und mein Vater kehrte in seinem Urlaub jeweilsbis zum Frühjahr 1945 dahin zurück.

Am 8. Mai 1945 war die Kapitulation Deutschlands. Von nun an hörtenwir lange nichts mehr von meinem Vater. Was hat meine Mutter in die-ser Zeit durchstehen müssen! Die Not des eigenen Lebens, die Unge -wiss heit über den Aufenthalt meines Vaters, die ungenauen und wech-selhaften Informationen jener Zeit!

Dann schließlich kamen nach und nach mehr negative als hoffnungs-volle Nachrichten über den Verbleib meines Vaters vom Suchdienst desDRK, und endlich dann auch eine konkrete Aussage eines Mitge fan-genen, der als Breslauer Flüchtling noch kurz vor seiner Inhaftierung inPilsen gewohnt hatte. In einem Brief an meine Mutter schrieb er:

„Am Sonntag, den 6. Mai 1945 rückten nun die Amerikaner in Pilsen einund die Tschechen hatten nichts Eiligeres zu tun, als die Deutschen zu ver-folgen und einzusperren. So kam auch ich an diesem Sonntag nach vorheri-gen Misshandlungen in die Strafanstalt Pilsen-Bory, Zelle Nr. 276. Zunächst waren wir drei Mann in dieser Zelle. Am Abend dieses Sonn -tages gegen acht Uhr wurde noch Ihr Gatte in unsere Zelle bewusstloshinein geschleppt, nachdem er, wie ich später erfuhr, auf dem Polizeirevier,wo er seine Uniform abgeben sollte, schwer misshandelt worden war. Amnächsten und an den folgenden Tagen erholte sich Ihr Gatte soweit, dasswir uns gegenseitig unterhalten konnten. Aus diesen Unterhaltungen bliebmir im Gedächtnis, dass ihr Gatte im Brambach beheimatet war.

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Gegen Ende der Woche, also um den 8. Mai 1945 herum, verschlimmertesich der Zustand Ihres Gatten, so dass ich Meldung an den Schließererstattete. Es kam darauf eine deutsche Ärztin (ebenfalls Strafgefangene),die ihn untersuchte und eine Aufnahme in ein Krankenhaus für notwendighielt. Die Tschechen haben aber in ihrer maßlosen Wut gegen alles Deut -sche nichts unternommen um Ihrem Gatten zu helfen bzw. ihn in einKrankenhaus zu bringen.

So kam es langsam, wie es kommen musste: Es stellte sich irgendeine inne-re Komplikation ein, die ihn fiebernd und fröstelnd aufs Lager warf. Wirpflegten ihn, soweit wir in der Lage waren, denn wir hatten nichts alsWasser. Am 10. Mai 1945 gab ich ihm noch persönlich eine dünne Brühe,die wir als Mittagessen erhielten, denn Kartoffeln oder Brot konnte er nichtmehr schlucken. Es war für uns andere Mitgefangene eine schwere Belas-tung, zuzusehen, wie sich ihr Gatte gegen seine Krankheit wehrte und dochnicht die Oberhand gewann.

Liebe Frau Neidel, seien Sie eine tapfere Frau und denken Sie an den Heim -gang so vieler Millionen Männer und Söhne, die dieser Krieg erfor derte,seien Sie tapfer und voller Gottvertrauen, wenn ich ihnen mitteile, dass icham 1. Mai 1945 frühmorgens gegen 2.00 Uhr Ihrem Gatten die Augenzudrückte, nachdem er schon seit dem Spätnachmittag des vorangegan ge -nen Tages die Besinnung verloren hatte. ... Ich weiß auch nichts mehr undhabe auch nichts mehr erfahren, wo und wann ihr Gatte beerdigt wurde ...“

Um die spezielle Situation meines Vaters richtig verstehen zu können,muss man dazu wissen, dass nach dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur in der Tschechoslowakei die Gefangenen, die aus Asch stamm-ten, eine „Sonderbehandlung“ über sich ergehen lassen mussten, dienur die jüngeren und robusteren Gefangenen lebend überstanden.Diese „Sonderbehandlung“ wurde mit dem Namen Konrad Henlein(Gründer der Sudetendeutschen Partei, 1938 Gauleiter, 1939 Reichs -statthalter des Sudetengaus) begründet, der auch aus Asch stammte.Nachweislich aber hatte sich mein Vater nie mit der NSDAP identifi-ziert und musste trotzdem sein Leben dafür lassen. Während andereMitarbeiter seiner Polizeidienststelle kurz vor Kriegsende flüchteten,war mein Vater bis zuletzt guten Glaubens, er könne die Dienststelleordnungsgemäß den Tschechen übergeben. Wie oben erwähnt, wurdeer aber schon bei der Übergabe schwer misshandelt und später noch-mals im Gefängnis, was schließlich zu seinem Tode führte. Vermutlichist mein Vater in ein Massengrab gekommen. Heute erinnert nur nochsein Name auf einer Gedenktafel an ihn, die von der Kriegsgräber für -sorge auf dem Pilsener Stadtfriedhof errichtet wurde.

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177Erinnerungen an den Ehemann

Erich Schlicht

Walter Ziege

Paul Haas

Alfred Neubauer

Werner Löhmer

Heinrich Neuhausen

Horst Rimkus

Ernst Kirmse

Nikolai Birnbaum

Georg Marschall

von Else Leis

von Anni Teichert

von Gertrude Laub

von Gerda Neubauer

von Leonore Löhmer

von Anna Neuhausen

von Inge Trümpner

von Marie Kirmse

von Marie-Luise Kaden

von Wilhelmine Lettau

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Erinnerungen an den Ehemann, den Verlobten, den Freund

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178 Erinnerungen an den Freund

Erich Schlicht

* 1. Januar 1916 in Heilbronn/N.Vermisst 1944/45

Von Else Leis

Erich Schlicht lernte ich 1938 während meiner Ferien in Heilbronn ken-nen. Er war etwa 1,67 Meter groß, hatte schwarze Haare, braune Augenund war von Beruf Bürokaufmann. Im Jahr 1939 kam er zum Reichs -arbeitsdienst in den Schwarzwald. Von dort schrieb er mir, dass er michnicht besuchen käme, wenn er Urlaub habe, weil er sich selbst in derUniform nicht gefalle!

Erst nach seiner Entlassung kam er nach Pforzheim, um mich zu besu-chen. 1940 kam seine Einberufung zum Militär und nach der Ausbil -dung an die Front nach Russland. 1941 wurde er verwundet und kamnach Leipzig ins Lazarett. Im November habe ich ihn dort besucht. Undbevor er im Februar 1942 entlassen wurde nochmals. Beim Abschiedahnten wir beide nicht, dass wir uns nicht mehr sehen sollten.

Er musste an die Front nach Russland, wurde wieder verwundet undkam nach Annaberg im Erzgebirge, danach nochmals nach Russland. Erwurde ein drittes Mal verwundet und kam nach Kutno in Polen insLazarett. Als die Russen kamen, hörte man nie mehr etwas von ihm.

Wäre es auch möglich, dass Erich Schlicht und seine verwundetenKame raden von den Russen nach Finnland verschleppt wurden? Meine

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179Erinnerungen an den Freund

Tochter hatte in jungen Jahren einige Auslands-Brieffreunde, darunterauch einen aus Finnland. Dieser bekam damals ein Stipendium inSchwäbisch-Gmünd. Von dort schrieb er ihr, ob er sie besuchen dürfe.Ich habe es ihr erlaubt und als er zur Tür hereinkam, verschlug es mirdie Sprache. Ich dachte, das darf doch nicht wahr sein, denn ich dachte,mein Freund Erich käme zur Tür herein.

Er kam noch ein paarmal, aber sie trafen sich in der Stadt. Als dann seinJahr um war, kam und verabschiedete er sich, und am Bahnhof sagte erzu ihr: Er hätte einen deutschen Vater.

Als sie mir das sagte, bat ich sie, ihn nach dem Namen seines Vaters zufragen, aber meine Tochter meinte, dass mich das nichts anginge.

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180 Erinnerungen an den Verlobten

Walter Ziege

* 21. Januar 1920= 17. Dezember 1942

Von Anni Teichert

Mein Zusammentreffen mit Walter kam auf eine besondere Art undWeise zustande.

1938 heiratete meine Mutter, damals 41 Jahre alt, noch einmal einenWitwer mit erwachsenen Kindern. Außer zwei Jungen waren alle ver-heiratet und hatten eigene Familien. Plötzlich hatte ich zwei Brüder,Walter war 18 Jahre und Helmut 14. Da nicht genug Platz im Haus füralle vorhanden war, eine Wohnung war vermietet, blieb ich vorerst beiden Großeltern. Ich war froh darüber. Nach einigen Monaten zog ichdann mit den Großeltern zu meiner Mutter. Was sollte ich jedoch mitzwei Brüdern anfangen? Für Jungen hatte ich in dem Alter wenigInteresse.

Am Tisch saß Walter neben mir. Sonst ging jeder von uns seine eigenenWege. Doch es kam so, wie es kommen sollte. Walter gefiel mir immerbesser. Er hatte ein fein geschnittenes Gesicht und einen liebenswertenCharakter. Ich verliebte mich in ihn und er sich in mich. Anfangs war esam Tisch nur ein kurzes Berühren mit dem Knie, ein kleiner Hände -druck beim Vorbeigehen. Wenn niemand in der Nähe war, ein flüchti-ger Kuss. Keiner merkte etwas von unserer Liebe und wir waren glück -lich mit diesen kleinen Aufmerksamkeiten und unserem Geheimnis.

Doch dann kam der Zweite Weltkrieg. 1940 meldete sich Walter freiwil-lig zum Militär.

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181Erinnerungen an den Verlobten

Wie sollte er mir wohl schreiben? So kamen wir auf folgende Idee:Wenn ein Brief an die Eltern kam und der Ortsname war doppelt unter-strichen, so war für mich ein Brief „Postlagernd“. Das ging ganz gut.

Walter war inzwischen in Frankreich und sollte nach Russland versetztwerden. Urlaub gab es keinen. Es war nur ein Aufenthalt von einemTag in Delitzsch vorgesehen. Ich wollte ihn unbedingt noch einmalsehen, und so erzählte ich den Eltern von unserer heimlichen Liebe.Geahnt hatten sie es bereits.

So fuhr ich für einen Tag nach Delitzsch. Dort steckte mir Walter einenGoldreif an den Finger, den er aus Frankreich mitgebracht hatte. Daswar unsere Verlobung. Es war ein sehr schmerzlicher Abschied. Wirwussten ja nicht, ob es ein Wiedersehen gab. Als ich nach Hause kam,fiel der Blick der Eltern sofort auf den Ring und sie freuten sich herzlichdarüber.

Walter habe ich vor seinem Tod noch einmal nur ganz kurz gesehen. Erbekam im Juli Heimaturlaub, es war sein letzter. Doch ich wurde imApril 1942 zum RAD dienstverpflichtet und war nicht zu Hause. Des -halb besuchte Walter mich im Lager. Ich bekam zwei Stunden Aus gang,aber keinen Urlaub. Er musste vor dem Tor auf mich warten. Es warunser letztes Wiedersehen.

Im Oktober 1942 kam das gesamte RAD-Lager nach Torgau in dieHeeresmunitionsanstalt zum Kriegsdienst, ebenfalls ein Barackenlagerund Arbeitslohn pro Tag eine Reichsmark. Im Februar 1943 kam meineSchwester zu mir und überbrachte mir die Nachricht, dass Walterbereits am 17. Dezember 1942 in Russland gefallen war. Weihnachtenwar ich zu Hause und wir hatten keine Ahnung, dass er bereits schoneine Woche in russischer Erde lag.

Inzwischen bin ich 78 Jahre alt. Walter war meine erste große Liebe undist es bis heute geblieben.

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182 Erinnerungen an den Verlobten

Paul Haas

* 2. April 1914 = 20. Januar 1942

Von Gertrude Laub

Die Erinnerung darf nicht verloren gehen!

Mein Verlobter Paul Haas wurde am 2. April 1914 in Köln geboren. Erwar ein lieber sonniger Mensch, ein guter Schwimmer (Trainer im Ver -ein). Unsere Hochzeit war für den 2. September 1941 geplant. Leiderkam der Russland-Feldzug und dieser Termin, wie auch weitere, muss -ten verschoben werden. So kam Ende Februar 1942 der Bescheid:„Gefallen am 20. Januar 1942“.

Paul muss geahnt haben, dass er den Krieg nicht überleben würde. Wiesonst hätte er bereits im April 1941, also noch vor Beginn des Russland -krie ges, seinen Abschiedsbrief schreiben können? Diesen Brief habe ichim verschlossenen Umschlag im Mai 1941 erhalten und dann bei derNachricht seines Todes geöffnet. Es lag auch sein Testament bei. DenBrief habe ich lange Jahre immer bei mir getragen. Dadurch hat er denKrieg überstanden. Alle anderen lieben Briefe kamen bei den Luftan -griffen auf Köln abhanden. Wir wurden mehrmals ausgebombt.

Bei dem schweren Luftangriff auf Köln am 30. Oktober 1944 verlorenauch Pauls Eltern, Conrad und Sibille Haas, ihr Leben. Sie saßen lautAugenzeugen, die den Keller durch einen Durchbruch betraten, tot aufeinem Sofa. Wahrscheinlich waren sie erstickt.

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183Erinnerungen an den Verlobten

Es ist nun alles so lange her, dass ich meine Lieben verlor, doch es ver-geht kaum ein Tag, an dem die Erinnerung nicht da ist. Es schmerztimmer noch, wenn auch gemildert.

Meinem Liebsten, gefallen am 21.1.42 an der Ostfront

Endlose, rastlose Weitendehnen sich ferne im Osten.Dort musstest du für mich streiten, standest du für mich auf Posten.

Musstest dein Leben du lassen,von feindlicher Kugel gefällt.Starbest so einsam, verlassen,glaubend an eine bessere Welt.

Nun decket dich die kühle Erde,ruhst du von allen Schmerzen aus,bis Gott spricht sein neues: Werde!Ruft dich ins ewige Vaterhaus.

Dienststelle O.U., den 24.1.1942

Herrn Konrad Haas, Köln/Rhein

Ihr Sohn der Uffz. Paul Haas verstarb am 21.1.1942 auf dem Truppenver-bandplatz an den Folgen eines am 19.1.1942 erhaltenen Lungendurch-schusses. Er starb den Heldentod in soldatischer Pflichterfüllung, getreuseinem Fahneneid für Führer und Vaterland.Zu diesem schmerzlichen Verluste spreche ich Ihnen, zugleich im Namenseiner Kameraden, meine wärmste Anteilnahme aus. Die Kompanie wirdihm stets ein ehrendes Andenken bewahren. Die Gewissheit, das Ihr Sohnsein Leben für das Grossdeutsche Reich, für Führer und Volk hingegebenhat, möge Ihnen ein Trost sein in dem schweren Leid, das Sie betroffen hat.

Ich grüße Sie in aufrichtigem Mitgefühl.Leutnant u. Komp. Führer

Anbei die Privatgegenstände des Toten. Die bei dem Toten vorgefundenenBarbeträge werden zusammen mit dem Wehrsold an Ihre Adresse per Post -anweisung überwiesen.

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184 Erinnerungen an den Ehemann

Alfred Neubauer

* 20. April 1912 in Hannover= 27. März 1943 im Lazarett in

Kosmeneci

Von Gerda Neubauer

Geboren wurde Alfred Neubauer am 20. April 1912 in Hannover. Dortverbrachte er auch seine Kindheit und absolvierte die Schulzeit. Seit ca.1934 war er Amateur-Radrennfahrer. Er fuhr viele Siege ein. Aufgrunddessen wurde er 1936 Profi. Zuletzt fuhr er für VIKTORIA.

Am 3. Dezember 1938 haben wir geheiratet. Da ich noch nicht volljährigwar, brauchten wir das Einverständnis meiner Eltern. Ein gutes halbesJahr später, am 4. Juli 1939, schien unser Glück perfekt. TöchterchenKarin wurde geboren.

Ein Monat später war die Radrenn-Deutschlandrundfahrt. Sie führteüber 25 Etappen. Alles lief bestens, bis mein Mann bei der 24. Etappe inden Alpen stürzte. Seine Verletzung musste genäht werden und sodurfte er an der letzten Etappe nicht mehr teilnehmen.

1940 kam seine Einberufung in Bielefeld als Gefreiter. Dort absolvierteer eine Ausbildung zum Scharfschützen. Im gleichen Jahr wurde unsereTochter Bärbel geboren. Er wurde nach Frankreich versetzt und dientein Paris als Besatzungssoldat. Während dieser Wehrdienstzeit gab es füralle Profi-Radrennfahrer zwei Stunden Trainingszeit pro Tag. BevorEnde 1941 die Radfahrer kom panie aufgelöst wurde, bekam mein Manndrei Wochen Heimat urlaub. Endlich konnte er seine zweite Tochter zum

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ersten Mal sehen. Wir verbrachten eine kurze, aber glückliche Zeitzusammen.

Nach dem Urlaub musste er mit seiner Kompanie nach Russland. InSmolensk diente er bei der Infanterie als Scharfschütze.

Von da an war unser Glück und das Familienleben nur über Feldpostmöglich. Er schilderte mir viele Erlebnisse, von denen ich wohl einigeniemals vergessen werde. Zum Beispiel dies: An einem Tag kam es zueiner ungewollten Konfrontation mit einem russischen Scharf schützen.Sie konnten sich fast in die Augen sehen. Der Russe schoss zuerst, abervorbei. Daraufhin haben sie sich voneinander abgewandt. Am nächstenTag trafen sie erneut aufeinander. Alfred sah, wie der Russe die linkeHand hob. Es hieß soviel wie, wir schießen bewusst vorbei. Das warendie wenigen menschlichen Züge in diesem schreck lichen Krieg. Einweiteres Treffen gab es nicht mehr.

Bei einem Gefecht wurde Alfred mit zwei seiner Kameraden von derTruppe getrennt. Um sich zu ernähren, suchten sie Getreide, welches siezuerst weichkauten, um es dann mit Wasser aus ihren Feldflaschen zuzerkochen. So kam etwas ähnliches wie eine Suppe zustande. VomKauen des harten Getreides taten ihnen die Kiefer weh. Am vierten Tagwurden sie gefunden und es gab wieder Verpflegung. Bis dahin hatteAlfred den Krieg ohne Blessuren überstanden.

Im Herbst 1942 traf es ihn dann. Verwundung durch Kopfschuss. DerArzt scherzte noch über den großen Kopfverband, aber die Verletzungsei nicht lebensbedrohlich. Er gab Alfred noch den Tipp, im Lazarettüber Kopfschmerzen zu klagen, damit er von der Front versetzt werde.Es klappte tatsächlich. Wenige Tage später wurde er mit dem Zug vonKiew nach Wien gebracht. Ich bekam Nachricht, nach Wien zu kom-men. Mit unserer dreijährigen Tochter Karin machte ich mich sofort aufden Weg. Bärbel blieb bei meinen Eltern. Wunderschöne drei Wochenhaben wir dort zusammen verlebt.

Anfang Januar 1943 musste er nach Quedlinburg, wo seine Einheit lag,um sich dort zu melden. Noch einmal bekam er die Genehmigung fürweitere drei Wochen Genesungsurlaub. Den verbrachte er dann bei uns,zu Hause in Hannover. Endlich ein fast normales Familienleben, wenig-stens für drei Wochen. Abgesehen von mir, auch seine beiden Töchtervermissten ihren Vater sehr. Sie kannten ihn ja kaum.

Anfang Februar 1943 musste er zurück zum Mittelabschnitt, zur Truppenach Smolensk. Per Feldpost teilte er mir mit, dass alle alten Kamera -

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186 Erinnerungen an den Ehemann

den nicht mehr da waren. Entweder verwundet oder gefallen. Dieneuen Kameraden waren alle noch sehr jung, die meisten erst zwischen18 und 20 Jahre alt.

Bei einem Gefecht wurde Alfred erneut verwundet. Diesmal traf es ihnnoch schlimmer. Sein Schlüsselbein war durch Granatsplitter zertrüm-mert. Sein Brustbein war durchgeschlagen, so dass der Lungen -zwischen raum frei lag. Er kam ins Lazarett in Kosmeneci. Dort verstarber am 27. März 1943 an seinen schweren Verletzungen. Aufgrund vonVersorgungsmängeln bei den Truppen (zum Beispiel Spritmangel) wareine Rückführung der Schwerverletzten leider nicht möglich. Vielleichthätte er in der Heimat aufgrund besserer medizinischer Versorgungüberlebt.

Immer wieder hat er betont, wie ungern er Soldat sei. Besondersschlimm waren für ihn an der Front die Trennung von seiner Familie,schlechte Verpflegung und die ständige Läuseplage. Paradox war fürmich eigentlich, dass Alfred bei seinem Abschied vom letzten Heimat -urlaub sagte: Er hätte das Gefühl, wieder verwundet zu werden: Bein-,Fuß- oder Armverletzung. Leider war dies nicht der Fall.

Es begann eine sehr schwere Zeit für mich. Trotz tiefer Trauer mussteich mich ja um unsere beiden kleinen Mädchen kümmern, außerdemwar ich im fünften Monat schwanger. Am 22. Juli 1943 kam unser SohnFred zur Welt. Den Namen hatte Alfred sich gewünscht. Er teilte es mirkurz vor seinem Tod per Brief mit. Was hätte Alfred sich über diesenStammhalter gefreut! Freude und Trauer lagen so nahe für mich beiein-ander ...

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187Erinnerungen an den Ehemann

Werner Löhmer

*= April 1943

Von Leonore Löhmer

Ich schicke Ihnen etwas zum Lesen aus dem Krieg von meinem Mannaus Russland. Es war das einzige und letzte, was ich erhalten habe.

Meine liebste Lore!

Da nun dieses Jahr zu Ende geht, bevor ich diesen Brief absenden kann, sowill ich dir an diesem Jahresende noch einmal schreiben, wie lieb ich dichhabe und wie ich auch die Kinder liebe. Immer denke ich an euch und hoffeauf den Tag, da ich wieder bei euch sein kann. Ich danke dir noch einmalfür alles Schöne und für die Liebe, die du mir schenken konntest, unddadurch hast du mich reich gemacht. Das ist es auch, was mir die Kraftund den Mut verleiht, hier allen mit Ruhe und Festigkeit zu begegnen, unddas ist es auch, was mich sicher macht und mich so gewiss sein lässt: DerGlaube an deine Liebe und dass du und die Kinder auf mich warten.

Mein Leben steht in des höchsten Gottes Hand, darauf vertrau ich. Ersegne euch reich im neuen Jahr und auch mich.

Grüße mir meine lieben Kleinen und gib Ihnen einen Kuss von mir. Duaber denke immer an mich und daran, dass ich dich unsagbar lieb habe.

„Reich mir deine Hände auch im neuen Jahr, dieses Krieges Ende, machtdas wieder wahr.“

Gott segne euch! Es grüßt und küsst euch Euer Pappi

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188 Erinnerungen an den Ehemann

Heinrich Neuhausen

* 24. August 1906 in Irlenborn bei Eitorf = 24.Juni 1940

Kriegsgräberstätte Bourdon/FrankreichBlock 18, Reihe 7, Grab 245

Von Anna Katharina Neuhausen

Heinrich Neuhausen wurde am 24. August 1906 in Irlenborn geboren,er war das jüngste von sieben Geschwistern. Seine Mutter starb, als erzwei Jahre alt war. Sein Vater hatte eine Landwirtschaft. Da mussten dieälteren Geschwister die kleinen mit aufziehen. Nach acht Jahren Volks-schule begann er eine Lehre als Schreiner. Er war 1,90 Meter groß, hatteblaue Augen, er war ein stattlicher Mann. Musikalisch war er auch, erging nach Bonn aufs Konservatorium und lernte dort, Cello zu spielen.

1933 haben wir geheiratet, unser Sohn wurde im folgenden Jahr gebo-ren. Dann beschloss Heinrich, die Meisterprüfung zu machen. Er bekamdie Zulassung, aber es sollte anders kommen. Als 1939 der Krieg be -gann, hatte ich immer Angst, dass auch er fort müsse. Am 14. Januar1940 wurde unsere Tochter geboren. Sie war vier Wochen alt, da kamder Gestellungsbefehl. Am 27. Februar 1940 musste er sich in Pillaumelden.

Nur einmal habe ich ihn als Soldat gesehen: Im Mai 1940 bekam er14 Tage Urlaub, da er sich an der Hand verletzt hatte. Da hatte ich soeine Eingebung und sagte zu ihm: „Du siehst gar nicht, wie die Kindergroß werden.“ Er hatte immer Heimweh, fast jeden Tag schrieb er mir.Zuletzt schrieb er, als sie auf der Fahrt nach Frankreich waren. Dort

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189Erinnerungen an den Ehemann

passierte es auch: Es war eine eingleisige Strecke, ein Zug mit zweiLokomotiven kam entgegen, und der Zug, in dem die Soldaten waren,stieß frontal mit ihm zusammen. Heinrich ist im Schlaf erdrückt wor-den.

Nun stand ich mit 29 Jahren und zwei kleinen Kindern allein da. Undjetzt ist wieder eine Zeit, wo man Angst hat. Ich bin froh, das ich mitmeinen Kindern schon oft sein Grab in Bourdon/Pas-de-Calais besu-chen konnte.

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190 Erinnerungen an den Freund

Horst Rimkus

* 5. April 1926 in Tilsit/Ostpreußen= 10. August 1944 in Frankreich in Bernay

Kriegsgräberstätte La Cambe/FrankreichBlock 18, Grab 58

Von Inge Trümpner

Es geht um das traurige Schicksal eines jungen Soldaten, der in Frank -reich (Normandie) für den doch so sinnlosen Krieg sein Leben lassenmusste. Es war mein Jugendfreund, meine erste Liebe! Er war ein tapfe-rer junger Mann und immer mein Beschützer.

Der letzte Brief an seine Mutter war noch voller Hoffnung!

1943, am 30. April, hatten wir den ersten schweren Bombenangriff inTilsit/Ostpreußen. Wir liefen alle aus unseren Siedlungshäuschen zubenachbarten Gehöften, um dort Schutz vor den Bomben zu suchen. Ichhatte meinen kleinen Bruder vor Aufregung vergessen. Ich lief zurück,um ihn zu holen, da kam mir mein Freund entgegen. „Wo ist Inge?“,hatte er gerufen, als meine Mutter in seinem elterlichen Gehöft ankam,und war losgelaufen. Er holte mich mit meinem Bruder.

Im Herbst wurde er eingezogen und wir konnten uns nur schreiben.

Dann begann für uns die Flucht, die sich über ein Jahr hinzog, vonAltenstein nach Zittau, von dort mit einem Lazarettzug nach demdama ligen Böhmen und Mähren in der Nähe von Brünn. Dann ging esins Erzgebirge, mit mehreren Tieffliegerangriffen. Die Nachricht, dassmein Freund an seinen Verwundungen gestorben sein, erfuhr ich von

Horst und Inge in Friedenszeiten

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191Erinnerungen an den Freund

seiner Tante. Ich kann es heute noch nicht glauben! Ich hoffe, dass sichso etwas nicht wiederholt, dass deutsche Soldaten in fremder Erde ihrLeben lassen müssen.

Meine Hochachtung für die Menschen, die Soldatenfriedhöfe angelegthaben und in Ordnung halten. Mein Mann und ich werden uns auchweiterhin mit Spenden daran beteiligen.

Chefarzt des Lw. Ortslaz. O.U., den 13.8.44L-28567, Lgp. Paris

Sehr geehrter Herr Rimkus,

zu meinem grossen Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihr Junge, derSS.Pz.Gren. Horst Rimkus, am 10.8.44 in meinem Lazarett verstorben ist.Er war am gleichen Tage mit mehreren Brustschussverletzungen in unserLazarett gebracht worden. Obwohl er sofort ärztlich versorgt wurde undwir uns alle Mühe gaben, ist es uns doch nicht gelungen, ihn am Leben zuerhalten. Die Schmerzen konnten wir ihm erleichtern, und ohne besondereWünsche ist er sanft hinübergeschlummert.

Ich spreche Ihnen zu diesem schweren Verlust unser herzlichstes Beileidaus.

Die Beerdigung Ihres Sohnes fand am 11.8.44 abends auf dem deutschenHeldenfriedhof in Bernay/Normandie statt.Das persönliche Eigentum, das Ihr Junge bei seiner Einlieferung bei sichtrug, wird Ihnen vom hiesigen Lazarett zugesandt werden. Weitere Sachendürften sich jedoch noch bei seiner Einheit befinden.Rat und Hilfe in allen Versorgungsfragen finden Sie beim nächstenWehrmachtsfürsorge- und Versorgungsamt.

Mit dem nochmaligen Ausdrucke unser herzlichsten Anteilnahme und HeilHitler bin ich IhrOberfeldarzt

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192 Erinnerungen an den Ehemann

Ernst Kirmse

* 8. Juli 1912= 26. April 1945

Kriegsgräberstätte Costermano/ItalienBlock 4, Grab 1054

Von Marie Kirmse

Am Anfang des Ersten Weltkrieges bin ich geboren. Doch Gott sei Dankkehrte mein Vater damals zurück. Ich war das vierte Kind meinerEltern. Zwei kamen noch nach.

Mein Mann und Vater meiner beiden Kinder kehrte aus dem Kriegnicht mehr zurück. Er wurde zuerst ausgebildet zum Brückenbau, beiden Pionieren. Dann Dünaburg. Kam krank ins Lazarett. Ende 1942wurde er wieder eingezogen und kam dann 1944 nach seinem letztenkurzen Urlaub nach Italien.

Ich bekam noch Post von März 1945. Erst Ende 1946 erhielt ich dieNachricht, dass der Unterstand mit allen Kameraden durch Bomben -volltreffer zerstört war. Ein Kamerad, der gerade zum Essenholen war,überlebte. Er kam am Tag danach in Gefangenschaft und durch ihnerhielt ich nach seiner Rückkehr die Nachricht. Mein Mann war 33 Jah -re alt, sein Kamerad, der überlebte, etwas über 20. Er schrieb, dass meinMann für ihn wie ein Vater war. So war unsere Hoffnung und dasWarten auf eine Wiederkehr völlig zerstört. Für die Kinder war esbesonders bitter.

Gott hat mich gut geführt. Er nahm uns viel, gab mir und den Kindernvieles zurück. So nehme ich jeden Tag dankbar aus seinen Händen.

Mein Mann ist auf dem wunderschönen Friedhof Costermano in Italienbeerdigt, den wir des öfteren besuchen. Ein Trost zu wissen, wo dieRuhestätte meines Mannes ist, dafür spende ich gern.

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193Erinnerungen an den Verlobten

Nikolai Birnbaum

* 17. April 1923 in Riga/Lettland= 19. Juli 1944 in Pentjusi/Lettland

Von Marie-Luise Kaden

Mein ehemaliger Verlobter, Nikolai Birnbaum, wurde am 17. April 1923in Riga/Lettland geboren. Als Baltendeutscher kam er während desKrieges mit seinen Eltern nach Dresden. Es war die Zeit, als Hitler dieAuslandsdeutschen aufforderte, „heim ins Reich“ zu kommen. DieUmsiedlung hatte für Nicki, wie er genannte wurde, den Vorteil, dasser sein Abitur in Deutschland nachholen konnte. In Riga waren diedeutschen Schulen, zumindest die Gymnasien, geschlossen worden.Anfangs musste die Familie in einem Lager für Umsiedler in Nord -deutschland leben und wurde von der Bevölkerung als „Russen“beschimpft. Niemand interessierte sich dafür, dass gerade die Balten ihrDeutschtum immer besonders hochgehalten hatten.

Ich lernte Nicki in Dresden kennen, als ich im Haus der Kaufmann -schaft gegenüber vom Zwinger die Tanzschule besuchte. Keiner konnteso gut tanzen wie er, und ich war froh, einen solchen Partner gefundenzu haben. Er war etwas größer als ich, hatte dunkelblondes Haar undschöne braune Augen.

Zum Abschlussball, auf den wir uns schon sehr gefreut hatten, solltejeder aus einem Körbchen die Hälfte eines Pappherzens ziehen und mitdemjenigen Herrn, der das passende Ergänzungsstück hatte, das Festverbringen. Als wir davon hörten, waren Nicki und ich sehr enttäuscht.Doch welch ein glücklicher Zufall: Unsere Herzen passten zueinander,obwohl das Körbchen noch sehr gefüllt war. Wir sahen darin ein beson-

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194 Erinnerungen an den Verlobten

deres Zeichen, und die beiderseitige Freude war groß. Ich habe meineHerzhälfte viele Jahre – auch noch nach dem Angriff auf Dresden – auf-bewahrt.

Da wir uns sehr gut verstanden, festigte sich unsere Freundschaft nachAbschluss der Tanzstunde immer mehr. Nicki machte inzwischen sein„Notabitur“. Als ältester Schüler des Gymnasiums wurde er sofortdanach einberufen und in der Dresdner Grenadierkaserne mehrereWochen für die Front ausgebildet.

Sein erstes bitteres Erlebnis war, als zwei junge Zeugen Jehovas aneinem Sonntagmorgen vor der gesamten Kompanie erschossen wurden,weil sie sich weigerten, den Fahneneid auf Hitler zu leisten.

Bevor Nicki an die russische Front kam, verlobten wir uns im Januar1944 in der Hoffnung auf eine spätere gemeinsame Zukunft. Ehe wireinige Tage später zum Bahnhof gingen, wo der Zug nach Russlandbereitstand, sang ich Nicki in der Wohnung seiner Eltern noch einAbschiedslied vor: „All’ mein Gedanken, die ich hab’, die sind bei dir...“. Uns allen standen dabei die Tränen in den Augen. – Bevor Nickinach schlimmen Monaten seinen ersten Fronturlaub bekommen sollte,fiel er am 19. Juli 1944 beim Rückzug unserer Armee in Pentjusi/Lett -land, dem Land seiner ursprünglichen Heimat. Der Ring seines Lebenshatte sich für ihm im blühenden Alter von 21 Jahren geschlossen.

In seinen zahlreichen Feldpostbriefen brachte Nicki oft zum Ausdruck,wie sehr er den Krieg verabscheute. Von seinem Feldwebel wurde er –als Abiturient – besonders getriezt, und, als er sich einmal für eineSanitätsabteilung gemeldet hatte, da er wie sein Großvater Arzt werdenwollte, nahm man ihn gerade deshalb nicht, sondern einen anderen, derdafür überhaupt kein Interesse zeigte.

Nicki beherrschte die lettische Sprache und versuchte auf dem Rückzugseiner Truppe in Lettland – wo es möglich war – alte Menschen zu trö-sten, deren Häuser und Hütten von seinen Kameraden niedergebranntwurden, oder sie rechtzeitig zu warnen. Es ist möglich, dass ihm diesund auch seine Offenheit in den Briefen zum Verhängnis wurde und er,wie ich vermute, von seinen Vorgesetzten zum Tode verurteilt underschossen wurde. Wie soll ich sonst verstehen, dass wenige Tage,bevor seine Eltern die übliche Gefallenennachricht erhielten, sowohl beiihnen als auch bei mir (meine Adresse war ja durch die Feldpostbriefebekannt) die Gestapo auftauchte und Erkundigungen über Nickianstellte und auch meinen Bücherschrank inspizierte. Ein wertvollesbaltisches Buch, das mir Nickis Mutter geschenkt hatte und das mir

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195Erinnerungen an den Verlobten

hätte gefährlich werden können, hatte meine Mutter – in weiser Vor -sicht – im Küchenschrank hinter Töpfen versteckt. Die Gestapo wusstezu dieser Zeit bestimmt schon von Nickis Tod. Wir haben auch nichtsvon dem, was er bis zuletzt bei sich hatte, zurückbekommen. Es warüblich, dass man den Ring und private Bilder erhielt. Angeblich sollNicki durch Granatsplitter in Kopf und Herz tödlich getroffen wordensein. Man hat ihn danach noch zum Obergefreiten befördert. Aber dasbesagte wohl nicht viel, sondern kann ein Täuschungsmanöver gewe-sen sein, da ähnliches von Offizieren der Wehrmacht bekannt gewordenist, die aus politischen Gründen untragbar wurden und dies mit ihremLeben bezahlen mussten, angeblich aber den „Heldentod“ starben.

Jahre habe ich gebraucht, um Nickis Schicksal innerlich zu verarbeitenund mit meiner Trauer fertig zu werden. Niemals wird es auf dieserWelt eine Gewissheit darüber geben, wie sein Leben an der lettischenFront wirklich zu Ende ging.

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196 Erinnerungen an den Ehemann

Georg Marschall

* 7. Juli 1913 in Willanzheim (Kitzingen/Main)Vermisst seit Juni 1944

Von Wilhelmine Lettau

Möchte Ihnen ein paar Zeilen über meinem Mann schreiben.

Georg Marschall hatte braunes Haar, war 1,75 Meter groß und hattebraune Augen.

Von Beruf war er Sattler. 1939 wurde er eingezogen, 1940 kam unserSohn zur Welt, 1941 haben wir geheiratet.

1942 war Georg auf Genesungsurlaub, weil er Malaria hatte, 1944 warsein letzter Urlaub. Das war nur eine kurze Zeit, wo wir zusammenwaren. Im Juni 1944 wurde er vermisst bei Witebsk. 1944 wurde unserzweiter Sohn geboren.

Das war nur eine kurze Zeit, wo wir zusammen waren, aber er ist inGedanken noch immer bei mir. Nun bin ich fast 80 Jahre alt und nichtmehr ganz gesund. Ich habe unseren ältesten Sohn und dessen Frauverloren, das hat mich sehr mitgenommen.

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197Erinnerungen an liebe Menschen

Thomas Hirsch

Hans Wolfram

Name nicht mehr bekannt

Schulkameraden

Heinz Plöger

Hans-Joachim Eilers

Fritz Wellern

Adolf Knorr

Siegfried Gast

von Hans Obermayer

von Heinz Mattick

von Karl Neef

von I. von Kloch-Kornitz

von Heinz Koch

von Rosemarie Vogt

von Pauli Klebe

von Rolf Stiehler

von V. Kotschenreuther

von Christa Hohenöcker

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Erinnerungen an liebe Menschen

Arthur Fischer von Karin Steppe 216

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198 Erinnerungen an liebe Menschen

Thomas Hirsch

* 11. August 1919= 17. September 1941

Von Hans Obermayer

Thomas, von uns allen Dam genannt, wurde am 11. August 1919 gebo-ren und ist am 17. September 1941 in Schabanott bei Tergajenska(Russland) gefallen. Seine Grablage ist unbekannt.

Er war der zweitälteste Sohn unserer Nachbarn. Seine Eltern hatten einekleine Landwirtschaft, als Nebenverdienst fuhren sie in den Staatswaldzum Holzausfahren. Nachdem der Vater schon etwas älter war undkräftemäßig nicht mehr so konnte, war die Arbeit die Sache der zweiSöhne. Als sein Bruder Ludwig 1938 zum RAD eingezogen wurde, hingdie ganze Arbeit bei Dam. Aber er meisterte die An gelegenheit rechtgut. Als dann am 1. September 1939 der Krieg begann, war Dam mit beiden Ersten, die in die leer stehenden Kasernen einrücken mussten.

Mit der Einberufung endete eine Zeit, in der er jeden Tag bei uns gewe-sen war. Am Anfang war es allein das gute Verstehen unter Nachbarn.Aber bald teilte er das Interesse meines Vaters an den Motor rädern.Mein Vater hatte eines. Dam war anfangs noch ein bisschen jung, aberbald hatte er auch ein gebrauchtes Motorrad und war in seiner wenigenFreizeit immer mit seiner Maschine und meinem Vater zusammen.

Dam wurde Meldefahrer beim Gebirgs-Artillerieregiment 79, war beimFrankreichfeldzug dabei und wurde in der Folgezeit mit seiner Einheitnach dem Osten verlegt. Anfang Mai 1941 kam er in ein Lazarett, woihm sein Blinddarm entfernt wurde. Beim anschließenden Erholungs -urlaub kam er natürlich auch zu uns. Er erzählte, dass es Krieg mitRussland geben würde. Ich wandte ein, wir hätten einen Nichtangriffs -pakt mit Russland, aber Dam ließ sich nicht beirren: „Es gibt Krieg mitRussland“. Er fuhr schweren Herzens wieder zu seiner Truppe zurück.Drei Monate später ist er gefallen.

Heute denke ich oft an Dam, sein unbekümmertes Wesen, seineFrohnatur, seine Hilfsbereitschaft. Nur ein Opfer des Krieges, aberunvergessen, zumindest für mich.

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199Erinnerungen an liebe Menschen

Hans Wolfram

* 26. September 1925= 23. September 1943 bei Salerno in Italien

Kriegsgräberstätte Cassino/ItalienBlock 17, Grab 223

Von Heinz Mattick

Als Hans drei Jahre alt war, zogen seine Eltern nach Altranft im KreisOberbarnim. Der Vater war Schäfermeister und übernahm auf demGutshof in Altranft eine große Schäferei. Die kleine Schwester Anne-liese, meine heutige Frau, war gerade 14 Tage alt, als die Eltern denUmzug nach Altranft über die Bühne brachten.

Die Kindheit und einen Teil seiner Jugend verbrachte Hans in einer sehrschönen Umgebung, denn Altranft war ein Ort, bei dem es viel Waldund auch Wasser gab. Im Sommer kamen immer viele Berliner Kurz -urlauber in den Ort. Die Schulzeit wurde in der dortigen Volks schuleabsolviert, und die Lehrer waren bemüht, uns Kindern viel Wissen bei-zubringen.

Hans war ein dunkelblonder, ruhiger und bescheidener Junge, der nurseiner kleinen Schwester Anneliese manchen Schabernack spielte. Sokam es mal vor, dass er ihr Pferdeäpfel unter die Zudecke ihres Pup -pen wagens legte. Für solche kleinen Scherze war er immer mal zuhaben ...

Wir Kinder im Ort kannten uns ja alle bestens, auch wenn der Alters -unterschied teilweise erheblich war. Hans konnte nicht ahnen, dass ich,der drei Jahre jünger war als er, einmal sein Schwager werden würde.Aber er hat es auch nie erfahren. Während unserer Schulzeit schrieb ichseiner kleinen Schwester schon mal kleine Briefchen. Einer dieser Briefegelangte dann mal in seine Hände, aber er behielt es dann für sich undging nicht gleich zu den Eltern, um zu petzen.

Die Kindheit verlief wie bei allen Kindern dieser Zeit gleich. Mit zehnJahren Pimpf im Jungvolk und mit 14 Jahren Übernahme in die Hitler -jugend. Unsere Generation kannte es ja nicht anderes, und wir glaubtenalles, was man uns vorgaukelte. Nach acht Schuljahren wurde Hans ausder Volksschule entlassen. Das war 1940, und es schloss sich sofort eineLehre als Maschinenschlosser in Bad Freienwalde an.

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200 Erinnerungen an liebe Menschen

Die Lehre gefiel Hans sehr gut, aber trotzdem meinte er, er müsste sei-nem Vaterland dienen und hat sich dann, wie viele seiner Alterskame -raden, freiwillig zum Militär gemeldet. Seit dem 1. September 1939 warder Krieg ja schon in seiner ganzen Brutalität im Gange. Na und unsereGeneration war so verbohrt, dass wir an den Spruch glaubten, „Führerbefiehl, wir folgen dir“. Wohin wir diesen Größenwahnsinnigen gefolgtsind, erfuhren wir im ganzen Ausmaß erst 1945 nach Kriegsende.

Im Jahre 1943 wurde der Lehrling Hans Wolfram zum Reichsarbeits -dienst und danach sofort zur Division „Hermann Göring“ eingezogen.Nach kurzem Drill ging es sehr schnell ab in Rich tung Italien. Als dieAmerikaner von Sizilien zum Festland übersetzten, traf den PionierHans Wolfram eine Granate. Sein kurzes Leben wurde am 23. Sep tem -ber 1944, drei Tage vor seinem 18. Geburtstag, ausgelöscht, wie esdamals hieß, „gefallen für Führer, Volk und Vaterland“. Die Gefallenen-Meldung bekamen die Eltern von der Einheit, 1946 kam noch eineBenachrichtigung der Deutschen Dienststelle für die Benach richtigungder nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Wehrmacht.

Im Jahre 1960 erhielten meine Schwiegereltern eine Benachrichtigungvon der Evangelischen Kirche der DDR, dass die sterblichen Überrestedes Gefallenen nach Cassino zum dortigen Soldatenfriedhof überführtwurden. Dank dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge beka-men wir im Frühjahr 2000 Fotos seiner Grabstätte. Dafür sind wir demVolksbund sehr dankbar. Wie glücklich wären meine Schwiegerelterngewesen, hätten sie diese Aufnahmen von der Grabstätte ihres Sohnesnoch sehen können. Man kann nur sagen, nie wieder Krieg, egal werihn anzetteln und was man damit bezwecken will!

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201Erinnerungen an liebe Menschen

Name nicht mehr bekannt

Von Karl Neef

Ich weiß seinen Namen nicht mehr. Wir hatten uns auch erst eineStunde vor seinem Tod kennengelernt.

Nachdem wir, von Holland kommend, irgendwo aus unseremTruppentransportzug ausgeladen worden waren, um – wenn ich nochrecht weiß – die 456. Volks grenadier division zu bilden oder aufzufüllen,marschierten wir nebeneinander her. Er erzählte mir von daheim unddass seine drei Brüder gefallen seien. Als der letzte noch Lebende vonvier Söhnen hätte er aufgrund eines Führerbefehls zur Sippen erhaltungnicht mehr in den Fronteinsatz kommen sollen. Aber er habe sich frei-willig gemeldet und das sichere Gefühl, dass es ihn nicht treffe.

Inzwischen marschierten wir durch Hagenau und durften zu einerMarschpause wegtreten. Aber kaum saßen wir am Rand eines Platzesinmitten der Stadt, wurde unser Platz unter Artilleriefeuer genommen.Einige schrien getroffen auf. Einer wurde durch Granatsplitter amOberarm, der andere am Unterschenkel getroffen. Ein dritter rührte sichnicht mehr: Ein großer Granatsplitter hatte ihm den Schädel abrasiert.Das war mein Kamerad, der das sichere Gefühl gehabt hatte, dass esihn nicht treffe. So war der vierte und letzte von vier Söhnen einerFamilie gefallen ...

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202 Erinnerungen an liebe Menschen

Schulkameraden

Von Ingeborg von Kloch-Kornitz

Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, so war das in den 30erJahren eine unbeschwerte, schöne Zeit. Ich habe die Oberschule fürJungen in der kleinen Dossestadt Wittstock besucht, wir waren einekleine Klasse, die aus neun Jungen und acht Mädchen bestand. DerUmgang miteinander war fröhlich, wenn auch der damaligen Erzie -hung entsprechend zwischen Jungen und Mädchen von einer gewissenDistanz. Dann brach der Krieg aus. 1940 wurde unser Jahrgang konfir-miert, nach drei weiteren Jahren erfolgte das Abitur und die Jungengingen von der Schulbank zum Militärdienst.

Als unsere Kreiszeitung die erste Gefallenenanzeige abdruckte, es warder Sohn des Amtsgerichtsrats der Stadt, Leutnant Eduard Hase, gefal-len im Polenfeldzug 1939, da hielt die Stadt noch den Atem an. Aberseit 1941, dem Russlandfeldzug, standen täglich Gefallenenanzeigen imBlatt, und wir kannten sie in der kleinen Stadt fast alle, zumindest vomSehen oder den Namen nach. Aber es war schon ein gewisser Fatalis -mus eingetreten, eine gewisse Abstumpfung, wenn es nicht gerade dienächsten Angehörigen betraf. Wenn ich heute darüber nachdenke, somuss diese Abstumpfung wohl ein gewisser Selbstschutz gewesen sein.Wir waren betroffen und bedrückt und haben doch damals das ganzAusmaß des Grauens des Krieges nicht zu erfassen vermocht. Es bracheinfach über uns herein.

Unter den Gefallenen fanden sich die Namen von fünf Klassen -kameraden: Wolfgang Kliemitz aus Wittstock, Herzog aus Babitz,Horsteberhard Krüger aus Freyensreich, Georg Müller aus dem FleckenZechlin, Karl-Heinz Lingesleben aus Wittstock. Ein Schulkamerad hatein Bein verloren, von zwei weiteren ist mir der Verbleib unbekannt,praktisch ist nur ein Schulkamerad von neun Jungen aus dem Krieg indie Heimat unversehrt heimgekehrt. Zwei weitere mir gut bekannteJungen, Walter Kroll und Heinz Telschow aus Wittstock, sind gefallen,mein Nachhilfelehrer Alfred Suhr aus Dossow bei Wittstock, ebensozwei Vettern: Eberhard Thiele aus Jahnsfelde bei Landsberg/Wartheund Walter Faustmann aus Guschterholländer bei Friedeberg Neumark.

Ich könnte die Namen noch vieler anderer mir gut bekannter Jungennennen. Unsere Jahrgänge sind so stark gelichtet. Und unser aller Leben

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203Erinnerungen an liebe Menschen

hätte so ganz anders verlaufen können, wenn sie nicht so sinnlos ge -storben wären. Und nicht nur dieser Krieg war sinnlos. Alle rohe Ge -walt, jede kriegerische Auseinandersetzung mit Waffengewalt ist inhu-man und sinnlos. Gewalt beschwört Gegengewalt. Wann endlich kanndiese unheilvolle Kette nur durchbrochen werden! Kriege werden umMacht, Land oder Geld geführt, die Menschen werden als Werk zeuge ineinem Massensog mit hineingezogen und müssen ihr Leben lassen fürDinge, die sie nie gewollt und meist gar nicht verstanden haben.

Wann endet dieser Wahnsinn? Nicht immer wieder „Auge um Auge“oder „Zahn um Zahn“, sondern Verstehen der Ursachen, Verständigungund Suchen nach möglicher Abhilfe. Die Kriege werden immer grausa-mer, weil die technischen Möglichkeiten immer grausamer werden.Wenn die unheilvolle Kette nicht endlich durchbrochen wird, kann dasEnde nur ein endgültiges Chaos bedeuten, auf das wir sehenden Augeszugehen.

Gott bewahre uns davor!

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204 Erinnerungen an liebe Menschen

Heinz Plöger

* ca. 1923= ca. Frühjahr 1949

Von Heinz Koch

Russisches Kriegsgefangenenlager Nr. 7207/14 in Kosbasch im Ural:

Täglich rückten die Arbeitsbrigaden aus, um in den Bergwerken, dierings um das Lager liegen, Kohle zu fördern. Es war eine schwere biszur Leistungsgrenze gehende Tätigkeit, die die schon seit Jahren inLagern lebenden Kriegsgefangenen erbringen mussten.

Um nicht als Einzelner in der Masse der im Lager Lebenden zu verein-samen, hatten sich Gruppen gebildet, die sich auf der Basis von Ge -mein samkeiten zusammen fanden. So einer Gruppe hatten sich HeinzPlöger und ich auch angeschlossen. Gemeinsam hatten wir schon anmehreren Plätzen gearbeitet. Vom Hausbau über Torfstechen, einerAuto-Reparaturwerkstatt, bis letztendlich zur Kohleförderung imBergwerk.

Gegenseitig bestärkten wir uns in der Hoffnung, bald die Heimreiseantreten zu können und sprachen dabei auch von unseren Heimat -städten Lüdenscheid und Remscheid. Diese Gespräche wirkten dannwie eine Medizin, sie bauten uns auf und belebten uns. Durch eineUmorganisation wurden wir aber irgendwann getrennt und arbeitetenvon nun an in zeitlich versetzten Schichten. Trotzdem verbrachten wirunsere Freizeit in der gleichen Gruppe wie bisher.

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205Erinnerungen an liebe Menschen

Dann kam der Tag, an dem Heinz Plöger zum Schichtende von Kame -raden ins Lager getragen wurde. Er hatte einen schweren Unfall erlit-ten: Ein Drahtseil war gerissen, und der daran hängende Waggon rolltein unkontrollierter Fahrt eine Schrägstrecke hinab, an deren Ende erarbeitete. Wegen der lauten Arbeitsgeräusche konnte er die Warnrufenicht hören. So wurde er von dem mit hoher Fahrt ankommenden Wag -gon getroffen und zwischen zwei Stempel des Streckenausbaus gedrük-kt. Der vorhandene Raum zwischen den Stempeln verhinderte, dass ervon dem Waggon gleich zu Tode gequetscht wurde. Trotzdem warenseine Verletzungen sehr schwer.

Der ihn untersuchende Lagerarzt entschied seine sofortige Einweisungin das Krankenhaus der nahegelegenen Kreisstadt Kiszel. Auf dieserFahrt ist Heinz dann auf halber Strecke gestorben. Irgendwo in Kiszelist er begraben worden. Niemand von uns Kameraden hat in Erfahrungbringen können, wo sein Grab liegt.

Trotzdem sehe ich ihn nach mehr als fünfzig Jahren immer noch vormir. Ihn, der mein Kamerad war und mit mir die Hoffnung auf dieHeimkehr teilte.

Heinz war von stattlicher Gestalt, hellblond und blauäugig. Gutmütig -keit und Ehrlichkeit waren seine Charakterzüge. Es war mir nichtgestattet, das Stück Papier, auf dem ich seine Adresse und seine Lebens -daten festgehalten hatte, mit in die Heimat zu nehmen.

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206 Erinnerungen an liebe Menschen

Hans-Joachim Eilers

*10. November 1926Vermisst seit 1945

Von Rosemarie Vogt

Eigentlich ist es eine alltägliche Kriegsgeschichte. Persönlich erlebt siejeder mit eigenem Empfinden: Traurigkeit, auch Fröhlichkeit, Erin ne -rungen an eine teilweise unbeschwerte Kindheit.

Mit meinem Cousin Hans-Joachim-Eilers, geboren 1926, und seinerSchwester Lieselotte, geboren 1930, verbrachte ich in Holzen herrlicheSommerferien. Das kleine Dorf liegt am Ith und Hils und gehört jetzt zuEschershausen, dem Geburtsort Wilhelm Raabes. Noch im Sommer1943 unternahmen wir drei gemeinsame Wanderungen. Unser beliebte-stes Ziel war der Wilhelm-Raabe-Turm auf dem Großen Sohl im Hils.Wir hatten viel Spaß miteinander, genossen den Weitblick vom Turmund zählten, wie oft wir wohl schon hier oben waren und in Zukunftnoch sein würden. Niemand ahnte, dass es unser letztes Beisammenseinwar.

Joachim und Lieselotte wurden in Leubingen, einem Dorf in Thüringengeboren und lebten dort. Der Vater Wilhelm Eilers war Ritterguts -verwalter. Joachim absolvierte 1944 in Erfurt das Abitur und wurdesofort zur Waffen-SS, Division Hitlerjugend, eingezogen. Er war groß,blond, blauäugig und kräftig von Gestalt. Er konnte sich gegen dieMusterung zur Waffen-SS nicht wehren.

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207Erinnerungen an liebe Menschen

1945, gegen Ende des Krieges, wurde die Division Hitlerjugend imOsten zum Kampf eingesetzt. Von der Familie wusste niemand, an wel-chem Kriegsschauplatz diese Soldaten zu kämpfen hatten: Schlesien,Berlin? Es kehrte nicht ein Einziger von diesen jungen Menschen heim.Trotz intensiver Suche über den Volksbund und über das Rote Kreuzhat sich kein Soldat gemeldet, der Auskunft geben konnte. Fast dieganze Division muss also ausgelöscht worden sein.

Joachims Eltern und Geschwister mussten nach der Besetzung durchdie Russen aus Leubingen nach Holzen fliehen. Dort steht auf demGreitberg am Hils ein Kriegerdenkmal. Damit ihre Namen nicht verges-sen werden, steht daran „Hans-Joachim Eilers“, zusammen mit dem1940 in Frankreich gefallenen Onkel „Hermann Eilers“.

Eine alltägliche Kriegsgeschichte.

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208 Erinnerungen an liebe Menschen

Ein junger Leutnant

Von Pauli Klebe

Sie fragen nach Gefallenen oder im Kriege Umgekommenen, derenAndenken nicht erlöschen soll. In meiner Erinnerung bleibt vor allemein junger Mann lebendig, den ich kaum kannte, dessen Name mirnicht geläufig war.

Mein Mann wurde gleich an seinem ersten Gefechtstag in Frankreichschwer verwundet, war dann als Gebirgsjäger von April 1942 bis April1944 an der Front in der Ukraine, im Kaukasus, auf dem Balkan. Bevorer zuletzt in ein Regiment nach Nordnorwegen kam, bildete er an derGebirgskampfschule in Mittenwald Bataillonsführer aus. Dabei bekamer öfter Besuch von der Front. So bewirteten wir auch einen jungenLeutnant, davon dieser Bericht:

Wenn ich an Gefallene des Zweiten Weltkrieges denke, dann kommtmir nicht als erster Reinholds Vetter Helmuth Wittrock in den Sinn, derim Oktober 1942 als Leutnant auf einer Streife in Nordnorwegen, alssein Ski gebrochen war, seine Gruppe zurückschickte und erfror. Dannkommen mir auch nicht die Kameraden Reinholds in den Sinn, die ichja zum Teil gut kannte, viele, viele!, sondern ein ganz junger Leutnant,„wie Milch und Blut“, der im Januar 1945 seinen ehemaligen Komman -deur, eben Reinhold, auf der Rückkehr aus dem Urlaub in Mittenwaldbesuchte. Es war an einem Samstag, und mein Mann forderte denLeutnant auf, eine Nacht bei uns zu verbringen – wir hatten im Woh n -raum ein Sofa für Gäste, die mit uns eine Skitour im Karwendel machenwollten. „Der Krieg läuft Ihnen nicht fort, ein Tag richtiger Urlaub füreinen Gebirgsjäger tut Ihnen gut!“

Wir hatten zu dritt einen schönen Abend mit guten Gesprächen. Wasich als Mahlzeit bieten konnte, befriedigte – damals! – immer. Am näch-sten Morgen machten wir uns, natürlich per Bahn, auf nach Seefeld undhatten oben einen herrlichen Blick und eine schöne Abfahrt. Dann ver-abschiedete sich der junge Mann und fuhr zurück auf den Balkan.

Wir hatten ein richtig gutes Gefühl und den Eindruck, unserem Gastauf der Rückfahrt in den Krieg noch einmal ein paar individuelle, kost-bare Stunden ermöglicht zu haben. Wir fühlten uns selbst be schenkt. Esdauerte vielleicht zehn Tage, bis Reinhold mir mitteilte, der junge

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209Erinnerungen an liebe Menschen

Leutnant sei gefallen, kaum, dass er sich zurückgemeldet hatte. Ichweiß keinen Namen, weiß nicht, woher er stammte, aber der jungeblonde Mann, noch halb Bub, kommt mir nicht aus dem Sinn, und ichwünsche, dass wenigstens die vorletzte Episode seines Lebens, als erunser Gast war, für ihn glücklich gewesen ist.

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210 Erinnerungen an liebe Menschen

Fritz Wellern

* 21. Februar 1927= 17. Januar 1945 Raum Rypin (Posen-Westpreußen; Polen)

Von Rolf Stiehler

Über Fritz Wellern, geboren am 21. Februar 1927 in Linderte, LandkreisHannover, vermisst seit 17. Januar 1945 im Raum Rypin (Posen-West -preußen, jetzt Republik Polen), kann ich folgendes berichten:

Seine persönliche Merkmale waren:Größe 1,80 Meter, blonde Haare, blaue Augen, kräftige Statur.Geboren am 21. Februar 1927.1933 bis 1941: Volksschule.1941 bis 1944: Landwirtschaftslehrling.1941 bis 1944: Landwirtschaftliche Berufsschule.Oktober bis Dezember 1944: Reichsarbeitsdienst in Rosche bei Uelzen.Dezember 1944 eingezogen zum Fallschirm-Ersatz- und Ausbildungs -regiment Nr. 1 der Division „Hermann Göring“.

Mein Schwager Fritz Wellern war ein fröhlicher, lebenslustiger Mensch,der in der elterlichen Landwirtschaft tatkräftig mitarbeitete und biszuletzt an den „Endsieg“ glaubte.

Seine Einberufung als 17-jähriger zur Wehrmacht ließ ihn den Ernst derKriegslage erkennen. Der Abschied aus dem Elternhaus und seiner hei-matlichen Umgebung aufgrund des Einberufungsbefehls fiel ihm sicht-lich schwer.

Seinen letzten Feldpostbrief hat er am 15. Januar 1945 aus Rippin(Westpreußen) geschrieben.

Unsere umfangreichen Nachforschungen nach seinem Schicksal beimSuchdienst des Deutschen Roten Kreuzes München und beim Komiteevom Internationalen Roten Kreuz in Genf und weiteren 17 deutschenSuchdiensten waren bisher erfolglos.

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211Erinnerungen an liebe Menschen

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212 Erinnerungen an liebe Menschen

Adolf Knorr

* 3. Januar 1908 = 8. Dezember 1941 bei Pirowa

Von Volker Kotschenreuther

Mein Name ist Volker Kotschenreuther. Ich bin 30 Jahre alt und vonBeruf Polizeibeamter. Beiliegend habe ich notiert, was ich noch übermeinen Großvater mütterlicherseits, Adolf Knorr, in Erfahrung bringenkonnte.

Vermutliche Todesursache war ein Granatsplitter, der ihn traf. NachAussagen meiner Großmutter, die ebenfalls schon lange tot ist, warseine Einheit auf dem Rückmarsch von der Front. Mein Großvater halfzunächst seinen Kameraden, darunter auch einigen Verwundeten, inden LKW zu steigen. Als er als letzter der Einheit einsteigen wollte,schlug in unmittelbarer Nähe des LKW eine Granate ein und einSplitter traf ihn. Daraufhin fiel er zu Boden. Die Kameraden konntenihm wohl nicht mehr helfen und mussten ihn liegen lassen.

Die letzte Nachricht, die meine Großmutter über ihren Mann erhielt,war der Brief des Kompaniechefs, der den Tod meines Großvaters mit-teilte.

Über persönliche Merkmale und besondere Eigenschaften kann ich nursehr wenig sagen. Ich weiß nur von Erzählungen meiner Großmutter,dass er ein guter Sportler (Turner) war und dass er als Feinarbeiter inder Deutschen Korbfachschule Lichtenfels beschäftigt war.

Adolf Knorr war mit seiner Frau seit dem 7. August 1938 verheiratet.Meine Mutter und ihre Zwillingsschwester konnten sich nicht an ihrenVater erinnern. Als er fiel, waren meine Mutter und ihre Schwestergerade acht Monate alt. Meine Großmutter hat nach dem Krieg nichtmehr geheiratet und zog die Zwillinge alleine auf.

Ich unterstütze seit einigen Jahren die Arbeit des Volksbundes DeutscheKriegsgräberfürsorge. Es ist nur schade, dass sich heute nur wenigejunge Menschen für die so wichtige Arbeit interessieren. Im Gedankenan meinen gefallenen Großvater hoffe ich, dass in Zukunft keine Kindermehr durch Krieg ihre Eltern verlieren.

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213Erinnerungen an liebe Menschen

Siegfried Gast

* 10. Dezember 1923= 6. März 1943 bei Bannowskij

Von Christa Hohenöcker

Ihre Idee, Erinnerungen an die Kriegstoten zu sammeln, finde ich sehrgut und mache gerne mit. Der junge Mann, dessen Andenken ichbewahren möchte, ist ein Jugendfreund von mir.

Er war nicht sehr groß, schlank, Augen und Haare waren braun.

Kennen lernten sich unsere beiden Familien 1936 im Urlaub in Pfaffen -dorf im Elbsandsteingebirge. Wir wohnten dort zufällig in der gleichenPension. Ich war damals zehn Jahre alt, Siegfried zwölf. Ein paar Jahrespäter fiel es ihm plötzlich ein, mir zu schreiben, und so entwickeltesich eine herzliche Brieffreundschaft bis zu seinem Tod. Gesehen habenwir uns nur für zwei oder drei Urlaubswochen 1941 im Sommer, die erbei uns in Warnsdorf verbrachte. Wir sind viel im Gebirge gewandert,und Siegfried hatte es so gut gefallen, dass er gar nicht mehr nachHause wollte. Er schrieb seinen Eltern sogar, es gebe wegen des Kriegeskeine Reiseerlaubnis (was nicht stimmte). Prompt kam darauf von denEltern die Antwort, seine Einberufung zum Arbeitsdienst sei da, wasauch nicht stimmte. Aber nun gab es keine Ausrede mehr, länger zubleiben, und wir mussten ihn schweren Herzens ziehen lassen.

Siegfried war ein sehr fröhlicher, netter, hilfsbereiter Mensch. Alle hat-ten ihn gern, und wir hatten viel Spaß miteinander. Seine große Leiden -schaft war das Zeichnen und sein ganzer Ehrgeiz ging dahin, Kunst -maler zu werden. Bevor er auf die Akademie durfte, bestanden seineEltern aber darauf, dass er etwas „Ordentliches“ lernte, und so machteer eine Lehre als Uhrmacher und auch die Abschlussprüfung. Danachaber war Schluss mit den Privatleben. Er leistete seine Arbeitsdienstzeitin Merseburg ab und kam dann zur Wehrmachtsausbildung nachFrankfurt/Oder, anschließend zur Besatzungstruppe nach Frankreichan die Atlantikküste. Dort war das Leben wohl halbwegs „gemütlich“.

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214 Erinnerungen an liebe Menschen

Eine Zeit lang war er in einem Hotel direkt am Meer einquartiert, wasihn tief beeindruckte. Mit seiner Malerei machte er nicht nur den Ka me -raden Freude, sondern war auch bei der französischen Bevöl kerung imganzen Ort dafür bekannt.

Anfang Februar 1943 wurde die Kompanie nach Russland an die Fronttransportiert, und es dauerte nicht lange, bis die Kugel ihn traf. Er war

gerade mal etwas über 19 Jahre alt. SeineEltern waren tief verzweifelt, auch ihrälterer Sohn Günter war seit dem Winterin Stalingrad vermisst. Ob er je heimge-kehrt ist – ich weiß es nicht. Siegfriedhatte, als er davon erfuhr, seinen Elternnoch zum Trost geschrieben: „Mir kannja nichts passieren, wo ich noch so vielvorhabe ...“.

Die Zeichnung hat mir Siegfried ausFrankreich geschickt, wo er selbst Dienstals Radmelder tat. Ein Aquarell von ihm,das er bei seinem Besuch in Warnsdorfmalte und unseren damaligen Hundzeigt, hängt noch heute in meinerWohnung.

Dienststelle E.O. den 11. März 1943

Sehr geehrter Herr Gast!

Die Kompanie muss in einer ernsten Angelegenheit an Sie herantreten. Am6.3.43 fiel ihr Sohn und unser guten Kamerad, der Grenadier SiegfriedGast, im Kampf gegen den Bolschewismus bei Bannowskij. Er hat sich alsMelder heldenhaft zur Wehr gesetzt und sein junges Leben getreu demFahneneid für Führer, Volk und Vaterland hergegeben. Sein Tod bedeutetfür uns Verpflichtung. Ihr Sohn hatte einen kurzen und schnellen Solda -tentod. Nehmen Sie dies als einen Trost in Ihrem schweren Leid hin undseien Sie unserer Anteilnahme versichert.

Die Kompanie wird ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren. Ich grüßeSie auch im Namen der Kameraden ihres Sohnes im aufrichtigen Mitgefühl.

Heil Hitler!Leutnant und Komp.Führer

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215Erinnerungen an liebe Menschen

NB

Ihr Sohn Siegfried versah nach der Verwundung meines ersten Burschenseit 10.2.43 in vorbildlicher Weise Burschendienste bei mir. In seiner ruhi -gen und überlegten Art meisterte er alle ihm als Fußmelder übertra ge nenAufgaben und war mir in allen Gefechtslagen stets am nächsten.

Bei einem Kontrollgang in einer soeben erkämpfen Bergstellung am Donezkonnte sich Ihr Sohn bei der Beobachtung des Gegners aus einer überhöh -ten Feldstellung heraus noch einmal des hier reizvollen Aus blickes auf dentief unter ihm liegenden Donez erfreuen. Er hatte als begabter Zeichnerhierfür einen besonderen Blick.

Kurz darauf traf ihn das Infanteriegeschoss eines Schafschützen in dieBrust. Ihr Sohn sagte noch: „Ich bin getroffen“ und verlor dann dieBesinnung. In diesem Zustand trug ich ihn mit Hilfe anderer Kame radenaus dem Feindfeuer und verband ihn an einer gedeckten Stelle, von wo ichseinen sofortigen Abtransport mit einem Handschlitten zum Verbandsplatzdurchführen ließ. Dort noch einmal versorgt, hat ihr Sohn, ohne dieBesinnung wiederzuerlangen, sein Leben schmerzlos hingegeben.

Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen nochmals mein persönliches Mit empfindenfür den so schweren Verlust Ihres Sohnes zum Ausdruck zu bringen, zumalauch ich ihn als vorbildlichen und pflichtgetreuen Soldaten und gutenKameraden lieb gewonnen hatte und schätzte.

Einige Nachlassdinge und persönliches Eigentum habe ich zunächst bei derKompanie in Verwahrung nehmen lassen und werde sie, sobald sich hierfüreinen Möglichkeit bietet, an Sie absenden.

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216 Erinnerungen an liebe Menschen

Arthur Fischer

* ca. 1910= 1943? (Schlacht um Stalingrad)

Von Karin Steppe

Zur Erinnerung an Arthur Fischer (Kosename Peter):

Er war etwa 1,78 Meter groß, mittelblond und hatte graue Augen. Erwar fröhlich und charmant.

Seine Mutter und sein Vater, der Oberlehrer war, wohnten in PawlowitzPost Josefihütte bei Marienbad (Sudetengau). Er hatte einen Bruder, denFranz, geboren um 1920, und eine Schwester, Isolde verheirateteFröhlich, die in Prag wohnte und eine Tochter hatte. Sein Lebenslauf istmir unbekannt.

Arthur Fischer war ein sehr lustiger und fröhlicher Mensch. Meine Eltern waren geschieden, und meine Mutter war ab 1937 mit ihmbefreundet. Er konnte gut kochen und war kinderlieb!

Wir haben von der ganzen Familie nach Kriegsende nichts mehr gehört,in der Tschechei tobte die Rache. Ob die Eltern damals starben, obBruder, Schwester und Tochter noch leben, weiß ich leider nicht.

Er starb an einem Kopfschuss. Er wollte einem verwundeten Kame -raden retten, ein Kamerad teilte uns dies mit. Wo sein Grab liegt, ist mirunbekannt.

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219Erinnerungen an die Familie

Familie Krieger und Haaf

Familie Flade

Franz Hohnheiser und Karl-Heinz Villhard

Heinrich Biermann, Johannes Dahlund Josef Hanemann

von Willibald Krieger

von Ursula Lange

von Marianne Villhard

von Willi Mues

220

230

223

226

Erinnerungen an die Familie

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Hans Krieger (Bruder)

* 1920= Juni 1944 im Lazarett Gelsenkirchen

Ich bin gebürtiger Amberger. Meine Familie musste einen hohen Preisfür den unsinnigen Krieg bezahlen. Mein Bruder Hans, 24 Jahre alt,starb im Lazarett Gelsenkirchen im Juni 1941. Mein ältester BruderGeorg fiel am 30. März 1945 in Bologna/Italien. Er war 35 Jahre alt.Meine Schwester Barbara, 33 Jahre alt, starb mit ihren drei Kindern,vier, sieben und acht Jahre alt, am 11. April 1945 bei einem Bomben -angriff auf Amberg.

Im April 1945 geriet ich in amerikanische Kriegsgefangenschaft. AchtTage waren wir auf einer Anhöhe in Gummersbach, dann kam ich indas berüchtigte Lager Remagen, 300 000 Gefangene haben im Freien inErdlöchern gehaust, in zwei Monaten hatten wir 1 200 tote Kameraden,

Georg Krieger (Bruder)

* 1910= 30. März 1945 in Bologna/Jtl.

Barbara Haaf (Schwester)

* 1912= 11. April 1945 bei einem Bombenangriff auf Amberg

zusammen mit ihren drei Kindern 4, 7 und 8 Jahre alt

Herbert Haaf (Schwager)

* 9. Mai 1919 in Brühl= 6. September 1941 bei Nikoskoa-Sloboda, Russland

Von Willibald Krieger

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221Erinnerungen an die Familie

die auf der Kriegsgräberstätte Bad Bodendorf unweit von Remagenbeerdigt sind.

Ich hatte das Glück nach vier Wochen mit vielen anderen nach Koblenzverlegt zu werden. Dort war es human, wir wurden von einem ameri-kanischen aktiven Offizier betreut. Nach vier Wochen wurde ich am14. Juni 1945 entlassen.

Frontbrief von Herbert Haaf Russland, den 31. August 41

Lieber Willi.

Deinen Brief vom 18. des Monats mit Dank erhalten, habe daraus ersehen,dass es dir noch gut geht, was ich von kleineren Ausnahmen auch von mirberichten kann. Sitze hier mit einem Kameraden hinter dem MG in einerPanzerabdeckung. Haben vor zwei Tagen einen Angriff auf eine gut ausge-baute und mit schweren Waffen versehene russische Stellung gemacht,mussten uns aber während der Nacht zurückziehen, da sie uns an Zahlweit überlegen waren und das ganze Gelände vermint hatten. Jetzt sitzenwir in unseren Löchern in Verteidigung und warten auf Verstärkung, wäh-rend unsere Flieger die russischen Stellungen bombardieren, aber dieRussen bedienen uns auch mit Bomben und schwerer Artillerie. Wenn eskein Volltreffer ins Loch ist, macht uns das gar nichts aus, die Verteidigunghat auch für uns eine gute Seite, denn wir brauchen dann nicht marschie -ren, das macht unseren müden Knochen immerhin etwas aus. Sind wirdoch seit Kriegsbeginn, das sind heute 71 Tage, rund 1500 km kämpfendmarschiert, davon kommen 25 Tage ab, die wir in Verteidigung lagen undnicht marschiert sind, dann sind es 54 Tage. Das will was heißen, 1500 kmzurücklegen.

Vorgestern ist auch ein guter Kamerad von mir gefallen, auch ein MG-Schütze; er bekam einen Querschläger von links durch den Stahlhelm, derihm die ganze Stirn wegriss.

Lieber Willi, musste eben den Brief unterbrechen, der Russe schoss eineStunde lang Trommelfeuer auf unsere Stellung, ich dachte schon, der wollteuns sturmreif schießen, um uns anzugreifen. So habe ich die Russen nochnicht schießen gehört, wie eben eine Stunde lang aus allen Rohren.Unseren schlimmsten Tag hatten wir am 26. August nachmittags um4.00 Uhr. Wir waren gerade auf dem Marsch, da flogen plötzlich über unssieben Bomber mit zwei Jägern, und wir haben sie die ganze Zeit beobach -tet. Einer von uns sagte, die fliegen nach Moskau. Doch auf einmal fielendie Bomben massenweise herunter, alles rannte in volle Deckung, das ganze

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222 Erinnerungen an die Familie

Regiment, die Pferde wurden scheu und rannten mit den Wagen die Straßeentlang. Mancher von uns wurde überfahren, und viele Pferde rannten mitden Wagen die steile Böschung hinab und überschlugen sich. Bei mir in derKompanie kamen fünf Bomben herunter und wir hatten nur einen Ver letz -ten.

Ungefähr 150 Meter von uns, bei der nächsten Kompanie, kamen 30 umsLeben. Da sah es vielleicht aus, das ganze Gelände lag voll mit Pferden undMenschen, das war ein Schreien von verwundeten Menschen und Tieren.Die Pferde, die getroffen waren, wurden alle erschossen. Alles war voll mitBlut und man konnte fast nichts sehen vor Pulverdampf und Staub. DenAnblick werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen.

Für heute grüßt dich recht herzlich dein Schwager Herbert

Mein Schwager Herbert Haaf ist zehn Tage später gefallen. Seine Ein -heit muss dem Bericht nach schwere Verluste erlitten haben und manlegte dann in dieser Gegend vermutlich einen Friedhof an, auf demauch mein Schwager Herbert Haaf beerdigt sein soll. Außer derMitteilung, dass er gefallen ist, haben wir keine weitere Nachrichterhalten.

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223Erinnerungen an die Familie

Franz Hohnheiser (Vater)

Mein Vater war Lehrer für Deutsch und Biologie. Meine Eltern heirate-ten im Mai 1940, im November wurde ich geboren. Vater war vonKrieg sbeginn an in Polen dabei, dann Frankreich, Russland bis zumTerek und durch Rumänien und Ungarn nach Österreich, wo er bei denletzten Gefechten mit den Russen fiel.

In den fünf Kriegsjahren war mein Vater dreimal auf Heimaturlaub. Ichhabe keine Erinnerung an ihn. Nur von der Situation, als die Todes -nach richt im Sommer 1945 bei uns eintraf, habe ich ein Bild. Die Er -wach senen sitzen im Kreis mit gesenkten Köpfen, und ich gehe voneinem zum anderen und verstehe nicht, was passiert ist.

Meine Mutter wurde von 1945 bis 1946 in den Süden der Tschechei ver-schleppt, wo sie auf einen Bauernhof arbeiten musste. Zu unserer

* 13. Juni 1916= 12. April 1945

St. Kathrein am Hauenstein/Österreich; Reihe 3, Grab 66

Karl-Heinz Villhard (Onkel)

* 19. August 1921 = 26. Juli 1942 bei Woronesch in Russland

Von Marianne Villhard

In der Mitte meine Eltern,Mizzi und FranzHohnheiser, außen dieEltern meiner Mutter, dasKind bin ich, Marianne.

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224 Erinnerungen an die Familie

Aussiedlung im Sommer 1946 kam sie zum Glück wieder zu unszurück. Wir, meine Mutter und ich, die Großeltern mütterlicherseits,eine behinderte Großtante und die Urgroßeltern (also vier Genera -tionen), landeten mit noch zwei Familien aus unserem Heimatdorf ineinem kleinen Ort im Odenwald. Die Familie meines Vaters kam nachSüddeutschland.

Dass ich meinen Vater vermisste, habe ich erst als erwachsene Frau ver-standen. Man sagt, ich sei meinem Vater sehr ähnlich, sogar bis inmeine Art, mich auszudrücken. Es gibt außer ein paar Kleinig keitenkeine Erinnerungsstücke an meinen Vater. Es gibt drei Briefe, die er anmich aus dem Feld geschrieben hat. Ich konnte sie aber nicht lesen, dasie in deutscher Schrift geschrieben sind. Ein Onkel hat sie mir inMaschinenschrift abgeschrieben.

Als ich im Jahre 2000 in Rente ging, hatte ich mir vorgenommen, michmehr mit den Gräbern meiner Onkel und meines Vaters zu beschäfti-gen. Am Grab meines Vaters waren wir mehrere Male.

Zwei Wochen vor meinem 60. Geburtstag ist etwas sehr Seltsames undauch Wunderbares passiert. Der Vorgesetzte und Kamerad meinesVaters hat mich ausfindig gemacht. Nach 55 Jahren! Er hat mir von mei-nem Vater und von seiner Todesstunde erzählt. Er hat mir Abhand -lungen, die mein Vater über Kampfhandlungen verfasst hat, zugeschik-kt. Es ist für mich, als hätte mir mein Vater durch Herrn Albrecht überZeit und Raum die Hand gereicht.

Der Tod meines Vaters war nicht der einzige Tribut, den dieser Teil derFamilie gezollt hat: Sein Bruder Walter, geboren 1925, ist am 19. April1945 in Sandershausen bei Bitterfeld gefallen. In einer Woche starben sobeide Brüder, als der Krieg fast zu Ende war. Sein Bruder Erhard, gebo-ren 1926, erlitt eine Verletzung, die zur Amputation eines Unter schen -kels führte. Seine Schwester Hermine, geboren 1922, wurde von einemRussen verletzt und blieb dadurch kinderlos.

Das Grab meines Vaters befindet sich auf dem Soldatenfriedhof SanktKathrein am Hauenstein im Süden des Semmering in Österreich.

Eine große Tragödie in meiner Familie war der Tod meines Onkels, desBruders meiner Mutter. Diesen Onkel Karl habe ich natürlich auch nichtgekannt. Er muss lebenslustig, charmant und der Stolz meiner Groß -eltern gewesen sein. Er wurde eingezogen und war ab 1941 in Russ -land.

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225Erinnerungen an die Familie

Seine Truppe war in der Nähe von Woronesch stationiert und zu demZeitpunkt nicht in Kampfhandlungen verwickelt. Sie haben die Waffengewartet und sollten zum Schanzen ausrücken. Wahrscheinlich habensie auch herumgealbert, wie junge Menschen halt sind. Ein Kameradkam auf meinen Onkel zu und fragte ihn, mit dem Gewehr im An -schlag: „Was hast du vorhin gesagt?“, und schoss ihm durch den Mund.Wahrscheinlich war es ein lachender Mund. Mein Onkel war sofort tot.

Diese Tragödie haben meine Großeltern nie verwunden, nie verzeihenkönnen. Wäre er im Krieg gefallen, sozusagen für Volk und Vaterland,hätten sie es sicher leichter ertragen können. Oder wenn sie vielleichtein Grab hätten besuchen können. So war unser Leben immer von die-sem Schatten belastet.

Ich hoffe, dass es dem Volksbund gelingt, diesen Friedhof, von dem ichdie Fotografie beifüge, zu finden.

Leider sind alle meine Angehörigen verstorben. Ich kann nicht mehrüber all das sprechen. Es will niemand diese alten Geschichten hören.Für mich aber sind diese Verstorbenen ein Teil meines Lebens und mei-ner Wurzeln.

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226 Erinnerungen an die Familie

Heinrich Biermann (Onkel der Ehefrau)

* 13. Januar 1921= 28. August 1943

Kriegsgräberstätte Charkow/UkraineBlock 4, Reihe 29, Grab 2287

Johannes Dahl (Onkel der Ehefrau)

* 3. August 1910= 7. September 1944

Kriegsgräberstätte Lommel/BelgienBlock 14, Grab 117

Josef Hanemann (Onkel)

* 10. August 1919Vermisst seit 3. April 1944

Von Willi Mues

Heinrich Biermann war der Bruder meiner Schwiegermutter und derOnkel der Eheleute Heinrich Biermann und Maria Sottmann inErwitte/Westfalen geboren. Nach seiner Schulentlassung erlernte er aufdem Zementwerk Nordstern in Erwitte das Schlosserhandwerk.

Im Sommer 1940 wurde er zum Militär diensteingezogen und kam zunächst ins Rheinlandzur Ausbildung. Nach dem Bild müsste esdas Infanterieersatz batai llon 77 gewesen sein.Später kam er dann nach Russland zumKampfeinsatz. Laut seiner letzten Feldpost-Nr. gehörte er zuletzt zum Panzer-Aufklärungszug 1 in der 264. Infantrie-Division, die im Wehr kreis VI Münster aufge-stellt worden war.

Heinrich Biermann wurde am 28. August 1943 bei Isjum am Donezwährend des Wachstehens im Schützengraben durch einen Schuss

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227Erinnerungen an die Familie

schwer verwundet und starb, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zuhaben.

Er sollte sicherlich das väterliche Erbe, die Schlosserei im HauseBiermann, antreten. Aber durch den Krieg kam alles anders.

Johannes Dahl war der ältere Bruder meines Schwiegervaters JosefDahl und der Onkel meiner lieben verstorbenen Frau Marita Mues, geb.Dahl.

Er wurde am 3. August 1910 als Sohn vonJohannes Dahl und Theresia Finke inHelmern/Kreis Büren in Westfalen geboren.Nach seiner Schulentlassung war erzunächst bei mehreren Bauern in Diensten.Im Jahre 1937 heiratete er TheresiaHansmeier in Helmern und hatte mit ihreine Tochter.

Im Februar 1940 wurde er zur Wehr machteingezogen und kam nach Marienwerder in

Westpreußen zur 4. Kompanie/Infanterieersatz bataillon 236, späterwurde er nach Minden verlegt. In Russland war er im Jahre 1943 unteranderem im II. Bataillon/Grenadierregiment 580 in der 306. Infanterie-division. Wegen Krankheit wurde er später nach Deutschland zurük-kverlegt und war im August 1944 bei einem Gefan genen-Wach -kommando in Salzkotten/Westfalen.

Ende August 1944 wurde er nach Belgien in Marsch gesetzt. JohannesDahl wurde am 7. September 1944 bei Lüttich durch einen Partisanen -angriff tödlich verwundet und starb kurz darauf. Die amtliche Nach -richt stammt von einem Hauptfeldwebel Damski an den Wehrmacht-Fürsorgeoffizier in Osnabrück:

„In der Anlage überreiche ich das Soldbuch des O.-Gefr. Dahl, wohnhaft inPaderborn. Dahl ist auf dem Rückmarsch aus Lüttich beim 1./Sich.-Batl.1030 am 7.September 1944 abends 6.00 Uhr durch einen Angriff vonPartisanen schwer verwundet worden (3 Steckschüsse: 1 Brust, 2 Bauch)und anschl. gestorben. Da die Kompanie versprengt ist und ich beimAngriff zugegen war, bitte ich um Benachrichtigung der Ehefrau des Dahl.Infolge starker Feindeinwirkung konnten die Nachlasssachen nicht gebor-gen werden.“

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228 Erinnerungen an die Familie

Johannes Dahl erhielt seine letzte Ruhestätte auf dem SoldatenfriedhofLommel in Belgien. Seine Ehefrau hat zeitlebens um ihren Mann getrau-ert und seine Tochter, die Kusine meiner Frau, hat ihren Vater praktischnicht gekannt.

Ich habe im Jahre 1978 mit seiner Ehefrau das Grab von Johannes Dahlin Lommel besuchen können und auch einige Dias davon gemacht.Dabei ist die Witwe fast zusammengebrochen. Es war für mich, der ichschon einiges gesehen hatte, ein einmalig trauriges Erlebnis!

Josef Hanemann war der jüngste Bruder meiner Mutter KatharinaMues, geborene Hanemann, und mein Onkel.

Josef Hanemann wurde am 10. August1919 als jüngster Sohn der EheleuteHermann Hanemann und Franziska Krusein Rixbeck bei Lippstadt geboren. Nachseiner Schulentlassung war er zunächst inRixbeck bei einem Bauern tätig und späterals Ziegeleiarbeiter. Mit 18 Jahren wurdeer nach Königsberg in Ostpreußen zumArbeitsdienst eingezogen und nahm alsArbeitsdienstmann am Polenfeldzug teil.

Im Jahre 1940 wurde er zur Flak eingezogen und erhielt seineAusbildung in Hagen-Boele. Dort kam er zur 5. Batterie, I. Abteilungdes Flak-Regiments 4. Von dort ging es für kurze Zeit nach Wien undim Herbst 1940 im Verband der Deutschen Luftwaffen-Mission alsLehrtruppe nach Rumänien. Bei Ploesti lag der Verband zum Schutzeder dortigen Erdöl-Raffinerien.

Nachstehend die Erinnerungen seines Kameraden und HeimkehrersPeter Klein:

„Im Frühjahr 1941 verlegten wir auf den Feldflugplatz bei Focsani, wo wirauch den Beginn des Russlandfeldzuges erlebten. Durch Bess arabien unddie Südukraine machten wir meistens Flakschutz auf Feldflugplätzen oderScheinflughäfen, im Verbande der 9. Flakdivision mot. (GeneralleutnantPickert), deren Großteil später in Stalingrad blieb. Der große Verband wardie Panzergruppe Kleist im Südabschnitt. Der Miusbogen war bei uns be -rüchtigt und wer den Namen Krimskaja im Kubanbrückenkopf hört, derweiß sofort Bescheid. Später kamen wir zu anderen Flakeinheiten im Ver -band der 17. Armee. In der weiteren Folge waren wir Infanterie-Einheitenzugeteilt. Diese betrachteten die Flakeinheiten als Einsatzgruppen, um ihre

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229Erinnerungen an die Familie

eigenen Einheiten zu schonen, so auch bei diesem Stoßtruppunternehmen,wo Ihr Onkel wahrscheinlich in Gefangenschaft kam. Es war ein Einsatz,der ja kein Ergebnis hatte, außer dass wir in eine Falle gelaufen sind. DasDorf war feindfrei, die Russen lagen im nahen Wald und ließen uns ruhigkommen.“

Mein Onkel Josef Hanemann wird seit dem 3. April 1944 beim Forst -haus Laasen im Kessel von Kamenez-Podolsk als vermisst gemeldet.

Meine Großeltern haben den Verlust auch ihres zweiten Sohnes, derälteste war an Kinderlähmung und Lungenentzündung 1930 gestorben,zeitlebens nicht verwunden. Auch meine Mutter und alle anderenGeschwister haben sehr um ihren jüngsten Bruder getrauert. – Auch ichwerde ihn nie vergessen!

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230 Erinnerungen an die Familie

Klaus-Joachim Flade (Bruder)

* 30. Juli 1924 in Culmitzsch/Thüringen

= 25. Januar 1944 bei Krasny Bor/Russland

Gotthard Flade (Bruder)

* 8. Januar 1923 in Waldenburg

= 10. Mai 1944 Kriegsgräberstätte Pomezia/ItalienBlock S, Grab 890

Dr. Gottfried Flade (Vater)

* 31. Mai 1892 in Frauenhain bei Dresden

= 29. April 1947 in Riga, Hospital 3338

Von Ursula Lange

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231Erinnerungen an die Familie

Wenn eines von uns Geschwistern den Teller nicht leer essen wollteoder bei den Mahlzeiten mäkelte, pflegte die Mutter zu sagen: „Seinicht un dankbar! Wir mussten im Krieg Rübenschnitzel und Kartoffel -schalen essen. Für einen halben Liter Milch gingen wir einen Weg vonzwei Stunden. Und als der Krieg verloren war und die Sieger eineHunger blockade über Deutschland verhängten, verhungerten in denGroß städten viele Kinder.“

Natürlich sprach Mutter vom Ersten Weltkrieg. Und ich dachte jedesMal unwillig: Was interessiert mich der längst vergangene Krieg. Daswar vor langer, langer Zeit, als ich noch nicht einmal auf der Welt war.Krieg – das hatte etwas zu tun mit dem großen Loch, das eine Kano -nen kugel in Vaters Oberschenkel gegraben hatte. Wir Kinder durften,als wir noch sehr klein waren, manchmal ein Fäustchen in diese Grubelegen, wobei ich jedes Mal ein merkwürdiges Gruseln empfand.

Krieg – das hatte etwas zu tun mit den beiden schwarzumflorten Fotosvon zwei jungen Burschen in Soldatenuniform auf GroßmuttersSchreib sekretär. Es waren Vaters Brüder gewesen, zwei von dreiSöhnen. Der eine starb den „Heldentod“ 1916 an der Somme in Frank -reich, der andere ein Jahr später 1917 in Italien. Nur mein Vater warheimgekehrt, wenn auch verwundet an Leib und Seele.

Dann kam der 1. September 1939. Da wurden alle Schüler und Schüler-innen meiner Oberschule in die Aula befohlen. Hitler verkündete überden Rundfunk den Einmarsch deutscher Truppen in Polen „zum Schutzdes Reiches“. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen. Ich lief heim undfand die Mutter in Tränen aufgelöst. So hatte ich diese stets selbstbe-herrschte Frau noch nie gesehen. Erschrocken fragte ich: „Was ist pas-siert?“ Schluchzend entgegnete sie: „Ja weißt du denn nicht? Es istKrieg!“ Verständnislos starrte ich sie an. „Aber deshalb brauchst dudoch nicht zu weinen! Alle sagen, es dauert höchstens einige Wochen.Wir sollten nur Strümpfe, Schokolade und vielleicht Butter auf Vorratkaufen“, gab ich die Weisheit von Freundinnen weiter. „Darum geht esdoch nicht“, sagte die Mutter leise. „Die Jungen! Wenn sie Soldatenwerden müssen … .“ Ihre Stimme zitterte. Lachend gab ich zu beden-ken, dass die Brüder erst 15 und 16 Jahre alt seien und als Soldatenüberhaupt nicht in Frage kämen. Bis sie im wehrpflichtigen Alter seinwürden, wäre der Krieg längst vorüber. Die Mutter indes war nicht zutrösten. „Aber viele andere junge Menschen müssen in den Krieg. Siewerden unbekannte junge Menschen töten und selber getötet werden!“Mutter weinte herzzerbrechend.

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232 Erinnerungen an die Familie

Die Jahre vergingen, und immer noch war Krieg. Siegesmeldungenzuerst, und dann Durchhalteparolen, Arbeitsverpflichtungen, Lebens -mittelkarten, Kleiderkarten, Brennstoffkarten, Verdunkelung, Nächte imLuftschutzkeller. Von Woche zu Woche häuften sich die Nachrichtenvom „Heldentod“ junger Menschen, „gefallen für Führer, Volk undVaterland“. „Gefallen“ – das konnte vielerlei unvorstellbar Schreck -liches sein: verblutet, erfroren, ertrunken, zerfetzt von einer Granate,verbrannt in einem Panzer oder Flugzeug, elend verendet in einemFeldlazarett an Wundbrand, verschüttet in einem Erdloch …

Meinen beiden Brüdern wurden die Abiturprüfungen erspart. Sie durf-ten sich noch an der Universität immatrikulieren und mussten dann inKasernen einrücken. Und nur fünf Wochen nach dem Marschbefehlzum Fronteinsatz traf den Jüngeren irgendwo in den Weiten Russlandsan einer Eisenbahnböschung ein Schuss. Sein Kopf fiel vornüber, derStahlhelm rollte den Abhang hinab, das Blut des gerade Neunzehn -jährigen, der noch nicht gelebt hatte, färbte den weißen Schnee rot. Undnur der Schnee deckte meinen toten kleinen Bruder zu.

Vier Monate danach starb zwanzigjährig der zweite meiner Brüder anden schweren Verletzungen durch eine Granate, die ihm einen Armwegriss und Bein und Lende zerfetzte, an einem Tag im Mai unterstrahlend blauem Himmel, der aus seiner unendlichen Ferne so unbe-wegt auf den Monte Cassino herabsah, dass jedem klar sein musste: Mitdem jammervollen Geschehen auf unserer Erde hat der Himmel absolutnichts zu tun.

Von 65 Millionen sinnlos verschwendeten Menschenleben aus vielenNationen, die vor der Zeit grausam vernichtet wurden, sind zwei meineBrüder gewesen.

Einer von diesen Millionen ist mein Vater gewesen. Er starb zwei Jahrenach dem Ende des Krieges in einem sowjetischen Kriegsgefangenen -lager.

Von acht meiner Cousins starben fünf einen sinnlosen Soldatentod.Wenn ich die Kriegstoten des Zweiten Weltkrieges aus dem engstenFamilienverband zusammenzähle, so sind das acht. Und ich denke,auch in Russland oder Frankreich oder sonst irgendwo zählt eine alteübriggebliebene Frau ihre toten Angehörigen und fragt sich wie ichimmer wieder: Warum nur?

In dem Dresdener Inferno vom 13./14. Februar 1945 sank meinElternhaus in Schutt und Asche.

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233Erinnerungen an die Familie

Ich habe ein langes Leben gelebt und habe es leben müssen ohne Brü -der, ohne Vater, ohne Heimat. In vielen schwierigen Situationen hat mirdieser Rückhalt gefehlt und ich habe diejenigen beneidet, die behaltendurften, was mir genommen wurde. Wir, die Überlebenden der Kriegs -generation, haben einen hohen Preis bezahlt für das unermesslicheLeid, das in unserem Namen von einem verbrecherischen Regime überEuropa gekommen ist. Wir sind mehr als ein halbes Jahrhundert danachnoch stigmatisiert. Und nicht nur wir tragen bis an unser Lebensendeals Brandmal ein unsichtbares Hakenkreuz auf der Stirn – sogar nochunsere Enkel werden in manchen Ländern dieser Erde als „Nazi“ diffa-miert, so dass wir uns, auch ohne persönliche Schuld, fragen: Habenwir sie mit einer Erbsünde belastet?

Für alles das, was ich mir hier vom Herzen geschrieben habe, steht eineinziges Wort – Krieg. Und weil ich erlebt, erlitten und erfahren habe,was Krieg bedeutet, erscheint mir die Arbeit des Volksbundes DeutscheKriegsgräberfürsorge unverzichtbar. Für ebenso unverzichtbar halte ichaber auch eine sehr viel weit reichendere Information der Jugend überdie Arbeit des Volksbundes. Denn wie ich als Jugendliche dachte, sodenken auch die heutigen jungen Leute: Was interessiert mich derlängst vergangene Krieg? Doch vielleicht würde mancher anderes den-ken, wenn zum Beispiel eine Klassenreise nach Berlin oder Paris einenSoldatenfriedhof zum Ziel hätte. Wenn jeder Schüler wenigsten EIN-MAL auf einem der weiten Gräberfelder stehen und die unzählbareMenge der manchmal bis zum Horizont reichenden Kreuze mit eigenenAugen sehen würde. Denn Soldatenfriedhöfe reden in ihrer wortlosenEindringlichkeit viel deutlicher als jedes gesprochene oder geschriebeneWort vom Grauen des Krieges. Jedes der Millionen Soldatengräber aufdiesem geschundenen Kontinent ist eine Mahnung zum Frieden undzur Versöhnung, die doch so bitter Not tut in dieser noch immer fried-losen und viel zu oft unversöhnlichen Welt.

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Nachwort

Die Arbeit an diesem Buch war schwer, und vielleicht stimmen Sie mirzu: Der Inhalt ist keine „leichte“ Lektüre. Wir haben inzwischen rund2 500 Beiträge zur „Aktion Erinnerung“ erhalten, und allein die Textefür dieses Buch auszuwählen und für die Veröffentlichung vorzuberei-ten, war eine ziemliche An strengung. Dies betraf weniger die vielenStunden, die wir damit verbracht haben. Vielmehr ist es die „Begeg -nung“ mit allen diesen Menschen, die so früh und tragisch sterbenmuss ten, die für uns bedrückend bleibt.

Die Erinnerungen und die Gefühle der Angehörigen und Freunde sindvol ler Trauer und Schmerz, auch dort, wo alltägliche oder sogar lustigeBegebenheiten geschildert werden. Dies ist in und auch zwischen denZeilen deut lich zu lesen. Jeder einzelne war eine besondere Persönlich -keit, in seiner Weise unersetzlich, ein wichtiger und wertvoller Menschnicht nur für die engsten Angehörigen. Der Tod durch den Krieg hinter-lässt nicht nur Trauer, Verzweiflung und ohnmächtige Ratlosigkeit,sondern auch Zorn – meistens nicht auf die Menschen, die ihn töteten,sondern auf die Verursacher des Krieges, das Schicksal und, wie wir somanches Mal lesen, auch auf Gott, der das Schreck liche geschehen ließ. Wir haben versucht, in unserem Buch möglichst viele Menschen zuWort kommen zu lassen und deshalb nur wenige der längeren Texteaufgenommen. Besonders wichtig erschien es uns, möglichst vielePerspektiven zu zeigen – nicht nur diejenigen der Geschwister, Ehe -frauen oder Kinder, sondern auch die von weitläufigen Verwandten,von Nichten und Neffen, Freunden, Bekannten und Kriegskameraden.

Die Berichte der Angehörigen und Freunde sind, wie viele von ihnen esuns geschrieben haben und wie unsere Leser es selber feststellen wer-den, oft sehr lückenhaft. Und wie kann man auch einen Menschen um -fassend beschreiben, der doch den weitaus größten Teil seines Lebensnoch vor sich hatte? Auch Ehefrauen und Verlobte wissen häufig nichtviel zu berichten. Nach kurzem Kennenlernen eine schnelle Heirat, häu-fig eine Kriegstrauung; Wiedersehen danach nur, wenn überhaupt, inden wenigen kurzen Urlauben – das war kein Einzelfall. Nur über dieBriefe gab es eine Kontaktmöglichkeit. Dennoch: Wie oft lesen wir, dassdie Ehefrauen oder Verlobten den Tod des Geliebten nie verwundenhaben, auch wenn sie später einen anderen Mann geheiratet haben!

Viele Kinder haben ihre Väter nicht richtig kennenlernen können – siewaren sehr klein oder noch gar nicht geboren, als diese fielen. Besserhatten es die Geschwister und Jugendfreunde, die mit ihnen zusammen

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aufwachsen konnten, und dies spiegelt sich auch in der Ausführlichkeitder Berichte wider. Am schwersten haben sicher die Eltern gelitten, undsie hätten am meisten zu erzählen. Doch nur wenige von ihnen sindnoch am Leben. Ihre Gefühle, ihren Schmerz können sie uns nicht mehrmitteilen. Doch dieser erschließt sich uns mittelbar: Wie oft lesen wir inden Berichten der Geschwister von der unstillbaren Trauer der Eltern,in den Berichten der Kinder vom Schmerz der Großeltern, von derenfrühem Tod aus Kummer über den Verlust ihrer Söhne!

Doch am meisten bedrücken mich die Aussagen der Kinder, die ihrenVater oder ihre Mutter verloren, als sie ganz klein waren, und die bisheute unter diesem Verlust leiden. Manche entdecken den verdrängtenSchmerz erst heute, obwohl sie selbst schon fast die 60 Jahre erreichtoder überschritten haben. Die Opfer sind unvergessen ...

In manchen Berichten ist die Rede von übersinnlichen Erfahrungen, vonschrecklichen Gefühlen, Erlebnissen, Alpträumen genau zum Zeitpunktdes Todes eines geliebten Menschen. Können wir dies einfach abtun alsPhantasien? Oder gibt es vielleicht doch zwischen Himmel und Erdemehr, als wir mit unserem gesunden Menschenverstand erklären kön-nen? Auch die Todes ahnungen der Soldaten, ihre Gewissheit, nichtmehr nach Hause zurückzukehren, gehören in dieses Kapitel. Sie wur-den oftmals geäußert in Briefen oder beim letzten Heimaturlaub. Gera -de sie sind bei den Angehörigen in Erinnerung geblieben.

Wir hätten in diesem Buch gern noch viel mehr Berichte abgedruckt.Doch das überstieg unsere Möglichkeiten, und dafür bitten wir alle, dieuns etwas zugesandt haben, um Verständnis. Die Berichte der Angehö -rigen, Freunde und Kameraden über die Gefallenen und Vermisstensammeln wir weiter. Sie werden bei uns registriert, gelesen und doku-mentiert. Wenn das Interesse unserer Freunde und Förderer groß genugist – und wir werden es am Erfolg dieses Buches messen – werden wir,das Einverständnis der Einsender vorausgesetzt, im Jahr 2003 damitbeginnen, die Texte auf den Internet seiten des Volksbundes zu veröf-fentlichen (www.volksbund.de). So können wir vor allem die jungenGenerationen erreichen und weit über den Kreis unserer Freunde undFörderer hinaus wirken.

Für die Redaktion: Martin Dodenhoeft

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Abkürzungsverzeichnis

AOK ArmeeoberkommandoAdj. AdjutantBtl. BataillonDiv. DivisionDRK Deutsches Rotes KreuzEK Eisernes KreuzFEB FeldersatzbataillonFpNr. FeldpostnummerHKL HauptkampflinieHVP HauptverbandsplatzHJ HitlerjugendHptm. HauptmannInf. Div. InfanteriedivisionInf. Reg. Infanterieregimentk.v. kriegsverwendungsfähigKdF Kraft durch FreudeKOB KriegsoffiziersbewerberKomp. KompanieLtn. LeutnantMG Maschinengewehrmot. motorisiertNB notabene, übrigensNSKK Nationalsozialistisches KraftfahrerkorpsPak PanzerabwehrkanoneRAD ReichsarbeitsdienstRgt RegimentRM ReichsmarkROA ReserveoffiziersanwärterROB ReserveoffiziersbewerbersMG schweres MaschinengewehrUffz. Unteroffizieru.k. unabkömmlichu.k.-gestellt unabkömmlich gestellt

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Namenverzeichnis

Albrecht, ErwinBiermann, HeinrichBirnbaum, NikolaiBornmann, HugoDahl, JohannesEilers, Hans-JoachimFischer, ArthurFlade, Dr. GottfriedFlade, GotthardFlade, Klaus-JoachimGast, SiegfriedGreulich, Harm-WulfGreulich, HermannHaaf, BarbaraHaaf, HerbertHaas, PaulHaesner, HerwigHanemann, JosefHeigert, JakobHeiße, Karl-JoachimHenk, Heinz-WilhelmHenk, RobertHildebrand, CurtHirsch, ThomasHohnheiser, FranzHügen, FranzIhle, FriedrichInderdühnen, AloysiusJacobs, GottfriedJahn, OttoKampe, ErnstKautz, HerbertKiesel, GüntherKimmig, JosefKirchhoffs, JakobKirchner, HeinzKirmse, ErnstKluger, AchimKnoch, WilhelmKnorr, Adolf

Koch, FriedrichKoch, HeiniKorsitzky, GünterKoss, BernhardKrämer, AlfredKrieger, GeorgKrieger, HansKrösa, KurtKuck, Hans-JoachimKunz, AugustLange, HeinzLange, KurtLerche, AdolfLirche, FranzLöhmer, WernerMann, KurtMarschall, GeorgMasson, KurtMethner, JoachimMette, HermannMüller, MaxMünstermann, FriedrichNeidel, WilhelmNeubauer, AlfredNeuhausen, HeinrichPeitz, HelmutPinske, ReinholdPlöger, HeinzRenz, GerhardRimkus, HorstRöhricht, Dr. Fritz Schlicht, ErichSchulz, RudolfSchunda, EdwinSchwambach, ErwinSteinbach, Wolf-DietrichStephan, KurtTatarczyk, JohannTerhünte, BernhardThräner, Gerhard

942261931252262062162302302302136666

22022018252

22671338585

1361982231341451182518

14162

102201169

19240

144212

1302255

111107220220108

1482727

15436

18712219616110515711617017318418884

15020475

19013917896

16610992

1644458

119

Thräner, OttoVantroyen, Franz-J.Vierheller, HeinrichVillhard, Karl-HeinzVohlken, EmilVoigt, MartinWellern, FritzWilkens, GerhardWilkens, HermannWitzke, EmilWoggon, OttoWolfram, HansWurm, AlfonsZaeske, HansZaeske, WolfgangZedel, Horst-GünterZiege, Walter

1191621682234738

2108181

15613319989777763

180

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Kerzenaktion„Leben – Hoffnung – Frieden“

Der Volksbund Deutsche Kriegs gräberfürsorge erinnert mit seinerKerzen aktion an die Opfer des Krieges und der Gewalt in den Familien.Die Kerze steht symbolisch für das Leben – das Leben in der Hoffnung

auf Frieden. Wie eine Kerze in einergeeigneten Um gebung lange friedlichbrennt und schließlich am Ende ver-lischt, kann das Leben in Frieden langedauern und am Ende, weil die Lebens -energie verbraucht ist, friedlich verlö-schen. Doch wie eine Kerze vorzeitiggelöscht werden kann, so kann auchein Leben gewaltsam beendet werden.

Wir übersenden Ihnen gern eine kleineKerze (auf Wunsch auch mehrere) inErinnerung an einen geliebten Ange -hörigen oder Freund. Bitte schreibenSie an den

Volksbund DeutscheKriegsgräberfürsorge e. V.– Kerzenaktion„Leben – Hoffnung – Frieden“ –Werner-Hilpert-Straße 234112 Kassel

Für die Mitglieder und Spender desVolksbundes ist die Kerze selbst -verständlich kostenlos. Wir freuen unsaber über jede (auch kleine) zusätzlicheSpende!

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Mit den Angehörigen der Kriegsopfer stirbt auch die Erinnerung ... Nurihre Gräber bleiben zurück – und nüchterne, unfassbare Zahlen. DerVolksbund sammelt Infor mationen über die Opfer der Weltkriege, vonFlucht und Vertreibung. So bleiben hinter den Zahlen die Menschensichtbar. Auch damit tun wir etwas für die Würde der Kriegstoten. Und:Die nachwachsenden Generationen können erkennen, dass die Bilanzvon Krieg und Gewalt aus zerstörten Menschenleben und nicht ausZahlen besteht ...

Möchten Sie an der „Aktion Erinnerung“ teilnehmen? Wenn ja: Waskönnten Sie über Ihren Angehörigen schreiben?

- Name, Vorname, weitere Namen- Geburtsdatum, Todesdatum- Todesursache, letzte Nachricht über ihn (evtl. Kopie beilegen)- Lage seines Grabes- persönliche Merkmale (Größe, Haarfarbe, Augenfarbe, u. a.)- besondere Eigenschaften- Informationen über die Familie (Eltern, Geschwister, Kinder)- Lebenslauf (Stationen)- besonders persönliche Erinnerungen (z. B. lustige Erlebnisse)

Bitte möglichst leserlich schreiben (am besten mit Maschine)! Wir hebenIhren Text auf und übernehmen ihn in unsere Dokumentation. DieBerichte sollen vor allem für die Jugend- und Schularbeit des Volks -bundes verwendet werden.

Machen Sie mit? Dann senden Sie uns bitte Ihren Bericht zu (Absenderbitte nicht vergessen!). Gut wäre es auch, wenn Sie Fotos und anderesMaterial beilegen könnten (bitte vermerken, wenn Sie es zurückhabenmöchten). Bitte schreiben Sie an

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.„Aktion Erinnerung“Werner-Hilpert-Straße 234112 Kassel

Zur „Aktion Erinnerung“

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240 Menschen wie wir ...

Bücher für Freunde und FördererHerausgegeben vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

Band 1Erzählen ist Erinnern.Kurzgeschichten aus 80 JahrenVolksbund.Kassel 1999240 Seiten

Band 2Schicksal in Zahlen.Informationen über die weltweite Arbeitdes Volksbundes und Verzeich nis derdeutschen Kriegsgräberstätten.Kassel 2000240 Seiten(Neuauflage geplant)

Band 3Vor Leningrad. Wolfgang Buff – Kriegstagebuch Ost. 29. September 1941 – 1. September 1942.Kassel 2000120 Seiten

Band 4Menschen wie wir ... Teil I Erinnerungen an geliebte Menschen.Kassel 2000/2001240 Seiten

Neben Band 5 Menschen wie wir ... Teil IIerscheint 2002 als Band 6: Weihnachtsgeschichten aus schwerer Zeit(240 Seiten).