verdrängt, vergessen, in erinnerung gerufen! · verdrängt, vergessen, in erinnerung gerufen! die...

8
37 Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung von Faschismus und Krieg, im April 1945, verübten die Nazis unglaubliche Verbrechen, die zum Teil bis heute nicht aufgearbeitet sind. In Dortmund brachten die Nazis im Rombergpark, in der Bittermark und in der Nähe des Hörder Friedhofs 300 politische Gefangene, ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene um, die sie in Bombentrichtern verscharrten. Unter den Opfern waren auch einige Bochumer Widerstandskämpfer. In der Wenzeln- bergschlucht bei Solingen erschoss die Gestapo am 13. April 71 Gefangene und ZwangsarbeiterInnen aus Lüttringhausen und Wuppertal. In Hagen waren es 12 ermordete Antifaschisten, die von den Nazis in einem Bombentrichter im Donnerkuhler Wald verscharrt wurden, in Ratingen 11. 1 Die Liste der Verbre- chen ist weitaus umfangreicher und manche Verbrechen sind auch einfach „ver- gessen”. Andere, wie in Dortmund, sind bis heute in der Bevölkerung in Erinne- rung und Gegenstand von Gedenkveranstaltungen. Zu den (fast) „vergessenen” Verbrechen der Nazis zählen auch die, die in Bochum und Wattenscheid in den letzten Kriegstagen verübt wurden. Erste Er- gebnisse der Spurensuche sollen hier zusammengefasst werden. 2 In Bochum und Wattenscheid begingen die Nazis Verbrechen bis zur letzten Minute. Amerikanische Truppen waren schon im Anmarsch auf das Bochumer Rathaus, als Wehrmachtssoldaten Telefonkabel in der Hauptpost sprengten und das Telefonnetz in der Innenstadt zerstörten. In Dahlhausen erschossen Ange- hörige der HJ ukrainische ZwangsarbeiterInnen. Im Folgenden sollen die Verbrechen der Nazis in den letzten Tagen ihrer Herrschaft in Bochum dargestellt werden. 1 Siehe hierzu: Stadt Dortmund (Hg): Dortmund Karfreitag 1945, Dortmund 1971; Junge, Lore: Mit Stacheldraht gefesselt – Die Rombergparkmorde – Opfer und Täter, Bochum 1999; Archivunterlagen der VVN - Bund der Antifaschisten, LV NRW; Faeskorn, Ilse: Erschossen – aber nicht vergessen in rga. Ort 1992; Gleising, Günter: Vergessen? Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende, in: Antifaschi- stische Bochumer Blätter, Bochum 1999. 2 Eine veröffentlichte Darstellung der Verbrechen ist bisher nicht bekannt.

Upload: others

Post on 06-Oct-2020

4 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

37

Verdrängt, vergessen,in Erinnerung gerufen!

Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende

Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung von Faschismus und Krieg,im April 1945, verübten die Nazis unglaubliche Verbrechen, die zum Teil bisheute nicht aufgearbeitet sind.

In Dortmund brachten die Nazis im Rombergpark, in der Bittermark und inder Nähe des Hörder Friedhofs 300 politische Gefangene, ZwangsarbeiterInnenund Kriegsgefangene um, die sie in Bombentrichtern verscharrten. Unter denOpfern waren auch einige Bochumer Widerstandskämpfer. In der Wenzeln-bergschlucht bei Solingen erschoss die Gestapo am 13. April 71 Gefangene undZwangsarbeiterInnen aus Lüttringhausen und Wuppertal. In Hagen waren es 12ermordete Antifaschisten, die von den Nazis in einem Bombentrichter imDonnerkuhler Wald verscharrt wurden, in Ratingen 11.1 Die Liste der Verbre-chen ist weitaus umfangreicher und manche Verbrechen sind auch einfach „ver-gessen”. Andere, wie in Dortmund, sind bis heute in der Bevölkerung in Erinne-rung und Gegenstand von Gedenkveranstaltungen.

Zu den (fast) „vergessenen” Verbrechen der Nazis zählen auch die, die inBochum und Wattenscheid in den letzten Kriegstagen verübt wurden. Erste Er-gebnisse der Spurensuche sollen hier zusammengefasst werden.2

In Bochum und Wattenscheid begingen die Nazis Verbrechen bis zur letztenMinute. Amerikanische Truppen waren schon im Anmarsch auf das BochumerRathaus, als Wehrmachtssoldaten Telefonkabel in der Hauptpost sprengten unddas Telefonnetz in der Innenstadt zerstörten. In Dahlhausen erschossen Ange-hörige der HJ ukrainische ZwangsarbeiterInnen.

Im Folgenden sollen die Verbrechen der Nazis in den letzten Tagen ihrerHerrschaft in Bochum dargestellt werden.

1 Siehe hierzu: Stadt Dortmund (Hg): Dortmund Karfreitag 1945, Dortmund 1971; Junge, Lore: MitStacheldraht gefesselt – Die Rombergparkmorde – Opfer und Täter, Bochum 1999; Archivunterlagender VVN - Bund der Antifaschisten, LV NRW; Faeskorn, Ilse: Erschossen – aber nicht vergessen inrga. Ort 1992; Gleising, Günter: Vergessen? Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende, in: Antifaschi-stische Bochumer Blätter, Bochum 1999.

2 Eine veröffentlichte Darstellung der Verbrechen ist bisher nicht bekannt.

Page 2: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

38

Die Erschießungen in Riemke

Die Maschinenfabrik Westfalia-Dinnendahl-Gröppel AG (1926 durch Zusammen-schluss der Betriebe Gröppel und Westfalia mit der Essener Maschinenfabrik Din-nendahl entstanden) war einer der größten Bergbauausrüster Deutschlands. In ih-rem Werksbereich Gröppel in Riemke unterhielt die Firma mindestens 3 Zwangs-arbeiterInnenlager. Im Lager „Verkehrsstraße 39” waren zuletzt ca. 200 männlicheund 30 weibliche Zwangsarbeiter untergebracht, die in verschiedenen Abteilungenoder der Küche arbeiten mussten. Das Lager bestand aus der früheren Gastwirt-schaft Klepper und einer Anzahl von Baracken, die hinter der Wirtschaft lagen.

Anfang April waren in Bochum schon Auflösungserscheinungen der Naziherr-schaft erkennbar. So konnten in Kellern von zerbombten Häusern entflohene jungerussische Zwangsarbeiter leben, wie Nikolaj Loschkarjow später berichtete.3

Im Riemker Lager kam es in den späten Abendstunden des 4. April 1945 zueinem folgenschweren Zwischenfall. Als der Wachmann Beckmann die Unterkunftder weiblichen Gefangenen aufsuchte, entdeckte er zwei junge Russen, die nichtzum Lager gehörten. Während Beckmann einen der beiden festnehmen konnte, ge-lang dem anderen die Flucht. Eine Stunde nach der Festnahme wurde der Wach-mann Beckmann unweit des großen Werkstores des Gröppel-Werkes von Unbe-kannten erschossen, worauf auch der zweite junge Russe fliehen konnte.

Die Erschießung des Wachmanns Beckmann wurde noch in dieser Nacht derGestapo in Bochum mitgeteilt, die am Morgen des 5. April ein Kommando in dasLager entsandte, das eine „Abschreckungs- und Vergeltungsaktion” vornehmen sollte.Aus einer Gruppe von 20-30 Gefangenen wurden schließlich 5 weibliche und 1männlicher Zwangsarbeiter ausgewählt, die sich mit dem Rücken zu einer Wandaufstellen mussten. Drei Gestapo-Beamte schossen mit ihren Maschinenpistolendie Magazine leer, die 6 Menschen waren sofort tot. Der Anführer dieses Komman-dos gab noch die Anweisung, die Erschossenen alsbald zu beerdigen, die gesamteDauer dieser „Vergeltungsaktion” dauerte keine halbe Stunde.4

3 Jachnow, Waltraud u.a.: ... und die Erinnerung tragen wir im Herzen – Briefe ehemaliger Zwangsar-beiter – Bochum 1942 - 1945, Bochum 2002, S. 131

4 Justiz und NS-Verbrechen, Band XII, LG Bochum vom 22.5.1954, 17 Ks 2/53, S. 574 ff.

1954 wurden die Täter wegen Mordes angeklagt, vom Landgericht Bochum aber nur wegen „Beihilfezum Mord”, „Totschlag” oder „Beihilfe zum Totschlag” zu mehrjährigen Zuchthaus oder Gefängnis-strafen verurteilt. Mehrere damalige ZwangsarbeiterInnen, die Bochum 1992 ff besuchten, konntendie Ereignisse sehr genau rekonstruieren. Vor allem Sinaida Wolkowa, die der Erschießung wegenihrer Schwangerschaft knapp entgangen war, erinnerte sich bei einem Besuch unter Tränen „an dieschlimmsten Tage ihres Lebens” (Jachnow, Waltraud u.a.: ... und die Erinnerung tragen wir im Herzen– Briefe ehemaliger Zwangsarbeiter – Bochum 1942 - 1945, Bochum 2002, S. 61)

Page 3: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

39

Morde in Wattenscheid-Höntrop

Als der Geschützdonner der anrückenden amerikanischen Truppen aus der Fer-ne schon zu hören war, geschah in Wattenscheid-Höntrop, am Rande einer frü-heren Zechenbahn, ein weiteres Verbrechen der Nazis. 20 ZwangsarbeiterInnenaus dem nahen Lager Mariannenplatz wurden hier, wahrscheinlich am 5. April1945, erschossen. Auch 2 deutsche Wachsoldaten, die sich weigerten, an denExekutionen teilzunehmen, sollen unter den Ermordeten gewesen sein. Die Lei-chen wurden anschließend in Bombentrichtern verscharrt.5

Die genauen Umstände dieses Verbrechens sind offensichtlich bis heute un-geklärt. Aus Überlieferungen ist lediglich bekannt, dassschon kurz nach der Befreiung durch amerikanischeTruppen Wattenscheider BürgerInnen die Leichen aufBefehl der Militärpolizei wieder ausgraben mussten. Ineiner Eppendorfer Pfarrchronik fand sich ein Hinweisdarauf, dass der Pfarrer die Toten eingesegnet hat. An-hand von Belegungslisten des Höntroper Friedhofs ha-

Wattenscheid Höntrop: Die Erschießungsstelle heute

5 Schulte, Rolf: Mahntafel erinnert an Mordopfer, in: WAZ, Ausgabe Wattenscheid 14.6.2002.

Page 4: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

40

ben sich vor einigen Jahren neun Namen von Getöteten ermitteln lassen. AlleOpfer waren erst ca. 20 Jahre alt.6

Das Zwangsarbeitslager Mariannenplatz im Umfeld der früheren Zeche Ver.Anna Maria Steinbank gehörte zum Bochumer Verein und soll mehrere hundertInsassen gehabt haben. Teile der Fundamente und einige Restbauten sind nochheute erkennbar.7

Exekutionen der Gestapo in der Bergstraße

„Als der Feind am Herner Kanal gestanden, habe sich die Frage erhoben, was mitden Gefangenen in den Bochumer Gefängnissen geschehen soll”, beschrieb die Staats-anwaltschaft Bochum später die Situation in der Bochumer Gestapo-Zentrale in derBergstraße 76. Während einer Besprechung in der Staatspolizeistelle in Dortmund-

Hörde, der für Bo-chum, Wattenscheid,Witten, Herne, Wan-ne-Eickel, Castrop-Rauxel, Hagen,Hamm, Siegen undHattingen überge-ordneten Behördeder Gestapo, war imMärz 1945 angeord-net worden, die ört-lichen Gefängnisseaufzulösen und ei-nen Teil der Häftlin-ge in den einzelnenOrten zu erschießen.Zur Rechtfertigung

6 ebenda; und JuRo: Zum Gedenken an das, was die Bürger noch immer bewegt; in: Stadtspiegel Wat-tenscheid 15.6.2002.

Über die Erschießungen in Höntrop wurde jahrzehntelang der Mantel des Schweigens gelegt. Erst inden letzten Jahren gelangten Informationen zu dem Verbrechen an die Öffentlichkeit. Ein anonymes,einfach hergestelltes, an einem Zaunpfeiler angebrachtes, erinnerndes Schild war in den 90er Jahrenein erstes Zeichen. Im Jahre 2002 erforschte eine Arbeitsgruppe des Wattenscheider Heimat- undBürgervereins die Geschehnisse und brachte eine Gedenktafel an der Stelle an, an der 1945 die Er-schießungen erfolgten.

7 Bröker, Franz-Werner: Emilstraße, in WAZ, Ausgabe Wattenscheid 20.05.1995

Gestapo-Gebäude in Dortmund-Hörde, Benninghofer Straße 16,kurz nach 1945

Page 5: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

41

dafür wurde später auch der sog. Model-Befehl8 angeführt, der jeden Soldaten oderPolizisten („Waffenträger”) aufforderte, bei angeblichen Straftaten (Fahnenflucht,Plünderung) sofort von der Waffe Gebrauch zu machen und der die Praxis der staats-polizeilichen Mittel durch „Sonderbehandlung” (Tötung) nochmals ausweitete.

In die Bochumer Gestapo-Zentrale zurückgekehrt, wurden die Polizeibeamten,die teilweise schon seit Jahrzehnten im Polizeidienst waren, entsprechend der HörderBesprechung instruiert. Einige der Beamten zeigten sich dabei als besonders will-fähige Gehilfen des Nazi-Regimes und begingen „Verbrechen gegen die Mensch-lichkeit”, bei denen allein im Keller in der Bergstraße 20 Menschen den Tod fanden,wie alliierte Behörden und Gerichte nach 1945 feststellten.9

Schon in der Nacht vom 25. auf den 26. März 1945 erschossen die Bo-chumer Beamten 2 russische Zwangsarbeiter, nachdem sie sich per Fern-

schreiber von der Behördein Hörde die Genehmigungeingeholt hatten. Wenig spä-ter tötete der Kriminal-sekretär Schmook einenFeuerwehrmann.10 Dieserhatte sich gegen Misshand-lungen an einen abgeschos-senen alliierten Piloten ge-wandt und war deshalb inder Nacht festgenommenworden. Beim Eintreffen indas Gestapo-Dienstgebäudein der Bergstraße wurde erhinterrücks durch mehrerehintereinander abgefeuertePistolenschüsse getötet.11

8 Model, Walter (1891 - 1945), Generalfeldmarschall, 1942/43 Befehlshaber der 9. Armee in der Sow-jetunion. Ab August 1944 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B kämpfte auch noch in völlig aus-sichtsloser Lage mit seinen im Ruhr-Kessel eingeschlossenen Truppen gegen die alliierten Truppen.Model stand auf der Liste der Kriegsverbrecher der Alliierten.

9 Siehe Presseberichterstattung WAZ, Westfälische Rundschau, Neue Volkszeitung 10.; 11.; 17.; 21. Juli1956, sowie Justiz und NS-Verbrechen, Band XII

10 Westfälische Rundschau, 21.7.1956

11 Justiz und NS-Verbrechen, Band XII, S. 490

Polizeigefängnis in Bochum (Foto nach 1945)

Page 6: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

42

Anfang April 1945 „räumten” die Polizei- und Justizbehörden die BochumerGefängnisse. Zentral-, Gerichts-, Polizeigefängnis und die Reichsbahnlager wurdenaufgelöst. Unbekannt ist, wie viele Gefangene zu dieser Zeit noch in diesen Anstal-ten einsaßen, aber viele Gefangene wurden entlassen. Zuletzt sollen sich noch 72Häftlinge im Polizeigefängnis befunden haben, von denen die Gestapo eine Listeerhalten hat. Die Gestapo legte hiernach die weitere Verfahrensweise fest. 5 bis 6Häftlinge sind nach Dortmund-Hörde transportiert worden, wo sie von der dortigenGestapo umgebracht wurden.12 Andere wurden freigelassen. Mindestens 19 Gefan-gene wurden jedoch an mehreren Tagen jeweils „morgens in aller Frühe” in kleinen

Gruppen von „mit Maschinenpistolenbewaffneten Gestapo-Beamten” abge-holt und erschossen. Die letzte Exe-kution fand am 8. April im Keller desGestapo-Gebäudes statt. Die Gestapo-Beamten hatten sich geeinigt, „dieHäftlinge im Keller zu erschießen unddie Leichen in Bombenkratern zurverscharren”. Die Häftlinge wurdeneinzeln in den Vorraum gebracht unddort von Gestapo-Beamten nachein-ander erschossen, während sich dieLeichen türmten. Unter den Erschos-senen waren auch der frühere KPD-Landtagsabgeordnete Straube und derSozialdemokrat Hüser, die sich in so-genannter Schutzhaft befanden.13 Als

den Gestapo-Beamten Schmook die Meldung erreichte „Einer lebt noch!”, eilte die-ser in den Keller, traf den vermeintlich toten Häftling an und tötete diesen kaltblütig.Die Leichen wurden anschließend in Bombentrichtern im Stadtpark verscharrt, wäh-rend man schon aus nicht großer Ferne die amerikanische Artillerie hörte. Danach

Zeitungsmeldungen aus dem Jahre 1956

12 Der Mord an den Bochumer Kommunisten Karl Schröter, Hugo Wiegold und Julius Eversberg sowieden Antifaschisten Franz Knie aus Hattingen und Wilhelm Schrage aus Wanne-Eickel in Dortmund-Hörde in der Bittermark ist später festgestellt worden. Siehe u.a.: Gleising, Günter: Die KPD Bochumim Kampf gegen Faschismus und Krieg, Bochum 1985, Junge, Lore: Mit Stacheldraht gefesselt, Bo-chum 1999.

13 Neue Volkszeitung 10.7.1956. Wahrscheinlich handelt es sich bei Straube um den Bergmann AdorfStraube, der von 1926 bis 1929 Stadtverordneter der KPD in Castrop-Rauxel war, 1929 dem Westfäli-schen Provinzial-Landtag angehörte und 1930 in Herne für die KPD zum Reichstag kandidierte.

Page 7: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

43

flüchteten die Bochumer Gestapo-Schergen, ausgerüstet mit falschen Pässen ausder Stadt, nicht ohne vorher zur Gestapo-Leitstelle die „ordnungsgemäße Durch-führung der Räumung” gemeldet zu haben.14

Wenige Tage nach dem Eintreffen der amerikanischen Truppen in Bochumöffnete man die Massengräber. Der Widerstandskämpfer Emil Schewenerdelerinnerte sich später an die Ausgrabungen, an denen er als von der Besatzungs-macht eingesetzter Hilfspolizist teilnahm: „Uns wurde bei dem Anblick der ent-stellten Leichen schlecht. Ihre Hände waren mit Stacheldraht auf dem Rückenzusammengebunden.”15

Schockierend, dass diese Verbrechen weitgehend ungesühnt blieben. Zwarwurden einige der Gestapo-Beamten wegen anderer Taten zu Zuchthaus oderGefängnisstrafen verurteilt. Vom Vorwurf des Totschlages im Falle der 20 Exe-kutionen im Bochumer Gestapo-Keller wurden sie freigesprochen. Die Presse-

Ilja Pustylnik, 1999 auf dem Horkenstein. An der Stelle, an der er meinte, dass seine Freunde1945 dort begraben wurden.

14 siehe Fußnote 9

15 Grieger, Manfred: Zwangsarbeit in Bochum, Bochum 1986, S. 36, Ruhr-Nachrichten, Ausgabe Bo-chum, 15.2.1986

Page 8: Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! · Verdrängt, vergessen, in Erinnerung gerufen! Die Verbrechen der Nazis am Kriegsende Noch wenige Tage, oft nur Stunden vor der Befreiung

44

meldung über die Verkündung des Urteils vor dem Bochumer Landgericht liestsich aber wie eine offizielle Entschuldigung für die Nazi-Verbrecher. Das Schöf-fengericht sprach die drei angeklagten früheren Gestapo-Beamten Raschick,Menn und Schmook mangels Beweises frei. Das Gericht attestierte den Ange-klagten, dass sie seinerzeit keine „ungesetzlichen Taten” in den Morden sahen.Man habe den Angeklagten nicht mit voller Sicherheit nachweisen können, daßsie die Rechtswidrigkeit erkannt hätten. Sie konnten „der Meinung sein, daßalle Erlasse rechtsgültig waren, zumal sie im Geiste der nationalsozialistischenGewaltherrschaft erzogen waren.”16

Ungesühnte Morde in Dahlhausen

In den letzten Tagen, als das Ende der Naziherrschaft vielen Bürgern zurGewissheit wurde, kam es in Dahlhausen zu brutalen Ausschreitungen. Der Vor-marsch der amerikanischen Truppen wurde hier von fanatischen GefolgsleutenHitlers verzögert, die sich mit Waffen im Turm der Kirche in Linden verschanzthatten.17 So zerrte ein „hundertprozentiger Dahlhauser Nationalsozialist”Zwangsarbeiter in seine Wohnung, um sie dort zusammenzuschlagen.18 Am 14.April 1945 wurden in Dahlhausen ukrainische Zwangsarbeiter Opfer einer hin-terhältigen Gewalttat. Nazis, „die den Krieg noch gewinnen wollten”, überfie-len auf dem Gelände der Flussbadeanstalt an der Ruhr eine Gruppe von 4 Zwangs-arbeitern. Drei wurden erschossen, dem vierten soll die Flucht geglückt sein.Die drei Toten sind wenig später von ihren Kameraden aus dem HorkensteinschenLager auf unbebautem Gelände beerdigt worden. Die Täter, möglicherweiseAngehörige der HJ, sollen nie zur Rechenschaft gezogen worden sein.19

16 Westfälische Rundschau, Bochum, 21. 7. 1956

17 WAZ Stadtteilzeitung Südwest, 12.4.2005; Erinnerungsbericht Klaus Kunold

18 Krus-Bonanzza, Anette: Wir kommen doch alle aus denselben Verhältnissen – Aus der Geschichte derArbeitereinwanderung in Dahlhausen von 1880 bis heute, Bochum o. J., S. 54

19 Jachnow, Waltraud u.a.: ... und die Erinnerung tragen wir im Herzen – Briefe ehemaliger Zwangsar-beiter – Bochum 1942 - 1945, Bochum 2002, S. 138 ff. Diese Tat ist erst 1999 durch den Besuch vonIlja Pustylnik, der 1945 im Lager Horkenstein zur Arbeit gezwungen wurde, wieder einer größerenÖffentlichkeit bekannt geworden. Gerüchte über die Tat gab es immer wieder in Dahlhausen. Docherst Pustylnik konnte die Namen angeben und sogar die Stelle wiederfinden, wo die drei Mordopfer1945 beerdigt worden sind.