wider das vergessen

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Nizza Thobi stellt ihr neues Album mit jiddischen Liedern vor Wider das Vergessen P RINZREGENTENTHEATER C ARL -O RFF -S AAL IM G ASTEIG 48 APPLAUS - 3/2006 CHANSON & JAZZ M it dem Song der Seeräuber-Jenny aus Brechts Dreigroschenoper eröffnet Ute Lemper ihre Show im New Yorker Café Car- lyle. In einer Mischung aus Deutsch und Englisch präsentiert sie den Song im expres- siven Stil der 20er-Jahre. Und wie ließe sich ein Publikum, das nahezu 100 Dollar allein für das Gedeck gezahlt hat, treffender unter- halten als mit einer »Bettleroper«. Es gibt in diesem Club, der zu den teuersten von Man- hattan zählt, kein Thema, das frivoler und anzüglicher wäre als Geld. So bereitet es den Gästen denn auch besonderes Vergnügen, wenn Ute Lemper Brecht als überzeugten D es Menschen Kampf gegen die Macht ist der Kampf der Erinnerung gegen das Vergessen.« Die Worte des tschechischen Schriftstellers Milan Kundera hat Nizza Tho- bi zu ihrem Lebensmotto erkoren. Geboren in Jerusalem, machte sie es sich zur Aufgabe, die Verbrechen des Nationalsozialismus als Mahnung für die Zukunft in lebendiger Er- innerung zu halten. Nach weltweiten Tour- neen mit der israelischen Folkloregruppe das sind die zwei Seiten des Lebens, die zwei Seiten der Show: »Truth or dare, truth or gla- mour, truth or fake, truth or illusion.« Ute Lemper gewinnt jedem Titel ihre eigene Interpretation ab. Das kommt zwar mitunter etwas exaltiert daher, wenn sie quer über die Stimmlagen und Lautstärken hinwegbraust, wirkt aber insbesondere auf jene Titel be- freiend, die man über Jahrzehnte hinweg mit einer Interpretin verbindet wie die Piaf-Chan- sons Milord und Accordeoniste oder das Ander- son/Dietrich-Lied Lili Marlene. rrr weiter, bis sie im 18. Jahrhundert ihre end- gültige Form erlangte und unter dem Chassi- dismus zu großer Blüte und Lebendigkeit fand. Doch die verheißungsvolle Entwick- lung wurde durch die Vernichtung der jüdi- schen Kultur unter der nationalsozialistischen Herrschaft in Europa unterbunden. Nizza Thobi hat jiddische Lieder aus vielen Teilen Europas zusammengetragen. Die Ge- schichten, die jeweils dahinter stehen, kann man zusammen mit den Texten im Booklet nachlesen. Dass Nizza Thobi darüber hinaus auch das Lied der Lieder aus dem Mauthau- sen-Zyklus von Mikis Theodorakis singt, stellt einen besonderen Akt der Solidarität dar. Denn Theodorakis sah sich aufgrund seines Eintretens für einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern, für die er auch eine Hymne komponierte, mehrfach dem Vor- wurf des Antisemitismus ausgesetzt. rrr Marxisten vorstellt, der wollte, dass »everything belongs to every- one« und sie mit rollendem »R« auffordert: »Would you be so kind to share your Dollars with me!« Brecht und Weill ziehen sich durch das gesamte Programm. Ihr Bilbao Song leitet das Moon Medley ein, in dem Ute Lemper Van Morrisons Moon Dance , Stings Moon Over Bourbon Street, Joni Mitchells Moon at the Window und Harold Arlens Paper Moon vor- trägt. Und die Moritat von Mackie Messer fin- det sich auch im Cabaret Medley , das Ute Lemper der Erinnerung an den jüngst ver- storbenen Fred Ebb widmet. 1987 sang sie unter der Regie von Jérôme Savary die Rolle der Sally Bowles und wurde dafür mit dem Pariser Theaterpreis »Molière« ausgezeichnet. Blood & feathers nennt sie ihre Show in An- lehnung an ein Gedicht von Jacques Prévert, das sie in englischer Sprache vorträgt und von dem sie sich auch zu einem eigenen Song inspirieren ließ. »Blood & feathers« – Sabra-Show und einem Engagement als Frankmills in dem Musical Hair kam sie 1972 nach München. Hier begann sie, das Schicksal ihres Volkes zu erforschen. Sie suchte nach Liedern von Opfern, die in Ghettos und Konzentrationslagern geschrie- ben wurden, und forschte nach, was mit den Verfassern geschah. Daraus entstanden zwei Alben: Mir leben ejbig und Gebojrn in a sajdn hemdl. Jetzt hat Nizza Thobi ein weiteres Al- bum vorgelegt: Jiddisch is gar nischt asoj schwer – von Wilna nach Jerusalem. Die jiddische Sprache entstand, als im 10. Jahrhundert aus Italien und Frank- reich an den Rhein gezogene Juden die deutschen Dialekte zusammen mit hebräischen und aramäischen Ele- menten zu einem eigenen Idiom ver- banden. Zu einer weiteren Umfor- mung kam es im 14. Jahrhundert. In- folge der Vertreibungen durch die Kreuzzüge und aus Angst vor der Pest wanderten viele deutsche Juden nach Polen aus. Unter slawischem Einfluss veränderte sich die jiddische Sprache Nizza Thobi: Jiddisch is gar nischt asoj schwer – von Wilna nach Jerusalem David Records/ Gallileo Music 18. März, 20 Uhr, Carl-Orff-Saal Nizza Thobi Karten: MünchenTicket, Tel. (089) 54818181. Ute Lemper: blood & feathers edel content 11. März, 20 Uhr, Prinzregententheater Ute Lemper & NDR Pops Orchestra Karten: MünchenTicket, Tel. (089) 54818181. Nizza Thobi mit dem Komponisten Mikis Theodorakis Ute Lemper kommt mit einer neuen Show nach München. » Dollarrrs! Dollarrrs!« Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Ute Lemper FOTO: JACQUES BENEICH/PECULIAR PROMOTION FOTO: PETER WEGELE/DAVID RECORDS

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Nizza Thobi stellt ihr neues Album mit jiddischen Liedern vor

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Nizza Thobi stellt ihr neues Album mit jiddischen Liedern vor

Wider das Vergessen

PR I N Z R E G E N T E N T H E AT E R

CA R L-OR F F -SA A L I M GA S T E I G

48 APPLAUS - 3/2006

CHANSON & JAZZ

M it dem Song der Seeräuber-Jenny ausBrechts Dreigroschenoper eröffnet Ute

Lemper ihre Show im New Yorker Café Car-lyle. In einer Mischung aus Deutsch undEnglisch präsentiert sie den Song im expres-siven Stil der 20er-Jahre. Und wie ließe sichein Publikum, das nahezu 100 Dollar alleinfür das Gedeck gezahlt hat, treffender unter-halten als mit einer »Bettleroper«. Es gibt indiesem Club, der zu den teuersten von Man-hattan zählt, kein Thema, das frivoler undanzüglicher wäre als Geld. So bereitet es denGästen denn auch besonderes Vergnügen,wenn Ute Lemper Brecht als überzeugten

D es Menschen Kampf gegen die Machtist der Kampf der Erinnerung gegen das

Vergessen.« Die Worte des tschechischenSchriftstellers Milan Kundera hat Nizza Tho-bi zu ihrem Lebensmotto erkoren. Geborenin Jerusalem, machte sie es sich zur Aufgabe,die Verbrechen des Nationalsozialismus alsMahnung für die Zukunft in lebendiger Er-innerung zu halten. Nach weltweiten Tour-neen mit der israelischen Folkloregruppe

das sind die zwei Seiten des Lebens, die zweiSeiten der Show: »Truth or dare, truth or gla-mour, truth or fake, truth or illusion.« UteLemper gewinnt jedem Titel ihre eigeneInterpretation ab. Das kommt zwar mitunteretwas exaltiert daher, wenn sie quer über dieStimmlagen und Lautstärken hinwegbraust,wirkt aber insbesondere auf jene Titel be-freiend, die man über Jahrzehnte hinweg miteiner Interpretin verbindet wie die Piaf-Chan-sons Milord und Accordeoniste oder das Ander-son/Dietrich-Lied Lili Marlene. rrr

weiter, bis sie im 18. Jahrhundert ihre end-gültige Form erlangte und unter dem Chassi-dismus zu großer Blüte und Lebendigkeitfand. Doch die verheißungsvolle Entwick-lung wurde durch die Vernichtung der jüdi-schen Kultur unter der nationalsozialistischenHerrschaft in Europa unterbunden.Nizza Thobi hat jiddische Lieder aus vielenTeilen Europas zusammengetragen. Die Ge-schichten, die jeweils dahinter stehen, kannman zusammen mit den Texten im Bookletnachlesen. Dass Nizza Thobi darüber hinausauch das Lied der Lieder aus dem Mauthau-sen-Zyklus von Mikis Theodorakis singt, stellteinen besonderen Akt der Solidarität dar.Denn Theodorakis sah sich aufgrund seinesEintretens für einen Frieden zwischen Israelund den Palästinensern, für die er auch eineHymne komponierte, mehrfach dem Vor-wurf des Antisemitismus ausgesetzt. rrr

Marxisten vorstellt, der wollte,dass »everything belongs to every-one« und sie mit rollendem »R«auffordert: »Would you be so kindto share your Dollars with me!«Brecht und Weill ziehen sich durchdas gesamte Programm. Ihr BilbaoSong leitet das Moon Medley ein, indem Ute Lemper Van MorrisonsMoon Dance, Stings Moon Over

Bourbon Street, Joni Mitchells Moon at theWindow und Harold Arlens Paper Moon vor-trägt. Und die Moritat von Mackie Messer fin-det sich auch im Cabaret Medley, das UteLemper der Erinnerung an den jüngst ver-storbenen Fred Ebb widmet. 1987 sang sieunter der Regie von Jérôme Savary die Rolleder Sally Bowles und wurde dafür mit demPariser Theaterpreis »Molière« ausgezeichnet. Blood & feathers nennt sie ihre Show in An-lehnung an ein Gedicht von Jacques Prévert,das sie in englischer Sprache vorträgt undvon dem sie sich auch zu einem eigenenSong inspirieren ließ. »Blood & feathers« –

Sabra-Show und einem Engagement alsFrankmills in dem Musical Hair kam sie1972 nach München. Hier begann sie, dasSchicksal ihres Volkes zu erforschen. Siesuchte nach Liedern von Opfern, die inGhettos und Konzentrationslagern geschrie-ben wurden, und forschte nach, was mit denVerfassern geschah. Daraus entstanden zweiAlben: Mir leben ejbig und Gebojrn in a sajdnhemdl. Jetzt hat Nizza Thobi ein weiteres Al-

bum vorgelegt: Jiddisch is gar nischtasoj schwer – von Wilna nach Jerusalem. Die jiddische Sprache entstand, als im10. Jahrhundert aus Italien und Frank-reich an den Rhein gezogene Judendie deutschen Dialekte zusammen mithebräischen und aramäischen Ele-menten zu einem eigenen Idiom ver-banden. Zu einer weiteren Umfor-mung kam es im 14. Jahrhundert. In-folge der Vertreibungen durch dieKreuzzüge und aus Angst vor der Pestwanderten viele deutsche Juden nachPolen aus. Unter slawischem Einflussveränderte sich die jiddische Sprache

◗ Nizza Thobi: Jiddisch is gar nischt asoj schwer –von Wilna nach JerusalemDavid Records/Gallileo Music

◗ 18. März, 20 Uhr, Carl-Orff-SaalNizza ThobiKarten: MünchenTicket, Tel. (089) 54818181.

◗ Ute Lemper: blood & feathersedel content

◗ 11. März, 20 Uhr, PrinzregententheaterUte Lemper & NDR Pops OrchestraKarten: MünchenTicket, Tel. (089) 54818181.

Nizza Thobi mit dem Komponisten Mikis Theodorakis

Ute Lemper kommt mit einer neuen Show nach München.

»Dollarrrs! Dollarrrs!«

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