infektion, tumor oder rheuma?

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Patient mit unklarem Fieber Infektion, Tumor oder Rheuma? Bei über dreihundert möglichen Differenzialdiagnosen sind Patien- ten mit unklarem Fieber eine besondere diagnostische Herausforde- rung. Dabei müssen in erster Linie infektiöse, onkologische oder rheumatische Erkrankungen diskutiert werden. Oft gelingt die rich- tige Diagnosestellung erst nach umfassenden Untersuchungen und Tests. Frustrierend: In Einzelfällen ist eine diagnostische Zuordnung trotz aller Mühe überhaupt nicht möglich. _ Stellt sich ein Patient mit Fieber in der Praxis vor, kann der erfahrene Hausarzt in vielen Fällen schnell und mit gerin- gem Aufwand die richtige Diagnose stel- len. Beispiele sind etwa eine akute Ton- sillitis, eine bronchiale Infektion oder ein Gichtanfall. Bei einem Teil der fie- bernden Patienten findet sich allerdings primär keine eindeutige Ursache. Jetzt beginnt das Rätselraten, wobei die Fahn- dung nach der Fieberursache – bei über dreihundert möglichen Differenzialdia- gnosen – mit der Suche nach der be- rühmten Stecknadel im Heuhaufen ver- gleichbar ist. Erster Schritt: Sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung Wie wichtig eine ausführliche Anamne- se und eine sorgfältige klinische Unter- suchung ist, zeigt folgender Fall: Bei einem 60-jährigen Patienten wird wegen unklarer rezidivierender Fieber- schübe eine umfassende Diagnostik durchgeführt, wobei mittels Röntgen- orax und CT eine Pneumonie, mittels Liquorpunktion eine Meningitis und mittels transösophagealer Echokardio- grafie eine Endokarditis ausgeschlossen wird. Mehr oder weniger zufällig findet sich dann am Oberschenkel eine um- schriebene braune tumoröse Verände- rung. Die Histologie ergibt ein malignes Melanom. Als mögliche Ursachen des Fiebers bei diesem Patienten wird eine Zytokin- produktion aus dem Primärtumor eben- so diskutiert wie die Reaktivierung eines Infekts bei krankheitsbedingter Schwä- chung des Immunsystems, zumal bei dem Patienten auch eine abgelaufene Ep- stein-Barr-Virus-Infektion serologisch nachgewiesen werden kann. Infektionen: häufigste Ursache des FUO Von einem „Fever of Unknown Origin“ (FUO) spricht man, wenn innerhalb von drei Wochen mehrmals eine Körpertem- peratur von über 38,3 °C gemessen wird, ohne dass es gelingt, innerhalb einer Woche die Ursache zu finden. „Bei ei- nem FUO müssen infektiöse, onkologi- sche und rheumatologische Erkrankun- gen diskutiert werden“, sagte Prof. M. Weisser vom Universitätsspital Basel. 14 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (14) © Yuri Arcurs/Fotolia

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Page 1: Infektion, Tumor oder Rheuma?

Patient mit unklarem Fieber

Infektion, Tumor oder Rheuma?Bei über dreihundert möglichen Di�erenzialdiagnosen sind Patien-ten mit unklarem Fieber eine besondere diagnostische Herausforde-rung. Dabei müssen in erster Linie infektiöse, onkologische oder rheumatische Erkrankungen diskutiert werden. Oft gelingt die rich-tige Diagnosestellung erst nach umfassenden Untersuchungen und Tests. Frustrierend: In Einzelfällen ist eine diagnostische Zuordnung trotz aller Mühe überhaupt nicht möglich.

_ Stellt sich ein Patient mit Fieber in der Praxis vor, kann der erfahrene Hausarzt in vielen Fällen schnell und mit gerin-gem Aufwand die richtige Diagnose stel-len. Beispiele sind etwa eine akute Ton-sillitis, eine bronchiale Infektion oder ein Gichtanfall. Bei einem Teil der �e-bernden Patienten �ndet sich allerdings primär keine eindeutige Ursache. Jetzt beginnt das Rätselraten, wobei die Fahn-dung nach der Fieber ursache – bei über dreihundert möglichen Di�erenzialdia-gnosen – mit der Suche nach der be-rühmten Stecknadel im Heuhaufen ver-gleichbar ist.

Erster Schritt: Sorgfältige Anamnese und klinische UntersuchungWie wichtig eine ausführliche Anamne-se und eine sorgfältige klinische Unter-suchung ist, zeigt folgender Fall:

Bei einem 60-jährigen Patienten wird wegen unklarer rezidivierender Fieber-schübe eine umfassende Diagnostik durchgeführt, wobei mittels Röntgen-�orax und CT eine Pneumonie, mittels Liquorpunktion eine Meningitis und mittels transösophagealer Echokardio-gra�e eine Endokarditis ausgeschlossen wird. Mehr oder weniger zufällig �ndet sich dann am Oberschenkel eine um-

schriebene braune tumoröse Verände-rung. Die Histologie ergibt ein malignes Melanom.

Als mögliche Ursachen des Fiebers bei diesem Patienten wird eine Zytokin-produktion aus dem Primärtumor eben-so diskutiert wie die Reaktivierung eines Infekts bei krankheitsbedingter Schwä-chung des Immunsystems, zumal bei dem Patienten auch eine abgelaufene Ep-stein-Barr-Virus-Infektion serologisch nachgewiesen werden kann.

Infektionen: häu�gste Ursache des FUOVon einem „Fever of Unknown Origin“ (FUO) spricht man, wenn innerhalb von drei Wochen mehrmals eine Körpertem-peratur von über 38,3 °C gemessen wird, ohne dass es gelingt, innerhalb einer Woche die Ursache zu �nden. „Bei ei-nem FUO müssen infektiöse, onkologi-sche und rheumatologische Erkrankun-gen diskutiert werden“, sagte Prof. M. Weisser vom Universitätsspital Basel.

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Allerdings gelingt trotz umfangrei-cher Diagnostik die ursächliche Abklä-rung eines unklaren Fiebers nicht im-mer: In einer Studie an 73 Patienten mit FUO konnte in 51% keine Diagnose ge-stellt werden, wobei 16 Patienten eine spontane Besserung zeigten und fünf auf NSAR ansprachen. In 16% der Fälle fand sich eine Infektion wie respiratori-scher Infekt, Divertikulitis, Pyeloneph-ritis, abdominaler Abszess, Osteomyeli-tis, Tonsillitis und eine chronische Yer-siniose. In 7% der Fälle konnte eine Neo-plasie und in 22% eine rheumatisch ent-zündliche Erkrankung nachgewiesen werden.

Unfokussierte Untersuchungen sind wertlos

„Um den Ort des infektiösen Geschehens zu �nden, sind unfokussierte Untersu-chungen ohne diagnostischen Wert“, so Weisser. Es ist deshalb nicht sinnvoll, mehr als drei Blutkulturen und mehr als eine Urinkultur anzulegen. Gleiches gilt für „Serologieblöcke“, endokrinologi-sche Tests und ungezielte computerto-mogra�sche Untersuchungen.

Bei Patienten mit einem bekannten Tumorleiden sollte auch immer an eine unspezi�sche Reaktivierung einer In-fektion, wie etwa einer Epstein-Barr-Vi-rus-Infektion gedacht werden. Bei Nach-weis einer EBV-Infektion stellt sich ins-besondere bei Patienten mit einem Lym-

Keine Fieberdiagnostik ohne Medikamentenanamnese!

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Immer daran denken:

Jedes Medikament kann Fieber auslösenDie ausführliche Anamnese bei unklarem Fieber sollte auch zurückliegende Reisen und die aktuelle Medikation umfassen. „Denn nicht nur immunsupprimierende Subs-tanzen, sondern alle Medikamente, sogar Antibiotika, können Fieber auslösen“, sagte Prof. U. Walker vom Universitätsspital Basel. Dazu gehören neben Antibiotika vor allem Antihistaminika, Antiepileptika, jodhaltige Kontrastmittel, NSAR, Antihypertensiva, Antiarrhythmika, Thyreostatika und Allopurinol. Das Fieber kann bereits wenige Tage, in Einzelfällen jedoch auch erst Jahre nach Beginn der Medikation auftreten.

Pathophysiologisch kommen bei einem Medikamenten�eber verschiedene Mechanis-men als Auslöser in Betracht. Dazu gehören Hypersensitivitätsreaktionen, eine Störung der zentralen Thermoregulation und Infusionsreaktionen durch Kontamination bzw. eine chemische Phlebitis. Deshalb emp�ehlt es sich, bei Patienten mit unklarem Fieber

– soweit vertretbar – alle Medikamente abzusetzen.

Besonders schwierig ist die Situation bei immunsupprimierten Patienten; denn bei ihnen kann das Fieber sowohl durch die schwere Grundkrankheit wie Malignom oder HIV-Infektion als auch durch die eingesetzten Medikamente verursacht sein.

phom die Frage, ob das Virus auch bei der Pathogenese des Tumors eine Rolle spielen könnte.

Steckt ein Malignome dahinter?Zu den Tumoren, die am häu�gsten mit Fieber assoziiert sind, gehören:■ Lymphome (Hodgkin, Non-Hodgkin)■ Akute Leukämien■ Hypernephrom■ Mammakarzinom ( in�ammatorisch)■ Lebermetastasen bzw. hepatozelluläres

Karzinom.Die typischen diagnostischen Kriterien des Tumor�ebers sind:■ Tägliches Fieber > 38,3 °C,■ persistierendes Fieber, das länger als zwei Wochen trotz empirischer antibio-tischer �erapie über fünf bis sieben Tage anhält,■ fehlende Zeichen einer Infektion bei umfassender Diagnostik,■ fehlende Hinweise für eine allergische Reaktion (Medikamente, Transfusion).

„Sehr spezi�sch für Tumor�eber ist der Naproxen-Test“, so Prof. V. Hess vom Universitätsspital Basel. Wenn der Pati-ent innerhalb von 36 Stunden bei zwei-mal täglicher Gabe von Naproxen ent�e-bert, spricht dies eindeutig für ein Tu-mor-Fieber. Andererseits muss gerade bei onkologischen Patienten mit um-fangreicher medikamentöser �erapie stets auch an ein „Drug fever“ gedacht werden; denn sowohl Zytostatika als

auch monoklonale Antikörper, Zytoki-ne und Immunmodulatoren können Fie-ber auslösen. „Eine gar nicht so seltene Ursache von Fieberschüben bei Tumor-patienten sind auch rezidivierende klei-ne Lungenembolien“, so Hess.

Rheumaserologie unverzichtbarNeben Infektionen und Neoplasien kann sich hinter einem unklaren Fieber auch eine entzündlich-rheumatische Erkran-kung verbergen. „Schon der einfach ins Auge springende Gichtanfall kann mit hohem Fieber einhergehen“, so Walker.

Bei Patienten mit periodischem Fie-ber sollte auch an eine genetische Er-krankung wie beispielsweise das famili-äre Mittelmeer-Fieber gedacht werden.

„Bei diesen Patienten kommt es rezidivie-rend in unregelmäßigen Abständen zu einer Serositis bzw. Peritonitis, Arthritis und erysipelähnlichen Hautläsionen, wobei die Beschwerden innerhalb von zwei bis drei Tagen vollständig abklin-gen“, so Walker.

Bei älteren Patienten mit unklarem Fieber sollte vorrangig auch an entzünd-lich-rheumatologische Erkrankungen gedacht werden. Dazu gehören die Arte-riitis temporalis, granulombildende Er-krankungen, Vaskulitiden und Kollage-nosen. „Bei den Kollagenosen handelt es sich um chronisch entzündliche Auto-immunerkrankungen, die durch multi-ple Gene und die Umwelt determiniert

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werden“, so Walker. Dazu zählen der systemische Lupus erythematodes, die Systemsklerose und die Dermatomyosi-tis bzw. Polymyositis. Bei Patienten mit Kollagenosen sind Begleitpleuritiden bzw. kleine Pleuraergüsse keine Selten-heit.

Um solche rheumatischen Erkran-kungen nachzuweisen oder auszuschlie-ßen, sind entsprechende serologische Untersuchungen erforderlich (ANA, Anti-ccP, RF, pANCA).

Kein Kortison auf VerdachtZu den granulombildenden Erkrankun-gen gehören die Granulomatose mit Polyangiitis, die früher als Morbus Wegener bezeichnet wurde, die eosino-phile Granulomatose mit Polyangiitis, die als Churg-Strauss bezeichnet wird, und die Sarkoidose. Diese geht nur bei jedem vierten Betro�enen mit einer Hi-lusbeteiligung einher. Bei den Vaskuliti-den steht die Riesenzellarteriitis im Vor-dergrund. „Die Arteriitis temporalis ist die häu�gste primäre Vaskulitis“, so Walker. Deshalb empfehle sich bei Pati-enten mit unklaren Entzündungszei-

Mögliche Ursachen unklaren Fiebers: Rheuma ...

... eine Atemwegsinfektion (hier Pneumonie) ... ... oder ein Lymphom.

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chen bzw. Fieber insbesondere dann, wenn Temporal schmerzen oder eine Kaumuskel-Claudicatio angegeben wer-den, eine weitere Abklärung mittels Du-plexsonogra�e bzw. Biopsie.

Eine besondere diagnostische He-rausforderung ist der Morbus Still. Da-bei handelt es sich um die jugendliche Form der Polyarthritis, die klinisch wie eine schwere Infektion imponiert. Ty-pisch sind ein- bis zweimal täglich auf-tretende, septische Temperaturspitzen in den Abendstunden. Neben der Poly-arthritis �ndet sich häu�g auch ein nicht juckendes Exanthem, eine Hepatosple-nomegalie und ein Anstieg der Leberen-zyme. Diagnoseweisend ist der stark er-höhte Ferritin-Wert.

Auch wenn die rheumatologische Dia gnose zur Sicherung im Einzelfall sehr schwierig sein kann, sollte jedoch keine probatorische Gabe mit Kortison vor einer Diagnosesicherung eingeleitet werden. „Bitte kein Kortison auf Ver-dacht“, so die Empfehlung von Walker.

Dr. med. Peter Stiefelhagen ■

■ medArt Basel, 17.6.2013

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Mehr Infos aufspringermedizin.de

Fieber im FokusIhre Kenntnisse über die Abklä-rung unklaren Fiebers können Sie online vertiefen ▶ www.springer-medizin.de/wenn-das-�eber-nicht-weichen-will/3064964.html

Zwei CME-Fortbildungsmodule zum Thema �nden Sie unter: ▶ www.springermedizin.de/�eber-ungeklaerter-ursache/ 4234774.html und▶ www.springermedizin.de/�eber-ungeklaerter-genese/ 3672516.html

Speziell mit der Fieberdiagnostik bei Kindern befasst sich diese Übersicht: ▶ www.springer-medizin.de/�eber-ohne- fokus/4323210.html

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