eine morphologische studie über den nervenkomplex vago-glossopharyngeo-accessorius

12
Eine morphologische Studie uber den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-acoessorius. Von Holger Mollgartrd. (Aus dem physiologischen Institut der Universitilt Kopenhagen.) Seit Gaskell wissen wir, da6 die Spinalnerven von zwei Haupt- bestandteilen gebildet werden: dem somatischen Teil, der im Dienste der Lokomotion steht und die Wechselwirkungen mit der Au6en- welt besorgt, und dem viszeralen Teil, der die inneren Organe inner- viert und ihre Funktionen reguliert. Jedes dieser Systeme besteht bekanntermaBen wieder aus zwei entgegengesetzt laufenden Bahnen, und ein Spinalnerv wird deshalb von vier verschiedenen Kategorien von Nerven zusammengesetzt, die verschiedene Anfangs- und Endpunkte, sowie teilweise verschiedenen histologischen Bau haben: 1. Der somato-motorische Teil: Nerven, die ihren Ursprung in den groBen Zellen des Ventralhorns haben und die quergestreifte Muskulatur des Korpers direkt innervieren. 2. Der somato-sensible Teil: Nerven, die von Epidermis und epidermogenen Sinnesapparaten iiber die unipolaren Zellen in den Spinalganglien nach dem Hiuterhorn des Riickenmarkes und hiiher liegenden Gehirnteilen gehen. 3. Der viszero-motorische Teil: Nerven, die von dem Dorso- ventralhorn (Proc. lateralis) kommen und die glatte Muskulatur im Kiirper i n d i r e k t innervieren, d. h. die Leitung wird zwischen dem Zentralorgan und dem peripherischen Organ von Zellen unterbroohen. 4. Der viszero-sensible Teil: Nerven, die von den inneren Organen uber die Spinalganglienzellen nach dem dorso-medialen Hinter h or n frihren. Morphologisch betrachtet, wird der sensible Teil des somatischen

Upload: holger-moellgaard

Post on 29-Sep-2016

213 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

Eine morphologische Studie uber den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-acoessorius.

Von

Holger Mollgartrd. (Aus dem physiologischen Institut der Universitilt Kopenhagen.)

Seit Gaskel l wissen wir, da6 die Spinalnerven von zwei Haupt- bestandteilen gebildet werden: dem somatischen Teil, der im Dienste der Lokomotion steht und die Wechselwirkungen mit der Au6en- welt besorgt, und dem viszeralen Teil, der die inneren Organe inner- viert und ihre Funktionen reguliert. Jedes dieser Systeme besteht bekanntermaBen wieder aus zwei entgegengesetzt laufenden Bahnen, und ein Spinalnerv wird deshalb von vier verschiedenen Kategorien von Nerven zusammengesetzt, die verschiedene Anfangs- und Endpunkte, sowie teilweise verschiedenen histologischen Bau haben:

1. Der somato-motorische Teil: Nerven, die ihren Ursprung in den groBen Zellen des Ventralhorns haben und die querges t re i f te Muskulatur des Korpers direkt innervieren.

2. Der somato-sensible Teil: Nerven, die von Epidermis und epidermogenen Sinnesapparaten iiber die unipolaren Zellen in den Spinalganglien nach dem Hiuterhorn des Riickenmarkes und hiiher liegenden Gehirnteilen gehen.

3. Der viszero-motorische Teil: Nerven, die von dem Dorso- vent ra lhorn (Proc. lateralis) kommen und die glatte Muskulatur im Kiirper i nd i r ek t innervieren, d. h. die Leitung wird zwischen dem Zentralorgan und dem peripherischen Organ von Zellen unterbroohen.

4. Der viszero-sensible Teil: Nerven, die von den inneren Organen uber die Spinalganglienzellen nach dem dorso-medialen Hin te r h or n frihren.

Morphologisch betrachtet, wird der sensible Teil des somatischen

Page 2: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

und viszeralen Sjstems sowie das peripherische Neurou des inotorischen viszeralen Systems von der Ganglienleiste gebildet. Der motor i sche Teil des somat i schen Systems nimmt seinen Ursprung direkt vom Medul la r r o h r.

Das viszerale System innerviert das ventrale Blatt des Mesoderms, Splanchnopleura, und dessen Deriyate. Das somatische innerviert Derivate vom dorsalen Blatt dea Mesoderms, d. h. die DIyotomen d e r Urwirbel .

Vergleicht man nun die Spinal- und Gehirnnerven miteinander, so ist sofort z u ersehen, daB zwischen diesen heiden Systemen eine gewisse Homologie besteht, und es ist auch die allgemeine An- schauung, daB sie in Wirklichkeit serial-homolog sind. In den ,,Vor- lesungen uber den Bau der nerviisen Zentralorgane" (1908) gibt E d i n g e r auf Grundlage der Darstellungen von A u g u s t F r o r i e p eine gesamte Obersicht uber die geltenden Anschauungen dieser Ver- haltnisse. Auf Grund der ausgezeichneten Klarheit dieser Obersicht, beziehe ich mich im folgenden darauf.

Infolge dieser Darstellung solleii sich nun die vier Hauptbestand- teile der Spinalnerven in den Gehirnnerven wiederfinden, aber auf folgende Weise :

Sensible Gehirnnerven, sowohl somato- als auch viszero-sensible, haben ihren Ausgangspunkt von Kerngruppen, die in direkter Fort- setzung vom Hinterhorn des Ruckenmarkes liegen. Sie sind genau wie die hioteren Wurzeln der Spinalnerven gebaut, und es verursacht deshalb keine Schwierigkeiten, sie mit diesen zu homologisicren.

Anders verhalt es sich mit den motorischen Teilen. Somatische und viszerale Nerven sind in diesem Teil des Gehirnnervensystems sehr ungleich vertreten. Dem somato-motorischen Spinalnervensystem entsprichl nur der III., IV. und VI. Gehirnnerv, also die Augenmushe!- nerven. Diese bilden eine ideale Verlangerung der Hypoglossuskerne und entsprechen also den Nerven des Ventralhornes im Riickenmark.

Alle ubrigen Gehirnnerven fuhren iiberhaupt keine somato-moto- rischen Nerven. Die motorischen Bestandteile des Trigeminus, Facialis und Vago-glossopharyngeo-accessorius sind ausschlie6lich viszero-moto- risch. Dies ist erstens daraus zu schlieBen, daB diese motorischen Nerven alle sogenannte S e i t e n h o r n s n e r v e n sind, d. h. sie entspringen einer Kernsiiule, die die Fortsetzung des Seitenhorns, des Processus l a t e r a l ; s, im Ruckenmark bildet. Der Processus lateralis bildet aber den Ursprung fur das viszero-motorische, d. h. s y m p a t h i s c h e Sjstem des Korpers. Hier ist also ein Anhaltspunkt, die sogenannten Gehirnnerven mit Spinalsympathicus zu homologisieren.

Page 3: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

~TUDIE URER DEN NERVENKOMPLEX VAGO-GLOSSOPHAR.-ACCESS. 7 1

Dies wird nach Eclinger au6erdeni dadurch bestatigt, da6 die Sritenhornsnerven alle den Brmchialnerven der niederen Tiere ent- sprechen uud deshalb die Muslreln innervieren, die ron den Seiten- platten der Viszeralbogenhohlen gebildet sind, also Organe, die zu dem v e n t r a 1 e n Dil e s o d e r m gehbren, dessen Homologon im Kdrper Splanchnopleura ist. Die glatte Muskulatur dieses Keimblattes wird vom Spinalsympathicus innerviert, wahrend alle Vorderhornsnerven im Korper Muskel innervieren, die von dem dorsalen Jlesoderm, d. h. von den Myotomen der Urwirbel, gebildet sind.

Auf Grund dieser Betrachtungen wird das motorische Branchial- nervensgstem mit dem Spinalsympathicus homologisiert.

Nun fallt es ja sofort in die Augen, daB man hierbei dazu kommt, recht verschiedene Bildungen zu homologisieren : einerseits das sp ina l - s y m p a t h i s c h e S y s t e m , das Nuskeln innerviert, die hauptsacblich glatt sind und der Herrschaft des Willens ganz entzogen sind, und andererseits die Branchialnerven, die querstreifige, willkurlich beweg- liche Muskeln innervieren.

E d i n g e r ist in seiner Darstellung auch uber dieses MiBverhaltnis klar, meint aber, da6 dieses seinen Grund in rein physiologischen Unterschieden hat, die in der Morphologie, wo es sich nur um genetische Unterschiede oder Gleichheiten handelt, keine Rolle spielen.

Das letzte ist natiirlich auch richtig, wenn aber dieser physio- logische funktionelle Unterschied sich als ein solcher im histo-architek- tonischen Bau ausdriickt, und zwar dergestalt, daB die beiden Systeme, die homologisiert werden, im Grundprinzip verschieden gebaut sind, von durchaus verschiedenen Elementen zusammengesetzt und somit auch verschiedene Genese haben, so kommt es mir vor, daB das MiI3- verhaltnis so groB ist, daB man in der Morphologie Rucksicht darauf nehmen muB.

Es kann nicht richtig sein, zwei Systeme von Nerven zu homo- logisieren, deren Histogenese im Grundprinzip verschieden ist, selbst wenn sie Organe innervieren, die homologischen Ursprungs sind.

Es sei alsdann die Aufgabe dieser Untersuchung nachzuweisen, daB man liein Recht hat, das motorische Branchialnervensystem mit dem Spinalsympathicus ,,en bloc" zu homologisieren, und daB jeden- falls Vago-glossopharyngeo-accessorius in Wirklichkeit wie ein Spinal- nerv gebaut und von Bestandteilen zusammengesetzt ist, die mit den Hauptbestandteilen in den Spinalnerven serial-homolog sind.

Unter S y m p a t h i c u s verstehe ich: , ,Ein S y s t e m , das d u r c h s e g m e n t a l e B i l d u n g von Nervenwurze ln e n t s t a n d e n i s t , u n d dessen wesent l iches C h a r a k t e r i s t i k u m ist, daB dessen Bahpen

Page 4: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

niemals ein Organ d i rek t innerv ieren , sondern i inmer von Zellen unterbrochen werden, die i h ren Ursprung von der Gangl ien le i s te oder anderen ektodermalen Gangl ienbi ldungs- s te l len haben. Im Gegensatz hierzu werden somato-niotorische Nerven n iem a l s unterwegs Ton Zellen unterbrochen und entspringen d i r ek t ron dem Rledullarrohr, ohne etwas mit der Ganglienleiste oder den Ektodermplakoden zu tun zu haben.

Betrachten wir nun den motorischen Bestandteil des Komplexes Vago-glossopharyngeo-accessorius, so ist man ja im allgemeinen darin einig, drei motorische Nerven zu unterscheiden: Recurrens , moto- r i s c h e r G 10s sop h a ry n g e us und A c ce ss or ius spin a1 i s oder Nervus accessorius, wie er besser genannt wird.

Fur alle drei Nerven gilt, wie bekannt, daB sie Muskulatur im Kopf, ohne Unterbrechung ron Zellen unterwegs dire k t innervieren. Die Frage dreht sich um ihr Ursprungsverhaltnis und ihre Histo- genese.

Der motorische Vago-glossopharyngeus wird bei niederen Tieren als der motorische Bestandteil des Branchiogastricus wiedergefunden.

Infolge v. Kupffers l Untersuchungen ist bei Ammocoetes der sensible und motorische Teil der Gehirnnerven so zusammengemischt, daB es bei frdherea Stadien unmoglich ist,, sie voneinander zu trennen. Der motorische Teil geht in einzelnen Flden aufgeschlitzt durch die den Nerven entsprechenden Ganglien und verschwindet zwischen den sensiblen Faden. - Bei Bdellostoma sind dagegen der motorische und der sensible Teil ganz voneinander getrennt. Der sensible Teil, der in dem entsprechenden Ganglion entspringt, endigt in der dorsalen Kerngruppe, die die direk te Fortsetzung der dorsalen Kerasaule im Ruckenmark bildet. Der motorische Teil entspringt von der mittleren Kerngruppe in der Medulla oblongata, d. h. von der lateralen Kernsaule, und bildet sowohl im Trigeminus, Facialis als auch in der Vagusgruppe eine Gesamtheit, die direkt aus der Medulla oblongata heraustritt., ohne eine Verbindung mit dem dem Nerv entsprechenden Hauptganglion zu haben, welches einzig und allein zu der dorsalen Wurzel zu ge- horen scheint.

Bei Acanth ias vulgar is habe ich selbst die Verhaltnisse in der Vagusgruppe untersucht. Fig. 1 zeigt eine Mikrophotographie eines Schnittes von dem kranialen Teil dieser Gruppe in der Hbhe des

v. Kup f f er , Studien xur vergl. Entwieklung des Kopfes der Kranioten 1895. Heft 3 u. 4.

Page 5: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

STLTDIE UAER DEN NERVENKOMPLEX VAGO-GLOSSOPHAR.-AOCESS. 73

uotersten Endes der Labyrinthblase. Sie zeigt den Glossopharyngeus, der vodf Nedullarrohr mit zwei getrennten Wurzeln ausgeht. Der dorsale sensorische kommt von einem Ganglion und geht in die kleinere dorsale Kerngruppe, zwischen deren Zellen sie aufgeschlitzt wird. Der

Fig. 1.

ventrale motorische entspringt von der lateralen Kerngruppe, ganz von der dorsalen Wurxel getrennt und lauft als ein gesamtes Bundel quer durch das Ganglion.

Das Verhaltnis bei Acanthias vulgaris ist also ungefahr dasselbe wie bei Bdellostoma. Das Bild, das wir von der Vagusgruppe er- halten, gleicht in hohem Grade dem Bild eines Spinalnerven mit zwei Wurzeln, und zwsr einer, die in einem Ganglion entspringt und in das Medullarrohr geht, und einer, die direkt vom Medullarrohr ent- springt und an dem Ganglion vorbeilauft. Der Unterschied von den Spinalnerven besteht nur darin, daS die vordere Wurzel ihren Ursprung von einer mehr lateral liegenden Kerngruppe hat.

Auf diese Frage kommen wir spater wieder zuriick. Wir gehen nun zur Betrachtung des dritten motorischen Nerven in der Vagns- gruppe iiber.

N e r v u s access o rius. Was diesen Nerven betrifft, gibt es einige Angaben, die darin

resultieren, dab er von dem hintersten Teil der Ganglienleiste im Kopfe gebildet wird.

Page 6: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

74 HOLGER MOLLGAARD :

Balfour ' meinte, dab die Ganglienleiste des Kopfes uud cles Korpers durch eine Kommissur verbunden wird, die sich yon den hintersten Vaguswurzeln zum zweiten Zervikalnerren erstreckt.

Bei Tor- pedo ocellata mu6 man zwei Ganglienleisten unterscheiden, eine fiir den Kopf und eine fur den Korper. Sie gehen nicht ineinander uber, kreuzen sich aber und laufen darauf ein recht grobes Stuck pitrallel. Die Ganglienleiste des Korpers reicht bis zum kaudalen Rand der Labyrinthblase und die des Kopfes reicht eine gute Strecke auf den Hals herunter. Auf der Strecke, wo sie parallel laufen, ist die mediale Abschnurungslinie nicht gemeinschaftlich. Die Korperleiste greift in das Medullarrohr nahe dem Dache. Die Kopfleiste langs einer Linie etwas mehr lateral. Beide greifen um das Medullarrohr lateral und ventral, so daS die Korperleiste dorsolateral liegt und die Kopfleiste zwischen dieser und Epidermis oder Urwirbel umfafit. Die beiden Leisten konkurrieren nun wegen der Existenz. Kranial siegt die Kopf- leiste, kaudal wird er von den Elementen der Korperleiste zuruck- gedrangt. Ein Teil der Zellen der Kopfleiste bleibt wie eine Reihe Ton Inseln liegen, die den spater ausgebildeten Nervui accessorius markieren.

Noch weiter geht S t ree te r (1905), der geradezu erklart, daB der Accessorius durch Entwicklung von Fibrillen in der Kommissur der Ganglienleiste gebildet wird. Bei Nenschenembryonen ron 4 Wochen sol1 die fibrillire Accessoriusanlage von den Zellen der Ganglienleiste umschlossen werden und sich von dem dritten Spinalnerven zur Vagus- anlage ausdehnen, mit dessen kaudalem Ende sie sich vereinigt, um in einen Bogen ventral zu gehen und in der Anlage zum Sterno-cephalicus zu endigen.

Hier ist also geradezu die Rede von einer Entwicklung des Accessorius spinalis von der Ganglienleiste. - Demgegenuber stehen nun Chiarugis Untersuchungen uber den Accessorius bei Reptilien und Saugetieren.

Chiarugi geht ebenso wie S t ree te r und ubrigens auch A. Dohrn von der Balfoursohen Auffassung aus, dab die Ganglienleisten des Kopfes und des Korpers sich durch eine Kommissur zwischen den hintersten Vaguswurzeln und dem zweiten Zervikalnerven rereinigen.

Bei Lacerta muralis besteht nun diese Kommissur zuerst aus sehr voluminosen Zellen. In der spateren Entwicklung setzt sie sich von Nervenfaden zusammen, die nach und nach zahlreicher werden. Sie

Nach Fror ieps Angaben ist dies nun nicht der Fall.

Balfour, H a n d h h . 1881.

Page 7: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

STUUIE URER DEN SESVENKOXPLEX vAGO-CTLOSSOPHAI1.-ACCESS. 75

ist am dicksten vorn und spitzt sich nach hinten zu. Gleichzeitig ist aie rnit dem Medullarrohr durch eine groBe Reihe radiarer Faden ver- bunden. Die Kommissur geht direkt in die kaudalen Wurzeln des Vagus iiber. Die hintersten Wurzel bundel dieses Nerven sind geradezu von den in der Kommissur entwickelten Nervenbundeln gebildet.

Chiarugi faBt diese Bildung als einen ,,Accessorius vagi" auf und meint, daB sich bei Lacerta keine dem Accessorius spinalis entsprecbende Bildung vorfindet. Rei einigen Reptilien findet sich eine Verzweigung von Vago-accessorius fur Organe, die bei den Saugetieren von Ramus externus innerviert werden. Chiarugi meint ganz bestimmt, daB diese Verzweigung medulliiren Ursprungs ist, wahrend er die Ton der Kommissur gebildeten Faden als ,,n& in situs" betrachtet.

Die medulliiren Faden repdsentieren alsdann einen Accessorius spinalis, der mit den Faden der Kommissur gemengt ist. Einen selb- standigen Accessorius spinalis findet man bei den Reptilien nicht. Xu diesem Resultat kommt auch C h i a r u g i durch seine Untersuchungen bei Tropidonotus natrix und bei Vogeln. Auch hier bildet sich aus der Kommissur ein Nervenbundel, das sich dem Vagus anschlieBt und an der Bildung des Ganglion nodosum teilnimmt.

Bei den Saugetieren findet C h i a r u g i schlieBlich dieselben Ver- haltnisse fur den Accessorius vagi. Dieser wird hier von der Kom- missur durch Entwicklung von Fibrillen darin gebildet.

AuBer diesem Nerven findet sich aber bei den Saugetieren ein anderer New, Accessorius spinalis, der direkt ron dem Medullarrohr ausgeht und gar nichts rnit der Ganglienleiste zu tun hat. Er fiingt beim sechsten Zervikalsegment an, und C h i a r u g i r e c h n e t i h n rnit zu d e n v e n t r a l e n Nerven , erstens der U r s p r u n g s v e r h a l t n i s s e wegen, und zweitens, weil er ebenso wie j e n e s p i t e r a l s d ie dorsa len , von d e r Gangl ie i i le is te e n t s p r i n g e n d e n Nerven e r - schein t. Er entspringt vom Dorso-Ventralhorn zwischen den vor- deren und hinteren Wurzeln der Spinalnerven.

Nach C h i a r u g i umfaBt also der Ausdruck N e r v u s accessorius zwei Nerven:

1. Accessorius vagi , welcher von d e r Gangl ien le i s te aus- g e h t und in der Anlage zum G a n g l i o n nodosum verschmindet, und also nur eine kaudale Wurzel fur Vagus ist. Man findet sie sowohl bei den Reptilien und Vogeln, als auch bei den Saugetieren.

2. Accessorius sp ina l i s , der gar n i c h t s rnit d e r G a n g l i e n - le i s te z u t u n h a t , d i r e k t vom N e d u l l a r r o h r a u s g e h t und zu den ventralen Nerven gerechnet werden muB. Er geht am Ganglion nodosum vorbei, und man findet ihn nur bei den Saugetieren.

Page 8: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

76 HOLGER M~LLGAARD :

Wenn man nun Fror ieps und S t r e e t e r s Angaben rnit diesen Untersuchungen zusammenhClt, so ist es jedoch am wahrscheinlichsten, daB der Nerv, den die beiden Forscher Accessorius nennen, und von dem sie annehmen, daB er von der Ganglienleiste gebildet wird, in Wirklichkeit rnit Chi a r u g is Access0 r i u s vag i identisch ist.

In F r o r i e p s Angaben findet man nichts, das gegen diese An- nahme streitet,. S t r e e t e r dagegen behauptet, da6 der erwahnte Nerv im Sternocephalicus endet. Nach St ree t ,e rs Untersuchungen ist es indessen unmoglich zu entscheiden, ob die im Sternocephalicus endenden Fiden wirklich von der Ganglienleiste gebildet werden, oder ob sie direkt Tom Medullarrohr kommen und nur mit den von der Ganglien- leiste im Accessorius vagi gebildeten Faden gemengt sind, wie es bei C h i a r u g i s Reptilien der Fall ist. S t r e e t e r a Untersuchungen konnen deshalb nicht Chiarugis bestimmte Angabe entkraften, daB namlich der Accessorius sp ina l i s direkt vom Medullarrohr ausgeht. Der von der Ganglienleiste entspringende Nerv muB dann als kaudale Wurzel fur Vagus aufgefaBt werden. Mit seiner Stellung als Derivat der Ganglien- leiste pa6t BS auch, da6 er i n d ie B i l d u n g von Gangl ion no - dosum e ingeh t.

Wir kommen also zu dem Resultat, da6 alles darauf hindeutet, daB d e r ganze knotorische B e s t a n d t e i l des Sys tems Vago- gl o s s o p h a r y n g e o - acces s or ius d i r e k t vom Medullarrohr entspringt, ohne etwas mit der Ganglienleiste (oder rnit anderen ektodermalen ganglienbildenden Organen) zu tun zu haben. AuBerdem wissen wir, daB alle drei motorische und zu dem System gehorende Kerven nur Ton e i n e m Neuron gebildet werden. . Von den1 s p i n a l s y m p a t h i s c h e n System dagegen wissen wir, daB

es aus zwei Neuronen besteht, und da6 das p e r i p h e r e Neuron von d e r G a n g l i e n l e i s t e gebi lde t ist.

Der Unterschied in der Histogenese der beiden Systeme scheint mir deshalb so groB, daB man sie nicht miteinander homologi- sieren kann.

Accessorius, Recurrens und motorischer Glossopharyngeus sind nach Ursprung und Form ganz den Ventralhornsnerven des Riicken- marks ahnlich und lassen sich deshalb rnit diesen homologisieren. Zwisohen den beiden Systemen ist nur der Unterschied, dal3 das eine vom Vorderhorn und das andere vom Seitenhorn ausgeht. Ob dieser Unterschied in der Lage der Ursprungskerne iiberhaupt von Bedeutung ist, sei indessen sehr zweifelhaft. His (1888) meint, daS die Vorder- horns- und Seitenhornsnerven sich im Ventralhorn des Ruckenmarks vereinen. D o h r n schlieBt sich dieser Meinung an und meint, daS

Page 9: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

STUDIE UBER DEN NERVENKOMPLEX VAGO-GLOSSOPHAR.-ACCESS. 7 7

eie ursprunglich von einer gesamten Anlage ausgegangen sind, so daB die Trennung in der Medulla oblongata eine sekundare Sache ist. Tat- sachlich ist es unmiiglich einzusehen, warum sie prinzipiell sein sollte. In solchem Falle kann man sie aber nicht einer Einteilung des Nerven- systems zugrunde legen.

Dasselbe mird tatsichlich auch mit dem anderen der erwahnten Griinde fur das Homologisieren der Rranchialnerven mit dem Spinal- sympathicus der Fall sein, daB sie nimlich beide Derivate des ventralen Mesoderms innervieren. Wir wissen nur, daB das ventrale Blatt des Mesoderms im Iiorper glatte Muskulatur bildet, wahrend es im Kopfe zum Teil quergestreifte Muskulatur hervorbringt. Wenn infolgedessen Splanchno- und Somatopleura alle beide dieselbe Art von Organen bilden (quergestreifte Muskulatur), so kann der Unterschied der heiden Blatter nicht so prinzipiell sein, dab sich dadurch eine Untervcheidung des Nervemystems begrunden 1iiBt. Die Bildung und der Bau davon ist augenscheinlich von der Art der innervierten Organe abhangig und wird nicht dadurch bestimmt, ob es das eine oder andere Blatt des Mesoderms innerviert. Es wird deshalb natiirlicher sein, zwei Nerven- systeme zu homologisieren, die die g le iche B a u a r t haben u n d die- selbe Art O r g a n e innerv ieren , als zwei Systeme zu homologisieren, die von ungleichem Bau sind und verschiedene Organe innervieren, blo6 weil diese letzten von demselben Teil eines Keimblattes gebildet werden.

DaB das eine der beiden von uns homologisierten Systeme der Lokomotion und das andere teilweise der Respiration dient, ist eben ein physiologischer funktioneller Untersohied, der die Hauptsache, da6 sie desselben Ursprunges und derselben Bauart sind, nioht zu andern vermag.

Es lassen sich nur d i r e k t und i n d i r e k t innervierende Nerven unterscheiden; jedoch ist dieser Untersohied so prinzipiell und durch- greifend, dab er allein eine hinlangliche Einteilung des Nervensystems begrunden kann. Wir nennen dann das d i r e k t innervierende System das somatisohe und das indirekt innervierende das sympathische. Mit dem sympathischen System im Korper kann dann nur ein System homologisiert werden, und zwar ein solches, das infolge seines Ur- sprunges und seiner Bauart , ,echt sympat i sch" ist, d. h. sioh aus zwei Neuronen zusammensetzt und dessqn peripheres Neuron von der Ganglienleiste oder anderen ektodermalen ganglienbildenden Organen hervorgebracht wird.

In der Vagusgruppe haben wir jetzt ein sensibles und ein direkt motorisches System; es ist jetzt die Frage, ob sioh auch in diesem Nervenkomplex ein sympathisohes System befindet.

Page 10: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

78 HOLGER MOLLGAARD:

In einer eben erschienenen Untersuchungsreihe iiber das respira- torische Nervensystem der Wirbeltiere habe ich nachgewiesen, daB die bronchomotor i sche L e i t u n g i m Vagus von Zel len des Gangl ion nodosum u n t e r b r o c h e n ist, daB sie mit anderen Worten von einer indirekt innerrierenden Leitung gebildet mird, deren sekundarer Zentral- punkt in der Medulla oblongata liegt.

Durch Untersuchungen oon den mit dem Ganglion nodosum homo- logen Branchialganglien bei Acan thias vulgaris, zeigte sich nun, daB sich in diesen Ganglien ein Nervensystem befindet, das gebaut ist, wie Fig. 2 angibt. Von Medulla oblongata gehen dicke Achsenzjlinder (A)

Fig. 2.

aus, die in das von zusammengeschobmen Epibranchialganglien ge- bildete gemeinschaftliche Ganglion des Branchiogastricus hineinlaufen. I n dem Ganglion teilen sich diese Achsenzjlinder in der Regel in zmei oder mehrere Zweige (C) und jeder von diesen endigt mit einem peri- zellularen Geflecht (B), das gewisse kleine charakteristische Zellen um- spinnt, die gesammelt in grofieren Gruppen in dem Ganglion liegen. Zwischen den Zellen ist ein reiches interzellulares Flechtwerk ( A p) vor- handen. Sehr oft gehen mehrere Achsenzylinder in der Bildung des perizellularen Flechtwerks ( A a) ein.

Es ist sofort zu ersehen, daB die Leitung vollstandig wie eine sympathische Leitung vom Processus lateralis im Riickenmark gebaut

Holger MSllg aard , Studier over det respiratoriske Nervesystem hos D. kgl. Danske Videnak. Selsk. Skrifter, 7 Rrekke, Naturaidensk. Hvirveldyrene.

og mathemat. Afd. IX. p. 1.

Page 11: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

STUDIE UBER DEN SERVENKOMPLEX VAGO-GLOSSOPHAR.-ACCESS. 7 9

ist. Sie wird oon zwei Neuronen zusammengesetzt, und ihr peripheres Neuron hat seinen Ursprung entweder Ton der Ganglienleiste oder von einer Ektodermplakode. Es findet sich mit anderen Worten im Vago- glossopharyngeus sowohl bei niederen als auch hoheren Tieren eine echt sympathische Leitung, deren primarer Zen tralpunkt in den Bran- chialganglien (bzm. im Ganglion nodosum) liegt und deren sekundarer Zentralpunkt in der Medulla oblongata zu finden ist. Was die warm- blutigen Tiere anbelangt, so habe ich in der obengenannten Abhandlung nachgemiesen, daB der motorische Tei l des dorsalen Vaguskerns aller Wahrscheinlichkeit nach den Ursprungspunkt fur die sympathische bronchomotorische Leitung im Vagus bildet. Dieser Kern nimmt also in der Medulla oblongata dieselbe Stellung ein, wie der Processus la te ra l i s im Ruckenmark.

Wir haben nun im Komplex Vago-glossophary ngeo-accessorius dieselben Hauptbestandteile wie in den Spinalnerven gefunden. Wihrend die einzelnen Bestandteile der Spinalnerven nach den Darstellungen von Edinger und Fror iep in der Vagusgruppe sehr ungleich ver- treten werden, so kommt auf Grund dieser Untersuchungen eine wirk- liche ser ia le Homologie zwischen den beiden Systemen zum Vorschein.

Geben wir Chiarugi darin Recht, daB der Accessorius spinalis nur bei Saugetieren zu finden ist, so wird die Zusammenstellung wie folgt aussehen:

1. Den dorsalen Wurze ln der Spinalnerven entsprechen die uber Gangl ion nodosum und Gangl ion petrosum gehenden zen- tripetalen Leitungen zum dorsalen Kern und Trac tus soli tarius.

2. Dem di rek ten motorischen Ventralhornssystem der Spinal- nerven entsprechen die vom Nucleus am biguus ausgehenden moto- rischen Faden, die peripherisch zum Teil im Glossoyharyngeus ver- laufen, aber hauptsachlich im Recurrens.

3. Dem indirekten innervierenden motorischen System entsprechen die zentrifugalen Leitungen uber den B r anc hial gang l ien bei niederen Tieren, iiber Gangl ion nodosuni bei den Saugetieren. (Rronchomo- torische Leitung.)

Parallel mit der Entwicklung des Cucullaris und Sternocephalicus wird bei den Saugetieren ein neuer Nerv gebildet, der d i rek t innerviert und dessen zentraler Ursprungskern in der Verlangerung von Nucleus ambiguus gebildet wird. Der Kern schiebt sich in das Ruckenmark hinunter, dorsal fur die Vorderhornzellen der Zerrikalnerveu, und kommt dadurch in der idealen Fortsetzung des Dorsoventralhorns, Processus lateralis, z u liegen, was u. a. dazu AnlaB gegeben hat, daB der Nerv

Page 12: Eine morphologische Studie über den Nervenkomplex Vago-glossopharyngeo-accessorius

80 HOLGER MOLLGAARD: STUDIE UBER DEN NERVENKOMPLEX usw.

mit Sympathicus homologisiert worden ist, con welchem er an Bau und Ursprung grundverschieden ist.

Seine Wurzel liegt in direkter Fortsetzung des Recurren s. Dieser lehtere wird mitunter auch Accessorius bulbaris oder Accessorius vagi genannt. Der letzte Name ist im hochsten Grade miBweisend und dient nur dam, die Be- griffe zu verwirren. Der Name: Accessorius vagi sollte deshalb am liebsten abgeschafft werden. Man nenne somit den d i rek ten moto- r i schen Vagus fur Accessorius bulbaris oder am liebsten Y ervus recurrens. Das obenerwahnte, von der Ganglienleiste gebildete, acces- sorische Element xu Vagus wird in Obereinstimmung mit Chiarugi als kaudale Wurzel dieses Nerven betrachtet, eingegangen in die Bildung des Gangl ion nodosum vagi:

Ein Schema des Vago-glossopharyngeo-accessorius erhalt dann bei den Saugetieren folgendes Aussehen:

1. Das zentripetale System (von der Ganglienleiste gebildet) a) via Ganglion nod6sum zum dorsalen Kern und obersten

b) ria Ganglion petrosum zum Tractus solitarius.

Medullarrohr).

Der Nerv ist der Accessorius spinalis.

Teil des Tractus solitarius.

2. Das aentrifugale somatische System (direkter Ursprung vom

Direkte Innervat ion. a) Nucleus ambiguus - via Glossopharyngeus. b) Nucleus ambiguus - via Recurrens

c) Nucleus accessorii - via nervus accessorius.

Neuron von der Ganglienleiste gebildet).

Hierzu kommt bei den Siugetieren:

3. Das zentrifugale viszerale System (sympathisch ; peripheres

Ind i r ek te Innerva t ion . a) dorsaler Kern - via Ganglion nodosum - via vagus.