Über die kraft im recht
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Z e itsc h riftJ u r Rechtssoziologie 3 5 (2 0 1 5 ) , H e f t 2 , S . 1 8 5 -2 0 0 © L u c iu s <& L u c iu s , S tu ttg a r t
Ü ber die Kraft im R echt
O n th e force o f law
Susanne Krasmann*
Zusammenfassung: D ie Soziologie, die das Recht analysieren will, muss sich ih m Gegenstands vergewissern. D abei zeigt
sich nicht nur, dass das Recht sich ih r im m er wieder entsteht, vielmehr auch, dass das Recht stets von etwas anderem als es seihst
inspiriert ist. D a s K onzep t einer „ K raft im R ech t" erweist sich als eine D enkfigur, m it der sich zw eiM om ente einer A jfiz je -
m ng einfcmgen lassen: eine dem Recht anscheinend äußere Kraft, die es überhaupt erst in Bewegung setzt und n irksa m werden
lässt u nd die dem Recht als solche zugleich innewohnt und es konstituiert. Kräfte, die zpnächst nicht-sprachlich in Erscheinung
treten, können gleichwohlRecht schreiben. D e r Beitrag lotet die methodischen u n d theoretischen Im plikationen eines Verständnisses des Rechts aus, das sich vielleicht als zerbrechlicher, instabiler u n d zugleich als kraftvoller erweist, als gemeinhin gedacht.
Abstract: W h en addressing the law, sodology m u s t assure itse lf o f its subject. I t transpires, however, th a t law tends to
elude sociologcal analysis and, above all, is always inspired by something other than itself. T he notion o f the “force of law” epitom izes a figure o f thought capable o f capturing two different moments: a force th a t is somehow ecdemal to the law,
but which sets i t in motion a n d brings i t into force, a nd something th a t is inherent w ithin the law and also constitutive o f law.
Forces th a t initially operate non-knguistically are indeed capable o f writing law. T he article explores the methodical and theo
retical implications o f a notion o f law th a t proves perhaps to be more fragile, instable a n d y e t more p o w effu l than commonly thought.
Keywords: affect, discourse, force of law, matter of concern
Das Recht und seine Rationalität
Die Frage nach dem „Recht und seinen soziologischen Methoden“, die das vorliegende Heft aufwirft, bringt eine Unruhe auf. Sie formuliert die Erwartung, dass die Soziologie das Recht untersuchen, dies jedoch nur zu dessen Bedingungen geschehen kann, nämlich mit den dem Recht gemäßen Methoden. Die methodische Frage ist demnach immer auch eine theoretische. Sie setzt nicht nur voraus, dass das Recht einen eigenen, wenn nicht eigenwilligen Gegenstand bildet. Sie erfordert auch, dass die Soziologie sich ihrer eigenen Perspektive vergewissert, und die ist in der Tat von einer Unruhe geprägt. Denn einerseits muss die Soziologie davon ausgehen, dass das Recht das „Recht der Gesellschaft“ und also ein Teil dieser ist und nicht umgekehrt (Luhmann 1995). Andernfalls müsste sie die Vorstellung aufgeben, dass es letztlich die Gesellschaft ist, die sich selbst die Normen gibt (Ewald 1990) und die entscheidet, ob sie sich an bestimmte Regeln, an Verbotsnormen, einen Ver-
* Ich danke den anonymen Gutachtern für anregende und instruktive Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieses Beitrags und ganz besonders Christine Hentschel, Greta Olson und Sonja Schillings.
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trag oder eine gemeinsame Verfassung, binden und ob sie bestimmte Rechtsnormen beibehalten oder ändern will. Die „Herrschaft des Rechts“ (rule of lau) ist nur die selbstgewählte Beherrschung mittels Recht. Andererseits zeigt sich das Recht in seinem Eigensinn, etwa wenn es sich, wiederum systemtheoretisch gesprochen, als eine Form der Beobachtung der Gesellschaft ausweist, was nichts weniger bedeutet, äs dass das Recht selbst spricht. Es entwickelt sein eigenes Vokabular, wenn es Auskunft von den Problematisierungen gibt, in denen die Gesellschaft sich definiert, und von dem Ausmaß, in dem dies im Medium des Rechts geschieht.
Die soziologische Analyse, die dem Recht gerecht werden will, muss beides in den Blick nehmen: Wie lässt sich ein Recht der Gesellschaft denken, das sich von dieser nicht vereinnahmen lässt, das sich als Recht selbst behaupten kann? Und wie lässt sich das Recht umgekehrt in seiner Eigenwilligkeit begreifen, ohne davon ausgehen zu müssen, dass es sich völlig verselbständigt und so letztlich werdos wird für das, was Gesellschaften vom Recht verlangen: normative Erwartungssicherheit und Gerechtigkeit, Eingrenzung und Absicherung von Regierungshandeln, schließlich die Regulierung von Konflikten und die Einhegung von Gewalt? An dieser Stelle zeigt sich die Unruhe vielleicht am deutlichsten: weniger im Verhältnis von Recht und Macht als vielmehr von Recht und Gewalt. Denn das Recht, das sich im Namen der Gerechtigkeit artikuliert, muss „enforced“ werden (Derrida 1991: 46), und während es sich auf die Kraft (force) des Gesetzes beruft, ermöglicht es zugleich Gewalt (violence)-, der Rechtsetzung, die ein Recht zuallererst begründet, der Rechtsprechung, die nicht gerecht sein kann, und der Rechtsdurchsetzung, die auf Zwang oder Gewalt angewiesen ist (vgl. ebd.: 12f.).
Das Recht antwortet auf diese beunruhigenden Fragen standardgemäß mit seinem Rationalitätsanspruch. „Das Recht möchte formal sein“, so charakterisiert Stanley Fish (2011: 112) ein modernes Selbstverständnis. Das Recht möchte nicht eingenommen werden von etwas anderem als es selbst und korrumpierbar oder willkürlich erscheinen. So behauptet das Recht seine Unabhängigkeit in der Rationalität formaler Verfahren und die Erwartungssicherheit rechtlicher Normen in der Positivität des gesetzten Rechts. Das rechtliche Verfahren soll das rational nachvollziehbare Zustandekommen der Gesetze wie der Rechtsprechung gewährleisten und schließlich auch Recht und Gewalt voneinander scheiden und unterscheidbar machen (vgl. Hardt 2011: 229; Luhmann 1983). Doch es ist ausgerechnet dieser Rationalitätsanspruch des Rechts, der zum Stachel einer gesellschaftstheoretisch inspirierten Analyse wird. So heißt es, die leere, vermeintlich überparteiliche Rechtsform überspiele nur die gesellschaftlichen Machtverhältnisse (Buckel 2004), die der Ordnung des Rechts eingeschrieben sind und die auch in der Rechtsprechung stets wieder aufscheinen (Frankenberg 2009). Der Rationalitätsanspruch erweist sich als irrational und gewaltförmig darin, dass er über die Machtverhältnisse, die das Recht aufnimmt und reproduziert, hinwegtäuscht und die Möglichkeit der Gerechtigkeit so gerade verwirkt (Fischer-Lescano 2014).
Überdies produziert die Fixierung auf die Rationalität des Rechts ihre eigenen Widersprüche. Sie provoziert gewissermaßen selbst, was sie problematisiert. Schon bei Max Weber (2002) verkommt ein säkularisiertes, entzaubertes Recht, das auf seiner formalen Rationalität insistiert, letztlich, gerade weil es einer substanziellen normativen Basis entbehrt, zum bloßen Instrument der Bürokratie, wenn nicht zum Büttel und Kompromiss wider- streitender politischer Interessen. Recht löst sich auf in Politik. Oder das Recht wird zu einer Frage der Dezision. Weil das Recht sich nicht selbst begründen kann, obliegt es dem Souverän zu entscheiden, was Recht ist (Schmitt 1966). Die emphatische „Wiederverzauberung“ des Rechts erscheint dann als Antwort auf solchen Skeptizismus nur konsequent. Sie zeigt
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sich in Ansätzen, die sich abermals auf die formale Natur und substanzielle Rationalität des Rechts besinnen, die auf die Vernunft deliberativer Zugänge der Erzeugung „authentischer“ Legitimität setzen oder aber die Lösung des Problems in der charismatischen Kraft juristischer Autoritäten wie Richtern erkennen (Blank 2011).
Die Unterstellung einer Rationalität, im engen Sinne des Begriffs, will das Recht von jenen Kräften abgeschnitten wissen, die buchstäblich stillschweigend ihre Wirkung entfalten - und gerade darin Recht schreiben. Gleichzeitig produziert sie falsche Dichotomien wie etwa Macht versus Recht oder Rationalität versus Irrationalität. Doch was das Recht ist und was jeweils als Recht gilt, so etwa Stanley FMi (2011) in performanztheoretischer Lesart, erweist sich erst in der Praxis des Gerichts. Es gibt keine „Erkenntnisregel“, auf die man einfach „zurückgreifen“ und die eine Entscheidung vollständig „anleiten“ könnte (ebd.: 181), denn es gibt „keinen Fall als solchen“ (ebd.: 183). Die Regel findet sich vielmehr im Prozess der Entscheidungsfindung, sie „extrapoliert“ sich in der Auseinandersetzung mit der Sache und tritt insofern erst „nachträglich“ hinzu (ebd.: 181). Die Rationalität des Rechts bestimmt sich an seinem Gegenstand.1
Die soziologische Analyse, die dem Recht gerecht werden will, muss diese Unruhe, dass das Recht stets eines im W erden ist, aushaltenund vielleicht auch produktiv wenden können. D er Eigensinn des Rechts erschließt sich in der Konfrontation des Rechts mit etwas anderem, in der Auseinandersetzung mit einem Stoff, der das Recht erst aufleben und sich in seinem Modus artikulieren, es Recht sprechen lässt. Jenseits der Opposition von Recht und Gesellschaft (oder Macht), die sich jetzt als verkürzt erweist, muss die soziologische Analyse also ein Drittes aufnehmen - das im Folgenden im Begriff einer Kraft im Recht ausbuchstabiert werden soll. Um sich als ein Recht zu artikulieren und zu behaupten, ist das Recht auf eine Kraft angewiesen. Zugleich verlangt jede Inanspruchnahme des Rechts einer solchen Kraft ihrerseits eine Transformation ab. Das Recht schafft sich seinen Gegenstand, den es in seinem Register formt, und sieht sich doch zugleich von diesem mit-kon- stituiert. Die Analyse eines Rechts, das nichts ohne (s)ein anderes ist, das es in Bewegung setzt, muss an der Schwelle ansetzen, an der eine Kraft der Affigierung erkennbar wird und im Recht schließlich zur Sprache kommt. Um diese Mechanismen in Augenschein zu nehmen, werden verschiedene Ansätze in einer poststrukturalistischen Lesart des Rechts miteinander ins Gespräch gebracht.2
1 Eine Katastrophe für das Recht ist das nicht, eher der generellen Einsicht geschuldet, dass jede Entscheidung, wenn man von einer „echten Entscheidung“ sprechen will, letztlich ein Moment der Ausnahme enthält (Ortmann 2009: 212). Jede Entscheidung beruht auf einem Nicht-Wissen, denn die Sache, die entschieden werden muss, ist noch nicht gegeben. Andernfalls müsste sie nicht entschieden werden. Dass die Entscheidung sich aus einer Norm nicht ableitet, ist folglich gerade „eine Bedingung der Möglichkeit zu handeln“ (ebd.: 222). Ebenso ist der Umstand, dass wir die Entscheidung des Gerichts noch nicht kennen, also niemals Recht haben, sondern nur Recht bekommen können (Kiesow 2008: 313£), übethaupt erst Voraussetzung für Gerechtigkeit, dafür nämlich, dass das Urteil nicht schon von vornherein feststeht und Singularität ihre Chance erhält, gewürdigt zu werden. Doch die Unentscheidbarkeit enthält und gefährdet, Jacques Derrida (1991: 50) zufolge, auch das Moment der Gerechtigkeit: Sie ist nicht gerecht, weil sie noch keine Entscheidung ist, während die Entscheidung die Gerechtigkeit insofern verwirkt, als sie eine Regel einsetzt, „die ihrerseits nicht absolut verbürgt werden kann“.
2 Die Kraft im Recht ist hier also gerade nicht im Sinne der Theorie des sozialen, oder juristischen, Feldes bei Pierre Bourdieu (1987) zu verstehen. Zwar ist das Recht bei Bourdieu genuin gesellschaftlich und historisch bestimmt: Habitualisierte Praxen organisieren sich in einem juristi-
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Die strittige Sache
M edientheoretisch gesprochen ist die Praxis des G erichts selbst ein „T heater“ (Vismann 2011, 19), sie bedarf eines Forum s. D ie K raft im Recht stellt sich hier als die strittige Sache dar, an der sich die juristische W ahrheitserm ittlung entzündet. D ie Causa, oder in Latours (2005) Worten: das Ding, präsentiert sich vor der Versammlung, die ihrerseits „das strittige D ing in eine aussprechbare Sache“ konvertiert (Vismann 2011: 19). D as Recht ist dem nach im m er schon infiziert von etwas anderem , seinem G egenstand, den es zugleich in seiner Sprache aufnim m t.
D er Begriff des „D ings“ ist hier instruktiv. D enn etym ologisch betrach te t hat er, wie B runo Latour (2005: 30) m it H eidegger hervorhebt, eine doppelte B edeutung. E r bezeichnet den G egenstand, die Sache oder A ngelegenheit, wie auch eine V ersam m lung:
„Lange bevor es ein aus der politischen Sphäre hinausgeworfenes Objekt bezeichnete, das dort draußen objektiv und unabhängig stand, hat so das Ding oder Thing für viele Jahrhunderte eine Sache bezeichnet, die Leute zusammenbringt, weil sie sie entzweit.“
D as D ing ist gew isserm aßen die strittige Sache, um die sich ein Parlam ent oder auch ein G ericht gruppiert. E s ist also gerade kein feststehendes O bjekt oder Faktum , und der Streit n icht lösbar im Verweis au f verm eintliche Fakten oder E videnzen. G egenstand des Streits ist vielmehr, was überhaupt Sache ist. D ie D inge, die vor G ericht erscheinen, w erden nicht einfach zum V erfahren hinzugezogen, als existierten sie unabhängig in einer W elt da draußen. Sie sind vielm ehr im m er schon in B eziehung gesetzt m it der Sache, die verhandelt wird. M ehr noch ist ih r Erscheinen im m er schon eingew oben in die Techniken und V erfahren des R echts, die Praktiken der Bew eisführung oder der H erstellung von Evidenz. D er G egenstand eines Rechtsstreits ist der Praxis des Rechts insofern stets im m anent (vgl. P o ttage 2014: 155; Valverde 2003: 6).
Zugleich prägen die D inge als G egenstände m it bestim m ten E igenschaften und Fähigkeiten - in den ihrigen „W eisen der Existenz“ (Latour 2013) - die Beweisführung oder den Streit. Sie bestim m en ihrerseits die Sache, und das heiß t die Frage, was überhaup t der Fall ist. Sie w erden, in den W orten Latours (2004), zu matters o f concern im doppelten Sinne des Englischen: zu Sachen, die w ichtig w erden - sie bekom m en in der Streitfrage G ew icht - , und sie sind als materielle D inge gewichtig, indem sie eine K raft entfalten mitzubestim m en, was in w elcher W eise sinnvoll gesagt und getan w erden kann. D as R echt, so können wir vorerst festhalten, schafft sich seinen G egenstand und sieht sich zugleich von diesem m itkonstituiert.
Zwei A nsatzpunkte lassen sich aus diesen, im w eitesten Sinne m edientheoretisch gew onnenen, B eobachtungen für eine Analyse des Rechts gewinnen. Z um einen stellt sich die Frage, wie die Gegenstände sich im Recht verschieben, zu einem D ing werden, das das Recht sich im M om ent dessen E intritts ins R echt aneignet, oder im m er schon angeeignet hat. Es m acht den G egenstand zu seinem A rtefakt. Indem diese Perspektive die strittige Sache in den M ittelpunkt stellt, erlaubt sie zum anderen, den O rt der V erhandlung als beweglich zu
sehen oder als ein juristisches Feld, das von spezifisch professionellen Verfahrensweisen und Selbstverständnissen geprägt ist. Gleichwohl läuft dieser Ansatz letztlich auf die Schlüsselrolle der „Rechtsakteure“ zu, deren Handeln das Recht erst „lebendig“ werden lässt — und damit schließlich auch auf einen Gegensatz von geschriebenem Recht und Rechtspraxis (law in the hooks vs. law in action) (Wrase 2010: 120).
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denken. Das Gericht als Forum wandert gleichsam mit der strittigen Sache mit, oder anders gesagt, es kann prinzipiell überall aufgeschlagen werden. Das Recht öffnet sich für den politischen Streit, es ist gesellschaftlich streitbar.3 Die Analyse des Rechts kann sich deshalb nicht auf die Praxis des Gerichts beschränken. Sie muss vielmehr schon im Augenblick der Anrufung des Rechts, in dem ein Gegenstand des Streits ins Recht eintritt, einset- zen (McGee 2015).
Damit rückt nun eine weitere Position in den Blick, ein Subjekt, das die strittige Sache mitkonstituiert, indem es die Gegenstände in Beziehung setzt. Doch auch ein Subjekt, das sich auf die Sache im Recht oder auf das Recht selbst bezieht, ist diesem nicht äußerlich, sondern seinerseits immer schon eingezogen in das Recht. Die Formel von der „Herrschaft des Rechts“ (rule of law), die dem Recht das Machtwort erteilt, wäre im Sinne Michel Foucaults (2004) zu übersetzen in die „Regierung mittds Recht“ (governing through law), die ihre eigenen Formen der Subjektivierung im Recht hervorruft. Aus der Vorstellung eines autonomen Subjekts, das dem Recht gegenübersteht und sich willentlich dessen Regeln unterwirft, wird die eines Subjekts, das, etwa indem es sich als Rechtssubjekt begreift, sich immer schon in die Modi des Rechts einfindet. Subjekt und Recht sind wechselseitig konstitutiv, Regieren mittels Recht ist immer auch Selbst-Regierung mittels Recht. Das Recht bedarf also einer Kraft, die es in Bewegung setzt, und das Recht bietet eine Form, in der diese Kraft im Recht Gestalt annehmen kann.
Für die Form spricht Nikolas Rajkovic (2012: 31) treffend von einer „prescriptive force o f legality“ - wobei das prescriptive weniger im normativen als vielmehr im buchstäblichen Sinne als vor-schreibend zu begreifen ist. Regieren mittels Recht heißt demnach, die sinnliche Wahrnehmung auf die Modalitäten des Rechts einzustellen: „it provides meaning and signification capable o f governing perceptions o f ,just‘ rule“. Das Recht und seine Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit versorgen uns mit Konzepten und Techniken, die ihrerseits wie Skripte fungieren. Sie werden zu einem Rational des Denkens, der Wahrnehmung, des Handelns. Wir haben es nicht mit einem hierarchischen und äußerlichen Verhältnis von Recht und Subjekt zu tun, sondern mit einer Formgebung im Recht. Diese Formgebung ist nicht ohne eine Kraft denkbar, die solche Prozesse in Gang setzt und das Recht wirksam werden lässt. Und an dieser Stelle kommen wir nicht ohne eine affekttheoretische Perspektive aus: Es handelt sich um eine Kraft, die sich zunächst nicht sprachlich und insofern wiederum eher implizit vollzieht, um eine Form der Hinwendung zum oder Affizierung durch das Recht. Das Recht wird angerufen und möglicherweise entfaltet es auch eine eigene „Anziehungskraft“, die uns dazu veranlasst, es anzurufen. Diese Lesart lässt sich nun mit einem Begriff der Rechtskraft in Beziehung setzen, den Andreas Fischer-Lescano (2013; 2014), auch in Abgrenzung zu dessen herkömmlicher Bedeutung, jüngst ins Spiel gebracht hat.
Gemeinhin bedeutet die Rechtskraft, dass das Recht in Kraft tritt. Ein Rechtsakt, ein Urteil oder Beschluss, hat fortan bindende Wirkung. D er Prozess der Entscheidungsfindung ist dann abgeschlossen, er ist in gewisser Weise still- und die Entscheidung auf Dauer gestellt. Doch das Recht hat damit nicht ausgedient. Die Rechtskraft ist die besondere Eigenschaft eines Urteils, in der Welt zu sein und zu bleiben. Das Recht begibt sich also ge-
3 Siehe hierzu etwa das von Eyal Weizman (2014) am Goldsmith College der University of London entwickelte Projekt der Forensic Architecture, das mit Hilfe avancierter Techniken wie Sattelitenbildern und vor allem Spuren in der Architektur Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörungen oder generell zweifelhaften Regierungspraktiken nachgeht. Das Forum gruppiert sich um die so generierte Evidenz und das rechtlich-politische Problem.
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wissermaßen in die Welt außerhalb des Gerichts, in der das Urteil seine Wirkung entfalten kann. Und spätestens an dieser Stelle zeigt sich, dass das Recht auf eine Kraft angewiesen ist, die nicht nur seine eigene ist, und das Recht sichim Namen der Gerechtigkeit anrufen lässt.
Eben dies ist das Anliegen, das Andreas Fischer-Lescano (2013) mit dem Begriff der Rechtskraft im Sinne einer Rechtskritik verfolgt, die, anschließend an Walter Benjamins und Jacques Derrida, ein Recht ohne Gewalt denkbar werden lässt: „Dem Recht geht es um nichts anderes als um die Gerechtigkeit. Das Recht will gerecht sein“, und „Gerechtigkeit ist der Stachel im Recht, der die Frage nach der Unentscheidbarkeit von Rechtsgewalt und Rechtskraft [...] in jeder Operation aufwirft“ (ebd.: 26f.).4 Die Rechtskraft, die Fischer-Lescano mit „a-rationalen“ Momenten wie „Energie, Emotion, Trieb“ gleichsetzt (ebd.: 15), bedeutet alles andere als eine Stillstellung des Rechts. Sie verkörpert vielmehr ein emanzipa- torisches Potenzial, sie erlaubt ein Recht zu denken, das „sich als soziales Recht zur Gesellschaft responsiv“ verhält (ebd.: 27). In kritisch-theoretischer Lesart, der Fischer-Lescano hier folgt, bedarf es dazu freilich einer ästhetischen Reflexion des Verhältnisses von Gesellschaft und Natur, Allgemeinem und Singulärem, um „das Recht als Ermöglichungsrecht demokratischer Kraftentfaltung“ und humaner, ökologischer, kommunikativer Entfaltungsräume zu entwerfen (ebd., 115).
Um die Rechtskraft als eine analytische Kategorie zu gewinnen, muss man den Begriff jedoch zunächst von seiner gesellschaftstheoretischen Bindung lösen. Interessant für den vorliegenden Zusammenhang ist die grundlegende Beobachtung, die Fischer-Lescano uns nahelegt: Als ein a-rationales Moment ist die „Kraft im Recht“ (2013: 15) gerade nicht das radikal Andere, Ausgeschlossene des Rechts, vielmehr „der unmarked space der Rechtsrationalität - das Andere des Rechts im Recht.“ (ebd., 17) Und als das Andere im Recht sind die a-rationalen Kräfte, mit anderen Worten, zugleich elementarer Bestandteil des Rechts. Der Begriff der Rechtskraft erlaubt folglich, das Recht und sein Anderes zusammenzudenken, nämlich als ein Recht, das immer schon von (s)einer Kraft inspiriert ist. Doch was macht diese Kraft aus, und wie artikuliert sie sich im Recht? Wie wären die Mechanismen einer wechselseitigen Konstituierung mit dem Konzept einer Kraft im Recht weiter auszuloten?
Mit Gilles Deleuze (1987) lässt die Kraft sich affekttheoretisch begreifen, nämlich in den Kategorien von Intensitäten und Relationen. Kräfte bilden stets ein Verhältnis aus. Sie wirken auf andere Kräfte, eine Handlung zum Beispiel wirkt auf eine Handlung, sie können sich in verschiedene Richtungen entfalten, sich überlagern und verschiedene Intensitäten ausbilden. Kräfte sind zunächst nicht-sprachlich, sie manifestieren sich an Widerständen, und Kräfteverhältnisse zeitigen reale Effekte. Kräfte verteilen, unterteilen, stellen zusammen, rufen hervor, und sie produzieren Wirkliches. Sie bringen ein Wissen hervor oder genauer: Sie regen die Produktion eines Wissens in der Beobachtung entsprechender Effekte an (vgl. ebd.: 44, 99). Kräfte werden zu Formen des Wissens in dem Moment, in dem sie „durch das Sehen und Sprechen hindurchgehen“ (ebd.: 109). Genau in diesem Sinne lässt sich die Norm, die Michel Foucault (1977) ins Zentrum seiner Analyse der Disziplinarge - sellschaft stellt, als ein klassisches Beispiel für eine Kraft lesen, die sich in Form eines impliziten Wissens gewissermaßen stillschweigend ins Recht einschreibt.
4 Anknüpfend an Jacques Derrida (1991: 12f.), dort heißt es: die „Kraft“ einer „gerechten Gewalt“ des Rechts zu denken, die waltet, aber „nicht gewalttätig ist“ .
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Die Kraft der Norm im Recht
In Überwachen und Strafen macht sich die disziplinäre Norm, Foucault (1977: 285f.) zufolge, als ein „Gegenrecht“ aus, indem sie das klassisch-Ebemle Strafrechtsverständnis um schreibt. Sie geht auf eine dem Recht äußere Kraft zurück, die Ende des 19. Jahrhunderts ihre Artikulation in der Problematisierung des Verbrechers als eine Gefahr für die Gesellschaft findet (Foucault 2003b). Rechtskraft gewinnt in diesem Diskurs das empirische Expertenwissen der Psychologie, Psychiatrie, Kriminologie, das einen Normalisierungsanspruch ins Strafverfahren einzieht. Es ist die Norm selbst, die das bewirkt. In der Figur der schuldigen Per- son (vgl. Foucault 2004: 19) unterhöhlt sie, Foucault zufolge, das liberale Prinzip einer Strafe, die am Maß der Tat ausgerichtet ist: „Steht für das Gesetz die Tat und ihr (il-)legaler Charakter, so bringt die Norm dem Individuum hinter der Tat weit größere Aufmerksamkeit entgegen“ (Biebricher 2006: 155). Während das Gesetz sich auf eine dem Subjekt äußere Autorisierung bemft - die Allgemeinheit des Gesetzes - , bezieht die Norm ihre Autorität aus einem empirischen Wissen, das als solches dem Gegenstand inhärent ist: Die Norm ist das Maß, das die GeseEschaft aus der Beobachtung ihrer selbst gewinnt (vgl. Ewald 1990: 155). Jedes Individuum bestimmt sich demnach im Vergleich zu einem KoEektiv, deren Teil es ist. Gesetz und Norm folgen unterschiedlichen Unterscheidungsprinzipien. Während das Gesetz in einem binären Modus operiert, indem es eine Tat als erlaubt oder verboten beurteilt, bringt die Norm eine differentielle Logik ins Spiel und „verkompliziert“ so die Einschätzung von Recht und Unrecht, legal und iEegal (vgl. Rose & Valverde 1998: 544f.). Denn sie eröffnet einen Raum, in dem die Elemente, die Individuen, sich endang vielfältiger Achsen der Einschätzung und Beurteilung in einem Kontinuum zwischen dem Normalen und dem Pathologischen anordnen und voneinander unterscheiden lassen - und sich mit entsprechenden Normalisierungsanforderungen konfrontiert sehen.
Dabei schreibt die Norm sich gewissermaßen selbständig fort. Sie begründet ihr eigenes Wirkungsprinzip, und gerade darin wird sie zu einem Gegenrecht. Denn das Prinzip des Vergleichs, der Identität und Differenz markiert, lässt sich unendlich fortsetzen. Zugleich materialisiert sich die Norm in Prozeduren der Überwachung und Examinierung. Sie wird zum Maß der Beobachtung wie der normierenden Intervention. „Die Norm,“ so hat es Pierre Macherey (1991, 186f.) auf den Begriff gebracht, „steht zu dem Feld ihrer Anwendung folgEch nicht nur deshalb nicht in einem äußerlichen Bezug, weil sie [...] dieses produziert, sondern auch, weil sie sich darin, indem sie dieses produziert, selbst produziert. [...] was die Norm normiert, ist ihr Wirken.“
Zugleich hat die Norm gegenüber dem Gesetz einen temporalen und einen epistemi- schen VorteE. Sie kennt den Verbrecher gewissermaßen vor dem Verbrechen (Foucault 1977: 324), indem sie ein Wissen über Ursachen und Zusammenhänge und mithin auch zur Vorhersage und Verhütung der DeUnquenz bietet. Sie bezieht ihre Kraft dabei aus der Macht des Faktischen, nämlich aus dem, was empirisch der FaE ist und deshalb auch normativ der FaE sein soE. Die Macht des Faktischen, die das Verfahren der Erkenntnisgewinnung selbst hervorbringt, zeigt sich schEeßüch auch in der Logik des Risikokalküls. Der Straftäter in spe leitet sich aus der Ermittlung von Durchschnittswerten ab, er wird zum Typus einer Risikogruppe. „Das probabüistische Wissen lehrt nämHch, dass Ereignisse unabhängig von den individueEen Intentionen mit einer bestimmten Regelmäßigkeit eintreten.“ (Opitz 2011: 62) Es erübrigt gewissermaßen die Suche ex post nach den Motiven für eine Tat und übersteigt damit noch die Notwendigkeit der Inaugenscheinnahme, weü der potenzieEe Täter im Maß der Wahrscheinkchkeit anhand weniger Merkmale immer schon auszumachen ist.
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Die „Suspension des Rechts“, welche die disziplinäre Norm erwirkt, besteht demnach darin, dass sie das liberale Prinzip der Sanktion in Entsprechung zur Tat unterläuft. Gleichwohl ist diese Suspension „niemals total“, wenn sie „auch niemals ganz eingestellt wird“ (Foucault 1977: 286). Denn die klassisch-liberalen Strafrechtsprinzipien werden nicht gänzlich außer Kraft gesetzt. Vielmehr fügt die disziplinäre Norm etwas hinzu. Sie bringt ein stets erneuerbares Wissen über den Delinquenten und die Logik der Gefahr ins Recht ein, sie legt damit immer weitere Normalisierungsformen und -bestrebungen nahe, sie behauptet die Relevanz der Humanwissenschaften und ihrer Interventionsinstanzen gegenüber dem Recht, und sie zieht schließlich auch die Einführung neuer gesetzlicher Bestimmungen und Verfahrensregeln nach sich: „normalization tends to be accompanied by an astonishing proliferation of legislation“ (Ewald 1990: 138).5
Foucaults Kritik bezieht sich also nicht darauf, dass die Norm die liberalen Strafrechtsprinzipien unterhöhlt — als gelte es, diese zu bewahren. Was ihn interessiert, ist vielmehr die Diskrepanz zwischen einer liberalen Strafrechtstheorie, die im 18. Jahrhundert aufkommt, und einer Praxis der Wissensgenerierung und des Umgangs mit Straftätern, die sich im 19. Jahrhundert auf der Grundlage eines Gefahrendiskurses herausschält und die zu ganz anderen Ergebnissen als jene kommt (vgl. Foucault 2003a, 87). Das Recht selbst als autorisierte Regelungsinstanz verliert unterdessen, und das ist eine entscheidende Beobachtung, keineswegs an Bedeutung. Doch die Struktur des Strafverfahrens und das Verständnis des Strafrechts verändern sich dramatisch. Heute kann man sich das kaum mehr anders vorstellen, als dass vor Gericht nicht nur die Straftat, sondern vor allem auch der zu beurteilende Straftäter selbst steht. Die Einschätzung seiner Beweggründe, seiner Persönlichkeit, seiner Einsichtsfähigkeit entscheiden wesentlich mit über das geeignete Strafmaß beziehungsweise die geeignete Behandlungsmaßnahme. Was mit der Norm ins Strafrecht einzieht, ist mithin eine ganze Apparatur der Überwachung und sozialen Korrektur. Ein quasi mechanisches Verständnis der Strafzumessung, die sich allein an der Tat und der symbolischen Wirkung orientiert, verliert sich in der Logik einer Norm, die dem Recht der liberalen Reformer zunächst als Fremdkörper erscheint, die schließlich aber entscheidend mitbestimmt, was Recht ist. Die Norm, die dem Recht äußerlich und doch nicht äußerlich ist, wird zu einer maßgeblichen Kraft im Recht. Insofern kann man in der Tat, mit Jacques Derrida (1983: 250), von der Norm als einem „Supplement“ sprechen, das „sich nur beijgesellt], um zu ersetzen“. Sie stellt ein epistemisches Wirkungsprinzip bereit, das des kontinuierlichen Vergleichs, welches das binäre Schema der Unterscheidung zwischen erlaubten und verbotenen Handlungen überlagert und letztlich unterläuft (vgl. Foucault 2004: 19).
Als ein epistemisches Raster der Einschätzung und Beurteilung einer schuldigen Person oder eben einer strittigen Sache ist die disziplinäre Norm nicht selbst Gegenstand des Rechts. Sie ist zunächst ein Artefakt und als ein epistemisches Prinzip ihrerseits Effekt von Verfahren der Einteilung, Unterscheidung und des Vergleichs. Als eine Form des Wissens materialisiert sie sich zugleich in solchen Verfahren, in denen sie ihr Maß vorschreibt. Die Norm profiliert sich, indem sie sich auf einen empirischen Gegenstand bezieht, auf Objekte, die sie prozessiert und in ihrer Eigenart sichtbar macht. Gerade weil sie aber zum konsti-
5 So auch Foucault (1999: 49) in der Verteidigung der Gesellschaft. „Daß die Macht in unseren Tagen zugleich durch das Recht und seine Techniken ausgeübt wird und diese Techniken der Disziplin und diese aus der Disziplin hervorgegangenen Diskurse in das Recht eindringen, daß die Normalisierungsvorgänge mehr und mehr die Gesetzesverführen kolonisieren, kann das globale Funktionieren dessen erklären, was ich ,Normalisierungsgesellschaft1 nennen würde.“
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tutiven Bestandteil des Rechts wird, bleibt sie sebst unerkannt - sie operiert wie eine Kraft, die „das Visuelle intelligibel macht“ und als solche „selbst ungesehen“ bleiben muss (Rajch- man 2000: 43). Auch nistet sie sich, historisch gesehen, gewissermaßen unbeobachtet im Recht ein. Sie tritt buchstäblich als etwas, das das Recht nicht vorgesehen hat, hinzu und ist fortan immer schon da als eine Kraft, die das Recht in der Praxis der Strafzumessung und des Strafens artikulationsfähig macht. Schließlich schreibt die Norm auch explizit Recht, etwa indem sie verschiedene Techniken der Überwachung Einschätzung, Diagnose vorhält, die zunächst außerhalb des Rechts liegen, die als Verfahren und Maßnahmen aber ihrerseits eine gesetzliche Regelung verlangen; und indem die Norm immer neue problematische Eigenschaften und Verhaltensweisen, Situationen und Konstellationen zu erkennen erlaubt, die in Gestalt von Verbotsnormen oder auch Ermächtigungen Eingang ins Recht finden. Die Suspension des Rechts, von der Foucault spricht, ist demnach gerade nicht die Außerkraftsetzung einer Norm, vielmehr die permanente Einschreibung der Norm ins Recht.
Wie aber lässt eine solche Kraft im Recht sich empirisch bestimmen, wenn sie zunächst nicht-sprachlich operiert? Wie zeigt sie sich und woran erkennt man ihre Wirkung?
A nalytik der Kraft
Die Wirkung einer Kraft im Recht zeigt sich nicht erst im Moment eines praktischen Erfolgs, indem sie Recht schreibt. Analytisch lässt sich vielmehr eine Schwelle markieren, an der eine Kraft sich, im Sinne Foucaults (2005), als eine Problematisierung artikuliert und sich an das Recht wendet. Sie wird zu einer strittigen Sache, die an das Recht appelliert. Die Schwelle überschreitet diese Kraft, sobald sie Recht schreibt, und das heißt nicht nur, dass Gesetze produziert und Urteile gesprochen werden. Ein verändertes Verständnis des Rechts zeigt sich vielmehr auch an einer Praxis, die mit der „Sache“ in Beziehung steht und die an der Oberfläche des Gesagten und Sichtbaren in Augenschein zu nehmen ist.
Analytischer Ausgangspunkt kann deshalb die strittige Sache selbst sein, oder genauer der Ort, an dem eine Kraft sich artikuliert und von dem aus sich erschließen lässt, wie sie sich entwickelt, das heißt, auf welche Verstörungen oder Irritationen sie sich zurückführen lässt, welche Erklärungsmuster oder Praxen sie zur Disposition und dem Recht zur Entscheidung stellt. Das ist die erste empirische Frags: wie ein Ereignis oder Gegenstand zu einer strittigen Sache wird und das heißt auch, wie sie uns - oder die Dinge - affiziert.
Affekte stellen sich als eine körperliche Reaktion ein, bevor sie kognitiv erfasst, als ein Gefühl oder eine soziale Emotion (wie Hass, Furcht, Empörung, Begeisterung) beschreibbar werden. Affekte sind demnach vorsprachlich und vorbewusst wirksam, und sie sind vorsubjektiv. Denn Affekte ereignen sich als eine Kraft zwischen Körpern, sie bestimmen sich aus dem Vermögen, zu affizieren und affiziert zu werden (Deleuze 1987: 117, 140; Mas- sumi 1995), und sie zeigen sich in der Weise, in der eine Sache ein Publikum „anspricht“, ein Ereignis Mitgefühl erzeugt oder auch eine bestimmte Erfahrung mit dem Recht in Beziehung gesetzt wird. Diese Fragen sind nicht zu trennen von der Wahrnehmung solcher Ereignisse und also den sozialen Skripts, welche die Sinne schärfen und die Empfänglichkeit für bestimmte Eindrücke, etwa für ein Gefühl der Empörung angesichts einer Ungerechtigkeit erst eröffnen. Denn auch wenn Affekte dne Kraft markieren, die sich zwischen Körpern entfalten, so bedeutet das nicht, dass Affekte gänzlich vorsozial sind (Gilbert 2004; Seyfert 2012). So ließe sich empirisch etwa fragen, wie kollektive Affekte, die aus bestimmten, beispielsweise katastrophischen Erfahrungen hervorgehen, in politischen Prozessen reflektiert, gedeutet, in Emotionen übersetzt und so kanalisiert werden und wer dabei
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jeweils Deutungshoheit erlangt (Holland & Solomon 2014). Die soziologische Analyse müsste indes noch einen Schritt weiter gehen und die gesellschaftliche „Aufteilung des Sinnlichen“ eruieren (Rändere 2006). Sie setzt also, anders als Fischer-Lescanos Überlegungen zur Rechtskraft, noch vor einer Gesellschaftstheorie an und eruiert beispielsweise die politisch-rechtlichen Koordinaten, in denen eine Gesellschaft sich überhaupt erst als demokratische begreift und in denen sich ein Verständnis von Bürgerschaft, politischer Partizipation usw. theoretisch und praktisch ausbuchstabiert. Das Recht öffnet sich in einer solchen Perspektive einer ästhetischen Intervention im weitesten Sinne der Frage nach den Bedingungen des gesellschaftlich Sichtbaren und Sagbaren sowie der Möglichkeit einer politischen Neuordnung des Erfahrungsfeldes (Rändere 2008).
Eine Perspektive, welche die „Eigenarten“ einer Sache in die Analyse einbezieht, fragt zweitens, was überhaupt in welcher Weise in Recht und bestimmte Rechtsfiguren übersetzt werden kann. Welches Recht kann in Bezug auf welche Sache überhaupt ins Spiel gebracht werden und wie verhält das Recht sich zu dieser Sache? Wie verändert die Sache das Recht und wie das Recht die Sache, indem es sie zu seinem Gegenstand macht? Wie verschiebt sich schließlich beides zueinander im Fortgang der rechtlich-politischen Diskussionen, der Konzepte, die aufgebracht werden, und der Ereignisse, die diese Diskussionen wiederum aufstören?6
Mit Foucault ist allerdings davon auszugehen, dass die Eigenschaften von Objekten und ihre möglichen Nutzungsweisen immer von den Formen des Wissens abhängen, in denen wir sie überhaupt erfahren können (vgl. Deleuze 1987: 153f.; Rajchman 2000: 43), und das heißt gleichermaßen, von der „Anordnung der Dinge“ (Foucault 2004: 148), die diese als solche hervorbringt: Wenn eine Sache als eine strittige politisch wird, so stellt sich mithin immer auch die Frage, wie diese Sache als ein Gegenstand der „Regierung“ in Beziehung zu bestimmten Zielen eine Relevanz, aber auch eine bestimmte Form erhält. — Eine Gegenüberstellung von a-rationalen Kräften und einer Rationalität der Einschätzung oder des Handelns ist damit obsolet. Die Regierang der Dinge und die Einschätzung von Zweckmäßigkeit und Angemessenheit hängt von der Beschaffenheit ab, und das heißt auch von den Bedingungen, die sich in der Handhabung ebenso wie bezogen auf bestimmte Anforderungen und Zielsetzungen stellen. Foucault rekurriert in diesem Zusammenhang auf die „Metapher des Schiffs“: „Es ist dieses Herstellen einer Beziehung zwischen den Seeleuten [, die gerettet werden müssen,] und dem Schiff [...] und der Ladung, die in den Hafen gebracht werden muß, und deren Beziehungen zu all jenen Ereignissen wie den Winden, den Klippen, den Unwettern, das die Führung eines Schiffs kennzeichnet.“ (ebd.: 146f.) Zu diesen Bedingungen und Beziehungen gehören auch die Aufgaben und Positionen der Beteiligten und die Verteilung von Verantwortlichkeiten, und nicht zuletzt die rechtlichen Regelungen derselben. Will man also untersuchen, wie sich bestimmte Ereignisse und Dinge ins Recht einschreiben oder im Recht verschieben, dann ist die Analyse nicht zu trennen von der Genealogie dieser Dinge in Beziehung auf die rechtlichen, politischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen usw. Bestimmungen, die sie historisch beziehungsweise von Fall zu Fall erhalten haben. Diese „Konnotationen“ sind eben nicht nur Bedeutungen, die mal zugeschrieben werden und mal nicht. Sie sind vielmehr Konnexionen zwischen den Dingen und der Sprache, die sich in diskursiven Praktiken etabliert haben und als solche immer schon Bestandteil von Artefakten sind. Wenn man Personen oder Dingen eine eigene agency attestiert, so ist diese von ihrem semantischen oder propositionalen Gehalt nicht
6 Weizman (2014) spricht in diesem Zusammenhang von force field und fieldforces.
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ablösbar, der ein Artefakt als solches überhaupt definiert: ,,[T]t is an effect of the technical operations into which the particular artifact is articulated.“ (Pottage 2014: 159). Diskurs- analytisch betrachtet ist beides nicht voneinander zu trennen: Die Gegenstände oder Phänomene verändern sich mit den diskursiven Praktiken, denen sie nicht vorausgehen (vgl. Ba- rad 2012: 38, 41). Sie sind Effekt von Diskurs- und das heißt von grenzziehenden Praktiken, im ontischen wie semantischen Sinne, die bestimmen, was gesagt, gesehen und getan werden kann (ebd.: 35; vgl. Aradau 2010: 499). Gegenstände oder Phänomene sind demnach immer schon in-Form: „Phenomena are constitutive of reality. Reality is composed not of things-in-themselves or things-behind-phenomena but of things-in-phenomena“ (Barad 2007: 178).7
Für einen methodischen Zugang wäre Latours Perspektive in diesem Sinne diskursanalytisch zu wenden, nämlich in der Frage, wie materielle Gegenstände in politische Auseinandersetzungen gleichsam eingewoben sind, wie ihre Existenz und die Art ihres Zuhandenseins die jeweiligen Kontroversen bestimmt, leitet und kanalisiert (vgl. Walters 2014: 103). Demnach geht es gerade nicht in erster Linie darum, in welcher Weise Objekte, als Gegenstand der Verhandlung, repräsentiert werden, also als physisch Abwesende symbolisch anwesend sind. Der englische Begriff der affordance (Gibson 1979) spielt vielmehr auf die materielle Disposition im Sinne der möglichen Weisen an, in denen Objekte genutzt, zur Anwendung kommen können, sich gleichsam zur Nutzung anbieten (vgl. Walters 2014: 103). Eine doppelte Relationalität kommt so ins Spiel. Auf der einen Seite rückt die Vorstellung von den Möglichkeiten oder Fähigkeiten eines Gegenstands dessen affizierende Kraft in den Blick: Das Ding definiert sich weniger über sein „Wesen“ als über die Beziehungen, die es eingehen, also die Potentiale und Intensitäten der Kräfte, die es entfalten kann (Mus- sawir 2011: 12). Auf der anderen Seite kommen die Adressaten beziehungsweise die Kräfte ins Spiel, die sich von diesen Dingen affizieren lassen.
Geht man davon aus, dass es stets einer, wie auch immer konkret zu bestimmenden, Kraft bedarf, die das Recht in Gang setzt und transformiert, dann ist für die Analyse indes nicht in erster Linie entscheidend, wer, als vielmehr was Recht schreibt. Wir haben es demnach, vom Recht aus gesehen, nur scheinbar mit einer dreifachen Beziehung zu tun zwischen einem Subjekt, dem Akteur oder der Kraft, die eine Sache ins Spiel bringt, der Sache selbst, einschließlich der Objekte, die zum Gegenstand des Rechts werden und ihrerseits „sprechen“, sowie schließlich der Norm, die dabei aktiviert wird. Vielmehr handelt es sich jedes Mal um Kräfte, die aufeinander wirken und die, indem sie Recht schreiben, eine bestimmte Form annehmen. Die Norm ist so gesehen selbst ein Ding, das in diesem Zusammenspiel überhaupt erst in Erscheinung tritt und zu einer relevanten, strittigen Sache wird.8
7 Dieses Zusammenspiel beschreibt Karen Barad (2007: 178) mit dem Neologismus der „intra- action“, der anders als die Interaktion (interaction) nicht nur von einer symbolischen Ebene der Kommunikation ausgeht und vor allem nicht von Subjekten, die unabhängig von und schon vor der Interaktion existieren. Für die Gemeinsamkeiten und Differenzen eines Diskursbegriffs bei Foucault und im sogenannten Neuen Materialismus siehe auch die ausführliche Diskussion bei Lemke (2015).
8 Anders als der Kontestations-Ansatz (etwa Deitelhoff & Zimmermann 2013) geht die vorliegende Perspektive folglich nicht von der dichotomen Frage aus, ob Normen in solchen Herausforderungen gestärkt oder geschwächt werden. Normen werden vielmehr generiert.
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Wie aber gewinnt die Norm an Kraft? Wir können nunmehr Andreas Fischer-Lesca- nos Frage nach einer sozialen, emanzipatorischen Rechtskraft wieder aufgreifen und im Sinne einer theoretischen Perspektive wenden, die das Recht in den Formen seiner Afflzierung begreift. Das Recht ist in seiner Beziehung zu sozialen Kräften lesbar, die sich als solche aber auch erst konstituieren müssen.
R echts-Subjekte
Eine Rechtstheorie, die davon ausgeht, dass jede rechtliche Auslegung und Entscheidung eine Sinnverschiebung provoziert, Rechtsprechung in diesem Sinne eine kontinuierliche Re- Kodierung des Rechts bedeutet, weist auf die Kontingenz und Fragilität von Rechtsstaatlichkeit hin und wirft die Frage auf, wie Rechts Staatlichkeit sich gleichwohl mit einer gewissen Erwartungs Sicherheit einstellen kann (Mohr 2006). Deshalb sieht sich die irritierende Einsicht der Fragilität nicht selten von der Vorstellung ergänzt, dass jede, vor allem verfassungsrechtliche, Auslegung des Rechts letztlich von einer hegemonialen Idee der Rechtsstaatlichkeit eingefasst ist (Taylor 2002). Wir alle, oder zumindest die Experten des Rechts, haben demnach das Gleiche im Sinn, weshalb Rechtsstaatlichkeit sich zuverlässig realisieren kann.
Doch es muss nichts Beunruhigendes darin liegen, wenn Rechts Staatlichkeit sich als eine Fiktion und als solche als ein „floating signifier“ erweist (Mohr 2006), im Gegenteil. Ein Recht, das sich einer Kritik öffnen und in diesem Sinn politisch werden will, bedarf keines „common grounds“ (Tans 2015), keiner bereits existenten Gemeinschaft, die sich auf eine gemeinsame und einheitliche normative Grundlage beruft. Es muss vielmehr, im Sinne Rancieres (2011: 483), offen sein für ein Subjekt, das ein Recht für sich in Anspruch nimmt, obwohl und weil das Recht es gar nicht vorgesehen hat (vgl. ebd., 481). Es bedarf dafür auch keines commitments, wie es zum Beispiel das Konzept des Verfassungspatriotismus voraussetzt. Dann ginge es um das Recht beziehungsweise die Verfassung selbst. Es bedarf der Afflzierung mit dem Recht, eines Moments der Hinwendung zum Recht, das angerufen werden muss, damit es wirken kann, und das angerufen wird, weil es Gerechtigkeit verspricht. Das „Subjekt der Menschenrechte“ (Rancieres 2011), als ein kollektives, noch unbestimmtes Subjekt des Rechts, bedarf einer Bühne, auf der es sich artikuliert, es muss sich selbst eine Bühne schaffen, auf der es gehört und als Rechtssubjekt vernehmbar werden kann. Wenn Rechts Staatlichkeit eine Fiktion ist, dann also weniger im Sinne der Illusion, als Gegensatz zur Realität, als vielmehr des Fiktiven im literaturwissenschaftlichen Sinne: als einer Praxis des Vorstellens, der Antizipation und des Be-Deutens, die einer Kraft des Imaginären eine Bestimmtheit gibt.
Vielleicht hat Andreas Fischer-Lescano (2014: 178) Recht, wenn er betont, dass die „Kraft des Rechts [...] nicht von den Subjekten ausjgpht], sondern von Menschen aus Fleisch und Blut.“ Doch die Wirkung im Recht ist immer eine andere, die erfolgreiche Anrufung bewirkt stets eine Transformation der Sache, um derentwillen das Recht angerufen wurde. Denn Normen und Rechtsfiguren wie das Rechtssubjekt sind ihrerseits Fiktionen, Realitätsverdopplungen im Sinne Luhmanns (vgl. Esposito 2007: 68), die eine eigene Realität ausbilden. Es ist eine Realität jedoch nicht nur der Sinnproduktionen, sondern auch der Verfahrensweisen, Praktiken, Techniken und Gegenstände, in denen das Recht sich materialisiert. Epistemische oder kognitive Figuren des Rechts, wie das Rechts Subjekt, sind Form und Substanz, eine rechtliche Technik, die ihr eigenes Format vorschreibt (vgl. Pottage 2014: 160) und so ihre eigenen Formen der Subjektivierung hervorbringt. Als eine fiktive Reali-
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tät aber verlangen solche Figuren ihrerseits, dass wir sie anrufen, damit sie existieren, oder wie Bruno Latour (2013: 242) das im Konzept der „Wesen der Fiktion“ formuliert hat: „|T]hey come to us and require that we prolong them, but in their own way, which is never stated but simply indicated. We find ourselves on their trajectory; we are part of their trajectory“. Als Subjekte des Rechts oder der Menschenrechte sind wir buchstäblich immer schon im Recht. In Kraft gesetzt wird damit ein Recht, das seinerseits spricht. Das Recht gewinnt seine Kraft, weil wir es in Anspruch nehmen, es verleiht der Inanspruchnahme zugleich die Autorisierung durch das Recht. Gesagt ist damit nicht, dass Gewalt ausgeschlossen wird, allerdings ebenso wenig, dass es die Gewalt des Rechts ist, die dann wirkt. Vielmehr stellt das Recht Bedingungen her, die es erlauben, sich - im Guten wie Schlechten - auf das Recht zu berufen.
Eine Kritik des Rechts setzt zuallererst an der Einsicht an, dass das Recht nicht ohne sein Anderes kann. Eine Methode, die dem Recht gerecht werden will, muss zum einen reflektieren, welche Kräfte es sind, die gleichsam stillschweigend und insofern nicht nur unerkannt, sondern vielleicht auch unerwünscht Recht schreiben. Zum anderen kann sie sich auf die Kraft im Recht selbst besinnen, auf das expressive Moment, und nicht nur die symbolische Funktion.
Deshalb stellt sich das Problem der Ausnahme auch komplexer dar als in der Bestimmung Giorgio Agambens (2004: 49), denn streng genommen gibt es keine Norm, die „zwar gilt, aber nicht angewandt wird“. Die Norm, die außer Kraft gesetzt wird, ist immer schon angerufen. Die Gewalt des Rechts abzustreifen, kann nicht bedeuten, sich vom Recht zu verabschieden und es zur „Untätigkeit“ zu verdammen (Agamben 2004: 77) - aus der „Gesetzeskraft ohne Gesetz (die man jedoch -G esetzeskraft schreiben müßte)“ im Ausnahmezustand, in der „Handlungen, die nicht den Stellenwert von Gesetzen haben“ die Übermacht gewinnen (ebd.: 49), würde dann bloß ein Recht ohne Kraft. Ebenso wenig befriedigend ist Fischer-Lescanos (2014: 183) „realistische Utopie gesellschaftlicher Emanzipation“ durch das Recht - die Gerechtigkeit des Rechts, die sich unmöglich verwirklichen kann, verschiebt sich auf ein emanzipatorisches Versprechen, das in der Reflexion der Gewalt des Rechts jedoch keine Kraft gewinnen kann. Demgegenüber ließe sich etwa Derridas Einlassung, dass das Recht enforced werden muss, deleuzianisch ausbuchstabieren. Gerechtigkeit ist dann selbst schon eine Kraft, die sich ins Recht setzen kann. — Die Anrufung des Rechts ist einerseits Voraussetzung dafür, dass Gerechtigkeit sich überhaupt ereignen kann (vgl. Derrida 1991: 33£); andererseits zeigt Gerechtigkeit sich nur als eine „Chance“, die „momenthaft aufblitzt“ und in dem Moment, in dem sie erkennbar wird, bereits passiert ist (Teubner 2012: 192, 196). Mit Deleuze und Derrida liegt dis force demnach in der Kraft des Versprechens der Gerechtigkeit: Jedes Versprechen kann gebrochen werden, es kann sich pervertieren. Andernfalls wäre es kein Versprechen, sondern ein Automatismus, dem jede Kraft abgeht, die das Versprechen ausmacht. Wenn das Versprechen von der Drohung seiner „Pervertierung“ lebt (Derrida 2003: 54), dann enthält es zugleich eine Aufforderung. Das Versprechen ist die Anreizung, das Recht, als Repräsentation, expressiv werden zu lassen, es als ein Recht, im Sinne von right, in Kraft zu setzen und buchstäblich zum Ausdruck zu bringen (Mussawir 2011).
Dabei ist die Hinwendung zum Recht vielleicht auch der spezifischen Möglichkeit einer Verallgemeinerung der Sache geschuldet, die das Recht bietet. Die Unruhe der Erfahrung einer Ungerechtigkeit kann umgewendet, sie kann im Recht zur Sprache gebracht werden und im Verfahren des Rechts die Möglichkeit der Gerechtigkeit erfahren. Das Recht, das im Namen der Allgemeinheit spricht, stiftet ein kollektives Subjekt. Das Subjekt, das
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sich als ein Subjekt etwa der Menschenrechte ins Spiel bringt, ist dann allerdings erst einmal nur ein Subjekt, ein Gegenstand des Rechts.
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Prof. Dr. Susanne Krasmann, Insitut für Kriminologische Sozialforschung, Universität Hamburg, Allende-Platz 1, D-20146 Hamburg, Telefon: 040 / 42838-3323, E-Mail: susanne.krasmann@uni-ham- burg.de
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