hausarbeit über richard hare
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Philosophische Fakultät der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Institut für Philosophie
Modulprüfungsarbeit im Studiengang Philosophie
Das Zwei-Ebenen-Modell von Richard Hare
Vorgelegt von:
Philip Buchen
Anschrift: Kaiserstrasse 23, 53113 Bonn
E-Mail: [email protected]
Matrikel-Nr.:2587893
Semester: Wintersemester 2014/15
Seminar: Utilitarismus
Themensteller: PD Dr. Bert Heinrichs
Modul: Praktische Philosophie
Hausarbeit in Basis im vorgesehenen Modul angemeldet am: 05.03.2015
Vorgelegt am: 31.03.2015
Vom Themensteller einzutragen:
Note:
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Datum:
Gliederung: 1. Aufgabe und Thema dieser Hausarbeit
2. Analyse des Versprechen-Beispiels
2.1. Antwort des Akt-Utilitaristen
2.2. Antwort des Regel-Utilitaristen
2.3. Vier mögliche Lösungen für das Versprechens-Dilemma
3. Hares Überlegungen zum Versprechens-Dilemma
3.1. Die Ebene des intuitiven Denken und des kritischen Denkens
3.2. Erzengel und Prolet
3.3. Die Formulierung des Zwei-Ebenen-Modells
4. Probleme mit dem Zwei-Ebenen-Modell
5. Wie würde Hare das Versprechens-Dilemma lösen?
6. Literaturverzeichnis
1
1. Aufgabe und Thema dieser HausarbeitVersprechen bricht man nicht, das weiß jedes Kind. Doch manchmal ist es gar nicht so leicht ein
Versprechen zu halten, auch wenn man es noch so gerne tun möchte - sicher musste sich jeder
schon einmal mit dieser Problematik auseinandersetzen. Auch der britische Philosoph Richard M.
Hare (1919-2002) hat sich mit diesem Dilemma beschäftigt. An Hares Beispiel eines
Versprechens-Dilemma (auf das später noch genauer eingegangen werden soll) schlagen Akt-und
Regelutilitaristen dem Utilitaristen Hare verschiedene Lösungen des Problems vor. Aber keine der
beiden Antwortmöglichkeiten wirkt überzeugend. Was also tun? Hare entwickelt das Zwei-
Ebenen-Modell, ein utilitaristisches System, das die Vorzüge der beiden philosophischen
utilitaristischen Positionen verbinden soll. Diese Hausarbeit soll das Zwei-Ebenen-Modell
erklären und analysieren, ob Hare mit seinem Modell die Streitigkeiten zwischen Akt-und
Regelutilitaristen überwinden kann.
2. Analyse des Versprechens-BeispielsHare eröffnet die Diskussion um Akt- und Regel-Utilitarismus mit dem Beispiel des
Versprechens: ,, Ich habe meinen Kindern für heute Nachmittag eine Bootsfahrt mit Picknick auf
dem Fluss bei Oxford versprochen; und jetzt taucht ein alter Freund von mir aus Australien auf,
der nur noch heute hier ist, und möchte, dass ich ihm und seiner Frau die hiesigen Colleges zeige.
Klar, dass ich ihnen unsere Colleges zeigen sollte; klar aber auch, dass ich meinen Kindern
gegenüber mein Versprechen halten sollte. Und ich glaube selbiges nicht nur, in einem gewissen
Sinne habe ich damit auch klar recht.’’1 Auf jede Entscheidung, die Hare in diesem Szenario
treffen kann, folgt ein gewisser Nutzengewinn, zugleich ist aber auch klar: egal, was der
Familienvater tun wird, mit seiner Entscheidung wird er auch für Enttäuschungen sorgen.
2.1. Antwort des Akt-Utilitaristen
1 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 71
2
Im Akt-Utilitarismus wird das Kernprinzip des größten Nutzens auf die einzelne Handlung
bezogen: Vor jeder Handlung bedenkt der Akt-Utilitarist mögliche Handlungsalternativen, wertet
aus, welche der Optionen den größten Nutzenwert hat, und wählt anschließend diese Option mit
dem größten Nutzen für alle aus. Die Vorstellungen des Akt-Utilitarismus gehen auf Jeremy
Bentham (1748-1832) zurück, der das ,,größte Glück der größten Zahl’’ als Folge einer
Einzelhandlung als Leitprinzip des Utilitarismus einführte. Nicht moralische Grundregeln
bestimmen die Richtigkeit einer Handlung, der höchste Nutzenwert aller Handlungsoptionen
kennzeichnet die richtige Entscheidung.2 Der Akt-Utilitarist würde somit vor Hare treten und
argumentieren, dass man den Ausflug mit der Familie sicherlich auch verschieben könnte -
schließlich sei der gute alte Freund ja nur noch heute da. Die einmalige Enttäuschung des
Freundes sei bei einer Absage schließlich unausweichlich und sehr betrüblich, während Hares
Kinder bei einer Absage zwar sicher auch sehr enttäuscht seien. Mit seinen Kindern könne Hare
allerdings an einem anderen Tag einen Ausflug unternehmen, der seltene Besuch des Freundes
erlaubt diese Möglichkeit nicht. Der Akt-Utilitarist würde Hare also raten, den Tag mit seinem
alten Freund zu verbringen.
2.2. Antwort des Regel-UtilitaristenDer Regel-Utilitarismus ist eine ethische Position, die sich auf die Grundsätze des Utilitarismus
beruft, aber das Kriterium des größten Glücks nicht auf spezifische einzelne Handlungen
anwendet, sondern auf allgemeine Handlungsregeln anwendet. Der Regel-Utilitarismus wendet
sich gegen den extremeren Akt-Utilitarismus von Bentham und führt ein zweistufiges
Prüfverfahren, das erstmals in dieser Form von James O. Urmson formuliert wurde, von
moralischen Handlungen ein: In einem ersten Schritt gilt eine einzelne Handlung als richtig,
wenn man zeigen kann, dass sie mit einer moralischen Regel übereinstimmt. Im darauf folgenden
zweiten Schritt muss man nun zeigen, dass die moralische Regel, auf der die einzelne Handlung
beruht, das Kriterium des größten Glücks erfüllen und somit das Allgemeinwohl fördern.3
Der Regel-Utilitarist würde Hare also raten, sein erstes Versprechen zu halten: Hare solle sich
doch mit seinen Kindern einen schönen Tag machen, und der Freund aus Australien müsse
zurückstehen, da die Regel gelte, wonach man gegebene Versprechen nicht brechen darf.
2 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 913 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 81
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2.3. Vier denkbare Vorschläge zur Lösung des Versprechens-DilemmasMöglicherweise können der Akt- oder der Regel-Utilitarist bei der Lösung seines Versprechens-
Paradoxon ja doch helfen, überlegt Hare und stellt nun vier mögliche Lösungsmöglichkeiten auf,
die das Versprechens-Dilemma lösen sollen.
Zunächst erscheint der Einsatz einer Rettungsklausel sinnvoll: Eine solche Regel gilt immer
solange, bis die Rettungsklausel der Fall wird, und die Regel unwirksam macht.4
Anhand des Versprechens-Dilemmas würde dies so aussehen.
1. Halte deine Versprechen,
a. es sei denn der Freund aus Australien kommt vorbei, dann kannst du dein Versprechen
brechen,
b. es sei denn, das Wetter ist schlecht
Hare formalisiert die Rettungsklausel wie folgt:
,,Man sollte nie eine Handlung vollziehen, die G ist — es sei denn, das ist notwendig, um eine
Handlung zu vermeiden, die F ist.’’5
Dies ist jedoch nur eine kurzatmige Lösung, kein ,,echter Weg’’ für Moralphilosophen, denn die
Rettungsklausel bietet keine generelle Lösung für Dilemmata. Für jedes Dilemma müsste man
eine neue Rettungsklausel aufstellen.6 Auch wenn dieser Einwand, die Gültigkeit der
Rettungsklausel nicht zu widerlegen vermag, ist er allein dennoch bereits ein Hinweis auf die
Umständlichkeit in der alltäglichen philosophischen Diskussion von moralischen Dilemmata: ,,
Recht bald werden wir solche Prinzipien erhalten wie »Man sollte nie eine Handlung tun, die G
ist, es sei denn, sie ist notwendig, um eine Handlung zu vermeiden, die F ist, und sie (die G-
Handlung) hat die Eigenschaft H; ist die Handlung nicht H, so darf man es nicht«’’7. Die
Rettungsklausel ist für Hare somit vor allem eine umständliche Figur, mit der es nicht
überzeugend gelingen kann, das Versprechens-Dilemma unter realistischen Bedingungen
aufzulösen. Als nächste mögliche Lösung nennt Hare das ,,Lexical Ranking’’, das eine starke
Hierarchie der Prinzipien vorsieht.8 In der Methode des ,,Lexical Ranking’’, die im im
Wesentlichen der Methode des ,,Lexical Priority Rankings’’ des US-amerikanischen Philosophen
4 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 825 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 916 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 927 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 858 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 92
4
John Rawls (*1921- 2002) gleicht, schlägt beispielsweise das Prinzip ,,Du sollst nicht töten’’
immer das Prinzip ,,Du sollst deine Versprechen halten’’ usw. Hare formalisiert diesen Ansatz
wie folgt: ,, »Das Prinzip, dass man nie eine Handlung vollziehen sollte, die G ist, sollte in allen
Fällen befolgt werden, es sei denn, die Befolgung stellt einen Bruch des Prinzips dar, dass man nie
eine Handlung vollziehen sollte, die F ist; in solchen Fällen sollte man das Prinzip brechen. «‚ plus
natürlich zusätzlicher Komplikationen für den Umgang mit dem eben erwähnten »H«-Faktor.’’9
Doch auch diese mögliche Lösung verwirft Hare wieder: ,, Es ist offensichtlich, dass dieser
Lösungsvorschlag, obschon er ein längeres und sperriges Prinzip ergibt, sich von dem ersten
inhaltlich nicht unterscheidet.’’10 Hare plagen weitere Probleme mit dem ,,Lexical
Ranking’’: ,,...werden wir nicht sagen wollen, dass wir in einigen Situationen lügen sollten, um
Schmerzen zu vermeiden, dass wir aber in anderen Situationen (zum Beispiel, wenn die
Schmerzen nicht groß sind) Schmerzen zufügen sollten, um Lügen zu vermeiden?’’11 Die
Methode des ,,Lexical Rankings’’ scheint für Hare also viele Widersprüche zu beinhalten, so sind
auch Szenarien denkbar, in denen dasselbe Prinzip gegeneinander steht: Wenn ich zwei Menschen
Versprechen schuldig bin, die gegeneinander gesetzt stehen, welches Versprechen halte ich,
welches darf ich brechen? Darauf gibt die mögliche Lösung des ,,Lexical Ranking’’ keinen
Aufschluss.
Auch eine dritte denkbare Lösung des Versprechens-Dilemmas, die traditionelle Ex-machina-
Methode, hält Hares Prüfung nicht stand. Der englische Philosoph will diese Möglichkeit erst gar
nicht ernsthaft diskutieren - denn für ihn gilt: ,,Ich glaube nämlich, dass noch nicht einmal viele
Christen glauben, dass Gott die Dinge auf diesem Wege festgelegt hat, sondern vielmehr, dass
Gott — und in einem sehr viel begrenzteren Maße auch jeder von uns — über die Mittel verfügt
(vernünftiges moralisches Denken), mit welchen sich auf der intuitiven Ebene auftretende
Konflikte auf der kritischen Ebene auflösen lassen.’’12
Auch den Vorschlag der Situativen Gewichtung will Hare nicht weiter diskutieren. Anhänger der
Situativen Gewichtung würden Hare raten, dass der Mensch immer situativ entscheiden sollte,
welches Versprechen er heute brechen will. In dieser Methode entscheidet der Einzelfall, was
dem Menschen gerade ,,richtig scheint’’, es gibt kein übergeordnetes Prinzip oder etwa eine
9 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 71
10 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8811 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8912 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 90
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Maßregel, die in der Dilemma-Entscheidung Stütze leistet.13 Hare wehrt sich gegen eine
ernsthaftere Diskussion mit diesem Vorschlag: ,,Dies ist weniger eine Methode als vielmehr eine
Umgehung des Problems...’’14
3. Hares Überlegungen zum Versprechens-DilemmaWas also tun? Die beiden populärsten Spielarten des Utilitarismus schlagen unterschiedliche
Lösungen vor, die denkbaren Lösungsvorschläge versagen in ihrer Überzeugungskraft - der
bekennende Utilitarist Hare steckt in einem Dilemma. Um das Dilemma zu lösen (und Akt-und
Regelutilitarismus miteinander zu versöhnen) schaut sich Hare die Grundlage des Dilemmas
genauer an, er fragt sich: Warum ist es für die beiden artverwandten Parteien so schwierig, zu dem selben
Schluss im Versprechens-Beispiel zu kommen?
Beide Spielarten des Utilitarismus greifen unterschiedliche Merkmale aus dem Versprechens-
Dilemma hervor, der Regel-Utilitarist pocht auf das zuerst gegebene Versprechen des
Familienvaters an seine Kinder, während der Akt-Utilitarist vor einem tiefenttäuschten Freund
warnt.15 Hare ist sich also sicher: ,, Das Problem liegt darin zu bestimmen, welches dieser
Prinzipien angewandt werden sollte, um eine Vorschrift für diese spezielle Situation zu
erhalten.’’16 Die Unstimmigkeiten zwischen Akt-und Regelutilitarismus liegen also in ihren
grundsätzlich unterschiedlichen Herangehensweisen begründet, im Streit der beiden Spielarten
werden also offenbar bestimmte Punkte nicht angesprochen, wie Hare feststellt: ,, Ein Großteil
der Kontroverse über Akt- versus Regel-Utilitarismus wurde in Begriffen geführt, die den
Unterschied zwischen der kritischen und der intuitiven Ebene des moralischen Denkens
ignorieren.’’17 Würde man aber eine Unterscheidung der beiden Ebenen in die Debatte
einbringen, so sind laut Hare große Fortschritte möglich: ,,Werden die Ebenen erst einmal
unterschieden, wird eine Form von Utilitarismus verfügbar, die die Verdienste beider Varianten
kombiniert.’’18 Hare entwirft in diesem Zusammenhang bereits sein Idealbild: ,, ... der kritische
Denker betrachtet Fälle in einer Akt-utilitaristischen oder spezifischen Regel-utilitaristischen
13 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 9014 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 9015 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 7816 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 7817 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 7918 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 79
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Weise, und auf ihrer Basis wählt er [...] allgmeine prima-facie-Prinzipien für den Gebrauch und
zwar für einen allgemeinen Regel-utilitaristischen Gebrauch, auf der intuitiven Ebene.’’19
Auch der Düsseldorfer Philosoph Oliver Hallich befürwortet Hares Versuch, die utilitaristische
Vorstellung der Entscheidungssituation realistischer zu gestalten und stimmt ihm zu: ,,Wer sich in
Sekundenschnelle entscheidet, einen Ertrinkenden zu rettenden, der wird dies nicht tun, weil er
vorher die Präferenz hat, nicht nass werden zu wollen, mit der Konditionalen Präferenz, nicht
ertrinken zu wollen, abgewogen hat, sondern weil er die feste Disposition ausgebildet hat,
anderen zu helfen, wenn sie in Not sind."20 Das Ziel ist somit formuliert: gesucht wird eine
Vermischung der beiden Spielarten des Utilitarismus. Damit diese Mischung auch gelingt, müssen
zunächst Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Akt- und Regelutilitaristen ausgelotet
werden - deshalb führt Hare die Ebenen des intuitiven Denkens und des kritischen Denkens ein.
3.1. Die Ebene des intuitiven Denkens und des kritischen DenkensRegel-Utilitaristen setzen auf die Ebene des intuitiven Denkens: die Prinzipien dieser Ebene ist
notwendig, um alltägliche moralische Entscheidungen zu treffen. Intuitive Prinzipien wirken
unseren menschlichen Schwächen entgegen: durch ihre Anwendung ist der Mensch in der
Vielzahl der möglichen Situationen handlungsfähig, ohne in jeder Situation ein Plädoyer in
eigener Sache zu halten. Die Prinzipien der Regel-Utilitaristen sind relativ einfach gehalten, um
leicht erlernbar zu sein und eine Vielzahl von Situationen abzudecken. Intuitive Prinzipien sind
allerdings keine bloßen Faustregeln, sie sind tief im Charakter jedes einzelnen Menschen
verwurzelt: ein Verstoß gegen sie hat Gewissensbisse, Reue oder Empörung (falls andere dagegen
verstoßen haben) zur Folge. Die Ebene des intuitiven Denkens strebt nach der moralisch
rationalen Handlung: Diejenige Handlung, die am wahrscheinlichsten richtig ist (selbst wenn sich
hinterher herausstellt, dass sie nicht richtig war). Die moralisch rationale Handlung wird fast
immer diejenige sein, die mit den intuitiven Prinzipien übereinstimmt, denn diese wurden genau
zu dem Zweck ausgewählt, damit dies der Fall ist. Intuitive Prinzipien sind jedoch auch nicht frei
von Problemen: so können sie sich nicht selbst begründen, im philosophischen Diskurs bieten sie
keine Stütze. Diese Prinzipien können auch zu unlösbaren Problemen führen, wenn etwa zwei
gleichwertige Prinzipien gegeneinander stehen. Anhänger des Akt-Utilitarismus favorisieren
währenddessen die Ebene des kritischen Denkens als Grundlage ihrer Analysen: Dem kritischen
19 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 7920 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 79
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Denken gelingt es, Streitigkeiten zwischen intuitiven Prinzipien zu lösen. Kritische Prinzipien sind
meist sehr spezifisch gehalten, so kann man mit ihrer Hilfe auch Entscheidungen in Fällen
treffen, in denen intuitive Prinzipien versagen. Mithilfe des kritischen Denkens ist es weiter
möglich, intuitive Prinzipien auszuwählen und zu begründen. Akt-Utilitaristen suchen nach der
moralisch richtigen Handlung: Diejenige Handlung, die mit den kritischen Prinzipien
übereinstimmt, welche durch erschöpfendes, vollständig informiertes und klares Denken über
spezielle Fälle gewonnen wurden. Doch die komplexe Form der kritischen Prinzipien verhindert
ihre praktische Anwendung in Alltagssituationen: Aus Mangel an Zeit, Wissen, Intelligenz,
Distanziert zu den eigenen Interessen ist es dem Menschen unmöglich jede moralische
Entscheidungssituation neu zu durchdenken.
3.2. Erzengel und ProletRichard M. Hare verdeutlicht sein Verständnis der beiden Ebenen moralischen Denkens anhand
der Bilder des Erzengels und des Proleten.21 Hares Erzengel wird nur von kritischem Denken
Gebrauch machen; der Erzengel würde den Vertretern des Akt-Utilitarismus gut gefallen. Der
Erzengel besitzt übermenschliche Geisteskräfte, übermenschliche Kenntnisse und keinerlei
menschliche Schwächen: ,, Der Erzengel hätte intuitives Denken nicht nötig; alles würde im Nu
von der Vernunft geleistet.’’22 Hares Prolet ist von ganz anderer Natur: Der Prolet hat
menschliche Schwächen in extremen Ausmaßen. Er vertraut auf Intuition und korrekte prima-
facie-Prinzipien, unter denen Hare widerlegbare moralischen Maßregeln oder Gründe versteht; er
sperrt sich in dagegen diese Prinzipien auch als ,,Faustregeln’’ zu bezeichnen.23 Die prima-facie-
Prinzipien, die der Prolet beherrscht, hat er durch Nachahmung oder Erziehung begriffen - zu
kritischem Denken ist er nicht fähig.
3.3. Die Formulierung des Zwei-Ebenen-ModellsKritisches und intuitives Denken bilden zusammen das moralische Denken, das Mittelpunkt von
Hares Analyse ist. Beide Formen des Denkens sind notwendig und hinreichend für das
moralische Denken, sie sind keine rivalisierenden Verfahren.24 Möglichst einfach soll das Zwei-
Ebenen-Modell in seiner Formulierung sein: So soll die Form des gesuchten Prinzips, das das
21 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 7922 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8023 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8024 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 80
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Versprechens-Dilemma lösen soll, zunächst einmal deshalb einfach gehalten sein, um einfacher
erlernbar zu sein.25 Hare nennt neben diesem psychologischem Grund aber auch einen
praktischen Grund, der für ein weniger komplexes Prinzip spricht: ,,Situationen, in die wir
involviert sind, werden einander nicht im Detail ähnlich sein. Ein Prinzip, das als ein praktischer
Führer von Nutzen sein soll, wird unspezifisch genug sein müssen, um eine Vielzahl von
Situationen abzudecken, die alle gewisse auffällige Merkmale gemeinsam haben.’’26
Nach Hare verfolgen wir in der Entscheidungssituation nicht immer diesselbe Struktur, niemand
entscheidet wie Hares ,,Erzengel’’ immer rein intellektuell, und auch niemand immer
konventionell wie sein ,,Prolet’’. Um sein Argument zu unterstreichen, verweist Hare in diesem
Zusammenhang auf die Programmierung eines erfolgreichen Backgammon-Computers: ,,Es wird
von Prinzipien oder Regeln regiert; eine Methode ist angegeben worden.’’27 Doch ihm ist auch
klar, dass das reine Vertrauen auf einfache Prinzipien unzureichend ist.28 Da es Situationen gibt, in
denen unsere allgemeinen moralischen Prinzipien miteinander in Konflikt geraten, muss man laut
Hare davon ausgehen, dass alle allgemeinen moralischen Prinzipien als unzureichend zu sehen
sind, denn ,, ... es wäre nichts als intellektuelle Unredlichkeit, wenn man so täte, als sei dem nicht
so.’’29 Hare votiert daher für zwei Ebenen im utilitaristischen Entscheidungsprozess: die intuitive
Ebene, die von den Regel-Utilitaristen bespielt wird, und die kritische Ebene, auf der die Akt-
Utilitaristen zuhause sind. In Hares Modell trifft man seine Entscheidungen grundsätzlich auf der
intuitiven Ebene, die von Regeln geprägt ist und die immer weiter dazulernt, doch schaltet man
bei Herausforderungen - also Situationen, in denen das Regel-Modell offensichtlich an seine
Grenzen stößt - ,,eine Stufe rauf’’ auf die kritische Ebene, die der intuitiven Eben übergeordnet
ist, und mit den Mitteln der Vernunft in der Situation abwägend eine Entscheidung fällt. Hare
verbindet in seinem Modell nicht nur die kantische Idee der Universalisierung und die
utilitaristische Idee der Präferenzerfüllungsmaximierung miteinander30 - er verbindet auch die
beiden Ebenen des Denkens: so macht Hare den moralische Mensch zum ,,Mischwesen’’ der
beiden Ebenen: ,,wir alle teilen die Merkmale von beiden in begrenztem und unterschiedlichen
Maße und zu verschiedenen Zeiten.’’31 Mit seinem Zwei-Ebenen-Modell erfüllt Hare sein eigene
25 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8026 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8427 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8628 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 8629 O. Höffe (Hg.): Einführung in die utilitaristische Ethik, S.56f. 30 O. Höffe (Hg.) :Einführung in die utilitaristische Ethik, S.124f.31 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.140
9
Erwartungen: ihm gelingt eine Verbindung von Akt-und Regelutilitarismus, das neue Modell hat
eine simple, leicht nachzuvollziehende Form und ist somit auch praktisch in seiner
philosophischen Handhabung
4. Probleme mit dem Zwei-Ebenen-ModellAuch wenn Hare mit seinem Zwei-Ebenen-Modell eine durchaus überzeugende Lösung zur
Verbindung von Akt- und Regelutilitarismus bietet, so ist auch sein Modell in der Moderne nicht
von Kritik verschont geblieben. Eine anschauliche Betrachtung von Hares Zwei-Ebenen-Modell
findet sich auch in Hallichs,,Richard Hares Moralphilosophie. Metaethische Grundlagen und
Anwendung’’: dort verweist Hallich auch auf die Kritik von Bernard Williams am Zwei-Ebenen-
Modell, die er sehr ernst nimmt: Williams bezweifelt, dass die Kombination von kritischem und
intuitiven Denken so einfach ist. Halich fasst Williams Kritik wie folgt zusammen: ,,...intuitive
Prinzipien seien nicht >>stabil unter Reflexion<<; wir könnten nicht innerhalb der intuitiven
Ebene eine Situation beurteilen und gleichzeitig kritisch denken und erkennen, dass wir diese
Situation nur aus Gründen der Präferenzerfüllungsmaximierung haben."32
Hare gelingt es in seiner Replik, die Kritik Williams mithilfe der Analogie eines Generals auf dem
Schlachtfeld zu entkräften.33 Doch geht seine Antwort am Kernpunkt der Kritik vorbei: ,,Die
Schwierigkeiten der Kombination kritischen und intuitiven Denkens, auf die Williams
aufmerksam macht, treten nämlich nicht in den Fällen auf, in denen wie im Militärbeispiel ein
prima-fache-Prinzip einem kritischen Prinzip untergeordnet wird, sondern in denjenigen, in
denen wir ein intuitives Prinzip haben und danach handeln wollen, dabei aber wissen, dass wir
uns dieses intuitive Prinzip aufgrund seiner Akzeptanz-Utilität zu eigen gemacht haben."34
Was ist damit gemeint? Hallich geht davon aus, dass es Situationen geben kann, in denen man
Überzeugungen haben muss, um intuitive Prinzipien zu haben und nach ihnen handeln zu
können, die man nicht mehr haben kann, wenn einem bewusst ist, dass diese Prinzipien nach dem
Prinzip des größten Nutzens ausgewählt wurden. Stellen wir uns folgendes Beispiel vor: Das
Prinzip anderen für getanes Unrecht zu verzeihen und nicht nachtragend zu sein, ist ein
nützliches und sinnvolles Prinzip, das ein kritischer Denker sicher als prima-fache-Prinzip
auswählen würde - sonst wäre die Welt ja voller nachtragender Miesepeter!
32 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.14133 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.14234 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.142
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Man kann einem Menschen jedoch nur dann aufrichtig verzeihen, wenn die Überlegungen, die auf
dem Akt des Verzeihens beruhen, nicht ausschließlich auf Gründen der Nützlichkeit beruhen,
sondern auch auf der Auffassung, dass der, dem verziehen werden soll, dies auch verdient hat.35
Hallich kommt zu dem Schluss: ,,Das Beispiel zeigt, wenn es stimmt, nicht, dass das Zwei-
Ebenen-Modell falsch ist, wohl aber, dass es nicht so leicht in der moralischen Praxis anwendbar
ist, wie Hare nahelegt. Hallich nennt in seiner Abhandlung von Hares Moralphilosophie noch
einen weiteren möglichen Kritikpunkt an Hares Zwei-Ebenen-Modell: er nennt ihn den ,,Vorwurf
der Kontraintuitivität".36 Dieser Vorwurf ist so alt wie wohl die Idee des Utilitarismus selbst -
denn er stellt die Frage auf, ob ,, ... eine nutzenorientierte Abwägungsprozedur in vielen Fällen
die Befriedigung von Wünschen als moralisch geboten vorschreiben" muss, ,, ... deren Erfüllung
uns moralisch inakzeptabel scheint?"37 Auch Hares Präferenzutilitarismus muss sich dieser Frage
stellen, da Hares Erzengel beim Abwägen von Prinzipien im Zwei-Ebenen-Modell auf die
qualitative Differenzierung zwischen Präferenzen verzichtet, und diese nur nach ihrer jeweiligen
Stärke beurteilt. Dass Hare auf die qualitative Differenzierung verzichtet, hat durchaus Vorteile,
meint Hallich: Denn so müssen die einzelnen Differenzierungen nicht noch normativ begründet
werden, was den Entscheidungsprozess deutlich komplizierter gemacht hätte.38 Hare begegnet
dem Vorwurf der Kontraintuitivität in seinem Werk ,,Moralisches Denken" bereits selbst, indem
er die Unwahrscheinlichkeit der praktischen Beispiele, die Anhänger des Vorwurfs der
Kontraintuitivität nennen würden, betont.39
Hallich charakterisiert die Strategie hinter der Methode Hares in diesem Zusammenhang: ,, Wenn
jemand erfolgreich den Utilitarismus kritisieren will, indem er die Fälle benennt, für die der
Utilitarismus kontraintuitive Handlungen vorschreiben müsste, dann müssen diese Fälle
realitätsnah sein..."40. Kritisches Denken muss in dieser fiktiven Beispielsituation also aktiv eine
Rolle spielen. ,,Ist dies nicht der Fall, muss der Utilitarismuskritiker sich damit begnügen, eine
Kritik am Beispiel von Fällen gegeben zu haben, deren Auftreten zwar logisch möglich, aber
empirisch so gut wie ausgeschlossen ist und die daher den Utilitaristen nicht weiter beunruhigen
müssen."41 Hallich folgt Hares Argument der allgemeinen Unwahrscheinlichkeit kontraintuitiver
35 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.14436 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.14637 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.14638 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.14739 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.14840 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.15041 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.151
11
Handlungen, weist jedoch auch daraufhin, dass es tatsächlich Beispiele kontraintuitiver
Handlungen geben kann, in denen kritisches Denken Vorschläge unterbreitet, deren Erfüllung
moralisch inakzeptabel scheint.42 Hallich führt weiter aus, dass anders als die Kritiker des
Utilitarismus denken, der Utilitarismus durchaus herrschende Moralvorstellungen in seine
Nützlichkeitskalkulationen miteinkalkuliert. Dies liegt daran, dass das kritische Denken bei
Hallich nicht nur die von ihm ausgewählten Prinzipien als Grundlage seiner Untersuchungen
nimmt sondern auch die faktisch vorhandenen Intuitionen miteinbezieht, die bereits in der Kultur
des kritisch denkenden Individuums vorliegen. Deshalb, so Hallich weiter, ist der Utilitarismus
und Hares Zwei-Ebenen-Modell im allgemeinem unfähig, kontraintuitive Handlungen zu
präferieren.43 Auch wenn Hallich Hares Position durchaus zu gefallen scheint, macht er dennoch
auch auf eine Schwachstelle in Hares Argumentation aufmerksam: Hares Antwort auf den
Vorwurf der Kontraintuitivität, der davon spricht, dass der Utilitarist gute und schlechte
Präferenzen gleichgewichtet, und man so etwa das Leid eines Christen vor den Löwen in einer
römischen Arena der summierten höheren Freude der Tausenden auf den Rängen unterordnen
müsste, besteht darin, dass in diesen Fällen eine Präferenzveränderung möglich und vom
kritischen Denken auch gefordert sei.44 In diesem speziellen Falle müsste man über Alternativen
zum Schauspiel in der Arena nachdenken, bei denen die Zuschauer das gleiche Vergnügen hätten,
auf das Leid des Einzelnen aber verzichtet werden könnte: ein großes Fußballspiel oder
Wagenrennen wären eine gute Lösung. Hier wird Hallich mit seiner Kritik deutlicher - denn was
Hare in seiner Verteidigung gegenüber dem Vorwurf der Kontraintuitivität übersieht, ist
durchaus grundlegend für die Struktur des Zwei-Ebenen-Modells: Wer entscheidet warum welche
Präferenzen geändert werden sollen, wenn das einzige Ziel die Erhöhung der Gesamtbefriedigung
ist?45 Diese Frage, so Hallich, versäumt Hare befriedigend zu beantworten - wohl auch, weil zu
bezweifeln ist, dass eine solche Entscheidung rein utilitaristisch zu lösen ist.46 Zumal oftmals gar
nicht bekannt sein könnte, wer über welche Präferenzen tatsächlich verfügt: Dr. Joachim
Eberhardt bezweifelt etwa, dass die Präferenzen einzelner Menschen diesselben seien. Viel mehr
geht er davon aus, dass sich beispielsweise seine eigenen Präferenzen und die eines Masochisten
stark unterscheiden: ,,Nur erfahre ich nichts über die Präferenzen eines Masochisten, da ich
42 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.15343 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.15344 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 10045 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 19646 Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, S. 205
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keiner bin und dementsprechend keine masochistischen Präferenzen ausbilden werde, auch wenn
ich mit ihm die Rollen tausche. Ich habe keinen blassen Schimmer davon, wie stark die
Präferenzen eines Masochisten sein können. Wie soll ich sie also berücksichtigen können?’’47 Als
Entscheidungsmethode ist die Zwei-Ebenen-Theorie daher höchstens für Einzelpersonen, die für
sich moralische Entscheidungen treffen, anwendbar. In seiner kritischen Analyse Hares
formuliert Hallich keine grundlegende Widerlegungen, auf Formfehler, in denen Hare - wie
bereits beobachtet - aus der streng-utilitaristischen Form seines Modells ausbricht und auf
moralische Instanzen vertraut, macht er aber aufmerksam. Hallich beobachtet weiter, dass Hares
Versuch ein leicht zu handhabendes Modell in einigen Fällen der praktischen Anwendung dieses
Modells dazu führt, dass die Anzahl der moralischen Verpflichtungen, die man eingeht, deutlich
steigt statt (wie erhofft) zu sinken.48 Hare, stellt Hallich abschließend fest, ist zwar auf der einen
Seite mit seinem Entwurf des Zwei-Ebenen-Modells ein großer Forschritt in der utilitaristischen
Diskussion gelungen, andererseits habe er auch die Tragweite seiner eigenen Theorie
unterschätzt.49
Hallichs Beurteilung von Hares Modell ist durchaus ernst zu nehmen - denn Hare gelingt sein zu
Beginn dieser Arbeit ausgegebenes Ziel tatsächlich sehr überzeugend: An Hares logischer
Verknüpfung von Akt- und Regelutilitarismus im Zwei-Ebenen-Modell gibt es nichts
auszusetzen, das Modell kommt einer Abbildung des menschlichen Entscheidungsprozesses
tatsächlich sehr nahe. Doch bleiben der Vorwurf von Bernard Williams über die Eigenheiten des
Verzeihens gegen Hares Modell im Besonderen und der Vorwurf der Kontraintuitivität im
allgemeinen gegenüber dem Utilitarismus unbeantwortet. Diese Probleme gilt es für Utilitaristen
nun zu lösen. Genauso sicher ist aber auch: Hare hat Akt- und Regelutilitarismus mit seinem
Zwei-Ebenen-Modell einen Bärendienst erwiesen.
5. Hares Lösung des Versprechens-DilemmaHare hat somit seine Lösung, Akt-und Regel-Utilitarismus miteinander zu verbinden gefunden -
aber wie würde er als Familienvater nun das Versprechens-Dilemma lösen, das er zu Anfang
47Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.12848 Joachim Eberhardt: Einführung in die analytische Ethik. 7. HAREs Universeler PräskriptivismusURL: http://www.jg-eberhardt.de/philo_etheinf_07.htmlDatum des Zugriffs: 25. März 201549 Joachim Eberhardt: Einführung in die analytische Ethik. 7. HAREs Universeler PräskriptivismusURL: http://www.jg-eberhardt.de/philo_etheinf_07.htmlDatum des Zugriffs: 25. März 2015
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seiner philosophischen Untersuchung aufgestellt? Wir erinnern uns: ,, Ich habe meinen Kindern
für heute Nachmittag eine Bootsfahrt mit Picknick auf dem Fluss bei Oxford versprochen; und
jetzt taucht ein alter Freund von mir aus Australien auf, der nur noch heute hier ist, und möchte,
dass ich ihm und seiner Frau die hiesigen Colleges zeige. Klar, dass ich ihnen unsere Colleges
zeigen sollte; klar aber auch, dass ich meinen Kindern gegenüber mein Versprechen halten sollte.
Und ich glaube selbiges nicht nur, in einem gewissen Sinne habe ich damit auch klar recht.’’50
Die Antwort von Hares Zwei-Ebenen-Modell ist diese: ,,Verzeih mir, lieber australischer Freund,
ich weiß, dass ich Versprechen halten soll - das sagt mit der Regel-Utilitarismus. In der
bestimmten Situation muss ich zwischen der Enttäuschung meiner Kinder und der Enttäuschung
meines guten Freundes abwägen, doch kann ich kaum glauben, dass die Enttäuschung meines
Freundes im Falle einer Absage so groß wäre, dass es tatsächlich nötig sei, die Regel des
Versprechens umzuwerfen. Es mag Fälle geben, in denen es tatsächlich nützlich scheint ein
Versprechen gegenüber meinen Kindern zu brechen, doch an diesem Nachmittag ist das nicht
der Fall.’’
50 Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, S.127
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6. Literaturverzeichnis Richard Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz, Suhrkamp 1992
O. Höffe (Hg.): Einführung in die utilitaristische Ethik, A. Francke Verlag 2013
Oliver Hallich, Richard Hares Moralphilosophie, Alber , 2000
Joachim Eberhardt: Einführung in die analytische Ethik., 7. HAREs Universeler Präskriptivismus
URL: http://www.jg-eberhardt.de/philo_etheinf_07.html
Datum des Zugriffs: 25. März 2015
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