dissertation - netlibrary
TRANSCRIPT
Mag.a Arleta Franczukowska
Korruption im Kontext einer verbesserten Prozess- und Ressourcensteuerung für das
österreichische Gesundheitssystem
DISSERTATION
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktorin der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Betreuer Assoc.-Prof. PD Dr. Guido Offermanns Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Organisation, Personal und Dienstleistungsmanagement Abteilung für Personal, Führung und Organisation
Erstgutachter Assoc.-Prof. PD Dr. Guido Offermanns Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Organisation, Personal und Dienstleistungsmanagement Abteilung für Personal, Führung und Organisation
Zweitgutachterin Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment
Klagenfurt, September 2017
II
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere an Eides statt, dass ich
- die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und andere als die ange-
gebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe,
- die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung, einschließ-
lich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt habe,
- die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder sinn-
gemäß übernommen habe, in geeigneter Form gekennzeichnet und den Ursprung der
Information durch möglichst exakte Quellenangaben (z.B. in Fußnoten) ersichtlich
gemacht habe,
- die Arbeit bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde vorgelegt habe
und
- zur Plagiatskontrolle eine digitale Version der Arbeit eingereicht habe, die mit der
gedruckten Version übereinstimmt.
Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben wird.
(Unterschrift) (Ort, Datum)
III
Gender-Erklärung
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf eine geschlechterspezifische
Schreibweise verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen, die sich zugleich auf beiderlei
Geschlecht (Männer und Frauen) beziehen, werden stets nur in der im Deutschen üblichen
maskulinen Form angeführt, wie beispielsweise „Ärzte“ statt „ÄrztInnen“ oder „Ärztinnen und
Ärzte“. Dies darf keinesfalls als Geschlechterdiskriminierung oder als Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes verstanden werden.
IV
Vorwort
Die vorliegende Dissertation entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche
Mitarbeiterin in der Abteilung für Personal, Führung und Organisation (PFO) an der
wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Der ihr
zugrunde liegende Untersuchungsgegenstand („Korruption im österreichischen
Gesundheitssystem“) stellt eine gesellschaftlich höchst relevante Angelegenheit dar, die mich
persönlich sehr bewegt, weswegen ich auch hoffe, dass sie einen möglichst großen
Adressatenkreis erreicht.
Die Erstellung dieser Arbeit war eine große persönliche Herausforderung und bereichernde
Erfahrung zugleich. Es war eine Zeit mit einigen Höhen und vielen Tiefen. Daher möchte ich
mich an dieser Stelle bei allen Personen, die auf unterschiedliche Weise zum Gelingen dieser
Arbeit beigetragen haben, ganz herzlich bedanken. Allen voran gilt mein besonderer Dank
meinem Doktorvater, Herrn Assoc.-Prof. Dr. Guido Offermanns, für seine hervorragende
fachliche sowie mentale Unterstützung während meiner gesamten „turbulenten“
Promotionszeit. Vor allem möchte ich ihm für die gewährten nötigen Freiräume, seinen
motivierenden Zuspruch, die zahlreichen inspirierenden Gespräche, wertvollen Ratschläge
und Anregungen sowie für seine Rücksichtnahme und endlose Geduld danken. Bedanken
möchte ich mich bei ihm auch für die Anbahnung des Projektes „Korruption, Compliance und
angewandte Versorgungsforschung im österreichischen Gesundheitssystem“, in das meine
Dissertation eingebunden war und wodurch ich vom Wissen und den wertvollen
Informationen meiner zahlreichen Projekt- und Kooperationspartner profitieren durfte. Ein
herzlicher Dank gebührt auch Frau Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild für ihre freundliche Bereitschaft
zur Übernahme und Erstellung des Zweitgutachtens. Vielmals bedanken möchte ich mich auch
bei Dr. Thomas Fenzl, der mir in methodischer Hinsicht mehrmals beratend und unterstützend
zur Seite stand.
Ein herzliches Dankeschön gebührt auch meinen (ehemaligen) Kollegen und Freunden in der
PFO-Abteilung, in erster Linie Senka Omerhodzić, Monika Jaritz und Melanie Holz, für die gute
Zusammenarbeit, aber vor allem für ihre „moralische“ Unterstützung während meiner von
Höhen und Tiefen geprägten Promotionszeit. Niemals vergessen werde ich ihre Hilfsbereit-
V
schaft, ihr offenes Ohr und die vielen heiteren Mittags- und Kaffeepausen, wodurch ich diese
bewegende Zeit in schöner Erinnerung behalten werde. Bedanken möchte ich mich auch bei
meiner geschätzten Kollegin Anastasiya Lychak, die mich bei der Literaturrecherche sehr
unterstützt hat. Ein großer Dank richtet sich auch an meinen neuen Abteilungsleiter,
Dr. Heiko Breitsohl, der mir den notwendigen Freiraum in der entscheidenden Endphase
meiner Dissertation gewährt hat. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei allen
teilnehmenden Interviewpartnern bedanken, ohne deren Gesprächsbereitschaft und
Engagement diese Arbeit niemals zustande gekommen wäre. Danke sagen möchte ich auch
meiner Lektorin, Fr. Mag. Heike Lang, und ihrem Team für die überaus schnelle, sorgfältige
Durchsicht meiner Arbeit.
Sehr dankbar bin ich auch allen meinen Freunden und Bekannten für ihr Verständnis bei länger
andauernden „Kontaktpausen“ und Besuchsabsagen, aber auch für ihren motivierenden
Beistand und die gelegentlich willkommene Ablenkung. Es sei mir bitte verziehen, dass ich
nicht alle an dieser Stelle namentlich nennen kann.
Zu guter Letzt gilt mein größter Dank meiner geliebten Familie, allen voran meiner Mutter,
Emilia Franczukowska, meinem Vater, Ireneusz Franczukowski, und meinen beiden
Schwestern, Agnes Binder und Angelika Franczukowska. Durch ihre bedingungslose Liebe,
ihren steten Rückhalt, ihren motivierenden Zuspruch und ihre endlose Geduld haben sie im
wesentlichen Maß dazu beigetragen, dass ich mein Dissertationsvorhaben zum erfolgreichen
Abschluss gebracht und nicht zu Grabe getragen habe. Zutiefst dankbar bin ich auch meinem
langjährigen Lebensgefährten, Kenan Karajko, der in dieser herausfordernden Phase meines
Lebens immer für mich da war und mir mit seiner optimistischen Lebenshaltung sehr viel Kraft
und Trost gespendet hat. Zudem hat er mich auch in fachlicher Hinsicht, beispielsweise bei
der Erstellung zahlreicher Abbildungen und Tabellen, tatkräftig unterstützt. Ich danke meiner
Familie und meinem Lebensgefährten, dass sie nie den Glauben an mich verloren haben. Ihnen
möchte ich diese Arbeit widmen.
Klagenfurt, im August 2017
Arleta Franczukowska
VI
Abstract
Hintergrund
Mehrere Studien bestätigen, dass Korruption im Gesundheitssystem die Effektivität und
Effizienz von Gesundheitsleistungen reduziert. Aufgrund dessen rückte die
Korruptionsbekämpfung in den letzten zehn bis 15 Jahren auf die gesundheitspolitische
Agenda zahlreicher Nationen. Im Gegensatz zum internationalen Forschungsstand liegen auf
nationaler Ebene kaum empirische Studien im Hinblick auf die Korruptionsthematik im
Gesundheitssystem vor. Dies stellt allerdings eine notwendige Voraussetzung für die
(Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die
Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung auf nationaler Ebene dar. Die
vorliegende Untersuchung zielte daher vorrangig darauf ab, neue bzw. vertiefende empirische
Erkenntnisse hinsichtlich der Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von
Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene) des
österreichischen Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang gesetzten
Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen
Korruptionsprävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen abzuleiten. Ferner
wurde der Korruptionsbegriff auf Verständnis, Klarheit und Mehrdeutigkeit näher analysiert
und eine nationale Korruptionsdefinition im Kontext des Gesundheitssystems abgeleitet.
Ebenso konnten zukünftige Forschungslücken und -felder aufgezeigt werden.
Methodik
Die Forschungsmethodik basiert zum einen auf einer intensiven Literaturrecherche und
-analyse zur Erfassung der IST-Situation und des aktuellen Standes der Korruptionsforschung
auf internationaler und nationaler Ebene – mit besonderem Fokus auf das Gesundheits-
system. Zum anderen wurde eine explorative qualitative Studie durchgeführt, die sich auf die
Erhebung und Auswertung von Interviews (n=18) mit ausgewählten Gesundheits- und
Antikorruptionsexperten aus dem österreichischen Gesundheitssystem stützte. Den
Experteninterviews lag ein halbstrukturierter Interviewleitfaden zugrunde, ihre Auswertung
erfolgte mittels computerunterstützter qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring. Ausgehend
von den Forschungsergebnissen wurden mehrere Hypothesen, die es zukünftig empirisch
(quantitativ) zu überprüfen gilt, abgeleitet.
VII
Ergebnisse/Schlussfolgerungen
Insgesamt wurden acht Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheits-
system identifiziert. Die höchste Korruptionsanfälligkeit wurde in der Zusammenarbeit der
(Pharma-)Industrie mit Health Professionals geortet (Einflussnahme auf Forschung,
Weiterbildung und Verschreibungspraxis von Medizinern). Eine besonders hohe Korruptions-
anfälligkeit wurde auch in der Vergabe von Terminen für elektive Operationen und
diagnostische Tests (Umgehung von Wartelisten), in der öffentlichen Beschaffung, in
(höherrangigen) Beziehungsverflechtungen und daraus resultierenden Interessenkonflikten
(Favoritismus, Drehtürkorruption u.a.), in der Überversorgung sowie in der Leistungs-
abrechnung (vor allem „Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssig erbrachter
Leistungen) geortet. Zudem konnten mehrere Ursachen (fehlgeleitete finanzielle
Anreizmechanismen, mangelndes Unrechts- und Problembewusstsein, mangelnde Kontroll-
und Sanktionsmechanismen, Intransparenz, Regelungslücken, schlechte Qualität des Aus- und
Fortbildungssystems u.a.) und Auswirkungen (Kostenanstieg, gesundheitliche/finanzielle
Schädigung der Patienten, Zwei-/Mehrklassenmedizin u.a.) für die identifizierten Korruptions-
phänomene auf nationaler Ebene aufgezeigt werden. Im Speziellen wurden ausgewählte
Erscheinungsformen von Korruption (Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health
Professionals, Umgehung von Wartelisten u.a.) auf ihre potenziellen ebenenübergreifenden
Ursachen-Wirkungszusammenhänge näher analysiert und der zukünftige Handlungsbedarf
ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen
abgeleitet. Zwar werden laut Expertenansicht ein erhöhtes Problembewusstsein und ein
allmählicher Rückgang von Korruption im nationalen Gesundheitssystem dank bislang
gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen wahrgenommen, allerdings wurde gleichzeitig auf
immer noch bestehende „Schlupflöcher“ und neu erkannte Korruptionsphänomene (z.B.
Überversorgung, „Upcoding“), bei denen es noch massiv an Transparenz und Problembe-
wusstsein in der öffentlichen Diskussion mangelt, hingewiesen. Demnach liegt der zukünftige
Handlungsbedarf vor allem in der vermehrten Aufklärung und Bewusstseinsschaffung
gegenüber der Korruptionsthematik und weiters in der Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller
Anreizmechanismen, in der vermehrten Transparenzschaffung und der Verschärfung
bisheriger Kontroll- und Sanktionsmechanismen sowie in der Schließung von Regelungslücken.
Ein weiterer Stellhebel zur Korruptionsbekämpfung wurde in der Forcierung der Gesundheits-
kompetenz der Bevölkerung und der wissenschaftlichen Kompetenz von Medizinern geortet.
VIII
Inhaltsverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung .............................................................................................................. II
Gender-Erklärung ........................................................................................................................ III
Vorwort ...................................................................................................................................... IV
Abstract ...................................................................................................................................... VI
Abbildungsverzeichnis .................................................................................................................. X
Tabellenverzeichnis ..................................................................................................................... XI
Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................... XII
1 Einleitung ............................................................................................................................. 1
1.1 Problemstellung und Identifikation des Forschungsbedarfs ................................................... 2
1.2 Zielsetzungen und Fragestellungen ......................................................................................... 4
1.3 Methodisches Vorgehen ......................................................................................................... 6
1.4 Aufbau der Arbeit .................................................................................................................... 8
2 Korruption .......................................................................................................................... 13
2.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung .................................................................................. 13
2.2 Ausmaß von Korruption ........................................................................................................ 15
2.3 Formen und Typologien von Korruption ............................................................................... 17
2.4 Wissenschaftliche Erklärungsansätze .................................................................................... 22
2.5 Ursachen von Korruption ...................................................................................................... 32
2.6 Auswirkungen von Korruption .............................................................................................. 36
2.7 Antikorruptionsmaßnahmen ................................................................................................. 38
2.8 Messung von Korruption ....................................................................................................... 42
2.9 Zukünftiger Forschungsbedarf .............................................................................................. 53
2.10 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 3 ................................................................ 55
3 Korruption im Gesundheitssystem ....................................................................................... 58
3.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung .................................................................................. 58
3.2 Ausmaß von Korruption ........................................................................................................ 60
3.3 Erscheinungsformen von Korruption .................................................................................... 61
3.4 Auswirkungen von Korruption .............................................................................................. 76
3.5 Ursachen von Korruption ...................................................................................................... 79
3.6 Antikorruptionsmaßnahmen ................................................................................................. 83
3.7 Messung von Korruption ....................................................................................................... 91
3.8 Zukünftiger Forschungsbedarf .............................................................................................. 97
3.9 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 4 ................................................................ 99
IX
4 Korruption im österreichischen Gesundheitssystem ............................................................ 102
4.1 Nationales Gesundheitssystem ........................................................................................... 102
4.1.1 Organisation, Steuerung und Finanzierung ................................................................. 103
4.1.2 Ebenenübergreifende Systemsteuerung ..................................................................... 106
4.1.3 Zentrale Kennzahlen .................................................................................................... 107
4.1.4 Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf .................................................... 109
4.2 Korruption ........................................................................................................................... 112
4.2.1 Rechtlicher Hintergrund .............................................................................................. 114
4.2.2 Bisherige Antikorruptionsmaßnahmen ....................................................................... 130
4.2.3 Nationaler Forschungsstand ........................................................................................ 142
4.2.4 Zukünftiger Forschungsbedarf .................................................................................... 145
4.3 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 5 .............................................................. 146
5 Empirische Untersuchung ................................................................................................... 147
5.1 Forschungsziel ..................................................................................................................... 147
5.2 Forschungsfragen ................................................................................................................ 148
5.3 Forschungsdesign ................................................................................................................ 149
5.4 Datenerhebung.................................................................................................................... 151
5.4.1 Erhebungsmethodik .................................................................................................... 151
5.4.2 Stichprobe ................................................................................................................... 155
5.4.3 Erhebungsprozess ........................................................................................................ 157
5.5 Datenaufbereitung .............................................................................................................. 158
5.6 Datenauswertung ................................................................................................................ 158
5.6.1 Auswertungsmethodik ................................................................................................ 158
5.6.2 Auswertungsprozess .................................................................................................... 159
5.7 Forschungsergebnisse ......................................................................................................... 164
5.7.1 Definition von Korruption ............................................................................................ 164
5.7.2 Ausmaß von Korruption .............................................................................................. 168
5.7.3 Erscheinungsformen von Korruption .......................................................................... 170
5.7.4 Ursachen von Korruption ............................................................................................ 210
5.7.5 Auswirkungen von Korruption .................................................................................... 244
5.7.6 Zukünftiger Handlungsbedarf ...................................................................................... 256
5.7.7 Zukünftiger Forschungsbedarf .................................................................................... 276
5.7.8 Ebenenübergreifende Untersuchung ausgewählter Studienergebnisse .................... 286
5.8 Zusammenfassung der Ergebnisse ...................................................................................... 300
5.9 Diskussion der Ergebnisse ................................................................................................... 312
5.9.1 Wissenschaftliche und praktische Relevanz ................................................................ 314
5.9.2 Methodische Reflexion/Gütekriterien ........................................................................ 316
5.9.3 Limitationen................................................................................................................. 319
6 Zusammenfassung und Ausblick ......................................................................................... 320
Literaturverzeichnis ................................................................................................................... 329
X
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Methodischer Zugang der Arbeit ...................................................................................... 7
Abbildung 2: Übersicht Kapitel 1 bis 6 der Arbeit ................................................................................. 12
Abbildung 3: Manifestierung von Korruption im Gesundheitssystem ................................................. 62
Abbildung 4: Theoretischer Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem..... 83
Abbildung 5: Theoretischer Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem ...... 90
Abbildung 6: Korruptionsbekämpfung im österreichischen Gesundheitssystem .............................. 142
Abbildung 7: Forschungsdesign .......................................................................................................... 150
Abbildung 8: Auswertungsprozess ...................................................................................................... 160
XI
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Wissenschaftliche Fragestellungen ........................................................................................ 5
Tabelle 2: Formen und Typologien von Korruption .............................................................................. 17
Tabelle 3: Wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption ......................................................... 22
Tabelle 4: Methoden zur Messung von Korruption .............................................................................. 43
Tabelle 5: Erscheinungsformen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem ............... 78
Tabelle 6: Instrumente zur Messung und Identifikation von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem .............................................................................................................. 96
Tabelle 7: Ebenenübergreifende Systemsteuerung ............................................................................ 106
Tabelle 8: Rechtslage in Österreich ..................................................................................................... 115
Tabelle 9: Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen Gesundheitssystem .. 141
Tabelle 10: Wissenschaftliche Fragestellungen .................................................................................. 148
Tabelle 11: Interviewleitfaden ............................................................................................................ 154
Tabelle 12: Interviewteilnehmer ......................................................................................................... 156
Tabelle 13: Regeln für die induktive Kategorienbildung ..................................................................... 162
Tabelle 14: Kategoriensystem zur Definition von Korruption............................................................. 165
Tabelle 15: Kategoriensystem zum Ausmaß von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................................................... 168
Tabelle 16: Kategoriensystem zu den Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 171
Tabelle 17: Kategoriensystem zu den Ursachen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 211
Tabelle 18: Kategoriensystem zu der Hauptursache von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 243
Tabelle 19: Kategoriensystem zu den Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 245
Tabelle 20: Kategoriensystem zum zukünftigen Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem ............................................................................... 257
Tabelle 21: Kategoriensystem zum zukünftigen Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem ....................................... 277
Tabelle 22: Bezugsrahmen zur ebenenübergreifenden Untersuchung ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption ............................................................................... 286
Tabelle 23: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner) ................................................................................................. 287
Tabelle 24: Ebenenübergreifende Untersuchung – Umgehung von Wartelisten............................... 291
Tabelle 25: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen ........................................................................................................... 294
Tabelle 26: Ebenenübergreifende Untersuchung – Überversorgung ................................................. 297
Tabelle 27: Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .............. 302
Tabelle 28: Ursachen und Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem . 306
Tabelle 29: Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 309
XII
Abkürzungsverzeichnis
AGES Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit
A-IQI Austrian Inpatient Quality Indicators
ÄK Ärztekammer
AKH Allgemeinkrankenhaus
AMG Arzneimittelgesetz
AngG Angestelltengesetz
ARGE Arbeitsgemeinschaft
Art. Artikel
ÄrzteG Ärztegesetz
ASVG Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
AUVA Allgemeine Unfallversicherungsanstalt
BAK Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung
BASG Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen
BDG Beamten-Dienstrechtsgesetz
BGA Bundesgesundheitsagentur
BGBl. Bundesgesetzblatt
BI Business International
BIA Büro für Interne Angelegenheiten
BIQG Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen
BMASK Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
BMF Bundesministerium für Finanzen
BMGF Bundesministerium für Gesundheit und Frauen
BVA Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter
BVerG Bundesvergabegesetz
B-VG Bundesverfassungsgesetz
COI Conflict of Interest
CT Computertomografie
DFID Department for International Development
EACN European contact-point network against corruption
EFPIA European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations
EHFCN European Healthcare Fraud and Corruption Network
EMA European Medical Agency
EPAC European Partners against Corruption
EU Europäische Union
EUCOMED European Confederation of Medical Suppliers Associations
EUROPOL European Union Agency for Law Enforcement Cooperation
FCPA Foreign Corrupt Practices Act
FinStrG Finanzstrafgesetz
GGM Good Governance for Medicines programme
GKK Gebietskrankenkasse
GÖG Gesundheit Österreich GmbH
GRECO Group d'États contre la corruption/Group of States against Corruption
HKS Hannoversche Korruptionsskala
HTA Health Technology Assessment
IACA International Anti-Corruption Academy
IBES Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbstbeschreibungen
XIII
ICRG International Country Risk Guide
IHS Institut für Höhere Studien
IMD Institute for Management Development
INTERPOL International Police Organization
IWF Internationaler Währungsfond
JKU Johannes Kepler Universität
KAKuG Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz
LBI-HTA Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment
LKF Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung
LobbyG Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz
LSE London School of Economics and Political Science
MeTA Medical Transparency Alliance
MEZIS „Mein Essen zahl ich selbst“, eine Initiative unbestechlicher Ärzte
MPG Medizinproduktegesetz
MRT Magnetresonanztomografie
NHS National Health Service
NIS Nicht-interventionelle Studie
ÖÄK Österreichische Ärztekammer
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
OLAF Office européenne de lutte antifraude/European Anti-Fraud Office
OÖGKK Oberösterreichische Gebietskrankenkasse
ÖQMed Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement
in der Medizin GmbH
ORF Österreichischer Rundfunk
OSR Oberster Sanitätsrat
PEFA Public Expenditure and Financial Accountability indicators
PETS, PERs Public Expenditure Tracking Surveys, Public Expenditure Reviews
PHARMIG Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs
PIA Persönlichkeitsinventar zur Integritätsabschätzung
PRIKRAF Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfond
PVA Pensionsversicherungsanstalt
RLVPK Richtlinien für die Kontrolle im Vertragspartnerbereich
SBBG Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz
SHG Selbsthilfegruppe
StGB Strafgesetzbuch
SVB Sozialversicherungsanstalt der Bauern
TI Transparency International
TI-AC Transparency International – Austrian Chapter
UN United Nations
UNCAC United Nations Convention against Corruption
UNDP United Nations Development Programme
VAEB Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau
VAN Versicherungsanstalt des österreichischen Notariates
VBG Vertragsbedienstetengesetz
VKI Verein für Konsumenteninformation
WEF Weltwirtschaftsforum
WGKK Wiener Gebietskrankenkasse
WHO Weltgesundheitsorganisation
WKStA Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft
1
1 Einleitung
„Monetik statt Ethik im Gesundheitssystem?“ (Guido Offermanns)
Korruption stellt ein uraltes, komplexes, weltweit verbreitetes Phänomen dar (Shleifer &
Vishny 1993, S. 599; Myint 2000, S. 33), welches nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern
auch in das Gesundheitssystem Eingang findet. Dies bekräftigen nicht zuletzt jüngste
Erhebungen auf europäischer und internationaler Ebene (Europäische Kommission 2013;
Hardoon & Heinrich 2013; Europäische Kommission 2014; Pring 2016). Mehr noch: Laut den
Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers von 2013 und des Global Corruption
Barometers von 2016 weist das Gesundheitssystem im Vergleich zu anderen Bereichen
(z.B. Polizei- und Zollwesen) sogar die höchste Bestechungsrate auf europäischer Ebene auf
(Europäische Kommission 2014, S. 8.; Pring 2016, S. 19). Auch weltweit wird der Gesundheits-
sektor (Pharma- und Medizinprodukteindustrie) neben der Rüstungs-, Erdöl- und Bauindustrie
zu den besonders korruptionsanfälligen Branchen gezählt (Rupp 2006, S. 3; Haardoon &
Heinrich 2011, S. 15).
Obwohl das österreichische Gesundheitssystem im europäischen Vergleich im Hinblick auf
Chancengerechtigkeit, Zugang und Leistungsangebot positiv abschneidet (Bachner et al. 2015,
S. 123), ist es vor Korruption und Missbrauch auch nicht gefeit. Dies geht nicht nur aus
zahlreichen Medienberichten (Amara 2013; Gebhard 2013; APA 2016; Gartlehner 2016; APA
2017a) und etwaigen Skandal- und Enthüllungsbüchern (Weiss 2008; Aboulenein 2016) auf
nationaler Ebene hervor, sondern auch aus jüngst vorliegenden Befragungsergebnissen des
Special Eurobarometers aus dem Jahr 2013 – wenngleich der Gesundheitssektor in Österreich
im EU-Durchschnitt als vergleichsweise wenig korrupt angesehen wird (AT: 15 %; EU: 33 %)
(Europäische Kommission 2014, S. T18). Dennoch ist die Relevanz der Thematik in
ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht erheblich (Rupp 2011, S. 86). Laut Schätzungen
internationaler Experten gehen zwischen 3 % und 10 % (im Durchschnitt 5 % bis 6 %) der
Gesundheitsbudgets durch Korruption verloren (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee &
Button 2015, S. 12; LSE 2017a, S. 557). Auf die aktuellen österreichischen Gesundheits-
ausgaben laut Statistik Austria (Statistik Austria 2017) umgelegt, ergäbe dies einen jährlichen
2
Schaden zwischen 1 und 3,7 Mrd. Euro. Angesichts des zunehmenden Finanzierungs- und
Sparsamkeitsdrucks, der aktuell auf vielen Staaten – einschließlich Österreich – im Kontext des
demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts lastet, stellen solche
„Ineffizienzen“ ein durchaus ernstzunehmendes Problem dar. Denn neben dem durch
Korruption verursachten monetären Schaden rückt vor allem der nicht-monetäre, im Sinne
der daraus resultierenden mangelnden Gesundheitsversorgung, in den Vordergrund (Rupp
2006, S. 2; Vian 2008, S. 83ff.; WHO 2010a; European Commission 2013, S. 29). So ergeben
sich in diesem Themenfeld auch zahlreiche Schnittstellen im Kontext der Priorisierung (vor
allem Rangreihenbildung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsoptionen),
Rationalisierung (Verbesserung der Effizienz des Ressourceneinsatzes) und Rationierung
(Begrenzung in der Leistungserbringung entsprechend dem Finanzierungspotenzial) von
Gesundheitsleistungen. Schließlich geht es darum, mit den begrenzten Ressourcen eine
optimale medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (Offermanns 2011, S.
34ff.). Nicht zu vergessen sind auch die ethischen Aspekte, welche die Grundfesten des
Gesundheitssystems adressieren: Wertediskussion, solidarisches Gesundheitssystem, soziale
Ungleichheit etc. Damit einher geht die öffentlich lang und kontrovers geführte Debatte um
die Zwei-/Mehrklassenmedizin.
1.1 Problemstellung und Identifikation des Forschungsbedarfs
Angesichts der großen Tragweite des Problems und darin verborgener beträchtlicher
Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenziale wurde die Bekämpfung von Korruption in den
letzten zehn bis 15 Jahren zunehmend auf die gesundheitspolitische Agenda zahlreicher
Nationen gesetzt. In Österreich wurden wichtige Aktivitäten in diese Richtung vor allem
seitens des österreichischen Vereins zur Korruptionsbekämpfung Transparency International
– Austrian Chapter angeregt, die nicht zuletzt zu einer allmählichen öffentlichen
Bewusstseinsschaffung im Hinblick auf die Thematik beigetragen haben. So kam es u.a. zur
Verschärfung des rechtlichen Rahmens (Korruptionsstrafrecht u.a.), zur Errichtung der
Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einschließlich ihres anonymen
Hinweisgebersystems („Whistleblower-Homepage“) sowie zur Einführung und Forcierung von
Verhaltens- und Ethikkodizes und sogenannter Compliance-Management-Systeme in
zahlreichen Organisationen. Trotz aller Antikorruptionsbemühungen in den letzten Jahren, auf
3
die im Rahmen der vorliegenden Dissertation noch näher eingegangen wird, wird der
Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem noch vergleichsweise zu wenig
Aufmerksamkeit geschenkt. Dies lässt sich nicht zuletzt an der spärlichen Anzahl bislang
vorliegender empirischer Studien – einer notwendigen Voraussetzung für die (Weiter-)
Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die Optimierung der
öffentlichen Gesundheitsversorgung – erkennen (TI-AC 2010, S. 5; Sickinger 2011, S. 194;
Gruber et al. 2013, S. 131). Während auf internationaler Ebene bereits mehrere Publikationen
aus den letzten zehn bis 15 Jahren – insbesondere zu den Ursachen, Erscheinungsformen und
Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem samt Empfehlungen zu ihrer wirksamen
Bekämpfung (Ensor 2004; TI 2006; Vian 2008; Barr et al. 2009; Kohler et al. 2011; Bussmann
2012; Europäische Kommission 2013; Nikoloski & Mossialos 2013) – vorliegen, besteht auf
nationaler Ebene noch erheblicher Forschungsbedarf. Dies ist nicht zuletzt auf die langjährige
Tabuisierung der Thematik zurückzuführen (TI-AC 2010, S. 5; Gruber et al. 2013, S. 131).
Insbesondere fehlt es bislang an empirisch fundiertem Grundlagenwissen zu dem Ausmaß,
den spezifischen Erscheinungsformen (Problemfeldern), Ursachen und Auswirkungen von
Korruption im nationalen Gesundheitssystem (Rupp 2006, S. 2ff.; Rupp 2011, S. 91ff.; Gruber
et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 574). Eine umfassende, systemimmanente Auseinander-
setzung mit der Korruptionsthematik, welche über die Grenzen der einzelnen Organisationen
hinausgeht, ist ebenso ausständig (Rupp 2006, S. 2). Zudem bedarf es zukünftig der
vermehrten Überprüfung bisheriger und neuer institutioneller Rahmenbedingungen,
Strukturen und Abgeltungssysteme hinsichtlich ihrer Anreizwirkungen und Schwachstellen,
um zu einem größeren Verständnis der Korruptionsmechanismen und -dynamiken
beizutragen (Rupp 2010, S. 5). Solche ausstehenden Informationen sind insofern wichtig, als
sie die erforderliche Grundlage zur Ableitung effektiver und effizienter
Antikorruptionsmaßnahmen darstellen. Weiters bleibt auch die Frage im Hinblick auf die
Effektivität und Effizienz bislang gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen und -bemühungen
bisweilen ungeklärt (Gruber et al. 2013, S. 131). Zu dieser Thematik liegen selbst auf
internationaler Ebene kaum verlässliche Informationen/Evaluationen oder wissenschaftliche
Ergebnisse vor (Vian 2008, S. 91; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19). Weiterer
Forschungsbedarf besteht ferner im Hinblick auf die Frage, inwieweit die zunehmende
Feminisierung, Alterung und Multiethnizität Einfluss auf Werthaltungen und Normen-
Compliance von Entscheidungsträgern nehmen (Rupp 2010, S. 5). Angemerkt sei, dass es
4
derzeit österreichweit noch keine professionelle bzw. universitäre Einrichtung gibt, die sich
ausschließlich der Korruptionsforschung im Gesundheitssystem und der damit verbundenen
Aus- und Weiterbildung widmet. Nicht zuletzt kann der mangelnde Grundlagen- und
Forschungsstand auch darauf zurückgeführt werden (Rupp 2011, S. 91f.).
In Anbetracht des erheblichen nationalen Forschungsbedarfes als notwendige Voraussetzung
für die zukünftige (Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Maßnahmen zur
Eindämmung von Korruption im nationalen Gesundheitssystem und der Freisetzung darin
verborgener Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenziale erscheint es umso wichtiger und
dringender, sich mit diesem gesundheitsökonomisch und gesellschaftlich hoch relevanten
Thema auf nationaler Ebene intensiver auseinanderzusetzen.
1.2 Zielsetzungen und Fragestellungen
Die vorliegende Dissertation zielt primär darauf ab, neue bzw. vertiefende empirische
Erkenntnisse hinsichtlich der Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von
Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene) des
österreichischen Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang gesetzten
Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen
Korruptionsprävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen aufzudecken. Im
Speziellen gilt es, ausgewählte Erscheinungsformen von Korruption im Rahmen einer
ebenenübergreifenden Untersuchung näher zu analysieren. Hierbei werden die spezifischen
Ursachen und Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der
Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen Gesundheitssystems auf ihre
potenziellen Wechselwirkungen beleuchtet und ausgehend von den bislang gesetzten
Antikorruptionsmaßnahmen der konkrete zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen
Ebenen abgeleitet. Demnach verfolgt die vorliegende Arbeit vor allem einen
systemorientierten Ansatz, wobei die Ableitung und ebenenorientierte Systematisierung
konkreter Empfehlungen und Maßnahmen zur nachhaltigen Korruptionseindämmung im
nationalen Gesundheitssystem im Vordergrund stehen. Ferner soll im Rahmen der
vorliegenden Arbeit der Korruptionsbegriff auf Verständnis, Klarheit und Mehrdeutigkeit
näher analysiert und davon ausgehend eine nationale Korruptionsdefinition im Kontext des
5
Gesundheitssystems abgeleitet werden. Letztlich zielt die Arbeit auch darauf ab, weitere
potenzielle Forschungslücken und -felder im Hinblick auf den vorliegenden
Untersuchungsgegenstand aufzuzeigen. Auf Basis der eruierten Forschungsergebnisse sollen
schließlich Thesen abgeleitet werden, die es zukünftig – sofern möglich – empirisch
(quantitativ) zu überprüfen gilt.
Aus dem dargelegten Erkenntnisinteresse der vorliegenden Dissertation bzw. deren
Zielsetzungen lassen sich mehrere, nachstehend aufgelistete wissenschaftliche
Fragestellungen (Tabelle 1) ableiten, die es im Rahmen dieser Arbeit zu beantworten gilt.
Wissenschaftliche Fragestellungen
F1. Wie wird der Begriff Korruption im Kontext des Gesundheitssystems auf nationaler Ebene definiert?
F2. In welcher Form findet Korruption in das nationale Gesundheitssystem Eingang?
F3. Welche Ursachen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?
F4. Welche Auswirkungen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?
F5. Welcher zukünftige Handlungsbedarf kann ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen für eine nachhaltige Korruptionsprävention und -eindämmung auf den einzelnen Systemebenen abgeleitet werden?
F6. Wie sieht der zukünftige Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem aus?
F7. Wie sehen die spezifischen potenziellen ebenenübergreifenden Ursachen-Wirkungszusammenhänge ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption aus und welcher konkrete zukünftige Handlungsbedarf lässt sich ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen ableiten?
Tabelle 1: Wissenschaftliche Fragestellungen
Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer interdisziplinären Betrachtung durch Rekurs
auf ökonomische, soziologische, psychologische und öffentlich-rechtliche Ansätze der
Korruptionsforschung – eingebettet in den Kontext der Public Health und Gesundheits-
systemforschung. Sie thematisiert demnach ein interdisziplinäres Forschungsfeld und kann
folglich mehreren wissenschaftlichen Disziplinen zugeordnet werden; primär aber den
6
Gesundheitswissenschaften, der Betriebswirtschaftslehre, der Soziologie und der Psychologie.
Die aus dieser Dissertation gewonnenen Erkenntnisse sollen nicht nur einen wichtigen Beitrag
zur nationalen Korruptionsforschung im Gesundheitssystem leisten, sondern darüber hinaus
nationalen und internationalen Korruptionsforschern, Politikern und Akteuren des
Gesundheitssystems neue Impulse bzw. Ansatzpunkte für die zukünftige Entwicklung
effektiver und effizienter Maßnahmen zur nachhaltigen Korruptionsprävention und
-bekämpfung sowie zur Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung liefern. Die
Eindämmung von Korruption kann letztlich einen wichtigen Stellhebel zur Effektivitäts- und
Effizienzsteigerung bzw. einer verbesserten Prozess- und Ressourcensteuerung im nationalen
Gesundheitssystem darstellen. Schließlich sollen auch künftige Generationen in Österreich
von einem öffentlichen, solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, welches sich in erster
Linie durch einen freien, gerechten Zugang und ein qualitativ hohes Leistungsspektrum
auszeichnet, profitieren. Demzufolge liegt die vorliegende Forschungsarbeit vor allem im
Interesse des Gesamtsystems und zielt in keinerlei Hinsicht auf die Beschreibung bestimmter
Einzelfälle zum Zwecke der Diskreditierung einzelner Berufsgruppen ab. Vielmehr steht eine
wertneutrale, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik im Vordergrund. Eine
vergleichbare empirische Untersuchung liegt österreichweit bislang nicht vor.
1.3 Methodisches Vorgehen
Die Untersuchung der wissenschaftlichen Fragestellungen erfolgt im Rahmen einer als
Monografie verfassten Dissertation, die sich in einen theoretischen und einen empirischen
Teil gliedert (vgl. Abbildung 1). Der theoretische Teil der Arbeit zielt auf die Erfassung der IST-
Situation und des aktuellen Standes der Korruptionsforschung auf internationaler und
nationaler Ebene – mit besonderer Schwerpunktsetzung auf das Gesundheitssystem – ab. Die
theoretische Aufarbeitung stellt eine notwendige Voraussetzung für das (Folge-)Verständnis
(mit Blick auf zentrale Begrifflichkeiten, wissenschaftliche Erklärungsansätze, spezifische
Messinstrumente, internationale und nationale rechtliche Lage etc.) im weiteren Verlauf der
Arbeit dar und dient letztlich als wichtige Ausgangsbasis für die anschließende empirische
Untersuchung, die auf die Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen mit Blick auf
das zugrundeliegende Erkenntnisinteresse abzielt.
7
Abbildung 1: Methodischer Zugang der Arbeit
1. Theoretischer Teil
Startpunkt der vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchung bildete eine intensive
Literaturrecherche und -analyse zur Erhebung der internationalen und nationalen IST-
Situation und des aktuellen Standes der Korruptionsforschung mit besonderem Fokus auf das
Gesundheitssystem. Für eine möglichst vollständige Erfassung der relevanten Literatur bezog
die Recherche alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen wie (Online-)
Bibliothekskataloge, Datenbanken (Web of Science, JSTOR, Emerald, EconPapers, Genios,
ScienceDirect, Wiso, SpringerLink u.a.), Lexika, Zeitschriften, Zeitungen und Internet-
Suchmaschinen ein. Die Suchbegriffeingabe erfolgte zweisprachig (Deutsch und Englisch)
anhand folgender Schlagwörter, die bewusst miteinander kombiniert wurden, um eine höhere
Trefferquote zu erzielen: „Korruption“, „Gesundheitswesen“, „Betrug“, „Bestechung“, „Ethik“,
„Interessenkonflikte“, „Missbrauch“, „Verschwendung“, „missbräuchliches Verhalten“,
„Inoffizielle Zahlungen“, „Fehlverhalten“, „Kuvertmedizin“, „Compliance“, „Pharmaindustrie“,
„Health Professionals“, „Chefarzteinschub“, „Korrupte Medizin“, „Zweiklassenmedizin“,
„Mehrklassenmedizin“, „Lobbyismus“, „Tarnen“, „Täuschen“ u.a. Anschließend erfolgte die
Sichtung und systematische Analyse des zusammengetragenen Materials. Dieses umfasste am
Ende zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, Überblicksartikel, Tagungsberichte,
Statistiken, Artikel aus Fach- und Tagespresse, Sonderdrucke und Monografien. Allerdings
stammt der überwiegende Teil des recherchierten und gesichteten Schrifttums nicht aus
Österreich, was nur den erheblichen nationalen Forschungsbedarf auf diesem Themengebiet
bestätigt. Zur Aufarbeitung der notwendigen juristischen Komponente war eine intensive
KORRUPTION IM ÖSTERREICHISCHEN GESUNDHEITSSYSTEM
1. THEORETISCHER TEIL
Erhebung Ist-Situation und aktueller Forschungsstand auf
internationaler/nationaler Ebene
2. EMPIRISCHER TEIL
Explorative qualitative Studie
8
Auseinandersetzung mit der aktuellen korruptionsrelevanten rechtlichen Lage auf
internationaler und nationaler Ebene erforderlich.
2. Empirischer Teil
Ausgehend von der umfassenden Literaturrecherche und -analyse erfolgte die empirische
Untersuchung zur Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen und Schließung
identifizierter Forschungslücken. Konkret handelt es sich hierbei um eine explorative
qualitative Studie, die sich auf die Durchführung und Auswertung von Experteninterviews
(n = 18) mit ausgewählten Gesundheits- und Antikorruptionsexperten aus dem
österreichischen Gesundheitssystem stützte (darunter u.a. Vertreter von Transparency
International, der Gebietskrankenkassen, des Krankenanstaltenwesens sowie der ärztlichen
Selbstverwaltung (Ärztekammer), Gesundheitspolitiker, aktiv tätige Health Professionals
(Mediziner), Gesundheitsökonomen, Patientenanwälte, Pharmazeuten und Gesundheits-
journalisten). Den Experteninterviews lag ein halbstrukturierter Interviewleitfaden zugrunde,
ihre Auswertung erfolgte mittels computerunterstützter qualitativer Inhaltsanalyse nach
Mayring. Die Studie basierte auf einem Querschnittsdesign bzw. beinhaltete nur eine
Erhebungsphase. Die Interviewerhebung erstreckte sich über einen Zeitraum von ca. elf
Monaten (Oktober 2015 bis September 2016).
1.4 Aufbau der Arbeit
Analog zur methodischen Vorgehensweise gliedert sich der strukturelle Aufbau der
vorliegenden Arbeit in einen theoretischen Teil (Kapitel 2 bis 4) und einen empirischen Teil
(Kapitel 5), durch die sich ein klar erkennbarer roter Faden durchzieht. Nach dem einleitenden
ersten Kapitel folgt im zweiten Kapitel ein prägnanter Überblick über die aktuelle IST-
Situation und den Forschungsstand zu Korruption auf internationaler Ebene. Dies schließt eine
ausführliche Begriffsklärung und -abgrenzung, die Darstellung der potenziellen Verbreitung
von Korruption sowie die Veranschaulichung ihrer gängigen Formen und Typologien ein. Im
Fokus steht vor allem die Aufarbeitung wissenschaftlicher Erklärungsansätze dieses
Phänomens, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit – vor allem im Rahmen der empirischen
Untersuchung – mehrmals zurückgegriffen wird. Weiters werden (überwiegend empirisch
belegte) Ursachen und Auswirkungen von Korruption näher beleuchtet, um die Relevanz der
9
Thematik – vor allem in ökonomischer, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht – zu
verdeutlichen. Anschließend wird auf bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen auf
internationaler Ebene, die größtenteils aus den dargelegten Ursachen ableitbar sind, näher
eingegangen. Fokussiert werden vor allem internationale Antikorruptions-Übereinkommen
(der UN, OECD etc.). Die dargelegten Gegenmaßnahmen stellen schließlich eine wichtige
Ausgangsbasis für die Generierung und Ableitung von Maßnahmen zur Bekämpfung von
Korruption im Gesundheitssystem auf internationaler und nationaler Ebene dar. Einen ebenso
wichtigen Kern des zweiten Kapitels bildet die Erhebung wichtiger Messinstrumente von
Korruption, auf deren Basis schließlich die Auswahl und Begründung der Erhebungsmethodik
der vorliegenden Arbeit erfolgt. Abschließend werden bestehende Forschungslücken auf
internationaler Ebene aufgezeigt, die größtenteils auch auf die Erforschung von Korruption im
Gesundheitssystem zutreffen.
Auf Basis der erhobenen theoretischen Grundlagen zum Untersuchungsgegenstand
„Korruption“ erfolgt im dritten Kapitel eine inhaltliche Fokussierung auf den
Gesundheitssektor. Demnach zielt das dritte Kapitel auf die Erhebung der internationalen IST-
Situation und des aktuellen Forschungsstandes im Hinblick auf „Korruption im
Gesundheitssystem“ ab. In diesem Kontext gilt es, wichtige Begrifflichkeiten zu klären bzw.
voneinander abzugrenzen sowie das potenzielle Ausmaß und die spezifischen
Erscheinungsformen von Korruption im Gesundheitssystem aufzuzeigen. Weiters wird auf
spezifische (empirisch belegte) Ursachen und Auswirkungen dieses Phänomens näher
eingegangen, um die Relevanz der Thematik – vor allem in gesundheitsökonomischer und
gesellschaftlicher Hinsicht – zu verdeutlichen. Im Fokus des dritten Kapitels steht
insbesondere die Erhebung bislang gesetzter bzw. empfohlener Antikorruptionsmaßnahmen
im Gesundheitssystem, auf deren Grundlage ein theoretischer Bezugsrahmen zur
Korruptionsbekämpfung in diesem speziellen Kontext vorgestellt wird. Weiters werden auch
spezifische Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruption im
Gesundheitssystem auf internationaler Ebene sowie der zukünftige Forschungsbedarf
aufgezeigt.
10
Das vierte Kapitel widmet sich dem eigentlichen Schwerpunktthema der vorliegenden
Dissertation: „Korruption im österreichischen Gesundheitssystem“. Demnach zielt das vierte
Kapitel – ausgehend von den bisherigen theoretischen Erkenntnissen – auf die Erhebung der
nationalen Ausgangslage und des aktuellen Forschungsstandes im Hinblick auf die genannte
Thematik ab. Zunächst wird das nationale Gesundheitssystem in Bezug auf wichtige
Systemparameter (Organisation, Steuerung, Finanzierung, zentrale Kennzahlen etc.) kurz
beschrieben. Im Speziellen wird auf das Konzept der ebenenübergreifenden Systemsteuerung
bzw. auf die ebenenübergreifende Darstellung der wichtigsten Akteure und
Steuerungsmechanismen im nationalen Gesundheitssystem zurückgegriffen, welche auch im
Rahmen der Ergebnisdarstellung der empirischen Untersuchung zum Einsatz kommt.
Ausgehend vom identifizierten zukünftigen Verbesserungs- und Handlungsbedarf im
nationalen Gesundheitssystem (u.a. hohe Gesundheitsausgaben, durchschnittliche erbrachte
Leistungsergebnisse im internationalen Vergleich, Ressourcenverknappung) wird schließlich
auf die Korruptionsthematik als potenzieller Stellhebel für eine verbesserte Prozess- und
Ressourcensteuerung näher eingegangen. Dies schließt die Aufarbeitung der aktuellen,
korruptionsrelevanten rechtlichen Lage sowie die Darlegung bislang gesetzter
Antikorruptionsmaßnahmen auf nationaler Ebene ein, die letztlich in den theoretischen
Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem aus Kapitel 3 eingebettet
und grafisch veranschaulicht werden. Einen wichtigen Kern des vierten Kapitels bildet die
Erhebung des aktuellen nationalen Forschungsstandes zur diesbezüglichen Thematik und des
sich daraus erschließenden Forschungsbedarfes.
Ausgehend von den insgesamt erworbenen theoretischen Erkenntnissen und dem
identifizierten nationalen Forschungsbedarf wendet sich das fünfte Kapitel dem empirischen
Teil der Dissertation zu. Wie bereits mehrmals angemerkt wurde, zielt die empirische
Untersuchung, der ein exploratives qualitatives Forschungsdesign zugrunde liegt, auf die
Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen ab. Im Zuge dessen wird auch das
wahrgenommene Ausmaß von Korruption im nationalen Gesundheitssystem erhoben,
welches allerdings aufgrund der geringen Aussagekraft einer solchen subjektiven
Einschätzung nicht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses steht bzw. keine eigenständige
Forschungsfrage darstellt. Zur Sicherstellung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der
Studie werden eingangs das Forschungsdesign, die Datenerhebung, -aufbereitung und
11
-auswertung umfassend beschrieben und begründet. Im Fokus des fünften Kapitels steht die
Darlegung der eruierten Forschungsergebnisse einschließlich daraus abgeleiteter Thesen, die
es zukünftig empirisch (quantitativ) zu überprüfen gilt. Wie bereits angemerkt wurde, wird im
Rahmen der Ergebnisdarstellung auf das Konzept der ebenenübergreifenden
Systemsteuerung zurückgegriffen. In concreto werden die Ursachen und Auswirkungen
ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der Makro-, Meso- und Mikroebene
des nationalen Gesundheitssystems auf ihre potenziellen Wechselwirkungen hin untersucht
und ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen der zukünftige
Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen abgeleitet. Demzufolge besteht der größte
Anspruch darin, aus der empirischen Untersuchung konkrete Empfehlungen und Maßnahmen
auf den jeweiligen Systemebenen für die nachhaltige Korruptionsprävention und
-eindämmung im nationalen Gesundheitssystem abzuleiten. Es gilt, neben der
wissenschaftlichen Relevanz, vor allem die praktische Relevanz der Studie hervorzuheben.
Gleichzeitig wird auf etwaige (methodische) Einschränkungen und Limitationen der Studie
verwiesen.
Im sechsten und letzten Kapitel werden die zentralen theoretischen und empirischen
Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst. Dabei folgt ein umfassender Ausblick auf die
notwendigen zukünftigen Entwicklungen zur nachhaltigen Eindämmung von Korruption als ein
potenzieller Stellhebel zur langfristigen Effektivitäts- und Effizienzsteigerung im nationalen
Gesundheitssystem und zur Sicherstellung seiner solidarischen Finanzierung – eine
notwendige Voraussetzung für einen freien, gerechten Zugang zu einer qualitativ
hochwertigen Gesundheitsversorgung.
Nachfolgende Darstellung (Abbildung 2) liefert einen guten Überblick über die wichtigsten
Inhalte und den Aufbau der vorliegenden Arbeit.
12
Kapitel 2: IST-Situation und theoretische Grundlagen zu Korruption
Begriffsklärung und-abgrenzung
Ausmaß Formen und TypologienWissenschaftliche Erklärungsansätze
Ursachen AuswirkungenAntikorruptions-
maßnahmenMessinstrumente
Zukünftiger Forschungsbedarf
Kapitel 3: IST-Situation und theoretische Grundlagen zu Korruption im Gesundheitssystem
Begriffsklärung und -abgrenzung
Ausmaß Erscheinungsformen
Ursachen und Auswirkungen Antikorruptionsmaßnahmen Messinstrumente
Zukünftiger Forschungsbedarf
Kapitel 4: IST-Situation und theoretische Grundlagen zu Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Nationales Gesundheitssystem
Organisation, Steuerung, Finanzier.
Ebenenübergreifende Systemsteuerung
Zentrale Kennzahlen
Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf
Korruption Rechtlicher HintergrundBisherige
Antikorruptionsmaßnahmen
Zukünftiger Forschungsbedarf
Kapitel 5: Empirische Untersuchung
Nationale Korruptionsdefinition
Erscheinungsformen Ausmaß
Ursachen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene
Auswirkungen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene
Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf
Empfehlungen auf der Makroebene
Empfehlungen auf der Mikroebene
Weiterer zukünftiger Forschungsbedarf
Empfehlungen auf der Mesoebene
Kapitel 1: Einleitung
Kapitel 6: Zusammenfassung und Ausblick
Abbildung 2: Übersicht Kapitel 1 bis 6 der Arbeit
13
2 Korruption
Das folgende Kapitel liefert einen umfassenden und prägnanten Überblick über die IST-
Situation und den aktuellen Stand der Korruptionsforschung auf internationaler Ebene.
Ausgehend von einer ausführlichen Begriffsbestimmung und -abgrenzung von Korruption
(Kapitel 2.1) und ihrem potenziellen Ausmaß (Kapitel 2.2) werden ihre unterschiedlichen
Formen und Typologien (Kapitel 2.3) beleuchtet. Daraufhin werden verschiedene
wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption erläutert (Kapitel 2.4) und ausgehend
davon ihre Ursachen (Kapitel 2.5) und Auswirkungen (Kapitel 2.6) untersucht. Anschließend
werden bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen auf internationaler Ebene (Kapitel 2.7)
und bisherige Verfahren zur Messung von Korruption einschließlich ihrer methodischen
Probleme (Kapitel 2.8) diskutiert. Abschließend wird der zukünftige Forschungsbedarf
aufgezeigt (Kapitel 2.9) und die wichtigsten Erkenntnisse aus Kapitel 2 als Überleitung auf
Kapitel 3 zusammengefasst wiedergegeben (Kapitel 2.10).
2.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung
Obwohl es sich bei Korruption um ein Jahrhunderte altes Phänomen handelt, existiert bis
heute keine einheitliche, allgemein gültige Begriffsbestimmung dafür – weder aus
interdisziplinärer noch aus internationaler Sicht. Und das, obwohl es an bisherigen
Korruptionsdefinitionen keineswegs mangelt (von Alemann 2005, S. 19; Kliche & Thiel 2011,
S. 412; Graeff 2012, S. 208f.). Die größte Herausforderung bei der Formulierung einer
umfassenden, allseits akzeptierten Definition liegt wohl darin, den unterschiedlichen
Disziplinen und ihren Erfordernissen bzw. den einzelnen Ländern und ihren Kulturen (Normen
und Werten) gerecht zu werden. Schließlich kann ein bestimmtes Verhalten aus der Sicht
verschiedener Disziplinen oder zweier aus fremden Kulturkreisen stammenden Personen
unterschiedlich aufgefasst werden. Was für den einen korrupt ist, muss es nicht unbedingt
auch für den anderen sein (Graeff 2012, S. 208f.; Dimant 2013, S. 5).
Leitet man Korruption von dem lateinischen Wort „corrumpere“ ab, so lässt es sich mit
verderben, vernichten oder bestechen übersetzen (TI-AC 2013, S. 38). Diese Übersetzung
greift allerdings viel zu kurz, wenn es darum geht, Korruption eindeutig zu definieren.
14
Konkreter wird es, wenn man die juridisch-normative Definition von Korruption heranzieht.
Diese liefert eine vergleichsweise sehr klare, aber auch recht enge Sichtweise von Korruption,
indem sie sie auf den Tatbestand der Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung und
Vorteilsannahme als Kerndelikte (vgl. Kapitel 2.3 und 4.2.1) eingrenzt (von Alemann 2005, S.
19). Folglich werden aus juristischer Sicht nur „opferlose Delikte“, bei denen keinem Dritten
ein „direkter“ Schaden entsteht, zu Korruption gezählt, weshalb Delikte wie Betrug,
Erpressung oder Untreue nicht darunter subsumiert werden (Graeff 2012, S. 214f.). Zwar kann
eine solche enge Betrachtungsweise von Korruption sowohl aus praktischer Sicht
(Vermeidung von Überkriminalisierung, genauere Abgrenzung gegenüber anderen Delikten
etc.) als auch aus theoretischer Sicht (genaueres Forschungsdesign etc.) durchaus vorteilhaft
sein, berücksichtigt allerdings keine Graubereiche korrupten Verhaltens (illegitimes
Verhalten) bzw. Regelungslücken und bleibt zusätzlich auf den jeweiligen Rechtsraum
beschränkt. Aufgrund dessen weichen viele Korruptionsforscher auf weiter gefasste
Definitionen aus (von Alemann 2005, S. 19f.; Wolf 2014, S. 20).
Eine sehr beliebte, häufig herangezogene Definition von Korruption, die ursprünglich von
Joseph J. Senturia (1931, S. 449) vorgeschlagen wurde und über das strafrechtliche
Verständnis hinausgeht, lautet: „The misuse of public power for private profit“ bzw. „der
Missbrauch von öffentlicher Macht zum privaten Nutzen“ (Tanzi 1998, S. 564; von Alemann
2005, S. 20; Lambsdorff 2007, S. 16). Dabei bezieht sich der „private Nutzen“ sowohl auf
materielle als auch auf immaterielle Vermögenswerte; der „Missbrauch“ auf ein
abweichendes Verhalten (z.B. vom formalen Rechts- und Normensystem) und die „öffentliche
Macht“ auf die Machtausübung durch ernannte Bürokraten und gewählte Politiker
(Lambsdorff 2007, S. 16f.). Dadurch, dass sich Senturias Definition universell auf Korruption
übertragen lässt, indem sich lediglich die drei genannten Begriffe kreuzen müssen, wurde sie
auch von der Weltbank übernommen (Tanzi 1998, S. 564; von Alemann 2005, S. 20; DiRienzo
et al. 2007, S. 321). Allerdings besteht bei dieser Definition das Problem, dass der Begriff
„Missbrauch“ nicht immer einfach zu definieren ist und der Begriff „privater Nutzen“ keine
Schwellenwerte angibt, um geringfügigen Nutzen auszuschließen (von Alemann 2005, S. 20f.;
Kliche & Thiel 2011, S. 413). Zudem schließt sie durch die übermäßige Fokussierung auf
öffentliche Macht private Macht weitgehend aus (Tanzi 1998, S. 564; von Alemann 2005, S. 20;
DiRienzo et al. 2007, S. 321; Kliche & Thiel 2011, S. 413). Dadurch fallen beispielsweise
15
Schattenwirtschaft oder Steuerhinterziehung nicht unter diesen Korruptionsbegriff
(Lambsdorff 2007, S. 19).
Zur Einbeziehung des privaten Sektors wandelte Transparency International Senturias
Definition in „the misuse of entrusted power for private gain“ bzw. „den Missbrauch von
anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“ um (DiRienzo et al. 2007, S. 321; TI-AC
2013, S. 38). Zwar erlaubt diese Definition, Korruption in ihrer größeren Bandbreite zu
erfassen, allerdings besteht auch bei dieser modifizierten Version weiterhin das Problem, dass
der Begriff „Missbrauch“ nicht einfach zu definieren ist und der Begriff „privater Nutzen“ keine
Schwellenwerte angibt. Somit kann sich auch bei dieser Definition die Grenzziehung zwischen
korruptem und korrektem Verhalten manchmal als sehr schwierig erweisen (von Alemann
2005, S. 20f.; Kliche & Thiel 2011, S. 413). Trotz der Schwächen der allgemeinen
Begriffsbestimmung von Transparency International lehnen sich viele Korruptionsforscher
nach wie vor an diese an (Dimant 2013, S. 6; TI-AC 2013, S. 38).
Der vorliegenden Dissertation wird zunächst ebenfalls die Korruptionsdefinition nach
Transparency International zugrunde gelegt, wobei die Formulierung einer eigenständigen
Definition für das nationale Gesundheitssystem im Rahmen der empirischen Untersuchung
anvisiert wird.
2.2 Ausmaß von Korruption
Korruption stellt nicht nur ein uraltes, sondern auch ein weltweit verbreitetes Phänomen dar
(Shleifer & Vishny 1993, S. 599; Myint 2000, S. 33), von dem nicht nur die Entwicklungsländer
betroffen sind. Dies lässt sich vor allem aus den Länderplatzierungen des Korruptions-
wahrnehmungsindexes (Corruption Perception Index) 1 von Transparency International
ableiten (Litzcke et al. 2012, S. 11). Laut dem aktuellen Korruptionswahrnehmungsindex lag
Österreich 2016 auf Rang 17 von insgesamt 176 erfassten Staaten und rutschte damit im
Vergleich zum Vorjahr (2015: Rang 16) um einen Platz ab, womit der leichte Aufwärtstrend
der letzten Jahre vorerst vorbei zu sein scheint (2013: Rang 26; 2012: Rang 25; 2011: Rang 16;
1 Die einzelnen Indizes (Corruption Perception Index, Global Corruption Barometer und Eurobarometer) werden in Kapitel 2.8 näher ausgeführt.
16
2005: Rang 10). Die Liste wird von Dänemark, Neuseeland und Finnland als die am wenigsten
von Korruption betroffenen Länder angeführt. Die untersten Ränge belegen Syrien,
Nordkorea, Südsudan und Somalia, die somit zu den korruptionsanfälligsten Ländern der Erde
gezählt werden (TI 2016; TI-AC 2017b). Wie dem Global Corruption Barometer von
Transparency International aus dem Jahr 2013, der über 114.000 Befragte aus 107 Ländern
einschloss, zu entnehmen ist, stellt Korruption laut Ansicht der Befragten weltweit ein
ernsthaftes Problem dar. Auf einer Skala von 1 (Korruption ist gar kein Problem) bis 5
(Korruption ist ein sehr ernsthaftes Problem) lag der ermittelte Durchschnittswert der
untersuchten Länder bei 4.1. Mehr als jeder vierte Befragte gab an, in den letzten zwölf
Monaten ein Bestechungsgeld an öffentliche Institutionen oder für öffentliche
Dienstleistungen gezahlt zu haben. Am korruptesten wurden politische Parteien, Polizisten,
Beamte, Legislative und Justiz eingestuft, wobei die meisten Bestechungszahlungen an
Polizisten und Justiz (gefolgt von Bestechungszahlungen für Registrierungs-, Gesundheits- und
Bildungsleistungen etc.) geflossen sind. Neben Bestechung wurde auch Favoritismus bzw.
Günstlingswirtschaft als problematisch eingestuft (Hardoon & Heinrich 2013, S. 3ff. und S. 11).
Den Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus dem Jahr 2013 (27.786 Befragte
aus den EU-Mitgliedsstaaten) zufolge, glauben 76 % der Befragten, dass Korruption ein weit
verbreitetes Phänomen im eigenen Land darstellt. Jeder dritte Europäer ist sogar der
Meinung, dass Korruption sehr weit verbreitet ist, nur die wenigsten (5 %) gehen von einem
wahrgenommenen Rückgang aus. Dies trifft vor allem auf die süd- und osteuropäischen
Nationen (u.a. Griechenland, Italien, Litauen, Kroatien, Tschechien, Spanien, Rumänien) zu.
Am korruptesten wurden wiederum Politiker und politische Parteien eingestuft. Jeder achte
Europäer gibt an, jemanden zu kennen, der Bestechungsgelder angenommen oder offeriert
hat; jeder zwölfte gibt an, selbst Fälle von Korruption im vergangenen Jahr erlebt oder
beobachtet zu haben. Die höchste Bestechungsrate weist das Gesundheitssystem auf
(Europäische Kommission 2014, S. 6ff. und S. 116ff.). Die Befragungsergebnisse des Special
Eurobarometers decken sich in vielerlei Hinsicht mit dem aktuellen Global Corruption
Barometer von 2016, der knapp 60.000 Befragte aus 42 Ländern des europäischen und
zentralasiatischen Raumes einschloss. Jeder Dritte zählt Korruption zu den größten Problemen
im eigenen Land, wobei Politiker und öffentliche Bedienstete als am korruptesten eingestuft
werden. Jeder sechste Befragte gibt an, ein Bestechungsgeld für den Erhalt einer öffentlichen
Dienstleistung im letzten Jahr gezahlt zu haben. Die höchste Bestechungsrate auf
17
europäischer Ebene weist wiederum das Gesundheitssystem auf (Pring 2016, S. 2ff. und S. 19).
Laut aktuellen Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), welche sich auf
Hochrechnungen von Daniel Kaufmann beziehen, soll sich der weltweite volkswirtschaftliche
Schaden durch Korruption im Jahr 2015 auf 1,5 bis zwei Billionen USD (ca. 2 % des globalen
BIP) belaufen haben (IMF 2016, S. 5). Der volkswirtschaftliche Schaden durch Korruption in
Österreich wurde von Friedrich Schneider (JKU Linz) auf Basis des
Korruptionswahrnehmungsindexes im Jahr 2012 auf 17 Mrd. Euro geschätzt (Schneider 2012,
S. 13f.). Aktuelle Hochrechnungen liegen nicht vor bzw. sind der Autorin nicht bekannt.
2.3 Formen und Typologien von Korruption
Die meisten spezifischen Formen von Korruption, von denen viele gleichzeitig auch eine
Straftat darstellen, sind klar und verständlich definiert und bilden die Grundlage
verschiedener legaler oder akademischer Definitionen (Langseth 2016, S. 9). Darüber hinaus
werden in der Literatur verschiedene Kategorien bzw. Typologien von Korruption
unterschieden, nach denen die einzelnen Korruptionsformen klassifiziert werden können
(Tanzi 1998, S. 565; Vargas-Hernàndez 2010, S. 132ff.; Wolf 2014, S. 22). Allerdings existieren
nach wie vor keine universellen Formen bzw. Typologien von Korruption, genauso wie es auch
bislang an einer universellen Definition von Korruption mangelt (Vargas-Hernàndez 2010, S.
132). Die folgende Tabelle (Tabelle 2) fasst die gängigsten Formen und Typologien von
Korruption, die anschließend kurz beschrieben werden, zusammen, wobei kein Anspruch auf
Vollständigkeit besteht.
Formen und Typologien von Korruption
Formen Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung, Vorteilsannahme
Veruntreuung
Betrug
Erpressung
Kollusion
Favoritismus (Nepotismus, Patronage, Klientelismus)
Typologien Public vs. private corruption
Petty vs. grand corruption
Situative vs. structural vs. systemic corruption
White vs. grey vs. black corruption
Tabelle 2: Formen und Typologien von Korruption Quelle: Verfasserin
18
1. Formen von Korruption
Im Folgenden werden jene spezifischen Verhaltensformen aufgelistet, die von der Mehrzahl
der Korruptionsforscher zu Korruption im weiteren Sinne bzw. im Sinne des „Missbrauchs von
anvertrauter Macht zum privaten Nutzen“ gezählt werden. Weiter gefasste
Begriffsdefinitionen, die über den strengen strafrechtlichen Korruptionsbegriff hinausgehen,
schließen eben nicht nur „opferlose“ Delikte wie Bestechung, Bestechlichkeit,
Vorteilszuwendung und -annahme ein, sondern auch Veruntreuung, Betrug, Erpressung,
Kollusion und Favoritismus in all seinen Ausprägungen (Nepotismus, Patronage,
Klientelismus).
Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung und Vorteilsannahme
Die wohl verbreitetste und zentralste Form von Korruption stellt Bestechung in ihrer
aktiven Form und Bestechlichkeit in ihrer passiven Form dar. Im österreichischen
Strafrecht versteht man unter Bestechung (§ 307 StGB) bzw. Bestechlichkeit (§ 304 StGB)
das Anbieten, Versprechen oder Gewähren bzw. das Fordern, Annehmen oder Sich-
versprechen-lassen eines Vorteils für die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung
eines Amtsgeschäftes (z.B. Auftragszusage, Verfahrensbeschleunigung, Informations-
beschaffung). Ähnliches gilt für den privatwirtschaftlichen Bereich (§ 309 StGB) (Andvig et
al. 2000, S. 15; Vargas-Hernàndez 2010, S. 133; Eder-Rieder 2014, S. 75ff.). Der
Unterschied zwischen Bestechung und Vorteilszuwendung (§ 307a StGB) bzw.
Bestechlichkeit und Vorteilsannahme (§ 305 StGB) besteht darin, dass im letzteren Fall
kein Verstoß gegen die Dienstpflichten („pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung
eines Amtsgeschäftes“) vorliegen muss. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn
Person A Beamten B einen bestimmten Vorteil für eine Genehmigung verspricht, die
Person A ohnehin zustehen würde (Wolf 2014, S. 21). Detailliertere Ausführungen zu den
einzelnen Korruptionsdelikten finden sich in Kapitel 4.2.1.
Veruntreuung
Zwar fällt Veruntreuung (§ 133 StGB) im strafrechtlichen Sinne nicht unter Korruption,
beinhaltet aber durchaus auch den Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten
Nutzen im Sinne der unrechtmäßigen Zueignung von anvertrauten fremden (öffentlichen)
Gütern zu Bereicherungszwecken. Einfach ausgedrückt handelt es sich hierbei um eine
besondere Form von Diebstahl (Andvig et al. 2000, S. 15f.; Vargas-Hernàndez 2010, S. 134).
19
Betrug
Betrug (§ 146 StGB) stellt ein Vermögensdelikt dar und liegt vor, wenn jemand zu
Bereicherungszwecken einen anderen durch Täuschung über Tatsachen zu einer
Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen Dritten am
Vermögen schädigt (Andvig et al. 2000, S. 16; Vargas-Hernàndez 2010, S. 134). Einen
typischen Fall von Betrug stellt beispielsweise Abrechnungsbetrug dar, indem Leistungen
abgerechnet werden, die gar nicht oder in anderen Dimensionen erbracht worden sind
(Gruber et al. 2013, S. 119f.).
Erpressung
Erpressung (§ 144 StGB) beinhaltet die Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder
Unterlassung (z.B. zur Enthüllung bestimmter sensibler Informationen) durch die
Ausübung von Gewalt oder gefährlichen Drohung, um sich oder einen Dritten
unrechtmäßig zu bereichern (Andvig et al. 2000, S. 17; Vargas-Hernàndez 2010, S. 134).
Kollusion
Kollusion beschreibt das unerlaubte Zusammenwirken zweier oder mehrerer Akteure im
öffentlichen und/oder privaten Sektor, beispielsweise in Form geheimer Preis- oder
Angebotsabsprachen, zulasten unbeteiligter Dritter (Hussman 2010, S. 23; Vargas-
Hernàndez 2010, S. 134).
Favoritismus (Nepotismus, Patronage, Klientelismus)
Favoritismus oder Günstlingswirtschaft bezeichnet überordnend die ungerechtfertigte
Vorteilsbeschaffung für bzw. Begünstigung von Familienangehörigen oder Freunden
(Nepotismus bzw. Vetternwirtschaft) 2, politischen Parteien, religiösen, ethnischen oder
regionalen Gruppierungen (Klientelismus bzw. Patronage) 3 . Einen typischen Fall von
Günstlingswirtschaft stellt die ungerechtfertigte Bevorzugung bestimmter Personen bei
der Vergabe von Positionen und Ämtern dar (Ämterpatronage) (Andvig et al. 2000, S. 17f.;
Vargas-Hernàndez 2010, S. 135).
2 Der Begriff Nepotismus findet heutzutage nicht nur im Familien- und Verwandtschaftskontext, sondern auch im Freundschaftskontext Anwendung (Olteanu, 2013, S. 143). 3 Im Konkreten wird unter Klientelismus eine längerfristige, persönliche und asymmetrische Beziehung zwischen zwei Akteuren (Patron und Klient) verstanden, die dem reziproken Austausch von Ressourcen dient. Häufig werden die Begriffe Klientelismus und Patronage synonym verwendet, wobei auch zwischen diesen differenziert wird. Unter anderem wird Patronage auf der mesosoziologischen Ebene von Organisationen und Institutionen (Parteiapparat) beleuchtet, während Klientelismus auf der mikrosoziologischen Ebene (Patron-Klient-Beziehung) analysiert wird (Muno 2016, S. 649ff.).
20
Während die zuvor geschilderten Delikte von der Mehrheit der Korruptionsforscher unter
Korruption subsumiert werden, herrscht bei einigen anderen wie beispielsweise der
Geldwäscherei (§ 165 StGB) oder Steuerhinterziehung (§ 33 FinStrG) bisweilen Uneinigkeit
(Wolf 2014, S. 22). Während Geldwäscherei auf die Verbergung oder Verschleierung der
rechtswidrigen Herkunft von Vermögensbestandteilen abzielt (TI-AC 2013, S. 28), wird unter
Steuerhinterziehung laut geltendem Recht die rechtswidrige Erwirkung einer
Abgabenverkürzung verstanden. Auch wenn diese Formen üblicherweise nicht unter
Korruption subsumiert werden, treten sie dennoch häufig in Zusammenhang mit ihr auf (Wolf
2014, S. 22). Nicht selten wird auch Lobbyismus im Graubereich von Korruption geortet, was
allerdings bislang eine legale Form der Einflussnahme auf wichtige Entscheidungsträger und -
prozesse in der Exekutive und Legislative bzw. eine legale Form der Interessenvertretung in
Politik und Gesellschaft darstellt (Priddat 2011, S. 69f.; Wolf 2014, S. 18).
2. Typologien von Korruption
In der Literatur wird man des Öfteren mit bestimmten Kategorien bzw. Typologien von
Korruption konfrontiert; die bedeutendsten gilt es im Folgenden näher zu erläutern.
Public vs. private corruption
Eine grundlegende Kategorisierung von Korruption richtet sich nach den involvierten
Akteuren: Während public corruption die Beteiligung eines Politikers oder öffentlichen
Bediensteten an der korrupten Tat voraussetzt, bezieht sich private corruption
ausschließlich auf Korruption zwischen privaten Akteuren (Argandoña 2005, S. 253; Wolf
2014, S. 22). Weiters kann public corruption in political corruption und bureaucratic
corruption unterteilt werden. Erstere liegt vor, wenn politische Entscheidungsträger ihre
Macht missbrauchen und Entscheidungen im eigenen Interesse zulasten der Allgemeinheit
treffen. Letztere hingegen bezieht sich auf den Machtmissbrauch durch öffentliche
Bedienstete, wie beispielsweise die Bevorzugung von Familienmitgliedern bei der Vergabe
öffentlicher Aufträge oder Stellen (Vargas-Hernàndez 2010, S. 132f.).
Petty vs. grand corruption
In Abhängigkeit vom Korruptionsausmaß differenzieren viele Korruptionsforscher
zwischen grand corruption und petty corruption. Grand corruption, welche oftmals auch
als high-level corruption bezeichnet wird, impliziert Korruption auf hoher
gesellschaftlicher und politischer Ebene bei den führenden Eliten eines Landes. Sie ist
21
zumeist mit großen Geldsummen verbunden, auf Dauer angelegt und bewusst geplant.
Dementsprechend hoch ist der daraus resultierende Korruptionsschaden. Hingegen
schließt petty corruption oder low-level corruption solche Fälle ein, die seitens
niederrangiger Bediensteter spontan bzw. ungeplant, aus der Alltagssituation heraus ohne
besondere Wiederholungsabsicht verübt werden. Petty corruption ist vor allem auf
administrativer bzw. Beamtenebene (bureaucratic corruption) anzutreffen. Besticht man
beispielsweise einen Verkehrspolizisten, so handelt es sich hierbei klarerweise um petty
corruption, die in der Regel mit weitaus weniger Geld verbunden ist als grand corruption.
Allerdings darf die „kleine Korruption“ im Hinblick auf ihr Schadensausmaß nicht
unterschätzt werden, vor allem wenn sie Eingang in das tägliche Leben, z.B. ins Bildungs-
und Gesundheitswesen, findet (Myint 2000, S. 40f.; von Alemann 2005, S. 32f.).
Situative vs. structural vs. systemic corruption
Im Hinblick auf die Häufigkeit und Stabilität korrupter Beziehungen lässt sich zwischen
situative, structural und systemic corruption unterscheiden. Ähnlich wie petty corruption
erfolgt situative corruption spontan, ungeplant und ohne besondere
Wiederholungsabsicht ganz im Sinne einer Gelegenheitskorruption. Hingegen beruht
strukturelle Korruption (structural corruption), der eine gezielte Planung und Vorbereitung
vorausgeht, auf länger andauernden Korruptionsbeziehungen. Strukturelle Korruption
kann in regelrechten Netzwerken münden, die, sobald sie großflächiger werden und
mehrere Länder und politische Systeme umfassen, sich in systemischer Korruption
(systemic corruption) niederschlagen können (Litzcke et al. 2012, S. 9f.; Wolf 2014, S. 22).
White vs. grey vs. black corruption
In Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Akzeptanz bzw. Wahrnehmung kann Korruption
nach Heidenheimer (1989) in folgende drei Kategorien unterteilt werden: White
corruption beinhaltet jene Fälle, die von der Gesellschaft überwiegend toleriert und
akzeptiert werden. Diese Form der Korruption ist vor allem in familiengeprägten sowie
auch in Patron-Klient-Systemen anzutreffen. Grey corruption bezieht sich indes auf Fälle,
die zwar als moralisch verwerflich angesehen, allerdings aufgrund eines mangelnden
Unrechtsbewusstseins nicht von allen als korrupt aufgefasst werden; wohingegen black
corruption alle Formen von Korruption einschließt, die eindeutig aus moralischer und
legaler Sicht als korrupt gelten und gesellschaftlich verachtet werden (von Alemann 2005,
S. 33f.; Vargas-Hernàndez 2010, S. 136).
22
2.4 Wissenschaftliche Erklärungsansätze
Als Forschungsgegenstand hat Korruption Eingang in verschiedenste Wissenschaftsdisziplinen
gefunden. Dies überrascht wenig, zumal Korruption als ubiquitäres, globales Phänomen
beinahe jede gesellschaftswissenschaftliche Disziplin tangiert und daher nur interdisziplinär
erfassbar ist. Mittlerweile existieren neben ökonomischen Erklärungsansätzen von Korruption
auch psychologische, soziologische, politische, kriminologische, strafrechtliche, historische
u.a. (von Alemann 2005, S. 22ff.; Stachowicz-Stanusch 2010, S. 36; Graeff 2012, S. 208; Grieger
2012, S. 6ff.). Allerdings handelt es sich hierbei meist um bereits vorhandene, „entlehnte“
Theorien und weniger um „originäre“ Ansätze, weshalb in dieser Hinsicht durchaus ein
Theoriedefizit besteht (Graeff 2012, S. 226f.). In der folgenden Tabelle (Tabelle 3) werden die
wichtigsten Erklärungsansätze der für die Korruptionsforschung wohl relevantesten
Disziplinen zusammengefasst und anschließend ausführlich beschrieben, wobei kein Anspruch
auf Vollständigkeit besteht.
Wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption
Ökonomische Erklärungsansätze
Nutzenmaximierendes Verhalten rational-agierender Akteure, mangelnde Ausgestaltung institutioneller Rahmenbedingungen
Principal-Agent-Theorie (Prinzipal-Agent-Klient-Theorie)
Rent-Seeking-Ansatz
Kosten-Nutzen-Analyse
Psychologische Erklärungsansätze
Korruptionsförderliche personelle (z.B. Antikorruptionseinstellung, subjektive Normen) und situative Faktoren (z.B. wahrgenommene Handlungskontrolle)
Theorie des geplanten Verhaltens
Theorie der kognitiven Dissonanz
Sozialkognitive Lerntheorie
Soziologische Erklärungsansätze
Formelle und informelle Beziehungsstrukturen von Korruptionsakteuren, korruptionsförderliche institutionelle/kulturelle Rahmenbedingungen
Soziale Austauschtheorie
Netzwerktheorie
Anomietheorie
Strafrechtliche Erklärungsansätze
Mangelnde Ausgestaltung und Vollziehung des gesetzlich-normativen Rahmens
Kriminologische Erklärungsansätze
Einbeziehung strafrechtlicher und soziologischer Erklärungsansätze
Politische Erklärungsansätze
Korruptionsförderliche Faktoren wie Demokratisierungsgrad, Regierungssystem, Größe des öffentlichen Sektors, Pressefreiheit etc.
Historische Erklärungsansätze
Historische Entwicklung und Ausprägungen von Korruption, Vergleichsziehung mit heutigen Erscheinungsformen
Tabelle 3: Wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption Quelle: Verfasserin
23
1. Ökonomische Perspektiven
Ökonomische Erklärungsansätze sehen Korruption im nutzenmaximierenden
Entscheidungsverhalten rational agierender Akteure begründet, welche die Auswirkungen
ihres Handelns auf Dritte nicht berücksichtigen. Aus der vermeintlichen Win-Win-Situation
entstehen jedoch externe Kosten, die zulasten einer ganzen Gesellschaft (z.B.
Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums) gehen können. Dieses nutzenmaximierende
Verhalten der Akteure wird vor allem von der Ausgestaltung organisationaler
Rahmenbedingungen wie Ermessensspielräumen und Entscheidungskompetenzen, Rechen-
schaftspflichten, Anreiz-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen dominiert (Rose-Ackerman
1996; von Alemann 2005, S. 29; Beck & Nagel 2012, S. 31f.). Demzufolge hängt Korruption aus
ökonomischer Sicht nicht von der menschlichen Moral, sondern vorrangig von der
Ausgestaltung institutioneller Strukturen, die Anreize zu korruptem Verhalten bieten, ab (Beck
& Nagel 2012, S. 32f.). Den Zusammenhang zwischen Korruption und organisationalen
Rahmenbedingungen beschrieb Klitgaard (1988, S. 75) mathematisch anschaulich anhand
folgender „Formel“: Corruption = Monopoly + Discretion – Accountability. Daraus erschließt
sich, dass Korruption immer dann entsteht, wenn ein Akteur über monopolistische Macht
verfügt, viel Handlungs- und Entscheidungsspielraum genießt und seinem Vorgesetzten
gegenüber kaum verantwortlich ist bzw. keine Rechenschaft ablegen muss. Im Folgenden
werden die zentralsten ökonomischen Erklärungsansätze von Korruption näher erläutert.
Prinzipal-Agent-Theorie (Prinzipal-Agent-Klient-Theorie)
Ein unter Ökonomen sehr beliebter Ansatz zur Erklärung von Korruption stellt die auf der
Rational-Choice-Theorie gründende Prinzipal-Agent-Theorie dar, welche von Klitgaard
(1988) zur Prinzipal-Agent-Klient-Theorie erweitert wurde. Ihr zufolge entsteht Korruption
aufgrund von asymmetrischen Informationen zwischen dem Prinzipal (Auftraggeber,
Staat) und dem Agenten (Auftragnehmer, Amtsträger), aufgrund deren es Letzterem
ermöglicht wird, sich korrupt, d.h. nicht im Interesse des Prinzipals, sondern im eigenen
Interesse bzw. in dem des Klienten (z.B. eines Unternehmens), zu verhalten. Die
Informationsasymmetrien resultieren aus Informationsvorsprüngen des Agenten (bedingt
durch seinen direkten Kontakt mit dem Klienten) und den begrenzten
Kontrollmöglichkeiten des Prinzipals, was dem Agenten wiederum einen gewissen
Entscheidungs- und Handlungsspielraum gewährt und ihn zur Korruption verleiten kann.
Einem solchen opportunistischen Verhalten entgegenzuwirken erweist sich insofern als
24
schwierig, als der Prinzipal lediglich über eine entsprechende Vertragsgestaltung Anreize
setzen kann, die den Agenten zu einem ehrlichen Verhalten motivieren sollen (James
2002, S. 209ff.; Schröder 2011, S. 5; Beck & Nagel 2012, S. 34f.). Beispiele für eine Prinzipal-
Agent-Beziehung lassen sich überall finden: Ein Beamter (Agent), der den Staat (Prinzipal)
schädigt, weil er gegen die Zahlung eines Bestechungsgeldes eine Lizenz an ein
Unternehmen (Klient) vergibt, welche diesem nicht zusteht (Beck & Nagel 2012, S. 34). Ein
Arzt (Agent), der nicht vorrangig im Interesse seines Patienten (Prinzipal) agiert, weil er
sich mit der Pharmaindustrie (Klient) verbündet hat (Schröder 2011, S. 5).
Rent-Seeking-Ansatz
Zu den ersten ökonomischen Ansätzen, die zur Erklärung von Korruption herangezogen
worden sind, zählt der Rent-Seeking-Ansatz, der insbesondere von Krueger (1974), Rose-
Ackerman (1978) und Bhagwati (1982) in den 70er-Jahren genauer analysiert worden ist.
Häufig wird er zur Analyse politischer Korruption eingesetzt. Ein Rent-Seeking-Verhalten
beschreibt die Beeinflussung politischer Entscheidungsträger und -prozesse mittels
Bestechungszahlungen zum persönlichen Vorteil. Es zielt somit auf die Erschließung oder
Sicherung von Einkommenserzielungschancen mittels politisch erwirkter Privilegien ab. Im
Unterschied zur Prinzipal-Agent-Klient-Theorie, muss hierbei kein Regel- oder
Gesetzesverstoß vorliegen. Vielmehr zielt ein solches Verhalten darauf ab, bereits auf den
Regel- bzw. Gesetzgebungsprozess Einfluss zu nehmen. Beispielsweise könnte ein
Unternehmen versuchen, auf einen öffentlichen Entscheidungsprozesses mittels
Bestechungszahlungen zu den eigenen Gunsten einzuwirken. Sobald jedoch
Bestechungszahlungen und nicht sinnvolle Argumente und Sachverhalte die Entscheidung
eines Politikers dominieren, kann es zur Wettbewerbsverzerrung und Fehlallokation von
Ressourcen kommen. Folglich stellt Korruption eine illegale Form von Rent-Seeking-
Aktivitäten dar. Davon abzugrenzen ist Lobbyismus, der unter die legalen Formen des
Rent-Seeking-Verhaltens fällt (Lambsdorff 2002, S. 120f.; von Alemann 2005, S. 29f.; Beck
& Nagel 2012, S. 35).
Kosten-Nutzen-Analyse
Einen weiteren bedeutenden ökonomischen Ansatz zur Erklärung von Korruption stellt die
Kosten-Nutzen-Analyse dar. Erstmalig angewandt auf die Ökonomik des Verbrechens
durch Becker (1968) beschreibt dieser Ansatz Korruption als Resultat einer subjektiv
geprägten Kosten-Nutzen-Abwägung: Sobald der Nutzen der Korruption die Kosten
25
übersteigt, entscheidet sich der Akteur für die korrupte Handlung. Dabei erfolgt die
Kosten-Nutzen-Abwägung sowohl auf Seiten der bestochenen Person (Höhe des
Bestechungsgeldes, Strafausmaß im Falle der Aufdeckung, moralische Kosten wie
Gewissensbisse und Selbstvorwürfe etc.) als auch auf Seiten des Bestechers (der aus der
Bestechungszahlung erlangte Vorteil, Höhe des Bestechungsgeldes, Zeitaufwand,
moralische Kosten etc.) (Beck & Nagel 2012, S. 33f.; Litzcke et al. 2012, S. 23f.).
2. Psychologische Perspektiven
Psychologen versuchen das Entscheidungsverhalten von Personen in ethischen Dilemma-
Situationen anhand von Faktoren wie beispielsweise der Einstellung zu korruptem Verhalten
oder der wahrgenommenen Handlungskontrolle zu erklären und schließen somit sowohl
personelle als auch situative Variablen im Rahmen einer solchen Einstellungs- und
Verhaltensforschung ein (Rabl 2008, S. 79; Grieger 2012, S. 7ff.).
Theorie des geplanten Verhaltens
Eine in der Psychologie häufig angewendete Theorie zur Erklärung korrupten Handelns
stellt die Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen (1991) dar (Rabl 2012, S. 155f.). Ihr
zufolge ist menschliches Verhalten von drei Aspekten abhängig: von der eigenen
Einstellung zum Verhalten (Bewertung des Verhaltens), von der subjektiven Norm bzw.
von dem sozialen Druck, ein solches Verhalten auszuführen oder nicht, sowie von der
wahrgenommenen Handlungskontrolle bzw. vom Schwierigkeitsgrad der Ausführung
eines solchen Verhaltens. Daraus erschließt sich Folgendes: Je positiver die eigene
Einstellung und subjektive Norm im Hinblick auf ein bestimmtes Verhalten sind und je
größer die wahrgenommene Kontrolle zur Verhaltensausführung ist, umso höher ist die
Intention und Wahrscheinlichkeit, dementsprechend zu agieren (Ajzen 1991, S. 188).
Ausgehend von den Komponenten der Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen
(1991) und des Rubikon-Modells der Handlungsphasen nach Heckhausen ([1987] 1989)
entwickelten Rabl (2008) und Rabl und Kühlmann (2008) das Modell korrupten Handelns.
Das aus der psychologischen Motivationsforschung stammende Rubikon-Modell
reflektiert den motivationalen Aspekt der Zielauswahl („Wünschen“, realitätsorientiert)
wie auch den volitionalen Aspekt der Zielerreichung („Wollen“, realisierungsorientiert)
(Heckhausen 1989, S. 203ff.; Rabl 2012, S. 155). Die empirische Überprüfung des Modells
zeigte, dass weder der Wunsch noch der Wille, ein bestimmtes Ziel (z.B. Auftragszusage)
26
zu erreichen, eine korrupte Handlung auslösen. Demnach wird Korruption nicht von
Beginn als ein mögliches Mittel zur Zielerreichung in Betracht gezogen, sondern erst, wenn
sich eine Gelegenheit zu Korruption bietet. Ob die Entscheidung für oder gegen Korruption
fällt, hängt letztlich von drei Aspekten ab, die sich in der Theorie des geplanten Verhaltens
widerspiegeln: von der eigenen Einstellung zu Korruption, von der Akzeptanz/Ablehnung
von Korruption im persönlichen Umfeld sowie von der wahrgenommenen Kontrolle zur
erfolgreichen Durchführung der korrupten Tat (geringe Aufdeckungswahrscheinlichkeit
etc.). Je positiver ein Akteur und sein Umfeld Korruption gegenüber eingestellt sind und je
größer der Glaube, die korrupte Handlung erfolgreich ausführen zu können, umso höher
wird die Intention und letztlich die Wahrscheinlichkeit sein, dementsprechend im Sinne
der Zielerreichung zu agieren (Rabl & Kühlmann 2008, S. 489f.; Litzcke et al. 2012, S. 24f.;
Rabl 2012, S. 155f.). Folglich resultiert Korruption bei entsprechender Gelegenheit aus
dem Zusammenspiel von motivationalen, volitionalen und kognitiven (jedoch nicht
emotionalen) Komponenten innerhalb eines situativen Kontexts (Rabl & Kühlmann 2008,
S. 489f.).
Theorie der kognitiven Dissonanz
Aus psychologischer Sicht lässt sich Korruption auch mittels der Theorie der kognitiven
Dissonanz nach Festinger ([1957] 1978) erklären. Unter kognitiver Dissonanz wird ein
Spannungszustand verstanden, der aus der Unvereinbarkeit bestimmter Kognitionen
(Kenntnisse, Meinungen, Überzeugungen etc.) resultiert (Festinger 1978, S. 17). Beim
Vorliegen kognitiver Dissonanz, wie es häufig nach Entscheidungen oder
Einstellungsänderungen der Fall ist, kommt es vor allem auf die eingesetzten Strategien zu
ihrer Bewältigung an. Eine Möglichkeit, kognitive Dissonanz zu beheben oder zu
reduzieren, besteht beispielsweise darin, eine Kognition an die andere anzupassen oder
neue, konsonante Kognitionen, die die Dissonanz ausgleichen, hinzuzufügen. Auch
könnten dissonante Kognitionen durch Ignorieren oder Vergessen entfernt werden
(Festinger 1978, S. 30ff.; Litzcke et al. 2012, S. 26f.). Die eingesetzten Beseitigungs-
strategien entscheiden letztlich darüber, ob die Tat wiederholt wird oder nicht.
Übertragen auf ein Korruptionsbeispiel könnte dies folgendermaßen aussehen: Ein
Mitarbeiter, der bislang ehrlich und anständig war, entscheidet sich erstmalig dazu,
korrupt zu handeln und erlebt daraufhin kognitive Dissonanz (er ist ein anständiger
Mensch, handelt aber korrupt). Er versucht diese innere Spannung zu bewältigen, indem
27
er sich einredet, dass er das zugunsten eines Dritten getan hat oder dass es die absolute
Ausnahme war (Anpassung einer Kognition an eine andere). Andererseits könnte er die
korrupte Tat auch herunterspielen und sich schön reden, dass ein solches Verhalten
bereits üblich und normal sei (Hinzufügen einer neuen konsonanten Kognition). Ferner
könnte er auch versuchen, die korrupte Handlung zu ignorieren oder zu vergessen
(Entfernung dissonanter Kognitionen) (Litzcke et al. 2012, S. 26f.). Litzcke et al. (2012,
S. 27) weisen diesbezüglich darauf hin, dass die Theorie der kognitiven Dissonanz
insbesondere zur Erforschung situativer Faktoren von Korruption herangezogen werden
könnte, da sie Hinweise für Verhaltensanreize und Neutralisierungstechniken liefert. Für
die Handlungsentscheidung und Situationsbewertung korrupter Handlungen könnten vor
allem die Höhe des Vorteils, ob er einem selbst oder jemand anderem zugutekommt und
ob es sich dabei um eine einmalige Tat handelt, eine entscheidende Rolle spielen (Litzcke
et al. 2012, S. 27).
Sozialkognitive Lerntheorie
Gemäß der sozialkognitiven Lerntheorie nach Bandura (1971) lernen Individuen vom
beobachtbaren Verhalten ihrer menschlichen Vorbilder, d.h., dass sie das Verhalten
anderer Individuen beobachten und versuchen, es nachzuahmen. Übertragen auf
Korruption würde dies bedeuten, dass Individuen sich deswegen korrupt verhalten, weil
andere es ihnen vorleben bzw. sie das beobachtbare korrupte Verhalten anderer imitieren
(Rabl 2008, S. 80ff.).
3. Soziologische Perspektiven
Viele Soziologen betrachten das Phänomen Korruption als abweichendes Verhalten oder eben
als „nicht immer abweichendes Verhalten“ (Fleck & Kuzmics 1985, zitiert nach von Alemann
2005, S. 28), was auf eine Störung der sozialen Beziehung deuten lässt. Somit steht die soziale
Beziehung bei der soziologischen Korruptionsforschung im Mittelpunkt (von Alemann 2005,
S. 28). Die soziologische Untersuchung von Korruption kann auf unterschiedlichen
gesellschaftlichen Ebenen (Mikro- und Makroebene) erfolgen. Bei mikrosoziologischen
Korruptionstheorien rücken die formellen und informellen Beziehungsstrukturen von
Korruptionsakteuren sowie der soziale Kontext, in dem sie eingebettet sind, in den
Vordergrund (Rabl 2008, S. 78f.; Graeff & Dombois 2012, S. 135ff.; Grieger 2012, S. 7).
Demgegenüber basieren makrosoziologische Erklärungsansätze von Korruption auf einer
28
gesamtgesellschaftlichen Betrachtung, indem das gesamte Korruptionsniveau eines Landes
oder jenes großer Bevölkerungsgruppen untersucht wird und dessen Höhe dann mit den
institutionellen Strukturen oder dem kulturellen Kontext in Zusammenhang gesetzt wird.
Dabei dürfen die beiden Ebenen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, da das
Handeln der Individuen auf der Mikroebene durch die gesellschaftlichen Kontextbedingungen
auf der Makroebene beeinflusst werden kann und umgekehrt. Wie bereits ersichtlich, lässt
sich die aktuelle soziologische Korruptionsforschung nicht eindeutig von anderen Disziplinen
abgrenzen, da sie gerne auf die theoretischen Grundlagen ihrer Nachbarwissenschaften
zurückgreift. Während sich mikrosoziologische Untersuchungen des Öfteren an
psychologische und kriminologische Theorien anlehnen, bezieht die makrosoziologische
Forschung gerne ökonomische Ansätze ein (Graeff & Dombois 2012, S. 135f.).
Soziale Austauschtheorie
Nach der sozialen Austauschtheorie, die eher zu den mikrosoziologischen Theorien gezählt
wird und u.a. durch die Arbeiten von Homans ([1961] 1968) in den frühen 60er-Jahren
geprägt wurde, resultiert Korruption aus einer wechselseitigen Austauschbeziehung, die
auf Leistungen und Gegenleistungen beruht (Homans 1968, S. 30ff.; Rabl 2008, S. 78f.). Ein
solcher reziproker Tauschakt kann entweder von ökonomischen (Belohnungen und
Kosten) oder sozialen Aspekten (Normen und Werte wie beispielsweise die aus der
empfangenen Leistung resultierende soziale Verpflichtung zur Gegenleistung) dominiert
sein und sich langfristig zu einer vertrauenswürdigen und loyalen Beziehung herausbilden.
Sobald jedoch auf eine Leistung keine oder lediglich eine unzureichende Gegenleistung
erfolgt, wird die Reziprozität durchbrochen und die korrupte Beziehung zerfällt. Häufig
wird die soziale Austauschtheorie zur Erklärung von Vetternwirtschaft, Ämterpatronage
und sonstigen Gefälligkeiten herangezogen (Granovetter 2004, S. 3ff.; Graeff & Dombois
2012, S. 137ff.).
Netzwerktheorie
In Anknüpfung an die soziale Austauschtheorie können Korruptionsbeziehungen auch
mittels der Netzwerktheorie erklärt werden (Granovetter 2004; Graeff & Dombois 2012,
S. 138). Demzufolge kann das soziale Netzwerk, in dem ein Akteur eingebettet ist, diesem
Gewinnaussichten bieten, die andernfalls nicht erreichbar wären. Dabei zeichnen sich
korrupte Netzwerke insbesondere dadurch aus, dass jedes einzelne Mitglied strikt seine
eigenen Interessen innerhalb eines solchen Beziehungsgeflechts verfolgt. Eine hohe
29
Effektivität und geringe Aufdeckungswahrscheinlichkeit weisen korrupte Netzwerke dann
auf, wenn sie relativ klein, geschlossen, dicht und bindend sind (Steßl 2012, S. 65ff.).
Gelegentlich wird zur Beschreibung von Netzwerken auch auf Prinzipal-Agent-Modelle
zurückgegriffen (Graeff & Dombois 2012, S. 138).
Anomietheorie
Einen weiteren soziologischen Ansatz zur Erklärung von Korruption stellt die
Anomietheorie dar. Gemäß Emil Durkheim, der die Theorie im Jahr 1893 begründete,
beschreibt der Begriff „Anomie“ einen Zustand der Norm- und Regellosigkeit. Der
Kriminologe Robert Merton ([1938] 1968) hingegen definiert Anomie als eine Situation, in
der ein Widerspruch zwischen den kulturell vorgegebenen Zielen einer Gesellschaft und
den kulturell akzeptierten Mitteln zur Zielerreichung besteht. Diese Diskrepanz resultiert
insbesondere daraus, dass die als legitim erachteten Mittel in der Gesellschaft ungleich
verteilt sind. Demzufolge entsteht Korruption immer dann, wenn die Wichtigkeit der
Zielerreichung (z.B. ökonomischer Erfolg) als sehr hoch und die sozial akzeptierten Mittel
zur Zielerreichung (z.B. Ausbildung) als ineffektiv oder unzugänglich eingeschätzt werden,
weshalb man auf illegitime bzw. korrupte Praktiken übergeht (Merton 1968, S. 185ff.; Rabl
2008, S. 78f.).
4. Strafrechtliche Perspektiven
Strafrechtliche Erklärungsansätze sehen die Ursachen für die Entstehung von Korruption im
gesetzlich-normativen Rahmen begründet, der für eine effektive Korruptionsbekämpfung
nicht ausreichend ausgestaltet ist oder nicht hinreichend vollzogen wird. Insofern zielen
Strafrechtswissenschaftler vor allem auf die Aufdeckung und Schließung von
Strafbarkeitslücken ab. Schließlich können nur jene Korruptionsdelikte strafrechtlich verfolgt
werden, die auch im Gesetz niedergeschrieben sind (Grieger 2012, S. 6; Niehaus 2012, S. 64).
Zentrale Fragen, die sich aus strafrechtlicher Sicht ergeben, betreffen insbesondere den
Korruptionsbegriff, der bis dato wenig untersucht worden ist: Was versteht man im
rechtswissenschaftlichen Sinne überhaupt unter Korruption? Welche Merkmale
charakterisieren den Begriff und was unterscheidet ihn von anderen Formen der Kriminalität?
Nach wie vor existiert beispielsweise in Deutschland kein gesetzlicher Korruptionsbegriff. Wer
also nach dem Begriff „Korruption“ in deutschen Strafgesetzbüchern sucht, sucht vergeblich.
30
Dies liegt insbesondere daran, dass im Strafgesetzbuch lediglich die mit Korruption
verbundenen Straftatbestände (Kerndelikte: Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme
und Vorteilsgewährung) angeführt sind. Andere Delikte, wie beispielsweise Betrug,
Erpressung oder Untreue, stellen, wie bereits in Kapitel 2.1 geschildert wurde, keine
Korruption im strafrechtlichen Sinne dar (Walther 2010, S. 511; Niehaus 2012, S. 56ff.). Im
Gegensatz zu Deutschland hat der Begriff „Korruption“ in Österreich mit dem
Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz bereits im Jahr 2012 Eingang ins Strafgesetzbuch
gefunden, wonach die Überschrift des 22. Abschnittes des Besonderen Teils des StGB
nunmehr lautet: „Strafbare Verletzungen der Amtspflicht, Korruption und verwandte strafbare
Handlungen“ (BMJ 2012, S. 3). Gesetzlich definiert ist der Begriff aber auch hierzulande nicht,
stattdessen werden genauso verschiedene Korruptionstatbestände aufgelistet (Schuschnigg
2015, S. 1f.). Auf das aktuelle österreichische Korruptionsstrafrecht und das strafrechtliche
Korruptionsverständnis wird in Kapitel 4.2.1 näher eingegangen.
5. Kriminologische Perspektiven
Aus Sicht der Kriminologie wurde das Thema Korruption noch vergleichsweise wenig
beleuchtet – und das ausgerechnet in einem Fach, das sich mit verbrecherischem Verhalten
und seiner effektiven Bekämpfung befasst. Bislang scheint Korruption in der Kriminologie
lediglich im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität als Begleitdelikt auf. Somit existiert
noch keine Theorie der Korruption aus kriminologischer Perspektive. Als interdisziplinär
ausgerichtete Wissenschaft bedient sich die Kriminologie gerne der Erkenntnisse, Theorien
und Methoden anderer wissenschaftlicher Disziplinen, wobei insbesondere die
Strafrechtswissenschaft und die Soziologie das Feld dominieren (Zhang et al. 2009, S. 204f.;
Thiel 2012, S. 169f.). Im Rahmen der Untersuchung von Wirtschaftskriminalität hat sich die
zuvor geschilderte, aus der Soziologie stammende Anomietheorie nach Merton (1968) als
fruchtbar erwiesen, die auch zur Erklärung von Korruption herangezogen werden kann. Was
die Untersuchung von Korruption staatlicher Instanzen (Polizei, Justiz etc.) betrifft, besteht
seitens der Kriminologie noch viel Aufholbedarf. Erste Studien (Kääriäinen 2007; Rowe 2009)
hierzu stammen erst aus den vergangenen letzten Jahren (Thiel 2012, S. 170ff.).
31
6. Politische Perspektiven
Wie naheliegend, befasst sich die Politikwissenschaft vor allem mit „politischer Korruption“,
zu der bereits viele Arbeiten vorliegen, allerdings noch zu wenig aus dem deutschsprachigen
Raum (Wolf 2012, S. 113f.). Dass international bereits viel zu dem Thema geforscht wurde,
liegt daran, dass die Politik einen Bereich darstellt, der besonders korruptionsanfällig ist
(Umgehung von Parteienfinanzierungsregeln, Beeinflussung von Politik- und
Verwaltungsentscheidungen etc.) (Monsau 2010, S. 10). An dieser Stelle sei auf das
monumentale Werk „Political Corruption“ von Arnold Heidenheimer (1970) verwiesen (von
Alemann 2005, S. 23). Ein Genus an politikwissenschaftlichen Theorien der
Korruptionsforschung existiert nicht. Zumeist beziehen Politologen zur Erklärung politischer
Korruption die theoretischen Ansätze der vergleichenden Regierungslehre (Demokratie- oder
Parteientheorien), der Policy-Forschung (akteurszentrierte Ansätze oder Implementations-
theorien), der internationalen Beziehungen (Theorien zwischenstaatlicher Politik) oder der
politischen Theorie (Ansätze angesehener politischer Theoretiker) ein. Beliebte Faktoren, die
im Rahmen der politischen Korruptionsforschung untersucht werden, sind u.a.
Demokratisierungsgrad, Regierungssystem, Größe des öffentlichen Sektors, Pressefreiheit,
Transparenzregelungen, Partizipationsmöglichkeiten, wirtschaftliche Lage etc. Dabei werden
nicht selten benachbarte Disziplinen wie beispielsweise die Philosophie,
Geschichtswissenschaften, Psychologie, Rechtswissenschaften, Soziologie oder Ökonomie
tangiert. Eine besondere Herausforderung bei der Untersuchung politischer Korruption stellt
die Grenzziehung zwischen öffentlichem und privatem Bereich dar, vor allem in Zeiten
zunehmender öffentlich-privater Partnerschaften und Privatisierungen (Wolf 2012, S. 115f.).
7. Historische Perspektiven
Historische Erklärungsansätze versuchen Korruption anhand ihrer historischen Entwicklung
und Ausprägungen sowie einer Vergleichsziehung mit heutigen Erscheinungsformen zu
erklären (von Alemann 2005, S. 22; Nützenadel 2012, S. 79f.). Wesentlichste Erkenntnis
historischer Korruptionsforscher ist jene, dass Korruption ein soziales Phänomen darstellt,
welches sehr wohl einem geschichtlichen Wandel unterlegen ist – abhängig vom politisch-
historischen Kontext. Ursprünglich ging man von der These aus, dass Korruption mit der
Entwicklung von Demokratie und Marktwirtschaft weitgehend ausgeräumt werden würde.
Diese Annahme wurde durch das hohe Korruptionsausmaß in Entwicklungsländern empirisch
32
gestützt. Allerdings zeigten die vielen Korruptionsskandale außerhalb der Entwicklungsländer
ein widersprüchliches Bild auf, weshalb diese These wiederum angezweifelt wird. Lange Zeit
wurde die historische Betrachtung von Korruption vernachlässigt, da sie keine direkten
Handlungsanweisungen zur Korruptionsbekämpfung liefern konnte. Allerdings kann die
historische Korruptionsforschung zu einem tieferen Verständnis der Ursachen von Korruption
beitragen und somit indirekt Ideen zu ihrer Bekämpfung beisteuern (Martiny 2011, S. 6;
Nützenadel 2012, S. 80ff.).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es keineswegs an wissenschaftlichen
Erklärungsansätzen von Korruption mangelt, zumal es sich bei den meisten um „entlehnte“
Theorien und weniger um „originäre“ handelt. Die hier geschilderten Ausführungen
repräsentieren noch lange nicht die volle Bandbreite an bereits vorhandenen
Erklärungsansätzen. Auch andere (hier nicht angeführte) Disziplinen, wie beispielsweise die
Philosophie (z.B. Ethik moralischen Verhaltens), Theologie (z.B. Korruption als Sünde),
Pädagogik (z.B. Bildungslücken) oder Medienwissenschaften (z.B. Skandalisierungsmechanis-
men), können wichtige Beiträge zur Erforschung von Korruption und somit wertvolle Impulse
zu ihrer effektiven Bekämpfung liefern (von Alemann 2005, S. 23f.; Graeff 2012, S. 226f.).
2.5 Ursachen von Korruption
Ausgehend von den verschiedenen wissenschaftlichen Erklärungsansätzen von Korruption
kann auf ihre zahlreichen, bereits vielfach untersuchten Ursachen (historische,
wirtschaftliche, strukturelle, kulturelle, institutionelle und individuelle) geschlossen werden.
Dabei stellt die Ursachenforschung aus kausalanalytischer Sicht insofern eine
Herausforderung dar, als die untersuchten Determinanten häufig auch Auswirkungen
darstellen und daher nicht immer eindeutig gesagt werden kann, in welche Richtung die
Korrelation letztlich kausal wirkt (von Alemann 2005, S. 37; Lambsdorff 2006, S. 4; Kis-Katos &
Schulze 2013, S. 83). Im Folgenden werden die wichtigsten wissenschaftlichen (überwiegend
empirisch belegten) Befunde der letzten Jahre zu den Korruptionsursachen zusammengefasst
wiedergegeben.
33
Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene (Makroebene) wurden bisweilen verschiedene
historische, wirtschaftliche, strukturelle und kulturelle Korruptionsursachen identifiziert und
untersucht. Historisch gesehen konnte ein negativer Zusammenhang zwischen dem
Korruptionsniveau und dem kolonialen Erbe eines Landes ermittelt werden. Allerdings bezieht
sich dieser signifikante Zusammenhang primär auf jene Länder, die einst unter britischer
Kolonialherrschaft und deren Rechtssystem standen (Treisman 2000, S. 418ff.; Swamy et al.
2001, S. 41f.). Wirtschaftlich betrachtet kann Korruption als Folge mangelnden
Wirtschaftswachstums (Bai et al. 2013), niedrigen Entwicklungsstandes (Treisman 2000; Serra
2006), fehlenden Wettbewerbs4 (Ades & Di Tella 1999), geringer wirtschaftlicher Freiheit
(Saha et al. 2009; Enste & Heldman 2017, S. 15), Marktoffenheit (Sandholtz & Koetzle 2000;
Neeman et al. 2008) und großen Rohstoffreichtums (Ades & Di Tella 1999; Bhattacharyya &
Hodler 2010) resultieren. Strukturelle Ursachen beziehen sich auf das formale Rechts- und
Strafsystem im Sinne einer unzureichenden, inkonsistenten oder intransparenten
Ausgestaltung von Gesetzen, Richtlinien und Regeln (Regulierungsqualität) (Myint 2000, S. 37;
von Alemann 2005, S. 35; Lambsdorff 2006, S. 6ff.; Enste & Heldman 2017, S. 13) und/oder
deren unzureichenden Vollziehung (Tanzi 1998, S. 574). Andererseits können staatliche
Verbürokratisierung und Überregulierung, wie beispielsweise die Einführung hoher
Markteintrittsbarrieren, Korruption auch vorantreiben (Djankov et al. 2002; Svensson 2005,
S. 28f.). Die Unabhängigkeit der Judikative stellt jedenfalls eine wichtige Determinante von
Korruption dar (Ades & Di Tella 1996). Ferner kann das Korruptionsniveau vom jeweiligen
Regierungssystem abhängig sein bzw. mit zunehmendem Demokratisierungsgrad – zumindest
auf lange Sicht gesehen – schrumpfen, wie mehrere Studien belegen konnten (Treisman 2000,
S. 433f.; Sandholtz & Koetzle 2000; Bhattacharyya & Hodler 2015; Enste & Heldman 2017,
S. 11). Was den Einfluss der Größe des Regierungsapparates auf Korruption betrifft, liegen
bislang ambivalente Studienergebnisse vor (LaPalombara 1994, S. 338; Goel & Nelson 2010).
Kotera et al. (2012) untersuchten diese Ergebnisambivalenz und führten sie auf den
Demokratisierungsgrad zurück; d.h., dass Korruption ihren Ergebnissen zufolge nur in
demokratisch geprägten Systemen mit der Größe des öffentlichen Sektors abzunehmen
vermag. Die Annahme, dass Dezentralisierung mit der damit einhergehenden
Wettbewerbszunahme zur Korruptionseindämmung beiträgt, gilt aufgrund unzureichender
oder widersprüchlicher Befunde ebenfalls als strittig (Treisman 2000; Fisman & Gatti 2002;
4 Wobei hier auch ambivalente Studienergebnisse vorliegen (Alexeev & Song 2013).
34
Asthana 2012). Weitgehend erwiesen bleibt hingegen, dass Pressefreiheit durch die
vermehrte Transparenzschaffung, Verbreitung von Antikorruptionsnormen und die Erhöhung
sozialer Kosten im Sinne der Veröffentlichung korrupten Verhaltens mit Korruption negativ
korreliert ist (Treisman 2000; Brunetti & Weder 2003; Bhattacharyya & Hodler 2015).
Inwiefern kulturelle Determinanten bzw. soziale Normen und Werte Auswirkungen auf
Korruption haben, wurde ebenfalls empirisch untersucht. Insbesondere konnten Vertrauen,
Hierarchie und Traditionalismus als signifikante kulturelle Determinanten von Korruption
ausfindig gemacht werden (LaPorta et al. 1997). Je höher das Vertrauen in der Gesellschaft,
desto niedriger das Aufkommen von Korruption; je hierarchischer und traditioneller die
Gesellschaft, umso korruptionsanfälliger ist sie (von Alemann 2005, S. 36f.; Lambsdorff 2006,
S. 17ff.). Hinsichtlich des Zusammenhangs von Korruption und Religion liefern bisherige
Untersuchungsergebnisse ein eher widersprüchliches Bild. Während viele Forscher
festgestellt haben, dass staatsnahe Religionen wie Christentum und Islam Korruption
begünstigen und staatsferne Glaubensrichtungen wie Protestantismus korruptionsmindernd
wirken (Treisman 2000; Paldam 2001; Serra 2006), kommen vereinzelte Studien indes zu dem
Ergebnis, dass die Religion keinerlei Auswirkung auf Korruption hat (Shadabi 2013). Eine
jüngere Studie bestätigt, dass kulturelle Werte Einfluss auf das wahrgenommene
Korruptionsniveau haben (Yeganeh 2014).
Auf der institutionellen Ebene (Mesoebene) wird Korruption laut aktuellem Forschungsstand
insbesondere auf zu hohe Profitaussichten (Rose-Ackerman 1996; Myint 2000, S. 36), zu große
Ermessensspielräume und Entscheidungskompetenzen (Myint 2000, S. 37f.), fehlende
Transparenz und Rechenschaftspflichten (Tanzi 1998, S. 575f.; Myint 2000, S. 38f.; Lederman
et al. 2005) sowie mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen und daraus resultierende
niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeiten (Shleifer & Vishny 1993, S. 601f.; Rose-Ackerman
1996; Tanzi 1998, S. 574f.; Frank & Schulze 2003; Olken 2007) zurückgeführt. Fehlende
positive (Führungs-)Vorbilder und ethische Standards (Tanzi 1998, S. 576; Mischkowitz et al.
2000, S. 205f.; Ashforth & Anand 2003, S. 6ff.) sowie eine korrupte Organisationskultur
(Ashforth & Anand 2003, S. 9ff.) können das Aufkommen von Korruption nicht nur
begünstigen, sondern auch legitimieren bzw. normalisieren. Inwiefern niedrige Gehälter
Anreize zu Korruptionstaten bieten, bleibt aufgrund teilweise heterogener Befunde (Treisman
35
2000; van Rijckeghem & Weder 2001; Swamy et al. 2001; Azfar & Nelson 2007) nach wie vor
strittig (von Alemann 2005, S. 37).
Was die Ursachen von Korruption auf der individuellen Ebene (Mikroebene) betrifft, liegen
bereits mehrere Untersuchungen zum Einfluss des Geschlechts, Bildungsniveaus und der
Armut auf Korruption vor (Dimant & Tosato 2016, S. 16). Sowohl ältere als auch jüngere
Studien (Swamy et al. 2001; Frank et al. 2011; Rivas 2012) bestätigen, dass Frauen weniger
korrupt sind als Männer. Allerdings ist diese Befundlage kritisch zu betrachten, da nicht
eindeutig hervorgeht, was durch wen tatsächlich beeinflusst wird (von Alemann 2005, S. 36;
TI 2014, S. 2f.). Weitgehend übereinstimmende Ergebnisse liefern Studien auch im Hinblick
auf die Annahme, dass Korruption mit steigendem Bildungsniveau abnimmt (Glaeser & Saks
2006; Truex 2011). Die Vermutung, dass Korruption mit wachsender Armut zunimmt, konnte
ebenfalls empirisch bestätigt werden (Justesen & Bjørnskov 2014). Weitere empirisch belegte
Ursachen auf der individuellen Ebene schließen mangelndes Unrechtsbewusstsein (von
Alemann 2005, S. 31), geringes Problembewusstsein bzw. Antikorruptionseinstellung
(Cameron et al. 2005; Palazzo et al. 2012), mangelnde Integrität (Frost & Rafilson 1989) sowie
geringe moralische Identität (DeCelles et al. 2012) ein. Im Hinblick auf Persönlichkeitsfaktoren
wird Korruption u.a. auf eine mangelnde Selbstkontrolle (Marcus & Schuler 2004; Blickle et al.
2006), Habgier (Piff et al. 2012), Neurotizismus, Machiavellismus und Psychopathie (Zhao et
al. 2016) zurückgeführt. Was Gewissenhaftigkeit betrifft, liegen widersprüchliche Ergebnisse
vor. Entgegen der Annahme, dass hohe Gewissenhaftigkeit korruptionsmindernd wirkt, kann
diese die Korruptionsneigung im Sinne eines übertriebenen Pflichtbewusstseins auch erhöhen
(Blickle et al. 2006). Ferner können falsch verstandene Loyalitäten oder eine
Überidentifikation mit der eigenen Organisation (Mischkowitz et al. 2000, S. 206; Umphress
et al. 2010) sowie Arbeitsunzufriedenheit und Nebentätigkeiten Anreize zu korruptem
Verhalten bieten (Mischkowitz et al. 2000, S. 206).
36
2.6 Auswirkungen von Korruption
Was die Auswirkungen von Korruption betrifft, ist sich die Mehrheit internationaler
Korruptionsforscher inzwischen einig: Korruption bringt einem Land mehr Nachteile als
Vorteile (Shleifer & Vishy 1993, S. 611; Tanzi 1998, S. 578ff.; Enste & Heldman 2017, S. 23f.).
Dabei divergierten die anfänglichen Meinungen unter den Wissenschaftlern sehr stark. Einige
Forscher (Huntington 1968; Lui 1985; Lien 1986) schrieben Korruption im Sinne der Erwirkung
einer notwendigen Zulassung/Genehmigung, Auftragszusage, Preisminderung oder
Verfahrensbeschleunigung eine durchaus nutzenstiftende und effizienzsteigernde Bedeutung
zu. Diese sogenannte „grease the wheels view“, Korruption diene als ein notwendiges
Schmiermittel zur Modernisierung und Ankurbelung der wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Maschinerie sowie zur Kompensation schlechter Regierungsführung dank
der schnelleren und effizienteren Überwindung bürokratischer Strukturen, wird heutzutage
von immer weniger Wissenschaftlern vertreten (Tanzi 1998, S. 578ff.; von Alemann 2005,
S. 38ff.; Enste & Heldman 2017, S. 23f.). Vielmehr hat sich angesichts vorliegender
Studienergebnisse die „sand the wheels view“, Korruption wirke wie Sand im Getriebe,
durchgesetzt (Kaufmann & Wei 1999; Méon & Sekkat 2005).
Ob ökonomisch, gesellschaftlich, politisch oder ökologisch betrachtet, Korruption kann in
vielerlei Hinsicht desaströse Folgen 5 nach sich ziehen. Mehrere Studien bestätigen, dass
Korruption sich negativ auf die (nationale und internationale) Investitionsrate auszuwirken
vermag, was langfristig die Produktivität und Innovativität und somit die ökonomische
Entwicklung von Unternehmen und Staaten unterminieren kann (Mauro 1995; Wei 2000;
Habib & Zurawicki 2002; Méon & Sekkat 2005; Johnson et al. 2011). Überhaupt konnten
empirische Untersuchungen einen negativen Einfluss von Korruption auf das
Wirtschaftswachstum aufgrund von Investitionsrückgängen, Qualitätseinbußen, erhöhter
indirekter Besteuerung und Ressourcenfehlallokationen nachweisen (Tanzi & Davoodi 2000;
Fisman & Svensson 2007; Johnson et al. 2011), wobei auch einige ambivalente
Studienergebnisse vorliegen (Swaleheen & Stansel 2007; Campos et al. 2010). Allerdings kann
das Wirtschaftswachstum aus kausalanalytischer Sicht nicht nur als Auswirkung, sondern auch
als Ursache von Korruption angesehen werden (Enste & Heldman 2017, S. 28). Ferner liegen
5 Bei einigen der nachfolgend diskutierten Auswirkungen kann es sich um bereits dargelegte Ursachen handeln, da die kausale Beziehung, wie bereits in Kapitel 2.5 erwähnt wurde, in beide Richtungen wirken kann.
37
einige Befunde vor, die einen positiven Zusammenhang zwischen Korruption und
Schattenwirtschaft belegen (Dreher & Schneider 2010; Dell`Anno & Teobaldelli 2015), wobei
auch hier die tatsächliche kausale Beziehung nach wie vor unklar ist (Enste & Heldman 2017,
S. 34). Die korruptionsinduzierte Verminderung staatlicher Einnahmen (Wirtschaftsrückgang,
zunehmende Schattenwirtschaft) und Erhöhung staatlicher Ausgaben (Ineffizienzen) vermag
sich letztlich negativ auf das Haushaltsdefizit auszuwirken (Tanzi & Davoodi 1997; Castro et al.
2014; Dimant & Tosato 2016, S. 19f.). Des Weiteren können Kartell- und Monopolbildungen
durch Korruption vorangetrieben und der Wettbewerb verzerrt werden, was wiederum mit
negativen Auswirkungen auf die Entwicklung und den Wohlstand der Bevölkerung
einhergehen kann (Rose-Ackerman 1996; von Alemann 2005, S. 39). In gesellschaftlicher
Hinsicht kann Korruption durch Fehlallokationen und Ressourcenverschwendung zu
Ungerechtigkeiten und Ineffizienzen bei der Verteilung öffentlicher Güter beitragen und
Qualitätseinbußen bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (insbesondere im
Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturbereich) implizieren (Shleifer & Vishny 1993, S. 616;
Tanzi & Davoodi 1997; Mauro 1998; Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005). Beispielsweise
kann es zur Verlagerung staatlicher Ausgaben von weniger lukrativen Bereichen (z.B.
Gesundheits- und Bildungswesen) in lukrativere, weniger aufdeckungsriskante Bereiche (z.B.
Rüstungsindustrie) kommen, wobei Investitionen in Erstere von größerer Relevanz für die
gesellschaftliche Wohlfahrt und das Wirtschaftswachstum sein können (Gupta et al. 2001).
Insbesondere aber fördert Korruption Ungleichheiten in der Einkommensverteilung, wodurch
die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert wird (Gupta et al. 2002; Gyimah-Brempong & de
Camacho 2006). Diese Erkenntnis steht wiederum im Widerspruch zu jenen Studien, die von
einer umgekehrten kausalen Beziehung ausgehen (Enste & Heldman 2017, S. 30f.). Weiters
wurde argumentiert, dass Korruption soziale Werte und Normen zersetzt (Dimant 2013, S.
39). Dass ein hohes Korruptionsniveau die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte forcieren
kann, konnte u.a. in der Studie von Dimant et al. (2013) aufgezeigt werden. Politisch gesehen
kann Korruption mit einem öffentlichen Vertrauensverlust in das politische System
einhergehen und folglich die Legitimität eines Staates und dessen politische Stabilität und
Demokratie untergraben (Rose-Ackerman 1996; Tanzi 1998, S. 583; Anderson & Tverdova
2003). Aus ökologischer Sicht liegen mehrere empirische Befunde vor, u.a. von Morse (2006),
die die negativen Auswirkungen von Korruption auf die Umwelt belegen (Lambsdorff 2006,
S. 34).
38
2.7 Antikorruptionsmaßnahmen
Trotz teilweise ambivalenter Studienergebnisse (z.B. hinsichtlich der Größe des
Regierungsapparates oder Gehaltshöhe) lassen sich aus der empirischen Befundlage zu den
Ursachen von Korruption wichtige Ansatzpunkte für eine erfolgreiche
Korruptionsbekämpfung ableiten, wie z.B. Pressefreiheit, Demokratisierungsgrad,
Regulierungsqualität, Unabhängigkeit der Justiz, Transparenzschaffung, effektive Kontroll-
und Sanktionsmechanismen, Bewusstseinsbildung und zivilgesellschaftliches Engagement,
Integrität (Enste & Heldman 2017, S. 36). Dabei rückte die Bekämpfung von Korruption vor
allem in den 90er-Jahren aufgrund zahlreicher Skandale und Mediendebatten auf die
politische Agenda zahlreicher Nationen (von Aleman 2005, S. 14). Auf internationaler Ebene
kam es in dieser Zeit zum Beschluss einiger, sich teilweise überlappender und ergänzender
Antikorruptions-Konventionen (der UN, OECD, des Europarates etc.), die die
Unterzeichnerstaaten nicht nur zur lückenlosen rechtlichen Regulierung, sondern vor allem
zur präventiven Maßnahmenergreifung gegen Korruption (im öffentlichen wie im
privatwirtschaftlichen Bereich) verpflichtet haben. Die Umsetzung der Konventionen wird
durch verschiedene Monitoringmechanismen (u.a. Selbstevaluationen, Experten-
evaluationen, Veröffentlichung der Evaluierungsberichte) überwacht (Sickinger 2008, S. 411).
Nachstehend werden die wichtigsten Antikorruptions-Einrichtungen und -Übereinkommen
auf internationaler Ebene aufgelistet und kurz beschrieben, wobei kein Anspruch auf
Vollständigkeit besteht.
OECD
Das 1997 beschlossene OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung
ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (OECD Convention on
Combating Bribery of Foreign Public Officials in International Business Transactions/OECD
Anti-Bribery Convention) verpflichtet die Vertragspartner zur Bestrafung der Bestechung
ausländischer Amtsträger. Die Konvention stellte zu ihrer Zeit einen Meilenstein in der
Bekämpfung grenzüberschreitender Korruption dar, welche bis dahin nicht sanktioniert
wurde. Ganz im Gegenteil: Im Ausland bezahlte Bestechungsgelder konnten bis zu diesem
Zeitpunkt sogar steuermindernd geltend gemacht werden (Sickinger 2008, S. 411f.).
Inzwischen wurde das rechtsverbindliche OECD-Übereinkommen von allen 34
OECD-Mitgliedsstaaten und sieben Nicht-Mitgliedsstaaten unterzeichnet (OECD 2017). In
Österreich erfolgte die Ratifizierung im Jahr 1999 (BGBI III Nr. 176/1999). Kritisiert wird
39
allerdings, dass die OECD trotz ihres strengen Monitoringverfahrens durch die
OECD-Arbeitsgruppe ihre Mitglieder zu wenig zur Umsetzung ihrer Standards zwingt, was
zur mangelhaften Vollstreckung (Verfolgung und Verurteilung von Bestechungsfällen) in
vielen Ländern führt (Heimann et al. 2015; Enste & Lademan 2017, S. 37).
Vereinte Nationen (UN)
Das UN-Übereinkommen gegen Korruption (UN Convention against Corruption - UNCAC)
wurde 2003 seitens der Vereinten Nationen aufgesetzt und stellte den ersten globalen,
völkerrechtlich bindenden Vertrag zur Korruptionsbekämpfung dar. Das Übereinkommen
verpflichtet alle Vertragspartner, effektive und effiziente Maßnahmen zur Prävention und
Bekämpfung von Korruption zu ergreifen und die internationale Zusammenarbeit zu
unterstützen. Die Korruptionsbekämpfungsstrategien der UNCAC umfassen vor allem
folgende vier Bereiche: Prävention, Kriminalisierung und Strafverfolgung, internationale
Kooperation und Vermögensabschöpfung (UN 2004; Enste & Heldman 2017, S. 36f.).
Inzwischen wurde das UN-Übereinkommen von insgesamt 181 Ländern (Stand Dezember
2016) ratifiziert (UNODC 2017). In Österreich erfolgte die Ratifizierung im Jahr 2006 (BGBI
III Nr. 47/2006). Obwohl das UN-Übereinkommen eine wichtige Rolle in der
internationalen Bekämpfung von Korruption einnimmt, wird sein Monitoringsystem stark
kritisiert. Insbesondere mangelt es an einem Follow-up-System zur Sicherstellung der
Umsetzung der in den Evaluierungsberichten vorgeschlagenen Empfehlungen sowie an
Transparenz, da die Evaluierungsberichte wenig veröffentlicht werden (Heimann et al.
2013; Enste & Lademan 2017, S. 36f.).
Europarat/GRECO
Der Europarat hat sich vor allem der Korruptionsbekämpfung in den einzelnen
Mitgliedsstaaten gewidmet. Im Jahr 1999 wurden das Strafrechtsübereinkommen gegen
Korruption (Criminal Law Convention on Corruption) und das Zivilrechtsübereinkommen
gegen Korruption (Civil Law Convention on Corruption) zur Ratifikation vorgelegt. Das
Strafrechtsübereinkommen gegen Korruption enthält weitreichende Regelungen (u.a.
aktive und passive Bestechung öffentlicher Amtsträger, nationaler und ausländischer
Parlamentarier, Bediensteter im privaten Sektor, Angestellter internationaler
Organisationen, Vertreter internationaler Gerichtshöfe etc.) sowie eine Vorgabe für die
Errichtung unabhängiger, spezialisierter Antikorruptionseinrichtungen. Zudem soll
40
Hinweisgebern („Whistleblowern“)6 ausreichender Schutz geboten und die internationale
Zusammenarbeit zur Auslieferung und Informationsbeschaffung gestärkt werden. Das
Zivilrechtsübereinkommen gegen Korruption umfasst Regelungen für den Schutz von
Korruptionsopfern (z.B. Schadenersatzansprüche). Zur Überwachung und Evaluation der
Implementierung der Antikorruptionspolitik des Europarates wurde im selben Jahr die
Staatengruppe gegen Korruption GRECO (Group d'États contre la corruption/Group of
States against Corruption) gegründet. Deren Mitglieder sind alle EU-Mitglieder, alle EU-
Beitrittskandidaten, mehrere Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die USA. Die
Monitoringmechanismen von GRECO umfassen Berichtspflichten der Mitgliedsstaaten,
Expertenevaluierungen bzw. Peer-Reviews sowie das Aufzeigen von Best Practices
(Sickinger 2008, S. 412ff.). Während das Zivilrechtsübereinkommen in Österreich 2006
ratifiziert wurde (BGBI III Nr. 155/2006), erfolgte die Ratifizierung des
Strafrechtsübereinkommens erst im Jahr 2013 (BGBI III Nr. 1/2014). Im letzten GRECO-
Bericht aus dem Jahr 2016 (zweiter Umsetzungsbericht zur dritten Evaluierungsrunde im
Bereich des Strafrechts und der Parteienfinanzierung) wurde eine durchaus positive Bilanz
für Österreich gezogen (GRECO 2016).
OLAF
Zur Eindämmung von Korruption auf EU-Ebene wurde 1999 das Europäische Amt für
Betrugsbekämpfung OLAF (Office européenne de lutte antifraude/European Anti-Fraud
Office) eingerichtet (Sickinger 2008, S. 415). OLAF stellt eine unabhängige Einrichtung zur
Ermittlung von Betrugs- und Korruptionsdelikten, die zur finanziellen Schädigung der EU
beitragen, dar. Dabei können auch schwere Vergehen von Mitgliedern der EU-Organe und
EU-Einrichtungen von OLAF untersucht und anschließend in Straf- und Disziplinar-
verfahren geahndet werden (TI-AC 2013, S. 47).
EPAC/EACN
EPAC (European Partners against Corruption) ist ein unabhängiges, informelles Netzwerk
bestehend aus über 60 nationalen Antikorruptionsbehörden und der Polizei
übergeordneten Überwachungseinrichtungen aus Staaten der EU und des Europarats. Ein
formaleres Netzwerk von rund 50 EU-Antikorruptionsbehörden stellt EACN (European
contact-point network against corruption) dar. Gemeinsam bilden EPAC/EACN das
6 Als Whistleblower gelten Informanten, die Korruption und sonstiges Fehlverhalten öffentlich aufzeigen (Kern-Homolka et al. 2011, S. 47). Der Unterschied zum Kronzeugen besteht darin, dass Whistleblower als Hinweisgeber nicht selbst an der Tat beteiligt sind (BMJ 2017, S. 3).
41
zentrale Forum für europäische Antikorruptionspraktiker zum wechselseitigen Austausch
von Erfahrungen und Expertenwissen. Gemeinsam erarbeitete Standards und Prinzipien
liefern staatlichen Behörden einen wichtigen Orientierungsrahmen zur Bekämpfung von
Korruption (TI-AC 2013, S. 25).
Transparency International
Die wohl bekannteste, internationale, parteipolitisch unabhängige Nichtregierungs-
organisation zur Bekämpfung von Korruption stellt Transparency International dar, die
1993 von dem ehemaligen Weltbankdirektor Peter Eigen gegründet wurde. Die
Organisation zielt vorrangig darauf ab, das Problembewusstsein in der Gesellschaft zu
heben sowie die Zusammenarbeit von Regierungen, Wirtschaft, Medien und
Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption zu stärken. Somit zielt Transparency
International nicht auf das Anprangern von Einzelfällen, sondern primär auf Prävention
und die Reform von Systemen ab. Für Initiativen und Aktivitäten von Transparency
International sind die jeweiligen nationalen Chapters verantwortlich; das österreichische
Chapter von Transparency International (Transparency International – Austrian Chapter)
wurde im Frühjahr 2005 gegründet. Abgesehen davon ist Transparency International der
Herausgeber von drei weltweit erstellten, regelmäßig veröffentlichten Indizes zum Thema
Korruption: Corruption Perception Index, Bribe Payers Index und Global Corruption
Barometer (vgl. Kapitel 2.8) (Geiblinger 2008, S. 63ff.).
Zu den wichtigsten Antikorruptionsbemühungen auf nationaler Ebene, die vor allem aufgrund
der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Maßnahmenergreifung gegen Korruption basierend
auf den internationalen Antikorruptions-Konventionen gesetzt wurden, zählen die
Verschärfung des Antikorruptionsstrafrechts (2008) sowie die Einrichtung unabhängiger
Antikorruptionseinrichtungen wie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft
(WKStA), die eng mit dem Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung
(BAK) kooperiert. Nähere Informationen zu den gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen auf
nationaler Ebene können Kapitel 4.2.2 entnommen werden. Eine ausführlichere Auseinander-
setzung mit der Thematik würde an dieser Stelle den Umfang der vorliegenden Arbeit
sprengen.
42
2.8 Messung von Korruption
Seitdem Korruption in den 90er-Jahren zunehmend auf die politische Agenda zahlreicher
Staaten gesetzt wurde, fand das Thema auch vermehrt Eingang in die internationale
Forschung (Shleifer & Vishny 1993; Mauro 1995, 1996, 1998; Rose-Ackerman 1996, 1999;
Treisman 2000; Wei 2000; Zurawicki & Habib 2002, 2010). Hervorzuheben sind insbesondere
die frühen, wegweisenden Arbeiten von Rose-Ackerman (1975), Klitgaard (1988) und Shleifer
& Vishny (1993). Dabei stellt Korruption in vielerlei Hinsicht keinen einfachen
Untersuchungsgegenstand dar. Die Forschungsarbeit wird allein schon dadurch erschwert,
dass nach wie vor keine umfassende, allgemeingültige Definition von Korruption existiert
(Kliche & Thiel 2011, S. 412; Langseth 2016, S. 9). Zudem handelt es sich hierbei um ein sehr
kontextspezifisches Phänomen, welches einerseits von den institutionellen
Rahmenbedingungen und dem jeweiligen Entwicklungsstand, und andererseits von den
kulturspezifischen Normen und Werten, die wiederum Einfluss auf die Wahrnehmung von und
Einstellung gegenüber Korruption nehmen können, abhängig ist. Eine grenzübergreifende
komparative Untersuchung ist somit mit immensen methodischen Problemen behaftet (Kliche
& Thiel 2011, S. 412; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 101). Ferner mangelt es bisweilen an einer
interdisziplinären, umfassenden Korruptionstheorie, wodurch umfassende Schluss-
folgerungen aus den Ergebnissen einzelner Untersuchungen erschwert werden (Kliche & Thiel
2011, S. 412). Die größte Herausforderung liegt allerdings in der Identifikation von Indikatoren
und Daten zur Messung und Erfassung korrupten Verhaltens. Dies ist wiederum auf die
Prinzipien zurückzuführen, auf denen Korruption beruht: Verschwiegenheit und
Geheimhaltung. Ein vertrauliches Geschäft, aus dem beide an der Korruption beteiligte Seiten
profitieren und daher alles daran setzen, es möglichst geheim zu halten. Ein solches in der
Regel opferloses Täter-Täter-Delikt findet nur schwerlich einen Kläger. Dementsprechend
hoch ist die Dunkelziffer nicht aufgedeckter Fälle und umso schwieriger erweist sich die
empirische Erforschung dieses Gegenstandes (Jansen 2005, S. 14f.; Blackburn et al. 2008, S. 5;
Lambsdorff & Schulze 2015, S. 100). Nichtsdestotrotz ist es Wissenschaftlern bereits gelungen,
Korruption empirisch zu untersuchen, insbesondere was ihre Ursachen und Auswirkungen
betrifft. Während die erste Generation der Korruptionsforschung ihren Fokus auf
länderübergreifende Analysen unter Einbeziehung von Korruptionswahrnehmungsindizes
legte und auch grand corruption mit einschloss, rückte die zweite Generation von der Makro-
auf die Mikroebene ab und untersucht Korruption seither vermehrt auf Individuums-,
43
Haushalts- oder Unternehmensebene mittels Befragungen, Experimenten oder Erhebungen
zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben. Zwar liefert die zweite Forschergeneration neue
Sichtweisen zu den kausalen Prozessen, welche korrupten Transaktionen unterliegen, jedoch
ist sie aufgrund der erheblichen Messschwierigkeiten überwiegend auf petty corruption
beschränkt (Lambsdorff & Schulze 2015, S. 100f.).
Im Folgenden werden die wichtigsten quantitativen und qualitativen Zugänge der
Korruptionsforschung, die in der nachstehenden Tabelle (Tabelle 4) zusammengefasst
werden, einschließlich ihrer methodischen Probleme aufgezeigt und näher beschrieben,
wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht.
Methoden zur Messung von Korruption
1. Quantitative Methoden
Stakeholderbefragungen (Experten, Bevölkerung, Korruptionsopfer)
Kompositindizes
Deliktregister (Kriminalstatistik)
Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben
Feld- und Laborexperimente
Integritätstests
Hannoversche Korruptionsskala (HKS 38)
2. Qualitative Methoden
(Experten-)Interviews
Beobachtungen
Fallstudien
Dokumentenanalysen
Fokusgruppen
Tabelle 4: Methoden zur Messung von Korruption Quelle: Verfasserin
1. Quantitative Methoden
Aktuell wird die Korruptionsforschung in den Sozialwissenschaften von quantitativen Studien
dominiert. Dies trifft vor allem auf die Wirtschaftswissenschaften zu. Über 90 % der von Bader
et al. (2013, S. 24) analysierten wirtschaftswissenschaftlichen Artikel wandten quantitative
Methoden an, ungefähr 8 % setzten qualitative Methoden ein, während die restlichen einen
Mixed-Methods-Ansatz verfolgten (Bader et al. 2013, S. 24ff.). Zu den bislang eingesetzten
quantitativen Methoden zählen:
44
Stakeholderbefragungen
Aufgrund der eingangs geschilderten Messschwierigkeiten wurden in der Vergangenheit
zumeist Maßzahlen herangezogen, die aus der subjektiven Wahrnehmung und Einschätzung
von Befragten (Experten, Bevölkerung, Korruptionsopfer etc.) resultierten und somit
hinsichtlich dem Grad, den Ursachen und Folgen von Korruption nur beschränkt
aussagekräftig waren. Dennoch wurde dank der Emergenz zahlreicher Datensätze und der
damit einhergehenden Entwicklung sogenannter Korruptionsindizes seitens unterschiedlicher
Organisationen und Einrichtungen die quantitative Korruptionsforschung in den letzten
Jahren stark vorangetrieben (Jain 2001, S. 76f.; Svensson 2005, S. 22f.; Blackburn et al. 2008,
S. 5; Zurawicki & Habib 2010, S. 1f.; Bader et al. 2013, S. 29).
Expertenbefragungen
Die meisten Indizes, die ursprünglich aus privatwirtschaftlichen Erwägungen (für Banken,
Investoren und multinationale Unternehmen zur Einschätzung politischer, finanzieller und
ökonomischer Risiken) entwickelt worden sind, beruhen auf jährlichen
Einschätzungsmittelwerten befragter Experten (Investoren, Spitzenmanager,
Wirtschaftsfachleute, Risikoanalysten etc.). Dabei variieren die Kennzahlen in
Abhängigkeit von ihren jeweiligen Herausgebern hinsichtlich der Stichprobengröße,
Befragungsquelle sowie Itemmenge. Zu den wichtigsten Indizes zählen insbesondere die
Ratings von Business International (BI), der International Country Risk Guide (ICRG) von
Political Risk Services, das World Competitiveness Yearbook vom Institute for Management
Development (IMD) sowie der Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums
(WEF) (Mauro 1995, S. 682ff.; Azfar et al. 2001, S. 49; Jain 2001, S. 76f.; Svensson 2005, S.
21f.; Kliche & Thiel 2011, S. 429ff.). Ihr Vorteil liegt allesamt darin, dass sie ganze
Gesellschaften in einer einzigen Kennzahl abbilden und dadurch einen internationalen
Vergleich ermöglichen (Kliche & Thiel 2011, S. 431). Auf diese Weise erlangte auch Paolo
Mauro im Jahr 1995 seinen Durchbruch in der empirisch-quantitativen
Korruptionsforschung, als er mittels eines internationalen Datensatzes (basierend auf den
gemittelten Werten dreier Indizes von Business International zur Korruption,
Bürokratisierung und Effizienz des Rechtssystems) einen signifikanten negativen
Zusammenhang zwischen dem Korruptionsniveau und der Investitionsrate (und somit
dem Wirtschaftswachstum) verschiedener Länder belegen konnte (Mauro 1995). Seine
Pionierarbeit löste eine Welle verwandter Studien aus (Lambsdorff & Schulze 2015,
45
S. 101). Allerdings wird die Gültigkeit der Indizes aus mehreren Gründen angezweifelt:
Erstens wird zwischen der Wahrnehmung und eigener Erfahrung der Experten nicht
differenziert. Zweitens kann die Wahrnehmung der Experten verzerrt sein und von der
Realität abweichen, beispielsweise durch Vorurteile, den länder- oder kulturspezifischen
Kontext oder die vermehrte Sichtbarmachung und Skandalisierung von Korruption.
Drittens werden unterschiedliche Erscheinungsformen von Korruption und nationale,
branchenspezifische Unterschiede nicht berücksichtigt (Andersson & Heywood 2009, S.
752ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 432f.). Eine gründlichere methodologische Betrachtung lässt
somit auf eine eher geringe Aussagefähigkeit dieser Indikatoren schließen. Um diese zu
erhöhen, bedarf es zukünftig u.a. der Offenlegung von Stichproben und Gütekriterien
(Kliche & Thiel 2011, S. 433f.).
Bevölkerungsumfragen
Abgesehen von Experten kann auch die Bevölkerung hinsichtlich ihrer Erfahrungen und
subjektiven Wahrnehmung von Korruption in verschiedenen Organisationen und
Handlungsfeldern befragt werden und somit eine zusätzliche Sichtweise im Hinblick auf
die Verbreitung und Formen dieses Phänomens liefern (Kliche & Thiel 2011, S. 438f.). Der
wohl bekannteste Indikator, der auf regelmäßigen Bevölkerungsumfragen basiert, ist der
Global Corruption Barometer von Transparency International (Kliche & Thiel 2011,
S. 438f.). Weitere bekannte Indikatoren auf regionaler Ebene stellen der Eurobarometer,
Afrobarometer und Latinbarometer dar (Hussmann 2010, S. 13). Zwar lassen
Bevölkerungsdaten durch ihre Differenzierung nach Subgruppen eine gründlichere
Prävalenz- und Ursachenforschung zu, unterliegen jedoch auch typischen Wahrnehmungs-
verzerrungen wie Vorurteilen und Stereotypen, beispielsweise infolge übermäßiger
Medienrepräsentation bestimmter Deliktgruppen. Daher muss die subjektive
Wahrnehmung mit der Realität nicht unbedingt übereinstimmen. Aus diesem Grund sind
Bevölkerungsumfragen für sich allein nicht tragfähig. Ein interkultureller Vergleich erweist
sich ebenso als schwierig (Reuband 1998, S. 148; Kliche & Thiel 2011, S. 439f.).
Viktimisierungsbefragungen
Auch Viktimisierungsbefragungen stellen eine Möglichkeit dar, mehr Einblick in das
Dunkelfeld Korruption zu erhalten und die Effektivität bestimmter Gegenmaßnahmen zu
überprüfen. Aufgrund dessen, dass sie auf konkreten Ereignissen bzw. eigenen
Erfahrungen und nicht auf Einschätzungen beruhen, gelten sie als greifbarer und
46
inhaltsvalider (Kliche & Thiel 2011, S. 434ff.). Dennoch sind die Ergebnisse sowohl von der
Auskunftsbereitschaft als auch von der Auskunftsfähigkeit der Befragten (im Sinne der
Erkennung der Schädigung) abhängig und bilden demnach nicht die vollständigen Opfer-
und Schadensziffern ab (Kliche & Thiel 2011, S. 437; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 103f.).
Die wohl bekannteste Studie zur Erfassung von Wirtschaftskriminalität, die auf
zweijährlichen Viktimisierungsbefragungen auf Unternehmensebene beruht und neben
Delikten wie Geldwäscherei und Internetkriminalität auch Korruption und Bestechung
einschließt, ist der Global Economic Crime Survey von PricewaterhouseCoopers (Kliche &
Thiel 2011, S. 435; PwC 2016, S. 8ff.).
Kompositindizes (Aggregierte Datensätze)
Um die Gültigkeit einzelner Indizes zu erhöhen, werden ihre Ergebnisse häufig auch
miteinander kombiniert und in einem Gesamtindex gemittelt. Der größte Vorteil eines solchen
Kompositindikators liegt in der Datenverdichtung und Vergleichbarkeit bei gleichzeitiger
Reduktion einzelner Fehlerquellen in der Datenerhebung und -auswertung (Kliche & Thiel
2011, S. 442f.). Die hohe Interkorrelation der Indizes lässt wiederum auf einen gewissen
Konsens in der Wahrnehmung und Messung von Korruption schließen, weswegen diese gerne
in Kombination miteinander zur Schätzung des Zusammenhangs von Korruption und anderen
Variablen, wie beispielsweise Wirtschaftswachstum, herangezogen werden (Azfar et al. 2001,
S. 49; Jain 2001, S. 77; Blackburn et al. 2008, S. 5). So stellt auch der Korruptions-
wahrnehmungsindex von Transparency International einen Metaindex dar, der sich aus
Rankings unterschiedlicher Institutionen zusammensetzt. Aktuell gilt er als das beste
Korruptionsmaß für internationale Vergleiche (von Alemann 2005, S. 26; Andersson &
Heywood 2009, S. 752ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 445; TI-AC 2015). Nichtsdestotrotz stellt sich
bei derartigen aggregierten Datensätzen die Frage, ob ihre hohe Interkorrelation nicht auf
eine mögliche Fehlerkumulation in den Einzelkennziffern (z.B. kulturelle Stereotype)
zurückzuführen ist. Solange weder Gütekriterien noch Stichproben einsehbar sind, bleibt auch
die Validität von Metaindizes strittig (Kliche & Thiel 2011, S. 445).
47
Deliktregister (Kriminalstatistik)
Eine weitere Möglichkeit, Korruption empirisch zu untersuchen, besteht in der Auswertung
fremdproduzierter Daten wie Strafverfolgungsdaten (Kriminalstatistik, Deliktregister etc.)
(von Alemann 2005, S. 24; Kliche & Thiel 2011, S. 441; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104).
Diese geben Auskunft über das Hellfeld, d.h. über die Zahl bekannt gewordener Delikte sowie
– bei tiefergehenden Analysen – über deren Schwere und Beteiligungskreis. Langfristige
Entwicklungen können daraus abgeleitet werden. Zwar stellt eine solche Datenauswertung
eine weitaus objektivere Erhebungsmethodik dar, liefert jedoch aufgrund des hohen
Dunkelfeldes nur wenig Aufschluss über die tatsächliche Verbreitung und das Ausmaß von
Korruption. Zudem unterliegen die Daten jährlichen Schwankungen und somit einer hohen
Diagnoseanfälligkeit infolge rechtlicher Veränderungen oder verstärkter Strafverfolgung
(Kliche & Thiel 2011, S. 441; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104). Insofern erweist sich auch
ein internationaler Vergleich als sehr schwierig bis unmöglich, als eine einheitliche
Rechtsetzung, Strafverfolgung und Delikterfassung vorausgesetzt werden (Kliche & Thiel
2011, S. 442; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104). Aufgrund ihrer hohen Diagnoseanfälligkeit
können Inzidenz- und Prävalenzraten Korruptionsforschern lediglich grobe Anhaltspunkte im
Hinblick auf die Verbreitung, Formen und Ursachen von Korruption liefern (Kliche & Thiel
2011, S. 442).
Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben
Korruption lässt sich auch anhand des Schwundes der seitens der öffentlichen Hand zur
Verfügung gestellten Mittel bewerten und quantifizieren. Als Erhebungsinstrumente kommen
zumeist spezielle Befragungen oder Audits in Frage (vgl. Kapitel 3.7). Überdies kann
Korruption auch in nichtmonetärer quantitativer Weise, wie beispielsweise über die
Ermittlung der Absentismusrate im Rahmen einer Umfrage zur Qualität der öffentlichen
Dienstleistungserbringung, gemessen werden (Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104). Bader et
al. (2013, S. 29) führen in concreto an, dass eine Gegenüberstellung der getätigten Ausgaben
für ein öffentliches Infrastrukturprojekt und dessen aktuellem Wert eine Möglichkeit darstellt,
Korruption zu erfassen. Der Vorteil all dieser Ansätze besteht insbesondere im höheren
Messlevel (Bader et al. 2013, S. 29).
48
Labor- und Feldexperimente
Ein aktueller Trend im Rahmen empirisch-quantitativer Korruptionsforschung geht in Richtung
Feld- und Laborexperimente. Diese bieten im Gegensatz zu bisherigen quantitativen
Erhebungsmethoden neue Möglichkeiten, die Determinanten und Auswirkungen
individuellen Korruptionsverhaltens wie auch die Wirksamkeit gesetzter
Antikorruptionsmaßnahmen über direkte Beobachtung zu erforschen. Zwar liegen die Vorteile
von Feldexperimenten insbesondere in der hohen externen Validität und Realitätsnähe,
jedoch leidet ihre interne Validität häufig unter der mangelnden Kontrollierbarkeit der
experimentellen Situation. Zudem erweist sich deren Durchführbarkeit insofern als schwierig,
als Korruption direkt kaum messbar und beobachtbar ist. Dies gilt auch für die empirische
Überprüfung der tatsächlichen Wirkungen von Antikorruptionsmaßnahmen. Im Vergleich zu
Feldexperimenten ermöglichen Laborexperimente die Untersuchung der Einflussnahme
ausgewählter Faktoren (z.B. Entdeckungswahrscheinlichkeit, Sanktionen) auf das individuelle
Entscheidungsverhalten unter kontrollierten Rahmenbedingungen. Aufgrund ihrer
Kontrollierbarkeit weisen sie eine hohe interne Validität auf. Gegenüber Feldexperimenten
können sie auch gezielter im Hinblick auf die Forschungsfrage designt werden. Ihr Nachteil
liegt indes in der mangelnden externen Validität infolge der künstlich erschaffenen Situation
und einer Experimentalgruppe, die sich meist aus Studierenden zusammensetzt. Die
Übertragbarkeit auf die reale Welt bleibt somit strittig. Ferner lässt sich grand corruption im
Labor nur schwer untersuchen. Da augenscheinlich sowohl Feld- als auch Laborexperimente
über Vor- und Nachteile verfügen, sollten sie idealerweise in komplementärer Weise
eingesetzt und deren Ergebnisse verglichen werden (Abbink 2006, S. 418ff.; Li 2011, S. 382ff.;
Lambsdorff & Schulze 2015, S. 105ff.). Inzwischen wurden einige Publikationen zum Thema
experimenteller Korruptionsforschung veröffentlicht. Zu den ersten experimentellen
Korruptionsstudien zählt jene von Frank & Schulze (2000), die u.a. den Einfluss des
Geschlechts und des Studienzweiges auf das Korruptionsverhalten aufzeigen konnten (höhere
Korruptionsanfälligkeit männlicher Ökonomiestudierender). Ein Beispiel für ein reines
Feldexperiment stellt die Untersuchung von Olken & Barron (2009) dar. Über einen Zeitraum
von neun Monaten wurden LKW-Fahrer von als Fahrer-Assistenten verkleideten Forschern auf
ihrer regulären Route durch Aceh (Indonesien) begleitet, um die Häufigkeit und Höhe illegaler
Zahlungen an Militär-/Polizeikontrollstellen und Wiegestationen direkt zu beobachten. Auf
über 300 Fahrten konnten über 6000 illegale Zahlungen beobachtet werden, was insgesamt
49
über 40 USD pro Fahrt und 13 % der Fahrtkosten entsprach. Weitere experimentelle Studien
stammen u.a. von Cameron et al. (2005), Armantier & Boly (2008) und Barr et al. (2009).
Integritätstests
Integritätstests, wie beispielsweise IBES (Inventar berufsbezogener Einstellungen und
Selbstbeschreibungen) oder PIA (Persönlichkeitsinventar zur Integritätsabschätzung), bieten
eine Möglichkeit, die individuelle Neigung zu kontraproduktivem Verhalten (Diebstahl,
Absentismus, Mobbing etc.), die in Abhängigkeit von den jeweiligen Einstellungen und
Persönlichkeitsmerkmalen wie Gewissenhaftigkeit oder Selbstkontrolle variieren kann, zu
messen (Kliche & Thiel 2011, S. 420f.; Litzcke et al. 2014, S. 4f.). Zwar können Integritätstests
Gutachter bei der Einschätzung der Neigung von Probanden zu kontraproduktivem Verhalten
unterstützen, doch eignen sie sich nur bedingt zur Vorhersage von Korruption bzw. lediglich
in Kombination mit anderen Instrumenten. Dies wird einerseits damit argumentiert, dass die
Tests anfällig für Coaching und sozial erwünschtes Antwortverhalten seien, und andererseits
damit, dass sie streng genommen nur Gehorsam und Konformität gegenüber den
Vorgesetzten erfassen und somit unethisches Verhalten zugunsten des Arbeitgebers nicht
berücksichtigen (Berry et al. 2007, S. 271ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 421ff.). Zudem erfasst das
Konstrukt Integrität ein viel breiteres Verhaltensspektrum als Korruption und ist vor allem auf
Persönlichkeitsdimensionen ausgerichtet (Litzcke et al. 2014, S. 4f.).
Hannoversche Korruptionsskala (HKS 38)
Mit der Hannoverschen Korruptionsskala (HKS 38) lässt sich die Einstellung gegenüber
Korruption messen. Die Skala umfasst insgesamt 38 Items, die sich auf drei Subskalen
verteilen: Die kognitive Subskala (15 Items) erfasst Stereotypen, Überzeugungen und
Meinungen hinsichtlich Korruption, die affektive Subskala (13 Items) erhebt Emotionen und
Stimmungen, die bei einer Person im Zusammenhang mit Korruption ausgelöst werden, die
konative Subskala (10 Items) erfasst Verhalten und Verhaltenstendenzen gegenüber
Korruption. Im Vergleich zu Integritätstests ist die HKS 38 spezifischer (Korruption statt
Integrität) und fokussiert Einstellungen statt Persönlichkeitsdimensionen. Aufgrund der
Gefahr sozial erwünschten Antwortverhaltens sollte das Instrument lediglich in der
Korruptionsforschung und nicht in der Personalauswahl eingesetzt werden (Litzcke et al.
2014).
50
2. Qualitative Methoden
Wie bereits erwähnt wurde, sind qualitative Studien im Gegensatz zu quantitativen in der
Korruptionsforschung noch relativ unterrepräsentiert – insbesondere im Bereich der
Wirtschaftswissenschaften (Kliche & Thiel 2011, S. 411; Bader et al. 2013, S. 29). Und dies,
obwohl die qualitative Korruptionsforschung vertiefendere oder sogar neue Erkenntnisse
hinsichtlich den Korruptionsmechanismen und -dynamiken liefern kann (Kliche & Thiel 2011,
S. 411). Zu den wichtigsten qualitativen Methoden im Bereich der Korruptionsforschung
zählen u.a. (Experten-)Interviews, Beobachtungen, Fallstudien, Dokumentenanalysen und
Fokusgruppen, wobei im Folgenden nur ausgewählte Erhebungsinstrumente näher ausgeführt
werden (Kliche & Thiel 2011, S. 414ff.; Bader et al. 2013, S. 26f.; Langseth 2016, S. 16ff.).
(Experten-)Interviews
Die wohl am häufigsten eingesetzte Form der qualitativen Befragung stellt – neben dem
Telefoninterview und der schriftlichen qualitativen Befragung – das persönliche Interview dar.
Hierbei wird – mit zunehmendem Strukturierungs- und abnehmendem Offenheitsgrad –
zwischen dem narrativen, problemzentrierten, Experten-, halbstandardisierten und
fokussierten Interview unterschieden. Als mittlere Variante zwischen Offenheit und
Strukturierung sei an dieser Stelle das Experteninterview hervorgehoben. Im Vergleich zu
anderen Interviewformen zeichnen sich Experteninterviews dadurch aus, dass die Person des
Befragten in den Hintergrund gerückt wird, während ihr spezielles Fach- und
Hintergrundwissen einschließlich ihrer persönlichen Erfahrungen, Sichtweisen und
Einschätzungen in Bezug auf das Untersuchungsthema in den Mittelpunkt gestellt werden.
Somit wird die Wahl der Interviewpartner, die als Repräsentanten einer bestimmten Gruppe
oder Feldes angesehen werden, vom jeweiligen Forschungsinteresse geleitet (Borchardt &
Göthlich 2009, S. 38ff.; Bogner et al. 2014, S. 10ff.). Die Stärken von Experteninterviews liegen
in erster Linie in der Erforschung und Rekonstruktion innovativer, komplexer Handlungsfelder
und sozialer Prozesse sowie im Verstehen kausaler Wirkmechanismen, die das Feld und
dessen beteiligten Akteure prägen (Wassermann 2015, S. 64f.). Aufgrund dessen werden
Experteninterviews auch gerne zur Erforschung von Korruption herangezogen (Stuhlhofer et
al. 2008; Campbell & Göritz 2014; Othman et al. 2014). Beispielsweise untersuchten
Stuhlhofer et al. (2008) im Rahmen einer groß angelegten, kulturellen Vergleichsstudie die
Formen, Ursachen, Auswirkungen und Bekämpfungsstrategien von Korruption in Kroatien
51
mittels Experteninterviews. Eine große Zahl an aus verschiedenen Bereichen stammenden
Interviewpartnern ermöglicht die Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes aus
unterschiedlichen Perspektiven und die Vergleichbarkeit dieser – insbesondere wenn hierbei
die Theoriengenerierung angestrebt wird (Wassermann 2015, S. 54f.). Strittig bleibt indes,
inwiefern qualitative Experteninterviews zur Überprüfung von Hypothesen oder Theorien
herangezogen werden können. Zudem beruhen sie nebst objektiven auch auf subjektiven
Wissensbeständen, Meinungen und Wahrnehmungen, die es bei der Auswertung zu
berücksichtigen gilt (Wassermann 2015, S. 53ff.). Nähere Ausführungen zum
Experteninterview lassen sich in Kapitel 5.4.1 finden, da sich die vorliegende Dissertation auf
diese Erhebungsmethodik stützt.
(Teilnehmende) Beobachtung
Beobachtungen zielen darauf ab, sinnlich wahrnehmbares Verhalten zum Zeitpunkt seines
Geschehens zu erfassen und zu interpretieren (Atteslander 2000, S. 73, zitiert nach Borchardt
& Göthlich 2009, S. 40). Sie können in unterschiedlicher Form (offen vs. verdeckt, teilnehmend
vs. nicht-teilnehmend, wenig vs. stark strukturiert, informiert vs. unwissentlich u.a.)
durchgeführt werden (Borchardt & Göthlich 2009, S. 38). Im Hinblick auf den
Untersuchungsgegenstand Korruption, der in der Regel im Verborgenen stattfindet, bietet
sich insbesondere die teilnehmende Beobachtung an, um die Motive und Ablaufmuster
menschlicher Interaktionen über direkte Beteiligung näher zu ergründen. Meistens findet
diese zusätzlich in verdeckter Form statt (Kliche & Thiel 2011, S. 418). Eine auf einer
teilnehmenden Beobachtung und mehreren Interviews basierende Studie stellt jene von Beek
(2008) dar, der Korruption in der Polizei in Nord-Ghana als eine situative Anpassung der
Polizeiarbeit an ihr unsicheres Umfeld (niedrige Legitimität, konkurrierende alternative
Rechtsinstanzen, innerinstitutionelle Widersprüche etc.) beschrieben hat. Zwar können
Beobachtungsverfahren zu einem tieferen Verständnis der Korruptionsmechanismen
– insbesondere in Subkulturen – beitragen, allerdings ist die Möglichkeit der direkten
Beobachtung selten gegeben; zudem werden andere Forschungsansätze als effizienter und
zuverlässiger eingestuft. Neben ihrer zeit- und ressourcenaufwendigen Vorbereitung und
Durchführung können teilnehmende Beobachtungen auch unter ihrer mangelnden
Objektivität aufgrund von Wahrnehmungsverzerrungen oder der zu geringen Distanz zum
Forschungsobjekt leiden. Zudem bestehen im Falle der verdeckten Beobachtung oftmals
52
forschungsethische oder rechtliche Bedenken (Borchhardt & Göthlich 2009, S. 40ff.; Kliche &
Thiel 2011, S. 419f.; Langseth 2016, S. 17f.). Ferner muss bereits im Vorhinein abgeklärt
werden, ob und wann im Rahmen des Forschungsprojektes aufgedecktes, illegales Verhalten
an Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden sollte (Langseth 2016, S. 18).
Fallstudien
Eine Fallstudie verfolgt das Ziel, die Motive, Abläufe, Ursachen und Auswirkungen sozialen
Handelns anhand eines realen Einzelereignisses zu ergründen und somit zu einem tieferen
Verständnis all seiner Rahmenbedingungen und Einzelheiten beizutragen. Hierfür bedarf es
einer umfangreichen Datenerhebung, die unterschiedliche empirische Methoden,
insbesondere Befragungen (sowohl qualitativer als quantitativer Natur),
Dokumentenanalysen und Beobachtungen, mit einschließen kann. Liegen mehrere
vergleichbare Fallstudien vor, deren eruierte Zusammenhänge sich gegenseitig bestätigen,
können auf deren Grundlage Theorieansätze (Hypothesen, Erklärungsmodelle) und
Gefahrenindikatoren abgeleitet werden (Borchardt & Göthlich 2009, S. 34ff.; Kliche & Thiel
2011, S. 414ff.; Lengsath 2016, S. 17). Fallstudien eignen sich vor allem zur Untersuchung sehr
innovativer, bislang unerforschter, komplexer Bereiche, wenn es an Fallzahlen für eine
quantitative Erforschung noch mangelt – wie beispielsweise im Falle von Korruption
(Borchardt & Göthlich 2009, S. 36). Einige fallstudienbasierte Studien zu Korruption liegen
bereits auf, unter anderem jene von Maravic (2007), in der dezentrale Korruption als mögliche
Folge des New Public Managements via Interviews und Dokumentenanalysen untersucht
wurde. Allerdings können Fallstudien sehr zeitaufwendig und ihre Durchführbarkeit vom
jeweiligen Feldzugang (z.B. Akteneinsicht, Vollständigkeit und Richtigkeit der Daten,
Erfordernis selbstständiger Ermittlungen) dominiert sein – insbesondere was den
Untersuchungsgegenstand Korruption anbelangt. Zudem setzen sie häufig einen bestimmten
Sachverstand voraus (Merkens 2009, S. 294f.; Kliche & Thiel 2011, S. 415f.). Eine
Verallgemeinerung von Fallstudien ist nur schwer möglich (Borchardt & Göthlich 2009, S. 36;
Mayring 2015, S. 20); dies würde im Hinblick auf Korruption eine breite Fallsammlung (u.a.
Gerichts- und Ermittlungsakten) und deren komplexe Auswertung supponieren, insbesondere
seitens Staatsanwaltschaften, Polizeien und Kontrollorganen wie etwa Rechnungshöfen.
Bisherige Auswertungen von Strafverfolgungsdaten (wie z.B. der Kriminalstatistik) lieferten
lediglich Aussagen über Umfang, Verteilung und Beteiligtenkreis und weniger über deren
53
speziellen Hintergründe und Rahmenbedingungen. Außerdem lassen sich von Fallstudien
alleine – schon aufgrund des hohen Dunkelfeldes – keine Rückschlüsse auf die tatsächliche
Prävalenz von Korruption ziehen (Kliche & Thiel 2011, S. 414ff.).
2.9 Zukünftiger Forschungsbedarf
Obwohl sich die Korruptionsforschung derzeit in einer Konjunkturphase befindet, weist sie
noch viel Forschungsbedarf auf. Zwar sind die Ursachen und Auswirkungen von Korruption
mittlerweile gut erforscht, allerdings bleiben einige Fragen zu ihrer Kausalität offen. Zudem
basieren viele Untersuchungen auf länderübergreifenden Analysen, ohne die jeweiligen
kultur- und kontextspezifischen Gegebenheiten/Strukturen zu berücksichtigen, was eine
wichtige Voraussetzung für die Entwicklung wirksamer Antikorruptionsmaßnahmen auf
nationaler Ebene darstellt. Ferner gehören die unterschiedlichen Formen von Korruption auf
ihre spezifischen Auswirkungen näher untersucht (Lambsdorff 2006, S. 41ff.). Im Vergleich zu
den Ursachen und Auswirkungen von Korruption kann die Datenlage zu ihrer Verbreitung als
dürr und unzuverlässig eingestuft werden. Unzureichende, unpräzise oder fehlende
Messinstrumente gelten hierfür als Hauptursache. Folglich bedarf es zukünftig vor allem der
vermehrten Überprüfung, Weiter- und Neuentwicklung von Instrumenten zur Korruptions-
messung. Vor allem bleibt nach wie vor fraglich, inwiefern wahrnehmungsbasierende
Umfragen zur Erfassung von Korruption und für eine internationale oder interregionale
Vergleichsforschung tatsächlich geeignet sind (Kliche & Thiel 2011, S. 450ff.; Bader et al. 2013,
S. 29; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 109). Zur Erlangung objektiverer, von der subjektiven
Wahrnehmung unabhängiger Korruptionsdaten empfiehlt es sich u.a., regelmäßig in
unterschiedlichen Branchen repräsentative Viktimisierungsbefragungen durchzuführen,
kontinuierlich und systematisch Fallakten zu studieren (z.B. mittels eines einheitlichen
Auswertungsschemas), den Ausbau der Korruptionsberichterstattung seitens Polizeien und
Ministerien zu forcieren sowie auf eine Offenlegung der zur Strafverfolgung eingesetzten
Mittel zu drängen. Auf diese Weise könnte das Dunkelfeld besser abgeschätzt und Korruption
auch im Hinblick auf regionale und branchenspezifische Unterschiede eingehender studiert
werden (Kliche & Thiel 2011, S. 452ff.). Zudem bieten Erhebungen zur Rückverfolgung
öffentlicher Ausgaben eine weitere Möglichkeit, Korruption genauer zu erfassen (Lambsdorff
& Schulze 2015, S. 104). Zur umfassenderen Beleuchtung von Korruption und der genaueren
54
Verdeutlichung ihrer Mechanismen und Dynamiken gehören zukünftig kausalanalytische
Forschungsansätze wie Experimente und qualitative Erhebungsmethoden (z.B. Interviews,
Beobachtungen, Fallstudien) stärker einbezogen (Kliche & Thiel 2011, S. 451f.). Generell wird
eine verstärkte Daten- und Methodentriangulation empfohlen, wie beispielsweise die
Kombination von qualitativen und quantitativen Ansätzen oder Feld- und Laborexperimenten,
um bisherige Erhebungswege zu validieren und die generelle Aussagekraft von
Untersuchungsergebnissen zu erhöhen (Kliche & Thiel 2011, S. 452; Bader et al. 2013, S. 29;
Lambsdorff & Schulze 2015, S. 108f.). Zu den wenigen Studien, die auf einer
Methodentriangulation basieren, zählen beispielsweise die Untersuchungen von Olken (2009)
oder von Armantier & Boly (2008). Was die international komparative Forschung betrifft, ist
gleichfalls eine Validierung eingesetzter Messinstrumente vonnöten; gerade kulturelle und
sozialstrukturelle Unterschiede haben in der komparativen Forschung bisweilen wenig
Beachtung gefunden (Kliche & Thiel 2011, S. 412).
Weiters mangelt es in der Forschung an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Effizienz und
Effektivität bislang gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen, wodurch eine gezielte und
wirksame Korruptionsbekämpfung erschwert wird. Dies liegt vor allem an den fehlenden
Messinstrumenten zur Erfassung ihrer Wirksamkeit (Europäische Kommission 2007, S. 571).
Zukünftig gilt es, auch die kultur- und kontextspezifischen Gegebenheiten, die auf die
Effektivität von Antikorruptionsmaßnahmen einwirken können, zu untersuchen und zu
berücksichtigen; sprich: Was macht eine Antikorruptionsstrategie in einem bestimmten
(kulturellen) Kontext erfolgreich, aber nicht in einem anderen? (Lambsdorff & Schulze 2015,
S. 108). Ein weiteres Forschungsdesiderat stellt bisweilen auch die Analyse der grand
corruption und systemic corruption dar, was mit ihren erheblichen Messschwierigkeiten
zusammenhängt. Grand corruption wurde bislang fast ausschließlich mittels Befragungen auf
der Makroebene erfasst. Angesichts ihres immensen Schadensausmaßes ist ihre gründlichere
Erforschung für die Generierung zukünftiger Antikorruptionsmaßnahmen unabdingbar. Ein
möglicher Ansatz, systemic corruption näher zu erforschen, besteht in der historischen
Untersuchung von Faktoren und Anreizen, die zur Entwicklung und Aufrechterhaltung des
korrupten Systems geführt haben. Ebenso bietet es sich an, erfolgreiche und nicht-
erfolgreiche Antikorruptionsmaßnahmen näher zu analysieren (Lambsdorff & Schulze 2015,
S. 109f.). Indonesien, ein Land, welches jahrelang mit systemischer Korruption unter der
55
Diktatur Suhartos zu kämpfen hatte und erst nach seinem Abgang nach mehreren
Rückschlägen einen allmählich erfolgreichen Korruptionsrückgang verzeichnet, stellt
beispielsweise eine gute Story für grand corruption bzw. systemic corruption dar (Butt 2011;
Lambsdorff & Schulze 2015, S. 109f.).
2.10 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 3
Korruption, seitens Transparency International als der „Missbrauch von anvertrauter Macht
zum privaten Nutzen“ definiert, stellt ein uraltes, komplexes, weltweit verbreitetes Phänomen
dar (Shleifer & Vishny 1993, S. 599; Myint 2000, S. 33). Sie kann unterschiedliche Formen
(Bestechung/Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung/-annahme, Veruntreuung, Betrug,
Erpressung, Kollusion, Favoritismus etc.) annehmen und mit verheerenden wirtschaftlichen,
gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Folgen (Investitions- und Wirtschafts-
rückgang, Wettbewerbsverzerrung, Fehlallokationen und Qualitätseinbußen bei öffentlichen
Dienstleistungen, ungleiche Einkommensverteilung, Zersetzung sozialer Werte und Normen,
öffentlicher Vertrauensverlust, Unterminierung staatlicher Legitimität etc.) einhergehen
(Lambsdorff 2006, S. 22ff.; Enste & Heldman 2017, S. 23ff.). Laut aktuellen Schätzungen des
Internationalen Währungsfonds soll sich der weltweite volkswirtschaftliche Schaden durch
Korruption im Jahr 2015 auf 1,5 bis zwei Billionen USD belaufen haben (IMF 2016, S. 5).
Aufgrund zahlreicher Skandale und Mediendebatten wurde die Korruptionsbekämpfung in
den 90er-Jahren auf die politische Agenda zahlreicher Staaten gesetzt. Dabei lassen sich allein
aus der empirischen Befundlage zu den Ursachen von Korruption wichtige Ansatzpunkte zu
ihrer erfolgreichen Bekämpfung (Pressefreiheit, Demokratisierungsgrad, Regulierungs-
qualität, Unabhängigkeit der Justiz, Transparenzschaffung, Kontroll- und Sanktions-
mechanismen, Bewusstseinsbildung und zivilgesellschaftliches Engagement, Integrität etc.)
ableiten (Enste & Heldman 2017, S. 36). Überdies kam es in den 90er-Jahren auf
internationaler Ebene zum Beschluss einiger wichtiger Antikorruptions-Konventionen (der
UN, OECD, des Europarates etc.), die die Unterzeichnerstaaten zur lückenlosen rechtlichen
Umsetzung und aktiven Maßnahmenergreifung gegen Korruption (u.a. Errichtung
unabhängiger, spezialisierter Antikorruptionseinrichtungen, Schutz von Whistleblowern etc.)
verpflichtet haben. Zeitgleich fand das Thema auch vermehrt Eingang in die internationale
56
Forschung (Shleifer & Vishny 1993; Klitgaard 1988; Mauro 1995, 1996, 1998; Rose-Ackerman
1996, 1999; Treisman 2000; Wei 2000; Zurawicki & Habib 2002, 2010). Die ersten
theoretischen Untersuchungen hierzu erfolgten bereits in den frühen 70er-Jahren (Krueger
1974; Rose-Ackerman 1975; Bhagwati 1982), wobei zu den zentralen wegweisenden Arbeiten
jene von Rose-Ackerman (1975), Klitgaard (1988) und Shleifer & Vishny (1993) gezählt werden.
Dabei stellt Korruption aus vielerlei Hinsicht keinen einfachen Untersuchungsgegenstand dar
(Heimlichkeitsdelikt bzw. hohe Dunkelziffer, fehlende global einheitliche
Korruptionsdefinition, fehlende umfassende Korruptionstheorie, kultur- und
kontextspezifisches Phänomen) (Kliche & Thiel 2011, S. 412f.). Den Durchbruch in der
empirischen Korruptionsforschung erlangte 1995 Mauro, der dank eines internationalen, auf
Korrespondenten- und Experteneinschätzungen beruhenden Korruptionsindexes von
Business International einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen dem
Korruptionsniveau und der Investitionsrate (und somit dem Wirtschaftswachstum)
verschiedener Länder belegen konnte (Mauro 1995). Seitdem wächst die Zahl der
veröffentlichten Studien und wissenschaftlichen Arbeiten zu Korruption vehement. Das
Thema erlebt aktuell einen regelrechten Literaturboom seitens verschiedener
wissenschaftlicher Disziplinen (Jain 2001, S. 71; von Alemann 2005, S. 14; Bader et al. 2013, S.
23f.). Mittlerweile existieren neben ökonomischen Erklärungsansätzen von Korruption auch
psychologische, soziologische, politische, kriminologische, strafrechtliche, historische u.a.
(von Alemann 2005, S. 22ff.; Graeff 2012, S. 208; Grieger 2012, S. 6ff.). Nach wie vor
dominieren vor allem quantitative Methoden die Korruptionsforschung (Stakeholder-
befragungen, Kompositindizes, Deliktregister, Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher
Ausgaben, Labor-/Feldexperimente etc.) und weniger qualitative (Interviews, Fallstudien,
Beobachtungen etc.), wobei eine Abkehr von der Makroebene (länderübergreifende
Analysen) auf die Mikroebene (Haushalts-, Individuums- und Unternehmensebene) in den
letzten Jahren beobachtbar ist (Bader et al. 2013; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 100ff.).
Während die Ursachen und Auswirkungen von Korruption (abgesehen von einigen offen
gebliebenen kausalanalytischen Fragen) mittlerweile gut erforscht sind, kann die Datenlage zu
ihrer Verbreitung als vergleichsweise dürr eingestuft werden. Unzuverlässige oder fehlende
Messindikatoren gelten hierfür als Hauptursache, worin auch der zukünftige
Forschungsbedarf besteht. Gleiches gilt für die Erhebung der Effektivität und Effizienz bislang
gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen (Europäische Kommission 2007, S. 571), wofür es
57
ebenfalls an adäquaten Messinstrumenten mangelt. Um Korruption zukünftig umfassender zu
beleuchten und ihre Mechanismen und Dynamiken genauer zu verdeutlichen, empfiehlt es
sich, zukünftig verstärkt kausalanalytische Ansätze wie Experimente und qualitative
Erhebungsmethoden einzubeziehen (Kliche & Thiel 2011, S. 450ff.). Generell sollte auf eine
verstärkte Daten- und Methodentriangulation gesetzt werden, um die Aussagekraft von
Untersuchungsergebnissen zu erhöhen und bisherige Erhebungsmethoden zu validieren
(Kliche & Thiel 2011, S. 452; Bader et al. 2013, S. 29; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 108f.).
Nachdem in Kapitel 2 ein prägnanter, umfassender Überblick über die aktuelle Ausgangslage
und die wichtigsten theoretischen Grundlagen zum Forschungsgegenstand Korruption als
wichtige Ausgangsbasis für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit geliefert wurde,
erfolgt im nachfolgenden Kapitel 3 eine inhaltliche Fokussierung auf „Korruption im
Gesundheitssystem“.
58
3 Korruption im Gesundheitssystem
Im Folgenden wird ein umfassender und zugleich kompakter Überblick über die IST-Situation
und den aktuellen Forschungsstand zu Korruption im Gesundheitssystem auf internationaler
Ebene geliefert. Ausgehend von der Begriffsbestimmung und -abgrenzung von Korruption im
Gesundheitssystem (Kapitel 3.1) und ihrem geschätzten Ausmaß (Kapitel 3.2) werden die
spezifischen Erscheinungsformen (Kapitel 3.3), Auswirkungen (Kapitel 3.4) und Ursachen
(Kapitel 3.5) dieses Phänomens erläutert. Danach wird auf bislang gesetzte
Antikorruptionsmaßnahmen auf internationaler Ebene (Kapitel 3.6) und die wichtigsten
Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruption und ihrer Risiken im
Gesundheitssystem (Kapitel 3.7) näher eingegangen. Abschließend wird der zukünftige
Forschungsbedarf aufgezeigt (Kapitel 3.8) und die wichtigsten Erkenntnisse aus Kapitel 3 als
Überleitung auf Kapitel 4 zusammengefasst wiedergegeben (Kapitel 3.9).
3.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung
Bei der Begriffsbestimmung von Korruption im Kontext des Gesundheitssystems lehnen sich
viele Autoren an die gängige Definition von Transparency International an (Savedoff 2007,
S. 2; Vian 2008, S. 84; Chattopadhyay 2013, S. 153). Da aber der „Missbrauch von anvertrauter
Macht zum privaten Nutzen“ für die Definition von Korruption im Gesundheitssystem oftmals
zu kurz greift, indem diese Definition den Kern des Problems (Intransparenz des äußerst
komplexen Systems „Gesundheitswesen“) nicht herausbildet, wurde von Transparency
International – Deutsches Chapter folgende erweiterte Begriffsbestimmung vorgeschlagen:
„Im Gesundheitswesen soll ein Verhalten dann „korruptiv“ genannt werden, wenn zugunsten
[eines Einzelnen bzw.] 7 einer bestimmten Gruppe der im Gesundheitsmarkt Agierenden
missbräuchlich Vorteile zu Lasten anderer Gruppen, beziehungsweise der Allgemeinheit
bewirkt werden“ (TI-DE 2000, S. 2). So liegt bei dieser Definition weniger die einzelne strafbare
Handlung (Bestechung, Vorteilszuwendung etc.) im Vordergrund, sondern vielmehr die
Gesamtstruktur, welche durch ihre hohe Intransparenz möglicherweise Einfallstore für
Korruption bietet (TI-DE 2000, S. 2). In diesem Sinne wird auch in der vorliegenden Dissertation
fortan auf die erweiterte Begriffsbestimmung von Transparency International zurückgegriffen,
7 Dieser Teil wurde später seitens Transparency International – Austrian Chapter hinzugefügt (TI-AC 2010, S. 6).
59
wobei – wie bereits in Kapitel 2.1 angemerkt wurde – die Formulierung einer eigenständigen
Definition für das nationale Gesundheitssystem im Rahmen der empirischen Untersuchung
anvisiert wird.
Häufig taucht der Begriff „Korruption im Gesundheitssystem“ im Zusammenhang mit
Begriffen wie Compliance, Interessenkonflikten oder der Zwei-/Mehrklassenmedizin auf, die
es im Folgenden klar abzugrenzen gilt.
Compliance
Im Gegensatz zu Korruption wird unter Compliance die Übereinstimmung mit und die
Einhaltung von rechtlichen oder regulativen Vorgaben verstanden. Davon abzugrenzen ist
der Begriff der Patienten-Compliance, der die Bereitschaft der Patienten, die Anweisungen
ihrer Ärzte zu befolgen, beschreibt (Dieners & Lembeck 2010, S. 125; Bienert 2013, S. 1ff.).
Interessenkonflikte
Laut Thompson (1993, S. 573) versteht man unter Interessenkonflikten im Kontext des
Gesundheitssystems Situationen, „in denen professionelles Urteilsvermögen, welches sich
auf ein primäres Interesse (z.B. das Wohl des Patienten oder die Validität der Forschung)
bezieht, dazu tendiert, durch ein sekundäres Interesse (z.B. finanzieller Vorteil)
unangemessen beeinflusst zu werden.“. Demzufolge stellen Interessenkonflikte Zustände
und nicht Handlungs- oder Beurteilungsergebnisse dar, die das menschliche
Urteilsvermögen nicht zwangsläufig beeinflussen, sondern lediglich ein Risiko hierfür
bergen (Klemperer 2008, S. 2100). Daher sind Interessenkonflikte im Gesundheitssystem
nicht von vornherein als verwerflich oder illegitim zu bezeichnen, insbesondere deswegen
nicht, weil sie ubiquitär verbreitet und heutzutage eher die Regel als die Ausnahme
darstellen. Erst der richtige Umgang mit ihnen (z.B. in Form ihrer Offenlegung) bestimmt,
ob sie in missbräuchlichem Verhalten bzw. Korruption resultieren (Klemperer 2008, S.
2100; Spelsberg 2010, S. 7; Hintringer 2010, S. 24ff.; Kern-Homolka 2011, S. 18).
Zweiklassenmedizin/Mehrklassenmedizin
Die Zwei- oder Mehrklassenmedizin beschreibt eine Situation, in der die Qualität der
Gesundheitsversorgung vom finanziellen oder sozialen Status einer Person abhängig ist
und somit ein solidarisch finanziertes System unterminiert wird. Während sich der Begriff
der Zweiklassenmedizin zumeist auf die unterschiedliche Qualität der medizinischen
Versorgung in Abhängigkeit von der Versicherungsart bezieht und somit die Einteilung von
60
Krankenversicherten in zwei Klassen – in gesetzlich versicherte und zusatzversicherte
Patienten – impliziert, differenziert die Mehrklassenmedizin zwischen weitaus mehr
Patientengruppen im Hinblick auf die Güte der medizinischen Behandlung (vgl. Kapitel
5.7.5) (Spöndlin 2003, S. 368; Pruckner & Hummer 2013, S. 43).
3.2 Ausmaß von Korruption
Bereits 2006 ging aus dem Global Corruption Report von Transparency International mit
besonderer Schwerpunktsetzung auf das Gesundheitssystem hervor, dass Korruption selbst
im Gesundheitssektor ein weltweit verbreitetes Phänomen darstellt (TI 2006, S. 25ff.). Wie
dem Global Corruption Barometer aus dem Jahr 2013 zu entnehmen ist, wird die
Korruptionsanfälligkeit des Gesundheitssektors auf einer Skala von 1 (gar nicht korrupt) bis 5
(extrem korrupt) im Durchschnitt mit 3.3 bewertet. Insgesamt 17 % aller Befragten gaben an,
in den letzten 12 Monaten ein Bestechungsgeld für den Erhalt einer Gesundheitsleistung
bezahlt zu haben (Hardoon & Heinrich 2013, S. 11 und S. 16). Laut einer Studie der
Europäischen Kommission aus demselben Jahr findet Korruption in allen europäischen
Gesundheitssystemen Eingang; Unterschiede bestehen lediglich hinsichtlich des Ausmaßes
und den einzelnen Ausprägungsformen (Europäische Kommission 2013, S. 3). Den
Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus 2013 zufolge, geht jeder dritte
Europäer (33 %) davon aus, dass Korruption im Gesundheitssystem weit verbreitet ist. Jeder
zwanzigste Europäer gibt an, im vergangenen Jahr für den Erhalt einer Gesundheitsleistung
eine Zuwendung in Form einer Geldzahlung, Krankenhausspende oder eines Geschenks
geleistet zu haben. Dabei weist das Gesundheitssystem im Vergleich zu anderen Bereichen
(z.B. Polizei- und Zollwesen) die höchste Bestechungsrate auf. Während einige EU-Länder (z.B.
Rumänien, Litauen) sehr stark davon betroffen sind, weisen andere wenig bis kaum
Bestechungsfälle im Gesundheitssystem auf (z.B. Großbritannien, Niederlande, Schweden)
(Europäische Kommission 2014, S. 6ff. und S. 117ff.). Ähnliches geht auch aus dem aktuellen
Global Corruption Barometer hervor; auch hier verzeichnet das Gesundheitssystem die
höchste Bestechungsrate innerhalb der EU-Länder. Insgesamt gaben 10 % aller europäischen
Haushalte, die im vergangenen Jahr eine Gesundheitsleistung in Anspruch genommen haben,
an, ein Bestechungsgeld gezahlt zu haben (Pring 2016, S. 19). Internationale Experten
schätzen, dass weltweit ca. 3 % bis 10 % (im Durchschnitt zwischen 5 % und 6 %) der
61
Gesundheitsbudgets durch Korruption verloren gehen und nicht der öffentlichen
Gesundheitsversorgung zugutekommen (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee & Button
2015, S. 12; LSE 2017a, S. 557). Auf die globalen Gesundheitsausgaben – nach Dieleman et al.
(2017) ca. 9,21 Billionen USD im Jahr 2014 – umgelegt, ergäbe dies einen jährlichen Schaden
zwischen 276,3 und 921 Mrd. USD (laut eigener Berechnung der Autorin). Angesichts des
zunehmenden Finanzierungs- und Sparsamkeitsdrucks, der aktuell auf vielen Staaten im
Kontext des demografischen Wandels und medizinischen Fortschrittes lastet, stellen solche
„Ineffizienzen“ ein durchaus ernstzunehmendes Problem dar (Rupp 2006, S. 2). Denn neben
dem durch Korruption verursachten monetären Schaden rückt vor allem der nicht-monetäre
im Sinne der daraus resultierenden mangelnden Gesundheitsversorgung in den Vordergrund
(Vian 2008, S. 83ff.; WHO 2010a; European Commission 2013, S. 29). Auf die spezifischen
monetären und nicht-monetären Auswirkungen von Korruption wird in Kapitel 3.4 näher
eingegangen.
3.3 Erscheinungsformen von Korruption
Mittlerweile liegen einige Studien auf internationaler Ebene zu den Erscheinungsformen von
Korruption im Gesundheitssystem vor. Die häufigsten Erscheinungsformen schließen
Bestechungs- und Kickbackzahlungen, informelle Zahlungen zwischen Leistungserbringern
und -empfängern, Abrechnungsbetrug, Kollusion, Favoritismus, Absentismus, Diebstahl von
Arzneimitteln/Medizinprodukten, Veruntreuung öffentlicher Gesundheitsbudgets,
Versicherungsbetrug, Wissenschaftsbetrug und unethische Marketingpraktiken ein (Savedoff
2007, S. 3ff.; Vian 2008, S. 85; Europäische Kommission 2013, S. 47ff.; Petkov & Cohen 2016,
S. 4ff.; LSE 2017a, S. 554f.; Nair et al. 2017, S. 16ff.).
Am besten lassen sich die spezifischen Erscheinungsformen von Korruption identifizieren,
indem man sich die beteiligten Akteure im Gesundheitssystem und deren
Beziehungsverflechtungen genauer ansieht. Zu den wichtigsten Akteuren in jedem
Gesundheitssystem zählen die Gesundheitspolitik und -verwaltung, Leistungszahler,
Leistungserbringer, Leistungsempfänger sowie die Industrie als wichtiger Lieferant. Angesichts
geteilter Rollen und Verantwortlichkeiten können sich im wechselseitigen Zusammenspiel für
jeden der Beteiligten Möglichkeiten ergeben, das System zum eigenen Nutzen zu
62
missbrauchen (Savedoff 2007, S. 3ff.; Nair et al. 2017, S. 17). Nachfolgende Grafik (Abbildung
3) veranschaulicht die mögliche Einbettung korrupter Praktiken im Gesundheitssystem, die
anschließend auf der Ebene der einzelnen Akteure näher beleuchtet werden. Zu beachten ist,
dass nicht alle Erscheinungsformen grundsätzlich illegal sein müssen, sondern nach der ihnen
zugrunde gelegten Begriffsbestimmung in den sogenannten (kontext- und länderspezifischen)
Graubereich zwischen Legalität und Illegalität fallen können. Dieser Graubereich resultiert
zumeist aufgrund fehlender oder unklarer Regeln und Gesetze; der Umgang mit ihnen hängt
in erster Linie von der persönlichen Motivation, den individuellen Werten und Prinzipien ab
(Europäische Kommission 2013, S. 53 und S. 93).
Erp
ress
un
g d
urc
h In
spek
tore
n
Gesundheitspolitik und -verwaltung
Leistungszahler (Staat, öffentliche/
private Versicherung)
Einflussnahme auf Entscheidungsträger
state capture
Einflussnahme auf Entscheidungsträger
Einflussnahme auf Entscheidungsträger
asdf
Normensetzung und Kontrolle
Arzneimittelzulassung Medizinprodukte-Zertifizierung Normensetzung und Kontrolle
Kosten- und Sparsamkeitsdruck
Absentismus Missbrauch von Nebentätigkeiten Abrechnungsbetrug Diebstahl etc.
Einflu
ssnah
me au
f Entsch
eid
un
gsträger
Einflussnahme auf Entscheidungsträger
state capture
procurement corruption Qualitätsbetrug
Wissenschaftsbetrug unethische Marketingpraktiken
Einflussnahme auf Verschreibungspraxis etc.
procurement corruption
Leistungserbringer (öffentlich/privat)
Informelle Zahlungen Favoritismus
Überversorgung Unterversorgung etc.
Informelle Zahlungen Missbrauch der Krankenversicherungskarte Rezeptfälschungen etc.
Leistungsempfänger (Patienten)
Andere Lieferanten (Anlagenbau etc.)
Arzneimittel- und Medizinprodukte-
lieferanten
Abbildung 3: Manifestierung von Korruption im Gesundheitssystem Quelle: In Anlehnung an Savedoff 2007, S. 3
63
1. Gesundheitspolitik und -verwaltung
In vielen Ländern zählt das Gesundheitssystem zu den am stärksten regulierten Sektoren
(Petkov & Cohen 2016, S. 8). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Arzneimittel und
Medizinprodukte sicher und effektiv, Health Professionals (Leistungserbringer) ausreichend
qualifiziert sind und Gesundheitseinrichtungen bestimmte Standards erfüllen. Über die
Einhaltung bestehender Regulative zum Schutze der Patienten wachen Regulierungsbehörden
(Gesundheitsministerien, Aufsichtsbehörden etc.); die Festlegung von Gesundheitszielen und
-strategien und die damit einhergehende Reglementierung des Gesundheitssystems obliegt
der Gesundheitspolitik. Weder die Ebene der Gesundheitspolitik noch die der -verwaltung ist
vor Korruption gefeit (Savedoff 2007, S. 4; Petkov & Cohen 2016, S. 6ff.).
Bestechung
Um Einfluss auf wichtige Entscheidungsträger und -prozesse in Politik und Verwaltung zu
nehmen (im Fachjargon als state capture bezeichnet), können Akteure im
Gesundheitssystem öffentlich Bedienstete für die pflichtwidrige Vornahme oder
Unterlassung einer bestimmten Handlung (z.B. ungerechtfertigte Zulassung eines
bestimmten Arzneimittels/Medizinproduktes, ungerechtfertigte Akkreditierung einer
medizinischen Fachkraft oder Zertifizierung einer Gesundheitseinrichtung) bestechen
(Hussmann 2010, S. 24; Petkov & Cohen 2016, S. 6ff.; Nair et al. 2017, S. 17). Selbst wenn
sich Akteure konform verhalten, kann die eigene öffentliche Position zur Akquirierung von
Bestechungsgeldern missbraucht werden (Savedoff 2007, S. 4).
Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen
Neben finanziellen Anreizen können Individuen, Unternehmen und Gruppierungen auch
ihre persönlichen Verbindungen und (höherrangigen) Positionen dazu missbrauchen,
Einfluss auf wichtige Entscheidungsträger und -prozesse in der Politik und Verwaltung zum
eigenen Vorteil zu nehmen. Der Missbrauch persönlicher Verbindungen und
einflussreicher (höherrangiger) Positionen schließt insbesondere Favoritismus
(Nepotismus, Klientelismus) und die Drehtürkorruption8 (revolving door corruption) ein
(Europäische Kommission 2013, S. 85; Petkov & Cohen 2016, S. 6f.). Beteiligte an solchen
ungebührlichen Interaktionen, die sich zumeist auf höherer Ebene abspielen, können
8 Die Drehtürkorruption resultiert aus vorliegenden Interessenkonflikten, die beispielsweise durch den Wechsel von einem privaten Arbeitgeber (z.B. Pharmaindustrie) zu einem öffentlichen Arbeitgeber (z.B. Krankenhaus), dessen wichtiger Lieferant der ehemalige private Arbeitgeber ist, hervorgerufen werden können (Europäische Kommission 2013, S. 86).
64
sowohl Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, die Industrie als auch Leistungserbringer sein.
Ein hohes Missbrauchsrisiko bergen vor allem enge Beziehungsverflechtungen zwischen
Wirtschaftstreibenden, Regierungsmitarbeitern und Politikern sowie simultane und
wechselnde Beschäftigungen in und zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor,
wodurch schwerwiegende Interessenkonflikte (und die daraus resultierende
Drehtürkorruption) hervorgerufen werden können. In diesem Kontext kann sich auch die
Grenzziehung zwischen legalem Lobbying und unethischer Einflussnahme auf politische
Entscheidungsträger und -prozesse gegebenenfalls als sehr schwierig erweisen
(Europäische Kommission 2013, S. 85f.).
2. Leistungszahler (Kostenträger)
Leistungszahler (Staat, öffentliche und private Versicherungsanstalten etc.) finanzieren
Gesundheitsleistungen, die seitens Health Professionals erbracht werden, und zielen in erster
Linie auf einen effizienten Einsatz zur Verfügung stehender Ressourcen ab. Dabei können sie
nicht nur seitens Leistungserbringern und -empfängern betrogen (Abrechnungsbetrug,
Missbrauch der Krankenversicherungskarte, Rezeptfälschungen etc.), sondern auch selbst
illegal tätig werden (Savedoff 2007, S. 4; Europäische Kommission 2013, S. 87ff.).
Veruntreuung öffentlicher Gesundheitsbudgets
Grundsätzlich besteht immer das Risiko, dass öffentliche Gesundheitsbudgets durch
(höherrangige) Funktionäre veruntreut werden (Savedoff 2007, S. 4; Kohler et al. 2011,
S. 37). Ein besonders hohes Veruntreuungsrisiko bergen vor allem spendenfinanzierte
nationale Gesundheitsbudgets, da deren Verwendung schwerer zu kontrollieren und zu
verfolgen ist (Kohler et al. 2011, S. 37; Petkov & Cohen 2016, S. 18f.). Fehlende öffentliche
Gelder zur Finanzierung von Gesundheitsleistungen können mit der Zunahme informeller
Zahlungen einhergehen (Petkov & Cohen 2016, S. 18).
Ablehnung von Versicherungsansprüchen
(Private) Versicherungsanstalten können Versicherungsansprüche auch ablehnen, obwohl
sie gesetzlich verpflichtet sind, diese zu erstatten. Gleichzeitig können auch Mitarbeiter
aus Regulierungsbehörden bestochen werden, um solche korrupten Verhaltensweisen zu
ignorieren (Savedoff 2007, S. 4).
65
3. Leistungserbringer (Gesundheitsdienstleister, Health Professionals)
Grundsätzlich stehen Leistungserbringern (Medizinern und anderen Gesundheitsberufen,
Gesundheits- und Forschungseinrichtungen) zahlreiche Wege offen, um ihre Position zum
eigenen Vorteil zu missbrauchen. Als wichtige Entscheidungsträger und Vertrauenspersonen
der Patienten entscheiden sie nicht nur über die Wahl der richtigen Therapie und Medikation,
sondern u.a. auch über die Länge des Krankenhausaufenthalts einschließlich der Nach-
behandlung sowie über weiterführende Diagnostika und zusätzliche medizinische Leistungen.
Dabei kann im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Berufsethos der Versuchung schon mal
nachgegeben und der finanzielle oder berufliche Eigennutzen über das Wohl des Patienten
oder des Gesamtsystems gestellt werden (Savedoff 2007, S. 4).
Informelle Zahlungen
Eine gängige Form von Korruption im Zuge der Leistungserbringung stellen sogenannte
informelle Zahlungen (informal payments, under-the-table-payments) dar, die in
Österreich auch unter dem Begriff der „Kuvertmedizin“ bekannt sind (TI-AC 2010, S. 7).
Aufgrund ihrer zahlreichen Ausprägungen existiert bislang keine einheitliche Definition9
von informal payments (Chereches et al. 2013, S. 108ff.). Grundsätzlich versteht man unter
informal payments Zuwendungen (Geld- oder Sachleistungen) für die Erbringung von
Leistungen, die anspruchsberechtigten Patienten eigentlich kostenlos oder zu einem
niedrigeren Preis zustehen sollten. Oftmals werden auch Zuwendungen darunter
subsumiert, die zwischen Leistungserbringern und -empfängern im Gegenzug für eine
bessere oder bevorzugte Behandlung (z.B. Vorreihung auf Wartelisten) vereinbart werden
(TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 4f.; Europäische Kommission 2013, S. 31ff. und S. 53ff.).
Die Zuwendung selbst kann seitens der Leistungserbringer gefordert oder seitens der
Patienten angeboten werden und vor, während oder nach der jeweiligen
Untersuchung/Behandlung erfolgen. Angemerkt sei, dass es sich bei informellen
Zahlungen nicht immer um einen Bestechungsversuch handeln muss, da sie auch die Form
eines Geschenkes annehmen können, insbesondere dann, wenn kein eindeutiger
Zusammenhang zwischen der Leistungserbringung und der Geld- oder Sachleistung
erkennbar ist. Fraglich bleibt indes, ob und inwiefern sich eine solche Gabe auf die
9 Chereches et al. (2013, S. 113) empfehlen, sich an die Definition von Gaal et al. (2006, S. 276) anzulehnen: “a direct contribution, which is made in addition to any contribution determined by the terms of entitlement, in cash or in-kind, by patients or others acting on their behalf, to health care providers for services that the patients are entitled to”.
66
zukünftige Behandlung des Patienten auszuwirken vermag (Europäische Kommission
2013, S. 31 und S. 93).
Missbrauch von Nebenbeschäftigungen
Eine Alternative zu informellen Zahlungen stellt der Missbrauch von
Nebenbeschäftigungen dar. Dies betrifft vor allem im öffentlichen Krankenhaus
angestellte Ärzte, die Patienten unnötigerweise in die eigenen Privatordinationen
umleiten (und hierfür eine Ordinationsgebühr erheben) oder öffentliche Einrichtungen
(z.B. diagnostische Geräte, Laboruntersuchungen) zur Behandlung privater Patienten
nutzen (TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 5; Europäische Kommission 2013, S. 62; Petkov
& Cohen 2016, S. 21).
Absentismus
Unter Absentismus werden unbefugte Abwesenheiten bzw. Fehlzeiten von angestellten
Leistungserbringern während ihrer vereinbarten Dienstzeiten verstanden (Lewis &
Petterson 2009, S. 32). Da ein Gehalt bezogen wird, obwohl man seinen Dienstpflichten
nicht nachkommt, fällt dieses Verhalten unter Korruption. Nicht selten stellt Absentismus
das Resultat des Nachgehens einer Nebenbeschäftigung während der Dienstzeiten dar
(Savedoff 2007, S. 5; Kohler et al. 2011, S. 20f.; Petkov & Cohen 2016, S. 19).
Favoritismus bei der Leistungserbringung
Favoritismus bei der Leistungserbringung schließt eine bessere oder bevorzugte
Behandlung (z.B. Vorreihung auf Wartelisten) von Familienangehörigen, Freunden,
Bekannten etc. ein (Petkov & Cohen 2016, S. 21).
Rabatte und Kickbackzahlungen
Gegen Rabatte (z.B. Naturalrabatte bzw. Gratismuster) und Kickbackzahlungen10 können
verordnende Health Professionals (Mediziner) seitens Pharma- und Medizinprodukte-
herstellern, aber auch seitens Krankenhäusern, Diagnosezentren, Laborinstituten,
Optikern, Hörgeräteherstellern, Therapeuten, Zahntechnikern etc. dazu motiviert werden,
deren Produkte und Dienstleistungen zu verschreiben oder Patienten an sie zu überweisen
(TI-AC 2010, S. 10ff.).
10 Unter einer Kickbackzahlung versteht man den Rückfluss von Bestechungsgeldern als Gegenleistung für unrechtmäßig gewährte Vorteile. Zum Beispiel: Ein Auftragnehmer besticht den Mitarbeiter seines Auftrag-gebers und erhält im Gegenzug den Zuschlag für einen bestimmten Auftrag. Das Bestechungsgeld, das an den korrumpierten Mitarbeiter geflossen ist, holt er sich indirekt über die Ausstellung einer erhöhten Rechnung vom Auftraggeber zurück (TI-AC 2013, S. 36f.).
67
Über- und Unterversorgung
Finanzielle oder berufliche Anreize können Leistungserbringer zur Über- oder
Unterversorgung verleiten (TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 4f.; Petkov & Cohen 2016,
S. 21). Unter Überversorgung versteht man die Erbringung von Leistungen, die keinen
gesicherten (Zusatz-)Nutzen aufweisen und für die kein individueller Bedarf besteht.
Überversorgung liegt aber auch dann vor, wenn trotz der Verfügbarkeit kostengünstigerer,
gleich nutzenstiftender Leistungen die teurere Variante gewählt wird. Im Gegensatz dazu
beschreibt Unterversorgung eine Situation, in der Patienten Gesundheitsleistungen
vorenthalten werden, obwohl ein individueller Bedarf besteht, der (Zusatz-)Nutzen
hinreichend belegt und die Kosten-Nutzen-Relation akzeptabel ist (Amelung et al. o.J.;
Offermanns 2011, S. 22ff.).
Veruntreuung von Arzneimitteln, Medizinprodukten oder Forschungsgeldern
Grundsätzlich besteht immer das Risiko, dass Arzneimittel und Medizinprodukte aus
öffentlichen Einrichtungen (Spitälern etc.) für den privaten Gebrauch, die Behandlung
privater Patienten oder den Weiterverkauf entwendet werden (TI 2006, S. XVIII; Savedoff
2007, S. 5; Kohler et al. 2011, S. 22; Europäische Kommission 2013, S. 91ff.). Zudem können
auch Forschungsgelder veruntreut werden (Petkov & Cohen 2016, S. 11).
Abrechnungsbetrug
Abrechnungsbetrug kann in vielerlei Formen auftreten. Grundsätzlich wird darunter die
Abrechnung sogenannter „Scheinpatienten“ bzw. von nicht erbrachten oder nicht
vollständig erbrachten Leistungen verstanden. Auch die Abrechnung unnötig erbrachter
Leistungen oder die Auswahl hochpreisiger Arzneimittel und Therapien trotz der
Verfügbarkeit kostengünstigerer Alternativen (z.B. Generika 11 ) kann zu Abrechnungs-
betrug im Sinne der Erbringung unwirtschaftlicher Leistungen gezählt werden (Savedoff
2007, S. 5; Europäische Kommission 2013, S. 87ff.; Braun 2014, S. 36f.; Petkov & Cohen
2016, S. 18f.). Einige Autoren subsumieren auch „Upcoding“ bzw. die
Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen durch die unangemessene Wahl
von Diagnosecodes unter Abrechnungsbetrug (Europäische Kommission 2013, S. 87ff.).
11 Unter Generika werden nachgeahmte, wirkungsstoffgleiche Arzneimittel verstanden, die nach abgelaufenem Patentschutz von anderen Firmen hergestellt werden dürfen (Kern-Homolka et al. 2011, S. 26).
68
Korruption bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen und Posten
Eine weitere Form von Korruption auf der Ebene der Leistungserbringer stellt die auf
Bestechung, Favoritismus etc. gründende Vergabe von Ausbildungsplätzen (Zulassung zum
Studium, Aufnahme in spezielle Trainingsprogramme etc.) und Posten dar, bei der die
individuelle Leistung wenig Berücksichtigung findet (TI 2006, S. XVIII; Vian 2008, S. 85;
Petkov & Cohen 2016, S. 19).
Manipulation von Outcome-Daten
Die Manipulation von Outcome-Daten beruht auf der Beschönigung, Verzerrung oder
Unterdrückung von Daten durch Leistungserbringer oder Einrichtungen betreffend die
Qualität der am Patienten durchgeführten Dienstleistung (Petkov & Cohen 2016, S. 21).
4. Leistungsempfänger (Patienten)
Nicht nur Leistungserbringer, auch Patienten sind durch das Streben nach höchstmöglicher
Gesundheit vor Korruption nicht gefeit. Neben informellen Zahlungen für den Erwerb einer
besseren oder bevorzugten Behandlung kann auch auf andere korrupte Praktiken, die vor
allem auf einen freien oder subventionierten Zugang zu Gesundheitsleistungen abzielen,
zurückgegriffen werden (Savedoff 2007, S. 5).
Leistungsmissbrauch infolge der Falschangabe von Einkommensverhältnissen oder
durch die Vortäuschung eines Wohnsitzes/Aufenthaltes im Inland
Missbräuchlicher Leistungsbezug kann infolge der Falschdarstellung von
Einkommensverhältnissen, indem beispielsweise Einkunftsquellen verschwiegen werden,
oder durch die Vortäuschung eines Wohnsitzes oder Aufenthaltes im Inland erfolgen
(Savedoff 2007, S. 5; Meissnitzer 2015, S. 114ff.; LSE 2017a, S. 574).
Missbrauch der Krankenversicherungskarte
Um an subventionierte oder kostenlose Gesundheitsleistungen zu gelangen, besteht auch
die Möglichkeit, eine gestohlene, gefälschte oder „geliehene“ Krankenversicherungskarte
zu benutzen (Savedoff 2007, S. 5; Nair et al. 2017, S. 17).
Fälschung ärztlicher Atteste
Für den Erhalt des Führerscheins oder einer unrichtigen Krankenstandsbestätigung, den
Bezug einer Invaliditätszahlung oder zur Umgehung des Militärdienstes können Patienten
Ärzte bestechen und sie zur Ausstellung gefälschter Atteste („Gefälligkeitsatteste“)
veranlassen (Savedoff 2007, S. 5; Europäische Kommission 2013, S. 54).
69
Rezeptfälschungen
Rezeptfälschungen beruhen zumeist darauf, dass Patienten zusätzliche (zumeist
verschreibungspflichtige) Medikamente auf von Ärzten ausgestellten Rezepten eintragen,
um in deren Besitz zu gelangen und Kosten zu sparen (Deutscher Bundestag 2010, S. 16).
Beitragshinterziehung
Obwohl Beitragshinterziehung vor allem Dienstgeber im Zusammenhang mit
unselbstständigen Beschäftigungsverhältnissen betrifft – da üblicherweise Dienstgeber
verpflichtet sind, Beschäftigungen zu melden und Pflichtbeiträge abzuführen – seien sie in
diesem Kontext auch erwähnt. Strategien zur Hinterziehung von Sozialversicherungs-
beiträgen schließen u.a. die Auslagerung von Dienstnehmern auf Scheinfirmen 12 , die
Scheinselbstständigkeit 13 , Scheinpraktika 14 , die Verschleierung des tatsächlichen Aus-
maßes des Beschäftigungsverhältnisses („Scheingeringfügigkeit“) oder der Beschäftigung
an sich („Schwarzarbeit“) ein (Meissnitzer 2015, S. 110ff.; LSE 2017a, S. 574).
5. Lieferanten (Industrie)
Medizinischer Fortschritt und lebensnotwendige Behandlungsmöglichkeiten beruhen zumeist
auf Produkten, die seitens der Industrie (Pharmaunternehmen, Medizinprodukteherstellern
etc.) entwickelt und hergestellt werden. Insofern nimmt die Industrie eine wichtige Rolle im
Gesundheitssystem ein (Grandt 2013, S. 107). Doch wie jedes privatwirtschaftliche
Unternehmen ist auch sie an der Vermarktung und Umsatzsteigerung ihrer Produkte
interessiert. Sobald aber Profitinteressen vor das Patientenwohl gestellt werden, ist
Korruption Tor und Tür geöffnet (TI-AC 2010, S. 15f.). Im Folgenden werden insbesondere
korrupte Praktiken der pharmazeutischen Industrie hervorgehoben, die entlang ihrer
gesamten Wertschöpfungskette Eingang finden können (Forschung und Entwicklung,
Produktion, Registrierung, Marketing, Beschaffung, Distribution) (Cohen et al. 2007, S. 35;
Kohler et al. 2016, S. 3ff.).
12 Unter einer Scheinfirma werden Firmen verstanden, die keiner betrieblichen Tätigkeit nachgehen, sondern lediglich als Anmelde- und Verrechnungsvehikel zur Umgehung von Beitragspflichten fungieren. Gegen die Zahlung einer Anmeldegebühr können Mitarbeiter zur Sozialversicherung angemeldet werden und erhalten daraufhin umfassenden Sozialversicherungsschutz, obwohl in weiterer Folge keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden. Die Scheinfirma bleibt solange bestehen, bis sie durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beseitigt wird (Meissnitzer 2015, S. 110f.). 13 Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine abhängige Beschäftigung, beispielsweise durch die Einbettung in ein vorgebliches Werkvertragsverhältnis, verschleiert wird (Meissnitzer 2015, S. 111). 14 Pflichtpraktika, Volontariate etc. unterliegen zumeist keiner umfassenden Beitragspflicht, weswegen Beschäftigungen gerne als solche verschleiert werden (Meissnitzer 2015, S. 111f.).
70
Arzneimittelfälschungen
Der Informationsvorsprung, den die Industrie hinsichtlich ihrer eigenen Produkte und
Lieferungen genießt, kann sehr leicht zum eigenen Vorteil missbraucht werden. So kann
es vorkommen, dass Arzneimittel gefälscht oder an ihrer Qualität gespart wird; sprich
wirkungslose, unter- oder überdosierte, mit falschen Inhaltsstoffen angereicherte oder
mit Schadstoffen verunreinigte und somit minderwertige und gesundheitsgefährdende
Medikamente hergestellt und vertrieben werden. Abgesehen davon können auch
verfallene Arzneimittel wieder verpackt und weiter verkauft werden (TI 2006, S. XVIII;
Savedoff 2007, S. 5ff.; TI-AC 2010, S. 21f.; Kohler et al. 2011, S. 27f.; Petkov & Cohen 2016,
S. 17). In diesem Kontext ist auch Korruption im Rahmen von Qualitätskontrollen und
Behördenaudits nicht ausgeschlossen (Kohler et al. 2016, S. 12). Laut Schätzungen der
WHO sollen 10 % aller weltweit und 25 % aller in einkommensschwachen Ländern
konsumierten Arzneimittel entweder gefälscht oder von minderwertiger Qualität sein
(Pincock 2003, S. 1126; Cohen et al. 2007, S. 33). Dies betrifft vor allem Arzneimittel zur
Behandlung der weltweit häufigsten Erkrankungen wie z.B. Malaria, Tuberkulose und
bakterielle Infektionen (Pincock 2003, S. 1126; Kohler et al. 2011, S. 28).
Korruption in der öffentlichen Beschaffung (procurement corruption)
Aufgrund hoher Beschaffungsvolumen und langer Vertragsdauern stellt das öffentliche
Beschaffungswesen im Gesundheitsbereich (Einkauf von Arzneimitteln und
Medizinprodukten, Auftragsvergabe beim Bau von Gesundheitseinrichtungen etc.) einen
sehr lukrativen und daher besonders korruptionsanfälligen Bereich dar (Kohler et al. 2011,
S. 30f.; Europäische Kommission 2013, S. 48f.; Petkov & Cohen 2016, S. 14). Um den
Zuschlag für einen bestimmten Auftrag zu erhalten, können sich Akteure auch korrupter
Praktiken bedienen. Procurement corruption bzw. Korruption im öffentlichen
Beschaffungswesen schließt dabei Bestechung, Kickbackzahlungen, Kollusion (geheime
Preis- oder Angebotsabsprachen zwischen Bietern), Favoritismus und Erpressung ein und
kann in jede Phase des öffentlichen Beschaffungsprozesses (Vor-Angebotsphase: Wahl der
Beschaffungsmethode, Bedarfsermittlung, Anforderungsspezifikation; Angebotsphase:
Angebotseinholung, -bewertung und -auswahl; Nach-Angebotsphase: Vertragsumsetzung
und Überwachung) Eingang finden. Beispielsweise kann die Spezifikation von
Anforderungskriterien oder der Bewertungs- und Auswahlprozess zugunsten bevorzugter
Bieter manipuliert sowie vereinbarte Vertragsbedingungen (Preise, Qualität etc.)
71
nachträglich abgeändert oder nicht eingehalten werden. Ferner sind auch geheime Preis-
oder Angebotsabsprachen sowie Marktaufteilungen zwischen einzelnen Bietern
(Kollusion) möglich (TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 5f.; Europäische Kommission 2013,
S. 63ff.; Kohler et al. 2016, S. 22f.; Petkov & Cohen 2016, S. 14f.). Expertenschätzungen
zufolge gehen weltweit 10-25 % aller öffentlichen Beschaffungsausgaben für Arzneimittel
und Medizinprodukte durch Korruption verloren (WHO 2010b; Europäische Kommission
2013, S. 71).
Diebstahl von Arzneimitteln und Medizinprodukten an Verteilungs- und Lagerstellen
Grundsätzlich besteht nicht nur bei Leistungserbringern die Gefahr, dass Arzneimittel und
Medizinprodukte entwendet werden. Diese können auch auf ihrem Transportweg vom
Hersteller zum Empfänger sowie auch an diversen Lagerstätten seitens unterschiedlicher
Akteure (Hafenpersonal, LKW-Fahrer, Lagermitarbeiter, Regierungsbeamte etc.) für den
privaten Gebrauch oder Weiterverkauf gestohlen werden (Kohler et al. 2011, S. 35; Kohler
et al. 2016, S. 26f.; Petkov & Cohen 2016, S. 16f.).
Einflussnahme auf die Arzneimittelzulassung, Zertifizierung von Medizinprodukten und
Preisfestsetzung
Auch Mitarbeiter aus Regulierungsbehörden können mittels Bestechung, Favoritismus etc.
dazu veranlasst werden, Anträge auf Arzneimittelregistrierung und -zulassung oder
Zertifizierung von Medizinprodukten auch bei unerfüllten Anforderungen (z.B.
mangelndem Nachweis über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines
Arzneimittels) zu genehmigen oder schneller zu bearbeiten. Zusätzlich können auch
überhöhte Preise vereinbart werden, was sich wiederum negativ auf die Zugänglichkeit
von Gesundheitsleistungen auszuwirken vermag (TI 2006, S. XVIII; Kohler et al. 2011,
S. 27f.; Europäische Kommission 2013, S. 29; Kohler et al. 2016, S. 15). Hohe Preise können
wiederum einen Markt für kostengünstigere gefälschte oder minderwertige Produkte
schaffen (Kohler et al. 2011, S. 27).
Wissenschaftsbetrug
Wissenschaftsbetrug zielt in erster Linie auf die Zulassung von Arzneimitteln (und
Medizinprodukten) ab, für die ausreichend Studien zur Bestätigung ihrer Qualität,
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorliegen müssen. Er schließt u.a. die Manipulation des
Studiendesigns oder der Studienergebnisse (Korrektur, Beschönigung etc.), die
Zurückhaltung oder Falschverbreitung (Hervorhebung des Nutzens, Unterdrückung des
72
Risikos) von Studiendaten sowie Ghostwriting15 ein (Schönhöfer 2004, S. 199f.; Kohler
2013, S. 8f.; Petkov & Cohen 2016, S. 10f.). Auch scheinwissenschaftliche, für
Marketingzwecke durchgeführte nicht-interventionelle Studien (Anwendungs-
beobachtungen)16, die weniger auf die Überprüfung der Sicherheit und Wirksamkeit von
Arzneimitteln, sondern vielmehr auf deren erhöhte Verschreibung abzielen, können im
weiteren Sinne unter Wissenschaftsbetrug subsumiert werden (TI-AC 2010, S. 18; Kohler
et al. 2016, S. 18; Petkov & Kohen 2016, S. 12f.). Solche korrupten Praktiken schließen
zumeist mehrere Akteure, die am Forschungsprozess (Industrie, Forscher,
Forschungseinrichtungen, Universitäten, Patienten etc.) und/oder an der Veröffentlichung
und Verbreitung von Studienergebnissen (Fachzeitschriften, Gutachter, Journalisten,
Meinungsbildner etc.) beteiligt sind, ein und resultieren aus schwerwiegenden
Interessenkonflikten (finanzielle und berufliche Anreize wie Karriere, Reputation etc.)
(Petkov & Cohen 2016, S. 10). Sie führen letztlich zur Verzerrung der tatsächlich
vorhandenen wissenschaftlichen Evidenzlage, dem sogenannten Publikationsbias. In der
Folge können Ärzte, die auf die wissenschaftliche Evidenzlage zurückgreifen, zur
Verordnung wirkungsloser oder gesundheitsgefährdender Produkte veranlasst werden
(Hintringer 2011, S. 18; Petkov & Cohen 2016, S. 10). Eine Reihe von Untersuchungen
bestätigt, dass pharmagesponserte Studien öfter ein positives Ergebnis ausweisen als
anderweitig finanzierte Studien (Yaphe et al. 2001; Lexchin et al. 2003; Ahn et al. 2017).
Herausgegriffen sei an dieser Stelle die systematische Literaturübersicht der deutschen
Ärzteschaft, die darauf deuten lässt, dass die Finanzierung einer Arzneimittelstudie durch
die pharmazeutische Industrie Einfluss auf die Interpretation und Protokollierung der
Studienergebnisse zugunsten des Sponsors nehmen kann, wodurch solche Studien im
Vergleich zu anderweitig finanzierten Studien häufiger zu einem positiven Ergebnis
gelangen. Unterschiede in methodischer Hinsicht konnten allerdings nicht festgestellt
werden (Schott et al. 2010).
15 Beim Ghostwriting handelt es sich um selbst durchgeführte Studien und Veröffentlichungen seitens der
Industrie, deren wahre Autorenschaft allerdings verborgen bleibt, indem renommierte Wissenschaftler die Studien im eigenen Namen gegen Bezahlung veröffentlichen. Auf diese Weise sollen Reputation und Prestige der Ergebnisse gewährleistet werden (Rupp 2011, S. 91; Kern-Homolka et al. 2011, S. 18f.; Kohler et al. 2016, S. 9). 16 Nicht-interventionelle Studien bzw. Anwendungsbeobachtungen stellen systematische Untersuchungen bereits zugelassener Arzneimittel an Patienten dar (§ 2a Abs. 3 AMG). Sie zielen auf die Gewinnung neuer Erkenntnisse hinsichtlich der Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Arzneimitteln ab (TI-AC 2010, S. 18). Dafür, dass Patienten auf ein bestimmtes Medikament eingestellt und anschließend der Behandlungserfolg dokumentiert wird, erhalten Ärzte von der Pharmaindustrie zumeist eine bestimmte Aufwandsentschädigung pro Patient (Kern-Homolka et al. 2011, S. 17f.).
73
Unethische Marketingpraktiken
Um ihre Produkte zu vermarkten, interagiert die Industrie regelmäßig mit anderen
Akteuren im Gesundheitssystem (Petkov & Cohen 2016, S. 12). Aufgrund der vielerorts
strengen Werberegelungen zum Schutz der Konsumenten (u.a. Verbot der Laienwerbung
für verschreibungspflichtige Arzneimittel) zielen ihre Marketingpraktiken vorrangig auf die
Beeinflussung der Verschreibungspraxis von Health Professionals (vor allem von
Medizinern) ab. Hierfür können neben direkten Bestechungsgeldern im Austausch für die
vermehrte Verschreibung bestimmter Produkte (Arzneimittel und Medizinprodukte) auch
unethische Marketingpraktiken – vor allem im Rahmen der engen Zusammenarbeit
zwischen Industrie und Health Professionals – zum Einsatz kommen (Savedoff 2007, S. 5f.;
TI-AC 2010, S. 16f.; Europäische Kommission 2013, S. 73f.; Kohler et al. 2016, S. 17f.).
Solche Praktiken reichen von direkten finanziellen Zuwendungen (überhöhte Vortrags-
oder Beratungshonorare, überhöhte Honorare im Rahmen von Forschungsaufträgen etc.),
über indirekte finanzielle Zuwendungen (übermäßige Gewährung von Naturalrabatten
bzw. Arzneimittelmustern, kostenlose Ausstattung von Ordinationen, Essenseinladungen
und sonstige Geschenke) bis hin zur Produktwerbung in Abrechnungsprogrammen und
Fachzeitschriften. Hinzu kommt die mögliche Verbreitung von fehlgeleiteten
Informationen hinsichtlich der tatsächlichen Wirksamkeit und Sicherheit von
Arzneimitteln/Medizinprodukten über Pharmareferenten/Medizinprodukteberater,
gekaufte Meinungsbildner (opinion leaders)17, Produktbroschüren oder Medien. Zudem
können auch nicht-interventionelle Studien (Anwendungsbeobachtungen) zu
Marketingzwecken missbraucht werden (TI-AC 2010, S. 16f.; Europäische Kommission
2013, S. 79; Kohler et al. 2016, S. 17f.; Petkov & Kohen 2016, S. 12f.). Grundsätzlich zielen
all diese unethischen Marketingpraktiken darauf ab, Health Professionals über die
Schaffung finanzieller Anreize und Loyalitäten zur Verschreibung firmeneigener, zumeist
hochpreisiger Produkte zu bewegen (Europäische Kommission 2013, S. 79; Kohler et al.
2016, S. 18). Laut einer jüngst veröffentlichten Studie aus den USA konnte der
Zusammenhang zwischen finanziellen Beziehungen zu Pharma-/Medizinprodukte-
herstellern und der Verschreibungspraxis von Medizinern bereits bestätigt werden.
17 Unter Meinungsbildnern (opinion leaders) werden Fachexperten verstanden, die sich öffentlich zu einem bestimmten Thema äußern und dadurch andere in ihrer objektiven Meinungsbildung beeinflussen (Kern-Homolka et al. 2011, S. 18). Um ihre Produkte möglichst positiv darzustellen, versucht die Industrie Einfluss auf solche Meinungsbildner über finanzielle Anreize etc. zu nehmen (Grandt 2013, S. 109).
74
Demnach nimmt die Wahrscheinlichkeit (teilweise zwei- bis dreimal so hoch), ein –
zumeist im höheren Preissegment liegendes – Markenprodukt zu verschreiben, mit der
Entgegennahme finanzieller Zuwendungen zu. Neben direkten finanziellen Zuwendungen
für Vorträge, Beratungen etc. können bereits harmlos erscheinende Essenseinladungen
Einfluss auf die Verschreibungspraxis nehmen (Grochowski Jones & Ornstein 2016).
Aktuellen Untersuchungen zufolge investiert die pharmazeutische Industrie weitaus mehr
in die Vermarktung ihrer Produkte als in die Forschung und Entwicklung neuer
Arzneimittel. Im Jahr 2015 wurden im Durchschnitt lediglich 8,32 % der eingenommenen
Erträge für Forschung und Entwicklung aufgewendet, während die durchschnittlichen
Marketingausgaben 23,74 % (knapp das Dreifache) betrugen (IHSP 2016, S. 3).
Als besonders schwierig erweist sich in diesem Kontext die Grenzziehung zwischen
Kooperation und Korruption im Bereich industriegesponserter Forschung und Fortbildung.
Grundsätzlich kann die Zusammenarbeit zwischen pharmazeutischer/medizintechnischer
Industrie und Health Professionals nicht zwangsläufig als illegal oder unethisch bezeichnet
werden. Ganz im Gegenteil: Vielerorts ist sie für den medizinischen Fortschritt und die
ärztliche Fortbildung aufgrund mangelnder öffentlicher Ressourcen unabdingbar.
Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Industrie ihre Position dazu
missbraucht, Forschungs- und Fortbildungsinhalte in eine falsche (produktgetriebene)
Richtung zu lenken, um somit auf die Verschreibungspraxis von Health Professionals
einzuwirken (TI-AC 2010, S. 17f.; Europäische Kommission 2013, S. 73f.; Kohler et al. 2016,
S. 17f.; Petkov & Cohen 2016, S. 12f.). Mit dem vermehrten Aufkommen von Studien, die
einen solchen Zusammenhang bereits bestätigen (Bowman & Pearl 1988; Wazana 2000;
Katz et al. 2002; Spithoff 2014, S. 694), stößt das Thema international zunehmend auf
öffentliche Kritik (Lieb 2008, S. 30f.; Europäische Kommission 2013, S. 82; Wild et al.
2015b, S. 7). Medizinische Forschung und Fortbildung müssen sich nämlich ausschließlich
an der medizinischen Notwendigkeit und am Bedarf und nicht an der Gewinnerwartung
der Unternehmen orientieren (Grandt 2013, S. 114).
75
Ein weiteres öffentlich kontrovers diskutiertes Thema stellt die enge Zusammenarbeit
zwischen Industrie und Selbsthilfeorganisationen18 sowie zwischen Industrie und Regu-
lierungsbehörden dar. Auch hier besteht das Risiko, dass über industriegesponserte
Selbsthilfeorganisationen oder industriegesponserte öffentliche Gesundheits- bzw.
Gesundheitsvorsorgekampagnen Werbeverbote umgangen und Produkte direkt beim
Patienten beworben werden, wodurch Patientenbegehrlichkeiten geweckt und wiederum
indirekt Einfluss auf die Verschreibungspraxis von Health Professionals genommen wird
(TI-AC 2010, S. 19ff.; Petkov & Cohen 2016, S. 13). Kritisiert wird in diesem Kontext auch
die enge Zusammenarbeit mit und das Sponsoring von Fachgesellschaften19, wodurch eine
Einflussnahme auf die Entwicklung von Leitlinien20 oder Konsensusberichten21 zugunsten
der Industrie nicht ausgeschlossen ist. Beispielsweise kann die Ausweitung diagnostischer
Grenzwerte für bestimmte Krankheiten (z.B. Bluthochdruck) zur Schaffung „neuer“
Patienten und der Erhöhung des Arzneimittelbedarfs führen (TI-AC 2010, S. 18f.; Grandt
2013, S. 110; Petkov & Cohen 2016, S. 12). Angesichts dessen, dass sich unethische
Marketingpraktiken zumeist im Graubereich von Korruption bewegen, sind sie sehr
schwierig bis unmöglich zu quantifizieren (Europäische Kommission 2013, S. 83).
Die dargelegten Erscheinungsformen von Korruption werden einschließlich ihrer potenziellen
Auswirkungen im anschließenden Kapitel (Kapitel 3.4) tabellarisch (vgl. Tabelle 5) aufgelistet.
18 Unter einer Selbsthilfeorganisation versteht man den freiwilligen Zusammenschluss von Menschen, die unter ähnlichen physischen, psychischen oder sozialen Problem leiden und gemeinsam versuchen, diese selbst zu bewältigen. Sowohl Betroffene als auch Mitbetroffene können sich an den gemeinsamen Aktivitäten beteiligen (Selbsthilfe Österreich 2017). 19 Fachgesellschaften nehmen eine wichtige Rolle bei der Festlegung von diagnostischen und therapeutischen Standards, bei der Entwicklung von Behandlungsleitlinien, bei der Ausbildungsgestaltung von Spezialisten sowie bei der Repräsentation der Interessen von Patienten mit Erkrankungen aus dem jeweiligen Fachgebiet ein (Grandt 2013, S. 110). 20 Leitlinien stellen evidenzbasierte, am Patientenwohl ausgerichtete Handlungsempfehlungen für Ärzte etc. dar. Inhaltliche Unabhängigkeit und fachliche Qualität sind wichtige Voraussetzungen (Grandt 2013, S. 110f.). 21 Bei divergierenden Meinungen zu medizinischen Verfahren (Therapien, Diagnosen etc.) werden sogenannte Konsensuskonferenzen abgehalten und die daraus resultierenden Empfehlungen in einem Konsensusbericht verschriftlicht (TI-AC 2010, S. 18; Kern-Homolka et al. 2011, S. 18).
76
3.4 Auswirkungen von Korruption
Nur die wenigsten bedenken bei der Ausübung einer korrupten Handlung im
Gesundheitssystem ihre weitreichenden Folgen, geschweige denn, dass sie gegen das in Art.
12 des UN-Sozialpaktes verankerte fundamentale Menschenrecht auf „höchstmöglichen
Standard an körperlicher und geistiger Gesundheit“ verstoßen (UN-Sozialpakt 1966; Robinson
2006, S. XIV). Zwar mag Korruption auf den ersten Blick als eine Win-Win-Situation erscheinen,
bei genauerer Betrachtung offenbart sich allerdings eine ganz andere Realität: Geschädigte
Patienten, Staatskassen, Versicherungsanstalten und Mitbewerber – am Ende trifft es auch
die vermeintlich Profitierenden, indem deren korrupte Machenschaften aufgedeckt und
deren Reputation zerstört wird (Kiesl 2010, S. 14).
Dass Korruption die Gesundheit und den Wohlstand der Bevölkerung ernsthaft
beeinträchtigen kann, gilt inzwischen als empirisch bestätigt (Vian 2008, S. 83; Nair et al. 2017,
S. 15). Internationale Studienergebnisse weisen auf die reduzierte Qualität und den Outcome
von Gesundheitsleistungen hin. Insbesondere kann Korruption zu einem Anstieg der
Säuglings- und Kindersterblichkeitsraten beitragen (Gupta et al. 2000; Lewis 2006; Hanf et al.
2011; Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016) sowie die Müttersterblichkeitsraten
(Muldoon et al. 2011) heben, die Immunisierungsraten reduzieren (Azfar & Gurgur 2005;
Lewis 2006; Factor & Kang 2015) und die Anzahl untergewichtiger Neugeborener erhöhen
(Gupta et al. 2000). Des Weiteren vermag sich Korruption negativ auf die Lebenserwartung
(Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016) und die Wartezeiten in Spitälern
auszuwirken (Azfar & Gurgur 2005). Demnach kann Korruption im Gesundheitssektor über
Leben und Tod entscheiden – insbesondere in einkommensschwachen Ländern (Hussmann
2010, S. 2; Nadpara 2015). Die gesundheitlichen Folgeschäden von Korruption werden zumeist
auf ihren verursachten Kostenanstieg – geschätzte 3 % bis 10 % der Gesundheitsausgaben
(TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee & Button 2015, S. 12; LSE 2017, S. 557) –
zurückgeführt, der langfristig die Finanzierung des gesamten Systems und den freien Zugang
zur Gesundheitsversorgung unterminieren kann (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische
Kommission 2013, S. 29). Wie so oft, trifft es die Ärmsten am härtesten, wenn lebens-
erhaltende Gesundheitsleistungen oder Medikamente, die eigentlich jedem frei zugänglich
sein sollten, aus Kostengründen verwehrt werden (Cohen et al. 2007, S. 30; Kohler et al. 2011,
S. 12). Die durch den beschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung hervorgerufene
77
gesundheitliche Ungleichheit zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungs-
gruppen kann schließlich in einem Armutsanstieg münden. Massive Unzufriedenheit (Azfar &
Gurgur 2005; Habibov 2016) und ein Vertrauensverlust in das öffentliche Gesundheitssystem
sind die unmittelbaren Folgen (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische Kommission 2013, S. 29;
Petkov & Cohen 2016, S. 3).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Korruption negativ auf die Effizienz,
Effektivität, Zugänglichkeit und Verteilungsgerechtigkeit von Gesundheitsleistungen
auszuwirken vermag (Hussmann 2010, S. 2; TI-UK 2014, S. 3). Anders ausgedrückt: Korruption
führt zu einer teureren, schlechteren und ungerechteren Gesundheitsversorgung, die sich
langfristig in einer höheren Morbiditäts- und Mortalitätsrate niederschlagen kann
(Schönhöfer 2004, S. 202; WHO 2010a). In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 5) werden die
spezifischen Auswirkungen von Korruption einschließlich ihrer zuvor dargelegten
Erscheinungsformen (Kapitel 3.3) auf der Ebene der einzelnen Akteure im Gesundheitssystem
näher ausgeführt.
Erscheinungsformen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem
Akteure Erscheinungsformen Auswirkungen
Gesundheitspolitik und -verwaltung
Einflussnahme auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse in Politik und Verwaltung mittels
Bestechung
Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen o Favoritismus o Drehtürkorruption
Fehlsteuerung des Gesundheitssystems o Verzerrte Gesundheitspolitik und
Gesetzgebung o Unangemessene Prioritätensetzung
Qualitätsminderung von Gesundheitsleistungen o Umgehung bestehender Regulative
(z.B. Zulassungskriterien) o Mangelnde Qualitätskontrolle
Gesundheitliche Schädigung der Patienten
Leistungszahler
Veruntreuung öffentlicher Gesundheitsbudgets
Ablehnung von Versicherungsansprüchen
Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets
Finanzierungs- und Versorgungsprobleme
Beschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung
78
Leistungserbringer
Informelle Zahlungen
Missbrauch von Nebenbeschäftigungen
Absentismus
Rabatte und Kickbackzahlungen
Favoritismus bei der Leistungserbringung
Über- und Unterversorgung
Veruntreuung von Arzneimitteln/Medizinprodukten oder Forschungsgeldern
Abrechnungsbetrug
Korruption bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen und Posten
Manipulation von Outcome-Daten
Finanzielle Belastung für Patienten
Ungleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung
Verarmung der Bevölkerung
Kostenanstieg, Ineffizienzen, Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets
Mindere Ausbildungsqualität
Eintritt inkompetenter Health Professionals in das Gesundheitssystem
Vertrauensverlust, Zynismus und Frustration aufgrund des ungerechten Systems
Minderung der Versorgungsqualität
Gesundheitliche Schädigung der Patienten
Leistungsempfänger Leistungsmissbrauch durch die Falschangabe von Einkommens-verhältnissen oder durch die Vortäuschung eines Wohnsitzes/ Aufenthaltes im Inland
Missbrauch der Krankenversicherungskarte
Fälschung ärztlicher Atteste
Rezeptfälschungen
Beitragshinterziehung
Kostenanstieg, Ineffizienzen, Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets
Finanzierungs- und Versorgungsprobleme
Beschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung
Industrie Arzneimittelfälschungen
Korruption in der öffentlichen Beschaffung (procurement corruption)
Diebstahl von Arzneimitteln und Medizinprodukten an Verteilungs- und Lagerstellen
Einflussnahme auf Arzneimittelzulassung, Zertifizierung von Medizinprodukten und Preisfestsetzung
Wissenschaftsbetrug
Unethische Marketingpraktiken
Qualitätsdefizite o Bau- und Einrichtungsmängel o Inadäquate
Gesundheitsinfrastruktur o Einschleusung minderwertiger,
ineffektiver, gesundheitsschädlicher Arzneimittel und Medizinprodukte
Kostenanstieg, Ineffizienzen, Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets o Hohe Bau- und Einrichtungskosten o Beschaffung überteuerter, ungeeig-
neter oder überflüssiger Produkte o Neubeschaffung gestohlener
Produkte o Unangemessene, überflüssige
Verschreibung von Produkten
Finanzierungs- und Versorgungsprobleme
Beschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung
Verzerrung medizinischer Forschung und Fortbildung o Produktgetriebene inhaltliche
Schwerpunktsetzung o Publikationsbias
Finanzielle und/oder gesundheitliche Schädigung der Patienten
Tabelle 5: Erscheinungsformen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem Quelle: In Anlehnung an Vian 2008, S. 85; Petkov & Cohen 2016, S. 4ff.; Nair et al. 2017, S. 16ff.
79
3.5 Ursachen von Korruption
Das Gesundheitssystem – egal ob öffentlich oder privat finanziert, in armen oder reichen
Ländern – weist einige Besonderheiten auf, die es intransparent und daher besonders anfällig
für Korruption machen (TI 2006, S. XVII; Kiesl 2010, S. 12; Petkov & Cohen 2016, S. 3).
Enormer Geldmittelfluss
Die globalen Gesundheitsausgaben beliefen sich im Jahr 2014 auf ca. 9,21 Billionen USD
(Dieleman et al. 2017). Im Durchschnitt geben Länder zwischen 5 % und 15 % ihres BIPs
für das Gesundheitswesen aus. Damit stellt der Gesundheitssektor einen äußerst
lukrativen Bereich dar, der hohe Profitaussichten bietet und gleichzeitig ein hohes
Missbrauchspotenzial birgt (Hussmann 2010, S. 3).
Ungewissheit
Im Vergleich zu „normalen“ Märkten ist der Gesundheitsmarkt von hoher Ungewissheit
geprägt. Die Ungewissheit darüber, wann, wer, an welcher Krankheit erkranken wird und
wie effektiv die Behandlung sein wird, erschwert das Ressourcenmanagement
einschließlich der Auswahl, Erbringung, Überwachung und Messung von
Gesundheitsleistungen. Dadurch können sich Einfallstore für Ineffizienzen und Korruption
eröffnen, die nur schwer aufgedeckt und deren Akteure nur schwer zur Rechenschaft
gezogen werden können. Anders als in „normalen“ Märkten können Konsumenten
(Patienten) im Gesundheitsmarkt nicht als Regulatoren eingesetzt werden, da sie als
medizinische Laien zumeist nicht in der Lage sind, die beste Leistung in puncto Qualität
und Kosten auszuwählen (Savedoff & Hussmann 2006, S. 5; Hussmann 2010, S. 3).
Informationsasymmetrien
Der Grad der Ungewissheit variiert zwischen einzelnen Akteuren im Gesundheitssystem,
was letztlich in ungleich verteilten Informationen bzw. Informationsasymmetrien
resultieren kann. In der Regel wissen nur die behandelnden Ärzte, was medizinisch
notwendig ist, weshalb Patienten auf deren Therapieempfehlungen angewiesen sind. Je
höher der Leidensdruck und die Ungewissheit der Patienten, umso höher deren
Abhängigkeit vom Behandler. Auch die pharmazeutische und medizintechnische Industrie
ist zumeist besser über ihre Produkte informiert als jene, die sie verschreiben oder
beschaffen, weshalb Letztere auf die Produktangaben vertrauen müssen (Savedoff &
Hussmann 2006, S. 5f.; Hussmann 2010, S. 3; Kiesl 2010, S. 12; Kern-Homolka et al. 2011,
80
S. 10f.). Gemäß der Prinzipal-Agent-Theorie (vgl. Kapitel 2.4) können asymmetrische
Informationen zwischen einzelnen Akteuren im Gesundheitssystem in Kombination mit
unterschiedlichen Interessen zu missbräuchlichem Verhalten führen, welches nur schwer
überwacht, aufgedeckt und sanktioniert werden kann. Beispielsweise kann das Vertrauen,
das der Patient seinem Arzt im Hinblick auf die richtige Therapiewahl oder der Arzt der
Industrie im Hinblick auf die angegebene Qualität und Wirksamkeit ihrer Produkte
entgegenbringt, sehr leicht zum eigenen Vorteil missbraucht werden. Der Arzt kann seine
finanziellen Interessen vor das Patientenwohl stellen und minderwertige, hochpreisige
oder überflüssige Produkte verordnen. Ebenso kann die Industrie über falsche oder
unvollständige Produktangaben Ärzte zur Verschreibung unwirksamer oder
gesundheitsgefährdender Arzneimittel veranlassen (Savedoff & Hussmann 2006, S. 5f.;
Hussmann 2010, S. 3).
Komplexität
Das Gesundheitssystem zeichnet sich durch die hohe Involviertheit zahlreicher Akteure
(Politiker, Behörden, Versicherungsanstalten, Industrie, Leistungserbringer, Patienten
etc.) und deren komplexe Beziehungsverflechtungen aus (Savedoff & Hussmann 2006,
S. 6f.). Dabei stellt die Vereinbarkeit unterschiedlicher, teilweise zuwiderlaufender
Akteursinteressen die größte Herausforderung dar: Die Leistungserbringer, die sowohl am
Behandlungsergebnis als auch am wirtschaftlichen Auskommen interessiert sind; die
Patienten, die nach der bestmöglichen medizinischen Versorgung streben; die
Sozialversicherungen, die auf einen effektiven und effizienten Einsatz der Ressourcen
abzielen; die Industrie, die neben der Zurverfügungstellung wirksamer Produkte auch
Profite erzielen möchte (Beyer 2003, S. 1355; Kern-Homolka 2013, S. 13). Vorliegende
Interessenkonflikte, die aufgrund der erwähnten undurchsichtigen Beziehungs-
verflechtungen zwischen den Akteuren nur schwer aufzudecken sind, können
wechselseitige Beeinflussungen auslösen und zu verzerrten Entscheidungen auf der
systemischen, organisationalen und individuellen Ebene zulasten der öffentlichen
Gesundheit führen. Abgesehen davon können Gesundheitsleistungen, die stark
dezentralisiert und individualisiert erbracht werden, die Standardisierung und Über-
wachung der Leistungserbringung und Beschaffung erschweren und somit auch ein hohes
Missbrauchspotenzial bergen (Savedoff & Hussmann 2006, S. 6f.; Hussmann 2010, S. 4).
81
Drittzahlerkonstruktion
Anders als in „normalen Märkten“, in denen der Nachfrager Konsument, Einkäufer und
Zahler zugleich ist, werden diese Rollen im Gesundheitsmarkt in der Regel zwischen
Patient, Arzt und Krankenversicherung bzw. Staat aufgeteilt. Infolgedessen kommt es
allerdings zu einem Marktversagen: Denn dadurch, dass der Leistungsempfänger (Patient)
die Behandlungskosten nicht selbst übernimmt, kann die Nachfrage über die Preishöhe
nicht gesteuert werden. Folglich wird alles, was der Leistungserbringer (Arzt) empfiehlt
bzw. anbietet, auch nachgefragt (= angebotsinduzierte Nachfrage). Der Benachteiligte in
dem System ist jedenfalls der Kostenträger (Krankenversicherung, Staat), der für alle
konsumierten Leistungen aufkommen muss, ohne selbst unmittelbare Kenntnis vom
Krankheits- und Leistungsgeschehen zu haben. Demzufolge kann die
Drittzahlerkonstruktion im Gesundheitssystem über die Schaffung vermehrter
Informationsasymmetrien zu einem sogenannten „Moral Hazard“ führen. Dieser
beschreibt das Ansteigen der Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung und den
damit verbundenen Schadenseintritt nach dem Abschluss einer Versicherung. Einfach
ausgedrückt: Dadurch, dass man nicht mehr direkt für die Kosten aufkommen muss, steigt
das Risiko der Verordnung und Inanspruchnahme überflüssiger oder hochpreisiger
medizinischer Leistungen (Lewis 2006, S. 4; Kiesl 2010, S. 12; Rupp 2010, S. 3f.; Kern-
Homolka 2011, S. 11f.).
Schlussfolgernd lässt sich die Korruptionsanfälligkeit des Gesundheitssystems auf den
enormen Geldmittelfluss und die damit einhergehenden hohen Profitaussichten, die hohe
Ungewissheit und damit verbundene Informationsasymmetrien sowie auf die hohe
Komplexität aufgrund der Involviertheit zahlreicher Akteure zurückführen. Zudem begünstigt
die Trennung zwischen Leistungsempfängern, Leistungserbringern und Leistungszahlern
(Drittzahlerkonstruktion) über die Schaffung vermehrter Informationsasymmetrien die
Anfälligkeit des Gesundheitssystems für missbräuchliches Verhalten zulasten Dritter. Der
daraus resultierende hohe Grad an Intransparenz erschwert die Überwachung, Aufdeckung
und Sanktionierung korrupter Machenschaften (Savedoff & Hussmann 2006, S. 4ff.; Rupp
2010, S. 3f.; TI-AC 2010, S. 5). Noch schwieriger erweist sich die Situation im Falle einer
mangelhaften Regulierung oder Überreglementierung des Gesundheitssystems, niedriger
Gehälter und mangelnder Rechenschaftspflichten (Kohler et al. 2011, S. 11). Dies alles deckt
82
sich weitgehend mit der vorherrschenden Meinung internationaler Korruptionsforscher (vgl.
Kapitel 2.5), dass hohe Profitaussichten, Monopolstellungen, geringe Aufdeckungs-
wahrscheinlichkeiten, mangelnde Transparenz und Rechenschaftspflichten, fehlende
Kontroll- und Sanktionsmechanismen, überhöhte Ermessensspielräume und Entscheidungs-
kompetenzen sowie unzureichend ausgestaltete/vollzogene Gesetze und Regeln den
perfekten Nährboden für Korruption darstellen (Klitgaard 1988, S. 75; Shleifer & Vishny 1993,
S. 601f.; Rose-Ackerman 1996; Myint 2000, S. 36ff.).
In Anlehnung an die identifizierten Ursachen von Korruption entwickelte Vian (2008, S. 86)
einen theoretischen Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem aus
der Sicht öffentlich Bediensteter (Abbildung 4), aus dem sich in weiterer Folge
Antikorruptionsmaßnahmen ableiten lassen. Laut Vian kommt es immer dann zum
„Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen“, wenn die drei Elemente
„Gelegenheit zum Missbrauch“, „Druck oder Anreiz zum Missbrauch“ und „Rationalisierung“
zusammentreffen. „Gelegenheit zum Missbrauch“ beschreibt die generelle Systemanfälligkeit
aufgrund erhöhter Ermessensspielräume und Entscheidungskompetenzen, einer
Monopolstellung, mangelnder Rechenschaftspflichten, fehlender Transparenz, mangelnder
Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung und Bestrafung sowie fehlender Partizipation der Bürger
an der Planung und Erbringung von Leistungen. Hingegen beschreibt „Rationalisierung“ die
individuelle Rechtfertigung für ein korruptes Verhalten, die wiederum von den sozialen
Normen, der individuellen Einstellung und Persönlichkeit abhängig ist. „Der Druck oder Anreiz
zum Missbrauch“ impliziert die individuellen Motive für Korruption wie z.B. niedrige Gehälter,
familiäre oder finanzielle Probleme. Demnach kommt es immer dann zur Korruption, wenn
sich die Gelegenheit dazu bietet, man sich dazu genötigt fühlt und sein Verhalten als
gerechtfertigt ansieht (Vian 2008, S. 85ff.; Hussmann 2010, S. 7ff.).
83
Abbildung 4: Theoretischer Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem Quelle: Vian 2008, S. 86
3.6 Antikorruptionsmaßnahmen
Das Gesundheitssystem zu kriminalisieren, galt lange Zeit als ein großes Tabuthema (Rupp
2006, S. 1). Erst Anfang der Jahrtausendwende erregte die Thematik die öffentliche
Aufmerksamkeit – nicht zuletzt aufgrund des Aufkommens erster Studien über die
gesundheitlichen Folgeschäden von Korruption (Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005; Lewis
2006; Hanf et al. 2011; Factor & Kang 2015) und sich häufender Medienskandale – und rückte
auf die gesundheitspolitische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler
Organisationen (Weltbank, WHO, UNDP, Transparency International u.a.) (TI-DE 2000, S. 1;
Vian 2008, S. 83; Kohler et al. 2011, S. 10). Inzwischen gilt Korruption im Gesundheitssystem
als unleugbare Realität, die zu den gravierendsten ethischen Krisen in der heutigen Medizin
gezählt wird (Chattopadhyay 2013, S. 153).
Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung effektiver Maßnahmen zur Bekämpfung von
Korruption stellt die genaue Analyse ihrer kultur- und kontextspezifischen Ursachen und
Treiber dar. Erst auf dieser Grundlage lassen sich gezielte Gegenmaßnahmen ableiten, die in
84
der Regel den vier Handlungsfeldern Bewusstseinsschaffung, Prävention, Kontrolle/Detektion
und Strafverfolgung/Sanktionen zugeordnet werden können (Hussmann 2010, S. 8f.). Um ihre
volle Wirksamkeit entfalten zu können, sollten die Maßnahmen idealerweise miteinander
kombiniert werden, wobei in Abhängigkeit vom jeweiligen länder-, kultur- und
organisationsspezifischen Kontext unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden können
(Europäische Kommission 2013, S. 141ff.; Gruber et al. 2013, S. 128). Im Folgenden werden
die wichtigsten Antikorruptionsmaßnahmen im Gesundheitssystem, die sich vor allem auf
europäischer Ebene bewährt haben (Europäische Kommission 2013, S. 141ff.), aufgelistet und
anschließend deren Zusammenhang grafisch veranschaulicht (Abbildung 5).
1. Bewusstseinsschaffung
Ein wichtiger Schlüssel zur nachhaltigen Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem liegt
in der öffentlichen Bewusstseinsschaffung (Hussmann 2010, S. 8). Denn nur, wer die
Probleme, deren Ursachen und Auswirkungen, mögliche Sanktionen und Gegenmaßnahmen
kennt, ist in der Lage, sein Verhalten darauf abzustimmen (Gruber et al. 2013, S. 128f.).
Maßnahmen zur vermehrten Bewusstseinsschaffung schließen gezielte Informations- und
Aufklärungsarbeiten über diverse Medien (Presse, Radio, Fernseher etc.),
Publikationstätigkeiten, Bildungsmaßnahmen zur Ethik und Rechtslage in Schulen,
Universitäten und Betrieben sowie diverse Kooperationen und Netzwerke auf internationaler
und nationaler Ebene (z.B. EHFCN – European Healthcare Fraud and Corruption Network22,
Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von Transparency International – Austrian Chapter23) ein.
Die Schaffung von Bewusstsein stellt eine wichtige Voraussetzung für die Forcierung einer
Antikorruptionskultur dar, indem sie über die Ingangsetzung einer Wertediskussion zum
Wandel sozialer Normen, öffentlicher Einstellungen und Verhaltensweisen beiträgt und somit
eine wichtige kulturbildende Rolle einnimmt (Hussmann 2010, S. 8; Europäische Kommission
2013, S. 135f.; Gruber et al. 2013, S. 128f.).
22 Das EHFCN wurde 2005 mit dem Ziel der gemeinsamen Zusammenarbeit im Bereich der Korruptionsprävention und -bekämpfung zur Verbesserung der europäischen Gesundheitssysteme gegründet. Die Zusammenarbeit schließt den Austausch und die Bereitstellung von Informationen, Tools, Best-Practices und Bildungsmaßnahmen ein. Mittlerweile zählt das Netzwerk 19 Mitglieder (Sozialversicherungen, Ministerien etc.) in 14 Staaten. Österreich ist bislang nicht vertreten. Die Gründung des EHFCN erfolgte auf der Grundlage der European Healthcare Fraud and Corruption Declaration von 2004 (Gruber et al. 2013, S. 134f.; EHFCN 2017). 23 Die Arbeitsgruppe wird in Kapitel 4.2.2 näher ausgeführt.
85
2. Antikorruptionsgesetzgebung
Um Korruption nachhaltig entgegenzuwirken, bedarf es eines gut ausgestalteten rechtlichen
Rahmens, der keine Strafbarkeitslücken zulässt (Chattopadhyay 2013, S. 158). Mit dem US
Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) aus 1977 und dem noch strengeren UK Bribery Act aus
2010 wurde ein internationaler Standard für die Antikorruptionsgesetzgebung gesetzt. Durch
die extraterritoriale Wirkung der Gesetze können auch ausländische natürliche und juristische
Personen unter das Korruptionsstrafrecht fallen (Europäische Kommission 2013, S. 142; Haag
2012, S. 1ff.). Die nationale Antikorruptionsgesetzgebung, die sich am FCPA oder UK Bribery
Act orientieren kann und mit internationalen Antikorruptions-Konventionen konform laufen
muss, gehört jedenfalls so ausgestaltet, dass sie auch korrupten Akteuren im Gesundheits-
system keine Schlupflöcher gewährt (Schönhöfer 2004, S. 205; Europäische Kommission 2013,
S. 102). Ein eigenes Korruptionsstrafrecht im Gesundheitssystem, wie es erst kürzlich in
Deutschland installiert wurde, stellt auf internationaler Ebene bislang eher die Ausnahme als
die Regel dar (Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen 2016).
3. Selbstregulierung
Neben der gesetzlichen Regulierung kann auch Selbstregulierung in Form von
Verhaltenskodizes (Codes of Conduct) oder Ethikkodizes (Codes of Ethics) einen effektiven
Weg zur Eindämmung von Korruption bieten (TI 2006, S. XIX; Europäische Kommission 2013,
S. 120; Nair et al. 2017, S. 19). Verhaltenskodizes oder Ethikkodizes stellen eine freiwillige
Selbstverpflichtung einzelner Organisationen zur Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln
gegen Intransparenz und Korruption dar. Wichtige Voraussetzung ist, dass solche
Verhaltensregeln nicht nur niedergeschrieben, sondern auch tatsächlich gelebt werden
(Grundsatz des „walk the talk“) und deren Einhaltung ausreichend kontrolliert und
sanktioniert wird (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36ff.; Rupp 2011, S. 89). Selbstregulierung kann
sowohl auf nationaler als auch auf supranationaler Ebene erfolgen. Industrielle Vereinigungen
auf europäischer Ebene, wie EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and
Associations) oder EUCOMED (European Confederation of Medical Suppliers Associations),
verfügen grundsätzlich über einen Verhaltens- oder Ethikkodex, dem alle Mitglieder
unterworfen sind. Für den Fall, dass nationale und supranationale Selbstregulierungen
voneinander abweichen, kommt die strengere Regulierung zur Anwendung (Europäische
Kommission 2013, S. 120ff.).
86
4. Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Damit Gesetze, Regeln und Verhaltenskodizes im Gesundheitssystem ihre volle Wirksamkeit
entfalten können, bedarf es effektiver Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Neben einer
effektiven, unabhängigen Justiz, Antikorruptionsbehörden sowie üblicher Aufsichtsorgane
und Kontrollmechanismen im Gesundheitssystem (interne und externe Kontrollsysteme,
Qualitätsaudits, Gesundheitsinspektionen, Prüfung und Rückverfolgung von
Gesundheitsausgaben, Beschwerdemanagementsysteme etc.) sollten auch spezifische
Spezialorganisationen/-behörden geschaffen werden, die sich speziell der Prävention und
Bekämpfung von Korruption im Gesundheitssystem annehmen. Solche Organe sollten
idealerweise sowohl kontroll- als auch sanktionsberechtigt und mit ausreichenden
personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet sein (TI 2006, S. XXI; Europäische
Kommission 2013, S. 106; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19). Grundsätzlich muss
nicht immer eine neue Antikorruptionsstelle für das Gesundheitssystem geschaffen werden,
manchmal reicht es aus, wenn bestehende Institutionen zusätzliche Ressourcen zugewiesen
bekommen und ihre Funktionen auf das Gesundheitssystem ausgeweitet werden. Eine eigene
Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem stellt beispielsweise die National Health Service
(NHS) Protect in Großbritannien dar, die 2011 eingerichtet wurde und Aufgaben im Bereich
der Bewusstseinsschaffung und Prävention sowie der Aufdeckung, Ermittlung und
Strafverfolgung von Korruption im Gesundheitssystem übernimmt. Zudem betreibt sie auch
ein anonymes, IT-gestütztes Hinweisgebersystem (NHS Fraud and Corruption Reporting Line)
(Europäische Kommission 2013, S. 106ff.; LSE 2017a, S. 572ff.). Hinweisgebersysteme
(„Whistleblower-Systeme“) können in der Aufdeckung und Bekämpfung von Korruption ein
wichtiges Instrument darstellen; allerdings erfordern sie zeitgleich die Ergreifung wirksamer
Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern (Whistleblowern) (TI 2006, S. XX; Chattopadhyay
2013, S. 158). Das einstig angestrebte Ziel, eine eigene Antikorruptionsbehörde im
Gesundheitssystem auf europäischer Ebene („Gesundheits-OLAF“) zu etablieren, konnte
bislang nicht umgesetzt werden (Rupp 2011, S. 92).
5. Transparenzschaffung
Ein ebenso wichtiger korruptionspräventiver Ansatz liegt in der vermehrten
Transparenzschaffung (Mackey et al. 2016, S. 3; Nair et al. 2017, S. 19). Dies kann
beispielsweise über die Einführung transparenter Wartelistenregime oder über die
87
Verpflichtung zur Verschreibung von Arzneimitteln nach ihrem generischen Namen
(Wirkstoffnamen) statt nach ihrem kommerziellen Markennamen erfolgen (Europäische
Kommission 2013, S. 149). Um mehr Transparenz in die finanziellen Beziehungen zwischen
medizinischen Leistungserbringern und der Industrie zu bringen, wurde in den USA im Jahr
2010 der Physician Payment Sunshine Act verabschiedet. Seitdem sind alle pharmazeutischen
und medizintechnischen Unternehmen zur Offenlegung sämtlicher geldwerter Leistungen an
Mediziner und medizinische Einrichtungen gesetzlich verpflichtet. Ausgehend vom Physician
Payment Sunshine Act wurden ähnliche Transparenz-Initiativen in Europa auf nationaler (z.B.
French Sunshine Act) und supranationaler Ebene (z.B. EFPIA-Disclosure Code) gestartet
(Europäische Kommission 2013, S. 127f.). Weitere Maßnahmen zur Transparenzschaffung
umfassen u.a. die verpflichtende (internetgestützte) Veröffentlichung aller Studiendaten und
-ergebnisse zur Ermöglichung ihrer unabhängigen Auswertung und Beurteilung (Grandt 2013,
S. 117) sowie die Bekanntgabe sämtlicher Informationen zu öffentlichen Ausschreibungen und
Vergabeentscheidungen und Gesundheitsbudgets („Budget-Transparenz“) auf nationaler,
lokaler und organisationaler Ebene (TI 2006. S. XIX; Nair et al. 2017, S. 19). Schließlich stellen
auch verpflichtende Interessenkonflikterklärungen bzw. Conflict of Interest (COI)-Erklärungen
(Erklärungen zu finanziellen und persönlichen Beziehungen) sowie der Ausschluss von
Experten bei Entscheidungen im Falle schwerwiegender vorliegender Interessenkonflikte eine
transparenzschaffende Möglichkeit dar, um die Unabhängigkeit wichtiger
Entscheidungsträger im Gesundheitssystem (Mitglieder von Fachgesellschaften, Leitlinien-
kommissionen etc.) zu gewährleisten (Grandt 2013, S. 118).
6. Beseitigung struktureller Systemschwächen bzw. fehlgeleiteter (finanzieller)
Anreizmechanismen
Die effektive Eindämmung von Korruption im Gesundheitssystem setzt die Beseitigung
struktureller Systemschwächen bzw. fehlgeleiteter (finanzieller) Anreizmechanismen voraus
und kann folglich mit einer Reformierung des Gesundheitssystems einhergehen. Zu solchen
Systemschwächen, die fehlgeleitete Anreize zur Korruption bieten können, zählen
beispielsweise ineffektive Führungsstrukturen, inadäquate Finanzierungssysteme (fehlende
leistungsorientierte Finanzierung), unzureichende Kapazitäten im Gesundheitssystem, die
mangelnde (öffentliche) Finanzierung medizinischer Forschung und Fortbildung sowie eine
inadäquate Ressourcenallokation. Was niedrige Gehälter betrifft, so vermag sich ihre
88
Anhebung in vielen Ländern erst in Kombination mit anderen Maßnahmen (z.B. schärferen
Kontroll- und Sanktionsmechanismen) korruptionsmindernd auszuwirken (TI 2006, S. XX;
Kohler et al. 2011, S. 40f.; Europäische Kommission 2013, S. 142).
7. Pressefreiheit und investigativer Journalismus
Eine aktive, unabhängige Medienberichterstattung kann in der Korruptionsbekämpfung eine
entscheidende Rolle spielen. Viele Korruptionsfälle, denen behördliche Ermittlungen und
Rechtsverfahren folgen können, werden erst über investigativen Journalismus aufgedeckt und
über die Medien ans Tageslicht geführt. Dabei kann vor allem die Aufdeckung und
anschließende Verurteilung hochrangiger Korruptionsfälle eine besonders abschreckende und
normsetzende Wirkung entfalten. Somit wirkt sich eine unabhängige
Medienberichterstattung nicht nur unterstützend auf die Arbeit staatlicher
Antikorruptionsinstitutionen aus, sondern kann auch einen wesentlichen Beitrag zur
öffentlichen Bewusstseinsschaffung und Forcierung einer Antikorruptionskultur leisten.
Zudem kann sie auch maßgeblichen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess nehmen, indem
sie auf Strafbarkeitslücken hinweist und auf erforderliche Gesetzesänderungen drängt
(Europäische Kommission 2013, S. 133ff.).
8. Partizipation und Engagement der Zivilgesellschaft
Neben einer unabhängigen Medienberichterstattung können auch die Einbindung und das
Engagement der Zivilgesellschaft und Patienten ein zentrales Element in der
Antikorruptionspolitik darstellen. Zivilgesellschaftliche Organisationen schließen
regierungsunabhängige Verbraucherschutzverbände und Interessengruppen (z.B.
Patientengruppen) sowie sonstige Nicht-Regierungsorganisationen (z.B. sogenannte
„Watchdog-Organisationen“ 24) ein. Sie können einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von
Korruption im Gesundheitssystem leisten, indem sie Druck auf Regierende ausüben, das
öffentliche Bewusstsein schärfen und damit eine Antikorruptionskultur forcieren, das
Gesundheitssystem auf allen Ebenen überwachen und etwaige Korruptionsfälle aufdecken
(z.B. über eigene Recherchetätigkeiten oder Patientenhotlines) (TI 2006, S. XX; Europäische
Kommission 2013, S. 131ff.). Letztlich sollte sichergestellt werden, dass die Stimmen der
24 Watchdog-Organisationen verfolgen das Ziel, das Handeln von Unternehmen, Staaten, Non-Profitorganisationen u.a. kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls öffentlich anzuprangern (Fischer 2016, S. 235).
89
Patienten als Adressaten der Gesundheitsversorgung und Opfer von Korruption nicht
überhört werden (Schönhöfer 2004, S. 205; Nair et al. 2017, S. 19). Ein gutes Beispiel für eine
„Watchdog-Organisation“, die sich auch im Gesundheitsbereich engagiert, stellt
beispielsweise die US-amerikanische Verbraucherschutzorganisation Public Citizen dar (Public
Citizen 2016).
9. Spezifische Maßnahmen gegen procurement corruption
Um procurement corruption im Gesundheitssektor einzudämmen, hat sich vielerorts die
Einrichtung zentraler, unabhängiger Vergabestellen, die Ausweitung der Vergabevorschriften
auf den Gesundheitssektor sowie die Festsetzung einheitlicher Standards und maximaler
Preise bewährt, wodurch es in der Folge zu niedrigeren Preisen, höherer Qualität und
Transparenz gekommen ist (Europäische Kommission 2013, S. 116ff.; Nair et al. 2017, S. 19).
Zur Überwachung der Einhaltung geltender Beschaffungsvorschriften wird auch die
Ernennung eines Aufsichtskomitees für sämtliche Beschaffungsvorgänge im
Gesundheitssystem vorgeschlagen (Nair et al. 2017, S. 19). Empfohlen werden auch
sogenannte Integritätspakte, insbesondere bei der Vergabe größerer Aufträge. Ein
Integritätspakt, welcher von Transparency International selbst entwickelt wurde und
mittlerweile globale Anwendung findet, stellt eine bindende Vereinbarung zwischen dem
Auftraggeber und allen Bietern zum integren und sauberen Verhalten bzw. zum Verzicht auf
korrupte Verhaltensweisen dar, die durch entsprechende Sanktionsandrohungen abgesichert
werden (TI 2006, S. XX; TI-DE 2017).
10. Kohärente Antikorruptionsstrategie im Gesundheitssystem
Um Korruption im Gesundheitssystem nachhaltig einzudämmen, ist eine kohärente, nationale
Antikorruptionsstrategie vonnöten, die neben dem Gesundheitssystem auch andere Sektoren
(Infrastruktur-, Finanz- und Bildungswesen etc.) im Sinne eines sektorenübergreifenden
Ansatzes einschließt und mehrere Maßnahmen integriert (Kohler et al. 2011, S. 41;
Europäische Kommission 2013, S. 142ff.; Nair et al. 2017, S. 19). Im Falle beschränkter
finanzieller Ressourcen sollte eine Priorisierung der Handlungsfelder im Hinblick auf die
korruptionsanfälligsten Bereiche vorgenommen werden. Jedenfalls sollte die Umsetzung der
Antikorruptionsstrategie in Zusammenarbeit mit Regierenden, Nichtregierungs-
organisationen, internationalen Behörden, Forschungsgruppen, Fachexperten und Bürgern
90
erfolgen (Kohler et al. 2011, S. 41; Nair et al. 2017, S. 19). Wichtigste Voraussetzung für eine
erfolgreiche Korruptionseindämmung im Gesundheitssystem stellt allerdings ein starker
politischer Wille dar (Nair et al. 2017, S. 15). Aufgrund länder- und kulturspezifischer
Gegebenheiten müssen nicht alle Maßnahmen überall vom selben Erfolg gekrönt sein
(Europäische Kommission 2013, S. 142ff.).
Im Sinne der Ausarbeitung eines theoretischen Bezugsrahmens zur Korruptionsbekämpfung
im Gesundheitssystem werden nachfolgend (Abbildung 5) die dargelegten
Antikorruptionsmaßnahmen in Anlehnung an Hussmann (2010, S. 8) den vier
Handlungsfeldern Bewusstseinsschaffung, Prävention, Kontrolle/Detektion sowie
Strafverfolgung/Sanktionen zugeordnet und deren Zusammenhang grafisch veranschaulicht.
Unter den Punkt „externe Aufsicht“ fallen beispielsweise Pressefreiheit und
zivilgesellschaftliches Engagement. Für eine effektive Korruptionsbekämpfung ist die
Kombination mehrerer Maßnahmen, die sämtliche Handlungsfelder abdecken, unabdingbar.
Bewusstseinsschaffung Informations- und
Aufklärungsarbeiten Bildungsmaßnahmen (Ethik, Recht) Kooperationen & Netzwerke
Kontrolle & Detektion Interne/externe Kontrollsysteme Audits, Beschwerdemanagement Rückverfolgung von
Gesundheitsausgaben Hinweisgebersysteme
(Whistleblower-Website/-Hotline)
Strafverfolgung & Sanktionen Effektive, unabhängige Justiz Antikorruptionsbehörden (im GW) Ermittlungs- und
Untersuchungsverfahren Disziplinäre und strafrechtliche
Sanktionen
Prävention Rechtlicher Rahmen Selbstregulierung (Ethikkodizes) Transparenzschaffung (COI-
Erklärungen, Informationszugang) Beseitigung struktureller
Systemschwächen, Integritätspakte
Management Leadership
Politischer Wille
Internationale Initiativen zur Korruptionsbekämpfung (Antikorruptions-Konventionen u.a.)
externe Aufsicht
externe Aufsicht
Abbildung 5: Theoretischer Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem Quelle: In Anlehnung an Hussmann 2010, S. 8
91
3.7 Messung von Korruption
Ausgehend von den in Kapitel 2.8 beschriebenen quantitativen und qualitativen Zugängen der
Korruptionsforschung werden nachfolgend die wichtigsten Instrumente zur Identifikation und
Messung von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem herausgegriffen bzw.
neue spezifische Messinstrumente vorgestellt und kurz erläutert.
Korruptionsanfälligkeitsbewertung (vulnerability to corruption assessment)
Ziel eines vulnerability to corruption assessment ist es, die Risiken verschiedener
Erscheinungsformen von Korruption im Gesundheitssystem oder innerhalb bestimmter
Gesundheitsbereiche zu identifizieren. Die Methodik schließt üblicherweise eine Analyse des
rechtlichen Rahmens, Regeln und Prozeduren sowie Interviews und Fokusgruppen zur
Erfassung der Sichtweise verschiedener Stakeholder ein (Hussmann 2010, S. 35).
Kontrollsystemprüfung (control system review)
Ein zentrales Instrument zur Messung der Korruptionsanfälligkeit stellen eine
Kontrollsystemprüfung (control system review) bzw. eine Wirksamkeitsbewertung
eingesetzter Kontrollsysteme oder ein Risiko-Audit dar. Bei einem control system review lässt
sich über einen Vergleich mit Best-Practice-Standards feststellen, wie gut eine Organisation
die Ermessensspielräume ihrer Entscheidungsträger, die Einhaltung von Gesetzen, Regeln und
Vorgaben sowie ihre Ressourcen kontrolliert. Jedes Review startet mit der Identifikation
korruptionsanfälligster Bereiche (z.B. Abteilungen, die Genehmigungen oder Lizenzen
erteilen). Danach wird die Existenz von „Best-Practice-Schutzmaßnahmen“ ermittelt, wie
beispielsweise klare operative Prozeduren, die angemessene Verteilung von Zuständigkeiten,
elektronische Sammlung und Analyse von Daten sowie Prozeduren für das
Finanzmanagement und Audits. Am schwierigsten erweist sich eine Kontrollsystemprüfung in
Ländern, in denen der Gesundheitssektor einem Wandel hinsichtlich der Finanzierung,
Organisation oder dem Management von Gesundheitsleistungen unterlegen ist (Vian 2008,
S. 89f.).
92
Wertschöpfungskettenanalyse (value chain analysis)
Ähnlich wie die Kontrollsystemprüfung zielt die value chain analysis darauf ab,
Korruptionsrisiken entlang eines Versorgungssystems bzw. einer Wertschöpfungskette zu
identifizieren. Ebenso unterstützt sie bei der Lokalisierung korruptionsanfälligster Bereiche
und Priorisierung potenzieller Lösungen (Hussmann 2010, S. 35f.). Nach selbigem Prinzip
verfährt beispielsweise MeTA (Medical Transparency Alliance), eine Stakeholderallianz im
Arzneimittelmarkt, welche 2008 initiiert wurde und seitens des DFID (Department for
International Development) in Zusammenarbeit mit der WHO und der Weltbank geführt wird.
MeTA zielt auf einen verbesserten Zugang, die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von
Arzneimitteln über die Schaffung vermehrter Transparenz entlang der gesamten Arzneimittel-
Wertschöpfungskette (Auswahl, Registrierung, Beschaffung, Distribution, Marketing) ab. In
Ländern, in denen sie operiert (Ghana, Jordanien, Peru, Philippinen, Kirgisistan, Uganda,
Sambia), hat sie bislang entweder zur Aufdeckung minderwertiger Arzneimittel, zur
Verbesserung des Arzneimittel-Auswahlprozesses oder zur Preisfestsetzung und erhöhter
Transparenz beigetragen (Hussmann 2010, S. 34ff.; Kohler et al. 2011, S. 19). Ein ähnliches
Instrument stellt das Assessement Tool des Good Governance for Medicines programme
(GGM) der WHO dar, welches ebenfalls auf die Identifikation korruptionsanfälliger Bereiche
im pharmazeutischen Sektor abzielt (Kohler et al. 2011, S. 15). Eine sehr informative, aber
hochsensible Analyse, die zusätzlich im Rahmen einer Wertschöpfungskettenanalyse
durchgeführt werden kann, stellt die Stammbaumanalyse (family tree analysis) dar, welche
auf die Aufdeckung ungebührlicher (familiärer) Beziehungsverflechtungen auf allen Ebenen
des Gesundheitssystems (Politik, Verwaltung, Industrie) und daraus resultierende
Interessenkonflikte abzielt (Hussmann 2010, S. 36).
Analyse der Regierungsführung im Gesundheitssystem (analysis of governance in
healthcare systems)
Um die Regierungsarbeit zu verbessern und Korruption einzudämmen, entwickelte die
Weltbank einen Bezugsrahmen zur Analyse guter Regierungsführung im Gesundheitssystem.
Die Analyse erfolgt anhand mehrerer Leistungsindikatoren in den Bereichen Budget- und
Ressourcenmanagement, Performance der Leistungserbringer, Performance der
Gesundheitseinrichtungen, informelle Zahlungen und Korruptionswahrnehmung (Lewis &
Petterssen 2009; Hussmann 2010, S. 36).
93
Public Expenditure and Financial Accountability indicators (PEFA)
Anhand Public Expenditure and Financial Accountability indicators (PEFA) lassen sich die
Budgetperformance, die unter Korruption leiden kann, und der daraus resultierende
Verbesserungs- und Handlungsbedarf identifizieren. Gesundheitsrelevante PEFA-Indikatoren
umfassen die Vorhersagbarkeit und Kontrolle des Budgetvollzugs, der Budgetglaubwürdigkeit,
Budgetvollständigkeit und -transparenz, maßnahmenbezogene Budgetierung, Buchhaltung,
Aufzeichnung und Berichterstattung, externe Prüfung und Audit (Lewis & Pettersson 2009,
S. 15ff.; Hussmann 2010, S. 29).
Public Expenditure Tracking Surveys and Reviews (PETS, PERs), Quantitative Service
Delivery Surveys und Preisvergleiche
Korruption im Gesundheitssystem kann auch mittels Erhebungen zur Rückverfolgung
öffentlicher Ausgaben, wie z.B. Public Expenditure Tracking Surveys (PETS) und Public
Expenditure Reviews (PERs), quantitativen Umfragen zur Leistungserbringung (Quantitative
Service Delivery Surveys) oder Preisvergleichen (z.B. International Drug Price Indicator Guide)
erfasst werden (Vian 2008, S. 88f.). Im Gegensatz zu PEFA-Indikatoren, die zur Lokalisation
etwaiger Performanceprobleme im Rahmen öffentlicher Budgetierungsprozesse eingesetzt
werden, zielen derartige Instrumente auf die Identifikation von Ressourcenlecks und
Ineffizienzen und den daraus resultierenden Reformbedarf ab. Sie eignen sich besonders gut,
um Bereiche und Orte aufzuspüren, wo finanzielle Mittel ihre Begünstigten nicht erreichen
oder zweckentfremdet werden. Demnach ergänzen bzw. vervollständigen sie die PEFA-
Beweisführung über die Performance der Regierung (Lewis & Pettersson 2009, S. 17ff.;
Hussmann 2010, S. 30 und S. 36). An dieser Stelle sei beispielhaft die Studie von Khemani
(2004) erwähnt, der das Problem nicht ausgezahlter Personalgehälter in 252
Gesundheitseinrichtungen in Nigeria untersuchte. Dabei konnte er über die Korrelation von
Umfrage- und Finanzaufzeichnungsdaten keinen Zusammenhang zwischen nicht ausgezahlten
Personalgehältern und dem Einkommen lokaler Regierungen bzw. den budgetierten
Ausgaben für Personalgehälter feststellen. Die Nichtauszahlung von Personalgehältern war
durch eine ineffiziente Ressourcenallokation des Bundes bzw. durch mangelnde Ressourcen
auf lokaler Ebene nicht erklärbar. Vielmehr wiesen die Ergebnisse auf eine mangelnde
Rechenschaftspflicht auf lokaler Ebene hin (Khemani 2004). Solche Auswertungen können
94
letztlich Druck auf Regierende ausüben, ihre Transparenz- und Performanceprobleme zu
erklären und zu beheben (Vian 2008, S. 88f.).
Haushaltsumfragen
Haushaltsumfragen können ein wichtiges Messinstrument für Korruption darstellen, indem
sie beispielsweise die Ausgaben für Gesundheitsleistungen, die eigentlich kostenlos zur
Verfügung stehen sollten (z.B. informelle Zahlungen), oder Unregelmäßigkeiten in der
Gehaltsabrechnung erfassen. Letztlich lässt sich über solche Daten feststellen, inwiefern
öffentliche Gesundheitsbudgets zur Erreichung der Gesundheitsziele und Bedürfnis-
befriedigung der Bevölkerung über die Bereitstellung öffentlicher Gesundheitsleistungen
eingesetzt werden. Da Haushaltsumfragen mit einem großen finanziellen und zeitlichen
Aufwand verbunden sein können, sollte idealerweise auf bereits erhobene Daten (z.B. World
Bank Living Standards Measurement Surveys, Demographic and Health Surveys (DHS))
zurückgegriffen werden (Vian 2008, S. 88; Hussmann 2010, S. 13).
Umfragen zu Korruptionswahrnehmung und -erfahrungen im Gesundheitssystem
Befragungen der Bevölkerung, Health Professionals, Gesundheitseinrichtungen, öffentlicher
Bediensteter, der Industrie oder Experten können Aussagen zur wahrgenommenen
Korruptionsanfälligkeit des Gesundheitssystems liefern (Vian 2008, S. 88; Lewis & Pettersson
2009, S. 55ff.). Im Zuge der Erhebung können auch Meinungsunterschiede erfasst und/oder
das Augenmerk auf spezifische Erscheinungsformen (Absentismus, informelle Zahlungen etc.)
gelenkt werden. Regelmäßig durchgeführte Befragungen erlauben, Änderungen des
Korruptionsniveaus im Laufe der Zeit zu überwachen (Vian 2008, S. 88). Neben Umfragen auf
nationaler Ebene, kann auch auf bekannte internationale und regionale Indikatoren, die häufig
ihren Fokus auf bestimmte Sektoren wie beispielsweise den Gesundheitssektor legen und
daher auch Informationen zur Korruption in diesem Sektor bergen, zurückgegriffen werden.
Während Indikatoren wie die Governance and Anti-Corruption Country Diagnostic surveys der
Weltbank oder der Corruption Perception Index von Transparency International vor allem auf
der Erhebung der persönlichen Wahrnehmung von Korruption beruhen, erfassen Indikatoren
wie der Global Corruption Barometer von Transparency International oder der Eurobarometer,
sowohl die Wahrnehmung von Korruption als auch persönliche Erfahrungen mit diesem
Phänomen (vgl. Kapitel 2.8). Idealerweise sollten wahrnehmungsbasierte Umfragen zur
95
Korruption mit erfahrungsbasierten oder sogar mit anderen Instrumenten wie beispielsweise
Fokusgruppen kombiniert werden. Eine andere Möglichkeit, Korruption im Gesundheits-
system zu erfassen, stellen Umfragen zur Patientenzufriedenheit dar (Hussmann 2010, S. 36f.).
Qualitative Datenerhebung
Die Erhebung qualitativer Daten über Interviews oder Fokusgruppen kann zur genaueren
Ergründung der Korruptionsmechanismen und -dynamiken (z.B. Druck, soziale Normen,
Einstellungen, Rechenschaftspflichten etc.) im Gesundheitssystem beitragen (vgl. Kapitel 2.8)
(Vian 2008, S. 89). Beispielsweise enthüllten Interviews mit Health Professionals und
Patienten in Albanien viele neue Details im Hinblick auf die Ursachen der Gewährung und
Annahme informeller Zahlungen (z.B. niedrige Gehälter, Wunsch nach einer besseren oder
schnelleren Behandlung etc.). Mitunter konnten erhebliche Meinungsunterschiede zwischen
den befragten Gruppen identifiziert werden. Während viele Health Professionals davon
ausgingen, dass informelle Zahlungen freiwillig getätigt werden, gaben viele Patienten an, sich
dazu genötigt zu fühlen, um Zugang zur Gesundheitsversorgung oder eine bessere oder
schnellere Behandlung zu erhalten (Vian et al. 2004).
In Anlehnung an Lewis & Petterson (2009, S. 13) und Hussmann (2010, S. 12f.) erfolgt in der
nachstehenden Tabelle (Tabelle 6) eine Zusammenfassung der wichtigsten Instrumente zur
Identifikation und Messung von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem.
Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem
Bereich Problem Messinstrumente
Ge
ne
rell
Bereichsübergreifend
Korruptionsanfälligkeitsbewertung (vulnerability to corruption assessment)
Kontrollsystemprüfung (control system review)
Wertschöpfungskettenanalyse (value chain analysis) o Medicine Transparency Alliance (MeTA) o Good Governance for Medicines (GGM) o Stammbaumanalyse (family tree analysis)
Analyse der Regierungsführung im Gesundheitssystem (analysis of governance in healthcare systems)
96
Bu
dge
t- u
nd
Re
sso
urc
en
man
age
me
nt
Budgetprozesse
Fokusgruppen und Interviews mit öffentlich Bediensteten, Institutionen und Zivilgesellschaft
Public Expenditure and Financial Accountability indicators (PEFA)
Gehaltsabrechnungs-lecks
Haushaltsumfragen
Fokusgruppen mit öffentlich Bediensteten und Health Professionals
Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben (Public Expenditure Tracking Surveys (PETS), Public Expenditure Reviews (PERs))
Sonstige Ressourcenlecks
Fokusgruppen mit öffentlich Bediensteten, Institutionen und Health Professionals
Einrichtungsumfragen
Quantitative Umfragen zur Leistungserbringung (Quantitative Service Delivery Surveys)
Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben (Public Expenditure Tracking Surveys (PETS))
Arzneimittel
Good Governance for Medicines (GGM)
Medicines Transparency Alliance (MeTA)
Preisvergleiche (International Drug Price Indicator Guide)
Leis
tun
gse
rbri
nge
r
Ämterkauf
Interviews mit öffentlich Bediensteten und ehemaligen öffentlich Bediensteten
Offizielle Verwaltungsaufzeichnungen kombiniert mit Einrichtungsumfragen
Governance und Anti-Corruption Country Diagnostic surveys
Absentismus
Überraschungsbesuche
Direkte Beobachtungen
Einrichtungsaufzeichnungen
Quantitative Umfragen zur Leistungserbringung (Quantitative Service Delivery Surveys)
Fokusgruppen oder Interviews mit Einrichtungsleitern und Patienten
Informelle Zahlungen
Haushaltsumfragen
Befragungen an Einrichtungsausgängen und Scorekarten
Fokusgruppen/Interviews mit Patienten und Health Professionals
Governance and Anti-Corruption Country Diagnostic surveys
Ko
rru
pti
on
swah
rne
hm
un
g
un
d -
erf
ahru
ng
Wahrnehmung von Korruption
TI Corruption Perception Index
Governance and Anti-Corruption Country Diagnostic surveys
Nationale Umfragen zur Wahrnehmung von Korruption
Erfahrungen mit Korruption
TI Global Corruption Barometer, Eurobarometer, Afrobarometer, Latinbarometer
Nationale Umfragen zu Erfahrungen mit Korruption
Umfragen zur Patientenzufriedenheit
Fokusgruppen
Tabelle 6: Instrumente zur Messung und Identifikation von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem
Quelle: In Anlehnung an Lewis & Petterson 2009, S. 13; Hussmann 2010, S. 12f.
97
Abschließend sei angemerkt, dass mittlerweile auch einige Experimente zur Messung von
Korruption im Gesundheitssystem vorliegen. Beispielsweise konnten Barr et al. (2009) in einer
experimentellen Studie mit 144 äthiopischen Pflegestudenten in Übereinstimmung mit der
Theorie feststellen, dass verstärkte Monitoringmechanismen und eine daraus resultierende
erhöhte Aufdeckungswahrscheinlichkeit sowie professionelle Normen sich korruptions-
mindernd auszuwirken vermögen. Indes konnte nur ein schwacher Beweis für die
korruptionsmindernde Wirkung einer Gehaltsanhebung erbracht werden.
3.8 Zukünftiger Forschungsbedarf
Bei Betrachtung der Forschungslandschaft zu Korruption im Gesundheitssystem, kann auf
mehrere internationale Publikationen aus den letzten zehn bis 15 Jahren verwiesen werden.
Seitdem sich internationale Organisationen wie die Weltbank, WHO, UNDP, EHFCN,
Transparency International oder die Europäische Kommission dem Thema aktiv angenommen
und es verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt haben, stieg auch die Anzahl
wissenschaftlicher Arbeiten hierzu an. Obwohl schon einige Publikationen zu den
Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem
samt Empfehlungen zu ihrer wirksamen Bekämpfung vorliegen (Ensor 2004; TI 2006; Vian
2008; Barr et al. 2009; Kohler et al. 2011; Bussmann 2012; Europäische Kommission 2013;
Nikoloski & Mossialos 2013; Petkov & Cohen 2016; Nair et al. 2017), besteht auf
internationaler Ebene noch genügend Forschungsbedarf. Dabei trifft vieles, was die zukünftige
Korruptionsforschung im Allgemeinen betrifft, auch auf die Erforschung von Korruption im
Gesundheitssystem zu.
Eine der größten Herausforderungen stellt bisweilen die Quantifizierung von Korruption im
Gesundheitssystem dar. Aufgrund ihrer hohen Dunkelziffer sind ihr tatsächliches Ausmaß und
ihre Kosten nach wie vor weitgehend unbekannt. Um Korruption zukünftig besser
quantifizieren zu können, bedarf es vor allem der (Weiter-)Entwicklung von Mess-
instrumenten und Indikatoren sowie einer genaueren Datensammlung, -berichterstattung
und -analyse (Mackey et al. 2016, S. 3). Auch informelle Zahlungen, eine der sichtbarsten
Korruptionsformen im Gesundheitssystem, gelten noch als unzureichend erforscht. Bisherige
Studien stammen zumeist aus einkommensschwachen Ländern. Angesichts ihrer international
98
bekannten Auswirkungen und um ein vollständiges Bild vom Ausmaß des Problems zu
erhalten, sollten vermehrt Untersuchungen zum Ausmaß und den spezifischen Auswirkungen
informeller Zahlungen auch in einkommensstarken Ländern initiiert werden (Europäische
Kommission 2013, S. 150).
Was die Korruptionsursachenforschung als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung
wirksamer Antikorruptionsmaßnahmen betrifft, sollte diese zukünftig auf unterschiedlichen
Ebenen25 des Gesundheitssystems (z.B. individuelle und organisationale Ebene) ansetzen und
vor allem ebenenübergreifende Ursachen-Wirkungszusammenhänge näher beleuchten.
Während bislang insbesondere Variablen auf der organisationalen Ebene fokussiert worden
sind, sollte zukünftig auch Augenmerk auf Variablen auf der individuellen Ebene (z.B. Werte,
Normen) und deren ebenenübergreifende Wirkungsbeziehungen gelegt werden. Letztlich
könnten Interventionen auf der individuellen Ebene, wie z.B. erzieherische Maßnahmen, die
Wirksamkeit bestimmter Antikorruptionsmaßnahmen auf der organisationalen Ebene
beeinflussen. Zukünftiger Forschungsbedarf besteht auch im Hinblick auf den theoretischen
Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption nach Vian (2008, S. 86), der Korruption bisweilen
lediglich aus der Sicht öffentlich Bediensteter untersucht hat. Um eine vollständige Theorie
von Korruption im Gesundheitssystem zu erhalten, gehören auch der Einfluss anderer
Beteiligter, deren Überzeugungen, Beweggründe und Verhaltensweisen auf die Faktoren im
Modell überprüft. Damit ließe sich insbesondere die Einwirkung sozialen und
zwischenmenschlichen Drucks auf den Missbrauch von anvertrauter Macht zum eigenen
Nutzen sowie die Fähigkeit, dem zu widerstehen, erklären (Vian 2008, S. 91).
Da präventive Antikorruptionsmaßnahmen (Gesetze, Vorgaben, Verhaltenskodizes,
Interessenkonflikterklärungen etc.) zumeist nur in Kombination mit ausreichenden Kontroll-
und Sanktionsmechanismen ihre volle Wirksamkeit entfalten können, bedarf es zukünftig
auch der Erforschung neuer Wege zur Aufdeckung und Kontrolle von Korruption im
Gesundheitssystem (Vian 2008, S. 91). Generell sollte der zukünftige Forschungsschwerpunkt
auf die (Weiter-)Entwicklung und Evaluierung der Wirksamkeit von Antikorruptions-
maßnahmen im Gesundheitssektor gelegt werden. Hierfür bedarf es wiederum der (Weiter-)
25 Auf die Wichtigkeit der ebenenübergreifenden Korruptionsursachenforschung wiesen bereits Ashforth et al. (2008, S. 673) hin.
99
Entwicklung und Kombination geeigneter Instrumente zur Effektivitätsmessung. Zudem gilt es
auch die länder- bzw. kontextspezifischen Faktoren, die Einfluss auf den Erfolg geplanter
Maßnahmen nehmen können, näher zu ergründen (Vian 2008, S. 91; Kohler et al. 2011, S. 41;
Europäische Kommission 2013, S. 150; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19).
Außerdem sollten generelle Antikorruptionsmaßnahmen, wie öffentliche Finanzmanage-
mentreformen, Watchdog-Agenturen und Whistleblowerprogramme auf die besonderen
Bedürfnisse des Gesundheitssektors zugeschnitten werden. Um andere Länder bei der
Ergreifung von Reformen und Vermeidung von Fehlern zu unterstützen, ist eine gründliche
Dokumentation des Maßnahmenumsetzungsprozesses erforderlich (Vian 2008, S. 91).
3.9 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 4
Aufgrund seiner Besonderheiten (enormer Geldmittelfluss, Ungewissheit, Informations-
asymmetrien, Komplexität, Drittzahlerkonstruktion) stellt das Gesundheitssystem weltweit
einen besonders anfälligen Bereich für Korruption dar (Savedoff & Hussmann 2006, S. 4ff.;
Kiesl 2010, S. 12; Petkov & Cohen 2016, S. 3). Dies bekräftigen nicht zuletzt jüngste
Erhebungen auf europäischer und internationaler Ebene (Europäische Kommission 2013;
Hardoon & Heinrich 2013; Europäische Kommission 2014; Pring 2016). Mögliche
Korruptionsformen im Gesundheitssystem schließen u.a. Bestechungs- und Kickbackzah-
lungen, informelle Zahlungen („Kuvertmedizin“), Abrechnungsbetrug, Kollusion, Favoritismus,
Absentismus, Diebstahl von Arzneimitteln/Medizinprodukten, Veruntreuung öffentlicher
Gesundheitsbudgets, Versicherungsbetrug, Wissenschaftsbetrug und unethische
Marketingpraktiken ein. Ein besonders umstrittenes Thema stellt nach wie vor die enge
Zusammenarbeit zwischen der Industrie und Health Professionals im Bereich der Forschung
und Fortbildung dar, da sich die Grenzziehung zwischen Kooperation und Korruption nicht
immer als ganz einfach erweist (Vian 2008, S. 85; Europäische Kommission 2013; S. 47ff.;
Petkov & Cohen 2016, S. 4ff.; Nair et al. 2017, S. 16ff.). Internationalen Expertenschätzungen
zufolge gehen weltweit zwischen 3 % und 10 % (im Durchschnitt zwischen 5 % und 6 %) der
Gesundheitsbudgets durch Korruption verloren (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee &
Button 2015, S. 12; LSE 2017a, S. 557). Dies kann letztlich die Finanzierung des gesamten
Systems und den freien Zugang zur Gesundheitsversorgung unterminieren und die Qualität
und den Outcome von Gesundheitsleistungen ernsthaft beeinträchtigen. Internationale
100
Studien bestätigen, dass sich Korruption negativ auf die Gesundheit und den Wohlstand der
Bevölkerung auszuwirken vermag (Anstieg der Kinder-, Säuglings- und Mütter-
sterblichkeitsraten, Reduktion der Immunisierungsraten und Lebenserwartung, Verlängerung
der Wartezeiten etc.) (Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005; Lewis 2006; Hanf et al. 2011;
Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016). Die dadurch ausgelöste gesundheitliche
Ungleichheit zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen kann
schließlich in einem Armutsanstieg münden und mit einem Vertrauensverlust in das
öffentliche Gesundheitssystem einhergehen (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische Kommission
2013, S. 29; Petkov & Cohen 2016, S. 3).
Angesichts ihrer großen Tragweite rückte die Bekämpfung von Korruption im
Gesundheitssystem in den letzten zehn bis 15 Jahren zunehmend auf die
gesundheitspolitische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler Organisationen
(Weltbank, WHO, UNDP, EHFCN, TI etc.). Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen auf
internationaler Ebene schließen Maßnahmen zur Bewusstseinsschaffung (Informations- und
Aufklärungsarbeiten, Bildungsmaßnahmen zur Ethik und rechtlichen Lage, Kooperationen
etc.), zur Prävention (Antikorruptionsgesetzgebung, Verhaltenskodizes, Transparenz-
schaffung, Beseitigung struktureller Systemschwächen, Integritätspakte etc.), zur
Kontrolle/Detektion (interne und externe Kontrollsysteme, Audits, Beschwerdemanagement-
und Hinweisgebersysteme etc.) sowie zur Strafverfolgung/Sanktionierung (unabhängige
Justiz, spezielle Antikorruptionsbehörden im Gesundheitssystem, disziplinäre und
strafrechtliche Sanktionen etc.) ein. Eine freie, unabhängige Medienberichterstattung,
zivilgesellschaftliches Engagement sowie eine nationale kohärente, sektorenübergreifende
Antikorruptionsstrategie und ihre Forcierung durch die Politik stellen weitere, insbesondere
auf europäischer Ebene empfohlene Maßnahmen gegen Korruption im Gesundheitssystem
dar (Hussmann 2010, S. 8f.; Europäische Kommission 2013, S. 97ff.; Nair et al. 2017, S. 18ff.).
Was die wichtigsten Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruption und ihrer
Risiken im Gesundheitssystem betrifft, sei an dieser Stelle auf Tabelle 6 verwiesen.
Obwohl schon einige Studien zu den Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen von
Korruption im Gesundheitssystem samt Empfehlungen zu ihrer wirksamen Bekämpfung auf
internationaler Ebene vorliegen, besteht in vielerlei Hinsicht noch Forschungsbedarf.
101
Einerseits gilt es, das tatsächliche Ausmaß und die Kosten von Korruption im
Gesundheitssystem über die (Weiter-)Entwicklung von Messinstrumenten und Indikatoren
sowie über eine genauere Datensammlung, -berichterstattung und -analyse besser zu
quantifizieren (Europäische Kommission 2013, S. 150; Mackey et al. 2016, S. 3). Zum anderen
mangelt es vor allem in einkommensstarken Ländern an Studien zur Verbreitung von
Korruption und ihren spezifischen Auswirkungen im Gesundheitssystem, wie beispielsweise
im Hinblick auf informelle Zahlungen (Europäische Kommission 2013, S. 150). Ferner gehören
die Korruptionsursachen als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung wirksamer
Antikorruptionsmaßnahmen genauer erforscht, wobei der zukünftige Fokus insbesondere auf
die Erforschung ebenenübergreifender Ursachen-Wirkungszusammenhänge gesetzt werden
sollte (Vian 2008, S. 91). Generell sollte der Forschungsschwerpunkt auf die (Weiter-)
Entwicklung und Evaluierung der Wirksamkeit von Antikorruptionsmaßnahmen im
Gesundheitssystem gelegt werden. Wichtige Voraussetzung hierfür stellt wiederum die
(Weiter-)Entwicklung und Kombination geeigneter Instrumente zur Effektivitätsmessung dar
(Vian 2008, S. 91; Kohler et al. 2011, S. 41; Europäische Kommission 2013, S. 150; Gaitonde et
al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19).
Ausgehend von den erworbenen theoretischen Erkenntnissen aus Kapitel 2 und 3 erfolgt im
nachfolgenden Kapitel 4 eine Fokussierung auf das eigentliche Schwerpunktthema der
vorliegenden Dissertation: „Korruption im österreichischen Gesundheitssystem“.
102
4 Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Das folgende Kapitel zielt auf die Erhebung der Ausgangssituation und des aktuellen
Forschungsstandes im Hinblick auf Korruption im österreichischen Gesundheitssystem ab.
Nach einer kurzen Beschreibung des nationalen Gesundheitssystems anhand zentraler
Systemparameter und unter Einbeziehung des Konzeptes der ebenenübergreifenden
Systemsteuerung wird der zukünftige Verbesserungs- und Handlungsbedarf in diesem Sektor
aufgezeigt (Kapitel 4.1.). Davon ausgehend wird auf die Korruptionsthematik im nationalen
Gesundheitssystem als potenzieller Stellhebel für eine verbesserte Prozess- und
Ressourcensteuerung näher eingegangen (Kapitel 4.2). Dies schließt die Aufarbeitung der
aktuellen, korruptionsrelevanten rechtlichen Lage sowie die Darlegung bislang gesetzter
Antikorruptionsmaßnahmen auf nationaler Ebene ein. Weiters werden der aktuelle nationale
Forschungsstand zur Korruptionsthematik im Gesundheitssystem und der sich daraus
erschließende zukünftige Forschungsbedarf aufgezeigt. Abschließend werden die wichtigsten
Erkenntnisse aus Kapitel 4 als Überleitung auf den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit
zusammengefasst wiedergegeben (Kapitel 4.3). Die österreichspezifischen
Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption einschließlich dem
identifizierten zukünftigen Handlungs- und Forschungsbedarf werden im Rahmen der
explorativen qualitativen Studie aufgearbeitet und diskutiert.
4.1 Nationales Gesundheitssystem
Solidarität, Leistbarkeit und Universalität – so lauten die drei Grundprinzipien, auf denen das
österreichische Gesundheitssystem gründet. Unabhängig von Geschlecht, Alter oder sozialer
Herkunft – allen Menschen soll der gleiche, niederschwellige Zugang zur bestmöglichen
medizinischen Versorgung gewährt werden. Ermöglicht wird dieser umfassende Schutz durch
das Bismarck-Modell der gesetzlichen, sozialen Krankenversicherung, wodurch 98 % (BMGF
2016) der österreichischen Bevölkerung pflichtversichert und somit im Krankheitsfall
abgesichert sind. Die Pflichtversicherung deckt ein breites Leistungsspektrum ab, welches
nebst ambulanter und stationärer Versorgung, medizinischer Rehabilitation und
Hauskrankenpflege, Psychotherapie, Medikamenten etc. auch gewisse Präventions- und
Vorsorgemaßnahmen wie Impfungen und Screening-Untersuchungen inkludiert. Allerdings
103
darf die Krankenbehandlung nach § 133 (2) ASVG das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern genießen österreichische Patienten
die Freiheit, ihre Leistungserbringer (Hausarzt, Facharzt, Spitalsambulanz etc.) frei wählen zu
können. Zwar kann die Inanspruchnahme einzelner Leistungen mit bestimmten Zuzahlungen
seitens der Patienten (Rezeptgebühren für Medikamente, prozentuale Selbstbehalte,
Taggelder bei stationären Aufenthalten etc.) einhergehen, allerdings sind Personen, die die
Einkommensgrenze unterschreiten oder an einer chronischen Krankheit leiden, im Sinne des
Solidaritätsprinzips davon befreit (BMG 2013, S. 11ff.; BMGF 2016). Aufgrund des
niederschwelligen, sozial ausgewogenen Zugangs, der freien Arztwahl und des umfassenden
hochwertigen Leistungsangebotes weist das österreichische Gesundheitssystem nach wie vor
hohe Zufriedenheitswerte in Bevölkerungsumfragen auf (Offermanns 2012, S. 126f.;
Hofmarcher 2013, S. 259; Bachner et al. 2015, S. IIIf.; OECD 2015; LSE 2017a, S. 57f.).
4.1.1 Organisation, Steuerung und Finanzierung
Das österreichische Gesundheitssystem zeichnet sich in erster Linie durch seine
föderalistische Struktur und die damit einhergehenden fragmentierten Zuständigkeiten auf
Bundes- und Landesebene aus. Viele Bereiche des österreichischen Gesundheitssystems fallen
in die Kompetenz des Bundes. 26 Beispielsweise obliegt die Regelung des ambulanten
Bereiches, der Gesundheitsberufe, des Apotheken- und Arzneimittelwesens sowie der
Verbrauchergesundheit (z.B. Lebensmittelsicherheit) ausschließlich dem Bund. Davon
ausgenommen ist allerdings der stationäre Bereich (Krankenanstaltenwesen), für den der
Bund lediglich die Grundsatzgesetzgebung festlegt, während die Ausführungsgesetzgebung
und Vollziehung den einzelnen Bundesländern zufällt. Zudem wird die Gesundheitsverwaltung
(Öffentlicher Gesundheitsdienst, Pflegegeld, Prävention, Sozialhilfe etc.) auch hauptsächlich
von den Ländern bzw. Gemeinden wahrgenommen. Die ambulante (haus- und fachärztliche)
Versorgung obliegt hingegen der Sozialversicherung als Selbstverwaltungskörperschaft in
Zusammenarbeit mit der Ärztekammer (BMG 2013, S. 6; Hofmarcher 2013, S. 29ff.; BMGF
2016). Aufgrund der verteilten Zuständigkeiten müssen sich Bund, Länder und
Sozialversicherung bei wichtigen Entscheidungen stets abstimmen, wofür erforderlichenfalls
26 Die gesetzliche Grundlage für die Bereitstellung und Finanzierung von Sozial- und Gesundheitsleistungen stellt auf Bundesebene das Sozialversicherungsrecht, die Gesetze auf Basis der Finanzausgleichsverhandlungen sowie der Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG zwischen Bund und Ländern dar (Hofmarcher 2013, S. 29).
104
innerstaatliche Verträge (Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG) abgeschlossen werden
müssen (BMGF 2016; LSE 2017a, S. 58).
Zu den wichtigsten Akteuren im Gesundheitssystem auf Bundesebene zählen das Parlament,
das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF), das Bundesministerium für
Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK), das Bundesministerium für Finanzen
(BMF), die Sozialversicherung27, die einzelnen Interessenvertretungen (Kammern, Patienten-
anwaltschaften etc.), der Oberste Sanitätsrat (OSR) als medizinisch-wissenschaftliches
Beratungsgremium sowie die Österreichische Agentur für Gesundheit und
Ernährungssicherheit (AGES). Weiters agiert auf Bundesebene die Gesundheit Österreich
GmbH (GÖG) als nationales Forschungs- und Planungsinstitut und Kontaktstelle für
Gesundheitsförderung mit ihren drei Geschäftszweigen (Österreichisches Bundesinstitut für
Gesundheitswesen, Fonds Gesundes Österreich, Bundesinstitut für Qualität im Gesundheits-
wesen) (BMG 2013, S. 6; Hofmarcher 2013, S. 34ff.; LSE 2017a, S. 53ff.). Seit der Gesundheits-
reform 2005 fungiert auf Bundesebene auch die Bundesgesundheitsagentur (BGA) als zentrale
Einrichtung zur regionen- und sektorenübergreifenden Planung, Steuerung und Finanzierung
des Gesundheitssystems gemeinsam mit ihrem Organ der Bundesgesundheitskommission
(Vertreter des Bundes, aller Länder, der Sozialversicherung, der Städte und Gemeinden, der
Patientenanwaltschaften, der Österreichischen Ärztekammer etc.). Auf Landesebene spielen
die Landesgesundheitsfonds, die primär für die Umsetzung der Vorgaben der BGA sowie für
die Finanzmittelverteilung an gemeinnützige Krankenanstalten zuständig sind, mit ihren
jeweiligen Landesgesundheitsplattformen (Vertreter des Bundes, der Länder, der
Sozialversicherung, der Städte und Gemeinden, der Krankenanstaltenträger etc.) eine zentrale
Rolle (BMG 2013, S. 8ff.; Hofmarcher 2013, S. 29f.; BMGF 2016). Darüber hinaus wurden
basierend auf dem im Rahmen der Gesundheitsreform 2013 zwischen Bund, Ländern und
Sozialversicherung vereinbarten Zielsteuerungssystem („Zielsteuerung-Gesundheit“) die
Bundes-Zielsteuerungskommission auf Bundesebene sowie die Landes-Zielsteuerungs-
kommission auf Landesebene als Entscheidungsgremien eingerichtet. Die Gesundheitsreform
„Zielsteuerung-Gesundheit“ zielt in erster Linie auf die verbesserte Abstimmung zwischen
27 Die österreichische Sozialversicherung schließt die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung ein und gliedert sich in 21 Sozialversicherungsträger – 9 Gebietskrankenkassen, 5 Betriebskrankenkassen, 7 Versicherungs-anstalten (PVA, AUVA, SVA, VAEB, SVB, BVA, VAN). Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger fungiert als Dachorganisation (LSE 2017a, S. 55f.).
105
dem stationären und ambulanten Bereich und somit auf eine verbesserte partnerschaftliche,
sektorenübergreifende Organisation, Steuerung und Finanzierung zur nachhaltigen
Finanzierbarkeit und Gewährleistung des solidarischen Gesundheitssystems ab. Sie gründet
auf Verträgen zwischen Bund und Ländern nach Art. 15a BV-G (BMG 2013, S. 10; BMGF 2014;
BMGF 2016). Mit dem Zielsteuerungsvertrag 2017 bis 2021, welches auf neuen 15a-
Vereinbarungen beruht, wurde die Fortführung und Weiterentwicklung des 2013
implementierten partnerschaftlichen Zielsteuerungssystems beschlossen (BMGF 2017b).
Die Finanzierung des österreichischen Gesundheitssystems erfolgt hauptsächlich über
öffentliche Mittel – einkommensabhängige Sozialversicherungsbeiträge (ca. 45 %) und
Steuergelder (ca. 31 %) – sowie über private Zuzahlungen (ca. 24 %) im Rahmen von direkten
oder indirekten Kostenbeteiligungen (Rezeptgebühren, Taggelder bei Spitalsaufenthalten,
Selbstbehalte, private Krankenversicherungen etc.). Die wichtigste Finanzierungsquelle stellt
die soziale Krankenversicherung dar, die beinahe für die gesamten Kosten im extramuralen
Bereich aufkommt und zusätzlich die Spitäler mitfinanziert. Die restlichen Spitalskosten sowie
Pflegeleistungen werden hauptsächlich über Steuereinnahmen abgedeckt (BMG 2013, S. 19;
Riedler 2013, S. 17; BMGF 2016; Statistik Austria 2017). Während die Vergütung des
ambulanten Bereiches durch die Krankenversicherung auf einem gemischten Honorierungs-
system (Pauschalabrechnungen und Einzelleistungsvergütungen) basiert, erfolgt die
Finanzierung des stationären Bereichs vorrangig leistungsorientiert. So werden beispielsweise
Fondskrankenanstalten28 (rund die Hälfte aller Spitäler in Österreich) über die Landesgesund-
heitsfonds, welche aus Mitteln des Bundes, der Länder und Sozialversicherungen gespeist
werden, nach dem LKF-System (leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung) 29
vergütet. Reichen die Mittel der Landesgesundheitsfonds zur Finanzierung der
Krankenanstalten nicht aus, werden diese von den Ländern bzw. Spitalsträgern aufgebracht.
Die von Privatkrankenanstalten erbrachten Leistungen für Sozialversicherte, für die die soziale
Krankenversicherung leistungsverpflichtet ist, werden über den Privatkrankenanstalten-
Finanzierungsfond (PRIKRAF), der aus Mitteln der Sozialversicherung gespeist wird,
abgegolten (Hofmarcher 2013, S. 38 und S. 86; BMGF 2016).
28 Unter Fondskrankenanstalten werden öffentliche allgemeine und Sonderkrankenanstalten sowie privat-gemeinnützige allgemeine Spitäler, die die akutstationäre Versorgung übernehmen, subsumiert (Hofmarcher 2013, S. 86; BMGF 2016). 29 Das LKF-System beruht auf der Vergütung von Spitalsleistungen auf Basis sogenannter Fallpauschalen, die sich aus Leistungspunkten für bestimmte Diagnosen und Leistungen zusammensetzen (BMGF 2016).
106
4.1.2 Ebenenübergreifende Systemsteuerung
In Anlehnung an Offermanns (2011, S. 19ff.) erfolgt in der nachstehenden Tabelle (Tabelle 7)
eine ebenenübergreifende Darstellung der wichtigsten Akteure und Steuerungsmechanismen
im nationalen Gesundheitssystem. Betrachtet werden drei Systemebenen, die in
gegenseitiger Wechselwirkung zueinander stehen. Eine solche Betrachtungsweise eignet sich
insbesondere für komplexe Problemstellungen, weshalb sie auch im empirischen Teil der
vorliegenden Arbeit (Kapitel 5.7.8) zur Anwendung kommt.
Ebenenübergreifende Systemsteuerung
Systemebene Fokus Akteure Steuerungsinstrumente
Mak
ro Gesellschaftliche
Ebene mit Werten und Prinzipien
Gesundheitssystem
Solidarität Leistbarkeit Universalität
Gleichbehandlung Qualitätssicherung
EU, Bund, Länder Versicherer
Interessenvertretungen (Kammern, Lobby,
Patientenvertretungen)
Gesetze, Verordnungen Ressourcenallokation
Gesundheitsziele Versorgungssystem
Finanzierungssystem Ausbildungssystem
Me
so Organisationale
Ebene
Leistungserbringer
Kundenorientierung Mitarbeiter- und
Prozessorientierung Effektivität
Selbstverwaltung Krankenanstalten
Wirtschaft (Pharma, Medizintechnik etc.) Selbsthilfegruppen
Normatives und Strategisches Management
Dienstleistungs- und Qualitätsmanagement
Strategisches Personalmanagement
Mik
ro Individuelle Ebene
Health Professional-Patienten-Beziehung
Patienten-orientierung
Outcome Effizienz
Empowerment
Health Professionals Patienten
Angehörige Patientenanwälte
Prozessmanagement Risikomanagement
Klinische Pfade Leitlinien
Tabelle 7: Ebenenübergreifende Systemsteuerung Quelle: In Anlehnung an Offermanns 2011, S. 20
Ausgerichtet an den Grundprinzipien (Solidarität, Leistbarkeit, Universalität) erfolgt die
Steuerung des Gesundheitssystems auf der Makroebene hauptsächlich durch den
Gesetzgeber, der seitens Sozialversicherung und verschiedener Interessenvertretungen
(Kammern, Lobbyisten etc.) beraten wird. Grundsätzlich geht es hierbei um die Regelung des
Versorgungs-, Ausbildungs- und Finanzierungssystems einschließlich gesetzter finanzieller
Anreizmechanismen. Akteure auf der Meso- und Mikroebene sind zur Umsetzung und
Einhaltung der Vorgaben und gesetzten Rahmenbedingungen auf der Makroebene, auf die sie
selbst kaum Einfluss haben, verpflichtet. Der Schwerpunkt auf der organisationalen Ebene
liegt vorrangig auf der Organisation und ihren Strukturen (personelle, räumliche,
107
technologische, finanzielle Strukturen), ihren Prozessen (Management- und Unterstützungs-
prozesse, Geschäfts- und Kernprozesse etc.) sowie ihren erzielten Ergebnissen (qualitative,
quantitative und finanzielle Ergebnisse). Hierfür werden Steuerungsinstrumente wie
beispielsweise Normatives und Strategisches Management, Qualitätsmanagement und
Strategisches Personalmanagement eingesetzt, die wiederum Einfluss auf die konkrete
Leistungserstellung und Ergebnisqualität auf der Mikroebene nehmen. Neben der Steuerung
der konkreten Beziehung zwischen Health Professionals und Patienten (über
Prozessmanagement, Risikomanagement, klinische Pfade, Leitlinien etc.) rücken auf der
individuellen Ebene Outcome-Messungen und Messungen der Patientenzufriedenheit als
Qualitätsnachweise gegenüber unterschiedlichen Anspruchsgruppen auf der Makro- und
Mesoebene vermehrt in den Vordergrund. Nicht nur die Kontraktfähigkeit zwischen Kassen,
Ländern und Health Professionals, sondern auch die Höhe der zur Verfügung gestellten
Ressourcen sollen zukünftig an die nachgewiesene Ergebnisqualität geknüpft sein
(Offermanns 2011, S. 19ff.).
4.1.3 Zentrale Kennzahlen
Laut System of Health Accounts (SHA) beliefen sich die gesamten österreichischen
Gesundheitsausgaben im Jahr 2015 auf 37,58 Mrd.30 Euro bzw. 11,1 % des Bruttoinlands-
produktes (BIP). Seit 1990 lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg der Gesundheitsausgaben um
durchschnittlich 5 % pro Jahr beobachten (von 8,4 % auf 11,1 % des Bruttoinlandsproduktes).
Dies wird nicht zuletzt auf den demografischen Wandel (steigendes Durchschnittsalter der
Bevölkerung) sowie den technologischen Fortschritt in der Medizin zurückgeführt (Riedler
2013, S. 10; Statistik Austria 2017). Der größte Teil der ausgegebenen Gelder (ca. 30-40 %)
fließt jährlich in den stationären Bereich, in dem auch der Schwerpunkt der österreichischen
Gesundheitsversorgung liegt (BMG 2013, S. 20; Riedler 2013, S. 16). So wurden im Jahr 2015
rund 2,82 Mio. stationäre Aufenthalte inklusive sogenannter Null-Tagesaufenthalte
(entspricht einer Krankenhaushäufigkeit von 327 Aufenthalten pro 1.000 Einwohner) bei einer
durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 6,5 Tagen registriert (Statista 2016; Statistik Austria
2016c). Hierfür standen rund 65.138 Spitalsbetten in 278 Krankenanstalten (darunter
allgemeine Krankenanstalten, Sonderkrankenanstalten, Rehabilitationszentren, Sanatorien,
30 Die berechneten Werte schließen sowohl laufende Gesundheitsausgaben (35,08 Mrd. Euro) als auch Investitionen im Gesundheitsbereich (2,5 Mrd. Euro) ein.
108
Pflegeheime etc.) zur Verfügung. Dies entspricht einer Bettendichte von 7,5 Betten pro 1.000
Einwohner, wobei in den letzten Jahrzehnten – dank schwerpunktmäßiger Zielsetzung der
Gesundheitspolitik – ein rückläufiger Trend zu beobachten ist (Statistik Austria 2016b).
Maximal 25 % der Betten in gemeinnützigen Krankenanstalten dürfen gesetzlich für Sonder-
klassepatienten zur Verfügung gestellt werden (Riedler 2013, S. 32). Der zweitgrößte Teil der
Gesundheitsausgaben (ca. 20 %) wird jährlich für die ambulante Versorgung aufgewendet, die
größtenteils von frei praktizierenden, niedergelassenen Ärzten, aber auch seitens Ambu-
latorien und Spitalsambulanzen sichergestellt wird (BMG 2013, S. 15ff.). Insgesamt wurden im
Jahr 2015 44.002 berufsausübende Ärzte (Allgemeinmediziner, Fachärzte, Turnusärzte) in
Österreich gezählt, was einer Ärztedichte von 5,06 Ärzten je 1.000 Einwohner entspricht – mit
deutlichem Aufwärtstrend (Statistik Austria 2016a). Zirka die Hälfte aller Ärzte ist im
niedergelassenen Bereich tätig, wovon wiederum etwa die Hälfte über einen Vertrag mit den
Kassen verfügt (BMG 2013, S. 15ff.; Riedler 2013, S. 28; Hofmarcher 2013, S. 151f.; BMGF
2016). Während die Anzahl der Kassenärzte seit 2000 kontinuierlich gesunken ist, hat sich die
Zahl der Wahlärzte, d.h. jener Ärzte, die über keinen Kassenvertrag verfügen, seit dieser Zeit
beinahe verdoppelt (Riedler 2013, S. 28f.; Oswald & Matzenberger 2016). Dies hängt
wiederum mit der zunehmenden Nachfrage nach privaten Leistungen zusammen; aktuell
verfügt fast ein Drittel der österreichischen Bevölkerung über eine private Zusatzversicherung.
Laut Umfragen liegen die Hauptmotive für den Abschluss einer Zusatzversicherung in der
besseren medizinischen Versorgung, in der freien Arztwahl sowie in kürzeren Wartezeiten (vor
allem für elektive Operationen) begründet und weniger in der höheren Hotel- und
Servicekomponente. Allerdings schließt die rechtliche Situation (§ 16 KAKuG) lediglich die
Besserstellung von zusatzversicherten Patienten durch die freie Arzt- und Krankenhauswahl
sowie den erhöhten Komfort der Unterbringung ein; Unterschiede in der Qualität der
medizinischen Versorgung dürfen keine bestehen (Pruckner & Hummer 2013, S. 47ff.).
Seit 1980 ist ein kontinuierlicher Anstieg der Lebenserwartung in Österreich zu verzeichnen.
2015 lag die Lebenserwartung bei der Geburt31 bei 78,63 Jahren für Männer und 83,59 Jahren
für Frauen, was einer durchschnittlichen Zunahme von mehr als acht Jahren zum
Vergleichsjahr (1980) entspricht. Die Sterblichkeitsrate belief sich im Jahr 2015 auf 9,6
31 Die Lebenserwartung bei der Geburt drückt die durchschnittliche Anzahl zu erwartender Lebensjahre eines Neugeborenen aus, die unter vorherrschenden Sterblichkeitsbedingungen bei der Geburt erwartet werden kann (Schmid & Schmid o.J.).
109
Todesfälle je 1.000 Einwohner und markiert somit einen leichten Aufwärtstrend. Hingegen ist
die Säuglingssterblichkeit in den letzten Jahren stark zurückgegangen, von 4,2 Todesfällen im
Jahr 2005 auf 3,1 Todesfälle je 1.000 Lebendgeborene im Jahr 2015. Zu den häufigsten
Todesursachen bezogen auf die allgemeine Sterblichkeitsrate zählen nach wie vor
Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) sowie bösartige
Neubildungen (Krebs) (Hofmacher 2013, S. 10f.; Statistik Austria 2016d).
4.1.4 Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf
Vergleicht man die österreichischen Kennzahlen im europäischen Kontext, so lässt sich trotz
hoher Zufriedenheitswerte in Bevölkerungsumfragen folgender Handlungs- und
Verbesserungsbedarf feststellen: Die nationalen Gesundheitsausgaben liegen weit über dem
EU-Durchschnitt. Die Krankenhaushäufigkeit und durchschnittliche Verweildauer in den
Spitälern sind ebenfalls unübertroffen bzw. überproportional hoch. Zudem weist Österreich
im europäischen Vergleich eine überdurchschnittlich hohe Betten-, Ärzte- und
Großgerätedichte auf, was einerseits für einen guten Zugang zum Gesundheitssystem und
dessen Qualität spricht, andererseits aber auch die Effizienz des Ressourceneinsatzes
zunehmend in Frage stellt. Angesichts der vergleichsweise nur durchschnittlich erbrachten
Leistungsergebnisse (Outcome-Indikatoren wie Lebenserwartung, gesunde Lebensjahre,
Sterblichkeit, Säuglingssterblichkeit etc.) werden die Abweichungen hauptsächlich auf nicht
ausgeschöpfte Effizienzpotenziale zurückgeführt (Bachner et al. 2015, S. 36ff. und S. 123f.;
OECD 2015). Trotz bisheriger Bemühungen zur Koordinationsverbesserung wird nach wie vor
die mangelhafte Abstimmung zwischen dem intra- und extramuralen Bereich, zwischen den
unterschiedlichen Ebenen ambulanter Versorgung, zwischen akutstationärer Versorgung und
Nachbetreuung sowie zwischen den einzelnen Gesundheitsdienstleistern beanstandet,
wodurch sich häufig Redundanzen in der Versorgung und Finanzierung ergeben (Korosec
2007, S. 1f.; Hofmarcher 2013, S. 260; Bachner et al. 2015, S. 124). Kritisiert wird insbesondere
das „duale Finanzierungssystem“ (ambulante Versorgung wird überwiegend von der
Sozialversicherung finanziert; stationäre Versorgung vom Bund bzw. den Ländern), welches
unter anderem dazu führt, dass Gesundheitsleistungen und deren Kosten zwischen dem
ambulanten und stationären Bereich hin und her geschoben werden (Korosec 2007, S. 1f.; LSE
2017a, S. 26). Weiters wird die Qualität der medizinischen Primärversorgung bemängelt, was
sich insbesondere an der überdurchschnittlich hohen Anzahl der Spitalsaufenthalte und der
110
überdurchschnittlich hohen Einweisungsrate chronisch Erkrankter erkennen lässt (OECD
2015; LSE 2017a, S. 64). Lange Zeit wurde die beabsichtigte Reduktion von Spitalsaufenthalten
mittels der Forcierung der medizinischen Primärversorgung durch die ausstehende Einigung
über die Finanzierung einer solchen Leistungsverschiebung behindert (Offermanns 2012,
S. 127; Hofmarcher 2013, S. 186; OECD 2015). Inwiefern die neue Art. 15a-Vereinbarung über
die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens durch die Verlagerung von
Leistungen in den ambulanten Bereich (vor allem über den Ausbau des niedergelassenen
Bereichs durch die Realisierung von mind. 75 interdisziplinären Primärversorgungseinheiten,
wofür insgesamt 200 Mio. Euro zweckgewidmet wurden) zukünftig zur Entlastung des
vollstationären Bereichs in den Akut-Krankenanstalten beitragen wird können, bleibt
abzuwarten (BMGF 2017b).
Zukünftiger Handlungsbedarf besteht in Österreich ferner im Bereich der Gesundheits-
förderung und Prävention, um vermeidbare Krankheiten und damit einhergehende
Folgekosten zu minimieren (Hofmarcher 2013, S. 260; Bachner et al. 2015, S. 123; LSE 2017a,
S. 63). Besorgniserregend erscheint vor allem der überdurchschnittlich hohe Nikotin- und
Alkoholkonsum pro Kopf, insbesondere jener der österreichischen Jugendlichen (BMG 2013,
S. 29f.; Bachner et al. 2015, S. 86ff.; LSE 2017a, S. 63). Mit der Vereinbarung nationaler
Rahmen-Gesundheitsziele im Jahr 2012 wurde der erste wichtige Grundstein für eine
gesundheitsförderliche Gesamtpolitik in Österreich unter Einbindung aller Politikfelder
(Health in all Policies) gelegt. Diese Ziele sollen dazu beitragen, die gesunden Lebensjahre der
österreichischen Bevölkerung zu erhöhen. Auf Basis der insgesamt zehn vereinbarten
Rahmen-Gesundheitsziele (u.a. Ziel 10: Sicherstellung einer nachhaltigen, qualitativ
hochwertigen und effizienten Gesundheitsversorgung für alle) erfolgte 2014 die Festlegung
der österreichweiten Gesundheitsförderungsstrategie im Rahmen des Bundeszielsteuerungs-
vertrages. Sie fanden auch Eingang in das aktuelle Regierungsprogramm (BMGF 2017a).
Viele der genannten Punkte im Hinblick auf den zukünftigen Verbesserungs- und
Handlungsbedarf im nationalen Gesundheitssystem gehen auch aus der lang erwarteten,
jüngst veröffentlichten Studie der London School of Economics and Political Science (LSE) zur
Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich hervor (LSE
2017a). Laut dieser Untersuchung wird das gesamte Effizienzsteigerungspotenzial im
111
nationalen Gesundheitssystem zwischen 629,3 Mio. und 845,5 Mio. Euro geschätzt. Dabei
wurde auch im Hinblick auf die Korruptionsthematik ein Einsparpotenzial geortet. Würde man
das in dieser Studie vorsichtig geschätzte Ausmaß von Korruption im nationalen
Gesundheitssystem (1 % der öffentlichen Gesundheitsausgaben in Österreich = 265 Mio. Euro)
um 30 % bis 50 % reduzieren, ließen sich 79,5 Mio. bis 132, 6 Mio. Euro einsparen (LSE 2017b,
S.22ff.).
Auf der Suche nach einer verbesserten Prozess- und Ressourcensteuerung zur langfristigen
Sicherstellung des solidarisch finanzierten Gesundheitssystems in Österreich kann somit auch
die lang tabuisierte Korruptionsthematik in diesem Bereich beträchtliche Effektivitäts- und
Effizienzsteigerungspotenziale bergen, weshalb sie im Folgenden in den Fokus der
vorliegenden Arbeit gerückt wird.
112
4.2 Korruption
Obwohl das österreichische Gesundheitssystem im europäischen Vergleich im Hinblick auf
Chancengerechtigkeit, Zugang und Leistungsangebot positiv abschneidet (Bachner et al. 2015,
S. 123), ist es vor Korruption und Missbrauch nicht gefeit. Kern des Problems stellen auch
hierzulande die hohe Komplexität des Systems und die daraus resultierende Intransparenz,
die enormen jährlich darin umgesetzten Geldmittel, asymmetrische Informationen sowie die
Drittzahlerkonstruktion dar. Dadurch werden Einfallstore für Korruption und missbräuchliches
Verhalten für alle Systembeteiligten eröffnet, was zulasten unbeteiligter Dritter und letztlich
des gesamten Systems gehen kann (Kiesl 2010, S. 12; TI-AC 2010, S. 6; Kern-Homolka et al.
2011, S. 10ff.).
Dass auch das nationale Gesundheitssystem eine gewisse Anfälligkeit für Korruption birgt,
lässt sich nicht nur aus zahlreichen Medienberichten (Amara 2013; Gebhard 2013; APA 2016;
Gartlehner 2016; APA 2017a) und etwaigen Skandal- und Enthüllungsbüchern (Weiss 2008;
Aboulenein 2016) auf nationaler Ebene schließen, sondern geht auch aus jüngst vorliegenden
Befragungsergebnissen hervor. Laut einer Bevölkerungsumfrage durch die Paul-Lazarsfeld-
Gesellschaft im Jahr 2009 wird der Gesundheitsbereich in Österreich zu 43 % als
korruptionsanfällig wahrgenommen (Rohan et al. 2009, S. 52; Rupp 2011, S. 86). Nach den
Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus demselben Jahr hingegen liegt dieser
Wert lediglich bei 20 % und somit unter dem EU-weiten Durchschnittswert von 32 %
(Europäische Kommission 2009, S. 35; Rupp 2011, S. 86). Ähnliche Ergebnisse des Special
Eurobarometers liegen für das Jahr 2011 vor (AT: 24 %; EU: 30 %) (Europäische Kommission
2012, S. 53). Laut den jüngst vorliegenden Resultaten des Special Eurobarometers aus dem
Jahr 2013 wird der Gesundheitssektor in Österreich „nur“ noch zu 15 % bei einem EU-weiten
Durchschnittswert von 33 % als korruptionsanfällig wahrgenommen (Europäische
Kommission 2014, S. T18). Zwar wird das österreichische Gesundheitssystem laut solchen
Meinungsbefragungen als vergleichsweise wenig korrupt angesehen, dennoch ist die Relevanz
der Thematik in ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht erheblich (Rupp 2011, S. 86).
Läge man die laut internationalen Experten geschätzten 3 % bis 10 % der Gesundheitsbudgets,
die jährlich in ungewissen Quellen versickern (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee &
Button 2015, S. 12), auf die österreichischen Gesundheitsausgaben laut Statistik Austria (2017)
um, ergäbe dies einen jährlichen Schaden zwischen 1 und 3,7 Mrd. Euro (laut eigener
113
Berechnung der Autorin). Angesichts der stetig steigenden nationalen Gesundheitsausgaben,
ausgelöst durch den demografischen Wandel und den technologischen Fortschritt in der
Medizin, und dem damit einhergehenden zunehmenden Finanzierungs- und
Sparsamkeitsdruck kann dies auch hierzulande langfristig die optimale
Gesundheitsversorgung der Bevölkerung beeinträchtigen und somit das solidarische
Gesundheitssystem unterminieren (Rupp 2006, S. 2; Hintringer 2010, S. 4). So ergeben sich in
diesem Themenfeld auch zahlreiche Schnittstellen im Kontext der Priorisierung,
Rationalisierung und Rationierung von Gesundheitsleistungen. Schließlich geht es darum, mit
den begrenzten Ressourcen eine optimale medizinische Versorgung der Bevölkerung
sicherzustellen (Offermanns 2011, S. 34ff.). Nicht zu vergessen sind auch die ethischen
Aspekte, welche die Grundfesten des Gesundheitssystems adressieren: Wertediskussion,
solidarisches Gesundheitssystem, soziale Ungleichheit etc. Damit einher geht die öffentlich
lang und kontrovers geführte Debatte um die Zwei-/Mehrklassenmedizin.
Noch vor zehn Jahren galt Korruption im nationalen Gesundheitssystem als ein großes Tabu-
Thema. Aufkommende Korruptionsfälle wurden zumeist als bedauerliche Einzelfälle abgetan
und dementsprechend gehandhabt (Rupp 2006, S. 1f.). Erst dank dem unermüdlichen
Engagement herausragender Persönlichkeiten und dem österreichischen Chapter von
Transparency International, die auf die Thematik über diverse Medien- und Pressearbeit
aufmerksam gemacht haben, wurde das Thema allmählich in den Fokus der öffentlichen
Aufmerksamkeit gerückt. Debattiert wurden nicht nur finanzielle Vorteile, sondern auch
unlautere Geschenke und sonstige Graubereiche von Korruption, die – obgleich nicht immer
strafbar – zumindest aus ethischer Sicht fragwürdig erschienen. Welche Verhaltensweisen laut
aktueller Rechtslage strafbar sind, wer bei der Antikorruptionsbewegung eine tragende Rolle
gespielt hat und welche Gegenmaßnahmen daraufhin gesetzt worden sind, wie der aktuelle
nationale Stand der Korruptionsforschung im Gesundheitssystem und der daraus
resultierende Forschungsbedarf aussehen, wird im Folgenden dargelegt.
114
4.2.1 Rechtlicher Hintergrund
Um Korruption nachhaltig einzudämmen, bedarf es – dem strafrechtlichen Erklärungsansatz
folgend (vgl. Kapitel 2.4) – eines gut ausgestalteten rechtlichen Rahmens, der keine
Schlupflöcher für korruptes Verhalten aufgrund bestehender Regelungslücken gewährt. Mit
dem Aufkommen zahlreicher Korruptionsskandale und dem dadurch erkannten
Handlungsbedarf wurden in Österreich, insbesondere in den letzten zehn Jahren, zahlreiche
Änderungen auf juristischer Ebene vorgenommen. Die relevantesten strafrechtlichen und
außerstrafrechtlichen Regelungen zur Bekämpfung von Korruption im nationalen
Gesundheitssystem werden nachfolgend allgemein verständlich aufgearbeitet, wobei kein
Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Ein eigenes Antikorruptionsgesetz im
Gesundheitssystem, wie jenes, welches erst kürzlich in Deutschland aufgrund erkannter
Regelungslücken verabschiedet wurde (Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im
Gesundheitswesen 2016), liegt hierzulande noch nicht vor.
Zur besseren Übersicht werden die wichtigsten strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen
Regelungen, die anschließend näher ausgeführt werden, in der nachstehenden Tabelle
(Tabelle 8) zusammengefasst.
Rechtslage in Österreich
A. Strafrechtliche Regelungen
Korruptionsstrafrecht Korruptionstatbestände des öffentlichen Bereiches: Voraussetzung: Eigenschaft als Amtsträger (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB)
Bestechung (§ 307 StGB)/Bestechlichkeit (§ 304 StGB)
Vorteilszuwendung (§ 307a StGB)/Vorteilsannahme (§ 305 StGB)
Vorteilszuwendung zur Beeinflussung (§ 307b StGB)/ Vorteilsannahme zur Beeinflussung (§ 306 StGB)
Verbotene Intervention (§ 308 StGB)
i.w.S. Missbrauch der Amtsgewalt (§ 302 StGB)
Korruptionstatbestände des privaten Bereiches:
Geschenkannahme und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten (§ 309 StGB)
i.w.S Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB)
i.w.S. Untreue (§ 153 StGB)
i.w.S. Umtriebe während einer Geschäftsaufsicht oder im Insolvenzverfahren (§ 160 StGB)
i.w.S. Bestechung bei der Wahl oder Volksabstimmung (§ 265 StGB)
Sonstige strafrechtliche Bestimmungen (mögliche Begleitdelikte von Korruption)
Erpressung (§ 144 StGB)
Veruntreuung (§ 133 StGB)
Unterschlagung (§ 134 StGB)
Betrug (§ 146 StGB)
115
B. Außerstrafrechtliche Regelungen
Ärztegesetz (ÄrzteG)
Werbebeschränkung und Provisionsverbot (§ 53 ÄrzteG)
Arzneimittelgesetz (AMG)
Provisionsverbot (§ 55a AMG)
Naturalrabatteverbot (§ 55b AMG)
Medizinproduktegesetz (MPG)
Provisionsverbot (§ 108 MPG)
Sozialbetrugs-bekämpfungsgesetz (SBBG)
Verbesserung der Sozialbetrugsbekämpfung und Behördenkooperation
Beamten-Dienstrechts-gesetz (BDG), Vertrags-bedienstetengesetz (VBG)
Dienstrechtliches Geschenkannahmeverbot (§ 59 BDG, § 5 VBG)
Nebenbeschäftigungen (§ 56 BDG, § 5 VBG)
Dienstordnungen der österreichischen Sozialversicherung
Geschenkannahmeverbot u.a.
Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger
Richtlinien für die Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung von Kontrollen im Vertragspartnerbereich (RLVPK) gemäß § 31 Abs. 5 Z 12 ASVG
Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG)
Transparentes Wartelistenregime (§ 5a Abs. 2 KAKuG)
Individuelles Auskunftsrecht (§ 5a Abs. 3 KAKuG)
Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz (LobbyG)
Lobbying-Tätigkeiten (§ 5 LobbyG)
Prinzipien der Lobbying-Tätigkeit und Interessenvertretung (§ 6 LobbyG)
Tätigkeitseinschränkung (§ 8 LobbyG)
Lobbying- und Interessenvertretungs-Register (§ 9 LobbyG)
Verordnung über die Meldepflicht nicht-interventioneller Studien (BGBl II Nr. 180/2010)
Ärztliche Aufklärungspflicht (§ 2 NIS-Verordnung)
Register nicht-interventioneller Studien (§ 4 NIS-Verordnung)
Meldepflicht nicht-interventioneller Studien (§ 5 NIS-Verordnung)
Abschlussbericht (§ 7 NIS-Verordnung)
Bundesvergabegesetz (BVergG)
Aktuelles Vergaberecht
Vergaberechtsreformgesetz 2017
Tabelle 8: Rechtslage in Österreich Quelle: Verfasserin
A. Strafrechtliche Regelungen
Das Strafgesetzbuch (StGB) enthält einige wichtige Regelungen zur Bekämpfung von
Korruption im Gesundheitssystem. Hierzu zählen in erster Linie die zentralen Bestimmungen
des Korruptionsstrafrechts sowie sonstige strafrechtliche Bestimmungen.
116
Korruptionsstrafrecht
Unter Korruption im strafrechtlichen Sinne wird „jede Art von Pflichtwidrigkeit und Missbrauch
einer eingeräumten Befugnis bzw. Vertrauensstellung in einer Funktion in Verwaltung,
Wirtschaft und Politik im Austausch gegen einen Vorteil, auf den kein rechtlich begründeter
Anspruch besteht“ verstanden (Eder-Rieder 2014, S. 72). Allerdings liefert der österreichische
Gesetzgeber keine eindeutige Definition von Korruption, stattdessen werden verschiedene
Korruptionstatbestände aufgelistet (Schuschnigg 2015, S. 1f.). Das erste Antikorruptions-
gesetz in Österreich stammte aus dem Jahr 1964 und stellte zu seiner Zeit lediglich die
Geschenkannahme und Bestechung leitender Angestellter eines Unternehmens unter Strafe.
Bis zu diesem Zeitpunkt wurden maßgebliche Bereiche von Korruption nur von den
Strafbestimmungen „Missbrauch der Amtsgewalt“ und „Untreue“ erfasst. Mit dem zweiten
Antikorruptionsgesetz im Jahr 1982 und den Strafrechtsänderungsgesetzen in den Jahren
1987 und 1998 folgten weitreichende Änderungen im Bereich der §§ 304 ff StGB. Die letzte
wesentliche Reformierung des österreichischen Korruptionsstrafrechts, die nicht zuletzt von
der Umsetzung internationaler Antikorruptions-Übereinkommen (der UN, OECD, des
Europarates etc.) getragen war, erfolgte im Jahr 2008 und läutete damit eine neue Ära in der
Bekämpfung öffentlicher und privater Korruption ein (Eder-Rieder 2014, S. 71; Marek &
Jerabek 2014, S. 1). Die wichtigsten Novellierungsbereiche umfassten die Einführung des
Amtsträgerbegriffes (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB), die Neuregelung der Geschenkannahme und
Bestechung (ehemalige §§ 304 und 307 StGB) sowie die Einführung neuer Tatbestände wie
„Abgeordnetenbestechung“ (ehemaliger § 304a StGB), „Geschenkannahme durch
Bedienstete oder Beauftragte“ (ehemaliger § 168c StGB) und die „Bestechung von
Bediensteten oder Beauftragten“ (ehemaliger § 168d StGB) (BMI 2009, S. 12f.; Gepart 2009,
S. 11). Aufgrund unpräziser, zu weit gefasster Bestimmungen und der damit einhergehenden
öffentlichen Kritik wurde das Korruptionsstrafrecht im Jahr 2009 novelliert und teilweise
wieder entschärft. Unter anderem kam es zur Klarstellung des Amtsträgerbegriffes – auch im
Gesundheitsbereich (Schön & Schuschnigg 2009, S. 16ff.; Rupp 2011, S. 90; Eder-Rieder 2014,
S. 71; Marek & Jerabek 2014, S. 1). 2012 folgte die nächste weitreichende Korruptionsstraf-
rechtsänderungsnovelle. Zentrale Änderungen umfassten die Erweiterung des
Amtsträgerbegriffes (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB) mit vollständiger Einbeziehung von Abgeordneten
bzw. von Organen und Bediensteten staatsnaher Unternehmen, die Erweiterung der
inländischen Gerichtsbarkeit (§ 64 Abs. 1 StGB), die Neuregelung der Vorteilszuwendung (§
117
307a StGB) bzw. Vorteilsannahme (§ 305 StGB), des sogenannten „Anfütterns“ (§§ 306 und
307b StGB) und der verbotenen Intervention (§ 308 StGB) sowie im Bereich der
Privatkorruption die Zusammenführung der §§ 168c und 168d StGB zum nunmehr neuen
Tatbestand „Geschenkannahme und Bestechung durch Bedienstete und Beauftragte“ (§ 309
StGB). Zudem wurde das Privatanklageerfordernis (§ 168e StGB) abgeschafft, wodurch
Korruption im privaten Bereich zum Offizialdelikt erklärt und der Tatbestand der tätigen Reue
(ehemaliger § 307c StGB) aufgrund der bestehenden Kronzeugenregelung (§ 209a StPO)
ersatzlos gestrichen wurden. Die zentralsten Bestimmungen zum aktuellen
Korruptionsstrafrecht (§§ 304-309 StGB) finden sich nunmehr im 22. Abschnitt des
Besonderen Teils des Strafgesetzbuches unter der neuen Überschrift „Strafbare Verletzungen
der Amtspflicht, Korruption und verwandte strafbare Handlungen“, womit auch der Begriff
Korruption erstmalig Eingang ins Strafgesetzbuch fand (BMJ 2012, S. 3ff.; Eder-Rieder 2014,
S. 71f.; Marek & Jerabek 2014, S. 1). Ferner können auch § 153a StGB (Geschenkannahme
durch Machthaber), § 160 StGB (Umtriebe während einer Geschäftsaufsicht oder im
Insolvenzverfahren) sowie § 265 StGB (Bestechung bei der Wahl oder Volksabstimmung) zum
Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne gezählt werden (Eder-Rieder 2014, S. 72; Marek &
Jerabek 2014, S. 2; Schuschnigg 2015, S. 4). Häufig werden auch der Missbrauch der
Amtsgewalt (§ 302 StGB) und die Untreue (§ 153 StGB) unter das Korruptionsstrafrecht im
weiteren Sinne subsumiert, wobei es sich hierbei um keine „echten“ Korruptionsdelikte
handelt (BMJ 2012, S. 32ff.; Schuschnigg 2015, S. 4). Die Korruptionsstraftaten im engeren
Sinne (§§ 304-309 StGB) stellen grundsätzlich subsidiäre Auffangtatbestände dar, die erst in
Betracht kommen, wenn beispielsweise Strafbarkeit nach § 302 StGB (Missbrauch der
Amtsgewalt) oder § 153 StGB (Untreue) nicht vorliegt (Marek & Jerabek 2014, S. 2).
Wie bereits angedeutet, lässt sich das Korruptionsstrafrecht in einen öffentlichen und privaten
Bereich unterteilen. Im Vergleich zum privaten Korruptionsstrafrecht enthält das öffentliche
mehr Delikte und sieht auch strengere Strafdrohungen vor. Zudem wird im öffentlichen Sektor
zwischen pflichtwidriger32 und pflichtgemäßer33 Vornahme oder Unterlassung eines Amts-
geschäftes differenziert, während im privaten Sektor Pflichtwidrigkeit für die Strafbarkeit
32 Pflichtwidrigkeit liegt vor, wenn konkreten Amts- oder Dienstpflichten zuwidergehandelt bzw. gegen Gesetze, Verordnungen, Erlässe, Richtlinien, Dienstverträge etc. verstoßen wird (Marek & Jerabek 2014, S. 77). 33 Pflichtgemäß bedeutet, dass im Einklang mit den Rechtsnormen und nach sachlich-rechtlichen Erwägungen gehandelt wird. Darin liegt auch der wesentlichste Unterschied zur Pflichtwidrigkeit und somit zwischen Bestechung/Bestechlichkeit und Vorteilsannahme/Vorteilszuwendung begründet (Marek & Jerabek 2014, S. 79).
118
vorliegen muss (Deutscher Bundestag 2016, S. 7). Die Anwendung des Korruptionsstrafrechts
im öffentlichen Bereich setzt primär die Beteiligung sogenannter „Amtsträger“ am
Korruptionsdelikt voraus. Das heißt, dass die Erfüllung der Eigenschaft als Amtsträger nach
§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB vorliegen muss, damit das strengere öffentliche Korruptionsstrafrecht
überhaupt angewandt werden kann.
Amtsträger (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB)
Als Amtsträger gilt jeder, der für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen
Gemeindeverband, für eine andere Person des öffentlichen Rechts 34 (ausgenommen
Kirche oder Religionsgesellschaften), für einen anderen Staat oder für eine internationale
Organisation Aufgaben der Gesetzgebung, Verwaltung oder Justiz als deren Organ35 oder
Dienstnehmer 36 wahrnimmt (lit. b) oder der sonst im Namen der genannten Körper-
schaften befugt ist, in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte37 vorzunehmen (lit. c)38.
Amtsträger ist auch jeder, der als Organ oder Bediensteter eines Unternehmens tätig ist,
an dem eine oder mehrere inländische oder ausländische Gebietskörperschaften
unmittelbar oder mittelbar mit mindestens 50 % des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals
beteiligt sind, das eine solche Gebietskörperschaft allein oder gemeinsam mit anderen
solchen Gebietskörperschaften betreibt oder durch finanzielle oder sonstige
wirtschaftliche oder organisatorische Maßnahmen tatsächlich beherrscht; jedenfalls aber
jedes Unternehmen, dessen Gebarung der Überprüfung durch den Rechnungshof, dem
Rechnungshof gleichartige Einrichtungen der Länder oder einer vergleichbaren
internationalen oder ausländischen Kontrolleinrichtung unterliegt (lit. d)39. Somit fallen
grundsätzlich alle Rechtsträger des öffentlichen Rechts unter das Korruptionsstrafrecht,
inländische, ausländische und internationale Amtsträger eingeschlossen. Als Amtsträger
gelten allerdings nicht Personen, die nur Tätigkeiten untergeordneter Art ausüben und
34 Darunter fallen z.B. Ärzte-, Rechtsanwalts-, Arbeiter- oder Wirtschaftskammern, Universitäten, Krankenhäuser, Sozialversicherungsanstalten, Stiftungen und Fonds mit eigener Rechtspersönlichkeit (Eder-Rieder 2014, S. 72). 35 Als Organe seien beispielhaft genannt der Bundespräsident, Bundesminister, Abgeordnete, Mitglieder der Landesregierungen, Bürgermeister, Richter, Staatsanwälte (Eder-Rieder 2014, S. 72). 36 Dienstnehmer können z.B. Gemeindebedienstete, Verwaltungspraktikanten u.a. sein (Eder-Rieder 2014, S. 72). 37 Amtsgeschäfte umfassen alle Tätigkeiten eines Amtsträgers, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Vollziehungsaufgaben des Rechtsträgers stehen. Keine Amtsgeschäfte stellen allgemeine Delikte wie Diebstahl oder Veruntreuung dar (BMJ 2012, S. 31; Eder-Rieder 2014, S. 73f.). 38 Dies betriff z.B. Schöffen, Geschworene, Prüfer an Universitäten sowie „beliehene“ private Unternehmen oder Einzelpersonen wie TÜV-Prüfer (Eder-Rieder 2014, S. 72f.). 39 Dies trifft beispielsweise auf Organe und Bedienstete staatsnaher Unternehmen wie z.B. ÖBB Infrastruktur AG, Österreichische Post AG, Wiener Linien GmbH, ASFINAG GmbH sowie Krankenanstalten GmbH der Gebietskörperschaften (Salzburger Landeskliniken etc.) zu (BMJ 2012, S. 22; Eder-Rieder 2014, S. 73).
119
nicht direkt an den Vollziehungsaufgaben beteiligt sind (Reinigungskräfte, Portiere etc.)
(Schön & Schuschnigg 2009, S. 19; BMJ 2012, S. 16ff.; Eder-Rieder 2014, S. 72; Marek &
Jerabek 2014, S. 64ff.). Demzufolge stellen Ärzte, die in einem öffentlichen Krankenhaus
oder an einer Universität arbeiten, Amtsträger dar, während Ärzte, die in Privatkliniken
oder Ordensspitälern angestellt sind, dies nicht tun (Kern-Homolka et al. 2011, S. 9; Vock
2016). Lange Zeit blieb strittig, ob auch niedergelassene Ärzte oder Vertragsärzte vom
Amtsträgerbegriff erfasst sind und unter das Korruptionsstrafrecht im öffentlichen Sektor
fallen. Inzwischen sind sich Experten einig, dass dem nicht so ist, manche schließen
allerdings eine Strafbarkeit von Vertragsärzten nach § 309 StGB als Beauftragte der
gesetzlichen Krankenkassen nicht aus (Schrank & Meier 2012, S. 16f.; Koukol & Machan
2013, S. 126ff.; Schmoller 2013, S. 60). Demzufolge begeht ein niedergelassener Arzt, der
Provisionen für die Verschreibung bestimmter Arzneimittel annimmt, keine
Korruptionsstraftat als Amtsträger und grundsätzlich auch nicht nach § 309 StGB,
allerdings kann er nach § 55a AMG (vgl. AMG) geahndet werden (Deutscher Bundestag
2016, S. 9).
Zu den wichtigsten Korruptionstatbeständen im öffentlichen Sektor zählen laut geltender
Rechtslage:
Bestechung (§ 307 StGB)/Bestechlichkeit (§ 304 StGB)
Der Tatbestand der Bestechung (§ 307 StGB) liegt vor, wenn einem Amtsträger oder
Schiedsrichter für die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäftes
ein Vorteil 40 für ihn oder einen Dritten angeboten, versprochen oder gewährt wird.
Umgekehrt macht sich auch ein Amtsträger oder Schiedsrichter nach § 304 StGB strafbar,
wenn er für sich oder einen Dritten einen Vorteil für die pflichtwidrige Vornahme oder
Unterlassung eines Amtsgeschäftes fordert, annimmt oder sich versprechen lässt. Dies
trifft auch auf Vorteile für die Erstattung eines unrichtigen Befundes oder Gutachtens
40 Unter einem Vorteil versteht man jede Leistung materieller Art (Geldzahlungen, Wertgegenstände, Dienstleistungen mit einem bestimmten Marktwert etc.) oder immaterieller Art (gesellschaftliche und berufliche Vorteile wie die Unterstützung bei einem Bewerbungsgespräch oder Jobvermittlung, sexuelle Zuwendungen u.a.), die jemanden besser stellt, ohne einen rechtlich begründeten Anspruch darauf zu haben. Kein Vorteil liegt vor, wenn der Leistung eine angemessene Gegenleistung (Vortragshonorar, Übernahme der Kosten für Verpflegung, Unterkunft etc.) gegenübersteht. Auch bei regelmäßigen, wechselseitigen Essenseinladungen handelt es sich um keinen Vorteil im Sinne der Korruptionstatbestände. Ob der Vorteil vor, während oder nach der im Zusammenhang stehenden Amtsführung angenommen/gewährt wird, ist für die §§ 304, 305, 307 und 307b StGB irrelevant (BMJ 2012, S. 26; Marek & Jerabek 2014, S. 72ff.).
120
durch von einem Gericht oder einer anderen Behörde bestellten Sachverständigen zu. Eine
Geringfügigkeitsgrenze existiert nicht. Verstöße gegen § 307 oder § 304 StGB können in
Abhängigkeit von der Höhe des Vorteils mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren
geahndet werden (Eder-Rieder 2014, S. 75ff.; Marek & Jerabek 2014, S. 76ff.).
Vorteilszuwendung (§ 307a StGB)/Vorteilsannahme (§ 305 StGB)
Nach § 307a StGB ist es verboten, einem Amtsträger oder Schiedsrichter für die
pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäftes einen ungebührlichen
Vorteil für ihn oder einen Dritten anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren.
Umgekehrt macht sich auch ein Amtsträger oder Schiedsrichter nach § 305 StGB strafbar,
wenn er für sich oder einen Dritten für die pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung
eines Amtsgeschäftes einen Vorteil fordert oder einen ungebührlichen Vorteil annimmt
oder sich versprechen lässt. Das Fordern eines Vorteils ist stets strafbar, hier besteht keine
Ausnahmeregelung im Hinblick auf die Ungebührlichkeit des Vorteils. Keine ungebühr-
lichen Vorteile stellen laut § 305 Abs. 4 StGB Vorteile dar, die gesetzlich erlaubt sind oder
die im Rahmen von Veranstaltungen gewährt werden, an deren Teilnahme ein amtlich
oder sachlich gerechtfertigtes Interesse besteht (z.B. Zuwendungen im Rahmen von
ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen). Weiters stellen auch Vorteile für gemeinnützige
Zwecke, auf deren Verwendung kein bestimmender Einfluss seitens Amtsträger oder
Schiedsrichter ausgeübt werden kann, sowie orts- oder landesübliche Aufmerksamkeiten
geringfügigen Wertes (< 100 Euro nach aktueller Judikatur) – außer, wenn die Tat
gewerbsmäßig begangen wird – keine ungebührlichen Vorteile dar. Die Strafobergrenze
liegt bei fünf Jahren Freiheitsstrafe. Das tatsächliche Strafmaß hängt von der Höhe des
Vorteils ab (BMJ 2012, S. 35ff.; Eder-Rieder 2014, S. 76ff.; Marek & Jerabek 2014, S. 78ff.).
Vorteilszuwendung zur Beeinflussung (§ 307b StGB)/Vorteilsannahme zur Beeinflussung
(§ 306 StGB)
Eine Vorteilszuwendung zur Beeinflussung (§ 307b StGB) liegt vor, wenn einem Amtsträger
oder einem Schiedsrichter ein ungebührlicher Vorteil für ihn oder einen Dritten mit dem
Vorsatz angeboten, versprochen oder gewährt wird, ihn dadurch in seiner Tätigkeit als
Amtsträger zu beeinflussen. Ebenso ist die Vorteilsannahme zur Beeinflussung (§ 306
StGB) strafbar, wenn ein Amtsträger oder Schiedsrichter mit dem Vorsatz, sich dadurch in
seiner Tätigkeit als Amtsträger beeinflussen zu lassen, für sich oder einen Dritten einen
Vorteil fordert oder einen ungebührlichen Vorteil annimmt oder sich versprechen lässt.
121
Ausgenommen von der Strafbarkeit nach § 306 Abs. 1 StGB ist das Annehmen und Sich-
versprechen-lassen von geringfügigen Vorteilen (§306 Abs. 3 StGB), es sei denn, die Tat
wird gewerbsmäßig begangen41. Allerdings ist das Fordern eines Vorteils stets strafbar,
unabhängig von der Geringfügigkeit des Vorteils. Die Tatbestände beziehen sich auf das
sogenannte Anfüttern bzw. die vorsorgliche Vorteilszuwendung oder -annahme
(„Klimapflege“). Auch wenn kein unmittelbarer Zusammenhang mit einem konkreten
Amtsgeschäft vorliegt, dienen die Zuwendungen dazu, den Amtsträger oder Schiedsrichter
vorsorglich bzw. im Bedarfsfall „gewogen“ zu stimmen. Das Strafmaß ist von der Höhe des
Vorteils abhängig; die Strafobergrenze liegt bei fünf Jahren Freiheitsstrafe (BMJ 2012,
S. 47ff.; Eder-Rieder 2014, S. 78ff.; Marek & Jerabek 2014, S. 83ff.; Deutscher Bundestag
2016, S. 11f.). Grundsätzlich ist bei allen Korruptionsdelikten die Strafbarkeit auf Geber-
und Nehmerseite gesondert zu prüfen. So erscheint es beispielsweise möglich, dass der
Zuwender nach § 307b StGB bestraft wird, weil er die Absicht verfolgt hat, den Amtsträger
durch die Vorteilszuwendung in seiner Amtsführung zu beeinflussen. Währenddessen
bleibt der Amtsträger im Falle eines geringfügigen Vorteils straffrei, da er den Vorteil ohne
den Vorsatz angenommen hat, sich dadurch in seiner Amtsführung beeinflussen zu lassen
(BMJ 2012, S. 47 und S. 66).
Verbotene Intervention (§ 308 StGB)
Unter einer verbotenen Intervention (§ 308 StGB) versteht man das Anbieten,
Versprechen oder Gewähren bzw. das Fordern, Annehmen oder Sich-versprechen-lassen
eines Vorteils für sich oder einen Dritten für die ungebührliche Einflussnahme auf die
Entscheidungsfindung eines Amtsträgers oder Schiedsrichters. Als ungebührlich gilt die
Einflussnahme dann, wenn sie auf die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines
Amtsgeschäftes abzielt oder mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines
ungebührlichen Vorteils für den Amtsträger oder für ihn an einen Dritten verbunden ist.
In Abhängigkeit von der Höhe des Vorteils kann eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
verhängt werden, es sei denn, die Tat ist nach einer anderen Bestimmung strenger zu
ahnden (BMJ 2012, S. 69ff.; Eder-Rieder 2014, S. 81; Marek & Jerabek 2014, S. 93ff.). Mit
41 Nach § 305 Abs. 4 Z 3 StGB stellen orts- oder landesübliche Aufmerksamkeiten geringen Werts keinen
ungebührlichen Vorteil dar. Handelt es sich um keine orts- oder landesübliche Aufmerksamkeit, können auch Beträge unter 100 Euro geahndet werden. Nach § 306 Abs. 3 StGB fällt das Erfordernis einer orts- oder landesüblichen Aufmerksamkeit weg, es reicht, wenn es sich um einen geringfügigen Vorteil handelt (BMJ 2012, S. 65).
122
dieser Bestimmung sollen insbesondere Formen des gesetzwidrigen Lobbyismus
(„Interventionsunwesen“) bekämpft werden (Eder-Rieder 2014, S. 81; Deutscher
Bundestag 2016, S. 12).
Missbrauch der Amtsgewalt (§ 302 StGB)
Zum Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne wird häufig auch der Missbrauch der
Amtsgewalt gezählt, wobei es sich hierbei eigentlich um kein Korruptionsdelikt handelt,
da grundsätzlich kein Vorteil im Spiel sein muss (Schuschnigg 2015, S. 4). Nach § 302 StGB
ist ein Beamter, der seine Befugnis, im Namen des Bundes, eines Landes, eines
Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes
als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, vorsätzlich
missbraucht, um andere an ihren Rechten zu schädigen, mit einer Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren zu bestrafen. Wird die Tat bei der Führung eines Amtsgeschäfts mit einer
fremden Macht oder einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung begangen oder
übersteigt der Schaden 50.000 Euro, so kann eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren
verhängt werden. Der Missbrauch der Amtsgewalt stellt grundsätzlich eine „bevorrangte“
Norm dar; d.h., erst wenn diese nicht zur Anwendung gelangt, kommen die subsidiären
Auffangtatbestände (§§ 304-308 StGB) in Betracht (Marek & Jerabek 2014, S. 55).
Im Bereich der Privatkorruption sind als wichtigste Tatbestände zu nennen:
Geschenkannahme und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten
(§ 309 StGB)
Einen zentralen Korruptionstatbestand im privaten Bereich stellt die „Geschenkannahme
und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten“ nach § 309 StGB dar (Deutscher
Bundestag 2016, S. 13). Nach dieser Bestimmung ist es verboten, einem Bediensteten oder
Beauftragten eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr für die pflichtwidrige
Vornahme oder Unterlassung einer Rechtshandlung einen Vorteil für ihn oder einen
Dritten anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren. Ebenso ist es Bediensteten oder
Beauftragten eines Unternehmens nicht erlaubt, Vorteile im gleichen Kontext zu fordern,
anzunehmen oder sich versprechen zu lassen. Die einstige Geringfügigkeitsgrenze wurde
abgeschafft. Im Gegensatz zur Untreue (§ 153 StGB) reicht für die Erfüllung des
Tatbestandes bedingter Vorsatz aus, eine Vermögensschädigung muss nicht vorliegen.
Verstöße gegen § 309 StGB können in Abhängigkeit von der Höhe des Vorteils mit einer
123
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden (BMJ 2012, S. 33f.; Eder-Rieder 2014,
S. 82; Marek & Jerabek 2014, S. 96ff.). Wie bereits erwähnt, fallen niedergelassene
Vertragsärzte nach mehrheitlicher juristischer Auffassung nicht unter § 309 StGB, da sie
auch nicht als Bedienstete oder Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen angesehen
werden (Deutscher Bundestag 2016, S. 13). Die endgültige Klärung dieser Rechtsfrage
steht aber noch aus (Schrank & Meier 2012, S. 16f.; Koukol & Machan 2013, S. 128f.).
Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB)
Zum Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne wird auch die Geschenkannahme durch
Machthaber gezählt. Nach § 153a StGB kann jeder geahndet werden, der für die Ausübung
der ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumten Befugnis,
über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, einen nicht bloß
geringfügigen Vermögensvorteil annimmt und pflichtwidrig nicht abführt. Eine
Strafbarkeit nach § 153a StGB liegt lediglich dann vor, wenn die Annahme und
Einbehaltung einer Zuwendung sich nicht nachteilig auf den Machtgeber auswirkt (in dem
Fall käme Untreue und ihre Strafbarkeit nach § 153 StGB in Betracht) bzw. im Unterschied
zu § 309 StGB ein pflichtgemäßes Handeln angeboten wurde. Das Strafmaß kann eine
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen umfassen
(Eder-Rieder 2014, S. 82f.). Strittig bleibt indes, inwiefern auch der Vorteilsgeber als
Beteiligter nach § 153a StGB geahndet werden kann (Marek & Jerabek 2014, S. 122).
Untreue (§ 153 StGB)
Unter das Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne wird häufig auch der Tatbestand der
Untreue (§ 153 StGB) subsumiert, wobei es sich hierbei grundsätzlich um ein reines
Vermögensdelikt handelt (Niehaus 2012, S. 57). Untreue begeht, wer seine Befugnis, über
fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich
missbraucht und dadurch den anderen am Vermögen schädigt. In Abhängigkeit von der
Schadenshöhe können Verstöße gegen § 153 StGB entweder mit einer Geldstrafe bis zu
360 Tagessätzen oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren geahndet werden.
Grundsätzlich stellt Untreue eine „bevorrangte“ Norm dar (BMJ 2012, S. 32f.; Marek &
Jerabek 2014, S. 57ff.). Einen charakteristischen Fall von Untreue stellen sogenannte
Kickback-Vereinbarungen im Geschäftsverkehr dar (vgl. Kapitel 3.3). Darunter fallen
(verdeckte) Provisionsabsprachen, Geschenkabsprachen, „Schmiergeldabsprachen“, die
zwischen Arbeitnehmern und Geschäftspartnern beim Abschluss von Rechtsgeschäften
124
vereinbart werden und die zulasten deren Arbeitgeber bzw. Geschäftsherren gehen. Liegt
allerdings keine Vermögensschädigung des Arbeitgebers bzw. Geschäftsherren vor, ist der
Tatbestand der Untreue nicht erfüllt; dann kommt Strafbarkeit nach §§ 304, 305 oder 153a
StGB in Betracht (BMJ 2012, S. 33ff.).
Weitere Tatbestände, die dem privaten Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne
zugeordnet werden können, stellen § 160 StGB (Umtriebe während einer
Geschäftsaufsicht oder im Insolvenzverfahren) und § 265 StGB (Bestechung bei der Wahl
oder Volksabstimmung) dar, die allerdings an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden
(Eder-Rieder 2014, S. 72; Schuschnigg 2015, S. 4). Dies gilt auch für jene Straftaten, die
nicht zur Korruption im strafrechtlichen Sinne gezählt werden, wohl aber als Begleitdelikte
auftreten können, wie beispielsweise Erpressung (§ 144 StGB), Veruntreuung (§ 133 StGB),
Unterschlagung (§ 134 StGB) oder Betrug (§ 146 StGB) (Niehaus 2012, S. 57).
B. Außerstrafrechtliche Regelungen
Neben den strafrechtlichen Bestimmungen existieren in Österreich auch außerstrafrechtliche
Regelungen zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitssystem, deren Geltungsbereich
sich zumeist nur auf einzelne Berufsgruppen (Beamte, Ärzte, Sozialversicherungsmitarbeiter,
Lobbyisten etc.) oder Gebiete (Arzneimittel- und Medizinproduktebereich etc.) beschränkt
(Deutscher Bundestag 2016, 14).
Ärztegesetz (ÄrzteG)
Der § 53 ÄrzteG beinhaltet eine Werbebeschränkung und ein Provisionsverbot. Demnach
dürfen Ärzte keine unwahren, unsachlichen oder unstandesgemäßen Äußerungen im
Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung machen. Das Vergeben, Versprechen, Annehmen
oder Sich-zusichern-lassen von Vergütungen für die Zuweisung von Kranken an sich oder
andere ist ebenfalls untersagt. Gegen dieses Verbot verstoßende Rechtsgeschäfte sind als
nichtig zu betrachten. Daraus resultierende Leistungen können zurückgefordert werden. Die
laut § 53 ÄrzteG verbotenen Tätigkeiten sind auch Gruppenpraxen sowie sonstigen physischen
und juristischen Personen untersagt (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36).
125
Arzneimittelgesetz (AMG)
Laut § 55a AMG sind Prämien, finanzielle oder materielle Vorteile im Rahmen der
Verkaufsförderung für Arzneimittel an zur Verschreibung oder Abgabe berechtigte Personen
untersagt, unabhängig davon, ob sie gewährt, angeboten, versprochen bzw. gefordert,
angenommen oder sich versprochen gelassen werden. Ausgenommen von diesem Verbot sind
materielle Vorteile von geringem Wert und solche, die für die medizinische oder
pharmazeutische Praxis von Belang sind. Die Bestimmungen stehen der direkten oder
indirekten Übernahme von angemessenen Reise- und Aufenthaltskosten und den
Teilnahmegebühren bei ausschließlich berufsbezogenen wissenschaftlichen Veranstaltungen
nicht entgegen, allerdings dürfen solche Kosten nicht für andere als die zur Verschreibung
oder Abgabe berechtigten Personen übernommen werden. Der Repräsentationsaufwand
muss immer streng auf den wissenschaftlichen Hauptzweck der Veranstaltung begrenzt sein.
Gemäß § 55b AMG sind auch Naturalrabatte an zur Verschreibung oder Abgabe berechtigte
Personen betreffend im Erstattungskodex enthaltene Arzneimittel verboten, egal ob sie
gewährt, angeboten, versprochen bzw. gefordert, angenommen oder sich versprochen
gelassen werden (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36). Allerdings sind Geldrabatte im gleichen
Ausmaß sowie Naturalrabatte an Krankenanstalten nach wie vor von der Regelung
ausgenommen (Piribauer 2010, S. 85). Verstöße gegen die §§ 55a und 55b AMG können nach
§ 84 AMG mit einer Geldstrafe bis zu 25.000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 50.000 Euro
geahndet werden (Deutscher Bundestag 2016, S. 16).
Medizinproduktegesetz (MPG)
Ähnlich wie § 55a AMG untersagt § 108 MPG Prämien, finanzielle oder materielle Vorteile an
Personen, die im Rahmen der Verschreibung, Abgabe, Beschaffung für Einrichtungen des
Gesundheitswesens, Errichtung, Inbetriebnahme oder Anwendung von Medizinprodukten
Aufgaben übernehmen, egal ob sie gewährt, angeboten, versprochen bzw. gefordert,
angenommen oder sich versprochen gelassen werden. Ausgenommen von diesem Verbot sind
materielle Vorteile von geringem Wert und solche, die für die medizinische oder
medizintechnische Praxis von Belang sind (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36). Verstöße gegen
§ 108 MPG können nach § 111 MPG mit einer Geldstrafe bis zu 25.000 Euro, im
Wiederholungsfall bis zu 50.000 Euro geahndet werden (Deutscher Bundestag 2016, S. 16).
126
Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG)
Mit dem Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG) trat 2016 ein Bundesgesetz zur
Verbesserung der Abwehr, Verhinderung und Verfolgung von Sozialbetrug
(Beitragshinterziehung, E-Card-Missbrauch, missbräuchliche Inanspruchnahme von
Krankenständen u.a.) in Kraft. Solche illegalen Verhaltensweisen sollen insbesondere durch
die verbesserte Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung (Datenaustausch etc.)
sowie wirksame Kontrolle der zuständigen Behörden und Einrichtungen eingedämmt werden
(LSE 2017a, S. 578).
Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG) und Vertragsbedienstetengesetz (VBG)
Der § 59 BDG sieht ein dienstrechtliches Geschenkannahmeverbot vor. Laut dieser Regelung
ist es Beamten untersagt, im Hinblick auf ihre amtliche Stellung für sich oder einen Dritten ein
Geschenk, einen anderen Vermögensvorteil oder einen sonstigen Vorteil zu fordern,
anzunehmen oder sich versprechen zu lassen. Orts- oder landesübliche Aufmerksamkeiten
von geringem Wert gelten nicht als Geschenke in diesem Sinne. Die Regelung nach § 59 BDG
gilt gemäß § 5 VBG auch für Vertragsbedienstete des Bundes. Ähnliche Bestimmungen gelten
für Landes- und Gemeindebeamte nach dem Dienstrecht der jeweiligen Länder. Verstöße
gegen diese Vorschriften gehen mit disziplinar- oder dienstrechtlichen Konsequenzen einher
(Deutscher Bundestag 2016, S. 14). Was Nebenbeschäftigungen betrifft, so sind diese nach §
56 BDG bzw. § 5 VBG dann untersagt, wenn sie Beamte oder Vertragsbedienstete an der
Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben behindern, die Vermutung ihrer Befangenheit
hervorrufen oder sonstige wesentliche dienstliche Interessen gefährden (ÄK Tirol 2013, S. 18;
Grimm 2013, S. 110f.). Jedenfalls unterliegen Nebenbeschäftigungen von Beamten und
Vertragsbediensteten der gesetzlichen Meldepflicht gegenüber der jeweiligen Dienstbehörde
(ÄK Tirol 2013, S. 18).
Dienstordnungen der österreichischen Sozialversicherung
Die Dienstordnungen für Sozialversicherungsmitarbeiter (Verwaltungsangestellte, Pflege-
personal, Ärzte, medizinisch-technische Dienste etc.) enthalten Vorschriften zur Vermeidung
von Korruption im Gesundheitswesen. Nach diesen Bestimmungen ist es
Sozialversicherungsmitarbeitern untersagt, in Ausübung ihres Dienstes Versicherte und
Leistungsempfänger oder deren Dienstgeber zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Weder
127
die Annahme von Geschenken (orts- und landesübliche Aufmerksamkeiten ausgenommen)
noch das Sich-zuwenden oder Sich-zusichern-lassen sonstiger Vorteile ist erlaubt (Gruber et
al. 2013, S. 117; Deutscher Bundestag 2016, S. 14).
Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger
Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat im Jahr 2016 Richtlinien
für die Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung von Kontrollen im
Vertragspartnerbereich (RLVPK) gemäß § 31 Abs. 5 Z 12 ASVG erlassen, zu denen die
Sozialversicherungsträger gemäß § 32a ASVG verpflichtet sind (LSE 2017a, S. 578). Nach § 5
RLVPK sind Kontrollen der Vertragspartner (Vertragsärzte, Vertragsgruppenpraxen,
Krankenanstalten, Apotheken u.a.) von jedem Sozialversicherungsträger (durch eigene
Bedienstete oder beauftragte Dritte) entsprechend der individuellen Situation durchzuführen.
Schwerpunktmäßig können für die Kontrollen die vertragskonforme Leistungserbringung,
ungerechtfertigte Krankmeldungen, die Verrechnung nicht bzw. unvollständig erbrachter
Leistungen, auffällige Veränderungen bei Wartezeiten für die Erlangung bestimmter
Leistungen u.a. in Betracht kommen (HVSV 2016a).
Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG)
Seit 2011 sind die Träger von öffentlichen und privat gemeinnützigen Krankenanstalten nach
§ 5a Abs. 2 KAKuG zur Einrichtung eines transparenten Wartelistenregimes in anonymisierter
Form für elektive Operationen sowie für Fälle invasiver Diagnostik (zumindest für die Fächer
Augenheilkunde und Optometrie, Orthopädie und orthopädische Chirurgie sowie
Neurochirurgie) verpflichtet, sofern die jeweilige Wartezeit vier Wochen überschreitet.
Kriterien für den Ablauf und die Organisation des Wartelistenregimes sind durch die
Landesgesetzgebung festzusetzen, wobei die Gesamtanzahl der pro Abteilung für den Eingriff
vorgemerkten Personen und von diesen die der Sonderklasse angehörigen vorgemerkten
Personen erkennbar zu machen sind. Zudem sieht § 5a Abs. 3 KAKuG ein individuelles
Auskunftsrecht über die gegebene Wartezeit für den Eingriff vorgemerkter Personen vor.
Sofern technisch möglich, ist die Auskunftseinholung tunlichst auf elektronischem Wege zu
ermöglichen (Czypionka et al. 2013, S. 2f.).
128
Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz (LobbyG)
Das Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz von 2013 regelt Verhaltens-
und Registrierungspflichten bei Tätigkeiten, die auf die unmittelbare Beeinflussung
bestimmter Entscheidungsprozesse in der Gesetzgebung oder Vollziehung des Bundes, der
Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände abzielen (§ 1 LobbyG). So hat jeder, der eine
Lobbying-Tätigkeit oder eine Interessenvertretung wahrnimmt, u.a. seine Aufgabe und
Identität beim erstmaligen Kontakt mit einem Funktionsträger offenzulegen, Informationen
wahrheitsgemäß weiterzugeben und es zu unterlassen, sich Informationen auf unlautere Art
und Weise zu beschaffen oder unangemessenen bzw. unlauteren Druck auf Funktionsträger
auszuüben (§ 6 LobbyG). Weiters untersagt das Gesetz die Ausübung einer Lobbying-Tätigkeit
für wichtige Funktionsträger wie öffentlich Bedienstete und Politiker (§ 8 LobbyG) und sieht
eine Eintragungspflicht in das öffentlich einsehbare, elektronische Lobbying- und
Interessenvertretungsregister des Bundesministeriums für Justiz für Lobbying-Unternehmen,
Unternehmen, die Unternehmenslobbyisten beschäftigen, Selbstverwaltungskörper und
Interessenverbände vor (§ 9 LobbyG). Allenfalls dürfen Lobbying-Unternehmen,
Unternehmen, die Unternehmenslobbyisten beschäftigen, Lobbyisten und
Unternehmenslobbyisten keine Lobbying-Tätigkeiten ausüben – erst ab Bekanntgabe zur
Eintragung in das Register sowie während aufrechter Eintragung (§ 5 LobbyG). Nach § 1
LobbyG fallen politische Parteien, Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Österreichische
Gemeinde- und Städtebund, die gesetzlichen Sozialversicherungsträger und deren
Hauptverband sowie Interessenverbände, die keine Interessenvertreter beschäftigen, nicht
unter das LobbyG. In weiten Teilen ist das Bundesgesetz u.a. auf die Interessenvertretung
durch die Sozialpartner sowie durch sonstige Selbstverwaltungskörper und Interessen-
verbände nicht anzuwenden (TI-AC 2014, S. 2f.).
Verordnung über die Meldepflicht nicht-interventioneller Studien (NIS-Verordnung)
Die Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BGBl II Nr. 180/2010; geändert
durch BGBl. II Nr. 484/2012) über die Meldepflicht nicht-interventioneller Studien auf
Grundlage des § 48 Abs. 3 AMG sieht vor, dass jede inländische nicht-interventionelle Studie
seitens der Verantwortlichen vor ihrer Durchführung dem Bundesamt für Sicherheit im
Gesundheitswesen (BASG) unter Angabe aller erforderlichen Informationen elektronisch zu
melden und in das elektronische, öffentlich einsehbare Register des BASG aufzunehmen ist
129
(§§ 4-5 NIS-Verordnung). Weiters sieht die NIS-Verordnung u.a. vor, dass Patienten
hinsichtlich ihrer Teilnahme an einer nicht-interventionellen Studie aufzuklären sind (§ 2 NIS-
Verordnung) und ein Abschlussbericht dem BASG vorzulegen ist (§ 7 NIS-Verordnung) (Rupp
2011, S. 90; BASG 2014, S. 1ff.).
Bundesvergabegesetz (BVergG)
Das Bundesvergabegesetz zielt neben der Gleichbehandlung aller Bewerber/Bieter und dem
Transparenzgebot auf die Sicherstellung eines freien und lauteren Wettbewerbs ab.
Demzufolge sind Bestechung, Preisabsprachen und die Ausnutzung einer markt-
beherrschenden Stellung untersagt (Gruber et al. 2013, S. 124). Zur Gewährleistung der
Einhaltung dieser Grundsätze stellt das Vergaberecht ein umfangreiches Rechtsschutz-
instrumentarium zur Verfügung (Deutscher Bundestag 2016, S. 16). Aktuell liegt der Entwurf
für ein Vergaberechtsreformgesetz 2017 zur Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien
(2014/24/EU und 2014/25/EU) vor, der die Erlassung eines neuen Bundesvergabegesetzes
2017 und die Aufhebung des Bundesvergabegesetzes 2006, die bereits erforderliche
Änderung des Bundesvergabegesetzes 2017 und die Novellierung des Bundesvergabegesetzes
für Verteidigung und Sicherheit 2012 vorsieht. Die Änderungen umfassen u.a. die ab
18.10.2018 verpflichtende elektronische Auftragsvergabe für alle öffentlichen Auftraggeber,
die Verpflichtung zur Bekanntgabe vergebener Aufträge über 50.000 Euro (unter
www.data.gv.at) sowie strengere Regeln zum Verbot der Umgehung des Vergaberechts (Gast
2017).
Schlussfolgernd lässt sich Folgendes festhalten: Während bestimmte korrupte
Verhaltensweisen zweifellos unter Strafe gestellt sind, stellen einige noch einen sogenannten
„Graubereich“ dar und bedürfen zukünftig der vermehrten Klarstellung und gegebenenfalls
Rechtsprechung, damit deren Auslegung als Korruption nicht länger von der persönlichen
Einstellung, den individuellen Werten und Normen abhängig ist (Kiesl 2010, S. 13f.;
Europäische Kommission 2013, S. 92f.). Beispielsweise bleibt nach wie vor fraglich, ab wann
die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Stellen (z.B. Sponsoring, Lobbying,
Drittmittelforschung) keine Kooperation mehr darstellt, sondern bereits eine korrupte
Handlung mit dem Ziel der Einflussnahme auf öffentliche Entscheidungsträger und daher
unter das Strafrecht gestellt werden müsste (Niehaus 2012, S. 55f.). Auf spezifische
130
Regelungslücken und Graubereiche von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
wird im Rahmen der explorativen qualitativen Studie (vgl. Kapitel 5.7.4) noch näher
eingegangen. Fest steht, dass der strafrechtliche Umgang mit Korruption viel juristischen
Diskussionsstoff bietet.
4.2.2 Bisherige Antikorruptionsmaßnahmen
Laut einer anonymisierten Expertenaussage wurde die Antikorruptionsbewegung im
österreichischen Gesundheitssystem Anfang der Jahrtausendwende seitens des damaligen
Leiters des Büros für Interne Angelegenheiten (BIA) im Innenministerium und des heutigen
Leiters der Antikorruptionsakademie in Laxenburg (IACA – International Anti-Corruption
Academy), Martin Kreutner, angestoßen. Mit nahezu missionarischem Eifer versuchte dieser
damals, nachdem er die Relevanz der Thematik erkannte, die Materie über diverse Medien-
und Pressearbeit der Bevölkerung näher zu bringen. Mittlerweile gilt er nicht nur
österreichweit, sondern auch weltweit als einer der einflussreichsten Korruptionsexperten
(Fried 2005, S. 5). Zivilgesellschaftlich betrachtet kann auch Bernhard Rupp (Gesundheits-
experte der niederösterreichischen Arbeiterkammer) als der First Mover bezeichnet werden,
der sich noch vor der Gründung des österreichischen Vereins zur Korruptionsbekämpfung
Transparency International – Austrian Chapter im Jahr 2005 mit der Korruptionsthematik im
Gesundheitssystem auseinandergesetzt und sich zunehmend darin engagiert hat. Unter
anderem gründete er in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Krems ein eigenes Netzwerk
und bot Vorlesungen an unterschiedlichen österreichischen Hochschulen an (Fried 2005, S. 9),
die allerdings aufgrund der sehr konfliktreichen Thematik kurz darauf eingestellt werden
mussten. Daraufhin löste er sein Netzwerk auf und trat der 2006 gegründeten Arbeitsgruppe
„Gesundheitswesen“ von Transparency International –Austrian Chapter bei, bei der er nach
wie vor als aktives Mitglied tätig ist. Im Jahr 2007 setzte der Verein zur
Korruptionsbekämpfung mit der Veröffentlichung seines Grundsatzpapiers
„Transparenzmängel im Gesundheitswesen: Einfallstore zur Korruption“ (TI-AC 2010) den
ersten wichtigen Schritt in Richtung „Enttabuisierung des Themas und Schaffung eines
öffentlichen Problembewusstseins“. Trotz einiger Kritik an der empfundenen
Pauschalverurteilung seitens Politikern und Akteuren des Gesundheitssystems, gelang es den
Aktivisten einige wichtige Aktivitäten zur Korruptionsprävention und -bekämpfung anzuregen.
Unter anderem wurden – wie gefordert – alle Wiener Gemeindespitäler auf Transparenz und
131
Antikorruptionsmaßnahmen durch das Kontrollamt überprüft, was zu sichtbaren
Antikorruptionsbemühungen (wie der Neuregelung von Dienstreisen, Drittmitteln und
Fortbildungen etc.) seitens des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) geführt hat. 2008
wurde das Thema „Transparenz im Gesundheitswesen“ sogar ins Regierungsprogramm der
neu gewählten SPÖ-ÖVP-Koalition aufgenommen (Rupp 2011, S. 89). Nach wie vor engagiert
sich die Arbeitsgruppe für die Korruptionsthematik im Gesundheitssystem über diverse
Kontakte mit Medien, Meinungsbildnern und Entscheidungsträgern, Publikationen,
Podiumsdiskussionen, Veranstaltungen und Stellungnahmen (TI-AC 2010, S. 2). Primäres Ziel
liegt in der Schaffung einer Antikorruptionskultur und der Prävention (Rupp 2006, S. 3). Im
Bedarfsfall bietet der Verein auch anonyme und diskrete Hilfestellungen an (laut einer
anonymisierten Expertenaussage).
Welche sonstigen Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung im nationalen Gesundheits-
system sowohl vor als auch nach der Veröffentlichung des Grundsatzpapiers der
Arbeitsgruppe von Transparency International – Austrian Chapter gesetzt worden sind und
mitunter zur vermehrten Aufklärung, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung beigetragen
haben, gilt es nachfolgend näher zu ergründen.
1. Verschärfung des rechtlichen Rahmens
Wie im vorherigen Kapitel (Kapitel 4.2.1) bereits ausführlich dargelegt wurde, hat sich in den
letzten zehn Jahren in Sachen Korruptionsbekämpfung insbesondere auf juristischer Ebene
einiges getan. Im Jahr 2006 wurden Naturalrabatte an niedergelassene Ärzte gesetzlich
verboten (§ 55b AMG). 2008 folgte die Verschärfung des Korruptionsstrafrechtes, um
Korruption im öffentlichen und privaten Bereich effektiver einzudämmen. Allerdings kam es
2009 aufgrund unpräziser Bestimmungen und notwendiger Klarstellungen (insbesondere im
Hinblick auf den Amtsträgerbegriff sowie auch Kongressteilnahmen und Kontakten zu
Pharma- und Medizinprodukteunternehmen) zu einer erneuten Novellierung und teilweisen
Entschärfung der Korruptionstatbestände (Schön & Schuschnigg 2009, S. 16ff.; Rupp 2011,
S. 90). 2010 wurde die Meldepflicht für nicht-interventionelle Studien auf Grundlage der
gemäß § 48 Abs. 3 AMG erlassenen Verordnung des Bundesministers für Gesundheit (BGBl II
Nr. 180/2010; geändert durch BGBl. II Nr. 484/2012) eingeführt (Rupp 2011, S. 90; BASG 2014,
132
S. 1ff.). Des Weiteren wurden mit der Novellierung des Krankenanstalten- und Kuranstalten-
gesetzes (§ 5a Abs. 2 KAKuG) im Jahr 2011 öffentliche und privat-gemeinnützige Kranken-
anstalten zur Einrichtung eines transparenten Wartelistenregimes für elektive Operationen
sowie für Fälle invasiver Diagnostik verpflichtet (Czypionka et al. 2013, S. 2f.). 2012 folgte die
nächste Korruptionsstrafrechtsänderungsnovelle, mit der der Begriff Korruption erstmalig
Eingang in das Strafgesetzbuch fand (BMJ 2012, S. 3ff.). Ein Jahr später verabschiedete der
Nationalrat das Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz (LobbyG); 2016
folgte die Einführung des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG) und die gesetzliche
Verankerung des Mystery Shoppings42 gemäß § 32a ASVG und die auf dessen Grundlage
erlassene Durchführungsrichtlinie (RLVPK).
2. Einrichtung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA)
Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2008 wurde auch die bundesweit zuständige
Korruptionsstaatsanwaltschaft (KStA) eingerichtet, die seit 2009 tätig ist, der
Oberstaatsanwaltschaft Wien unterliegt und befugt ist, Korruptionsfälle dank der Bündelung
notwendiger Qualifikation und Expertise selbstständig zu verfolgen (BMI 2009, S. 12). 2011
wurde diese Sondereinrichtung der Justiz in die Wirtschafts- und Korruptions-
staatsanwaltschaft (WKStA) überführt und verfolgt seitdem neben Korruptionsdelikten (nach
den §§ 304-309, § 153a und gegebenenfalls § 302 StGB) auch Wirtschaftsstrafsachen. Das
Ermittlungsverfahren erfolgt grundsätzlich in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt zur
Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK), welches 2010 das Büro für Interne
Angelegenheiten im Innenministerium abgelöst hat, sowie mit ausländischen
Korruptionsbekämpfungseinrichtungen wie OLAF, Interpol, Europol etc. (Eder-Rieder 2014, S.
84; TI-AC 2016a, S. 3). 2013 wurde auch ein anonymes Hinweisgebersystem („Whistleblower-
Homepage“) seitens der WKStA installiert (TI-AC 2016a, S. 8). Eine anonyme Meldestelle für
Korruptionsfälle im Gesundheitswesen sowie eine weisungsfreie, unabhängige
Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem zur Prävention und Kontrolle, wie sie bereits vor
zehn Jahren seitens Transparency International – Austrian Chapter vorgeschlagen wurden,
sind allerdings nach wie vor ausständig (TI-AC 2010, S. 29).
42 Auf das Thema „Mystery Shopping“ wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch näher eingegangen.
133
3. Forcierung antikorruptionsrelevanter wissenschaftlicher Einrichtungen, Initiativen,
Veranstaltungen und Projekte
Um die Einflussnahme der Industrie auf Entscheidungsträger des Gesundheitssystems
(insbesondere Mediziner) zu unterbinden, wurden in den letzten Jahren spezielle
wissenschaftliche Einrichtungen zur objektiven Beurteilung klinischer Studien eingerichtet
(Kern-Homolka et al. 2011, S. 42ff.). Dazu zählt in erster Linie das Ludwig Boltzmann Institut
für Health Technology Assessment43 (LBI-HTA), welches 2006 als unabhängige Institution zur
evidenzbasierten Entscheidungsunterstützung im Gesundheitswesen und für einen
effizienteren Ressourceneinsatz gegründet wurde (LBI-HTA 2016). Im darauffolgenden Jahr
(2007) folgte auf Bundesebene die Etablierung des Bundesinstitutes für Qualität im
Gesundheitswesen (BIQG), welches einen Teil der Gesundheit Österreich Gesellschaft (GÖG)
darstellt und mit der Konzipierung, Umsetzung und Evaluation eines gesamtösterreichischen
Qualitätssystems zur Sicherstellung und Steigerung von Transparenz, Patientenorientierung,
Effektivität und Effizienz beauftragt wurde (GÖG 2017). Ein Bereich beschäftigt sich speziell
mit dem Thema „Qualität und Wirtschaftlichkeit“ mittels der HTA-Methode (Kern-Homolka et
al. 2011, S. 42). Neben solcher wissenschaftlicher Einrichtungen zur objektiven Beurteilung
klinischer Studien kam es 2008 zur Gründung von MEZIS („Mein Essen zahl ich selbst“) durch
den Sprecher der Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von Transparency International –
Austrian Chapter, Franz Piribauer. Die Vereinigung stellt eine Initiative unbestechlicher Ärzte
und Ärztinnen dar, die sich der Einflussnahme durch die pharmazeutische und
medizintechnische Industrie über gemeinsam erarbeitete Strategien entziehen wollen (Kern-
Homolka et al. 2011, S. 43f.; MEZIS-DE 2016a). Des Weiteren fand 2009 das seitens der
Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK), des AKH Linz und der Johannes Kepler
Universität Linz veranstaltete 2. Linzer Forum zum Thema „(In)Transparenz – Ein-Blick in das
Gesundheitswesen“ statt, auf dem Korruption schwerpunktmäßig aus interdisziplinärer Sicht
behandelt wurde (Labek & Weidenholzer 2010). Aktuell läuft das seitens des Karl-Landsteiner-
Arbeitskreises in Kooperation mit der Alpen-Adria-Universität und der Medizinischen
Universität Wien ins Leben gerufene Projekt „Korruption, Compliance und angewandte
Versorgungsforschung im österreichischen Gesundheitssystem“, in welches auch die
vorliegende Dissertation eingebunden war.
43 Health Technology Assessment beschreibt die Evaluierung vorherrschender oder neuer medizinischer Technologien (Medikamente, Verfahren, Strukturen etc.) hinsichtlich medizinischer, ökonomischer, ethischer, rechtlicher oder organisationaler Kriterien (Kern-Homolka et al. 2011, S. 42).
134
4. Selbstregulierung – Forcierung von Ethik- und Verhaltenskodizes
Im Laufe der Antikorruptionsbewegung der letzten zehn Jahre wurden auch zahlreiche
Organisationen im Gesundheitssektor zur Einführung, Weiterentwicklung und Forcierung von
Verhaltens- und Ethikkodizes (vgl. Kapitel 3.6) angeregt. Kern-Homolka et al. (2011, S. 36ff.)
fassen in ihrem Beitrag „Dimensionen der Intransparenz und Beeinflussung im
Gesundheitswesen ausleuchten“ die wichtigsten Kodizes und deren zentralsten Inhalte
zusammen, die nachstehend u.a. kurz umrissen werden.
Verhaltenskodex der Österreichischen Ärztekammer
Auf knapp vier Seiten regelt der ärztliche Verhaltenskodex, der im Jahr 2005 verfasst
wurde, insbesondere die Zusammenarbeit zwischen der Ärzteschaft und der Pharma- bzw.
Medizinprodukteindustrie zur Sicherstellung der ärztlichen Unabhängigkeit sowie die
unmittelbare Anwendung von Arzneimitteln im Zuge der ärztlichen Behandlung. Der
Regelungsbereich umfasst u.a. Fortbildungsveranstaltungen, Geschenkannahmen, die
Annahme von Ärztemustern, Klinische Prüfungen und Forschung, die Verschreibung von
Medikamenten und nicht-interventionelle Studien (Anwendungsbeobachtungen), das
Anbieten gewerblicher Dienstleistungen und Produkte sowie die Weitergabe von
Patientendaten. Verstöße gegen den ärztlichen Verhaltenskodex werden nach § 136
Ärztegesetz als Disziplinarvergehen geahndet (Rupp 2011, S. 88; ÖÄK 2014). Allerdings
werden Informationen über allfällige Verfahren bei Verstößen gegen den Verhaltenskodex
bislang nicht veröffentlicht (Rupp 2011, S. 89).
PHARMIG-Verhaltenskodex
2007 wurde der Verhaltenskodex des Verbandes der pharmazeutischen Industrie
Österreichs (PHARMIG), der auf die Einhaltung hoher ethischer Standards der
pharmazeutischen Industrie in Zusammenarbeit mit Angehörigen der Fachkreise,
medizinischen Institutionen und Organisationen abzielt und wesentliche Bestimmungen
des Verhaltenskodexes der European Federation of Pharmaceutical Industries and
Associations (EFPIA) beinhaltet, neu aufgesetzt und über die Jahre weiterentwickelt. Der
Regelungsbereich umfasst u. a. die Arzneimittelinformation und -werbung, Fortbildungs-
veranstaltungen, Zusammenarbeit mit Angehörigen der Fachkreise und Institutionen,
nicht-interventionelle Studien, Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen, klinische
Prüfungen, Transparenz, Vorteile, Gewinnspiele, Mitarbeiter in den pharmazeutischen
Unternehmen (Rupp 2011, S. 88f.; PHARMIG 2015). An dieser Stelle seien einige zentrale
135
Regelungen herausgegriffen: Die Kostenübernahme im Rahmen von Fortbildungs-
veranstaltungen hat sich ausschließlich auf Reisekosten, Verpflegung, Übernachtung und
gegebenenfalls Teilnahmegebühren zu beschränken. Dies schließt eine Übernahme der
Kosten für Begleitpersonen oder etwaige Unterhaltungsprogramme (Theater, Konzert,
Sportveranstaltungen etc.) aus. Leistungen, die Ärzte für die Industrie erbringen (z.B.
Vortragstätigkeiten, Beratungsleistungen, klinische Prüfungen, nicht-interventionelle
Studien), bedürfen eines schriftlichen Vertrages, müssen angemessen honoriert sein und
dürfen nicht an die Empfehlung, Verschreibung oder Abgabe eines Arzneimittels
gekoppelt sein (Tschachler 2010, S. 8; PHARMIG 2015, S. 14ff.). Besonders hervorzuheben
sind die seit 30.06.2016 geltenden, auf der Transparenz-Initiative von EFPIA gründenden
Offenlegungspflichten für sämtliche geldwerte Leistungen (Forschung und Entwicklung,
Spenden und Förderungen, Veranstaltungen, Dienst- und Beratungsleistungen) an
Angehörige der Fachkreise, medizinische Institutionen und Organisationen. Die
Offenlegung hat grundsätzlich in namentlicher Form und allenfalls in aggregierter (falls die
aus datenschutzrechtlichen Gründen erforderliche Zustimmungserklärung von Medizinern
und medizinischen Organisationen zur namentlichen Offenlegung nicht vorliegt) über die
Websites der jeweiligen Pharmaunternehmen zu erfolgen (PHARMIG 2015, S. 19ff.; EFPIA
2016; Mantsch et al. 2016, S. 5). Seit Kurzem können die offengelegten Zahlungen auch
über eine öffentliche, zentrale Datenbank, die in Zusammenarbeit mit der Zeitung Der
Standard, dem Österreichischen Rundfunk (ORF) und der deutschen Rechercheplattform
Correctiv errichtet wurde, eingesehen werden (Correctiv 2016). Bei Verstößen gegen den
PHARMIG-Verhaltenskodex wird ein Verfahren vor der PHARMIG (Fachausschüsse VHC I.
und II. Instanz) eingeleitet, welches jedoch keinen Einfluss auf ein strafrechtliches
Verfahren hat (Kern-Homolka et al. 2011, S. 39; PHARMIG 2015, S. 42 und S. 60).
Informationen zu allfälligen Verfahren werden der Öffentlichkeit bislang nicht zugänglich
gemacht (Rupp 2011, S. 89).
Ethik-Verhaltenskodex des Hauptverbandes der österreichischen Sozial-
versicherungsträger
Seit 2014 liegt auch ein Ethik-Verhaltenskodex des Hauptverbandes der österreichischen
Sozialversicherungsträger vor, der sich an den Verhaltensgrundsätzen Glaubwürdigkeit,
Transparenz, Integrität, Verschwiegenheit, Objektivität und Kooperation orientiert (HVSV
2015).
136
Verhaltensrichtlinien der Krankenanstalten
Auch die Krankenanstalten haben Verhaltensrichtlinien verfasst, die bei Verstößen
disziplinäre Maßnahmen nach sich ziehen können. Dazu zählen beispielsweise die
Transparenzrichtlinien des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV), die Themen
abdecken wie die Finanzierung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, den Umgang mit
Drittmitteln, Sponsoring und Spenden, den nachvollziehbaren Einkauf von Medikamenten
sowie den Verhaltenskodex im Medizinbereich (Kern-Homolka et al. 2011, S. 39).
Direktionsweisung der OÖGKK
Eine Direktionsweisung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse sieht ein
gänzliches Geschenkannahmeverbot (Null-Toleranz-Prinzip, Wegfall der Geringfügigkeits-
klausel) im Rahmen der Ausübung einer dienstlichen Tätigkeit vor (Kern-Homolka et al.
2011, S. 39f.).
Anzumerken ist, dass bislang österreichweit kein Verhaltenskodex existiert, der die
Zusammenarbeit zwischen der Industrie und Patientenorganisationen (Selbsthilfegruppen)
regelt. Bisher wurden lediglich Grundsätze für die Zusammenarbeit der ARGE-Selbsthilfe
(Dachverband der österreichischen Selbsthilfegruppen) und Wirtschaftsunternehmen
vereinbart, wobei diese nach wie vor keine prozentualen Zuwendungsgrenzen wie
beispielsweise in Deutschland beinhalten (ARGE Selbsthilfe Österreich 2011; Wild et al. 2015a,
S. 16). Ebenso anzuführen ist, dass noch nicht alle Verhaltenskodizes verbindliche
Interessenkonflikt-Erklärungen für ihre Mitarbeiter, Mitglieder in Entscheidungs- und
Beratungsgremien sowie externe Dienstleister beinhalten, geschweige denn eine
Veröffentlichung dergleichen vorschreiben. Aufgrund dessen werden Interessenkonflikte bei
relevanten Vorträgen, Publikationen etc. nicht immer offengelegt, wie es bereits international
Usus ist (Kern-Homolka et al. 2011, S. 19f.; Kern-Homolka & Labek 2012, S. 14f.).
5. Einführung von Compliance-Management-Systemen
Neben Verhaltens- bzw. Ethikkodizes wurden überdies in vielen Organisationen sogenannte
Compliance-Management-Systeme installiert. Diese zielen – als integrativer Bestandteil eines
Werte-Management-Systems – auf die Vermeidung möglicher Regelverstöße seitens der
Mitarbeiter und Organe des jeweiligen Unternehmens zur Schadensvorbeugung und
Effizienzsteigerung ab. Grundsätzlich setzt sich ein Compliance-Management-System aus
137
folgenden Kernelementen zusammen: Festlegung und Umsetzung von Verhaltensregeln
(Compliance-Standards bzw. Verhaltenskodizes); Installierung eines Compliance-Officers zur
Umsetzung des Compliance-Management-Systems; Überwachung der Regeleinhaltung und
Sanktionierung von Regelverstößen; Schulungen und Trainings; Durchführung von
Compliance-Audits; Einrichtung eines zentralen Vertragsmanagements; Einrichtung von
Compliance-Hotlines und Helplines; Entwicklung von Programmen und Prozessen für etwaige
Ermittlungs- und Folgemaßnahmen im Verdachtsfall (Dieners & Lembeck 2010, S. 125ff.).
Somit vereint ein Compliance-Management-System Präventions-, Kontroll- und Reaktions-
maßnahmen (Petsche & Larcher 2014, S. 21). Dabei können sich Compliance-Management-
Systeme an den vier Grundprinzipen der Antikorruption, die sich in der Praxis herausgebildet
haben, orientieren. Hierzu zählen das Transparenzprinzip (Offenlegung von Zuwendungen,
Antrags- und Genehmigungsprozesse etc.), das Trennungsprinzip (Trennung bestimmter
Vorgänge zur Vermeidung von Interessenkonflikten und daraus resultierender Korruption –
jedoch systembedingt nicht immer einhaltbar), das Äquivalenzprinzip (angemessenes
Verhältnis von Leistung und Gegenleistung) und das Dokumentationsprinzip (schriftliche
Fixierung von Interaktionen zur Sicherstellung ihrer intersubjektiven Nachvollziehbarkeit)
(Geiger 2016, S. 79ff.).
6. Sonstige Maßnahmen seitens der pharmazeutischen Industrie
Seitens der pharmazeutischen Industrie wurden in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen
ergriffen, um das Image der in Verruf gekommenen Branche wieder zu heben und von ihrem
negativen Ansehen wegzukommen. Laut einer anonymisierten Expertenaussage haben sich
viele PHARMIG-Mitglieder neben dem PHARMIG-Verhaltenskodex44 eigene, teilweise noch
strengere Regelungswerke auferlegt, die zumeist auch in ein umfangreiches Compliance-
Management-System eingebettet sind. Eine Vorreiterrolle in Sachen Compliance und
Antikorruption bzw. Transparenz und Ethik nimmt seit Jahren das britische Pharma-
unternehmen GlaxoSmithKline (GSK) ein, welches auch dem strengen UK Bribery Act
unterliegt (Masser-Mayerl 2016). Nachstehend werden exemplarisch einige zentrale
Compliance-Maßnahmen ausgewählter (im Rahmen der empirischen Erhebung befragter)
Pharmaunternehmen aufgelistet, wobei nicht alle Maßnahmen überall zum Einsatz kommen.
44 Laut einer anonymisierten Expertenaussage kann der PHARMIG-Verhaltenskodex auch als Schadensbegrenzung gegenüber den überbordenden, seitenlangen Compliance-Handbüchern der einzelnen PHARMIG-Mitglieder betrachtet werden.
138
Installierung eines Compliance-Officers (beratende und kontrollierende Funktion);
Regelmäßige Compliance-Schulungen;
Interne und externe Compliance-Audits;
Einheitliche Stundensätze für Vortragende (in Abhängigkeit von ihrer Profession);
Höchstzuwendungsgrenzen pro Person und pro Institution;
Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen erfolgen auf institutioneller und nicht auf
individueller Ebene („Entpersonalisierung“ der Einladungspraxis);
Einhaltung von Wertgrenzen bei Essenseinladungen;
Standardverträge, die von einer zentralen Freigabestelle unter Wahrung des Mehr-Augen-
Prinzips genehmigt werden müssen;
Null-Toleranz-Politik („Zero-Tolerance“-Politik) bei Geschenkannahmen, Wegfall der
Geringfügigkeitsklausel;
„No Consent-No Contract-Politik“ bzw. „NC-NC-Politik“ („Ohne Zustimmung kein
Vertrag“): Die Zustimmung zur namentlichen Honorar-Veröffentlichung wird zur
Vertragsbedingung;
Ein auf mehreren Ebenen (Team-, Abteilungs-, Bereichsebene etc.) angesiedeltes
Kontrollsystem (ICF – Internal Control Network), welches u.a. Selbstkontrolle, Monitoring
durch unabhängige externe Prüfer sowie kurzfristige, themenbezogene oder
vollumfängliche unternehmensinterne Audits einschließt;
Integritätstests bei Recruitingprozessen;
CSI-Checks (Crime Scene Investigation) bei der Lieferantenauswahl;
Sanktionskataloge.
7. Sonstige Maßnahmen seitens der Krankenkassen
Im Kampf gegen Abrechnungsbetrug setzen die Krankenkassen – laut einer anonymisierten
Expertenaussage – bereits seit Jahrzehnten auf sogenannte Plausibilitätsprüfungen, im Zuge
derer sämtliche Abrechnungen mittels spezieller Software auf Plausibilität und Richtigkeit
gescannt werden. Weiters wurde 2004 das jährliche Leistungsinformationsblatt für
Versicherte eingeführt, welches über die Kosten der in Anspruch genommenen
Gesundheitsleistungen eines Kalenderjahres informiert und u.a. zur Aufdeckung falsch
abgerechneter Leistungen beitragen soll (BVA 2016). Darüber hinaus hat die OÖGKK, die eine
Vorreiterrolle in der Missbrauchsbekämpfung einnimmt, 2011 ein Provisionsverbot für ihre
139
Ärzte in den Gesamtvertrag (§ 21a GVOÖ) aufgenommen (OÖGKK 2011). Zudem wurde 2012
die Aktion „unabhängige Fortbildung“ in Zusammenarbeit mit der oberösterreichischen
Ärztekammer gestartet und ein industrie-unabhängiger Fortbildungstopf für die
oberösterreichische Ärzteschaft eingerichtet (ÄK OÖ 2013; Kern-Homolka 2013, S. 15). Auf die
Direktionsweisung der OÖGKK und das generelle Geschenkannahmeverbot bei der
Ausführung einer dienstlichen Tätigkeit wurde bereits hingewiesen. Seit 2016 ist es den
österreichischen Krankenkassen gesetzlich auch gestattet, auf das öffentlich stark kontrovers
diskutierte „Mystery Shopping“ zurückzugreifen, um Korruption und Betrug im
Gesundheitswesen aufzuspüren und einzudämmen. Im Konkreten beschreibt Mystery
Shopping die Betrugskontrolle (insbesondere im Hinblick auf Gefälligkeitsatteste,
Abrechnungsbetrug) durch entsendete Testpatienten mit Hilfe eigens hierfür ausgestellter
E-Cards durch die Krankenkassen. Solche Kontrollen werden stichprobenweise basierend auf
einem jährlich im Vorhinein zu erstellenden Stichprobenplan und auf begründeten Verdacht
hin durchgeführt, wobei das tatsächliche Ausmaß des Einsatzes dieser Strategie bislang
unbekannt ist – nicht zuletzt, weil sie sehr umstritten ist. Während Kritiker (vor allem
Ärztekammer und Ärzteschaft) das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis durch dieses
Kontrollinstrument stark gefährdet sehen und es als menschenrechtswidrige Anstiftung zur
Straftat abtun, halten Hauptverband und Krankenkassen dagegen und beruhen sich auf den
entsprechenden Paragrafen im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (§ 32a ASVG) und die
auf dessen Basis erlassene Durchführungsrichtlinie (RLVPK) von 2016 (HVSV 2016a; HVSV
2016b; ORF 2016a; LSE 2017a, S. 577f.). Ob und inwiefern Mystery Shopping tatsächlich
verfassungswidrig ist, gilt es zukünftig noch abzuklären. Fakt ist, dass sich allein in Wien der
Betrugsverdacht in 11 von 14 getesteten Arztpraxen bereits bestätigt hat (ORF 2016b). In
diesem Zusammenhang ist insbesondere die Arbeit der Missbrauchserkennungs- und
Präventionsgruppe der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) hervorzuheben, die sich seit
2008 schwerpunktmäßig dem Thema Abrechnungsbetrug widmet und einen wesentlichen
Beitrag zur Aufhellung dieses Dunkelfeldes leistet (Meissnitzer 2015, S. 119).
140
8. Sonstige Maßnahmen seitens der Krankenanstalten(-träger)
Auf der Ebene der Krankenanstalten und -träger wurden in den letzten Jahren ebenso etliche
Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption gesetzt. Die Einführung von
Verhaltenskodizes und die Einrichtung von Compliance-Management-Systemen bzw. die
Installierung von Compliance-Abteilungen haben das Bewusstsein für Compliance und
Antikorruption im Krankenhauswesen gehoben (Schreiber 2013, S. 16f.; Petsche & Larcher
2014, S. 22). Darüber hinaus wurde die Zusammenarbeit zwischen Krankenanstaltenträgern
(wie beispielsweise dem Wiener Krankenanstaltenverbund) und Organisationen wie
Transparency International – Austrian Chapter oder der Wirtschafts- und Korruptions-
staatsanwaltschaft forciert (Petsche & Larcher 2014, S. 22). Was Nebenbeschäftigungen von
angestellten Ärzten (Vortragstätigkeiten, Beratungsleistungen etc.) betrifft, so sind diese
grundsätzlich nicht verboten, sofern sie mit der dienstlichen Tätigkeit vereinbar sind (ÄK Tirol
2013, S. 18; Grimm 2013, S. 110f.). Jedenfalls unterliegen Nebenbeschäftigungen von
Beamten und Vertragsbediensteten der gesetzlichen Meldepflicht gegenüber dem
Dienstgeber (vgl. Kapitel 4.2.1). Zudem ist der Dienstgeber befugt, auf vertraglicher Ebene zu
regeln, dass für jede ausgeübte Nebenbeschäftigung seine vorherige schriftliche Zustimmung
einzuholen ist (ÄK Tirol 2013, S. 18; Petsche & Larcher 2014, S. 22). Zwar besteht im Falle eines
privatrechtlichen Dienstverhältnisses keine gesetzliche Meldepflicht, allerdings kann eine
solche vertraglich vereinbart werden. Darüber hinaus kann ein vertragliches
Nebenbeschäftigungsverbot, welches über das gesetzliche Nebenbeschäftigungsverbot nach
§ 7 AngG „Konkurrenzverbot“ hinausgeht, festgelegt werden (ÄK Tirol 2013, S. 18f.). Laut
mehreren anonymisierten Expertenaussagen haben die meisten Dienstgeber von einem
vertraglichen Nebenbeschäftigungsverbot bislang eher Abstand genommen.
In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 9) werden die wichtigsten der zuvor dargelegten
Maßnahmen, die in den letzten Jahren zur Prävention und Eindämmung von Korruption im
österreichischen Gesundheitssystem gesetzt worden sind – chronologisch aufgelistet –
zusammengefasst.
141
Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen Gesundheitssystem
Seit 2005 Einführung, Weiterentwicklung und Forcierung von Verhaltens- und Ethikkodizes; Einrichtung von Compliance-Management-Systemen
2006 Verbot von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte (§ 55b AMG)
2006 Gründung des Ludwig Boltzmann Institutes für Health Technology Assessment
2007 Enttabuisierung von Korruption im Gesundheitssystem durch die Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von Transparency International – Austrian Chapter
2007 Errichtung des Bundesinstitutes für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG)
2008 Verschärfung des Korruptionsstrafrechts
2008 Gründung von MEZIS („Mein Essen zahl ich selbst“)
2009 Entschärfung des Korruptionsstrafrechts
2009 Errichtung der Korruptionsstaatsanwaltschaft
2010 Einführung der Meldepflicht für nicht-interventionelle Studien (BGBl II Nr. 180/2010)
2011 Umgründung der Korruptionsstaatsanwaltschaft in die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA)
2011 Einführung des transparenten Wartelistenregimes (§ 5a Abs. 2 KAKuG)
2012 Novellierung des Korruptionsstrafrechts
2013 Einführung der Registrierungspflicht für Lobbyisten (§ 5 und § 9 LobbyG)
2013 Errichtung der Whistleblower-Homepage seitens der WKStA
2015 Initiierung des interdisziplinären Projektes „Korruption, Compliance und angewandte Versorgungsforschung im österreichischen Gesundheitssystem” seitens der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Karl Landsteiner Gesellschaft und Medizinischen Universität Wien
2016 Einführung des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG)
2016 Gesetzliche Verankerung des Mystery Shoppings (§ 32a ASVG)
2016 Freiwillige Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur Offenlegung geldwerter Leistungen an Angehörige der Fachkreise, medizinische Institutionen und Organisationen; Errichtung einer zentralen, öffentlichen Datenbank zur Erfassung solcher geldwerter Leistungen
Tabelle 9: Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin
Abschließend werden die gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen
Gesundheitssystem in den theoretischen Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung (vgl.
Kapitel 3.6) eingebettet und den vier Handlungsfeldern Bewusstseinsbildung, Prävention,
Kontrolle/Detektion und Strafverfolgung/Sanktionen zugeordnet (Abbildung 6). Gemäß
internationalen Empfehlungen schließen bisherige Strategien zur Bekämpfung von Korruption
im nationalen Gesundheitssystem Maßnahmen auf allen vier Ebenen ein.
142
4.2.3 Nationaler Forschungsstand
Bislang wurde das Thema „Korruption im Gesundheitssystem“ auf nationaler Ebene
hauptsächlich aus theoretischer Sicht beleuchtet. Nachdem die Pioniere, Martin Kreutner und
Bernhard Rupp, die Thematik Anfang der Jahrtausendwende angeregt haben und die
Enttabuisierung der Thematik durch die Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von
Transparency International – Austrian Chapter im Jahr 2007 über die Veröffentlichung ihres
theoretischen Grundsatzpapiers (TI-AC 2010) folgte, stieß die Materie auf ein breiteres
Interesse. Dies lässt sich vor allem an der Anzahl vorliegender Beiträge und Publikationen zur
diesbezüglichen Thematik erkennen (Fried 2005, 2009; Rupp 2006, 2009, 2011; Kern-Homolka
et al. 2011; Kern-Homolka & Labek 2012; Kern-Homolka 2013; Labek & Weidenholzer 2010;
Piribauer 2010; Tschachler 2010; Hintringer 2010, 2011; Sprenger 2012; Petsche & Larcher
2014; Ganzger et al. 2015). Die Abhandlungen umfassen zumeist die theoretische Darlegung
etwaiger Einfallstore bzw. Problemfelder von Korruption unter Einbeziehung von Erfahrungs-
Abbildung 6: Korruptionsbekämpfung im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin
Bewusstseinsschaffung Enttabuisierung des Themas durch TI-AC Forcierung wissenschaftlicher
Einrichtungen (LBI-HTA, BIQG) Themenbezog. Projekte, Veranstaltungen Organisationsinterne Aufklärungs- und
Bildungsmaßnahmen (Ethik, Recht) Gründung von MEZIS Medienberichte
Kontrolle & Detektion Interne und externe Kontrollsysteme Audits, Beschwerdemanagement Plausibilitätsprüfungen, Mystery Shopping Interne und externe Hinweisgebersysteme
(z.B. Whistleblower-Homepage der WKStA)
Strafverfolgung & Sanktionen Einrichtung der WKStA Ermittlungsbezogene Zusammenarbeit mit
BAK, OLAF, Europol, Interpol etc. Strafrechtliche Sanktionen Organisationsinterne Fachausschüsse und
disziplinäre Maßnahmen Sanktionskataloge
Prävention Verschärfung des rechtlichen Rahmens Forcierung von Ethik-/Verhaltenskodizes Einrichtung von CM-Systemen Transparenzschaffung (z.B. Offenlegung
geldwerter Leistungen der Pharmaindustrie, COI-Erklärungen)
Integritätstests, CSI-Checks, NC-NC-Politik
Leadership Politischer
Wille
externe Aufsicht
Internationale Initiativen zur Korruptionsbekämpfung (Antikorruptions-Konventionen u.a.)
externe Aufsicht
143
berichten und Annahmen sowie etwaige Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf den
zukünftigen Handlungsbedarf; einige Beiträge beinhalten auch eine Aufarbeitung und
Klarstellung der rechtlichen Situation in Österreich. An dieser Stelle sei auch auf etwaige
Skandal- und Enthüllungsbücher seitens österreichischer Journalisten, Health Professionals
und anderer Insider aus der älteren und jüngeren Vergangenheit verwiesen (Weiss 2008;
Aboulenein 2016). Wenngleich von vielen Betroffenen als Pauschalangriff abgetan und
verteufelt, liefern sie dennoch neue, bewegende Einblicke in den „Korruptionsalltag“ vieler im
Gesundheitssystem Agierender und bekräftigen größtenteils die Ergebnisse vorliegender
(internationaler) Studienergebnisse. Zur Wahrung der wissenschaftlichen Objektivität bleiben
die Inhalte solcher Enthüllungsbücher im Rahmen der vorliegenden Arbeit aber
weitestgehend ausgeklammert.
Im Gegensatz zum internationalen Forschungsstand liegen auf nationaler Ebene aufgrund der
langjährigen Tabuisierung der Thematik kaum empirische Studien vor (TI-AC 2010, S. 5;
Sickinger 2011, S. 194; Gruber et al. 2013, S. 131). Der aktuelle Informationsstand basiert
größtenteils auf Erfahrungsberichten und Annahmen, belegtes Material ist kaum vorhanden
(Gruber et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 576). Die wenigen empirischen Untersuchungen, die
nach intensiver Literaturrecherche vorliegen, stammen entweder vom Ludwig Boltzmann
Institut für Health Technology Assessment (LBI-HTA), vom Institut für Höhere Studien (IHS)
oder vom Verein für Konsumenteninformation (VKI). Hervorzuheben sind insbesondere die
Arbeiten des LBI-HTA unter der wissenschaftlichen Leitung von Claudia Wild. Allein im Jahr
2015/2016 wurden gleich drei Studien zum Thema „Sponsoring in der Medizin“ veröffentlicht.
Die erste Untersuchung beschäftigte sich mit dem Sponsoring österreichischer
Ärztefortbildung anhand einer systematischen Analyse der DFP-Fortbildungsdatenbank. Das
ermittelte Gesamtsponsoring für das Jahr 2014 betrug in Abhängigkeit vom medizinischen
Fach zwischen 14 % (Angiologie) und 67 % (Rheumatologie), wobei die finanziellen
Unterstützungsleistungen hauptsächlich von Pharma- und Medizinprodukteherstellern aus
dem jeweiligen Fach, vornehmlich von „High-Cost“- und/oder „High-Volume“-Produkten,
stammen. Mangels kontrollierter Meldungen wird der tatsächliche Sponsoringanteil weitaus
höher geschätzt (Wild et al. 2015b). Als nächstes ging man im Rahmen einer systematischen
Analyse der Frage nach, in welchem Ausmaß Patienteninitiativen (Selbsthilfegruppen) im Jahr
2014 von Pharmafirmen finanzielle Unterstützung erhielten. Das Gesamtsponsoring wurde
144
auf Basis veröffentlichter Zahlen mit 1,146 Mio. Euro ausgewiesen, wobei die meisten
Zuwendungen (63 %) an Initiativen aus den Bereichen Neurologie, Hämato-Onkologie,
Rheumatologie und Hämophilie flossen. Auch hier ist von einem deutlichen „Underreporting“
auszugehen (Wild et al. 2015a). Die dritte Studie widmete sich dem Sponsoring von nicht-
interventionellen Studien (NIS) in Österreich und zielte auf die Erhebung des
Erkenntnisinteresses registrierter NIS ab. Von den insgesamt 251 verzeichneten NIS mit über
400.000 Patienten (zum Stichtag) wurden 191 von Pharmaunternehmen durchgeführt. Diese
beschäftigten sich größtenteils mit der Wirksamkeit und Arzneimittelsicherheit – vor allem
onkologischer Medikamente, Immunsuppressiva (Rheumatologie) und Immunstimulanzien
(Neurologie und Onkologie) – und wiesen zumeist ein positives Ergebnis aus. Allerdings
konnten aufgrund geringer formaler Meldeanforderungen, -moral und -kontrolle keine
fundierten Aussagen über NIS gemacht werden (Gregor-Patera et al. 2016). Alle drei
Untersuchungen zeigen ein klares Muster: Sponsoring findet vor allem im Bereich
hochpreisiger Arzneimittel (Hämato-Onkologie, Endokrinologie, Rheumatologie, Neurologie
etc.) statt. Die Untersuchungsergebnisse stärken den Verdacht, dass finanzielle Beziehungen
zur Industrie einer objektiven, evidenzbasierten medizinischen Praxis zulasten der
Patientengesundheit zuwiderlaufen können (Petersen & Wild 2016). Eine andere HTA-Studie
ging der Frage nach, in welchem Umfang Pharmaunternehmen Ärzte, medizinische
Institutionen und medizinische Forschung im Jahr 2015 finanziell unterstützten. Das eruierte
Gesamtsponsoring belief sich auf 104,1 Mio. Euro (Forschung: € 54 Mio.; Ärzte: € 22,4 Mio.;
Institutionen: € 27,7 Mio.), wobei die Bereitschaft zur namentlichen Offenlegung relativ gering
war (Mediziner: 21,9 %; Institutionen: 50,2 %) (Mantsch et al 2016). Abgesehen von den
Untersuchungen des LBI-HTA liegen auch seitens des Institutes für Höhere Studien mehrere
Publikationen zu Wartezeiten auf Elektivoperationen unter der wissenschaftlichen Leitung
von Thomas Czypionka vor. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Wartelisten über eine
private Krankenzusatzversicherung, den Besuch einer Privatordination oder eine private
Zuzahlung umgangen werden können (Czypionka et al. 2007; Kraus et al. 2010; Czypionka et
al. 2013). Auch der Verein für Konsumenteninformation beschäftigte sich bereits mit
ähnlichen Fragestellungen (Wartezeiten auf Ambulanztermine und MRT-Untersuchungen)
und kam gleichfalls zu dem Ergebnis, dass es privat schneller ginge (VKI 2010, 2016). Die
dargelegten Studienergebnisse werden im Rahmen der explorativen qualitativen
Untersuchung der vorliegenden Dissertation erneut aufgegriffen und diskutiert.
145
4.2.4 Zukünftiger Forschungsbedarf
Angesichts der spärlich vorhandenen empirischen Studien auf nationaler Ebene bedarf es
zukünftig vor allem der Forcierung wissenschaftlicher Arbeiten zum besagten Themengebiet.
Insbesondere mangelt es bislang an empirisch fundiertem Grundlagenwissen zum Ausmaß,
den spezifischen Erscheinungsformen (Problemfeldern), Ursachen und Auswirkungen von
Korruption im österreichischen Gesundheitssystem (Rupp 2006, S. 2ff.; Rupp 2011, S. 91ff.;
Gruber et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 42). Eine umfassende, systemimmanente Auseinan-
dersetzung mit der Korruptionsthematik, welche über die Grenzen der einzelnen
Organisationen hinausgeht, ist ebenso ausständig (Rupp 2006, S. 2). Zudem bedarf es
zukünftig der vermehrten Überprüfung bisheriger und neuer institutioneller
Rahmenbedingungen, Strukturen und Abgeltungssysteme hinsichtlich ihrer Anreizwirkungen
und Schwachstellen, um zu einem größeren Verständnis der Korruptionsmechanismen und -
dynamiken beizutragen (Rupp 2010, S. 5). Solche ausstehenden Informationen sind insofern
wichtig, als sie die erforderliche Grundlage zur Ableitung effektiver und effizienter
Antikorruptionsmaßnahmen darstellen. Weiters bleibt auch die Frage im Hinblick auf die
Effektivität und Effizienz bisher gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen bislang ungeklärt
(Gruber et al. 2013, S. 131). Zu dieser Thematik liegen auch auf internationaler Ebene kaum
verlässliche Informationen/Evaluationen oder wissenschaftliche Ergebnisse vor (Vian 2008, S.
91; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19). In diesem Kontext empfehlen Gruber et
al. (2013, S. 131) die Initiierung einer umfassenden Studie zur Erhebung der Ausgangslage in
Österreich (im Hinblick auf primäre Problemfelder von Korruption) als wichtige Voraussetzung
für einen effektiven und effizienten Einsatz von Antikorruptionsmaßnahmen und ihre
Wirksamkeitsevaluation. Vorgeschlagene Erhebungsmethoden schließen u.a. Literatur-
studien, Befragungen von Leistungsempfängern und -erbringern, Finanziers und Wissen-
schaftlern, die Definition von Indikatoren zur Messung von Korruption, Fallstudien sowie
Analysen internationaler und nationaler Best-Practice-Modelle ein, wobei insbesondere
qualitativen Messmethoden besondere Bedeutung beizumessen ist (Gruber et al. 2013, S.
131). Eine umfassende Untersuchung zur Erhebung der Erscheinungsformen von Korruption
im nationalen Gesundheitssystem und ihrer potenziellen Verbreitung/Kosten wird auch in der
kürzlich veröffentlichten Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und
Gesundheitsbereich als notwendige Voraussetzung für die (Weiter-)Entwicklung, Priorisierung
und Implementierung wirksamer Gegenmaßnahmen vorgeschlagen (LSE 2017a, S. 578ff.).
146
Weiterer Forschungsbedarf besteht ferner im Hinblick auf die Frage, inwieweit die
zunehmende Feminisierung, Alterung und Multiethnizität der Bevölkerung Einfluss auf
Werthaltungen und Normen-Compliance von Entscheidungsträgern nehmen (Rupp 2010, S.
5). Angemerkt sei, dass es derzeit österreichweit noch keine professionelle bzw. universitäre
Einrichtung gibt, die sich ausschließlich der Korruptionsforschung im Gesundheitssystem und
der damit verbundenen Aus- und Weiterbildung widmet. Nicht zuletzt kann der mangelnde
Forschungsstand auch darauf zurückgeführt werden (Rupp 2011, S. 91f.).
4.3 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 5
Das österreichische Gesundheitssystem zielt auf eine solidarisch finanzierte
Gesundheitsversorgung ab. Allerdings stößt das System durch seine stetig steigenden
Gesundheitsausgaben – bei vergleichsweise nur durchschnittlich erbrachten Leistungs-
ergebnissen – und dem damit einhergehenden zunehmenden Sparsamkeits- und
Finanzierungsdruck allmählich an seine Grenzen, weshalb es verstärkt nach allfälligen
Effizienz- und Effektivitätssteigerungspotenzialen durchforstet gehört (Rupp 2006, S. 2;
Hintringer 2010, S. 4). Laut Expertenschätzungen birgt vor allem die Korruptionsthematik im
Gesundheitssystem ein enormes Einsparpotenzial (3-10 % der Gesundheitsausgaben),
weshalb sie verstärkt in den Vordergrund des gesundheitspolitischen und -ökonomischen
Diskurses gerückt werden sollte. Allerdings wird dem Thema in Österreich trotz einiger
Antikorruptionsbemühungen in den letzten zehn Jahren (vgl. Tabelle 9) noch vergleichsweise
zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dies lässt sich nicht nur an der spärlichen Anzahl
vorhandener empirischer Studien – einer notwendigen Voraussetzung für die
(Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die
Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung – erkennen (TI-AC 2010, S. 5; Sickinger
2011, S. 194; Gruber et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 42), sondern auch an einer bislang
fehlenden professionellen Forschungs- und Ausbildungseinrichtung sowie einer eigenen
Korruptionsmelde- und Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem (Rupp 2010, S. 5; TI-AC
2010, S. 29). Um dem dringenden Forschungsbedarf auf nationaler Ebene zu begegnen, wurde
im Rahmen der vorliegenden Dissertation eine explorative qualitative Studie zur empirischen
Erfassung der Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption und des
zukünftigen Handlungs- und Forschungsbedarfs durchgeführt. Ihre konkreten Ziele,
eingesetzten Methoden und Ergebnisse werden im folgenden Kapitel 5 ausführlich dargelegt.
147
5 Empirische Untersuchung
Kapitel 5 behandelt die empirische Untersuchung, welche zum Erkenntnisinteresse der
vorliegenden Arbeit (vgl. Kapitel 1.2) beitragen soll. Nach der Darlegung des konkreten
Forschungsziels (Kapitel 5.1) und den daraus abgeleiteten wissenschaftlichen Fragestellungen
(Kapitel 5.2) erfolgt die Beschreibung und Begründung des ausgewählten Forschungsdesigns
(Kapitel 5.3) und der Datenerhebung im Hinblick auf die Erhebungsmethodik,
Stichprobenziehung und den Erhebungsprozess (Kapitel 5.4). Anschließend werden die
Datenaufbereitung (Kapitel 5.5) und die Datenauswertung samt der Begründung und
Beschreibung der Auswertungsmethodik und des Auswertungsprozesses (Kapitel 5.6) näher
erläutert. Danach werden die Forschungsergebnisse einschließlich abgeleiteter Thesen
hinsichtlich der zu beantwortenden Forschungsfragen vorgestellt (Kapitel 5.7) und
anschließend zusammengefasst (Kapitel 5.8). Abschließend folgt eine kritische Diskussion der
zentralen Forschungsergebnisse einschließlich der Reflexion ihrer wissenschaftlichen und
praktischen Relevanz, ihrer methodischen Umsetzung (Gütekriterien) sowie ihrer etwaigen
Limitationen (Kapitel 5.9).
5.1 Forschungsziel
Ausgehend von den erworbenen theoretischen Erkenntnissen und dem identifizierten
nationalen Forschungsbedarf zielt die empirische Untersuchung primär darauf ab, neue bzw.
vertiefende empirische Erkenntnisse hinsichtlich der Erscheinungsformen, Ursachen und
Auswirkungen von Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen des österreichischen
Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang gesetzten
Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptions-
prävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen aufzudecken. Im Speziellen gilt es,
ausgewählte Erscheinungsformen von Korruption im Rahmen einer ebenenübergreifenden
Untersuchung näher zu analysieren. Hierbei werden die spezifischen Ursachen und
Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der Makro-, Meso- und
Mikroebene des österreichischen Gesundheitssystems auf ihre potenziellen Wechsel-
wirkungen beleuchtet und ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen
der konkrete zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen abgeleitet. Ferner soll im
148
Rahmen der empirischen Untersuchung der Korruptionsbegriff auf Verständnis, Klarheit und
Mehrdeutigkeit näher analysiert und davon ausgehend eine nationale Korruptionsdefinition
im Kontext des Gesundheitssystems abgeleitet werden. Letztlich zielt die Arbeit auch darauf
ab, weitere potenzielle Forschungslücken und -felder im Hinblick auf den vorliegenden Unter-
suchungsgegenstand aufzuzeigen. Auf Basis der eruierten Forschungsergebnisse sollen
schließlich Thesen abgeleitet werden, die es zukünftig – sofern möglich – empirisch
(quantitativ) zu überprüfen gilt.
5.2 Forschungsfragen
Aus dem(den) dargelegten Forschungsziel(en) lassen sich mehrere, bereits in Kapitel 1.2
erwähnte und nachstehend erneut aufgelistete wissenschaftliche Fragestellungen (Tabelle 10)
ableiten, die es im Rahmen der empirischen Untersuchung zu beantworten gilt.
Wissenschaftliche Fragestellungen
F1. Wie wird der Begriff Korruption im Kontext des Gesundheitssystems auf nationaler Ebene definiert?
F2. In welcher Form findet Korruption in das nationale Gesundheitssystem Eingang?
F3. Welche Ursachen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?
F4. Welche Auswirkungen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?
F5. Welcher zukünftige Handlungsbedarf kann ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen für eine nachhaltige Korruptionsprävention und -eindämmung auf den einzelnen Systemebenen abgeleitet werden?
F6. Wie sieht der zukünftige Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem aus?
F7. Wie sehen die spezifischen potenziellen ebenenübergreifenden Ursachen-Wirkungszusammenhänge ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption aus und welcher konkrete zukünftige Handlungsbedarf lässt sich ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen ableiten?
Tabelle 10: Wissenschaftliche Fragestellungen (vgl. Tabelle 1)
149
5.3 Forschungsdesign
Das Forschungsdesign beschreibt den Untersuchungsplan bzw. die konkrete
Herangehensweise an eine wissenschaftliche Fragestellung (Mayring 2010, S. 226). Dabei
werden in der Literatur für quantitative und qualitative Forschung neben bestimmten
Grundmodellen von Forschungsdesigns (z.B. Querschnittsdesign, Längsschnittdesign,
Experiment etc.) auch allgemeine Designs (= Ablaufplan systematischer Schritte im
Forschungsprozess) unterschieden, welche sich weiters in vier spezielle Untersuchungs-
designs differenzieren lassen: exploratives, deskriptives, zusammenhangsanalytisches und
kausalanalytisches Design (de Vaus 2001, S. 8ff.; Mayring 2010, S. 225ff.; Stein 2014, S. 138ff.).
Während explorative Forschungsdesigns dem Untersuchungsgegenstand mit dem Ziel der
Generierung neuer Fragestellungen und Hypothesen möglichst nahe kommen wollen, zielen
deskriptive Designs auf dessen genaue Beschreibung ab. Zusammenhangsanalysen hingegen
zielen auf die Untersuchung ausgewählter Variablen aus dem Gegenstandsbereich ab,
während Kausalanalysen zusätzlich solche Zusammenhänge auf ihre Kausalität (Ursache-
Wirkungs-Beziehung) hin untersuchen (Mayring 2010, S. 230ff.). Im Falle der vorliegenden
Untersuchung wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt, welches sich primär durch
seinen explorativen Charakter (Mayring 2010, S. 231f.) auszeichnet. Demnach richtet sich das
Erkenntnisinteresse nicht wie in quantitativen Studien auf das Erklären menschlichen
Verhaltens anhand großer, messbarer Stichproben, sondern vielmehr auf das Verstehen und
Beschreiben sozialen Handelns anhand weniger Einzelfälle (Bortz & Döring 2006, S. 298ff.).
Zudem zielen qualitative Studien im Gegensatz zu quantitativen zumeist auf die Generierung
oder Weiterentwicklung von Thesen und Theorien und weniger auf deren Überprüfung ab
(Pratt & Bonaccio 2016, S. 694f.).
Das explorative qualitative Forschungsdesign wurde für diese Arbeit primär aus folgenden
Gründen gewählt: Zum einen ermöglicht es die Exploration eines in Österreich bislang
empirisch kaum erforschten, komplexen Phänomens. Dabei kann die Offenheit und Flexibilität
des Forschungsansatzes zu einem tieferen Verständnis oder sogar zu neueren Erkenntnissen
hinsichtlich der Korruptionsmechanismen und -dynamiken beitragen, auf deren Grundlage
schließlich Thesen abgeleitet werden (Mayring 2010, S. 231ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 411;
Pratt & Bonaccio 2016, S. 696f.). Zum anderen erschien ein quantitativer Zugang aufgrund der
geringen Datenlage, Neuartigkeit und Komplexität des Untersuchungsgegenstandes erst nach
150
dessen qualitativer Beforschung und Thesengenerierung sinnvoll. Eine besondere
Herausforderung stellte auch die Stichprobenziehung aufgrund der Sensibilität der Thematik
dar (Campbell & Göritz 2014, S. 296). Die vorliegende Studie kann als notwendige
Voruntersuchung für fortfolgende (quantitative) Studien und Vergleichsstudien betrachtet
werden. Aus forschungspraktischen Gründen beschränkt sich die empirische Analyse auf ein
Querschnittsdesign (Stein 2014, S. 142) und beinhaltet somit nur eine Erhebungsphase.
In der nachstehenden Abbildung (Abbildung 7) werden die einzelnen Ablaufschritte des
explorativen qualitativen Forschungsdesigns, welches sich im Vergleich zu quantitativen
Forschungsdesigns vor allem durch seine Zirkularität und Rückkoppelungsschleifen
auszeichnet, dargestellt und in den fortfolgenden Kapiteln genauer beschrieben. Damit wird
gleichzeitig ersichtlich, dass die vorliegende Untersuchung zur Sicherstellung ihrer
intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit einem genauen Plan gefolgt ist, im
Ablauf genau beschrieben, argumentativ begründet und systematisch durchgeführt wurde –
ein wichtiger Aspekt, der zur Aufwertung qualitativer Studien in der Wissenschaft beitragen
soll (Mayring 2010, S. 225ff.).
3. Beschreibung der Datenerhebung (Wahl und Begründung der Erhebungsmethodik, Stichprobe, Erhebungsprozess) Kapitel 5.4
2. Spezifizierung der wissenschaftlichen Forschungsfragen Kapitel 5.2
4. Beschreibung der Datenaufbereitung (Transkription und Reflexion der Interviews) Kapitel 5.5
5. Beschreibung der Datenauswertung (Wahl und Begründung der Auswertungsmethodik, Auswertungsprozess) Kapitel 5.6
6. Darstellung der Ergebnisse (Interpretation, Rückbezug auf Forschungsfragen, Thesenbildung, Zusammenfassung) Kapitel 5.7-5.8
7. Diskussion der Ergebnisse (Schlussfolgerungen, wissenschaftliche/praktische Relevanz, Gütekriterien, Limitationen) Kapitel 5.9
1. Aktueller Stand der Forschung (Theoretischer Hintergrund, Forschungsbedarf)
Abbildung 7: Forschungsdesign Quelle: In Anlehnung an Mayring 2010, S. 229ff.
151
5.4 Datenerhebung
Nachdem das Forschungsdesign aufgezeigt und näher erläutert wurde, erfolgt nachfolgend
die Darstellung grundlegender Aspekte zur Datenerhebung. Dies schließt die Begründung und
detaillierte Beschreibung der ausgewählten Erhebungsmethodik, der Stichprobe und des
Erhebungsprozesses ein.
5.4.1 Erhebungsmethodik
Zu den anfangs in Frage kommenden qualitativen Untersuchungsmethoden zählten
Fallstudien, Fokusgruppen und Experteninterviews. Aufgrund der Generalisierungs-
problematik einzelner Fallstudien und der Schwierigkeit der Anberaumung einer Fokusgruppe
wurden Experteninterviews (vgl. Kapitel 2.8) vorgezogen. Zudem erschienen Experten-
interviews, da deren Stärken in der Exploration neuer, komplexer Phänomene unter
Einbeziehung unterschiedlicher unabhängiger Sichtweisen/Perspektiven sowie im Verstehen
kausaler Mechanismen liegen (Campbell & Göritz 2014, S. 296; Wassermann 2015, S. 54ff.),
eine geeignete Untersuchungsmethode darzustellen. Außerdem werden sie mittlerweile auch
in der internationalen qualitativen Korruptionsforschung eingesetzt und empfohlen
(Stuhlhofer et al. 2008; Campbell & Göritz 2014; Othman et al. 2014).
Im Vergleich zu anderen Interviewformen (narrative, problemzentrierte, halbstandardisierte,
fokussierte Interviews u.a.) zeichnen sich Experteninterviews als mittlere Variante zwischen
Offenheit und Strukturierung dadurch aus, dass die Person des Befragten in den Hintergrund
gerückt wird, während ihr spezielles Fach- und Hintergrundwissen einschließlich ihrer
persönlichen Erfahrungen, Sichtweisen und Einschätzungen in Bezug auf das Forschungs-
thema in den Mittelpunkt gestellt werden. Somit wird die Wahl der Interviewpartner, die als
Repräsentanten einer bestimmten Gruppe oder Feldes angesehen werden, vom jeweiligen
Forschungsinteresse geleitet. Um die Struktur und Zielorientierung des Gesprächs
sicherzustellen und gleichzeitig eine offene Gesprächsführung zu ermöglichen, wird dem
Experteninterview häufig ein Interviewleitfaden zugrunde gelegt (Borchardt & Göthlich 2009,
S. 38ff.; Bogner et al. 2014, S. 10ff.). Da es sich beim vorliegenden Forschungsansatz in
Anbetracht des Studiendesigns vorrangig um ein exploratives Experteninterview zur
Orientierung im Untersuchungsfeld und zur Thesengenerierung handelt und weniger um ein
152
systematisierendes (zur gezielten Informationsgewinnung und Wissenslückenschließung)
oder theoriengenerierendes (zur Erhebung von Deutungswissen wie Handlungs-
orientierungen) (Bogner et al. 2014, S. 22ff.), wurde ein offener, halbstrukturierter
Interviewleitfaden herangezogen. Wie aus der nachstehenden Tabelle (Tabelle 11) ersichtlich,
gliederte sich dieser in sieben große Themenbereiche (Definition, Ausmaß,
Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption, zukünftiger
Handlungsbedarf, zukünftiger Forschungsbedarf). Die Fragen zu den einzelnen Themenblocks
wurden theoriegestützt aus den zugrunde liegenden Forschungsfragen abgeleitet. Zwar stellte
das Ausmaß von Korruption keine eigenständige Forschungsfrage dar, wurde aber additiv
erhoben. Zu Beginn jedes übergeordneten Themenblocks wurden sehr offene Fragestellungen
formuliert, um die persönlichen Sichtweisen und Relevanzsetzungen der Befragten zu
erörtern. Im Nachhinein wurden nicht genannte interessante Aspekte, wie z.B. nicht erwähnte
Erscheinungsformen von Korruption (Einflussnahme der Industrie, Missbrauch von
Nebenbeschäftigungen, Kuvertmedizin, Umgehung von Wartelisten, Abrechnungsbetrug,
geringfügige Geschenke, E-Card-Missbrauch, Lobbying etc.) oder bislang gesetzte
Antikorruptionsmaßnahmen (Mystery Shopping, Compliance-Richtlinien etc.), thematisiert
und genauer hinterfragt. Den Abschluss des Interviewleitfadens bildete eine persönliche
Zusatzfrage mit Blick auf die eigene Betroffenheit von oder Auseinandersetzung mit der
Thematik. Der Interviewleitfaden beinhaltete keine Fragen zu soziodemografischen Daten
(Alter, Ausbildung, beruflicher Werdegang), da diese bereits im Vorfeld jedes Interviews
recherchiert und erhoben werden konnten. Um sicherzustellen, dass auch das gemessen wird,
was gemessen werden sollte (Validität), wurde der Interviewleitfaden nach einem ersten
„Probeinterview“ überarbeitet und erneut an die wissenschaftlichen Fragestellungen
angepasst.
153
Interviewleitfaden
I. DEFINITION VON
KORRUPTION
1. Im Rahmen unserer Forschung beschäftigen wir uns auch mit dem Korruptionsbegriff, daher lautet meine erste Frage: Was verstehen Sie unter Korruption? Wie würden Sie diesen Begriff definieren?
II. AUSMAẞ VON
KORRUPTION
2. Dass das Gesundheitssystem vor Korruption und Missbrauch nicht gefeit ist, gilt ja mittlerweile als unbestritten, aber wie ernst ist das Problem in Österreich Ihres Erachtens? Hat Österreich ein Korruptionsproblem im Bereich des Gesundheitssystems?
3. Laut Angaben internationaler Experten versickern ca. 3-10 % der
Gesundheitsbudgets im Untergrund. Auf die österreichischen Gesundheitsausgaben umgelegt, ergäbe dies einen jährlichen Schaden zwischen 1 und 3,7 Mrd. Euro. Wie würden Sie das gesamte Korruptionsausmaß im österreichischen Gesundheitssystem einschätzen?
III. ERSCHEINUNGS-
FORMEN VON
KORRUPTION
4. Transparency International – Austrian Chapter hat in seinem Grundsatzpapier aus dem Jahr 2007 mehrere Einfallstore für Korruption und Missbrauch im österreichischen Gesundheitssystem aufgezeigt. Wo sehen Sie insbesondere Einfallstore für Korruption?
5. Können Sie im Hinblick auf die geschilderten Einfallstore von
Korruption konkrete Beispiele nennen? 6. Was glauben Sie, welche dieser von Ihnen dargelegten Formen sind
besonders korruptionsanfällig bzw. problematisch für unser Gesundheitssystem?
7. Können Sie neue Phänomene im Hinblick auf Korruption im nationalen
Gesundheitssystem erkennen und benennen? Bei Bedarf nachgefragt:
Wie denken Sie über Lobbying im österreichischen Gesundheitswesen? Ist Lobbying gerade in einem so sensiblen Bereich erforderlich und gerechtfertigt oder sind Lobbyarbeit und Transparenz ein unüberwindbarer Widerspruch?
Das Image der Industrie hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Unter anderem wurde ihr vorgeworfen, Einfluss auf wichtige Akteure im Gesundheitssystem zu nehmen. Welche Meinung haben Sie diesbezüglich?
Was halten Sie von den Nebenbeschäftigungen (Privatordinationen etc.) der Ärzte?
Inwiefern stellt Abrechnungsbetrug (die Kuvertmedizin, der E-Card-Missbrauch, die Umgehung von Wartelisten etc.) im österreichischen Gesundheitssystem ein Thema dar?
Würden Sie geringfügige Geschenke als problematisch einstufen und warum?
154
IV. URSACHEN VON
KORRUPTION
8. Welche Ursachen können Sie für die von Ihnen geschilderten Einfallstore für Korruption im nationalen Gesundheitssystem erkennen?
9. Welche Ursachen sehen Sie auf der
Makroebene?
Mesoebene?
Mikroebene?
10. Auf welcher dieser Ebenen glauben Sie liegt die Hauptursache für Korruption begründet und warum?
V. AUSWIRKUNGEN
VON KORRUPTION
11. Wie wirkt sich Korruption im nationalen Gesundheitssystem aus?
12. Welche konkreten Auswirkungen erkennen Sie auf der
Makroebene?
Mesoebene?
Mikroebene?
13. Glauben Sie, dass wir in Österreich eine Zwei-/Mehrklassenmedizin haben und warum?
VI. ZUKÜNFTIGER
HANDLUNGSBEDARF
14. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas in unserem Gesundheitssystem im Hinblick auf all diese Problemfelder zu verbessern, wo würden Sie ansetzen und warum?
15. Wo sehen Sie den größten Verbesserungsbedarf? Bei Bedarf nachgefragt:
Was halten Sie von neueren präventiven Ansätzen wie beispielsweise dem Mystery Shopping?
Was halten Sie von der Patientenquittung, die 2008 im Gespräch war, allerdings nicht umgesetzt worden ist?
Inwiefern glauben Sie, dass die vielerorts bereits verankerten Compliance-Richtlinien und Verhaltenskodizes auch tatsächlich umgesetzt und gelebt werden?
VII. ZUKÜNFTIGER
FORSCHUNGS-
BEDARF
16. Welche Bereiche gehören zukünftig mehr erforscht? Wo sehen Sie einen erheblichen Forschungsbedarf?
PERSÖNLICHE
ZUSATZFRAGE
17. Sind Sie selbst schon einmal mit solchen Sachverhalten konfrontiert worden?
18. Wenn ja, mit welchen?
Tabelle 11: Interviewleitfaden Quelle: Verfasserin
155
5.4.2 Stichprobe
Da qualitative Experteninterviews grundsätzlich nicht auf die Generalisierung ihrer
produzierten Ergebnisse abzielen, sondern vielmehr auf das Verstehen und Beschreiben des
zugrunde liegenden Forschungsgegenstandes, erheben sie auch nicht den Anspruch, eine
repräsentative Stichprobe im statistischen Sinne zu ziehen (Schreier 2010, S. 240ff.; Kaiser
2014, S. 71). Vielmehr steht die inhaltliche Repräsentativität im Vordergrund, die sich in der
adäquaten Zusammenstellung der Stichprobe und der Relevanz der untersuchten Subjekte
widerspiegelt (Misoch 2015, S. 188). Dies trifft auch auf die vorliegende Untersuchung zu.
Folglich wurde die Stichprobe nicht zufällig ausgewählt wie bei der Zufallsstichprobe, sondern
gezielt, um einen höchstmöglichen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die wissenschaftliche
Fragestellung zu generieren. Die absichtsvolle bzw. bewusste Stichprobenziehung erfolgte
kriterienorientiert, d.h., dass die potenziellen Interviewteilnehmer bestimmte Kriterien
erfüllen mussten, um überhaupt in die Stichprobe aufgenommen zu werden (Schreier 2010,
S. 241). Zu diesen Kriterien, welche sich an jenen in der Literatur orientierten (Gläser & Laudel
2006, S. 113, zitiert nach Kaiser 2014, S. 72), zählten: ausreichender Wissensstand mit Blick
auf den Forschungsgegenstand, langjährige Beschäftigung im nationalen Gesundheitssystem,
Involviertheit mit Blick auf den Forschungsgegenstand, Verfügbarkeit und Interview-
bereitschaft. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die Heterogenität der Stichprobe nach
dem Prinzip der „maximalen strukturellen Variation“ gelegt (Schreier 2010, S. 243f.). Demnach
sollten die befragten Akteure aus unterschiedlichen Bereichen (Leistungsbereich, Wirtschaft,
Verwaltung, Politik, Wissenschaft, Medien etc.) und Ebenen des österreichischen
Gesundheitssystems (Makro-, Meso- und Mikroebene) kommen, um eine breite Sichtweise
auf die Thematik zu ermöglichen und die inhaltliche Repräsentativität der Stichprobe zu
gewährleisten. Zudem erschien eine gewisse Generalisierbarkeit über gefundene
Gemeinsamkeiten in den Aussagen der aus unterschiedlichen Feldern des Gesundheits-
systems stammenden Probanden nicht ausgeschlossen (Mayring 2007; Campbell & Göritz
2014, S. 296). Bei der Suche nach potenziellen Interviewteilnehmern waren Literaturhinweise
und Empfehlungen seitens wichtiger Informanten und bereits interviewter Personen
(„Schneeballsystem“) (Bogner et al. 2014, S. 35) sehr hilfreich.
156
Am Ende setzte sich die Stichprobe aus insgesamt 18 Interviewteilnehmern aus
unterschiedlichen Bereichen des österreichischen Gesundheitssystems zusammen. Unter den
befragten Gesundheits- und Antikorruptionsexperten befanden sich unter anderem
Repräsentanten bzw. Vertreter von Transparency International, Patientenanwälte,
Gesundheitspolitiker, aktiv tätige Health Professionals (Mediziner), Vertreter des
Krankenanstaltenwesens, Gesundheitsökonomen, Pharmazeuten, Vertreter der
Gebietskrankenkassen, Gesundheitswissenschaftler, Vertreter der ärztlichen
Selbstverwaltung (Ärztekammer) und Gesundheitsjournalisten. Das Alter der befragten
Personen lag zwischen 35 und 75 Jahren. Dreizehn der Befragten waren männlich, fünf davon
weiblich. In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 12) erfolgt eine chronologische Auflistung
aller Interviewpartner unter der Angabe ihrer beruflichen Funktion/Bezeichnung. Um die
Anonymität der Befragten sicherzustellen und eine Rückführbarkeit der Aussagen auf einzelne
Personen zu vermeiden, wurde auf alters- und geschlechtsspezifische Angaben verzichtet.
Interviewteilnehmer
Interview 1 Vertreter von Transparency International, Mediziner
Interview 2 Gesundheitsökonom
Interview 3 Patientenanwalt
Interview 4 Patientenanwalt
Interview 5 Gesundheitsökonom, Jurist
Interview 6 Mediziner, Gesundheitspolitiker
Interview 7 Gesundheitsexperte, Mediziner
Interview 8 Vertreter der Gebietskrankenkasse
Interview 9 Gesundheitswissenschaftler, Mediziner
Interview 10 Gesundheitsjournalist
Interview 11 Vertreter des Krankenanstaltenwesens
Interview 12 Vertreter der Pharmaindustrie
Interview 13 Vertreter der Pharmaindustrie, Mediziner
Interview 14 Vertreter der Pharmaindustrie
Interview 15 Gesundheitspolitiker, Jurist
Interview 16 Vertreter der Pharmaindustrie
Interview 17 Vertreter der Ärztekammer, Mediziner
Interview 18 Mediziner
Tabelle 12: Interviewteilnehmer
157
5.4.3 Erhebungsprozess
Angesichts der Sensibilität der Thematik erwies sich die Gewinnung der Befragten leichter als
vermutet: Bis auf zwei Ausnahmen stellten sich alle der hauptsächlich via E-Mail kontaktierten
Personen prompt für ein Interviewgespräch zur Verfügung, was wiederum auf ein reges
Interesse am Forschungsgegenstand zurückführbar ist. Von den insgesamt 18 von der Autorin
mündlich geführten Interviews wurden 16 persönlich und zwei via Telefon geführt. Räumlich
betrachtet fanden neun der 16 persönlich geführten Interviews in Wien, zwei in
Niederösterreich, zwei in Kärnten, eins in Oberösterreich, eins in Vorarlberg und eins in der
Steiermark statt. Die Mehrheit der Interviews (9) wurde in den Büros der interviewten
Personen geführt, drei in einer Cafeteria, zwei in einer Hotellobby, eines in einer
Privatordination und eines in einer Privatwohnung. Zu Beginn jedes Interviews erfolgte die
Vorstellung der Interviewerin und der Studie, ihren Hintergründen und Zielen. Zudem wurde
die Einwilligung zur Tonbandaufnahme vorab von jedermann eingeholt, nachdem auf den
anonymen und vertraulichen Umgang mit den erhobenen Daten in Anlehnung an die
vorherrschenden Datenschutzstandards hingewiesen wurde. Um etwaige Ergebnis-
verzerrungen zu vermeiden, wurde auch jeder Befragte vor Gesprächsbeginn gebeten, stets
seine ehrliche Meinung bzw. Sichtweise kundzutun. Jedes leitfadengestützte Interview
dauerte zwischen 43 Minuten und 2,5 Stunden; im Durchschnitt ca. 75 Minuten. Die Mehrheit
der befragten Personen verfügte über direkten und/oder indirekten Kontakt mit Korruption.
Die Offenheit der Gesprächsführung ermöglichte es, auf gewisse Aussagen der Befragten
näher einzugehen, nicht genannte Aspekte genauer zu hinterfragen sowie die Reihenfolge der
gestellten Fragen situationsgerecht anzupassen. Nach jedem Interview folgten eine kurze
Feedbackrunde sowie die Erkundigung nach weiteren potenziellen Interviewpartnern.
Abschließend wurde den Interviewteilnehmern für ihre Gesprächsbereitschaft gedankt.
Rückblickend betrachtet zeigte sich die Majorität der Befragten sehr offen und interessiert an
der Thematik, was vor allem an der Interviewlänge ersichtlich ist. Bis auf einen Fall entwickelte
sich stets eine sehr angenehme Gesprächsatmosphäre. Die Interviewerhebung erstreckte sich
über einen Zeitraum von ca. elf Monaten, von Oktober 2015 bis September 2016.
158
5.5 Datenaufbereitung
Jedes Interview wurde unmittelbar nach seiner Aufzeichnung vollständig mittels der Software
F4transkript nach zuvor festgelegten Regeln transkribiert. Dabei wurden Idiome der Befragten
„verhochdeutscht“, Unvollständigkeiten und Wiederholungen mit transkribiert, Stockungen
mittels Punkten und Unklarheiten mittels „unverständlich“ kenntlich gemacht sowie
Auffälligkeiten wie Lachen, Räuspern oder Ähnliches in Klammern angegeben. Um Fehler
durch Unzuverlässigkeiten oder ein mangelndes Hintergrundwissen und Verständnis für den
Forschungsgegenstand zu reduzieren, erfolgte die Transkription in eigenständiger Arbeit
durch die Autorin. Am Ende lagen insgesamt 334 Seiten Transkriptionsmaterial vor. Wichtige
Zusatzinformationen, die nach Abschalten des Diktiergerätes noch geäußert wurden, wurden
ebenso verschriftlicht. Zudem wurde jedes einzelne Interview hinsichtlich Interviewsituation,
Gesprächsverlauf, etwaigen Auffälligkeiten und Störfaktoren etc. schriftlich reflektiert.
5.6 Datenauswertung
Im Anschluss an die Datenaufbereitung erfolgte die inhaltliche Auswertung der Interviews. Im
Folgenden erfolgt die Begründung und detaillierte Beschreibung der ausgewählten
Auswertungsmethodik und des Auswertungsprozesses.
5.6.1 Auswertungsmethodik
Da sich die Wahl der Auswertungsmethodik grundsätzlich an den formulierten
Fragestellungen und dem Erkenntnisinteresse zu orientieren hat (Bogner et al. 2014, S. 22ff.;
Wassermann 2015, S. 53ff.), bot sich im vorliegenden Fall explorativer Experteninterviews
insbesondere die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring an. Als systematisches, regel- und
theoriegeleitetes Verfahren zur Analyse von Kommunikation vermag sich die qualitative
Inhaltsanalyse unterstützend auf die Exploration neuer Erkenntnisse zur wissenschaftlichen
Fragestellung unter Einbeziehung theoretischer Hintergrundinformationen auszuwirken.
Grundsätzlich stellt sie ein qualitativ-orientiertes Auswertungsverfahren dar, welches sich
allerdings der Methodik der quantitativen Inhaltsanalyse bedient und dadurch die
Auswertung großer Datenmengen ermöglicht – weshalb sie des Öfteren auch zu den Mixed-
Methods-Ansätzen gezählt wird. Mayring selbst bevorzugt den Begriff „qualitativ orientierte
159
kategoriengeleitete Textanalyse“ anstelle qualitativer Inhaltsanalyse, da sich diese nicht allein
auf Kommunikationsinhalte beschränkt, sondern auch Rückschlüsse auf nichtsprachliche
Inhalte zulässt. Im Zentrum der qualitativ orientierten kategoriengeleiteten Textanalyse steht
ein sogenanntes Kategoriensystem, d.h., die Analyse des zugrundeliegenden Textmaterials
erfolgt anhand definierter Kategorien, die über ein deduktives (vorab aus der
Theorie/Fragestellung abgeleitet) und/oder induktives Vorgehen (aus dem konkreten
Material herausgebildet) entwickelt, strengen Konstruktions- und Zuordnungsregeln
unterworfen und während der Analyse laufend überarbeitet und rücküberprüft werden. Der
Auswertungsvorgang basiert somit auf der regelgeleiteten Zuordnung von deduktiv und/oder
induktiv gebildeten Kategorien zu konkreten Textstellen. Die Regelgeleitetheit des Verfahrens
soll eine systematische Auswertung und deren subjektive Überprüfbarkeit sicherstellen.
Darüber hinaus können auch quantitative Analyseschritte (z.B. Auszählung von
Kategorienhäufigkeiten) während der Datenauswertung miteinfließen. Am Ende des
Auswertungsprozesses erfolgt die Zusammenstellung und Interpretation der Ergebnisse im
Hinblick auf die wissenschaftliche Fragestellung unter Berücksichtigung inhaltsanalytischer
Gütekriterien (Mayring & Fenzl 2014, S. 543ff.; Mayring 2015, S. 13ff.).
In der vorliegenden Studie wurde die Interviewauswertung durch die
Textverarbeitungssoftware MAXQDA (Version 12) unterstützt, die nach dem Programm
ATLAS.ti am zweithäufigsten für qualitative Inhaltsanalysen eingesetzt wird. Insbesondere
erleichtert die Software die Verwaltung großer Datenmengen und bietet über nützliche
Funktionen Unterstützung bei der Systematisierung, Strukturierung und Analyse des
erhobenen Datenmaterials (Mayring 2015, S. 117f.). Die Datenauswertung erforderte nicht
nur eine zeitaufwendige, selbstständige Einarbeitung in das Programm MAXQDA, sondern
auch ein intensives Literaturstudium zur qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring.
5.6.2 Auswertungsprozess
Die Auswertung der Interviews erfolgte durch die Autorin in Anlehnung an das von Mayring
(2015, S. 61ff.) vorgeschlagene Ablaufmodell zur qualitativen Inhaltsanalyse in mehreren auf-
einanderfolgenden analytischen Schritten, die in der nachstehenden Abbildung (Abbildung 8)
aufgelistet und anschließend ausführlich beschrieben werden.
160
1. Bestimmung des Ausgangsmaterials Festlegung des Materials, Analyse der Entstehungsgeschichte, formale Charakteristika des Materials
2. Richtung der Analyse
3. Wissenschaftliche Fragestellungen
4. Deduktive Ableitung der Hauptkategorien
5. Auswahl der induktiven Kategorienbildung als Analysetechnik Festlegung der Kategoriendefinitionen und des Abstraktionsniveaus
6. Festlegung der Analyseeinheiten Kodier-, Kontext-, Auswertungseinheit
8. Erster Materialdurchgang Revision des Kategoriensystems
10. Intercoder-Reliabilitätsprüfung
12. Quantitative Analyse der Kategorien Auszählung von Kategorienhäufigkeiten
7. Probekodierung Revision des vorläufigen Kategoriensystems nach der Auswertung von vier Interviews
9. Zweiter Materialdurchgang Intracoder-Reliabilitätsprüfung, Revision des Kategoriensystems
11. Endgültiger Materialdurchgang
13. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
Abbildung 8: Auswertungsprozess Quelle: In Anlehnung an Mayring 2015, S. 61ff.
161
Den Beginn der kategorienbasierten Auswertung bildete die Bestimmung des
Ausgangsmaterials (Schritt 1). Dieses schloss das gesamte transkribierte Datenmaterial aller
18 geführten Interviews einschließlich relevanter verschriftlichter Zusatzinformationen ein.
Auf die Entstehungsgeschichte und formale Charakteristika des auszuwertenden Materials
wurde bereits hingewiesen (Kapitel 5.4 und 5.5). Im darauffolgenden Schritt (Schritt 2) wurde
die Analyserichtung festgelegt. Nach dem inhaltsanalytischen Kommunikationsmodell
(Mayring 2015, S. 59) richtete sich die Analyse primär darauf, Aussagen über den kognitiven
Hintergrund der Befragten (Fach- und Hintergrundwissen einschließlich persönlicher
Erfahrungen, Sichtweisen und Einschätzungen in Bezug auf den Forschungsgegenstand) zu
tätigen. Daraufhin erfolgte die deduktive Ableitung der Hauptkategorien aus den zugrunde
liegenden wissenschaftlichen Fragestellungen (Schritt 3 und 4), die sich auch in der Struktur
und den Frageblöcken des Interviewleitfadens widerspiegeln. Zudem wurde auch das
wahrgenommene Ausmaß von Korruption, welches im Rahmen der geführten Interviews
miterhoben wurde, allerdings nicht im Fokus des Erkenntnisinteresses stand, als
eigenständige Hauptkategorie definiert. Somit lagen als Ausgangsbasis sieben deduktiv
gewonnene Hauptkategorien vor:
1. Definition von Korruption
2. Ausmaß von Korruption
3. Erscheinungsformen von Korruption
4. Ursachen von Korruption
5. Auswirkungen von Korruption
6. Zukünftiger Handlungsbedarf
7. Zukünftiger Forschungsbedarf
Ausgehend von diesen Hauptkategorien wurde im Folgenden die Analysetechnik der
induktiven Kategorienbildung (Mayring 2015, S. 85ff.) gewählt (Schritt 5). Dies erschien
angesichts der zugrunde liegenden Forschungsfragen und des explorativen Charakters der
Studie am zweckmäßigsten. Bevor aber die Hauptkategorien mit induktiv gebildeten
Kategorien aufgefüllt werden konnten, bedurfte es der Festlegung konkreter Konstruktions-
und Zuordnungsregeln, im vorliegenden Fall der Kategoriendefinitionen und des
Abstraktionsniveaus. Damit sollte die Regelgeleitetheit des Verfahrens und somit seine
162
subjektive Überprüfbarkeit sichergestellt werden. In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 13)
werden die angewandten Regeln auf Ebene der einzelnen Hauptkategorien zusammengefasst.
Hauptkategorie Definition Abstraktionsniveau
1. Definition von Korruption
Alle Textstellen, die auf das subjektive Begriffsverständnis von Korruption hinweisen
Abgeleitete Definitionsbereiche von Korruption
2. Ausmaß von Korruption
Alle Textstellen, die etwas über die Einschätzung zur Verbreitung von Korruption aussagen
Allgemeine Einschätzung der Verbreitung
3. Erscheinungsformen von Korruption
Alle Textstellen, die sich auf die Form beziehen, in welcher Korruption ins nationale Gesundheitssystem Eingang findet
Über die konkret geschilderte Situation hinaus verallge-meinerbare Erscheinungs-formen von Korruption
4. Ursachen von Korruption
Alle Textstellen, die auf auslösende Faktoren von Korruption hinweisen
Über die konkret geschilderte Situation verallgemeinerbare Ursachen
5. Auswirkungen von Korruption
Alle Textstellen, die etwas über die Konsequenzen von Korruption aussagen
Über die konkret geschilderte Situation verallgemeinerbare Auswirkungen
6. Zukünftiger Handlungsbedarf
Alle Textstellen, die Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf bislang gesetzte Antikorruptions-maßnahmen oder neue Maßnahmenvorschläge beinhalten
Konkret genannte Verbesserungs- oder Maßnahmenvorschläge
7. Zukünftiger Forschungsbedarf
Alle Textstellen, die auf Forschungslücken in der nationalen Korruptionsforschung im Gesundheitssystem hinweisen
Konkret genannte Forschungslücken
Tabelle 13: Regeln für die induktive Kategorienbildung Quelle: Verfasserin
Um die Inhaltsanalyse zu präzisieren, erfolgte in weiterer Folge (Schritt 6) die Festlegung der
einzelnen Analyseeinheiten (Mayring & Fenzl 2014, S. 553; Mayring 2015, S. 61):
Als Codiereinheit (minimaler Textteil, der unter eine Kategorie fallen darf) wurden
mehrere Wörter mit Sinneszusammenhang – inhaltstragende Paraphrasen – festgesetzt.
Als Kontexteinheit (größter Textbestandteil, der unter eine Kategorie fallen darf) wurde
der gesamte Antworttext auf eine bestimmte Frage festgelegt.
Die Auswertungseinheit (Textteile, die nacheinander ausgewertet werden sollen) schloss
alle 18 geführten Interviews ein.
163
Unter Berücksichtigung dieser vorab festgelegten Auswertungsregeln wurde der induktive
Kategorienbildungsprozess gestartet. Dabei wurden die aus dem vorliegenden Textmaterial
gewonnen Kategorien, die den jeweiligen Hauptkategorien zugeordnet wurden, teilweise in
einer weiteren Ebene (Subkategorien) ausdifferenziert. Gleichzeitig wurde die Häufigkeit der
Kategoriennennungen für die nachfolgende quantitative Auswertung erfasst, wobei die
mehrfache Zuordnung von Materialbestandteilen, die verschiedene Aspekte aufzeigten, zu
unterschiedlichen Kategorien zulässig war. Zudem wurden wichtige Textstellen und erste
Interpretationen während des Auswertungsprozesses mittels sogenannter „Memos“
festgehalten. Nach einem ersten „Probedurchgang“, welcher die Auswertung der ersten vier
Interviews beinhaltete, fand die erste Revision und Überarbeitung des Kategoriensystems
statt (Schritt 7). Dabei wurden Kategorien, die ähnliche Sachverhalte erfassten,
zusammengefasst und zu allgemein formulierte Kategorien präzisiert. Anhand dieses
überarbeiteten Kategoriensystems erfolgte die Durchcodierung des gesamten Datenmaterials
(Schritt 8). Anschließend wurde das Kategoriensystem erneut revidiert und modifiziert. In
diesem Kontext wurden alle gefundenen Kategorien innerhalb der dritten, vierten und fünften
Hauptkategorie (Ursachen von Korruption, Auswirkungen von Korruption, zukünftiger
Handlungsbedarf) nochmals folgenden drei aus der Theorie abgeleiteten Oberkategorien
zugeordnet:
1. Makroebene: Alle Kategorien, die der gesundheitssystemischen/gesellschaftlichen Ebene
zugeordnet werden können.
2. Mesoebene: Alle Kategorien, die der organisationalen Ebene zugeordnet werden können.
3. Mikroebene: Alle Kategorien, die sich auf die individuelle Ebene beziehen.
Im nächsten Schritt (Schritt 9) wurde das Datenmaterial zur Sicherstellung der
Intracoderreliabilität (Mayring & Fenzl 2014, S. 546; Mayring 2015, S. 127) erneut
durchcodiert und anschließend auf etwaige Übereinstimmungen und Nicht-
Übereinstimmungen mit den Analyseergebnissen des ersten Durchganges verglichen. Dies
hatte die erneute Überarbeitung des Kategoriensystems zur Folge. Anschließend wurde das
zugrunde liegende Material zur Sicherstellung der Intercoderreliabilität (Mayring und Fenzl
2014, S. 547; Mayring 2015, S. 127) durch einen weiteren unabhängigen Codierer
ausschnittsweise analysiert und die Ergebnisse miteinander verglichen (Schritt 10). Die vielen
Übereinstimmungen ließen auf die Objektivität des Verfahrens schließen; etwaige Codier-
164
Unstimmigkeiten wurden solange kritisch diskutiert und interpretiert bis eine Einigung erzielt
werden konnte. Daraufhin erfolgte ein letzter Materialdurchgang anhand des fixierten
Kategoriensystems (Schritt 11). Die anschließende Ergebnisaufbereitung schloss quantitative
Analysen bzw. die Auszählung von Kategorienhäufigkeiten (Mayring 2015, S. 53) ein (Schritt
12). Dabei wurden mehrfach zugewiesene Kategorien innerhalb eines Interviews nur einmal
gezählt bzw. wurden Mehrfachnennungen einzelner Kategorien im Rahmen eines Interviews
nicht berücksichtigt. Als Ergebnis lag daraufhin für jede der sieben Hauptkategorien ein
eigenständiges Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien
(einschließlich ihrer jeweiligen Ober- und Subkategorien) vor. Anhand dieser
Kategoriensysteme erfolgt im nachfolgenden Kapitel (Kapitel 5.7) die Zusammenfassung und
Interpretation des Datenmaterials im Hinblick auf die zugrunde liegenden Forschungsfragen
(Schritt 13).
5.7 Forschungsergebnisse
Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der explorativen qualitativen Untersuchung im
Hinblick auf die aufgeworfenen Forschungsfragen auf Basis der vorliegenden
Kategoriensysteme interpretiert und durch direkte Zitate aus den Interviews, häufig genannte
Fallbeispiele und vorliegende Studienergebnisse untermauert. Die Fallbeispiele dienen
lediglich zur Veranschaulichung der Relevanz und Aktualität der Korruptionsthematik im
nationalen Gesundheitssystem. Ausgehend von den theoretischen und empirisch
gewonnenen Erkenntnissen werden schließlich Thesen abgeleitet, die im Rahmen der
Ergebnisdarstellung näher ausgeführt werden.
5.7.1 Definition von Korruption
Anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 14) wird nachfolgend das subjektive
Korruptionsverständnis, das während den Interviews mit den expliziten Fragen „Was
verstehen Sie unter Korruption?“ bzw. „Wie würden Sie diesen Begriff definieren?“ erhoben
wurde, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert und ausgehend von den diversen
Sichtweisen der Experten eine nationale Korruptionsdefinition im Kontext des Gesundheits-
systems abgeleitet. Die nachfolgend präsentierte Definition ist somit das Ergebnis eines Ver-
gleichs und der Bündelung aller in den Interviews aufgefundenen relevanten Informationen.
165
Definition von Korruption
Kategorien Häufigkeit
Individuelle Definition von Korruption 8
TI-Definition 4
Strafrechtlicher Korruptionsbegriff 3
Erweiterte TI-Definition im Gesundheitssystem 2
Tabelle 14: Kategoriensystem zur Definition von Korruption (Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen
innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Das subjektive Korruptionsverständnis wurde in insgesamt 17 Interviews erfragt.)
Was das subjektive Begriffsverständnis von Korruption betrifft, gingen die Ansichten der
Experten weit auseinander. Acht der 17 befragten Personen definierten Korruption auf ihre
persönliche Art und Weise, wobei es sich hierbei weniger um „echte“ Definitionen als um das
Hervorheben zentraler Aspekte dieses Phänomens handelte. Auffällig war, dass es bei den
individuellen „Definitionen“ viele Überschneidungen, sowohl untereinander als auch mit
gängigen Korruptionsdefinitionen, gab (unsachliche Beeinflussung von Entscheidungen oder
Handlungen, persönlicher Vorteil oder Interesse, Win-Win-Lose-Situation, Nachteil für die
Öffentlichkeit, Ressourcenmissbrauch etc.).
Zitat aus Interview 3:
„Korruption ist ein Heimlichkeitsdelikt. Da haben meistens zwei was davon, der, der korrumpiert und der, der korrumpiert wird und das Ganze geht zulasten Dritter und der Dritte ist im Gesundheitswesen letztlich die Allgemeinheit, die Steuerzahler, die Versicherungsgemeinschaft.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich werde den Begriff sehr weit definieren, dass ich sage, sobald mein Verhalten durch ein persönliches Interesse beeinflusst ist und ich anders entscheide als ich das professionell tun sollte. Also ich sehe das viel weiter als der reine strafrechtliche Korruptionsbegriff. […] Das Rechtskonforme hat es meiner Meinung nach noch viel zu eng gesehen. Das ist so wie man meiner Meinung nach keine Summen angeben kann und sagen kann, ab 30 Euro bist du korrupt.“
Zitat aus Interview 11:
„Eine unsachliche Beeinflussung von Handlungen, die man anders machen oder unterlassen würde, wenn hier nicht Anreize gesetzt werden würden, anders zu handeln, also guten Gewissens zu handeln.“
Zitat aus Interview 14:
„Überall dort, wo tatsächlich oder möglicherweise sachfremde Einflussfaktoren auf Entscheidungen im öffentlichen Bereich einwirken bzw. einwirken können. […] Wenn Entscheider im Gesundheitswesen Vorteile sachfremder Natur von Anbietern angeboten werden oder diese auch angenommen werden,
166
dann ist das natürlich schon eine Situation, wo Entscheidungen dann auch von diesen sachfremden Motiven geleitet sind oder werden können.“
Zitat aus Interview 18:
„Einfluss auf eine Person ausüben, entweder mit finanziellen Mitteln oder sonstigem Druck, oder andere Einflussnahme, die dieser Person oder in ihrer Sphäre einen Benefit verspricht, um dann etwas zu tun, was gegen das primäre Interesse, Interesse der Öffentlichkeit, verstößt.“
Einige Interviewteilnehmer (4 von 17 Befragten) lehnten sich bei der Begriffsklärung von
Korruption an die gängige Definition von Transparency International („Missbrauch von
anvertrauter Macht zum privaten Nutzen“) an. Allerdings wurde diese Begriffsbestimmung
seitens anderer Befragter auch als unpräzise und „schwammig“ bezeichnet, weil sie viel
Interpretationsspielraum zulasse und die Grenzen von Korruption nicht klar festlege (sprich:
„Wo beginnt Korruption und wo endet sie?“). Dadurch ergäbe sich oftmals eine fließende und
unscharfe Terminologie zu verwandten Konstrukten. Ähnliches geht auch aus der
internationalen Korruptionsliteratur hervor (vgl. Kapitel 2.1). Zwei der 17 befragten Personen
wiesen bei der Definition von Korruption auf den erweiterten Korruptionsbegriff im
Gesundheitssystem von Transparency International hin (vgl. Kapitel 3.1).
Zitat aus Interview 9:
„Also, ich würde mich schon an einer gängigen Definition festhalten, weil ich die prinzipiell nicht so schlecht finde. Ich glaube, Korruption ist, wenn man seine Macht missbraucht oder auch seine Stellung, aber Stellung hat ja auch viel mit Macht zu tun, um für sich selbst einen Vorteil zu generieren oder durchaus auch für die Institution, für die man arbeitet. Also Korruption ist ein Machtmissbrauch.“
Zitat aus Interview 10:
„Korruption ist das Nutzen einer Funktion oder Stellung oder einer Machtstellung zugunsten der eigenen Person, also um Vorteile zu generieren, und die Korruption geht immer zulasten Dritter“.
Während die Majorität (14 von 17 Befragten) Korruption weit über das Rechtskonforme
hinaus definierte, grenzte die Minorität (3 von 17 Befragten) Korruption auf den
strafrechtlichen Begriff ein. Einer der Befragten wies zudem auf die Notwendigkeit hin, sich
hierbei unbedingt auch den konkreten Einzelfall im Hinblick auf Wissentlichkeit,
Absichtlichkeit etc. anzuschauen.
167
Zitat aus Interview 6:
„Da sind wir schon wieder beim Ersten, wo fängt Korruption an und wo endet sie? […] Ist Korruption, wenn ich regelmäßig in ein teures Lokal gehe und dort viel Geld lasse und wenn ich dann dringend einen Tisch brauche, einen kriege? Wenn man streng diskutiert, JA. […] Also auch da kommen wir in eine Diskussionsebene hinein. Das heißt, wahrscheinlich ist und bleibt es trotzdem am besten, den gesetzlichen Korruptionsbegriff einmal heranzuziehen und sich dann den Einzelfall anzuschauen und vor allem zu unterscheiden zwischen der Absichtlichkeit und der Wissentlichkeit. Auch wenn ich weiß, Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, aber diesen Hintergrund zu betrachten und bei Veränderung eben zu schauen, wo sind die Gründe, wo kann ich eigentlich den Grund verändern. Ich glaube, ich muss immer den Grund verändern, warum jemand unter Umständen an die Grenzen von Korruption kommt.“
Zitat aus Interview 15:
„[…] und lehne mich bei der Beschreibung von Korruption an die einschlägigen Tatbestände vom Strafgesetzbuch an, die ich allerdings Ihnen jetzt auswendig ohne Text nicht wiedergeben kann, aber Korruption ist für mich gleichzusetzen mit dem, was im Strafgesetz unter die einschlägigen Bestimmungen fällt.“
Ausgehend von den diversen Expertensichtweisen und in Anlehnung an gängige Definitionen
kann Korruption im Kontext des Gesundheitssystems zusammengefasst als die „sachfremde
Beeinflussung von Entscheidungen und Handlungen, die im Interesse des öffentlichen
Gesundheitssystems stehen, zum Vorteil einer Person oder Organisation, jedoch zulasten
unbeteiligter Dritter (u.a. Patienten, Health Professionals) bzw. der Allgemeinheit (u.a.
Steuerzahler, Versicherungsgemeinschaft)“ definiert werden.
Zuletzt sei noch angemerkt, dass im Rahmen der geführten Interviews insgesamt zweimal und
im Einklang mit der Theorie stehend (Kapitel 2.1) darauf hingewiesen wurde, dass sich die
Formulierung einer einheitlichen, global akzeptierten Definition von Korruption aufgrund
kultureller Differenzen als sehr schwierig bis unmöglich erweisen kann. Was in einem Land
zweifelsfrei als korrupt gilt, muss nicht unbedingt auch auf andere Kulturkreise zutreffen.
Demnach sollte die transkulturelle Begriffsklärung von Korruption möglichst einfach gehalten
und erst innerstaatlich auf juristischer Ebene präzisiert werden.
Zitat aus Interview 7:
„Also ich glaube, […] man muss den Begriff einfach definieren, was verstehen wir darunter und dann alles, was drüber und drunter ist, fällt in den kulturellen Kaviar. […] In unserer Gesetzgebung ist es so, dass, wenn man jetzt public procurement betreibt, z.B. etwas einkauft, das ganz einfach, was die Parameter des Gutes betrifft, das billigste Gut eingekauft werden soll. […] In vielen Kulturen ist das nicht so. Ist aber nicht unbedingt jetzt Korruption, na, da wird gekauft von einem Familienmitglied aus dem Grund, weil es dann ein Quid pro quo ist. Man sagt ok, ich kauf was von dir, dann erwarte ich, dass du von mir was kaufst.“
168
5.7.2 Ausmaß von Korruption
Nachfolgend werden die Ergebnisse zum wahrgenommenen Ausmaß von Korruption im
österreichischen Gesundheitssystem anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle
15) erläutert. Angemerkt sei, dass die Erhebung des Korruptionsausmaßes nicht im
Vordergrund des Erkenntnisinteresses stand, da derartige Schätzungen zum
Korruptionsausmaß auf der persönlichen Wahrnehmung beruhen und auch aufgrund der
hohen Dunkelziffer wenig aussagekräftig sind. Somit lässt sich auch keine abschließende
Einschätzung zur Verbreitung und zum Schadensausmaß der im Folgenden dargelegten
Erscheinungsformen von Korruption abgeben. Es lassen sich lediglich grobe Aussagen über das
Korruptionsausmaß in Österreich tätigen.
Ausmaß von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Kategorien Häufigkeit
Zwischen 3 % und 10 % der österreichischen Gesundheitsausgaben 11
Rückgang, kein ernsthaftes Korruptionsproblem 4
West-Ost-Gefälle/Nord-Süd-Gefälle 3
Tabelle 15: Kategoriensystem zum Ausmaß von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem (Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Das Ausmaß von Korruption wurde in allen 18 Interviews erfragt, wobei drei
Experten hierzu keine Stellung bezogen.)
Dass das österreichische Gesundheitssystem vor Korruption und Missbrauch nicht gefeit ist,
wurde von keinem der befragten Experten angezweifelt. Allerdings gingen die Meinungen
weit auseinander, was das wahrgenommene Ausmaß von Korruption betrifft. Während die
Minorität (4 von 18 Befragten) im Ländervergleich von keinem ernsthaften Korruptions-
problem ausging bzw. von einem allmählichen Rückgang dank bisher gesetzter
Antikorruptionsbemühungen in den letzten zehn Jahren, schätzte die Majorität (11 von 18
Befragten) das Ausmaß mit dem Hinweis auf bestehende „Schlupflöcher“ und gewisse
Graubereiche von Korruption weitaus höher ein bzw. zwischen 3 % und 10 % der
österreichischen Gesundheitsausgaben. Drei der 18 befragten Experten verzichteten mit dem
Hinweis auf die Schwierigkeit und geringe Aussagekraft einer solchen subjektiven
Einschätzung auf eine diesbezügliche Stellungnahme.
169
Zitat aus Interview 8:
„Die Einschätzung ist schwierig, aber 10 %, also weniger ist es meiner Meinung nach auf keinen Fall, ja. Es geht sehr, sehr viel unter und man muss es halt wie gesagt sehr, sehr weit fassen, weil ich glaube, dass, wenn man den weiteren Begriff nimmt und auch wirklich sagt, wie werden Ärzte bezüglich Medikamenten informiert, was passiert hier? Die Transparenz von Studiendaten dazu nimmt, wenn man das wirklich ganz, ganz breit fasst, glaube ich, dass es noch mehr ist.“
Zitat aus Interview 9:
„Ich kenne auch diese Schätzungen, ja also 5-10 %, das sind Schätzungen, ja? Also ich glaube, es ist schwer abzuschätzen, ja, wie viel uns sozusagen verloren geht durch Korruption im System, aber ich nehme einmal an, dass wir in dem Bereich ungefähr liegen werden.“
Zitat aus Interview 10:
„Also je nach Definition, was Korruption ist, weil ja, Korruption ist ja oft so umfunktioniert, dass es gar nicht mehr als solche von den Akteuren wahrgenommen wird, halt ich diese 3-10 % für, ja, richtig geschätzt, ich glaube aber, dass eben sehr vielen, die daran beteiligt sind an solchen Themen, es gar nicht bewusst ist, weil Sie gar nichts anderes kennen.“
Zitat aus Interview 13:
„Also ich habe den Eindruck, dass das Thema insgesamt in den letzten Jahren massiv an Aktualität dahingehend gewonnen hat, dass einfach auch halt das Bewusstsein und der Umgang öffentlicher geworden ist, präsenter geworden ist, aber auch das Wissen, was versteht man unter Korruption bzw. was sind die Auswirkungen von Korruption. Ich glaube aber auch, und das ist auch gleich eine Aussage, ich bin mir sehr, sehr sicher, dass in Summe das Gesundheitswesen insgesamt weniger anfällig ist heute als vor zehn Jahren. Also da bin ich sehr, sehr überzeugt. […] Also ich glaube nicht, dass es in diesen Bereich [3-10 %] fällt.“
Zitat aus Interview 17:
„Also ich glaube, dass es schwer vergleichbar ist, Dinge, die vor zehn Jahren waren und heute sind. Also letztlich ist die Korruption wesentlich eindeutiger definiert, also, es ist ein größerer Personenkreis eindeutiger definiert, es ist ein Strafdelikt, ein ganz ein klares und dass das, wie es früher verstanden wurde, naja, der lockere Umgang, dass das wesentlich minimiert worden ist, weil einfach die Kriterien viel schärfer und klarer sind. […] Also jedenfalls fühle ich mich in einem relativ korruptionsfreien Umfeld.“
Hervorzuheben ist, dass insgesamt drei der 18 Befragten den Verdacht äußerten, dass es in
Österreich ein starkes West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälle gäbe, d.h., dass die
Korruptionsanfälligkeit bzw. das Korruptionsausmaß innerstaatlich aufgrund
unterschiedlicher kultureller Prägungen variiere. Dinge, die im Westen und Norden
Österreichs (z.B. Vorarlberg, Tirol) als verpönt gelten, würden im Osten und Süden (z.B.
Burgenland, Wien) aufgrund der eingehauchten „Ostblock- bzw. Balkaneinstellung“ toleriert
170
werden und daher eine gängige Praxis darstellen. Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde
folgende These abgeleitet:
V1 In Österreich besteht im Hinblick auf das innerstaatliche Korruptionsausmaß bzw. die
innerstaatliche Korruptionsanfälligkeit ein starkes West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälle.
Zitat aus Interview 4:
„Ich glaube, dass es da schon eine gewisse Abstufung gibt. Je weiter man in den Norden kommt, umso mehr ist die Sensibilität für das, was böse ist, Korruption, ausgeprägter. Und je weiter man in den Süden kommt und auch in den Osten teilweise, also, wenn ich jetzt, auf den Punkt gebracht, da vergleiche manche Ansätze in Vorarlberg und manche Ansätze in Wien/Niederösterreich/Burgenland dann merkt man schon auch z.B. in den Ärztekreisen, Gesundheitspersonal eine gewisse Laschheit je weiter man in den Osten kommt.“
Zitat aus Interview 6:
„Weil wir haben in Österreich ein extrem starkes West-Ost-Gefälle. […] Und das ist auch wieder aus der Vergangenheit erklärbar, das ist natürlich auch Ostblock.“
Zitat aus Interview 7:
„Ich gebe auch persönlich Anekdoten, wo ich persönlich also weiß, dass gewisse Dinge da im Osten anders gehandhabt werden als im Westen. Aber wiederum, das ist nicht wissenschaftlich fundiert, ich mein, das sind einfach persönliche Impressionen, ja.“
5.7.3 Erscheinungsformen von Korruption
Ausgehend vom vorliegenden Kategoriensystem (Tabelle 16) werden im Folgenden die
eruierten Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem nach
der Häufigkeit ihrer wahrgenommenen möglichen Korruptionsanfälligkeit45 aufgelistet und
beschrieben. Jene Erscheinungsformen, die nicht zu den korruptionsanfälligsten gezählt
wurden, werden nach der Häufigkeit ihrer Nennungen gereiht. Die identifizierten Einfallstore
für Korruption decken sich weitgehend mit jenen, die bislang auch in der Literatur – sowohl
auf internationaler Ebene (vgl. Kapitel 3.3) als auch auf nationaler (TI-AC 2010) – aufgezeigt
werden konnten. Darüber hinaus wurden auch „neu erkannte“ Korruptionsphänomene im
nationalen Gesundheitssystem (z.B. Überversorgung, „Upcoding“) aufgedeckt, die auf
45 Aussagen zum korruptionsanfälligsten Bereich im österreichischen Gesundheitssystem lassen sich in lediglich 13 der 18 geführten Interviews finden. Drei der 13 Experten nannten jeweils zwei Bereiche, die zu den korruptionsanfälligsten gezählt wurden.
171
internationaler Ebene längst als solche erkannt worden sind. Insgesamt wurden acht
Einfallstore für Korruption im nationalen Gesundheitssystem aufgedeckt. Zwar wurden
geringfügige Geschenke und der Missbrauch der E-Card (überwiegend auf Nachfrage hin) auch
thematisiert, allerdings wurden sie als weniger problematisch eingestuft, weswegen sie auch
in Tabelle 16 grau hinterlegt sind. Bei den dargelegten Erscheinungsformen von Korruption
besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Kategorien Häufigkeit
korruptionsan-fälligster Bereich
Häufigkeit Nennungen
Interaktionen zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals, Patienten oder Regulatoren
Einflussnahme auf Forschung, Fortbildung, Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)
Einflussnahme auf Patienten und Öffentlichkeit (Selbsthilfegruppen etc.)
Einflussnahme auf Arzneimittelzulassung, Arzneimittelpreise und Behördenaudits
5
17
16
8
8
Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen 4 16
Korruption in der öffentlichen Beschaffung 3 9
Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen
2 14
Überversorgung 1 10
Abrechnungsbetrug 1 10
Missbrauch von Nebenbeschäftigungen 17
Informelle Zahlungen/Kuvertmedizin 12
(Geringfügige Geschenke) 9
(E-Card-Missbrauch) 2
Tabelle 16: Kategoriensystem zu den Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Die Erscheinungsformen von Korruption wurden
in allen 18 Interviews erfragt.)
172
1. Interaktionen zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals, Patienten
oder Regulatoren
Die Industrie stellt einen wichtigen Player im Gesundheitssystem dar, der in erster Linie durch
die Zurverfügungstellung innovativer Medikamente und Medizinprodukte zur Verbesserung
der Lebensqualität kranker Menschen beitragen soll. Allerdings ist sie auch an der
Vermarktung und Umsatzsteigerung ihrer Produkte interessiert, wobei ihr nicht selten
unterstellt wird, ihre ökonomischen Ziele vor die sozialen zu stellen (TI-AC 2010, S. 15f.). Im
Spannungsfeld zwischen Profitinteressen und Patientenwohl erweist sich insbesondere die
Grenzziehung zwischen Kooperation und Korruption nicht immer als einfach. Obwohl die
Zusammenarbeit der (Pharma-)Industrie mit wichtigen Akteuren im Gesundheitssystem
(Ärzten, Patienten, Regulatoren etc.) für den wechselseitigen Informationsaustausch, die
Sicherstellung und Förderung des medizinischen Fortschritts und somit für die öffentliche
Gesundheit notwendig und wünschenswert ist, ist sie laut Kritikern mit den Marketing- und
Profitinteressen der Industrie nur schwer vereinbar (Schneider et al. 2011, S. 210). Dadurch
birgt sie ein großes Einfallstor für Korruption, welches auch von den befragten Experten am
häufigsten (17 von 18 Befragten) thematisiert wurde.
Dass im Anschluss überwiegend korruptionsnahe Interaktionen der pharmazeutischen
Industrie mit Medizinern, Patienten und Regulatoren beschrieben werden, liegt daran, dass
diese von den befragten Experten am häufigsten thematisiert wurden. Dies soll aber nicht
bedeuten, dass andere Industrien (Medizinproduktehersteller, Informationstechnologie,
Technik etc.) und Health Professionals (Pflegekräfte, Physiotherapeuten etc.) weniger anfällig
für Korruption seien.
Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Forschung, Fortbildung und
Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)
Das größte Einfallstor für Korruption im österreichischen Gesundheitssystem wurde in der
engen Zusammenarbeit zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals
(Medizinern) geortet. Insgesamt fünfmal wurde der Bereich zum korruptionsanfälligsten
gezählt, wobei beinahe alle Interviewteilnehmer (16 von 18 Befragten) auf die Thematik
eingingen. Dabei wurde insbesondere die Einflussnahme der Industrie auf die Forschung,
Fortbildung und die damit einhergehende Verschreibungspraxis der Ärzteschaft diskutiert.
173
Möglichkeiten, Einfluss auf die ärztliche Verschreibungspraxis zu nehmen, wurden allerdings
nicht nur im Bereich der Forschung und Fortbildung, sondern auch über den Einsatz anderer
unethischer Marketingpraktiken (übermäßige Gewährung von Naturalrabatten, Einsatz von
Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern etc.) gesehen. Angeprangert wurde vor
allem die Verwicklung von Ärzten in die wirtschaftlichen Interessen der pharmazeutischen
Industrie. Zwar waren sich alle Experten einig, dass gewisse Missstände, die vor zehn bis 15
Jahren noch gang und gäbe waren (z.B. unangemessene Rahmenprogramme auf Kongressen
wie Helikopterflüge etc., Übernahme der Aufenthaltskosten für Familienangehörige) bereits
der Vergangenheit angehören, dennoch wurde seitens mehrerer Personen die Vermutung
geäußert, dass weiterhin zahlreiche Schlupflöcher und „legale“ Möglichkeiten zur
„verdeckten“ Einflussnahme bestehen würden. Auf die Aktualität dieser Problematik wies
auch jüngst der Wiener Neurologe Fahmy Aboulenein (2016) in seinem Buch „Die Pharma-
Falle – Wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren“ hin.
Zitat aus Interview 8:
„Ich würde sagen, es gibt schöne Feigenblätter, aber die Situation hat sich meiner Meinung nach nicht geändert. Es gibt heute Regeln, wie man damit umgeht, und es gibt wie bei jeder Regel neue Wege, wie man diese Regeln umgeht. Es gibt offizielle Ethik-Kodizes und unterm Strich weiß man trotzdem, dass es so rennt, wie es rennt.“
Zitat aus Interview 9:
„Letztendlich findet die Industrie immer Möglichkeiten, das System, also das Gesundheitssystem, in dem Bereich, wo es für sie von Interesse ist, so zu gestalten, dass es für sie möglichst freundlich ist.“
Zitat aus Interview 14:
„Also diese, diese ganz argen Sachen, wenn ich das so formulieren darf, die finden nicht mehr statt. Ist es deswegen völlig weg, nein, nein, mit Sicherheit nicht. Es gibt also da noch viel zu tun. Und es gibt vor allem viel an Aufklärungsarbeit und an Sensibilisierungsarbeit zu leisten.“
Zitat aus Interview 18:
„Das Totschlagargument der Industrie, das ist alles ein alter Hut, NEIN.“
Im Bereich der Forschung wurden vor allem nicht-interventionelle Studien (Anwendungs-
beobachtungen), die seitens der öffentlichen Hand nicht finanziert werden, als ein weiterhin
bestehendes Schlupfloch für Korruption genannt. Zwar unterliegen nicht-interventionelle
174
Studien seit 2010 einer gesetzlichen Registrierungspflicht im nicht-interventionellen Studien-
register (vgl. Kapitel 4.2.1), dennoch wurde kritisiert, dass diese kaum kontrolliert werden und
somit nicht garantiert werden kann, dass diese nicht weiterhin als Marketinginstrument der
Pharmaindustrie und als zusätzliche Einkommensquelle der Ärzte zulasten der Patienten und
öffentlicher Kassen missbraucht werden. Einer der lukrativsten und zugleich anfälligsten
Bereiche für den Missbrauch nicht-interventioneller Studien wurde in der Onkologie geortet.
Es handle sich um kein unbedeutendes Nebeneinkommen, wenn im Rahmen einer
Anwendungsbeobachtung mehrere Patienten auf eine z.B. 50.000 Euro teure Therapie
eingestellt und pro Patient 2000 Euro von der Pharmaindustrie als sogenannte
„Aufwandsentschädigung“ kassiert werden. Solche überhöhten Aufwandsentschädigungen
wie auch unnötige Einstellungen von Patienten auf gewisse Arzneimittel würden eindeutig in
den Bereich von Korruption fallen. Ein Vertreter der Pharmaindustrie ging bereits von einem
wahrgenommenen Rückgang nicht-interventioneller Studien aus und erwähnte, dass sich sein
Unternehmen schon längst von dieser Praxis verabschiedet hätte. Inwiefern die im Juli 2016
eingeführte Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur Offenlegung sämtlicher
Zuwendungen an die Ärzteschaft dem Missbrauch nicht-interventioneller Studien zusätzlich
entgegenwirken wird können, kann aktuell noch nicht gesagt werden.
Zitat aus Interview 10:
„Beispielsweise Anwendungsstudien, wo Ärzte einen finanziellen Anreiz bekommen, ein Medikament zu verschreiben, weil sie dann pro ausgefülltem Bogen und Patient einen Aufwandsersatz kriegen, das ist ja etwas, was offiziell läuft. Das ist ja gar nicht einmal bei uns Korruption, aber das ist ein falscher Incentive, ja.“
Der gegenwärtige medizinische Wissenschaftsbetrieb in Österreich wurde nicht nur im
Hinblick auf Anwendungsbeobachtungen kritisiert. Beispielsweise führte ein
Gesundheitsökonom an, dass die überwiegende Finanzierung der medizinischen Forschung
(angewandten Forschung und/oder experimentellen Forschung) 46 durch die Industrie
aufgrund mangelnder öffentlicher Gelder dazu führe, dass Forschungsprojekte in eine falsche
(produktgetriebene) Richtung gelenkt werden würden. Seiner Ansicht nach komme es auf
diese Weise zu einer unglaublichen Verschwendung von Forschungsgeldern durch die
Auswahl irrelevanter Forschungsinhalte, die ausschließlich der Gewinnmaximierung der
46 Die Finanzierung der Grundlagenforschung erfolgt in Österreich hauptsächlich durch die öffentliche Hand (Hintringer 2011, S. 18).
175
Unternehmen und weniger einer evidenzbasierten, qualitativen Gesundheitsversorgung
dienlich wären. Als Beispiel führte er den onkologischen Bereich an, in dem wahnsinnig viel
geforscht wird, obwohl die Erfolgsrate relativ gering sei. Die auf den Markt gebrachten
hochpreisigen, aber wenig „innovativen“ Arzneimittel (sogenannte „Scheininnovationen“)
sollen vor allem zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets und der Patienten gehen.
Zitat aus Interview 2:
„Ich behaupte, dass 80 % der Dinge, die von der Industrie gesponsert sind, nur produktgetriebene Forschung ist und von unjeglicher Relevanz, also das behaupte nicht nur ich, da gibt‘s viele Menschen, die das behaupten.“
Weiters wurde angemerkt, dass industriegesponserte medizinische Forschung auch dazu
führe, dass Studienergebnisse zwar nicht unbedingt gefälscht, aber sehr häufig intransparent
dargestellt („beschönigt“, „korrigiert“) oder sogar im Falle negativer Ergebnisse gar nicht erst
publiziert werden. Im Einklang mit der Theorie (Hintringer 2011, S. 18; Petkov & Cohen 2016,
S. 10) komme es dadurch zu einer Verzerrung der tatsächlich vorhandenen wissenschaftlichen
Evidenzlage, dem sogenannten Publikationsbias, der sich in weiterer Folge negativ auf die
ärztliche Verschreibungspraxis auszuwirken vermag. Ein Vertreter von Transparency
International wies in diesem Kontext auf das Problem „unsauberer“ Studiendesigns hin,
wodurch es häufig zu einer Überschätzung der Wirksamkeit und Unterschätzung der
Nebenwirkungen von Arzneimitteln käme. Die Ansichten der Experten laufen konform mit den
Ergebnissen internationaler Studien, die den Zusammenhang zwischen Industriesponsoring
und positiven Studienergebnissen belegen (Yaphe et al. 2001; Lexchin et al. 2003; Ahn et al.
2017). Herausgegriffen sei an dieser Stelle erneut die systematische Literaturübersicht der
deutschen Ärzteschaft, die darauf schließen lässt, dass die Finanzierung einer
Arzneimittelstudie durch die pharmazeutische Industrie Einfluss auf die Interpretation und
Protokollierung der Studienergebnisse zugunsten des Sponsors nehmen kann, wodurch solche
Studien im Vergleich zu anderweitig finanzierten Studien häufiger zu einem für die
Pharmaindustrie vorteilhaften Ergebnis gelangen. Unterschiede in methodischer Hinsicht
konnten allerdings nicht festgestellt werden (Schott et al. 2010). In diesem Kontext sei auf die
Erfolgsgeschichte des Grippemittels „Tamiflu“ bzw. „Oseltamivir“ verwiesen, die
hauptsächlich auf geschönten Ergebnissen, zurückgehaltenen Studien, pharmaabhängigen
Autoren und dem Versagen von Regulierungsbehörden gegründet haben soll (Sprenger 2012,
S. 18ff.; Grandt 2013, S. 107f.).
176
Zitat aus Interview 9:
„Also dieser Publikationsbias, vieles wird nicht publiziert, publiziert werden vor allem Positivstudien, aber da sind wir schon eigentlich sozusagen in diesem Bereich dieser Verzerrungen, dieses Bias, ja. Aber das geht dann noch viel weiter, ja. Also viele dieser Studienergebnisse sind eigentlich nicht wirklich relevant, ja. […] der sagt, 90 % von dem könnt ihr schmeißen, weil das ist nicht repräsentativ, das gilt nur für die Studienpopulation, aber nicht für den Rest der Welt, und und und. Also da haben wir riesige Probleme, wenn man so will, ja.“
Was die ärztliche Fortbildung betrifft, wurde auf die Problematik hingewiesen, dass die Kosten
für ärztliche Kongressbesuche weiterhin zum überwiegenden Teil von der Industrie (Pharma-
und Medizinproduktehersteller) getragen werden und diese somit auch in gewisser Weise
gelenkt seien, d.h., dass selektiv in bestimmten Bereichen (vor allem in lukrativen)
weitergebildet wird. Aufgrund der stetig steigenden Kongressgebühren (bis zu 1000 Euro
exklusive Quartier und Verpflegung) und der gesetzlichen Fortbildungsverpflichtung (ÄrzteG §
49) 47 bei gleichzeitig fehlender öffentlicher Finanzierung sollen Ärzte regelrecht in die
finanzielle Abhängigkeit der Industrie und somit in die industriegetriebene Fortbildung
gedrängt werden. Internationalen Schätzungen zufolge soll mehr als die Hälfte aller
Fortbildungsaktivitäten durch die Industrie gesponsert sein (Podolsky & Greene 2008). Dabei
muss sich die Unterstützung nicht nur auf finanzielle Zuschüsse beschränken, sondern kann
auch Mitspracherechte bei der Referentenbestellung und Themenauswahl beinhalten
(Hintringer 2011, S. 18f.; Kern-Homolka 2013, S. 14f.). Nach Ansicht der befragten Experten
sollen pharmagesponserte Fortbildungen, die wirklich unabhängig sind (keine industrielle
Einflussnahme auf Organisation und Inhalte), eher eine Ausnahme darstellen. Laut einer
Studie von Wild et al. (2015b) belief sich das ermittelte Gesamtsponsoring für ärztliche
Fortbildung in Österreich im Jahr 2014 – in Abhängigkeit vom medizinischen Fach – zwischen
14 % (Angiologie) und 67 % (Rheumatologie), wobei die finanziellen Unterstützungsleistungen
hauptsächlich von Pharma- und Medizinprodukteherstellern aus dem jeweiligen Fach,
vornehmlich von „High-Cost“- und/oder „High-Volume“-Produkten, stammen. Mangels
kontrollierter Meldungen wurde der tatsächliche Sponsoringanteil weitaus höher geschätzt
(Wild et al. 2015b). Dass sich Industriesponsoring verzerrend auf medizinische
Fortbildungsinhalte und die ärztliche Verschreibungspraxis (höhere Verschreibungsraten,
inadäquate Verschreibung medizinischer Produkte) zugunsten des Sponsorpräparates
47 Nach den geltenden Bestimmungen (Verordnung über ärztliche Fortbildung, konsolidierte Fassung 2013) müssen Ärzte innerhalb von fünf Jahren im Rahmen des Diplom-Fortbildungs-Programms (DFP) 250 Punkte (einst 150 Punkte innerhalb von drei Jahren) durch den Besuch von approbierten Veranstaltungen, Literaturstudium oder E-Learning erwerben (Tschachler 2010, S. 7; ÖÄK 2013).
177
auszuwirken vermag, wurde auf internationaler Ebene bereits durch mehrere
Studienergebnisse verdeutlicht (Bowman & Pearl 1988; Wazana 2000; Katz et al. 2002;
Schneider & Lückmann 2008; Spithoff 2014, S. 694; Wild et al. 2015b, S. 9). Beispielsweise
konnte bereits vor knapp 20 Jahren in einer Studie aufgezeigt werden, dass Ärzte, deren
Fortbildungskosten durch die Industrie übernommen werden, dazu neigen, die Produkte ihres
Sponsors in den Folgemonaten bevorzugt zu verschreiben (Bowman & Pearl 1988). Dies dürfte
nicht zuletzt daran liegen, dass in industriegesponserten Fortbildungsveranstaltungen
Produkte des Sponsors häufiger erwähnt werden (Wazana 2000, S. 377). Grundsätzlich kann
daher davon ausgegangen werden, dass industriegesponserte ärztliche Fortbildung zur
Umsatzsteigerung bestimmter Produkte beiträgt, was vorrangig den Profitinteressen der
Industrie und weniger einer evidenzbasierten, qualitativ hochwertigen
Gesundheitsversorgung zugutekommt (Schneider et al. 2011, S. 210).
Zitat aus Interview 7:
„[…] dass ganz einfach selektiv in gewissen Bereichen weitergebildet wird, wo natürlich auch die Industrie was zu verkaufen hat. In anderen Gebieten, wo es nichts zu verkaufen gibt oder weniger zu verkaufen, es deswegen keine Weiterbildung gibt. Und also so hingehend wiederum, da kann man nicht argumentieren, das ist Korruption, das ist einfach dann zweifelhafte Geschäftspraktiken, das ist nicht illegal, ja.“
Zitat aus Interview 8:
„Der Einfluss der Pharmaindustrie auf jeden Fall, der Einfluss über die Fortbildung oder über die sogenannte Fortbildung, die sehr industriegetrieben ist, einerseits was die Preise von Fortbildungsangeboten angehen, dass kaum noch wer privat wo hinfahren kann auf einen größeren Kongress, weil es so teuer ist. Da muss man sich fast einladen lassen. Und dass die Fortbildung selber, dass da die Industrie sehr dahinter steht, auch wenn es offiziell neutrale Referenten sind.“
Zwar werden Einladungen zu Kongressen vielerorts nicht mehr direkt an die betroffenen Ärzte
ausgesandt, sondern erfolgen indirekt über den Vorgesetzten bzw. die Organisationsleitung,
dennoch konnte ein Arzt keinen großen Unterschied darin erkennen. Laut ihm nehme auch
die Wahrscheinlichkeit, zu einem Kongress eingeladen zu werden, mit der Zahl der
Verschreibungen zu. Während er eine solche Praxis als direkte Bestechung auffasste, gab ein
anderer Mediziner zu, dass er kein Problem darin sehe, warum er das Produkt jenes
Unternehmens, welches ihm in Form von Kongresseinladungen etc. Gutes tue, nicht öfters
verschreiben könnte. Seiner Ansicht nach schade er dem Patienten dadurch nicht, da es
178
aufgrund der strengen Zulassungsregulierungen am Medizinmarkt kein schlechteres Produkt
gäbe, sondern lediglich mehrere vergleichbare Präparate von verschiedenen Firmen.
Zitat aus Interview 6:
„Diese Kanülen gibt es von vier Firmen. Die sind völlig ident. Wenn Sie mir die Augen verbinden, da gibt es keinen Unterschied. Also nehme ich natürlich die von der Firma, die mir Gutes tut. Aber damit tu ich dem Patienten ja nichts Schlechtes.“
Dass es sich bei den präferierten Markenprodukten zumeist um viel teurere Arzneimittel
handelt, die vor allem zulasten der Krankenkassen gehen, bleibt häufig unberücksichtigt. Laut
den Ergebnissen der bereits erwähnten jüngst veröffentlichten Studie aus den USA, in der der
Zusammenhang zwischen finanziellen Beziehungen zu Pharma-/Medizinprodukteherstellern
und der Verschreibungspraxis von Ärzten untersucht wurde, nimmt die Wahrscheinlichkeit
(teilweise zwei- bis dreimal so hoch), ein – zumeist im höheren Preissegment liegendes –
Markenprodukt zu verschreiben, mit der Entgegennahme finanzieller Zuwendungen zu.
Neben direkten finanziellen Zuwendungen für Vorträge, Beratungen etc. können bereits
harmlos erscheinende Essenseinladungen Einfluss auf die Verschreibungspraxis nehmen
(Grochowski Jones & Ornstein 2016). Drei Untersuchungen des Ludwig Boltzmann Instituts für
Health Technology Assessment (Wild et al. 2015a; Wild et al. 2015b; Gregor-Patera et al. 2016)
bestätigen, dass Sponsoring auf nationaler Ebene vor allem im Bereich hochpreisiger Arznei-
mittel stattfindet (Hämato-Onkologie, Rheumatologie, Neurologie, Endokrinologie, etc.).
Auf Basis der vorliegenden empirischen Erkenntnisse wurden folgende zwei Thesen
abgeleitet:
E1 Pharmagesponserte medizinische Forschung und Fortbildung werden in eine
produktgetriebene Richtung gelenkt.
E2 Health Professionals (Mediziner), die finanzielle Zuwendungen seitens der Industrie
erhalten, verschreiben vermehrt deren Produkte.
Weiteres thematisiert wurde von den befragten Experten das Problem der sogenannten
Meinungsbildner (opinion leader) – Fachexperten, die sich öffentlich zu einem bestimmten
Thema äußern und dadurch andere in ihrer objektiven Meinungsbildung beeinflussen (Kern-
Homolka et al. 2011, S. 18). Kritisiert wurden insbesondere Ärzte, die im Auftrag bestimmter
Firmen auf sogenannten „Satellitensymposien“ im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen
179
„Expertenvorträge“ zu bestimmten Produkten oder Therapien halten und damit auch die
Verschreibungspraxis ihrer Kollegen zugunsten einzelner Firmen beeinflussen können. Solche
„Expertenvorträge“ wurden mitunter als regelrechte Verkaufsveranstaltungen bezeichnet.
Neben den Meinungsbildnern wurde auch die Unabhängigkeit von medizinischen
Fachgesellschaften und die Objektivität ihrer (Leitlinien-)Empfehlungen und
Konsensusberichte in Frage gestellt, da diese oftmals Meinungsbildner an Bord hätten und
teilweise von den Pharmafirmen finanziert werden würden.
Zitat aus Interview 9:
„Da gibt es diese Expertenmeetings, ja, wo man dann Expertenvorträge hat, die auch deklariert sind als Expertenvorträge, gesponsert von den Firmen. […] Also, die sind ja extrem anfällig. Also, wenn du dann irgendwelche Professoren ständig nach vorne stellst, ja, die natürlich klar sagen Glaxo finanziert das oder Merck finanziert das, ja, dass ich da rede da, ich bin opinion leader, ich bin der Experte. Das ist grenzwertig, das ist absolut grenzwertig. […] Diese Mitmäuler, die es nach wie vor gibt, ja, diese gekauften opinion leader, die sind natürlich auch extrem aggressiv, wenn du sie in diese Richtung anredest.“
Zitat aus Interview 18:
„Aber die Industrie schafft es, manipulativ Einfluss zu nehmen, in jedem einzelnen Bereich, der für das Gesundheitswesen relevant ist. Das fängt an ab der Forschung, geht dann weiter über die Forschung zu der Verschreibungspraxis des einzelnen Arztes, als auch dann über Multiplikationseffekte von Ärzten, Fachgesellschaften, Fachgremien über die verschreibenden Ärzte hinaus bis hin dann auch über die Interessensvertretung der Industrie zur Politik, Lobbyismus.“
Neben dem Forschungs- und Fortbildungsbereich wurden im Rahmen der geführten
Interviews auch andere unethische Marketingpraktiken der Industrie zur Beeinflussung der
Verschreibungspraxis der österreichischen Ärzteschaft diskutiert. Beispielsweise soll laut der
Aussage eines Vertreters der Pharmaindustrie die übermäßige (sprichwörtlich „kistenweise“)
Gewährung von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte eine weiterhin gängige Praxis in
Österreich darstellen, und dies trotz des vorliegenden gesetzlichen Verbotes (§ 55a AMG). Wie
auch ein Vertreter der Ärztekammer merkte er zusätzlich an, dass es auch in den Graubereich
von Korruption falle, wenn ein Krankenhausbetreiber das Medikament einer Firma trotz
Kostenvorteilen über längere Zeit bevorzuge, da dies im Rahmen der Streuwirkung und über
die Einstellung der Patienten auf ein bestimmtes Medikament wiederum zu einer vermehrten
Verschreibung im niedergelassenen Bereich führe.
180
Ausgehend von dieser empirischen Erkenntnis wurde folgende These aufgestellt:
E3 Trotz des gesetzlichen Verbotes werden Naturalrabatte an niedergelassene Ärzte nach wie
vor im Übermaß gewährt.
Heftige Kritik wurde auch am Berufsbild der Pharmareferenten und Medizinproduktevertreter
geübt, indem diese weniger für wichtige Informationslieferanten als vielmehr für
kompetenzlose Industrievertreter, die mit ihren Produktbroschüren in erster Linie
zielgerichtetes Marketing betreiben, gehalten wurden. Ein Vertreter von Transparency
International ging allerdings bereits von einem wahrgenommenen Rückgang dieser
Berufsgruppe aus.
Zitat aus Interview 18:
„Ja, also, es ist ein gesetzlich anerkannter Beruf [Pharmareferent]. Gut, schön, ja gut, und was haben die im Spital zu suchen? Welche Expertise haben die? Kennen die sich wirklich aus? Die haben ja auch nur die halbe Wahrheit, die haben ihre Produktbroschüren, die zielgerichtetes Marketing sind, im Prinzip, was anderes sind die nicht, um bei den Ärzten vorzusprechen. Nicht? Die Daten sind in Wirklichkeit abrufbar über die öffentlichen Datenbanken, das ist überhaupt kein Problem, Journale gibt es auch genug.“
Bislang gesetzte Maßnahmen zur Vorbeugung von Korruption an der Schnittstelle zwischen
Industrie und Ärzteschaft (z.B. Verhaltenskodizes, Veröffentlichung von Honorarzahlungen)
wurden als wichtig und notwendig erachtet, allerdings wären diese nicht ausreichend, um die
Einflussnahme der Industrie endgültig zu unterbinden. Beispielsweise bezeichnete ein Arzt die
Offenlegung sämtlicher Geldflüsse seitens der Pharmaindustrie als „intransparente
Transparenz“, solange diese überwiegend in aggregierter Form stattfinde. Diesbezüglich wies
ein Vertreter der Pharmaindustrie darauf hin, dass dies in erster Linie am mangelnden
Problembewusstsein und an der erforderlichen Einverständniserklärung der Ärzte läge und
weniger an der Industrie. Zudem müsste die Einhaltung von Verhaltenskodizes strenger
kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert werden. Insbesondere gilt es, allfällige Schlupf-
löcher zur Umgehung solcher Regeln, wie beispielsweise über das Outsourcing des „Rechts-
und Regelbrechens“ an externe Dienstleister, frühzeitig aufzudecken und zu unterbinden.
Zitat aus Interview 12:
„Vor zehn Jahren hätte ich gesagt, das größte Problem ist die Industrie, heute sage ich, das größte Problem sind die Ärzte.“
181
Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Patienten und Öffentlichkeit
Neben der Einflussnahme der (pharmazeutischen) Industrie auf Health Professionals wurde
mehrmals (8 von 18 Befragten) auch ihre Einflussnahme auf Patienten und Öffentlichkeit
angeprangert. Laut Expertenansicht soll es in den letzten Jahren einen starken Wandel
gegeben haben, nämlich von der Beeinflussung der Ärzte zur vermehrten Beeinflussung der
Patienten und Öffentlichkeit. Demnach versuche die Industrie vermehrt über den direkten
Kontakt mit den Patienten bzw. der Bevölkerung ihre Produkte zu vermarkten und die
verbotene Laienwerbung (§ 51 AMG) zu umgehen. Insbesondere sollen Patienten-
organisationen bzw. Selbsthilfegruppen, die aufgrund fehlender öffentlicher Finanzierung
häufig auf Mittel der Industrie angewiesen sind, eine neue Spielwiese und somit einen neuen
Nährboden für Korruption darstellen. Denn ein unabhängiges Agieren der Selbsthilfe im
Hinblick auf Information und Hilfestellung sei ab einem gewissen Grad der Fremdfinanzierung
nicht mehr sichergestellt. Laut internationalen Schätzungen trifft dies zu, sobald das Budget
der Patientenorganisation zu mehr als 20 % vom Sponsor getragen wird (Herxheimer 2003, S.
1209). Die größte Missbrauchsgefahr wurde in der „Direktvermarktung“, beispielsweise im
Rahmen pharmagesponserter Expertenvorträge, geortet, die letztlich zur Schaffung falscher,
unnötiger oder teurer Patientenbegehrlichkeiten führen soll. Schließlich stellt nicht jedes von
der Pharmaindustrie angepriesene Medikament für jeden Patienten die Heilsbotschaft dar
oder weist seine propagierte Wirksamkeit auf. In diesem Kontext sei auch auf das Problem
hingewiesen, dass Patientenorganisationen auch für Lobbyingzwecke instrumentalisiert
werden können, indem deren Mitglieder entsandt werden, um Einfluss auf wichtige
Entscheidungsträger (z.B. Arzneimittelzulassung) zu nehmen (Hintringer 2011, S. 18).
Basierend auf Studienergebnissen aus den USA quantifizierte der Vorsitzende der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, das durch-
schnittliche Kosten-Nutzen-Verhältnis des Sponsorings von Selbsthilfegruppen mit eins zu
vier. Anders ausgedrückt: Jeder in eine Selbsthilfegruppe investierte Dollar bringt der Industrie
das Vierfache an Umsatz ein (TI-AC 2010, S. 24). Obwohl die Instrumentalisierung von
Selbsthilfegruppen zu Marketingzwecken der (pharmazeutischen) Industrie im Rahmen der
geführten Interviews als „neue Spielwiese für Korruption“ aufgedeckt wurde, muss an dieser
Stelle angemerkt werden, dass bereits Transparency International – Austrian Chapter in
seinem Grundsatzpapier vor zehn Jahren auf diese Problematik aufmerksam gemacht hat
(TI-AC 2010, S. 24f.).
182
Zitat aus Interview 5:
„Gerd Glaeske aus Deutschland hat geschrieben, dass eine Zeit lang Pharmafirmen auch gesagt haben, wir gehen nicht mehr auf die Ärzteschaft los, sondern wir kaufen uns Selbsthilfegruppen und es ist ein Investment nach der Studie von Gerd Glaeske wesentlich besser als bei der Beeinflussung des Verschreibungsverhaltens von Ärzten. Also Selbsthilfeorganisationen könnten möglicherweise eine neue Spielwiese sein.“
Zitat aus Interview 8:
„Einerseits die Beeinflussung der Öffentlichkeit und der Patienten ist ein Riesenthema, weil es, glaube ich, noch sehr unterschätzt wird. Es hat einen Wandel gegeben, weg von der Beeinflussung der Ärzte hin zur Beeinflussung der Patienten, das Schaffen von Begehrlichkeiten, das ist meiner Meinung nach eigentlich der größte Punkt, der wirklich sehr unterschätzt wird derzeit.“
Zitat aus Interview 12:
„Selbsthilfegruppen, also d.h. diese Gruppierungen oder die Patientenvertretungen, sind in Österreich halt nicht klar neutral gefundet und daher sind sie halt immer auf der Suche nach Geldmitteln und machen sich natürlich daher auch anfällig für, ja, dass man sie verwendet sozusagen.“
Inwiefern die Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur Offenlegung sämtlicher
Zuwendungen an Selbsthilfegruppen ihrer Einflussnahme langfristig entgegenwirken wird
können, kann bislang noch nicht gesagt werden. Kritisiert wurde, dass sich bislang nur die
Industrie, jedoch nicht Patientenorganisationen zur Offenlegung verpflichtet hätten. Laut der
bereits erwähnten jüngeren Bestandsaufnahme von Wild et al. (2015a) sollen die meisten
Unterstützungsgelder im Jahr 2014 an Selbsthilfegruppen in den Bereichen Neurologie,
Hämato-Onkologie, Rheumatologie und Hämophilie geflossen sein. Das auf Basis der
veröffentlichten Daten ermittelte Gesamtsponsoring soll 2014 insgesamt 1,146 Mio. Euro
betragen haben, wobei das wahre Ausmaß weitaus höher geschätzt wird.
Auf Basis der vorliegenden empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:
E4 Selbsthilfegruppen können von der Industrie zur Direktvermarktung missbraucht werden.
Eine weitere Möglichkeit, direkten Einfluss auf Patienten und Öffentlichkeit zu nehmen,
welche sich nach Expertenmeinung auch im Graubereich von Korruption bewegt, stellt die
Forcierung gesundheitsbezogener Awareness-Kampagnen (z.B. Impfkampagnen, Vorsorge-
maßnahmen) dar, um Bevölkerung und Regierende zum kollektiven Einkauf bestimmter
Produkte zu bewegen. Eine solche Vermischung von Werbung und Information sei nur schwer
durchschaubar. Mehrmals (drei der acht Befragten) wurde in diesem Zusammenhang die HPV-
183
Impfung (Impfung gegen humane Papillomaviren) als klassisches Beispiel angeführt, die
europaweit angeblich nur in Österreich für Mädchen und Jungen empfohlen wird, obwohl der
Nutzen – insbesondere für letztere Zielgruppe – in Fachkreisen durchaus kontrovers diskutiert
wird (Kern-Homolka 2013, S. 14). Vermutet wurde eine Verwicklung einzelner Mitglieder der
österreichischen Impfkommission in die wirtschaftlichen Interessen der pharmazeutischen
Industrie. Entgegen der Meinung der Experten muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass
mittlerweile Studienergebnisse vorliegen, die den Nutzen einer HPV-Impfung bei Jungen
durchaus belegen (Giuliano et al. 2011). Neben der umstrittenen HPV-Impfung sei ferner an
den „Schweinegrippe-Hype“ 2009/2010 verwiesen, der Entscheidungsträger und
Krankenkassen zum übermäßigen Einkauf unnötiger Impfstoffe veranlasst hat, obwohl er
letztlich milde verlaufen ist. Mittlerweile wird die Schweinegrippeimpfung zu den größten
Marketingkampagnen der letzten Jahre gezählt (Kern-Homolka et al. 2011, S. 21f.).
Zitat aus Interview 1:
„Ganz eigenartige Entscheidungen, man impft der Pharma in Österreich die Buben, ja, bei HPV, ja, ich glaube sonst nirgends. […] Warum gerade eine völlige Ausnahme, die Effizienz sozusagen oder der Nutzen nicht wirklich da nachgewiesen, nicht öffentlich diskutiert, nur mit viel Werbung vorbereitet wurde.“
Zitat aus Interview 8:
„Klassisches Beispiel auch die HPV-Impfung in Österreich als einziges europäisches Land für Buben empfohlen und von der öffentlichen Hand finanziert. Und auch da gibt es jemanden in der österreichischen Impfkommission, der von dieser Firma profitiert, würde ich einmal vorsichtig sagen, und der keinen Interessenkonflikt bekannt gegeben hat.“
Einflussnahme der Pharmaindustrie auf Arzneimittelzulassung, Arzneimittelpreise und
Behördenaudits
Im Graubereich von Korruption bewegt sich nach Ansicht mehrerer Experten (8 von 18
Befragten) häufig auch die gesamte Thematik rund um Arzneimittelzulassung,
Arzneimittelpreise und Behördenaudits. Kritik wurde vor allem an der schnellen
Zulassungsgeschwindigkeit von Arzneimitteln, deren Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und
Überlegenheit gegenüber anderen Präparaten nicht ausreichend nachgewiesen werden
konnte, geübt.48 Vermutet wurde u.a. eine Einwirkung der pharmazeutischen Industrie auf
48 Angemerkt sei, dass die Überlegenheit gegenüber anderen Arzneimitteln nach geltendem Arzneimittelgesetz (§§ 7 bis 27) keine Voraussetzung für eine Zulassung darstellt; erforderlich ist nur der Nachweis über eine den Risiken überlegene Wirksamkeit.
184
öffentliche Entscheidungsträger (z.B. AGES – Österreichische Agentur für Ernährungs-
sicherheit), denen massive Interessenkonflikte unterstellt wurden. Schließlich dürfe die
Zulassung oder Nicht-Zulassung eines Arzneimittels ausschließlich von der Überprüfung der
zugrunde liegenden Studiendaten abhängig sein.
Zitat aus Interview 7:
„Wir haben immer noch einen der höchsten, also in der OECD, einen der schnellsten Zulassungsgeschwindigkeiten. […] Und andere Länder sind da viel, viel vorsichtiger ja, also die schauen sich das an, was bringt es, außer neue Kosten, ist es effektiv das Medikament vis-à-vis älteren Medikamente usw. Also da wird viel sorgfältiger abgewogen, in Österreich ist man da sehr, sehr schnell. Also im Prinzip ein goldener Boden für die Pharmawirtschaft.“
Zitat aus Interview 16:
„[…] wenn man wirklich neue Arzneimittel registrieren will, sei es jetzt europaweit oder österreichweit, dann benötigt man ja klinische Studien, benötigt man ja einen gewissen Clinical Assessor. Und hier, glaube ich, ist schon der erste Schritt, wo Österreich sehr anfällig sein kann, ich vermute es auch ist, um gewisse Studien zu akzeptieren bei dem einen und bei dem anderen nicht zu akzeptieren. […] Wenn man schon bei der Registrierung von Arzneimitteln ist, […] also von der Firma aus haben wir doch sehr viele Kunden und manche Kunden schaffen es einfach spielend zu registrieren, manche schaffen es gar nicht. Also das ist für mich, sag ich einmal, der erste Punkt, wo ich glaube, viel Korruption zu schnuppern, ja? Also sprich bei der Registrierung von Arzneimitteln.“
Neben der Zulassungsgeschwindigkeit wurde auch die überhöhte Preisgestaltung von
Pharmaka angeprangert, die öffentliche Gesundheitsbudgets zu sprengen drohe und vielen
Patienten den Zugang zu einem effektiven Arzneimittel verwehre. Nach Ansicht eines
Vertreters der Gebietskrankenkasse stellen überhöhte Medikamentenkosten aktuell eines der
größten Probleme für die Krankenkassen und einen guten Nährboden für Korruption dar.
Weder die Produktions- noch Forschungs- und Entwicklungskosten könnten eine solche
überhöhte Preispolitik rechtfertigen. Das Problem überhöhter Medikamentenpreise zulasten
der jeweiligen Kostenträger (Bund, Länder, Krankenversicherung etc.) wird auch in der jüngst
veröffentlichen Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und
Gesundheitsbereich diskutiert (LSE 2017a, S. 70).
Zitat aus Interview 8:
„Ich sehe es eher in dem Bereich Medikamentenkosten. Das ist eine riesige Baustelle, da sind große Summen dahinter und auch sehen wir, dass ganz massiv interveniert wird, Fortbildungen, Stakeholder ins Boot geholt werden, bevor Medikamente überhaupt auf den Markt kommen. Ja, also Medikamente kosten, neue, teure Medikamente, das ist eigentlich das größte Thema, für uns das größte Problem.“
185
Zitat aus Interview 9:
„Die Bereiche, die uns derzeit unser Solidaritätssystem zu sprengen drohen, das sind diese hochpreisigen Arzneimittel und die sind vor allem in der Onkologie. Und die geraten zurzeit ein bisschen aus den Fugen. Das bedeutet auch immer, bei endlichen Mitteln bedeutet das immer, dass man dann in anderen Bereichen sparen muss.“
Am häufigsten (vier der acht Befragten) wurden in diesem Kontext – neben den hochpreisigen
Onkologika (Arzneimittel zur Krebsbehandlung) – die überhöhten Kosten für die neue,
angeblich hochwirksame und weitgehend nebenwirkungsfreie Hepatitis-C-Therapie genannt.
Aktuelle Studienergebnisse scheinen die Wirksamkeit (Heilungsraten zwischen 90-100 %),
Sicherheit und Verträglichkeit der neuen, dafür eingesetzten Arzneimittel zu bestätigen
(Zeuzem 2017). Allerdings wurde im Rahmen der geführten Interviews auch kritische Stellung
hierzu bezogen. Es lägen noch viel zu wenige Studiendaten vor, als dass man schon wirklich
etwas über die Wirksamkeit dieser neuen Therapie sagen könnte. Außerdem müsste man die
Studienergebnisse differenzierter betrachten, d.h. im Hinblick darauf, für welche Patienten-
gruppen tatsächlich Heilungsaussichten bestehen würden. Zudem wären die Arzneimittel viel
zu schnell zugelassen worden. Anfangs beliefen sich die Kosten für eine zwölfwöchige
Hepatitis-C-Therapie in Österreich auf ca. 80.000 Euro. Mittlerweile konnte der Preis dank
erneuten Preisverhandlungen auf ca. 20.000-30.000 Euro gesenkt werden, wobei er noch
immer viel zu hoch angesetzt ist, um alle Patienten damit behandeln zu können. Die
Kostenübernahme durch die österreichischen Krankenkassen für die Behandlung einer
Hepatitis C vom Genotyp 2 oder 3 hängt nach wie vor vom Stadium der Erkrankung ab (APA
2017b).
Zitat aus Interview 2:
„Diese Medikamente scheinen tatsächlich hochwirksam im Vergleich zu anderen Dingen, die auf dieser Welt auf dem Medizinmarkt purzeln, aber man muss da schon differenzierter hinschauen, wo es tatsächlich Beweise gibt, für welche Patientengruppe von Hepatitis-C-Erkrankten.“
Zitat aus Interview 8:
„Der Preis ist extrem hoch, der Preis ist unethisch hoch meiner Meinung nach, es ist sehr schnell zugelassen worden, es ist zugelassen worden mit Vergleichsdaten, die nicht ganz korrekt sind, und es läuft jetzt unter, die Patienten haben keine Alternative, also brauchen sie das. Und ich bin gespannt, wie man in zehn Jahren darüber redet, wenn bekannt ist, wie es wirklich funktioniert hat.“
186
Was die Auditierung pharmazeutischer Unternehmen durch Behörden (z.B. AGES) zur
Überprüfung bestimmter Qualitätsstandards angeht, gab ein Vertreter der Pharmaindustrie
deutlich zu verstehen, dass diese durchaus sehr gelenkt sein kann, indem eben sehr
unregelmäßig auditiert oder Einfluss auf den Auditor und das Auditergebnis genommen wird.
Auch das interne Qualitätsmanagementsystem ließe einen gewissen Spielraum zu, was
schlimmstenfalls zur Einschleusung minderwertiger Arzneimittel auf den Medizinmarkt führen
kann.
Zitat aus Interview 16:
„Pharmazeutische Unternehmen werden ja in regelmäßigen Abständen von den Behörden auditiert. […] Auch hier sehe ich in meinem Umfeld Unregelmäßigkeiten. […] Hier gibt es viel Spielraum, abhängig von welchem Auditor man auditiert wird und wie dann auch das Audit ausfällt. […] Was immer wieder Spielraum lässt, ist natürlich der individuelle Spielraum der einzelnen Produzierenden. D.h. eben abhängig von der sachkundigen Person, die gewisse Sachen zulässt wie das Qualitätsmanagement-system, das die haben können, bis hin zu illegalen Arzneimitteln, illegale Arzneimittel ist übertrieben, aber bis hin zu Arzneimitteln, die incompliant sind, die nicht auf den Markt dürften, aber trotzdem auf den Markt kommen – persönlich haftend. D.h. wenn die sachkundige Person unterschreibt, ist sie diejenige, die das an und für sich auch dann zu verantworten hat.“
2. Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen
Das zweitgrößte Einfallstor für Korruption wurde in der Vergabe von Terminen für
diagnostische/therapeutische Leistungen und elektive Operationen geortet. Insgesamt vier
Experten stuften diesen Bereich als den korruptionsanfälligsten ein. Aufgegriffen wurde die
Problematik von nahezu allen befragten Experten (16 von 18 Befragten). Die Ergebnisse lassen
insgesamt darauf schließen, dass nach wie vor eine Verkürzung der Wartezeit (im
Gemeindespital) durch eine private Krankenzusatzversicherung, über den Besuch einer
Privatordination oder eine private Zuzahlung („Kuvertmedizin“) möglich ist. Die Annahmen
decken sich somit weitgehend mit den Ergebnissen vorangegangener Untersuchungen, in
denen ein solcher vermuteter Zusammenhang bereits empirisch belegt werden konnte
(Czypionka et al. 2013; VKI 2010, 2016).
Zitat aus Interview 2:
„In der [Name der Klinik] gibt es eine Ärztin, die hat einen Tag in der Woche reserviert, damit sie die Leute, die sie vorreiht, mit Scheckbuchmedizin operieren kann. Das weiß man, das weiß man in der [Name der Klinik] an der klinischen Spitze bis hinunter. Jeder weiß es.“
187
Zitat aus Interview 3:
„Es gibt dann schon Fälle, wo man sagt, naja, ich hab Hüftschmerzen, ich warte auf eine Operation, es ist ein elektiver Eingriff, d.h. also ein planbarer Eingriff. Und ich will aber nicht warten und ich will nicht Schmerzen haben und ich bin nicht zusatzversichert – wobei man auch nicht Vorfahrt haben dürfte, wenn man zusatzversichert wäre, aber man könnte dann in ein Privatspital gehen. Aber ich will halt einfach jetzt nicht warten und dann offeriert einem jemand, na, das machen wir so, gehen sie zum Herrn Oberarzt in die Privatordination, dort bezahlen Sie eine Ordination oder dort bezahlen Sie schlicht und einfach im Kuvert und dann sind sie plötzlich auf der OP-Liste.“
Zitat aus Interview 8:
„Wartezeiten sind ein Thema, dass man in eine private Ordi geht, dort für die Beratung zahlt und früher einen Termin kriegt, natürlich gibt es das. […] Ich weiß konkret von einigen Häusern, dass es einfach zwei Listen gibt, es gibt eine offizielle Liste und es gibt eine Chefliste. Also ich glaube schon, dass die meisten Patienten, dass 90 % wahrscheinlich schon der Reihe nach drankommen, aber es gibt natürlich Möglichkeiten, das zu umgehen.“
Zitat aus Interview 13:
„Also ich glaube, was für mich, für mich persönlich schon dazu zählt und was aber in vielen Fällen auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so wahrgenommen wird oder einfach nicht so angenommen wird ist z.B. die Beschleunigung von Terminen bei ärztlichen Untersuchungen oder Leistungen. Also die Thematik, die es 100%ig gibt, dass durch Zuzahlungen Termine für diagnostische oder therapeutische Leistungen teilweise beschleunigt werden können.“
Zitat aus Interview 17:
„Das größte Problem wird wohl sein die Umgehung von Wartezeiten.“
An der Möglichkeit, Wartelisten zu umgehen, soll sich auch seit der Novellierung des
Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (§ 5a Abs. 2 KAKuG) im Juli 2011 nicht viel
geändert haben, obwohl dadurch öffentliche und privat-gemeinnützige Krankenanstalten zur
Einrichtung eines transparenten Wartelistenregimes für elektive Operationen sowie für Fälle
invasiver Diagnostik verpflichtet wurden und auch ein individuelles Auskunftsrecht für
Wartezeiten (§ 5a Abs. 3 KAKuG) eingeräumt wurde (vgl. Kapitel 4.2.1). Dieser Umstand wurde
insbesondere auf die mangelhafte Umsetzung auf Landesebene bzw. auf die leichte
Umgehung solcher Wartelistenregime und EDV-gestützter Anmeldesysteme (wie
beispielsweise „OPERA“) zurückgeführt. Letztlich bestehe stets die Möglichkeit, zu
argumentieren, dass eine Vorreihung aufgrund der medizinischen Indikation/Dringlichkeit
notwendig sei, was für nachgereihte Patienten nur schwer nachvollziehbar ist. Auf diese
Problematik wiesen bereits Czypionka et al. (2013, S. 12) in ihrer Untersuchung zu Wartezeiten
auf Elektivoperationen hin.
188
Zitat aus Interview 4:
„Das war ja auch so ein Versuch transparente Operationswartezeiten zu schaffen, da hör ich immer wieder vom Krankenanstaltenverbund wie toll das funktioniert und wie transparent dieses ganze System ist, und wenn man aber dann sozusagen zwischen zwei oder vier Ohren mit Ärzten redet, dann sagen die genau, das ist überhaupt kein Problem, das zu umgehen. Also man kann das relativ locker, wenn man es will, ohne auffliegen zu müssen, umgehen. Also es ist da schon auch ein gewisser Gap noch zwischen dem, was vl. an Strukturen vorhanden ist, und dem, wie es in der Praxis dann auch wirklich funktioniert.“
Zitat aus Interview 10:
„Es hat ja kein Träger von den einzelnen Abteilungen eine Warteliste, die stimmt. Also rufen Sie bei einem Träger an und fragen Sie, wie lange die Wartezeiten auf Staroperationen auf der Augenabteilung sind, dann kriegen Sie von ihnen die Meldung, die sich gemeldet haben, und dann rufen Sie die vom Sekretariat an. Das sind zwei Welten. Und warum ist das so? Weil der Arzt den Vorteil hat, immer sagen zu können, dass es abhängig ist von der medizinischen Indikation.“
Zitat aus Interview 12:
„Und ich meine, es gibt in Österreich, nach dem KAKuG muss es ein transparentes Wartelistensystem geben, das funktioniert aber nicht, das gibt es aber nicht. […] Da hat man versucht etwas vom Bund her Gescheites zu machen, man hat gesagt, das darf es nicht geben, das wollen wir nicht und dann hat man den neun Ländern gesagt ‚Und jetzt setzen Sie es um‘. Dann ist in jedem Bundesland lobbyiert worden und je nach Farbe und Zusammenstellung und Ärztekammer und weiß nicht was ist das jetzt so oder so formuliert und ist sowas von einem Gummischwamm, ja?“
Zitat aus Interview 18:
„Ob es jetzt wirklich diese Wartelisten formal gibt, weiß ich nicht, es ist nur gelebte Praxis und das wissen wir, dass die Wartezeiten für Privatversicherte auch in öffentlich-rechtlichen Spitälern kürzer sind für jede einzelne Untersuchung/Intervention, das ist Faktum.“
Zwei der 16 Befragten räumten allerdings auch ein, dass sich die Vorreihung von
zusatzversicherten Patienten im öffentlich-rechtlichen Spital oftmals nicht vermeiden ließe.
Es müssten allein schon deswegen zwei Wartelistenregime im Gemeindespital bestehen, da
man jemanden aus der allgemeinen Gebührenklasse nicht ohne Weiteres in ein Privatbett
legen dürfte und es wenig Sinn ergeben würde, Privatpatienten trotz freier Betten tagelang
im Spital auf ihren Eingriff warten zu lassen. Deswegen fassten die beiden Befragten es auch
nicht als korrupt auf, wenn Privatversicherte früher einen Termin bekämen, vielmehr
bezeichneten sie es als eine Schwäche im System. Dass kürzere Wartezeiten auf
Operationstermine nicht unabhängig von der Bettenstruktur betrachtet werden können,
wurde auch seitens Pruckner & Hummer (2013, S. 51) diskutiert. Allerdings wiesen Kraus et al.
(2010, S. 42) darauf hin, dass die Verteilung der Bettenkapazitäten so erfolgen müsse, dass es
189
zu keiner ungerechtfertigten Bevorzugung von zusatzversicherten Patienten gegenüber
Allgemeinklassepatienten komme.
Zitat aus Interview 15:
„Was die Geschwindigkeit betrifft, ins System zu kommen, gibt es eine Bevorzugung von Privatversicherten, aus dem Grund, den ich genannt habe, weil die kommen in die Sonderklasse und dort ist früher ein Bett frei. Und dass sie dann dort ein paar Wochen leben, entspricht nicht dem Sinn.“
Im Rahmen der geführten Interviews sprachen sich insbesondere Patientenanwälte ganz klar
dafür aus, dass es nicht zulässig sein kann, zusatzversicherte Patienten gegenüber Klasse-
patienten im öffentlich-rechtlichen Spital zu bevorzugen. Dies widerspreche nämlich der
gesetzlichen Regelung der Sonderklasse (§ 16 KAKuG), nach der man nur Vorteile hinsichtlich
der Verpflegung und Unterbringung haben darf, allerdings nicht hinsichtlich der medizinischen
Behandlung, worunter eine Vorreihung definitiv falle.
Zitat aus Interview 4:
„Da ist immer noch nicht klar, dass es aufgrund der gesetzlichen Regelung sehr detailliert geregelt ist, was unter Sonderklasse zu verstehen ist. Nämlich unter Sonderklasse ist zu verstehen, dass ein Patient, im Hinblick auf die Hotelkomponente, also Verpflegung und Unterbringung, Vorteile haben kann, also hat halt drei Menüs dann zur Auswahl oder ein Einzelzimmer oder kriegt fünf Zeitungen etc., aber nicht was Medizin betrifft. Und wenn man nämlich eine Umfrage in der Bevölkerung machen würde und das wird von den Privatversicherungen natürlich auch gepusht ‚Warum schließen sie eigentlich eine Privatversicherung ab?‘, da werden Ihnen wahrscheinlich 95 % nicht sagen, damit ich drei Zeitungen habe und damit ich ein schöneres Zimmer habe. Natürlich ist die Erwartung, ich gebe da jetzt 150 Euro im Monat aus, damit ich eine bessere Medizin habe, damit ich kürzere Wartezeiten habe.“
Angemerkt wurde allerdings auch, dass es wichtig sei, zu berücksichtigen, dass lediglich die
Umgehung von Wartezeiten in öffentlichen Spitälern strafbar sei, jedoch nicht eine
„Terminbeschleunigung“ durch die Behandlung in einem Privatspital. Schließlich stehe es
jedem frei, sich privat behandeln zu lassen, wodurch man automatisch schneller zu einem
Termin käme. Wenn man das abschaffen wollen würde, müsste man die
Krankenzusatzversicherungen in Österreich verbieten.
Zitat aus Interview 6:
„Aber das, worüber die Leute immer reden ist ‚Ja, der hat die Hüfte früher gekriegt‘. Dann fragst: ‚Wo ist denn der operiert worden?‘. Dann sagt er: ‚Ja, im Rudolfiner Haus‘. Sag ich: ‚Wunderbar, der hat das entweder bar gezahlt oder er hat eine Zusatzversicherung und damit darf er, weil er damit außerhalb des öffentlichen Systems steht‘. Und das müssen wir schon zulassen oder wir verbieten Zusatzversicherungen.“
190
Ein aktuelles Beispiel im Hinblick auf die Wartelistenproblematik, welches von mehreren
Interviewteilnehmern (6 der 16 Befragten) eingebracht wurde, stellen die österreichweiten
langen Wartezeiten auf eine Magnetresonanztomografie (MRT) und die Möglichkeit der
„Terminbeschleunigung“ im Falle des Vorliegens einer Zusatzversicherung oder der privaten
Kostenübernahme dar.
Zitat aus Interview 4:
„Und da gibt es ein ganz brutales Beispiel und da komm ich jetzt auch zu dem Thema Zweiklassenmedizin, weil das rennt eher unter dem Thema Zweiklassenmedizin, aber für mich ist es eigentlich auch Korruption. Werden Sie vielleicht auch mitgekriegt haben in den Medien, auch in Kärnten ist es ein Riesenproblem diese MR-Wartezeiten in den privaten Instituten.“
Zitat aus Interview 18:
„Ich habe einmal ein MR gebraucht für einen Patienten, war jetzt nicht per akut dringlich, aber doch in den nächsten Tagen sehr wünschenswert vom medizinischen Fortgang und erfahre ‚Nein, das geht nicht, ich habe nur mehr Termine für Sonderklassepatienten‘.“
Auch eine unlängst veröffentlichte Studie des Vereins für Konsumenteninformation bestätigte
die Bevorzugung von Privat- gegenüber Kassenpatienten bei MRT-Untersuchungen (VKI 2016).
Argumentiert wurde dieser Zustand seitens der befragten Experten wie folgt: Die seitens der
Krankenkassen fixierte Kostendeckelung für MRT-Untersuchungen, die eigentlich zur
Vermeidung medizinisch nicht indizierter radiologischer Aufnahmen gesetzt wurde, führe
dazu, dass sich Radiologie-Institute gezwungen sehen, Untersuchungen auf das ganze Jahr zu
verteilen oder Kosten für nicht gedeckelte Untersuchungen privat mit den Patienten
abzurechnen – wissentlich, dass dies eine Vertragsverletzung gegenüber den Kassen darstelle.
Allerdings lässt der mangelnde Wille seitens beider Vertragspartner (Radiologen und
Krankenkassen), dieser unschicklichen Situation entgegenzuwirken, laut der Aussage von
Patientenanwälten darauf schließen, dass letztlich beide davon zulasten der Patienten
profitieren. Während sich die Krankenkassen durch die Kostendeckelung viel Geld ersparen,
erwirtschaften Radiologen durch die private Abrechnung mit den Patienten zusätzliche
Einnahmen. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es zwischenzeitlich (im März 2017)
bereits zu einer Einigung zwischen der Sozialversicherung und Wirtschaftskammer gekommen
ist, die eine Aufhebung der Kostendeckelung ab 2018 zur Vermeidung langer Wartezeiten auf
MRTs und CTs (Computertomografien) vorsieht. Zudem sollen auch die Wartelisten künftig
über die Websites der jeweiligen Radiologie-Institute veröffentlicht werden (Die Presse 2017).
191
Ausgehend von den insgesamt gewonnenen empirischen Erkenntnissen wurde folgende
These abgeleitet:
E5 Wartezeiten können mittels einer Zusatzversicherung, über den Umweg der
Privatordination oder mittels einer privaten Zuzahlung verkürzt werden.
3. Korruption in der öffentlichen Beschaffung
Wie auf internationaler Ebene (vgl. Kapitel 3.3) wurde auch hierzulande das öffentliche
Beschaffungswesen als besonders korruptionsanfällig eingestuft – insbesondere was die
Vergabe von Aufträgen im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen (vor allem im
Spitalsbauwesen) sowie das Einkaufs- und Beschaffungswesen öffentlicher Spitäler betrifft.
Sogar dreimal wurde im öffentlichen Beschaffungswesen die höchste Korruptionsanfälligkeit
geortet. Insgesamt gingen neun der 18 Befragten auf die Thematik ein. Korruption in der
öffentlichen Beschaffung soll das österreichische Gesundheitssystem jährlich sehr viel Geld
kosten. Die hohe Korruptionsanfälligkeit des Vergabebereiches wurde unter anderem auf die
schwere Kontrollierbarkeit der Vergaberichtlinien aufgrund der Komplexität und Involviertheit
zahlreicher Firmen und Personen zurückgeführt. Ein Arzt merkte an, nicht wissen zu wollen,
was sich derzeit beim Bau des Krankenhauses Nord in Wien abspiele, obwohl er gleichzeitig
auch betonte, dass Korruption in diesem Bereich aufgrund der Verpflichtung zur
europaweiten Ausschreibung nicht mehr so einfach sein soll. Auch ein Gesundheitsjournalist
äußerte eine ähnliche Vermutung, indem er einen Kostenvergleich zwischen dem Bau des
Klinikums am Wörthersee (ca. 320 Mio. Euro) und dem Bau des Krankenhauses Nord in Wien
(ca. 1 Mrd. Euro) – bei ungefähr gleicher Größenordnung – zog.
Zitat aus Interview 6:
„Wir hauen uns gerade mit dieser depperten Korruptionsdiskussion, die in den großen Ebenen einen wirklichen Sinn macht, aber wie gesagt, wer schaut denn auf den Bau vom Krankenhaus Nord? Ich bin sicher, dass es dort so korrupt zugegangen ist wie ohne Ende.“
Zitat aus Interview 10:
„Sie haben das Klinikum am Wörthersee. Das hat 320 Mio. gekostet. Für die ungefähr gleiche Größenordnung von ambulanten stationären Feldern bauen die Wiener gerade das Neuspital. […] mehr als fast eine Milliarde, also mehr als das Dreifache. Was glauben Sie, wo das Geld hin ist?“
192
Zitat aus Interview 13:
„Also ich glaube, die größte Gefahr oder Einfallstore sehe ich in öffentlichen Vergaben, insbesondere im Bauwesen, also dort, aber das ist jetzt ein Glaube und kein Wissen. Dort ist meines Erachtens die größte Gefahr gegeben bzw. bei Ausschreibungen, deren Kriterien nicht sauber gemacht sind.“
Darauf, dass die öffentliche Auftragsvergabe einen besonders anfälligen Bereich für
Korruption darstellen kann, wurde bereits vor zehn Jahren im Grundsatzpapier von
Transparency International – Austrian Chapter (TI-AC 2010, S. 13f.) hingewiesen und die
Aussage durch mehrere Fallbeispiele untermauert. Inwiefern die damals geforderten
präventiven Ansätze (Wahrung des Vier-Augen-Prinzips, klare Provisionsregelungen,
Trennung von Beschaffer und Anwender) tatsächlich umgesetzt worden sind und heute noch
gelebt werden, kann angesichts der vermuteten Korruption beim Bau des Wiener
Krankenhauses Nord nicht genau gesagt werden.
4. Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen
Insgesamt zweimal wurde im Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher
(höherrangiger) Positionen, worunter Favoritismus/Nepotismus, die Drehtürkorruption und
mitunter auch Lobbyismus gezählt wurden, die höchste Korruptionsanfälligkeit geortet.
Thematisiert wurde die Problematik seitens mehrerer Personen (14 von 18 Befragten). Laut
mehrheitlicher Expertenansicht bergen persönliche Verbindungen eine hohe
Korruptionsanfälligkeit, da sie zumeist auf dem Grundsatz der Reziprozität – dem Prinzip des
Gebens und Nehmens laut der sozialen Austauschtheorie nach Homans (vgl. Kapitel 2.4) –
gründen und somit leicht zum eigenen bzw. wechselseitigen Vorteil zulasten unbeteiligter
Dritter missbraucht werden können. Beispielsweise wurde angeführt, dass bereits ein enger
persönlicher Kontakt zu einem Arzt einem dazu verhelfen kann, an die richtige Person zu
gelangen oder bevorzugt behandelt zu werden. Diese Art der Korruption, die im Rahmen der
geführten Interviews zur „dritten Klasse“ gezählt wurde, sei in einem kleinen Land wie
Österreich gang und gäbe und wäre nur schwer vermeidbar. Sie wurde auch als „moderne
Korruption“ bezeichnet.
Zitat aus Interview 10:
„Und die dritte Klasse ist die, die jemanden kennen. Also da läuft keine direkte Zahlung von Geld, aber man wird behandelt, weil sich der Behandler einen direkten oder indirekten, mittelbaren oder unmittelbaren Vorteil für seine Funktion oder Person erwartet.“
193
Zitat aus Interview 11:
„Aber natürlich ist es schon wichtig, ob ich von einem, dem ich besonders vertraue, von dem ich weiß, dass er viele Erfahrungen auf dem Sektor hat und viel Erfolg, wenn ich mir den aussuchen kann als ich werde von irgendjemanden operiert, der vielleicht nicht diese Erfahrung hat, diese Qualität.“
Zitat aus Interview 12:
„Ich habe im Freundeskreis 100.000 Ärzte, ja. Wenn ich in dieses Haus hineingehe und was brauche und vor allem den Richtigen anrufe, werde ich sicher dort bevorzugt behandelt. Und das ist eigentlich Korruption. Ja, weil ich nutze einen Kontakt, den ich habe, zu meinem persönlichen Vorteil. Und wenn ich früher dran komme, kommt wer anderes später dran.“
Zitat aus Interview 14:
„Und das, was ich in Österreich erlebe, ist die dritte Klasse, das sind die, die die richtigen Leute kennen.“
Weitaus „gefährlicher“ wurden Beziehungsverflechtungen (Favoritismus/Nepotismus) auf der
Makroebene eingestuft, da sie Interessenkonflikte bei wichtigen Beratungs- und
Entscheidungsträgern des Gesundheitssystems (z.B. Oberster Sanitätsrat, Impfausschuss,
Gesundheit Österreich Gmbh, Landessanitätsräte) hervorrufen und dadurch einer objektiven
Entscheidungsfindung zulasten der Allgemeinheit zuwiderlaufen können. Beispielsweise kann
sich ein enger persönlicher Kontakt zwischen einem Vertreter der Pharmaindustrie und einem
Entscheidungsträger der Gebietskrankenkasse negativ auf das System auswirken, indem zum
Beispiel überhöhte Medikamentenpreise vereinbart, Posten an die „falschen“ Personen oder
Aufträge an die „falschen“ Firmen auf Kosten der Allgemeinheit vergeben werden. Die
Aussagen lassen darauf schließen, dass zahlreiche solcher Beziehungsverflechtungen und
Interessenkonflikte im österreichischen Gesundheitssystem existieren und nicht immer
offengelegt werden. In diesem Kontext sei auch auf die seitens Kern-Homolka et al. (2011, S.
23f.) beschriebenen Verflechtungen der Pharmafirmen untereinander verwiesen, die auf
Dauer zu einer Wettbewerbsbeschränkung und überhöhten Medikamentenpreisen beitragen
können.
Zitat aus Interview 9:
„ […] also von Baxter bis Gesundheitsministerium, Hauptverband, akademische Einrichtungen, MedUni und so, da hast Personen, die sind miteinander zur Schule gegangen, die kennen sich super gut, ja. Und die, glaube ich, die sagen, für uns gilt das alles nicht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht erwischt werden. […] Und da war ein Professor und da haben Studierende gesagt, ja, aber warum kriegen wir nur das Cervarix, das Gardasil ist viel besser, das wirkt ja gegen vier Viren und das Cervarix nur gegen zwei. Dann hat der Professor gesagt, passt, ich rufe heute noch die andere Firma an, weil da kenne ich den und den, ich garantiere euch, dass es auch Gardasil gratis geben wird.“
194
Zitat aus Interview 10:
„Es ist ja kein einziger Minister Fachmann für das, was er tut. Also warum ist der [Name der Person] oder die [Name der Person] das geworden, was sie sind? Ja, Nepotismus, also Parteizugehörigkeit. Und was ist jetzt dabei, wenn ich meinen Abteilungsleiter so besetze, wenn es mich eh nichts kostet? Als Firma mache ich das eh nicht, weil es mich was kostet. Aber wenn die Kosten eh die Allgemeinheit trägt, dann ist ja wurscht, wen ich nehme. Dann schaue ich, dass ich mein eigenes Machtgefüge, mein Beziehungsnetz, pflege auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist sicherlich das teuerste in Österreich, was der Allgemeinheit am meisten Geld kostet.“
Auf Basis der vorliegenden empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:
E6 Im österreichischen Gesundheitssystem bestehen zahlreiche (höherrangige)
Beziehungsverflechtungen und (schwerwiegende) Interessenkonflikte, die nicht immer
offengelegt werden.
Im Kontext von Favoritismus/Nepotismus wurde auch auf das Problem der sogenannten
„Drehtürkorruption“ verwiesen. Ein Stellenwechsel aus dem öffentlichen in den privaten
Sektor oder umgekehrt stelle in Österreich keine Seltenheit dar und berge aufgrund damit
einhergehender schwerwiegender Interessenkonflikte eine besonders hohe Anfälligkeit für
Korruption.
Zitat aus Interview 1:
„Die Korruption geht ja nicht so, dass da Geld ausgetauscht wird, sondern der Schwiegersohn kriegt einen Posten bei der Firma Z oder man ist dann irgendwo und dann kriegt man einen Posten bei der Firma Y. […] Sowas gab es in den Sozialversicherungen, jetzt gibt es das woanders. Was soll man sich dabei denken? Wenn Leute sozusagen von so Funktionen dann zu so einem Lobbyisten wechseln und dort Geschäftsführer werden?“
Zitat aus Interview 9:
„Und auch von der EMA, von der European Medical Agency, sind Leute schon aus leitender, führender Position direkt quasi in die Gegenpartei gegangen.“
Laut Expertenansicht bewege sich auch Lobbyismus stark im Graubereich von Korruption, als
mehrmals der Verdacht geäußert wurde, dass „sauberes“ Lobbying selten vorkomme und
gerne zur persönlichen Nutzenmaximierung durch die manipulative Einflussnahme auf Politik
und Gesellschaft missbraucht werden würde. Zudem soll das aktuelle Verhältnis der
Interessenvertretungen im österreichischen Gesundheitssystem sehr unausgewogen sein. So
verfüge die Ärztekammer aktuell über eine der stärksten Interessenvertretungen, während
195
die Patienten bisweilen eine der schwächsten Lobbys aufwiesen und somit deren Interessen
kaum vertreten seien.
Zitat aus Interview 1:
„Das Hauptproblem sind z.B. Lobbyisten. […] und die Spitzen der Politik lassen sich von diesen Leuten einladen und vorführen. Ein in [Ortsbezeichnung] der Cheflobbyist, der oberste Lobbyist macht eine eigene, hat einen eigenen Auftritt in [Ortsbezeichnung]. Nennt sich [Name der Veranstaltung]. Also das, da wird signalisiert, man kommt weiter, wenn man mit ihm arbeitet, nach wie vor. […] Der kauft nach wie vor Spitzenleute ein, ehemalige hohe Beamte der [Institutsname].“
Zitat aus Interview 11:
„Ich habe Probleme, Lobbying und Korruption sehr stark zu differenzieren, weil ich finde, dass Lobbying sehr in die Nähe der Korruption geht. Wirklich sauberes Lobbying ist in der Minderzahl.“
Zitat aus Interview 12:
„Die Patienten lobbyieren bei uns in Österreich sehr wenig, die Industrie lobbyiert auch wenig, die Ärzte lobbyieren brutal, da ist es nicht sehr ausgeglichen.“
Zitat aus Interview 16:
„Schrecklich, schrecklich [das Lobbying]. Generell etwas zu verabscheuen.“
Andererseits wurde Lobbyismus seitens anderer Interviewteilnehmer als sehr wichtig und
unabdingbar für eine sachlich fundierte Entscheidungsfindung erachtet – vorausgesetzt
natürlich, er gründe auf einer korrekten Interessenvertretung und Informationsweitergabe.
Mehrmals betont wurde, dass Lobbying auf Vertrauen und Transparenz im Sinne der
Offenlegung von Interessenkonflikten beruhen müsse. Die verpflichtende Eintragung ins
Lobbyisten-Register im Jahr 2013 (§ 9 LobbyG) sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung
gewesen, jedoch müsse er auch ausreichend kontrolliert und ggf. sanktioniert werden.
Zitat aus Interview 10:
„Nein, das ist überhaupt kein Widerspruch. Also das würde gehen, das ist ja nicht Korruption. […] Dass für die Meinungsbildung beim Gesetzgeber Lobbyarbeit geleistet werden kann, das ist ganz wichtig.“
Zitat aus Interview 13:
„Ich stehe im Lobbying-Register. Und ich bin absolut dafür zu lobbyieren. […] Allerdings ist immer die Frage, was heißt Lobbying? Für mich ist Lobbying gleichzusetzen mit Information und man kann auch, und das ist auch meine Erfahrung, hervorragend informieren und auch den anderen positiv beeinflussen, wenn man fair informiert.“
196
Zitat aus Interview 14:
„Ein Ausschließen jedweder Interaktion zwischen diesen beiden Welten würde, glaube ich, beiden nur schaden, denn auch sozusagen dieser Austausch, diese Kommunikation, diese Informationsweitergabe, die soll ja zu besseren Entscheidungen führen, zu sachlich fundierten Entscheidungen.“
Zitat aus Interview 15:
„Lobbyieren wird dann korruptionsnahe, wenn dann Methoden kommen sollten, die dann echt das Entscheidungsverhalten so beeinflussen, korruptionsnahe nicht, also da muss man dann wissen, wo man Halt macht, um die Objektivität zu seiner eigenen Entscheidungsfindung zu wahren.“
Zitat aus Interview 17:
„Und dass Vertreter von Interessen natürlich versuchen, Lobbying dafür zu betreiben, um ihre Interessen möglichst gut vertreten zu können, glaube ich, das ist ja auch legitim. Und das hat ja überhaupt nichts mit Korruption oder mit Vorteilnahme oder mit Versprechen von Vorteilen oder mit was auch immer zu tun, sondern das ist einfach die normale tägliche Arbeit jeder Interessenvertretung.“
Zitat aus Interview 18:
„Das Ganze ist schwer in Ordnung, wenn das Ganze transparent geschieht.“
5. Überversorgung
Im Graubereich von Korruption bewegt sich nach mehrheitlicher Ansicht der Experten (10 von
18 Befragten) auch die gesamte Thematik rund um Überversorgung, Überdiagnostik,
Übertherapie bis hin zur Krankheitserfindung („Disease Mongering“) 49 . Ein Interview-
teilnehmer ortete darin sogar den korruptionsanfälligsten Bereich. Die Problematik sei
hierzulande aber bislang kaum erkannt worden, weswegen mehrmals von einem „neu
erkannten“ Korruptionsphänomen gesprochen wurde. Vielerorts soll noch das Motto gelten:
Mehr Medizin, mehr Gesundheit. Und dies, obwohl die Krankenbehandlung nach § 133 (2)
ASVG zweckmäßig und ausreichend zu sein hat und das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten darf. Überversorgung kann nämlich nicht nur zulasten der
Krankenversicherungsträger, sondern auch der Patienten gehen – sowohl in finanzieller als
auch in gesundheitlicher Hinsicht. Beispielsweise wurde darauf hingewiesen, dass jede
Diagnostik mit falsch-positiven Befunden einhergehen und jedes Medikament auch
49 Unter „Disease Mongering“ wird das Erfinden und Verkaufen von Krankheiten verstanden. Dabei werden normale Körpererfahrungen und Befindlichkeitsstörungen (z.B. Menopause, niedriger Blutdruck, Haarausfall etc.) zu einer Krankheit hochstilisiert und unnötigerweise einer medikamentösen Behandlung unterzogen. Häufig handelt es sich hierbei um die Festlegung problematischer Grenzwerte (z.B. Bluthochdruck), was folglich zu mehr Patienten und damit zu einem erhöhten Medikamentenkonsum führt (Schönhöfer 2004, S. 200; Kiesl 2010, S. 14; Kern-Homolka et al. 2011, S. 22f.; Kern-Homolka 2013, S. 13f.).
197
Nebenwirkungen mit sich führen kann. Demnach können überflüssige Therapien durchaus
mehr Schaden als Nutzen stiften. Die Meinung der Experten deckt sich weitgehend mit den
Ergebnissen internationaler Untersuchungen (Morgan et al. 2015). Darüber hinaus wurden
auch Vorsorgeuntersuchungen im Bereich der Überversorgung angesiedelt, da sie ebenso
einen Rattenschwanz an teurer unnötiger Diagnostik und Therapie nach sich ziehen können.
Darin wurde sogar ein besonders hohes Einsparpotenzial vermutet.
Zitat aus Interview 2:
„Die Überversorgung ist gigantomanisch, unglaublich in Österreich, aber nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, und dass man ganz viele Leistungen einfach ersatzlos streichen könnte. […] Wir leiden am medizinischen Overkill, an der völligen Überversorgung.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich meine, letztendlich fällt unter diese ganze Thematik auch die Vorsorge darunter. Was mache ich an Vorsorge und was hat das dann einen Rattenschwanz an Diagnostik und Therapie hinter sich.“
Zitat aus Interview 9:
„Was ist das neue Phänomen gerade? Also das, also für mich z.B. ist ein starkes neues Phänomen dieser Fokus auf Personen, die eigentlich gesund sind. Dieser ganze Präventionsmarkt, ja. […] Diese ganzen Zusatzangebote, die eigentlich gar nicht gebraucht werden, ja, also irgendwelche Sondertests oder Sonderuntersuchungen, die es auch früher schon immer gegeben hat, aber ich glaube, das ist zurzeit ein Mega-Markt. […] Und wenn man bewusst sagt, dass Überversorgung Betrug ist, dann muss ich dir ehrlich sagen, dann passiert viel Betrug in unserem System. […] Inzwischen haben wir da quasi einen Rattenschwanz, ja, an unnötiger Diagnostik. Manche sagen, ein Drittel Diagnostik ist unnötig, manche sagen 50 % der Diagnostik ist unnötig, ja, weiß ich nicht. Aber das ist gigantisch. Und da würde ich auch sagen, da ist auch das Einsparungspotenzial enorm.“
Zitat aus Interview 12:
„[…] und ich glaube halt schon, dass die Ärztekammer da wirklich auch Bedarf hat, dass man ihr einmal sagen müsste, was macht denn Sinn, was wollen wir denn? Und eben weg von dem ‚Die beste Medizin für alle‘ und für alle alles zugänglich machen. Nein, wir brauchen nicht für alle alles, wir brauchen nur das Richtige für die richtigen Leute. Ja?“
Nach Einschätzung der Befragten sind zusatzversicherte Patienten und Privatpatienten am
meisten gefährdet, überversorgt und damit fehlversorgt zu werden, da sie sowohl für das
Individuum als auch für die Organisation sehr lukrativ sein können. Unter anderem soll es
vorkommen, dass sie bewusst unnötigen diagnostischen Untersuchungen (MRT, CT etc.) und
operativen Eingriffen unterzogen, sie von einer Station zur nächsten geschickt, ihnen zu viele
Pharmaka verabreicht oder sie länger im Spital gehalten werden. Dass ein Zusammenhang
198
zwischen zusatzversicherten Patienten und überflüssiger Medizin besteht, konnte auf
internationaler Ebene bereits mehrmals empirisch belegt werden (Shah et al. 2011; Koshy et
al. 2015). Beispielsweise konnte in der Studie von Koshy et al. (2015) aufgezeigt werden, dass
Patienten mit einem metastasierten Lungenkarzinom im Falle des Vorliegens einer
Zusatzversicherung einer längeren Strahlentherapie (RT) oder Chemo-Strahlentherapie (CRT)
im öffentlichen Spital ausgesetzt wurden als in Richtlinien empfohlen wird. Zahlen und Daten
zur Überversorgung auf nationaler Ebene liegen bislang nicht vor (Berger & Bayer 2015) –
zumindest sind der Autorin keine bekannt.
Zitat aus Interview 7:
„Ja, also wenn ich irgendwo in einem impliziten Einverständnis mit Kollegen Patienten immer wieder herumschicke und überweise und zurücküberweise und hin und her überweise, bleibt bei jedem was hängen, ja, es dient dem Patienten nicht, ganz im Gegenteil, es ist für den Patienten schädlich, die Ärzte wissen das und es wird halt trotzdem getan.“
Zitat aus Interview 9:
„Aber es gibt eine Mehrklassenmedizin, ja, wobei es gar nicht bedeutet, dass die, die die meiste Versorgung kriegen, unbedingt am besten aussteigen. Das ist halt die klassische Geschichte von den Zusatzversicherten, die eigentlich wegen Kopfweh ins Spital kommen oder wegen irgendwas anderes ins Spital kommen und dann quasi alle diagnostischen Tests über sich ergehen lassen müssen, die nur irgendwie rechtfertigbar sind. Ja? Und das passiert auch nach wie vor, das hat nicht gestoppt. […] Es ist evident, dass die weiterhin so alle möglichen Angebote gemacht kriegen.“
Zitat aus Interview 10:
„Eine Benachteiligung Klassenmedizin kommt permanent vor, jemand der gesagt hat, Sonderklasseversicherung kriegt noch die 23. diagnostische Maßnahme verordnet, weil sie verrechenbar ist. “
Zitat aus Interview 18:
„[…] obwohl man sagen muss, dass eine Zusatzversicherung oftmals auch ein Nachteil sein kann, weil wenn man so Sachen hört wie, das habe ich selbst gehört, deswegen kann ich es so sagen ‚Ich will haben, dass, wenn dieser Patient, der nur kommt für eine Darmspiegelung, nach Ende der drei Tage seines dreitätigen stationären Aufenthaltes von jeder Fachdisziplin gesehen wurde‘. Das habe ich selbst gehört und ich frage ‚Was soll ich denn draufschreiben auf die einzelnen Zuweisungen?‘ Dann hieß es ‚Musst dir selber was einfallen lassen, die anderen Kollegen wollen auch verdienen‘.“
Anhand der gewonnen empirischen Erkenntnisse lässt sich folgende These ableiten:
E7 Zusatzversicherte Patienten und Privatpatienten werden überversorgt.
199
6. Abrechnungsbetrug
Ein Interviewteilnehmer ortete in der ambulanten und stationären Leistungsabrechnung die
höchste Korruptionsanfälligkeit im österreichischen Gesundheitssystem. Allerdings deuten
die Expertenaussagen (10 von 18 Befragten) insgesamt darauf hin, dass es sich bei
Abrechnungsbetrug im Sinne der Verrechnung von Leistungen, die niemals oder nicht
vollständig erbracht worden sind, eher um einzelne schwarze Schafe als um Korruption im
großen Stil handelt. Der Einsatz spezieller Software, die Honorarabrechnungen nach
Auffälligkeiten screent (Plausibilitätsprüfungen), sowie jüngst eingeführte Abschreckungs-
maßnahmen wie das Mystery Shopping sollen Abrechnungsbetrug in den letzten Jahren
deutlich eingedämmt haben. Kritisiert wurde allerdings, dass einzelne schwarze Schafe nur
selten vor Gericht gebracht werden würden, da Abrechnungsbetrug vielerorts noch immer als
„Kavaliersdelikt“ durchgehe. Zumeist werden die betroffenen Personen im Rahmen amikaler
Gespräche auf ihr Vergehen „hingewiesen“ und gegebenenfalls zur Rückzahlung zu viel
ausgezahlter Gelder aufgefordert. Zudem hätten die betroffenen Personen immer die
Möglichkeit zu argumentieren, dass überhöhte Honorarabrechnungen aufgrund eines Irrtums
oder Programmfehlers zustande gekommen wären. Laut Kern-Homolka (2011, S. 17) sollen
sich die jährlichen auf „Abrechnungsfehlern“ basierenden Rückforderungen seitens der
OÖGKK auf Summen bis zu 500.000 Euro belaufen, wobei Zahlungsrückforderungen zwischen
30.000 und 70.000 Euro gegenüber einzelnen Ärzten keine Seltenheit darstellen.
Zitat aus Interview 8:
„Abrechnungsbetrug gibt es, ist ein Thema, wobei ich das jetzt gar nicht so sehr in diese Schiene hineintun würde, weil das sind einzelne schwarze Schafe, wie man sie in jedem Beruf hat.“
Zitat aus Interview 9:
„Ich glaube, dass das [der Abrechnungsbetrug] nicht im großen Stil passiert. Also ich glaube, es gibt Einzelfälle, die da aus irgendeinem Grund glauben, sie haben das Recht da in die Richtung irgendetwas zu machen.“
Weitaus mehr Abrechnungsbetrug wurde hingegen im Hinblick auf den Graubereich der
Maximierung/Optimierung von ambulanten und stationären Leistungsabrechnungen durch
die unangemessene Wahl von Diagnosecodes („Upcoding“) – auf den auch jener
Interviewteilnehmer, der in der Leistungsabrechnung die höchste Korruptionsanfälligkeit
vermutete, hinwies – geortet. Allerdings wird „Upcoding“ nach Expertenansicht bislang nicht
200
von jedermann als korrupt aufgefasst, sondern vielmehr als betriebswirtschaftlich klug und
legitim erachtet und obendrein durch das bestehende Abrechnungssystem (z.B. LKF-System)
begünstigt. So merkte auch ein Gesundheitswissenschaftler an, dass es wichtig sei, zwischen
der Optimierung von Leistungsabrechnungen, welche eine gängige Praxis darstelle, und
tatsächlichem Betrug zu unterscheiden. Ersteres würde er ebenso nicht als korrupt auffassen.
Entgegen der Meinung der Experten muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass
„Upcoding“ auf internationaler Ebene durchaus unter Abrechnungsbetrug subsumiert wird
(Europäische Kommission 2013, S. 87ff.).
Zitat aus Interview 2:
„Das ganze Gebiet der Maximierung von Leistungsabrechnungen, dazu gibt es ja ganze Software-Pakete, die das tun, um LKF-Punkte z.B. zu maximieren. Das ist genau in dem Graubereich, der für mich eindeutig bereits in die Korruption hineinfällt. Um mehr Geld zu lukrieren, rechne ich Patienten anders ab als sie tatsächlich im Schweregrad oder in der Leistung, Leistungsumfang, Leistungen empfangen haben. Andere Menschen, Betriebswirte, Spitalsmanager, würden das wahrscheinlich als betriebswirtschaftlich klug betrachten, ich betrachte es eben aus der Seite, von der Seite des Steuerzahlers, dass da Geld, öffentliches Geld, auf nicht statthafte Art und Weise abgerechnet wurde.“
Zitat aus Interview 7:
„Abrechnungsbetrug, das passiert im Krankenhaus zum Teil ganz offiziell, also wo das LKF massiert wird, dass andere Diagnosen formuliert werden, nur um eine höhere Rückerstattung zu bekommen, eine höhere Bezahlung zu bekommen in dem LKF.“
Ferner wurde auch mehrmals auf die Maximierung von Leistungsabrechnungen über die
Erbringung und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen (vgl. Punkt 5
„Überversorgung“) hingewiesen. Dies stelle hierzulande aber noch einen großen Graubereich
dar, obwohl offensichtlich gegen § 133 (2) ASVG, wonach eine Krankenbehandlung
zweckmäßig und ausreichend zu sein hat und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten
darf, verstoßen wird.
Zitat aus Interview 7:
„Wenn ein Arzt halbwegs etwas verdienen will, dann muss er ganz einfach auf Quantität arbeiten, ja, auf Kosten der Qualität, auf Kosten der Zeit für den Patienten, um möglichst viele Punkte einzuheimsen und möglichst unnützes Zeugs anbieten.“
Zitat aus Interview 8:
„Abrechnungsbetrug gibt es natürlich, das sind jetzt auch keine kleinen Summen, aber im Vergleich zu dem, was falsch und unnötig an Medikamenten oder an Diagnostik gemacht wird, ist das irrelevant.“
201
Zitat aus Interview 9:
„Wenn man es wirklich scharf sieht, müssten wir sagen, jede Form von Überdiagnostik und Übertherapie, wenn ich sie bewusst mache, also Beispiel Schilddrüsendiagnostik. Ich weiß, es reicht eigentlich, wenn ich einen Wert mache, wenn ich aber immer alle fünf Werte mache, obwohl es unnötig ist, der eine Wert reicht, dann ist das Betrug eigentlich. Es ist noch nicht so deklariert, weil es passiert nichts, weder die Krankenkasse haut mir das auf die Finger noch sonst irgendwer haut mir auf die Finger.“
7. Missbrauch von Nebenbeschäftigungen
Dass Nebenbeschäftigungen von Health Professionals ein Schlupfloch für Korruption aufgrund
hervorgerufener Interessenkonflikte bieten können – insbesondere dann, wenn sie in
kritischer Nähe zur Hauptbeschäftigung stehen –, wurde im Rahmen der geführten Interviews
mehrmals (17 von 18 Befragten) thematisiert. Neben diversen Beratungs- und
Vortragstätigkeiten für die Industrie wurden primär Nebenbeschäftigungen von Spitalsärzten
in Privatordinationen oder Privatkliniken diskutiert. Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass
Spitalsärzte Patienten in ihre Privatordination zur Vor- und/oder Nachbehandlung abwerben
oder diese gänzlich in den Privatbereich abziehen. Dies soll keine Seltenheit darstellen und
führe nicht nur zur finanziellen Schädigung des Dienstgebers durch den Wegfall der
Sonderklasseeinnahmen, sondern gegebenenfalls auch der Patienten im Falle des Nicht-
Vorliegens einer Zusatzversicherung und der privaten Kostenübernahme. Andererseits sollen
solche Nebenbeschäftigungen auch dazu führen, dass Ärzte zu wenig pausieren oder während
ihrer offiziellen Arbeitszeiten nicht anwesend sind („Absentismus“), weil sie „zwischenzeitlich“
in ihre Privatordinationen oder Privatkliniken „verschwinden“. Dies vermag sich negativ auf
die Gesundheit der Patienten ihres öffentlichen Dienstgebers auszuwirken. Vor allem soll es
durch die Reduktion der Dienstzeiten für Spitalsärzte im Rahmen der KA-AZG-Novelle im Jahr
2014 (Stärker 2014), die zum Wohle der Mediziner und Patienten im Sinne der Vermeidung
einer fachlichen und zeitlichen Überforderung der Ärzteschaft vorgenommen wurde und mit
einer Gehaltserhöhung einherging, zu einer Zunahme von Nebenbeschäftigungen gekommen
sein. Dies soll auch einen der Hauptgründe darstellen, warum sich die Ärzteschaft momentan
so gegen eine Dienstzeitenreduktion bei aktuell öffentlich geführter Debatte um ein mögliches
Nebenbeschäftigungsverbot wehrt (Salzburger Nachrichten 2016).
202
Zitat aus Interview 2:
„Ja, aber das ist der Wahnsinn des Images der Medizin, dass die meisten Leute, die bereit sind, viel Geld zu zahlen für irgendwelche Koryphäen, nicht wissen, dass diese Koryphäen schon längst diese Dinge nicht mehr selber tun, sondern alles delegieren. D.h., das, was man eigentlich erwartet von den Koryphäen, dass sie hoch frequentiert sind, d.h., dass sie pro Tag fünf Patientenoperationen machen und deswegen bei der 6., 7., 8. genau wissen, was sie tun, dass sie das alles schon längst nicht mehr tun, weil sie eben Koryphäen sind und stattdessen auf Konferenz reisen gegen 10.000 Euro Honorar für die Pharmaindustrie. Und irgendwelche Turnusärzte tun ihren Job.“
Zitat aus Interview 3:
„Ein nicht seltenes Phänomen ist das Abwerben aus dem öffentlichen Bereich in den Privatbereich, das würde in anderen Branchen zum Rauswurf führen. In Wien ist es zumindest üblich und letztlich offensichtlich, weiß jeder, machen viele. Da gibt es Fälle, das berichten mir Spitalsärzte, also ich denk jetzt an einen konkreten Fall, wo ein Oberarzt nicht nur Patienten abgeworben hat, sondern auch noch Implantate, die er dann gebraucht hat, aus dem Spital hat mitgehen lassen, um sie im Privatspital dann einzubauen.“
Zitat aus Interview 5:
„Es ist stellenweise das öffentliche Krankenhaus nichts anderes als eine Vermittlungsstelle für private Ordis und Privatkrankenanstalten gewesen, weil, Klammer auf, ein Drittel der Österreicher eine private Zusatzversicherung, Krankenversicherung haben, Klammer zu. D.h., das ist eine beachtliche Zahl, um die es da geht. […] Und diese Unsitten sind immer noch da.“
Zitat aus Interview 9:
„Wenn public, also öffentlich finanziertes System, auf privates trifft, diese Schnittstelle ist extrem gefährdet für Korruption.“
Zitat aus Interview 12:
„Man hat jetzt da die Arbeitszeit im Spital verkürzt, jetzt kann man sagen, jetzt ist fein, jetzt haben sie sogar mehr Zeit, dass sie ihre Privatkliniken machen oder Privatordinationen machen.“
Zitat aus Interview 13:
„Das zweite ist, dass sich auch im Zuge der gesamten Arbeitszeitthematik viele Ärzte auch über die Zeit dahingehend entschließen, eine Wahlarzt- oder Privatordination zu haben.“
Des Weiteren wurde auch auf das Problem hingewiesen, dass Patienten problemlos über den
Umweg der Privatordination zu einem früheren Termin für elektive Operationen im
öffentlichen Spital kommen können (vgl. Punkt 2 „Umgehung von Wartelisten“). Ein
Gesundheitsökonom merkte zusätzlich an, dass teure Diagnostiken häufig im Spitalsbereich
und operative Eingriffe im Privatbereich erfolgen würden und dies wiederum zulasten
203
öffentlicher Gesundheitsbudgets. Laut ihm sollen erste Untersuchungen im Uniklinikum in
Innsbruck einen solchen Zusammenhang bereits bestätigt haben.
Zitat aus Interview 2:
„Dann diese Beispiele von der Diagnostik im öffentlichen Bereich und die Operation im Privatbereich, das ist auch absoluter Usus.“
Angemerkt sei, dass Nebenbeschäftigungen nicht von jedermann als grundsätzlich
„verwerflich“ bezeichnet wurden, nur im Falle eines nachweislichen Missbrauchs. Schließlich
müsste es im Sinne der Erwerbsfreiheit jedem freistehen, seinen Beruf auszuüben, egal ob in
einem Dienstverhältnis oder privat. Zudem sollen die niedrigen Gehälter im Spitalsbereich die
Aufnahme einer Nebenbeschäftigung mehr denn je rechtfertigen. Außerdem soll es
Leistungen geben, die seitens der öffentlichen Hand nicht angeboten werden, weswegen man
diese nur privat erbringen könnte. Abgesehen davon können Spitalsärzte, die zusätzlich privat
ordinieren, ihrem Dienstgeber auch Sonderklassepatienten anwerben und ihm somit
Zusatzeinnahmen verschaffen.
Zitat aus Interview 6:
„Ich weiß nicht, was arg daran ist, weil Entschuldigung bitte, ich behandle halt den einen im Spital und
den anderen, der bereit ist, das zu zahlen, in der Privatordination. Deswegen bin ich genauso gut wie vorher. […] Es kann nur um die Vorreihung gehen und die Vorreihung ist aber jetzt schon unter Strafe.“
Zitat aus Interview 15:
„[…] aber nicht das Kind mit dem Bad ausschütten und jeden Arzt, der auch privat noch eine Ordination hat, als unanständigen Arzt, der dem Dienstgeber Schaden zufügt, bezeichnen. Das kann in beide Richtungen gehen. Lockt er dann die Patienten ins Privatspital, dann ist er eigentlich ein Konkurrent zu seinem Arbeitgeber, er kann aber mit der Privatordi auch dafür sorgen, dass seinem Arbeitgeber der eine oder andere Sonderklassepatient zukommt, und das sind Zusatzeinnahmen fürs Spital. Und das ist ein öffentliches Haus.“
Zitat aus Interview 17:
„Also grundsätzlich glaube ich, muss es in Österreich im Sinne der Erwerbsfreiheit jedem freistehen, seinen Beruf auszuüben, ganz egal, ob in einem Dienstverhältnis oder privat. […] Und ich gehe natürlich jetzt schon davon aus, dass diese Nebentätigkeit in keinem direkten Kontext, zum Beispiel was die Patientenakquise anbelangt, mit der Angestelltentätigkeit steht. Es sei denn, der Dienstgeber wünscht das. Das ist wieder eine andere Frage. Aber ich glaube, sonst kämen wir ja sehr rasch in die Nähe der Untreue, wenn ich die Privatpatienten abfange, also die potenziellen Privatpatienten eines Hauses abfange, um sie dann in meine Privatordination umzuleiten.“
204
8. Informelle Zahlungen/Kuvertmedizin
Die Existenz der sogenannten „Kuvertmedizin“ bzw. informeller Zahlungen für Leistungen, die
sozialversicherten Patienten eigentlich kostenlos zur Verfügung stehen sollten und die
zumeist auf den Erwerb einer „besseren“ oder „bevorzugten“ Behandlung abzielen, wurde
unter den befragten Experten (12 von 18 Befragten) kontrovers diskutiert. Einerseits wurden
informelle Zahlungen in Österreich (vor allem zur Beschleunigung von Terminen bei
diagnostischen oder therapeutischen Leistungen) als gängige Praxis eingestuft, andererseits
wurden schwere Fälle von Kuvertmedizin als rückgängig eingestuft bzw. waren den meisten
nur Einzelfälle aus Berichten oder Patientenbeschwerden bekannt. Vielmehr soll es sich bei
der heutigen Kuvertmedizin um feinere Arten handeln, die nur schwer durchschaubar wären
und sich zumeist im Graubereich von Korruption bewegen würden. Darunter falle
beispielsweise die Umleitung von Patienten, die im öffentlichen Spital vor einem operativen
Eingriff stehen, in die Privatordination von Spitalsärzten, in der dann die Vor- und
Nachbehandlung auf Kosten der Patienten über die Entrichtung einer Ordinationsgebühr
stattfindet. Insbesondere soll die Möglichkeit des sogenannten „Chefeinschubs“, d.h. über
den Umweg der Privatordination von Primar- und Oberärzten zu einem schnelleren
Behandlungstermin im öffentlichen Spital zu gelangen, hierzulande eine gängige Praxis
darstellen. Dies kann sich unter Umständen auf die Höhe der in Rechnung gestellten
Ordinationsgebühr auswirken. Solche indirekten Formen der Kuvertmedizin, auf die bereits
Transparency International – Austrian Chapter in seinem Grundsatzpapier (TI-AC 2010, S. 7)
vor knapp zehn Jahren hingewiesen hat, sollen auch laut Patientenvertretern nach wie vor
keine Ausnahmen darstellen. Die Annahmen decken sich auch weitgehend mit den
Ergebnissen einer jüngeren Studie der Europäischen Kommission, in der auch qualitative
Daten zur diesbezüglichen Thematik in Österreich erhoben wurden (2013, S. 190). Auch laut
den Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus dem Jahr 2013 schneidet
Österreich im EU-Vergleich eher schlecht ab: Insgesamt gaben 28 % (EU: 12 %) aller Befragten
an, in die Privatordination der Spitalsärzte zitiert worden zu sein, um im öffentlichen Spital
behandelt zu werden (Europäische Kommission 2014, S. 93). Auf die aktuelle
Wartezeitenproblematik bei MRT-Untersuchungen und die daraus resultierende
„Kuvertmedizin“ zur „Terminbeschleunigung“ wurde bereits hingewiesen.
205
Zitat aus Interview 2:
„Ja, das eine Beispiel ist eben, dass bestimmte Ärzte sich den Operationsraum für sich quasi blocken, einmal in der Woche, um Patienten, die bereit sind, so und so viele hunderte Euro zu zahlen, dass sie vorgereiht werden zum Operieren, das ist total gang und gäbe, das ist absoluter Usus.“
Zitat aus Interview 3:
„Naja, die Patienten und Patientinnen wissen anekdotisch oder aus eigener Erfahrung, dass es Fälle gibt, wo man etwas bezahlen muss. […] Also manche legen 300, 400, 500 Euro hin, andere berichten, dass es auch bis zu 2000 Euro kostet, sich eine Vorfahrt zu verschaffen, indem man z.B. dann zur Behandlung nicht etwa ins öffentliche oder in das privatgemeinnützige Spital geht, sondern wieder in die Privatordination zum Fäden ziehen oder Wundkontrolle und dann zahlt man wieder.“
Zitat aus Interview 4:
„Diese brutale Art der Korruption wie es früher war, Kuvertmedizin, also geben Sie mir 3000 Euro, dann werden Sie halt nächste Woche operiert und nicht in drei Monaten. Also diese brutale Form der Kuvertmedizin, die es früher sehr stark gegeben hat, gibt es heute sicher auch noch, aber die ist schon sehr zurückgegangen. Es sind eher feinere Arten der Korruption und ein Beispiel ist eben dieses System, dass Oberärzte oder teilweise auch Primarärzte, aber vor allem bei den Oberärzten, glaube ich, ist das ein Problem, dass die Ordinationen haben, also außerhalb der Organisation auch. Vollkommen zulässig und oft nicht ausgedrückt, aber implizit dem Patienten vermittelt wird, wenn du sozusagen im Krankenhaus eine bessere Leistung oder eine ordentliche Leistung haben willst, dann musst du vorher in meine Ordination gehen, weil dann kann ich dich genauer untersuchen und dann kann man die Operationsindikation auch viel genauer feststellen.“
Zitat aus Interview 9:
„Das [die Kuvertmedizin] ist deutlich weniger geworden, so offensiv kannst du es nicht mehr machen. Aber man kann es weiterhin machen, man muss es nur anders machen. Es hat an Offensivität verloren. Aber, dass man natürlich versucht im Public-Bereich für den Private-Bereich Leute zu ziehen, das ist, glaube ich, das würde mich wundern, das ist ganz normal.“
Zitat aus Interview 13:
„Zum Beispiel die Beschleunigung von Terminen bei ärztlichen Untersuchungen oder Leistungen, also die Thematik, die es 100%ig gibt, dass durch Zuzahlungen Termine für diagnostische oder therapeutische Leistungen teilweise beschleunigt werden können.
Zitat aus Interview 14:
„Ja, also die Korruption in dem Sinne, ich weiß nicht, wie man es aus Filmen kennt, irgendwelche Kuverts hin und her fliegen, also das, glaube ich, bin ich nahezu überzeugt, das gibt es in Österreich nicht, ja? Ich glaube, es ist eher so diese, unter Anführungszeichen, ‚Korruption im Kleinen‘, wo wahrscheinlich vielfach gar nicht bewusst ist, dass das ein Verhalten ist, das als korrupt angesehen werden könnte.“
Zitat aus Interview 17:
„Also das kenne ich nicht, dass jemand dann ein Kuvert herlegt und sagt ‚Machen Sie das bitte‘. Das ist mir noch nicht passiert.“
206
Zitat aus Interview 18:
„Mir ist was anderes Skurriles passiert. Ich habe einer Patientin, die ich hier betreue, meine Termine und Wartezeiten gesagt – ich ordiniere nicht so oft und ich bin ausgebucht jetzt ein, zwei Monate im Vorhinein – und dann habe ich gesagt ‚Aber schauen Sie, ich bin sowieso auch im Spital, kommen Sie, bin morgen drinnen‘. Also sie hat mir geschrieben via Mail, nicht? Und sie war dann am nächsten Tag da, es war gerechtfertigt, sie hat auch gewartet wie jeder andere auch. Aber am Ende der Untersuchung schiebt sie mir ein Kuvert hin mit dem Geld, also ich weiß nicht, ob da Geld jetzt wirklich drinnen war. Ich habe sie gefragt: ‚Was ist das bitte für ein Kuvert?‘, sagt sie: ‚Na, das ist das Geld, was ich auch für die Ordination bei Ihnen bezahle‘. Sage ich: ‚Nein, nein, aber sicher nicht, nehmen sie das wieder zurück, ich schaue gar nicht nach, es interessiert mich nicht‘. Sagt sie: ‚Da sind Sie aber einer der wenigen‘.“
Mehrmals wurde im Rahmen der geführten Interviews angemerkt, dass es bei der ganzen
Debatte um die Kuvertmedizin und informelle Zahlungen wichtig sei, festzuhalten, dass wir
uns in Österreich noch lange in keinem Land aufhalten, wo der Erhalt einer lebens-
notwendigen medizinischen Leistung vom Versichertenstatus oder finanziellen Status einer
Person abhängig sei. Jeder, der hierzulande einen lebensnotwendigen medizinischen Eingriff
benötige, würde ihn auch erhalten.
Zitat aus Interview 11:
„Ja, ja, aber Ihr dürft nicht vergessen bitte, bleiben Sie am Boden, in Österreich bekommt jeder die Gesundheitsleistung, die er braucht. Da ist niemand altersmäßig, sozial oder so ausgeschlossen. Dass hier die Wartezeiten unterschiedlich sind, ist verständlich, weil, schauen Sie, ich leiste mir seit meinem 25. Lebensjahr eine Zusatzversicherung, also ein Teil meines Einkommens und ich würde sagen nicht wenig bezahle ich für die Zusatzversicherung, wo ich mir eben den Arzt auswählen kann usw.“
Zitat aus Interview 12:
„Also wir jammern wahrscheinlich schon auf einem relativ hohen Niveau, muss man sagen, ja. Und auch bei all der Kritik, die ich angebracht habe, unser System ist kein schlechtes Gesundheitssystem, im Großen und Ganzen kriegen die Patienten das, was sie brauchen. Es ist nicht so, dass da der Patient normalerweise zahlen muss, damit er irgendeine Leistung kriegt, ja, oder dass die Leistung vom Rang und Namen abhängt oder so, also da sind wir ja Gott sei Dank nicht.“
Zitat aus Interview 17:
„Ich bin ja selber niedergelassener Arzt und ich erlebe das ja, dass die Patienten die Behandlung bekommen, die sie brauchen, unabhängig von ihrem Versicherungsstatus, überhaupt keine Frage. Also im Krankenhaus, wenn jemand operiert werden muss, operiert der, der die Operation am besten beherrscht und der da ist.“
Zitat aus Interview 18:
„Nein, die Leistung, wenn man sie dann einmal hat, ist glaube ich, an sich gut, die ist sehr gut. Außer jetzt eben, dass unser Gesundheitssystem zu einer Durchschleuse-Maschinerie verkommt. Das ist aber ein anderes Problem, aber wenn es jemandem wirklich schlecht geht, dann kriegt er schon die beste Behandlung, die möglich ist, und egal wie viel er eingezahlt hat, das ist unsere Solidargesellschaft.“
207
9. Geringfügige Geschenke
Inwiefern Geschenke an die Grenze von Korruption stoßen, wurde seitens 9 von 18 Befragten
diskutiert. Einerseits wurden geringfügige, ortsübliche, angemessene Geschenkannahmen
(innerhalb bestimmter gesetzlich, vertraglich oder in Verhaltenskodizes festgelegter
Wertgrenzen) – wie beispielsweise die Annahme einer Pralinenschachtel, einer Weinflasche,
einer Kaffeepackung oder eines Blumenstraußes – seitens sieben der neun befragten Experten
als völlig legitim erachtet. Sie seien vielmehr ein Zeichen von Wertschätzung, Dankbarkeit und
Gastfreundschaft und in einem Land wie Österreich durchaus Sitte, als dass sie jemanden
beeinflussen könnten. Die öffentlich geführte Debatte um geringfügige Geschenkannahmen
war für einige Interviewteilnehmer absolut nicht nachvollziehbar. Selbige Ansicht traf auch auf
die Annahme geringfügiger Firmengeschenke (z.B. Büromaterialien wie Kugelschreiber,
Notizblöcke, Haftnotizen und Kalender; Literatur) zu.
Zitat aus Interview 5:
„Manche haben die Bagatell-Regel von 100 Euro noch mehr verschärft und in manchen Krankenhäusern ist es so, dass das Pflegepersonal nicht mal mehr eine Bonbonniere oder ein Sackerl mit Kaffeebohnen annehmen darf, eine Null-Toleranz-Politik, was insbesondere ältere Patienten eher verunsichert, weil die wollen ja niemanden bestechen, die wollen einfach nur Dankeschön sagen.“
Zitat aus Interview 6:
„Ich habe so viele Menschenleben gerettet in dem Schockraum und ich habe mir zu keinem Zeitpunkt überlegt, ob das korrupt ist oder nicht. Und ich habe mir auch nicht überlegt, ob die depperten Pralinen, der Whiskey und das irgendwas korrupt ist oder nicht. Und wenn das ein Hauptthema in meiner Denkweise wird, interessiert es mich einfach nicht mehr.“
Zitat aus Interview 11:
„Ja, mit Augenmaß das Ganze zu machen. Schauen Sie, es trauen sich viele Beamte nicht einmal, einen kleinen Kaffee zu trinken, weil wenn die von einer Firma irgendwo in ein Kaffeehaus zu einem Gespräch eingeladen werden, weil die sagen, es könnte sein, es ist Korruption. Also das, wie wichtig das ist, das richtige Augenmaß“.
Zitat aus Interview 13:
„Wobei manche Dinge für mich dann schon wieder fast skurril anmuten. Also ich sage, wenn es um die Tasse Kaffee oder irgendwas geht, das halte ich teilweise dann, ehrlich gesagt, für übertrieben. Also man darf den gesunden Menschenverstand, glaube ich, weiterhin benutzen.“
Im Gegensatz dazu wurde seitens zwei der neun befragten Experten ein flächendeckendes
Null-Toleranz-Prinzip bei Geschenkannahmen, wie es in vielen Organisationen bereits
208
vorgelebt wird, gefordert. Dies sei nötig, weil es durchaus auch Situationen gäbe, in denen
auch die Annahme einer 20-Euro-Weinflasche unethisch erscheine. Außerdem wäre ein Null-
Toleranz-Prinzip unerlässlich, um eine umfassende Bewusstseinsänderung in der
österreichischen Kultur zu verankern. Obwohl die Annahme geringfügiger Firmengeschenke
(z.B. Büromaterialien mit aufgedrucktem Firmenlogo) in Umfragen mit Medizinern als eher
unproblematisch eingestuft wird (Wazana 2000; Brett et al. 2003), muss an dieser Stelle auf
Studienergebnisse verwiesen werden, die die Wirkung geringfügiger Werbegeschenke durch
das tägliche unbewusste Wahrnehmen und Einprägen von Firmenlogos und Produktnamen
eindeutig bestätigen. Außerdem fühlen sich Empfänger von Werbeartikeln dem gebenden
Unternehmen stärker verbunden, was in einer höheren Loyalität des Kunden resultieren kann
(ASI 2008; GWW 2017).
Zitat aus Interview 8:
„ Das ist so wie man meiner Meinung nach keine Summen angeben kann und sagen kann, ab 30 Euro bist du korrupt, sondern, dass ich sagen muss, vielleicht sind manchmal 30 Euro okay und woanders soll ich aber überhaupt nichts annehmen, da sind schon 5 Euro zu viel. Also, dass das wirklich was ist, wo ich sage, da geht‘s um die Situation, um die Person, um das Angebot und nicht darum, diese Wertgrenzen, von denen halte ich gar nichts.“
Zitat aus Interview 14:
„Ich glaube, dass wir da eine Phase dieser Null-Toleranz wirklich brauchen, solange wir nicht diese umfassende Bewusstseinsänderung in unserer Kultur verankert haben.“
Die seitens der Pharmaindustrie (z.B. PHARMIG) selbst auferlegten Verhaltenskodizes und
Compliance-Regeln, in denen auch Geschenkannahmen geregelt sind, wurden von den
Experten begrüßt, deren Wertgrenzen müssten nur klarer ausgewiesen (Vermeidung unklarer
Formulierungen wie „angemessen“ oder „ortsüblich“) und deren Einhaltung strenger
kontrolliert werden.
10. E-Card-Missbrauch
Kein einziger der befragten Experten erwähnte bei der Frage nach möglichen Einfallstoren von
Korruption den E-Card-Missbrauch bzw. die Verwendung einer E-Card und die
Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen durch eine nichtberechtigte Person – im
Wissen oder Unwissen des rechtmäßigen Besitzers (Kern-Homolka et al. 2011, S. 29;
Meissnitzer 2015, S. 116). Auf Nachfrage hin (2 von 18 Befragten) stellte sich heraus, dass dies
209
im Hinblick auf Schadensfälle und -höhe scheinbar kein großes Problem in Österreich darstellt.
Dies geht auch aus einer jüngeren Stellungnahme der ehemaligen Gesundheitsministerin
(Sabine Oberhauser) betreffend einer ihr im Jahr 2015 gestellten parlamentarischen Anfrage
zum E-Card-Missbrauch hervor: „[…] nach den laufenden Erhebungen des Hauptverbandes der
österreichischen Sozialversicherungsträger [kann] die Zahl der Missbrauchsfälle hinsichtlich
der ungerechtfertigten Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe im Verhältnis zur Gesamtzahl der
Ordinationen tatsächlich als sehr gering – geringer als vor Einführung der e-card – bezeichnet
werden. Die Missbrauchsfälle stellen keine erhebliche Belastung der Krankenversicherungs-
träger dar und haben für die Finanzlage der Versicherungsträger keine reale Bedeutung.
‚Gestohlene und verlorengegangene‘ e-cards sind keine potenziell taugliche Grundlage für
Sozialmissbrauch. Solche Karten werden aufgrund der Meldungen gesperrt, sie können zur
Ermittlung von Versicherungsansprüchen nicht mehr verwendet werden“ (BMG 2015a, S. 1).
Eine aktuellere Anfragebeantwortung des Gesundheitsministeriums zum E-Card-Missbrauch
scheint selbiges zu bestätigen. Beispielsweise verzeichnete die Wiener Gebietskrankenkasse
lediglich 21 Fälle eines E-Card-Missbrauchs im Zeitraum 2014 bis 2016. Deren Gesamtschaden
soll sich auf ungefähr 7.000 Euro belaufen haben. Bei der Kärntner Gebietskrankenkasse lagen
im selbigen Zeitraum weitaus mehr Verdachtsfälle (305) vor, von denen sich insgesamt 154
erhärtet haben. Einige Fälle wurden bereits erfolgreich gerichtlich verfolgt und verurteilt
(BMG 2017, S. 4). Trotz des scheinbar geringen Schadensausmaßes wurden bereits präventive
Maßnahmen gegen einen allfälligen E-Card-Missbrauch in Österreich gesetzt (z.B.
Ausweispflicht der Leistungsempfänger auf Verlangen der behandelnden Stelle; im
Zweifelsfall verpflichtende Überprüfung der Identität der Patienten durch die
Vertragspartner; Fälschungssicherheit der E-Card) (BMG 2015a, S. 2ff.). Zudem sollen ab dem
Jahr 2019 nur noch E-Cards mit Fotos ausgestellt werden (Schaffer 2017).
Zitat aus Interview 8:
„[E-Card-Missbrauch] gibt es natürlich, ist aber eigentlich nicht so wirklich ein großes Problem muss ich sagen.“
Zitat aus Interview 17:
„Es gibt ja zwei parlamentarische Anfragen, zum Beispiel zum E-Card-Missbrauch, und da kommen ja kaum Schadensfälle heraus“.
210
5.7.4 Ursachen von Korruption
Anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 17) werden im Folgenden sämtliche
Korruptionsursachen, die auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen
Gesundheitssystems (Oberkategorien) von den befragten Experten identifiziert worden sind
und teilweise in einer weiteren Ebene (Subkategorien) ausdifferenziert wurden, nach ihrer
Häufigkeit der Nennungen aufgelistet und beschrieben. Die Aufarbeitung schließt auch bereits
im vorangegangenen Kapitel genannte Ursachen ein. Viele der dargelegten Korruptions-
ursachen decken sich weitgehend mit jenen, die auch in der internationalen Literatur (Kapitel
2.5 und 3.5) aufgezeigt werden konnten, bzw. finden sich in spezifischen Ansätzen zur
Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem (Vian 2008, S. 86) wieder. Darunter fallen
beispielsweise mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen, gesetzliche Regelungs-
lücken, Intransparenz, Drittzahlerkonstruktion, niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeit,
niedrige Gehälter, mangelndes Problem- und Unrechtsbewusstsein, Habgier, mangelnde
Vorbildwirkung der Führung etc. Darüber hinaus wurden auch österreichspezifische
Korruptionsursachen aufgedeckt (spezifische fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen,
mangelnder politischer Wille zur Veränderung, schlechte Qualität des Aus- und
Fortbildungssystems und daraus resultierender fehlender Informationsstand und
Wissenslücken, finanzielle Abhängigkeit der Health Professionals von Dritten (Industrie) und
ihre mangelnde Wertschätzung sowie Anfälligkeit für Schmeicheleien, mangelnde
Meldebereitschaft der Patienten u.a.).
211
Ursachen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Oberkategorien Kategorien und Subkategorien Häufigkeit
Makroebene 18
Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
Fehlende unabhängige Finanzierungssysteme
Gehaltsniveau der Spitalsärzte
Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem
Zusatzversicherungssystem
17 9 7 6 2
Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen 13
Rechtliche Lage/gesetzliche Regelungslücken 13
Intransparenz 12
Mangelnde Antikorruptionskultur/öffentliche Tolerierung 10
Mangelnder politischer Wille/Mut zur Veränderung 7
Ressourcenverknappung 5
Schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems 5
Drittzahlerkonstruktion 4
Politisches System/Föderalismus 3
Sonstige Ursachen
Schwache Interessenvertretung des Allgemeinwohls
Schlechte Vorbildwirkung der Politik
3 2 1
Mesoebene 15
Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
Einnahmen aus Sonderklassegebühren
Gestattung von Nebenbeschäftigungen
12 7 6
Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen 10
Nutzenstiftung für die Organisation 6
Mangelnde Vorbildwirkung der Führung 5
Mikroebene 18
Mangelndes Unrechts-/Problembewusstsein 16
Individuelle Nutzen- und Einkommensmaximierung/Habgier 14
Reziprozität/Beziehungspflege 10
Mangelnde Meldebereitschaft/niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeit
8
Fehlender Informationsstand/Wissenslücken 7
Unterschiedliche Wertvorstellungen 6
Subjektiv empfundene Ungerechtigkeit/mangelnde Wertschätzung
5
Finanzielle Abhängigkeit 3
Anfälligkeit für Schmeicheleien 3
Tabelle 17: Kategoriensystem zu den Ursachen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien einschließlich ihrer Ober- und Subkategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Die Ursachen von
Korruption wurden in allen 18 Interviews erfragt.)
212
Ursachen auf der Makroebene
1. Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
Als häufigste Ursache für Korruption auf der Makroebene des nationalen Gesundheitssystems
wurden fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen genannt (17 von 18 Befragten), die
vielfach auch als „Systemfehler“ bezeichnet wurden und Akteure im Sinne von „Gelegenheit
macht Diebe“ zu korrupten Aktivitäten verleiten sollen. Ein besonders hohes Korruptionsrisiko
bestehe vor allem dann, wenn solche fehlgeleiteten Anreizstrukturen mit mangelnden
Kontroll- und Sanktionsmechanismen einhergehen.
Zitat aus Interview 8:
„Fehlgeleitete Anreizmechanismen, die es ermöglichen, dass dann auf der individuellen Ebene zum eigenen Nutzen gehandelt wird. Na, und dass das System das a.) toleriert und b.) auch fördert indirekt.“
Zitat aus Interview 9:
„Und bei uns gibt es ja ein System, das auf der einen Seite von der Anreizstruktur so ist, dass es das herausfordert, auf der anderen Seite von der Kontrollstruktur nicht präsent ist, um ganz einfach irgendwo eine Generalprävention da zu schaffen.“
Folgende fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen wurden thematisiert:
Fehlende unabhängige Finanzierungssysteme
Wie bereits schon einmal angemerkt wurde, führen laut mehrheitlicher Expertenansicht
(9 von 18 Befragten) fehlende unabhängige Finanzierungssysteme bzw. öffentliche Gelder,
wie beispielsweise jene zur medizinischen Forschungs- und Fortbildungsfinanzierung dazu,
dass Akteure (Mediziner, Selbsthilfegruppen, Forschungseinrichtungen etc.) in die
finanzielle Abhängigkeit der Pharmaindustrie gedrängt werden und somit ihrer
willkürlichen Einflussnahme unterlegen sind. Die ausgelegten Gelder soll sich die Industrie
vor allem über Preisverhandlungen zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets wieder
hereinholen.
Zitat aus Interview 2:
„Dass Ärztefortbildungen oder Patientengruppen von der Industrie gesponsert werden, hat damit zu tun, dass die öffentliche Hand dafür kein Geld in die Hand nimmt, aber gleichzeitig woanders sich das Geld hereinholt. […] Und ein erneut weiterer fehlgesteuerter Anreiz ist, dass wir die gesamte medizinische Forschung der Industrie überlassen haben. Dass wir keine öffentlichen Forschungsgelder haben, um die Dinge zu beforschen, wo wir Wissen bräuchten und nicht die Dinge zu beforschen, wo Produkte einen Markt suchen.“
213
Zitat aus Interview 11:
„Naja, es müsste die öffentliche Hand ärztliche Fort- und Weiterbildung ohne Einfluss der einzelnen Firmen machen, also themenorientiert und die Firmen werden eingeladen, können präsentieren. […] Aber wenn man die Firma A oder B einlädt zu einer Fort- und Weiterbildung, dann werden sie versuchen, ihre Produkte als einzigartig und die besten darzustellen und nachher kommen die Erfolge dann, weil dort bestellt wird. Aber das ist, da müsste die öffentliche Hand, sprich Länder, aber auch der Bund Geld in die Hand nehmen.
Zitat aus Interview 13:
„Auf der einen Seite will die öffentliche Hand in vielen Fällen die Gelder nicht zur Verfügung stellen, auf der anderen Seite gibt es die Beschwerde, dass die Industrie über diese Schiene Einfluss nimmt.“
Zitat aus Interview 18:
„Und in jeder anderen Berufssparte wird die Fortbildung auch bezahlt. Und das meine ich auch mit ‚in die wirtschaftliche Abhängigkeit treiben die Ärzte‘.“
Gehaltsniveau der Spitalsärzte
Für sieben der 18 befragten Experten stellt das niedrige Grundgehalt von Spitalsärzten
einen großen fehlgesteuerten Anreiz zur Einkommensmaximierung über die Aufnahme
einer Nebenbeschäftigung (z.B. Nebentätigkeiten in Privatordinationen oder
Privatkliniken; Vortrags- und Beratungstätigkeiten für die Industrie) oder die vermehrte
Behandlung von Sonderklassepatienten dar. Dieser sogenannte „Systemfehler“ soll in der
Vergangenheit (Zweite Republik) begründet liegen, als man den Spitalsärzten aufgrund
begrenzter Budgets lediglich ein niedriges Grundgehalt zugestehen konnte, ihnen
gleichzeitig aber die Möglichkeit einräumte, dieses über diverse Nebeneinkünfte
aufzustocken. Die kürzlich erfolgte Anhebung der Spitalsärztegehälter im Zuge der
Dienstzeitenreduktion wurde seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie als reine
„Publicity“ bezeichnet, da seines Erachtens lediglich die entgangenen Überstunden-
zahlungen und Nachtzulagen durch die Gehaltsanhebung abgefedert wurden.
Zitat aus Interview 4:
„Nein, aber ich muss jetzt noch was dazu sagen, auch als Verteidigung jetzt für die Ärzte. Es war schon teilweise nicht einmal unausgesprochen, sondern sehr klar ausgesprochen, auch immer früher, du kriegst eine Führungsposition als Primararzt, kriegst eigentlich relativ wenig Zulagen und Gehalt, aber dafür kannst du dir quasi auf andere, und wir machen da quasi alle Augen zu, auf andere Art und Weise kannst du dir zu einem ordentlichen Einkommen verhelfen. Also das System hat schon auch eine Verantwortlichkeit, ja.“
214
Zitat aus Interview 5:
„Aber das ist ein Strukturproblem, das keiner anpacken wollte, wenn man auch gemeint hat, wenn man den Ärzten das Augenzwinkern zugesteht, kann man die Gehälter im Spital niedrig halten, weil die holen sich dann die Butter aufs Brot woanders.“
Zitat aus Interview 6:
„Man hat gesagt, okay, du kriegst ein niedriges Grundgehalt, aber du kannst daneben deine Ordination haben, dort kannst du verdienen, das ist in den Verträgen drinnen gestanden, also heute in irgendeiner Weise zu sagen, dass das illegal ist, ist Wahnsinn. […] Die verdienen alle zu wenig. […] Glaube nicht, dass irgendjemand korrupt ist aus einem anderen Grund im Gesundheitswesen. If you pay peanuts, you get monkeys.”
Zitat aus Interview 7:
„Also wir bezahlen offenbar weniger, wir besteuern mehr und aus dem Grund wird es nur kompensiert durch eine Privatpraxis nebenbei“.
Zitat aus Interview 16:
„Nein, das [die Gehaltserhöhung] war nur Publicity. […] Das gute Gehalt von den Ärzten war meistens das, dass sie einfach die Bereitschaft gehabt haben und Nachtstunden gemacht haben, die ganzen Nachtdienste einfach wirklich lukrativ waren, aber das Grundgehalt von den Medizinern, das ist lächerlich.“
Zitat aus Interview 18:
„Also ich bin jetzt in Elternteilzeit 20 Stunden, habe meine Dienstjahre, musste mir ausrechnen, also auf jeden Fall mehr als zehn bei der Gemeinde [Name der Gemeinde], dann Oberarztfunktion, dann mehr als zehn Jahre Nachtdienste gemacht in einem gefahrengeneigten Beruf, habilitiert, anordnungsbefugt für viele Leute. Was glauben Sie kriege ich für 20 Stunden netto? […] Es sind 1745, ja?“
Anhand der zugrunde liegenden empirischen Erkenntnisse wurde folgende These
abgleitet:
U1 Die Korruptionsanfälligkeit von Spitalsärzten hängt von ihrem Gehaltsniveau ab.
Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem
Heftig kritisiert wurde seitens sechs der 18 Befragten auch das aktuelle, überwiegend
quantitätsorientierte Abrechnungssystem – sowohl im niedergelassenen Bereich
(Kombination aus Pauschal- und Einzelleistungsabrechnung) als auch im Spitalsbereich
(LKF-System). Es berge einen fehlgesteuerten finanziellen Anreiz zur Maximierung/
Optimierung von Leistungsabrechnungen über falsch abgerechnete oder überflüssig
erbrachte Leistungen. Auf dieses Problem wies bereits vor Jahren Transparency
215
International – Austrian Chapter hin (TI-AC 2010, S. 26). Während im niedergelassenen
Bereich vor allem die verschiedenen, einzelleistungsdominierten Honorarordnungen mit
ihren unterschiedlichen Tarifen beanstandet wurden, wurde im stationären Bereich
insbesondere die gewährte „Betriebsabgangsdeckung“50 beim LKF-System kritisiert. Dies
wird auch in der jüngst veröffentlichten Studie zur Effizienz im österreichischen
Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich bemängelt (LSE 2017a, S. 65ff.).
Zitat aus Interview 2:
„Die Einzelleistungsabrechnung, das ist ein Systemfehler, dass Ärzte Leistungen maximieren müssen, damit sie zu einem bestimmten Einkommen kommen, dadurch rechnen sie Dinge ab, die möglicherweise nicht gemacht worden sind oder in anderen Dimensionen gemacht worden sind.“
Zitat aus Interview 7:
„Das [der Abrechnungsbetrug] hat wirklich auch mit unserem idiotischen Abrechnungssystem zu tun, das es fast herausfordert, nicht. […] Ja, es ist nicht gut ein System zu haben, das auf Quantität ausgerichtet ist und die einzelnen Leistungen unglaublich billig vergütet. Also die einzelne Leistung ist lächerlich, ja, also der Arzt wird angehalten möglichst viel zu tun, um ein tragbares Gehalt herauszuwirtschaften, ja, das ist der Anreiz. […] Auch das leistungsorientierte Krankenhaus-finanzierungssystem, da gibt es einfach Möglichkeiten wiederum das System eben auszutricksen und gewisse Anreizstrukturen.“
Zitat aus Interview 10:
„[…] Aber so hat ja Österreich neun verschiedene Finanzierungssysteme in den Bundesländern bei Spitälern und egal wie ich wirtschafte, am Schluss kriege ich den Abgang gedeckt.“
Zitat aus Interview 12:
„Es ist das Honorierungssystem in Österreich völlig abstrus. […] Nehmen wir eine einfache Leistung her wie Blutdruckmessen. Blutdruckmessen kostet beim praktischen Arzt in Wien anders viel als beim Internisten in Wien. Die können das beide genau gleich gut. Das ist eine ganz einfache Leistung. Kostet unterschiedlich viel. […] D.h., durch den Föderalismus werden diese Honorare mit jeder Gebietskrankenkasse für jede Fachgruppe separat verhandelt.“
Zitat aus Interview 15:
„Also ich finde den Honorarkatalog bisweilen ein bisschen einfallslos. Das führt halt dazu, wenn er für das noch einmal eine Position und für das noch einmal eine Position und für das noch einmal eine Position, dann reizt das natürlich den, der abrechnet und der auch verdienen will, dass er lange nachdenkt, was könnte ich noch an Positionen erfinden?“
50 Wenn die über LKF-Punkte erwirtschafteten finanziellen Mittel zur Kostendeckung der Spitäler nicht ausreichen, wird der restliche Betrag über die sogenannte „Betriebsabgangsdeckung“ der Spitalseigentümer (Land, Gemeinde, Ordensgemeinschaft) beglichen (Czypionka et al. 2008, S. 2).
216
Auf Basis der gewonnenen empirischen Erkenntnisse wurde folgende These aufgestellt:
U2 Die Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen wird durch das bestehende
quantitätsorientierte Abrechnungssystem im ambulanten und stationären Bereich
forciert.
Zusatzversicherungssystem
Laut zwei der 18 Befragten soll in Österreich die gesetzliche Möglichkeit, eine
Krankenzusatzversicherung abzuschließen, zur Bevorzugung und übermäßigen
Versorgung zusatzversicherter Patienten als eine lukrative Einnahmequelle beigetragen
haben – und dies, obwohl man nach geltender Rechtslage (§ 16 KAKuG) weder Vor- noch
Nachteile in der medizinischen Behandlung durch den Abschluss einer Zusatzversicherung
haben dürfte.
Zitat aus Interview 10:
„Also ich halte Zusatzversicherte, die gesetzlichen Möglichkeiten, in Österreich eine Zusatzversicherung zu verkaufen einem Menschen, der nach dem österreichischen Gesetz keine Vorteile daraus haben darf in der medizinischen Behandlung, und das aber so zu verkaufen, dass er Angst haben muss, dass, wenn er sie nicht abschließt, schlechter behandelt wird. Das halte ich für flächendeckend eines der größten Probleme, weil sie mit den Sondergebühren und den anderen Vorteilen in der Verknüpfung von öffentlichem und privatem Gesundheitswesen unterstützend wirken. Da entgeht dem österreichischen Gesundheitswesen sehr, sehr viel Geld.“
2. Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Die zweithäufigste genannte Ursache für Korruption auf der Makroebene (13 von 18
Befragten) stellen mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen bestehender Regulative
durch die zuständigen Behörden dar. Dadurch könnten bislang gesetzte
Antikorruptionsmaßnahmen ihre volle Wirksamkeit nicht entfalten. Zwar wurden
Registrierungspflichten für nicht-interventionelle Studien, Meldepflichten für Neben-
beschäftigungen, Registrierungspflichten für Lobbyisten, die Einführung des transparenten
Wartelistenregimes, das Verbot von Naturalrabatten im niedergelassenen Bereich,
Verhaltenskodizes auf internationaler und nationaler Ebene (z.B. EFPIA- und PHARMIG-
Verhaltenskodex) etc. allesamt als wichtige Maßnahmen im Korruptionskampf erachtet,
allerdings würden sie nicht ausreichend durchgesetzt, kontrolliert und sanktioniert werden.
Dadurch könnten Individuen – in Übereinstimmung mit dem ökonomischen Erklärungsansatz
von Korruption (vgl. Kapitel 2.4) – zu missbräuchlichem Verhalten verleitet werden. Einen
217
großen blinden Fleck soll nach wie vor der niedergelassene Bereich –insbesondere der
Wahlarztbereich – darstellen, wo es bisweilen an adäquaten Monitoringstrukturen
(Compliance-Beauftragten, externen Kontrollorganen etc.) zur Überwachung der Einhaltung
aufgestellter Regeln und Vorschriften fehlt. Inwiefern die Einführung des Mystery Shoppings
– gemäß § 32a ASVG und die auf dessen Basis erlassene Durchführungsrichtlinie (RLVPK) –
zukünftig zur Aufhellung des Dunkelfeldes im Vertragspartnerbereich beitragen wird können,
bleibt abzuwarten. Inwiefern die Industrie Gesetze und Compliance-Vorschriften umgeht,
indem sie das „Rechts- und Regelbrechen“ an externe Dienstleister outsourct, müsste
ebenfalls zukünftig strenger kontrolliert und geahndet werden.
Zitat aus Interview 2:
„Die Verordnung z.B., dass jeder Arzt, der einen Nebenverdienst hat, ihn melden muss, egal was er tut, ob er als Pharmavertreter auftritt oder ob er, ich weiß nicht, eine Ordination hat, er muss es melden. Gut, aber nach der Verordnung kam dann keine Kontrolle der Verordnung, ob das jemals gemeldet worden ist. Dann hat eine Verordnung herausgegeben, dass Patienten, die im öffentlichen Bereich vor einer elektiven Operation stehen und Diagnostik machen, die müssen dann im öffentlichen Bereich operiert werden. Es können nicht die Diagnostik und der Eingriff an unterschiedlichen Orten stattfinden, wurde auch niemals kontrolliert. […] Man kann nicht Dinge regeln und sie dann nicht kontrollieren.“
Zitat aus Interview 4:
„Also da ist es für mich jetzt nicht nur eine Sache der Gesetze oder der Erlässe oder dieser Vorgaben, es ist auch eine Sache der Umsetzung und der Durchsetzung.“
Zitat aus Interview 5:
„Was in manchen Ländern auch gemacht wird, ist, dass die Pharmafirmen das nicht mehr selber tun, sondern Marketingagenturen beauftragen, diese Dinge vorzusetzen, die sie selber nicht mehr tun dürfen. Das kann ich nicht ausschließen, d.h. inwieweit sozusagen dann das Rechtsbrechen outgesourct wird an Marketingagenturen, müsste man sich anschauen.“
Zitat aus Interview 8:
„Im gesamten niedergelassenen Bereich gibt es so etwas ja eigentlich nicht. Also unsere über tausend Vertragsärzte, die haben keinen Compliance-Manager.“
Zitat aus Interview 17:
„Und was noch ein Systemfehler ist natürlich, das ist die Kontrolle durch die zuständige Behörde. Ich meine, es sind gerade die nicht-interventionellen Studien, die sind ja sehr behaftet mit dem Odem, sie würden eher Verkaufsförderungsprogramme sein als ein Studiencharakter. Da muss man sagen, gerade die nicht-interventionellen Studien, die haben genau die gleichen rechtlichen Grundlagen und Auflagen wie jede klinische Studie. Nur muss man sie halt kontrollieren.“
218
Im Speziellen wurden die mangelnden Kontroll- und Sanktionsmechanismen seitens der
Ärztekammer kritisiert. Vieles würde nach wie vor als Kavaliersdelikt durchgehen, wie
beispielsweise Abrechnungsbetrug, der – wie bereits erwähnt wurde – nur schwer
nachgewiesen werden kann und daher laut der Aussage eines Vertreters der
Gebietskrankenkasse nur selten strafrechtliche Konsequenzen (z.B. Entzug der Lizenz,
Haftstrafe) nach sich ziehen soll.
Zitat aus Interview 7:
„Also niemand wird bestraft, ja, ich habe nie gehört, dass ein Arzt wirklich ins Kittchen wandert, obwohl es genug gäbe, die das sollten wahrscheinlich, ich habe nie gehört, dass wirklich seriös jemand überprüft worden ist und dass wirklich einmal ein Fall daraus geworden ist, nie gehört. Also da wird mit Samtpfoten gearbeitet von der Kasse auch, und damit braucht man sich nicht wundern. Also es gehört immer ein System dazu, das anfällig dafür ist, und da liegt es natürlich am Individuum, das System auszunützen und das Gesetz zu übertreten, vor allen Dingen, wenn er damit rechnen kann, dass nichts passiert. […] dass man das Gefühl hat, ja, man wird eh beschützt von der Standesvertretung [der Ärztekammer] statt dass offen gelegt wird und Kontrollfunktionen willkommen sind.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich glaube, die meisten wissen nicht einmal, dass es den [Verhaltenskodex der Ärztekammer] gibt. Ja? Und selbst wenn, das ist einfach ein Graubereich, was jetzt der Doktor XY in Rohrbach oder in irgendwo tut, das, da schaut ja keiner hin. […] GKK überprüft dies, Rückforderungen durchzusetzen ist jedoch sehr schwierig, da GKK beweisen muss, dass falsch abgerechnet worden ist. Noch nie hat es die GKK geschafft, Ärzte, die bereits als schwarze Schafe gelten, zu verklagen und die Lizenz zu entziehen. Präzedenzfälle gibt es noch nicht.“
Zitat aus Interview 10:
„Aber die Ersten, die Mystery Shopping machen müssten, wäre die Ärztekammer.“
Ferner wies ein Gesundheitsökonom auch auf das Problem hin, dass die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft aktuell sehr unterbesetzt sei und daher sehr überfordert wäre,
weswegen auch automatisch weniger Fälle strafrechtlich verfolgt werden könnten. Ferner
merkte ein Gesundheitswissenschaftler an, dass es auch wichtig sei, mehr Kontrolle und
Transparenz in bislang vollkommen intransparente Bereiche wie beispielsweise die
„Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen und Selbsthilfegruppen“ oder die
„Preisgestaltung von Arzneimitteln“ zu bringen. Österreichweit lägen hierzu nur die aktuellen
Untersuchungen des Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment vor (Wild
et al. 2015a; Wild et al. 2015b).
219
Zitat aus Interview 9:
„Aber haben wir jemals wirklich kontrolliert, also ich glaube Wild mit ihrer Studie zu den Fortbildungsveranstaltungen, das ist allein auf weiter Flur, das ist auch eine Art von Kontrolle, ja. Also sie hat einfach einmal nachgeschaut, wer finanziert denn da was. Das tun wir überhaupt nicht kontrollieren. Null, ja. Haben wir schon einmal kontrolliert, wie, ob der Preis von dem Rheumatologikum oder Onkologikum gerechtfertigt ist? Nein. Es wird nicht kontrolliert. Das ist auch eine Form von Kontrolle.“
3. Rechtliche Lage/gesetzliche Regelungslücken
Dem strafrechtlichen Erklärungsansatz folgend (vgl. Kapitel 2.4) wurde Korruption mehrmals
(13 von 18 Befragten) auf die aktuelle rechtliche Lage bzw. auf bestehende gesetzliche
Regelungslücken auf nationaler Ebene zurückgeführt. Zum einen sei nach wie vor unklar, ob
niedergelassene Vertragsärzte, die laut vorherrschender Juristenmeinung nicht unter den
Amtsträgerbegriff (§ 74 StGB) fallen, wenigstens als Beauftragte der gesetzlichen
Krankenkassen (§ 309 StGB) vom Korruptionsstrafrecht erfasst seien (vgl. Kapitel 4.2.1). Die
endgültige Klärung dieser Rechtsfrage steht noch aus (Schrank & Meier 2012, S. 16f.; Koukol
& Machan 2013, S. 126ff.). Ebenso wurde auf das Problem hingewiesen, dass niedergelassene
Ärzte, die über keinen Kassenvertrag verfügen, laut Juristen weder als Amtsträger noch als
Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen handeln und somit nicht unter das
Korruptionsstrafrecht fallen. Weiters wurde mehrmals Kritik an der Novellierung des
Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KA-AZG) aus dem Jahr 2014 geübt, da die Reduktion
der Dienstzeiten für Spitalsärzte nicht mit einer strengeren Regulierung von
Nebenbeschäftigungen einherging und daher zu deren Zunahme geführt haben soll. Laut
Expertenmeinung wären die geltenden gesetzlichen Bestimmungen (§ 7 AngG
Konkurrenzverbot) sogar ausreichend, um Nebenbeschäftigungen auf vertraglicher Ebene
strenger zu regulieren oder gänzlich zu unterbinden, nur müssten sie auch dementsprechend
Anwendung finden (vgl. Kapitel 4.2.1). Seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie wurde
angemerkt, dass das Arzneimittelgesetz im Hinblick auf die verbotene Laienwerbung (§ 51
Abs. 1 Z 1 AMG) Ausnahmen für von Gebietskörperschaften durchgeführte und unterstützte
Impfkampagnen enthalte und somit Pharmaindustrien ein „legales“ Tor zur direkten
Einflussnahme auf Patienten und Gesellschaft eröffne. Ferner übte ein Gesundheitsökonom
Kritik an der aktuellen Kronzeugenregelung im österreichischen Strafrecht (§§ 209a, 209b
StPO), da diese nicht ausreichend Schutz für Whistleblower (Hinweisgeber, die keine
Tatbeteiligten darstellen) gewähre. Des Weiteren wurde mehrmals auf die aus
220
datenschutzrechtlichen Gründen erforderliche Einverständniserklärung zur namentlichen
Offenlegung industrieller Zuwendungen hingewiesen, aufgrund deren die Offenlegung
überwiegend in aggregierter Form stattfinde und dadurch lediglich in einer „intransparenten
Transparenz“ münde. Ein Gesundheitspolitiker merkte diesbezüglich allerdings an, dass
Ausnahmen zum Datenschutz im nationalen Recht eine Änderung der europäischen
Datenschutzrichtlinie erforderlich machen würden. Eingebracht wurde seitens eines
Gesundheitswissenschaftlers auch, dass es österreichweit keine bundesweit einheitliche,
transparente Regelung zur Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren gäbe.
Schließlich wurden auch die strengen vergaberechtlichen Bestimmungen, durch welche
Akteure wortwörtlich in die Korruption „gedrängt“ werden würden, durch einen
Gesundheitsjournalisten missbilligt.
Zitat aus Interview 5:
„Whistleblowing ist auch bei uns strafrechtlich noch relativ schlecht abgesichert, weil unsere Kronzeugenregelung ein Schmarrn ist. […] Auch mit der Änderung im Spitalsärzte-, also im Spitalsarbeitszeitgesetz, ist es so, dass Ärzte zum Teil Gehaltserhöhungen von 30 % gekriegt haben bei verkürzter Arbeitszeit und bei unverminderter Möglichkeit der Anspruchnahme, dass man da privat daneben treiben kann, was man möchte. Also, das sind strukturelle, systemische Geschichten und da traut sich im Moment noch niemand drüber.“
Zitat aus Interview 8:
„Amtsträgerbegriff für niedergelassene Ärzte oder auch für Wahlärzte zum Beispiel. Die geben öffentliche Gelder aus indirekt, fallen aber überhaupt nicht unter diese Regelung.“
Zitat aus Interview 9:
„Ja, da gibt es kein einheitliches System für ganz Österreich. Also eine klare transparente Regelung wie das [die Verteilung von Sonderklassehonoraren] passieren soll, nein, da gibt es nach wie vor Riesenunterschiede zwischen den Häusern.“
Zitat aus Interview 10:
„Die Allianz zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern, die gesetzlichen Bedingungen zu umgehen, weil sie aus deren Sicht absolut wirtschaftsfeindlich und, ja, unrealistisch sind für Auftragsvergaben, da hat die strengere Gestaltung von Gesetzen erlaubt, den Akteuren eine Begründung für deren Umgehung moralisch zu rechtfertigen, leichter als vorher.“
221
4. Intransparenz
Dadurch, dass das österreichische Gesundheitssystem aufgrund seiner hohen Intransparenz
(Heterogenität und Involviertheit zahlreicher Akteure, Informationsasymmetrien etc.) ein
großes Einfallstor für Korruption bietet (Rupp 2010, S. 3f.; TI-AC 2010, S. 5), wurde in der
Vergangenheit der Ruf nach mehr „Transparenz“ immer lauter. Trotz einiger bereits gesetzter
Maßnahmen zur vermehrten Transparenzschaffung sollen bisherige Bemühungen laut
mehrheitlicher Expertensicht (12 von 18 Befragten) nicht ausreichend gewesen sein. Dies
betrifft vor allem die seit Juli 2016 freiwillige Selbstverpflichtung pharmazeutischer
Unternehmen zur Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen an Angehörige der
Fachkreise (Ärzte und andere Gesundheitsberufe) und medizinische Institutionen. Aufgrund
der aus datenschutzrechtlichen Gründen erforderlichen Einverständniserklärung und der
mangelnden freiwilligen Offenlegungsbereitschaft seitens der Empfängergruppen werden
diese bislang laut einer Studie des LBI-HTA (Mantsch et al. 2016) überwiegend in aggregierter
Form und nicht unter namentlicher Nennung der Empfängergruppen (Offenlegungsrate im
Jahr 2015 bei Ärzten: 21,9 % und Institutionen: 50,2 %) publiziert, was lediglich in einer
„intransparenten Transparenz“ mündet. Die namentliche Offenlegungsbereitschaft blieb auch
im Jahr 2016 weitgehend unverändert (Gartner & Hametner 2017). Folglich wurden
bestehende Verhaltenskodizes von einem Arzt als „Augenauswischerei“ bezeichnet. Zudem
hätten nicht alle PHARMIG-Mitgliedsunternehmen ihre Geldflüsse offengelegt oder wären auf
den jeweiligen Websites nur schwer auffindbar. An dieser Stelle sei auf die zwischenzeitlich
errichtete öffentliche, zentrale Datenbank zur Erfassung sämtlicher Zuwendungen der
pharmazeutischen Industrie an Mediziner und medizinische Institutionen verwiesen, die
hierbei zukünftig mehr Transparenz und Abhilfe verschaffen soll (Correctiv 2016). Im Hinblick
auf die finanzielle Unterstützung von Patientenorganisationen brachte ein Vertreter der
Pharmaindustrie ein, dass sich bislang nur die pharmazeutische Industrie, jedoch nicht die
Patientenverbände zur Offenlegung geldwerter Leistungen verpflichtet hätten. Im Rahmen
der geführten Interviews wurde auch mehrmals auf die bisweilen mangelhafte Umsetzung des
transparenten Wartelistenregimes auf Landesebene hingewiesen. Bislang seien die
Wartelisten lediglich in zwei Bundesländern (Oberösterreich und Niederösterreich) über die
Website der jeweiligen Spitalsträger öffentlich einsehbar, wobei ein direkter Vergleich
zwischen den Spitälern nach wie vor nur in Niederösterreich möglich sei. Allerdings wurde
auch bemängelt, dass die individuellen Wartezeiten bisweilen nicht einsehbar wären, sondern
222
lediglich die durchschnittliche Wartezeit der für einen Eingriff vorgemerkten Personen. Des
Weiteren wurde angemerkt, dass wichtige Funktions- und Entscheidungsträger im
Gesundheitssystem aufgrund finanzieller oder persönlicher Beziehungen ihre
Interessenkonflikte nicht immer offenlegen würden. Außerdem wurde beanstandet, dass
wichtige gesundheitsbezogene Entscheidungen auf der Makroebene selten transparent
gemacht werden würden. Nach Ansicht eines Vertreters der Pharmaindustrie mangele es auch
nach wie vor an Transparenz im Spitalsbereich im Hinblick auf die Offenlegung wichtiger
Spitalskompassdaten (Operationsraten etc.) und Outcome-Daten (Infektionsraten etc.), wobei
erstere aktuell nur in aggregierter Form offengelegt werden und letztere überhaupt nicht.
Darüber hinaus wurde auch auf die Zurückhaltung bzw. intransparente Veröffentlichung von
Studiendaten hingewiesen. Ein Gesundheitsökonom kritisierte ferner, dass Zahlen und Daten
zu Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren der österreichischen Ärztekammer nach wie
vor nicht öffentlich zugänglich wären. Außerdem wies er darauf hin, dass Medikamente ohne
Angabe der konkreten Diagnose verschrieben werden, was wiederum eine Erfolgskontrolle
seitens der Krankenkassen erschwere.
Zitat aus Interview 1:
„Das ist das Hauptproblem, die nicht offengelegten Interessenkonflikte. Interessenkonflikte gibt es immer und überall, ja. Auffällig ist, wenn jemand keine Interessenkonflikte angeblich hat.“
Zitat aus Interview 8:
„Und die Nichtbekanntgabe von Interessenkonflikten bei Entscheidungen. Das ist in Österreich auch ein Thema, wer in welchen Gremien sitzt und bekannt gibt, was er für Interessenkonflikte hat und das ist grundsätzlich ja nichts Negatives, wenn man für eine Beratungstätigkeit bezahlt wird oder für einen Vortrag, aber es muss transparent sein. Bei uns bis hin zum obersten Sanitätsrat gibt es Leute, die das nicht bekannt geben. […] Medikamente werden verschrieben ohne Angabe der konkreten Diagnose.“
Zitat aus Interview 12:
„Und es fängt halt damit an, dass einfach zu wenig Transparenz im System ist. […] Diese Spitalskompassdaten werden eben aggregiert, d.h., Sie können sich z.B. bei der Orthopädie die Hüftendoprothesen gemeinsam mit den Knieendoprothesen und den Sprunggelenkendoprothesen anschauen. Wie wir alle wissen, liegt zwischen Hüfte und Knie ca. 40 Zentimeter, zwischen Knie und Sprunggelenk noch einmal 40 Zentimeter, wer das eine einbauen kann, muss nicht unbedingt das andere einbauen können. Und ich kann als Laie nicht herauslesen, ob der so viel Sprunggelenke macht oder ist der eigentlich auf Hüften spezialisiert. Ja, warum? Politische Argumentation: ‚Ja, was glauben Sie, was passiert, wenn alle zum Besten gehen und manche in manche Spitäler nicht mehr gehen?‘“
223
Zitat aus Interview 14:
„Ich würde meinen, dass Österreich im Vergleich mit anderen europäischen Ländern im Bereich der Transparenz einen vorsichtig formulierten Nachholbedarf hat. Ich bringe da immer das Beispiel der skandinavischen Länder, der Nordics, Niederlande etc., wo solche Dinge wie Transparentmachen von Zahlungsflüssen der pharmazeutischen Industrie an einzelne Ärzte oder an Healthcare Organisationen seit Jahren überhaupt kein Problem ist. […] In Österreich ist es ein Riesenthema, ja?“
Zitat aus Interview 18:
„Mit anderen Worten: Die PHARMIG kommt daher mit der österreichischen Ärztekammer, klopfen sich beide selber auf ihre Schultern und sagen: Wir machen alles freiwillig, wir legen freiwillig offen und wir haben eine ‚intransparente Transparenz‘. Eine Offenlegungspflicht, die nicht Offenlegungspflicht mit sich bringt, wenn nicht einmal ein Drittel wirklich offenlegt.“
5. Mangelnde Antikorruptionskultur/öffentliche Tolerierung
Mehrfach (10 von 18 Befragten) wurde Korruption auch auf die mangelnde
Antikorruptionskultur bzw. öffentliche Tolerierung bestimmter korrupter Verhaltensweisen –
sowohl seitens der Gesellschaft als auch seitens wichtiger politischer Funktions- und
Entscheidungsträger – zurückgeführt. Dies zeige sich beispielsweise am Abrechnungsbetrug,
der vielerorts noch immer als Kavaliersdelikt durchgeht, oder auch an der öffentlich geführten
Debatte um die langen MRT-Wartezeiten, die erst kürzlich politische Steuerungsmaßnahmen
nach sich gezogen hat. In diesem Kontext sei auch auf das bereits angesprochene West-Ost-
bzw. Nord-Süd-Gefälle im Hinblick auf die unterschiedlich wahrgenommene innerstaatliche
Korruptionsanfälligkeit aufgrund verschiedener kultureller Prägungen verwiesen.
Zitat aus Interview 3:
„Also, es ist ja verboten. Es liegt eher daran, dass es [der Abrechnungsbetrug] sozusagen immer noch als Kavaliersdelikt gilt. […] Ich versteh nicht, warum man das hinnimmt?“
Zitat aus Interview 7:
„[…] diesen Abrechnungsbetrug, dass das nicht als Kavaliersdelikt irgendwo, na, da hat man mich halt erwischt, jetzt krieg ich halt ein bisschen was auf die Finger, aber sehr viel mehr passiert mir nicht.“
Zitat aus Interview 8:
„Na, und dass das System das a.) toleriert und b.) auch fördert indirekt.“
Zitat aus Interview 10:
„ […] in der allgemeinen Kultur, also, dass es üblich ist und gar nicht mehr als Korruption wahrgenommen wird.“
224
Zitat aus Interview 14:
„Also es gibt hier natürlich eine andere kulturelle Einbettung in diesem Thema und auch eine andere Sensibilität in Bezug auf die Wahrnehmung tatsächlicher oder vermeidlicher hypothetischer Korruptionsanfälligkeit.“
6. Mangelnder politischer Wille/Mut zur Veränderung
Dass bestimmte Einfallstore für Korruption im österreichischen Gesundheitssystem bestehen
würden, liege nach mehrheitlicher Expertenansicht (7 von 18 Befragten) vor allem am
mangelnden politischen Willen bzw. Mut zur Veränderung und der fehlenden
Durchsetzungsfähigkeit gegenüber einflussreichen Interessengruppen (z.B. Ärztekammer). Ob
es sich um die Umgestaltung des bisherigen Abrechnungssystems, die Einschränkung von
Nebenbeschäftigungen, die Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von
Sonderklassehonoraren, die Veröffentlichung von Spitals-Outcome-Daten, die Einrichtung
unabhängiger Finanzierungssysteme etc. handle – letztlich würden all solche Bestrebungen
am fehlenden politischen Willen zur Veränderung scheitern.
Zitat aus Interview 2:
„Es kann keine öffentliche Institution einen chirurgischen Saal stilllegen, nur weil der Herr Professor XY seine Privatpatienten durchschleusen will. Also in Wahrheit könnte man all diese Dinge sofort abschaffen, wenn man genauer hinschauen würde und wenn man bereit dazu wäre.“
Zitat aus Interview 10:
„Also früher hat der Kreisky, wenn er beim Interview war, versucht, was zu rechtfertigen, was er getan hat. Heute, wenn du ihnen zuhörst im Fernsehen, dann erzählen uns die, die was regeln sollten, dass die EU oder sogar die Regierung sagt, was Österreich tun müsste. Also die sagen uns permanent, was sie nicht getan haben als Forderung.“
Zitat aus Interview 11:
„Wir haben schon versucht den Ärzten, in den letzten Ärzteverhandlungen irgendwann nach 2000, haben wir versucht, das [die Nebenbeschäftigungen] zu reduzieren, was zum Teil gelungen ist, zum Teil hat hier der politische Wille gefehlt, das auch tatsächlich extrem einzuschränken.“
Zitat aus Interview 12:
„Aber das ist dann halt wieder der Mut der Politik, ja, oder die Macht auch der Ärztekammer, sag ich einmal, die dann gesagt haben, sie können uns doch nicht verbieten, was wir in unserer Freizeit machen. Nein, freilich kann ich. Ich hab einen Dienstvertrag, da steht drinnen, dass ich jegliche Nebentätigkeit melden und genehmigen lassen muss. […] Und das Problem auf der Systemebene ist der Mut. Es fehlt der Mut hier einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Und zwar der politische Mut.“
225
Zitat aus Interview 15:
„Also ich hätte ganz gerne, dass diesbezüglich [die Honorarkataloge] Kassen und Ärztekammern mehr Mut zu Veränderungen haben, aber nicht noch neue Subpositionen, sondern einfach verbunden mit Qualitätskontrolle.“
7. Ressourcenverknappung
Laut fünf von 18 befragten Personen besteht eine hohe Anfälligkeit für Korruption überall
dort, wo eine Ressourcenverknappung vorliegt, wie beispielsweise aktuell bei der Vergabe von
OP- oder MRT-Terminen. Demnach soll das Korruptionsrisiko zunehmen, wo Ressourcen
plötzlich knapp werden. Allerdings betonte ein Gesundheitsökonom, dass eine
Ressourcenverknappung auch infolge einer Überversorgung (Übertherapie, Überdiagnostik)
auftreten kann.
Zitat aus Interview 2:
„Die ganze MRT-Geschichte, ich weiß nicht, ob Sie das verfolgt haben, dass es so Wartelisten bei radiologischen Untersuchungen gibt. Das sind völlig künstliche Wartelisten, weil jeder, der sich etwas wünscht, ein MRT, wird auf eine Warteliste gestellt, statt einfach zu sagen, okay, das ist medizinisch indiziert, du kriegst es oder es ist medizinisch nicht-indiziert. Und nach Schätzungen sind 30 % der radiologischen Aufnahmen einfach nicht indiziert, aber wenn ich diese 30 % aussortiere, dann hat das nichts mit Rationierung zu tun, sondern einfach nur mit einer vernünftigen wirtschaftlichen Medizin.“
Zitat aus Interview 3:
„Die Patienten berichten, dass es dort vermehrt auftritt, wo Verknappung entsteht, Wartezeiten als Beispiel.“
Zitat aus Interview 4:
„Das zweite Problem, das anders gelagert ist und sehr förderlich wirkt für Korruption, sind Ressourcenprobleme im Gesundheitswesen, also eh wie Sie gesagt haben vorher, Wartezeiten.“
Auf Basis der gewonnenen empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:
U3 Die Ressourcenverknappung resultiert größtenteils aus der Überversorgung.
226
8. Schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems
Mehrmals (5 von 18 Befragten) beanstandet wurde auch die Qualität des bisherigen Aus- und
Fortbildungssystems im österreichischen Gesundheitssystem, welches sich indirekt positiv auf
das Korruptionsverhalten auszuwirken vermag. Insbesondere soll die wissenschaftliche
Ausbildung von Medizinern zu kurz geraten, wodurch diese weder selbstständig Forschung
betreiben noch Studienergebnisse richtig lesen könnten und daher von den „Mitmäulern“
(Meinungsbildnern, Pharmareferenten, Medizinproduktevertretern etc.) der Industrie
leichter zu beeinflussen wären. Außerdem mangele es in Österreich nach Ansicht eines
Vertreters von Transparency International an gut ausgebildeten Public Health-Experten,
Epidemiologen, Medizinstatistikern etc., worunter die medizinische Forschung in Österreich
stark leiden soll.
Zitat aus Interview 1:
„Naja, ich weiß aus inneren Quellen, die ich nicht nennen kann und will, dass Österreich am Abstellgleis ist. Österreich ist kein interessantes Forschungsland, wir sind zu schwach. Es gibt einfach keine Ausgebildeten wie mich, wie wir es machen wollten vor 25 Jahren, ordentliches Public Health. Keine Epidemiologen, keine gescheiten Medizinstatistiker. Man braucht ja Hunderte, damit es gut läuft in einem Land. 1000 oder so, ja. Und das haben wir nicht.“
Weiters soll auch ein großes Defizit im Hinblick auf die naturwissenschaftliche und
gesundheitsbezogene Ausbildung der Bevölkerung bestehen, wodurch diese auch leichter zu
beeinflussen wäre. In diesem Kontext wurde mehrmals auf das Thema „Health Literacy“51
verwiesen, bei welchem Österreich nach wie vor im internationalen Ländervergleich relativ
schlecht abschneidet (Sørensen et al. 2015).
Zitat aus Interview 6:
„Wo ich mich mit Patient Empowerment und Health Literacy sehr auseinandergesetzt habe, das prinzipiell, das Wissen und die Aufklärung der Patienten, also der befähigte Patient, das kannst vergessen, da sind wir in Österreich auch an letzter Stelle in Europa.“
Zitat aus Interview 12:
„Ich finde es einen Skandal, dass heutzutage dieses Wort ‚Health Literacy‘, das in aller Munde ist, noch nicht Eingang gefunden hat in unsere Lehrpläne, ja, geschweige denn in unsere Lehrbücher.“
51 Health Literacy wird im deutschsprachigen Raum häufig mit dem Begriff „Gesundheitskompetenz“ gleichgesetzt. Als gesundheitskompetent wird eine Person bezeichnet, die in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf ihre Gesundheit auswirken (Kickbusch et al. 2005, S. 10).
227
Zitat aus Interview 16:
„Generell muss man kritisieren, die Bevölkerung, die naturwissenschaftliche Ausbildung der Bevölkerung. Diese ganzen Globuli […] also das ist für mich etwas, wo ich einfach ganz ehrlich sage, also da wird die Bevölkerung aufgrund der schlechten Ausbildung wirklich hinter das Licht geführt. […] Das kostet Unmengen an Geld.“
Ausgehend von den erworbenen empirischen Erkenntnissen wurde folgende These
abgeleitet:
U4 Österreich hinkt in der gesundheitsbezogenen Ausbildung der Bevölkerung („Health
Literacy“) sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung der Mediziner hinterher.
9. Drittzahlerkonstruktion
Eine weitere genannte Ursache von Korruption im nationalen Gesundheitssystem (4 von 18
Befragten) bezieht sich auf die in der Literatur häufig angeführte Drittzahlerkonstruktion (vgl.
Kapitel 3.5). Die Trennung zwischen Leistungsempfängern (Patienten), Leistungserbringern
(Health Professionals) und Leistungszahlern (Krankenkassen und sonstige
Versicherungsträger) soll über die Schaffung vermehrter Intransparenz und
Informationsasymmetrien die Anfälligkeit des Gesundheitssystems für ineffizientes und
missbräuchliches Verhalten zulasten Dritter begünstigen.
Zitat aus Interview 2:
„Ich glaube, dass das österreichische Gesundheitswesen, aber so wie alle Gesundheitswesen, hoch korrupt ist, aufgrund dessen, dass große Mengen Geld, das sind 31 Mrd. Euro, das sind immerhin 11 % des BIP, da geht es um viel, viel Geld, von jenen ausgegeben wird und von jenen verfügt wird, die es nicht selbst erarbeitet haben. Weil eben der Markt dort nicht zusammenkommt zwischen Anbietern und Verkäufern.“
Zitat aus Interview 5:
„Generell ist die Schwachstelle im Gesundheitsbereich die Drittzahlerkonstruktion. Dass wir auf der einen Seite den Patienten haben, ihm gegenüber den Gesundheitsdienstleister, die Gesundheits-dienstleistungen und dann die Krankenkassa oder sonstige Krankenversicherungsträger als Dritten, also dieses Dreiecksverhältnis ist klarerweise ein Nährboden für undurchsichtige Machenschaften.“
Zitat aus Interview 14:
„Und diese Trias, der eine entscheidet, der andere zahlt, der Dritte nimmt, das noch sozusagen in einem Bereich, wo immer öffentliche Gelder im Spiel sind, das noch in einer Situation, wo sich der, der schlussendlich als Konsument auftritt und sich ja nicht aussucht, was er braucht, führt natürlich zu einer ganz besonderen Herausforderung.“
228
10. Politisches System/Föderalismus
Kritisiert wurde von einigen Experten (3 von 18 Befragten) auch das politische System bzw.
der Föderalismus in Österreich. In diesem Kontext wurde beispielsweise das transparente
Wartelistenregime (§ 5a Abs. 2 KAKuG) herangezogen, mit dem der Bund im Rahmen der
KAKuG-Novelle im Jahr 2011 der Umgehung von Wartelisten entgegenwirken wollte, dessen
organisatorische Umsetzung er den einzelnen Ländern und deren Gesetzgebung (Festlegung
von Kriterien für den Ablauf und die Organisation des Wartelistenregimes) überließ und die
nach wie vor zu wünschen übrig lässt. Generell wurde auf das Problem hingewiesen, dass
gesetzte Maßnahmen auf Bundesebene oftmals an der fehlenden oder mangelhaften
Umsetzung auf Landesebene scheitern würden. Zudem gäbe es viele Bereiche
(Honorarordnungen, Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren etc.), die in den
einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt seien und daher immer wieder
Intransparenz und Ineffizienzen hervorrufen würden. Ein Gesundheitsjournalist kritisierte das
politische System insofern, als dass die Sozialpartner eine viel zu starke Stellung in Österreich
hätten, wodurch sie die Kassen und Länder beherrschen würden.
Zitat aus Interview 10:
„Wir haben ja das System, dass jeder Gesetzesentwurf, egal wie das Parlament besetzt ist, immer durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter kontrolliert wird, also freigegeben wird, sprich SPÖ und ÖVP, Gewerkschaft und Arbeitgebervertreter, das gehört geändert. Die Sozialpartner haben eine viel zu starke Stellung in Österreich, dadurch beherrschen sie die Kassen und die Länder. Also ich würde den Parlamentarismus in Österreich stärken, weil sonst hat es keinen Sinn, den Nationalrat zu wählen. Und diese Sozialpartnerregelung hat eine zweite negative Erscheinung, dazu wird auch der gesamte Sozialversicherungsbereich zwischen diesen beiden Blöcken gedielt. […] Früher hat es ja wirklich Wahlen zur Vertretung der österreichischen Bürger in der Selbstverwaltung gegeben, nachdem dann die zweite Republik gekommen ist, ja, haben sie das nicht mehr wieder eingeführt, sondern haben das den Sozialpartnern gegeben, die Besetzung von Funktionären in der Sozialversicherung. Dadurch sind ja die immer 50/50 besetzt, das ist ein großes Korruptionsproblem. Du hast ja für jeden schwarzen Abteilungsleiter einen roten Stellvertreter und für jeden roten Direktor einen schwarzen Direktor-Stellvertreter. Und alle Abteilungsleiter werden kurz vor ihrer Pensionierung Direktor, damit sie eine höhere Pension haben. Wir haben 140 oder 200, ich glaube 140 Direktoren in der österreichischen Sozialversicherung mit mehr als 12.000 brutto oder 10.000 brutto im Monat. Das ist dämlich.“
Zitat aus Interview 12:
„Wir haben in Österreich ein großes Problem und das ist der Föderalismus. […] Und das ist eben das, was ich eben mit Föderalismus gemeint habe. Da hat man versucht etwas vom Bund her Gescheites zu machen [das transparente Wartelistenregime], man hat gesagt, das darf es nicht geben, das wollen wir nicht und dann hat man den neun Ländern gesagt ‚Und jetzt setzen Sie es um‘. Dann ist in jedem Bundesland lobbyiert worden und je nach Farbe und Zusammenstellung und Ärztekammer und weiß nicht was ist das jetzt so oder so formuliert und ist sowas von einem Gummischwamm, ja?“
229
Zitat aus Interview 14:
„Und diese Diskussionen, die wir haben, ich weiß nicht, sind das jetzt Bundeslehrer, sind das jetzt Landeslehrer, wer hat was, wie Ding? Naja, das ist ja von der Qualität dieselbe Diskussion wie zwischen dem niedergelassenen Bereich und dem Hospitalbereich und da die Landeshauptleute und der Finanzausgleich, und der Bund nimmt ein, aber das Land gibt aus, also es sind ja immer wieder dieselben root causes, also die Grundprobleme, auf die wir da treffen.“
11. Sonstige Ursachen
Weitere Korruptionsursachen, die zweimal bzw. einmal genannt worden sind, stellen die
mangelnde Interessenvertretung der Patienten bzw. des Allgemeinwohls sowie die schlechte
Vorbildwirkung der Politik dar. Einerseits kann eine mangelnde Interessenvertretung der
Patienten dazu beitragen, dass deren Interessen in einer pluralistischen Demokratie
zugunsten anderer Beteiligter im Gesundheitssystem zu wenig Berücksichtigung finden.
Andererseits können korrupte politische Vorbilder aufgrund des damit einhergehenden
Vertrauensverlustes selbiges Verhalten auf der Bevölkerungsebene hervorrufen.
Zitat aus Interview 10:
„Also Korruption heißt ja in der Politik Diplomatie. […] Die Menschen im System, ob das jetzt Gesundheitssystem oder öffentliches Politiksystem oder was ist, die haben nicht das Vertrauen, dass mit den Steuergeldern und mit den Sozialversicherungsbeiträgen sinnvoll umgegangen wird, ja? Weil die haben auch kein Problem, sich etwas abzuzweigen, weil neben der negativen Vorbildaktion mit dem
Geld sowieso überhaupt nur Blödsinn gemacht wird.“
Zitat aus Interview 12:
„Weil die größten Lobbyisten sind ja Ärztekammer und das Lobbying, das die machen, ist nicht zum Wohle des Patienten und auch nicht zum Wohle des Systems. […] Die Patienten lobbyieren bei uns in Österreich sehr wenig, die Industrie lobbyiert auch wenig, die Ärzte lobbyieren brutal, da ist es nicht sehr ausgeglichen.“
230
Ursachen auf der Mesoebene
1. Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
Als häufigste Ursache von Korruption auf der Mesoebene des nationalen Gesundheitssystems
wurden ebenso wie auf der Makroebene fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
genannt (12 von 18 Befragten), die nachfolgend näher erläutert werden.
Einnahmen aus Sonderklassegebühren
Die Möglichkeit, Einkünfte aus Sonderklassegebühren zu lukrieren, wurde seitens
mehrerer befragter Personen (7 von 18 Befragten) als ein großer fehlgeleiteter finanzieller
Anreiz bezeichnet, der insbesondere Primar- und Oberärzte dazu verleite, Privatpatienten
bevorzugt oder im Übermaße zu behandeln und dabei ihre Führungsaufgaben zu
vernachlässigen. Auf diese Problematik wird auch in der jüngst veröffentlichten Studie zur
Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich hingewiesen
(LSE 2017a, S. 67).
Zitat aus Interview 9:
„Aber das Krankenhaus hat den Incentive, bei dem macht ihr ja viel, weil dann gibt es viel Punkte, gibt es viel Geld, brauchen wir. Betten müssen voll sein, tut ihn ja nicht zu früh rauslassen. Wenn du zusatzversichert bist, hast eher die Gefahr, dass du länger liegst“.
Zitat aus Interview 10:
„Natürlich würde kein ärztlicher Leiter sagen, er nimmt sich zu wenig Zeit für Führung oder ein Primararzt, weil er jetzt Gebühren bekommt, auch wenn die Gebühren ein Mehrfaches seines Normalgehaltes ausmachen und er für jeden Patienten, den er privat operiert oder behandelt, zusätzlich Geld lukriert. Und diese Gelder gehen in die hunderttausende Euro an Zusatzverdienst im Jahr. Führt natürlich dazu, dass das System den ärztlichen Abteilungsleiter sozusagen dafür belohnt, nicht zu führen, sondern seine Privatpatienten oder seine Sonderklassepatienten zu behandeln. Das ist auch nicht Korruption, führt aber zu einer Fehlsteuerung des Systems und hat natürlich an seinen Geldbereichen auch wieder Korruptionseigenschaft, nicht? Also Vorreihung, Prioritätensetzung, ja.“
Zitat aus Interview 18:
„Und ich bin noch aus der sogenannten Sonderklasse von meinem Sonderklasseanspruch zurückgegangen, also ich habe ihn ruhend gestellt. Ich kriege keinen Cent Sonderklasse. […] Warum? Weil ich es zutiefst verabscheue.“
231
Gestattung von Nebenbeschäftigungen
Laut sechs der 18 Befragten können – wie bereits mehrmals angemerkt wurde –
Nebenbeschäftigungen, die im Zuge der Dienstzeitenreduktion für Spitalsärzte im Rahmen
der KA-AZG-Novelle im Jahr 2014 zugenommen haben sollen, Spitalsärzte aufgrund
fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen zur Korruption (Umgehung von Wartelisten
etc.) verleiten.
Zitat aus Interview 3:
„Ich habe es eh schon angedeutet, wenn man sozusagen durch die Prozesse in den Spitälern davon ausgeht, dass ohnehin man Zeit hat für die Privatmedizin, dass es klar ist, dass es dann einen Chefeinschub geben kann, also dass da noch welche kommen, die geschwind Vorfahrt kriegen.“
Zitat aus Interview 13:
„Allerdings sind wir jetzt in einer Situation, die fast paradox ist, weil die Ärzte arbeiten nur mehr eine begrenzte Zeit im Spital, was gut ist, allerdings rechtfertigen heute viele Ärzte, wenn sie weniger arbeiten, verdienen sie auch weniger und sie müssen ja in die Ordination gehen, um sich ihr Gehalt aufzubessern. Was ich teilweise paradox finde, weil die primäre Motivation, das Ärztearbeitszeitgesetz so streng zu kontrollieren und zu handhaben, war ja nicht nur das EU-Gesetz, sondern war eine gewerkschaftliche Forderung, die darauf abgezielt hat, eine fachliche und zeitliche Überforderung der Ärzte zu vermeiden. Und ich finde es wirklich als paradox bis zynisch zu sagen, ich bin zwar nicht fähig, so und so viele Überstunden im Spital zu leisten, allerdings habe ich kein Problem nach dem Nachtdienst nach Hause und in die Privatordi zu gehen.“
2. Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen bestehender Regulative durch die
zuständigen Dienstgeber stellen die zweithäufigste genannte Ursache für Korruption auf der
Mesoebene des nationalen Gesundheitssystems dar (10 von 18 Befragten). Darunter fällt
beispielsweise die mangelnde Kontrolle und Ahndung der Nichteinhaltung von
organisationsinternen Verhaltenskodizes, von ungerechtfertigten Vorreihungen
(„Chefeinschub“), von Nebenbeschäftigungen in Privatordinationen/Privatkliniken während
der Dienstzeiten im öffentlichen Spital sowie von überflüssigen medizinischen Leistungen und
Diagnostiken („Überversorgung“). Insbesondere wies ein Gesundheitspolitiker darauf hin,
dass die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Einschränkung bzw. Unterbindung
bestimmter Verhaltensweisen (z.B. Nebenbeschäftigungen) auf vertraglicher Ebene nur selten
ausgeschöpft werden würden.
232
Zitat aus Interview 3:
„Also vielleicht wäre er [der Patient] sowieso gestorben, aber jedenfalls, ich hab daraufhin, das ist belegt durch das entsprechende Gutachten und ich hab daraufhin den Dienstgeber verständigt und habe gefragt, was es für disziplinäre Konsequenzen gegeben hat, weil der Arzt im Dienst nicht da war. Ich habe keine Antwort gekriegt, dann habe ich urgiert und dann hatte ich ein persönliches Gespräch mit dem zuständigen Chef, dann hat er gesagt, wissen sie was Fr. [Name der Person], der ist definitiv gestellt, ich mach nichts, weil ich würde nichts erreichen.“
Zitat aus Interview 4:
„Also ich glaube, im Prinzip auf der Systemebene ist eigentlich sehr vieles ganz klar geregelt. Wenn es darum geht, das auch wirklich durchzusetzen, dann hapert es sehr oft. Also, ein Beispiel jetzt, ja, wir haben irrsinnige Probleme gehabt mit einem Primarius HNO in [Name der Klinik]. Da wussten wir auch aus vielen Patientengesprächen, dass der teilweise auch den Rechtsträger beschissen hat, muss ich jetzt so sagen, Entschuldigung, weil ich meine, wenn ich einen Patienten offiziell als Sonderklassepatienten aufnehme und ihm sage, ich operiere dich als Abteilungsleiter, dann muss ich ja zumindest einen Teil als Hausanteil abliefern. […] Und das hat, glaube ich, drei oder vier Jahre gedauert, obwohl das ganz klar war, dass der Rechtsträger auch da wirklich in betrügerischer Absicht um sein Geld gekommen ist, bis der dann weggekommen ist. Also da ist es für mich jetzt nicht nur eine Sache der Gesetze oder der Erlässe oder dieser Vorgaben, es ist auch eine Sache der Umsetzung und der Durchsetzung.“
Zitat aus Interview 9:
„Solange keiner zu einem sagt ‚Jetzt lasst das, aber sonst kriegt‘s, dann strafen wir euch‘ und da passiert nämlich verdammt viel. Aber da sind wir wieder in dieser Überversorgung.“
Zitat aus Interview 15:
"Schauen wir zuerst, was das geltende Recht schon hergibt, bevor man sofort aufschreit und sagt, weil irgendwas passiert ist, brauchen wir, muss ein neuer Paragraf her. Jetzt nicht nur Korruption, aber Politik neigt dazu, wenn irgendwas in den Zeitungen steht, was es jetzt nach Meinung der Journalisten und der Bevölkerung nicht geben darf, sofort nach einem Paragrafen zu schreien, man könnte auch fragen ‚Wer war bisher zu feige, Möglichkeiten, die es längst gibt, einzusetzen?‘."
3. Nutzenstiftung für die Organisation
Argumentiert wurde mehrmals (6 von 18 Befragten) auch, dass bestimmte unethische
Verhaltensweisen nicht nur der Industrie (pharmazeutische und medizintechnische Industrie),
sondern auch anderen Organisationen (Krankenanstalten, medizinischen Instituten etc.) mehr
Nutzen als Schaden stiften würden, weswegen sie nur ungern unterbunden werden. Bestes
Beispiel hierfür, welches bereits mehrmals erläutert wurde, stellen die langen Wartezeiten bei
MRT-Untersuchungen dar, von denen beide Vertragspartner (Krankenkassen und Radiologie-
Institute) jahrelang zulasten der Patienten profitiert haben sollen. Auch die Vorreihung und
übermäßige Versorgung von Privatpatienten nütze dem öffentlichen Spital mehr, als dass sie
ihr Schaden zufüge.
233
Zitat aus Interview 3:
„Ja, offensichtlich ist der Schaden für das Haus nicht groß genug. Wird halt ein anderer operiert als der, der auf der Liste wäre.“
Zitat aus Interview 4:
„[…] Und keiner von den zwei Vertragspartnern, die versuchen, das durchzutauchen, will ich das wirklich ändern, warum? Weil nämlich in Wirklichkeit beide profitieren und da bin ich jetzt beim Thema Korruption.“
4. Mangelhafte Vorbildwirkung der Führung
Gemäß der sozialkognitiven Lerntheorie nach Bandura (vgl. Kapitel 2.4) führten mehrere
Personen (5 von 18 Befragten) an, dass mangelnde ethische Führungsvorbilder die
Korruptionsanfälligkeit der eigenen Mitarbeiter zu heben vermögen. Wieso sollte sich auch
ein Mitarbeiter anders verhalten, als es ihm die eigene Führungskraft vorlebt? Solange sich
Vorgesetzte, die als Vorbilder für ihre eigenen Mitarbeiter fungieren sollten, selbst nicht an
geltende Verhaltensregeln halten, werden diese ihre volle Wirksamkeit niemals entfalten
können.
Zitat aus Interview 1:
„Das [die Einhaltung von Verhaltenskodizes] ist sicher auch, es ist abhängig, wie alle diese Managementinnovationen, vom zufälligen Commitment of Leadership, ob es stark oder weniger stark sozusagen vorangetrieben wird.“
Zitat aus Interview 6:
„In Wahrheit ist es eine Führungsfrage. Der Fisch stinkt immer vom Kopf.“
Zitat aus Interview 12:
„Und der Chef, der ihnen vorlebt, wie er da nimmt und dort nimmt und da nimmt und dort nimmt und von den Patienten auch noch direkt und ich weiß nicht was, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn sie so groß geworden sind, sie es später auch so machen, relativ hoch.“
Weiters kritisierte ein Gesundheitsjournalist das wechselnde Eigenbild der mittleren Führung.
Sobald Probleme auftreten, würden diese ihre Arbeitgeberfunktion ablegen und eine
Arbeitnehmerrolle einnehmen, wodurch es nicht mehr zu einem Interessensausgleich
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern kommen könnte. Es fehle grundsätzlich die
Orientierung an gemeinsamen organisationalen Zielen.
234
Zitat aus Interview 10:
„Es hat der einzelne Chef, sobald es Probleme gibt, nicht mehr eine Arbeitgeberfunktion, sondern eine Arbeitnehmerfunktion, wie das berühmte ‚Leichentuchwachteln‘, ‚Wenn wir nicht bekommen, dann...‘, führt dazu, dass sie in den Organisationen betriebsrätlich denkende Personen in der mittleren Führung haben. Dazu kommt es aber nicht mehr zum Interessensausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern zu der Erfahrung, je mehr jemand jammert und Druck aufbaut, desto mehr erhält er an Ressourcen.“
Ursachen auf der Mikroebene
1. Mangelndes Problem- und Unrechtsbewusstsein
Laut mehrheitlicher Auffassung der Experten (16 von 18 Befragten) stellt mangelndes
Problem- und Unrechtsbewusstsein die Hauptursache für Korruption auf der Mikroebene des
nationalen Gesundheitssystems dar. Trotz einiger Aufklärungsarbeiten in den letzten zehn
Jahren sollen sich gewisse Praktiken derart in der österreichischen Kultur verfestigt haben,
dass sie nach wie vor als „normal und üblich“ und weniger als „korrupt“ angesehen werden.
Vor allem bestehe im Hinblick auf gewisse Graubereiche von Korruption (z.B.
pharmagesponserte Forschung und Fortbildung) ein besonders schwach ausgeprägtes
Problembewusstsein, weil man entweder keine Einflussnahme und Abhängigkeit erkennen
kann; nicht versteht, warum ein Problem daraus resultieren sollte; davon ausgeht, dass es
einem schlicht und einfach zusteht oder sogar glaubt, dass man etwas Gutes damit tue.
Schließlich würde man den Unterschied zwischen Werbung und Information kennen. Obwohl
die meisten Betroffenen selbst davon überzeugt sind, objektiv zu agieren, werden laut
vorliegenden Studienergebnissen Beeinflussungen bei anderen in vergleichbaren Situationen
durchaus wahrgenommen (Steinman et al. 2001; Morgan et al. 2006; Dana 2009, S. 365f.).
Beispielsweise konnte in der Studie von Steinman et al. (2001) aufgezeigt werden, dass 61 %
der befragten Assistenzärzte keine Einflussnahme auf ihre Verschreibungspraxis durch
Pharmasponsoring erkennen konnten, allerdings lediglich 16 % dasselbe von anderen
Medizinern annahmen. Dass Pharmasponsoring entgegen der Selbstwahrnehmung vieler
Ärzte Einfluss auf deren Einstellung und Verhalten nehmen kann, wurde auf internationaler
Ebene bereits mehrmals empirisch aufgezeigt (Bowman & Pearl 1988; Wazana 2000;
Schneider & Lückmann 2008; Grochowski Jones & Ornstein 2016).
235
Zitat aus Interview 8:
„Grundsätzlich glaube ich, dass eines der großen Themen auch die Bewusstseinsbildung ist, dass viele Dinge für normal und selbstverständlich gehalten werden, gerade unter Medizinern, weil es schon immer so war, dass vieles gar nicht bewusst oder bösartig ist, sondern dass es unterschätzt wird von den Herren dort, Ärzten, Verordnern, wer auch immer.“
Zitat aus Interview 9:
„Also da würde ich jetzt beinhart sagen, über 90 %, die noch nicht wissen, dass sie a.) beeinflusst werden können, ohne dass ihnen bewusst ist, dass sie beeinflusst worden wären. […] Ich glaube, dass der Großteil der Onkologen sagt, er ist überhaupt nie beeinflusst worden, er handelt nur im Interesse der Patienten. Und das schaffst du nicht, ja, wenn du ständig umworben wirst von irgendwelchen Produkten. Oder ich glaube auch, dass die Allgemeinmediziner glauben, dass der Kongress da in Graz, dass der vollkommen unbeeinflusst ist von der Industrie, die da unten in der Halle sitzen und ihre Expertenmeetings oben machen und so. […] Werbung wirkt 100%ig. Und das ist im Medizinbereich und im Gesundheitsbereich nicht anders. Und ich glaube, das Bewusstsein dafür ist minimal, minimal. […] Aber da gibt es keine Awareness, also gerade ganz wenig, jeder Zehnte würde ich sagen ungefähr.“
Zitat aus Interview 10:
„Ich glaube aber, dass eben sehr vielen, die daran beteiligt sind an solchen Themen, gar nicht bewusst ist, weil sie gar nichts anderes kennen. “
Zitat aus Interview 12:
„Ich habe einmal, wo ich noch in der Industrie war, ein Honorar für einen Vortrag ausgeschickt an zwei deutsche renommierte Ärzte und ein paar österreichische. […] Die Deutschen haben mir zurückgeschrieben ‚Das ist ein überdurchschnittlich hohes Honorar für so einen Vortrag, sie würden mich ersuchen, die Summe zu reduzieren‘. Und bei den Österreichern, bei den dreien oder vieren, denen ich es geschickt habe, haben sich zwei aufgeregt und haben gesagt ‚Was bilden Sie sich eigentlich ein, glauben Sie, dass ich um die Kohle komme?‘“
Zitat aus Interview 18:
„Na, es gibt so gut wie kein Bewusstsein, jetzt langsam, weil es jetzt immer wieder ins Gespräch kommt, kommt langsam auf. […] Das war immer so, das wird immer so sein: ‚Was ist dabei, wennst von einer Firma was annimmst, bist du korrupt, na, deswegen nehme ich eh von allen was an‘.“
Dass das Problem- und Unrechtsbewusstsein im Hinblick auf Korruption im österreichischen
Gesundheitssystem nach wie vor schwach ausgeprägt ist, lässt sich nach Ansicht eines
Gesundheitswissenschaftlers insbesondere an der spärlichen Mitgliederzahl von MEZIS
(„Mein Essen zahl ich selbst“), einer Initiative unbestechlicher Ärzte in Österreich, erkennen.
In Deutschland zählt die Initiative mittlerweile über 850 Mitglieder (MEZIS-DE 2016b, S. 2). Im
Vergleich zur älteren Generation soll aber bei der jüngeren bereits eine deutlich höhere
Sensibilität und Offenheit gegenüber der Thematik erkennbar sein.
236
Zitat aus Interview 4:
„Also teilweise spreche ich so mit alten Primarärzten und die finden überhaupt nichts dabei, wenn für Sonderklassepatienten irgendwelche Sonderleistungen da sind oder sonst was. Also das ist für die ganz normal, weil die einfach in diesem System auch aufgewachsen sind. Hingegen Jüngere sehen das durchaus als so hinführend auch in die Richtung Korruption.“
Zitat aus Interview 5:
„Und was wir hier haben ist, und dieses Einfallstor schließt sich schön langsam, dass bei den jüngeren Ärztinnen und Ärzten das Unrechtbewusstsein und das Erkennen von Gut und Böse, klingt fast biblisch, irgendwie höher ist. D.h., es hat sich hier auch in der Ausbildung und in der Sensibilität, was die forensischen Konsequenzen ihres Handelns betrifft, auch einiges getan.“
Zitat aus Interview 9:
„Also da würde ich jetzt beinhart sagen, über 90 %, die noch nicht wissen, dass sie a.) beeinflusst werden können, ohne dass ihnen bewusst ist, dass sie beeinflusst worden wären. Und dass, ich glaube, dass es noch viel zu wenig Verständnis gibt, ja. Also diese MEZIS-Geschichte in Deutschland von, ich glaube, Klaus Lieb heißt er, der durchaus einige Mitglieder gehabt hat und die alle aktiver waren. Inzwischen sind sie alle ruhiger geworden wieder, ich meine, das kostet ja viel ehrenamtliche Zeit, in Österreich ist das ja gar nie vom Boden abgehoben, ja, der Franz Piribauer hat, glaube ich, zwei, drei Mitglieder gehabt und das war es dann auch.“
Zitat aus Interview 12:
„Also ich glaube hier sehr an einen Generationswechsel, ich glaube, dass sich bei den jungen Ärzten hier schon einiges getan hat.“
Nicht nur Health Professionals sollen im Hinblick auf die Korruptionsthematik zu wenig
sensibilisiert sein, sondern auch die Patienten, denen nicht immer bewusst sei, dass sie sich
beispielsweise durch eine ungerechtfertigt erwirkte Vorreihung strafbar machen können.
Zitat aus Interview 3:
„Und auch die Patienten, wenn ich sage, auch sie machen sich strafbar, wenn sie das tun, das finden sie eigentlich eine freche Ansage. ‚Ja, wieso? Soll ich Schmerzen haben? Dann zahl ich lieber eine Privatordi‘. Also das Unrechtsbewusstsein ist da nicht gegeben.“
Ausgehend von den gewonnenen empirischen Erkenntnissen wurden folgende zwei Thesen
abgeleitet:
U5 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist im
nationalen Gesundheitssystem noch zu wenig ausgeprägt.
U6 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist bei der
jüngeren Generation von Health Professionals stärker ausgeprägt als bei der älteren.
237
2. Individuelle Nutzen- und Einkommensmaximierung/Habgier
Die zweithäufigste genannte Ursache für Korruption auf der Mikroebene (14 von 18
Befragten) wurde im nutzen- bzw. einkommensmaximierenden Verhalten einzelner
Individuen, welches aus ökonomischer Sicht durchaus als rational angesehen werden kann,
aus moralischer Sicht vielmehr unter Habgier subsumiert und somit als moralisch verwerflich
aufgefasst wird, geortet. Demnach sollen vor allem hohe Profitaussichten oder berufliches
Weiterkommen Individuen dazu verleiten, ihre persönlichen Interessen vor jene der
Allgemeinheit zu stellen und sich der Korruption zulasten Dritter bedienen.
Zitat aus Interview 2:
„Weil die Gier aller, die am Gesundheitswesen mitverdienen, das ist ein riesiger Markt, wo ganz viel Geld umgesetzt wird, inzwischen so groß geworden ist, dass die Steuerungsinstrumente nicht mehr so funktionieren wie wir uns das vorstellen.“
Zitat aus Interview 3:
„Wenn ein erkennbarer Nutzen für den Verschreiber, für den Behandler aus diesem System ableitbar und sichtbar ist, müssten alle heilig sein, wenn sie diesen Nutzen nicht für sich lukrieren wollten.“
Zitat aus Interview 4:
„Es ist auch Korruption, weil eben diese persönliche Abhängigkeit des Patienten ausgenutzt wird, um eben das eigene Einkommen zu steigern. […] Aber ich will nur sagen, das ist für mich sehr auffällig, dass auf der einen Seite, so dieses Ethische, der Hippokratische Eid, und dieses ethische Bild und ich mach alles nur für den Patienten, ist, auf der einen Seite, also dieses Altruistische ist, und auf der anderen Seite aber in der Praxis geht es immer wieder auf das Finanzielle.“
Zitat aus Interview 5:
„Es ist einfach ein pauschales Misstrauen und eine Ellbogengesellschaft da und der Homo Oeconomicus ist wirklich so die Figur, die sich durchgesetzt hat. Das absolute, hemmungslose Nutzenmaximieren.“
Zitat aus Interview 6:
„Der Mensch ist nicht gut und er wird auch nie gut werden. Und er wird auch nie gut veränderbar sein, sondern der Mensch strebt um alle Mitteln um Macht, Reichtum, mehr Geld, mehr anhäufen, das ist nun einmal so.“
Zitat aus Interview 10:
„Ökonomisches Prinzip heißt für mich, jeder schaut, dass er in der kürzesten Zeit mit wenigstem Aufwand am meisten Geld aus dem System zieht. Und jeder gibt vor, etwas für die Allgemeinheit oder für den Patienten zu tun. Also wir haben da ganz eine schlimme Kultur, die dadurch entstanden ist, dass wir in Österreich so eine Vermischung haben zwischen Marktwirtschaft und Sozialbereich.“
238
3. Reziprozität/Beziehungspflege
Gemäß der sozialen Austauschtheorie nach Homans (vgl. Kapitel 2.4) attestierten mehrere
Personen (10 von 18 Befragten), dass Korruption aufgrund der Reziprozitätsregel aus dem
Prinzip „eine Hand wäscht die andere“ resultiert. Insbesondere soll die Entgegennahme von
Einladungen oder Geschenken in der Regel mit einem „Quidproquo“ einhergehen, ohne dass
sich die Betroffenen dessen bewusst sein müssen. In Kombination mit einem mangelnden
Unrechts- und Problembewusstsein könnte sich beispielsweise die Entgegennahme einer
Einladung zu einer Fortbildungsveranstaltung oder einem Abendessen sogar unbewusst in der
späteren Verschreibungspraxis niederschlagen. Die Annahmen der Experten laufen konform
mit den Ergebnissen internationaler Studien, die von Klemperer (2008, S. 2099f.) wie folgt
zusammengefasst werden: Die Reziprozitätsregel funktioniert unabhängig von der Größe der
Gabe und somit auch unterhalb festgesetzter Schwellenwerte, ist unabhängig von
Sympathie/Antipathie und wirkt sogar bei Personen, die sich der Regel bewusst sind und sich
selbst als unbeeinflussbar wahrnehmen.
Zitat aus Interview 6:
„Weil du kannst es ja schon in Kindergärten beobachten. Ich borge dir mein Spielzeug, dafür kriegst du das. Ich mache das, dafür kriegst du das.“
Zitat aus Interview 7:
„Das Zweite ist, da wird es schon sehr persönlich und schwieriger, nicht, wenn sozusagen ein Quidproquo impliziert ist, also ich gebe was und ich erwarte was. Noch dazu, wenn das irgendwo illegitim ist, also wenn man durch dieses Quidproquo bestehendes Regulativ oder bestehende Gesetze oder bestehende, auch jetzt irgendwo ungeschriebene Gesetze umgeht, ja, dann würde ich argumentieren, das ist Korruption.“
Zitat aus Interview 8:
„Die Taktiken sind, dass man mit kleinen Geschenken sich die Leute einfach ins Boot holt. Das weiß man, kleine Dinge machen Freude. Der Name, den ich immer wieder sehe, die Firma, die mich einlädt, der bin ich einfach gesonnen, das ist das Prinzip der Reziprozität. Ich kriege was und ich habe das Gefühl, ich schulde etwas. Ich glaube, dass das einfach nach wie vor total gut funktioniert. Beispiel eine gute Kollegin von mir, die sagt, sie war nicht am Kongress XY, sondern sie sagt, sie war mit Novartis in Chicago.“
4. Mangelnde Meldebereitschaft/niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeit
Weiters wurde Korruption mehrfach (8 von 18 Befragten) auf die mangelnde Bereitschaft,
Korruptionsfälle zu melden, zurückgeführt. Dies reduziere die ohnehin schon niedrige
239
Aufdeckungswahrscheinlichkeit solcher Machenschaften (aufgrund der zumeist vorliegenden
Win-Win-Situation) und schaffe damit erst recht einen vermehrten Anreiz zu solchen
Straftaten. Die mangelnde Meldebereitschaft treffe sowohl auf Health Professionals als auch
auf Patienten zu. Seitens der Patienten liege dies vor allem an der Furcht vor möglichen
strafrechtlichen Konsequenzen oder davor, kein weiteres Mal vom selben Arzt, der als Experte
auf seinem Gebiet gilt, behandelt zu werden. Was Health Professionals betrifft, wurde
vermutet, dass diese häufig selbst in Korruptionsfälle verwickelt seien und somit auch
strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten hätten. Dadurch bliebe vieles im Verborgenen und
könne nicht strafrechtlich verfolgt und sanktioniert werden. Jene Fälle, die ans Tageslicht
treten, stellen laut Patientenanwälten zumeist Zufallsbefunde bzw. das Nebenprodukt einer
Beschwerde im Falle einer Fehlbehandlung dar.
Zitat aus Interview 2:
„Aber das ist sowieso so ein schwieriges Gebiet, weil es gibt ja keine Korruptionsverfahren im Gesundheitswesen, zumindest ich weiß keine, weil bei vielen korrupten Aktivitäten die Täter und die Opfer gleichzeitig Opfer und Täter sind, also beide davon profitieren, das ist eben das, was die Korruptionsgeschichte so schwierig macht, zu ahnden. […] Jeder von den beiden hat was. Das ist der Hund dabei. Jeder hat was davon. Und dadurch wird es auch nicht so nach außen, kommt es nicht nach außen an die Öffentlichkeit.“
Zitat aus Interview 3:
„Sie wenden sich interessanterweise dann an mich, wenn dann vielleicht die Leistung trotzdem nicht gestimmt hat. ‚Ich habe sogar bei ihm bezahlt und habe dann nichts bekommen‘.“
Zitat aus Interview 5:
„Diese Abhängigkeit hat dazu geführt, dass sehr, sehr häufig PatientInnen dann gekniffen haben und nicht bereit waren als Zeugen auszusagen. Das heißt, das war eine sehr unselige Situation, die sich auch nicht wirklich geändert hat, die Abhängigkeit der PatientInnen von ihren ÄrztInnen ist nach wie vor gegeben.“
Zitat aus Interview 6:
„Die Bereitschaft der Patienten, es zu melden, war damals nicht und heute nicht. […] D.h., dieser dritte Teil von Korruption im Gesundheitswesen, wo es direkt um den Patienten geht, schließe ich nicht aus, dass es etwas gibt oder immer wieder gibt. Nehme an, dass es eine extrem hohe Dunkelziffer gibt, aber nicht aufgrund der Behörden oder des Nichtverfolgtwerdens, sondern des Patienten, der es nicht meldet.“
Auf Basis der erworbenen empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:
U7 Die Bereitschaft der Patienten, bestimmte Korruptionsfälle zu melden, ist gering.
240
5. Fehlender Informationsstand/Wissenslücken
Als Ursache von Korruption auf der Mikroebene wurden auch mehrmals (7 von 18 Befragten)
fehlende Informationen und Wissenslücken genannt, die wiederum mit der mangelnden
Qualität des Aus- und Fortbildungssystems auf der Makroebene zusammenhängen. Aufgrund
dessen sollen Health Professionals (Mediziner) und Patienten leichter zu manipulieren und
anfälliger für Korruption sein. Sowohl das Unwissen der Ärzte, beispielsweise über die
tatsächliche Wirkung bestimmter Arzneimittel (aufgrund ihrer Unfähigkeit, Studienergebnisse
eigenständig zu lesen und zu interpretieren), als auch das Unwissen bzw. die mangelnde
Gesundheitskompetenz der Patienten („Health Literacy“), könnte sehr leicht zum eigenen
Vorteil missbraucht werden.
Zitat aus Interview 4:
„Also da wird auch teilweise das Unwissen der Patienten oder die Unfähigkeit, auf einem Expertenstatus jetzt mit jemandem zu reden, sehr stark ausgenützt.“
Zitat aus Interview 12:
„Wo ich glaube, wo wir nach wie vor ein ganz großes Defizit haben, ist beim Wissen der Patienten.“
Zitat aus Interview 16:
„Und man sieht, die Pharmaindustrie macht nichts anderes als diese Schwäche der Ärzte auszunutzen, dieses Nichtwissen der Ärzte auszunutzen und einfach die Ärzte mit eigenen Theorien zu überrollen. […] Die Ärzte im Prinzip können das glauben oder nicht glauben. D.h., Korruption in Österreich mit der Pharmaindustrie gibt es definitiv in Form von dass man die Ärzte manipuliert, sind die Ärzte aber selber schuld, weil sie sich korrumpieren lassen.“
6. Unterschiedliche Wertvorstellungen
In Anlehnung an die Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen (vgl. Kapitel 2.4) führten
mehrere Experten (6 von 18 Befragten) Korruption auf unterschiedliche Wertvorstellungen
zurück, die Einfluss auf die jeweilige Einstellung nehmen und sich letztlich positiv oder negativ
auf das individuelle Verhalten auszuwirken vermögen. Dabei seien die subjektiven
Wertvorstellungen nicht nur von der jeweiligen kulturellen Prägung abhängig, sondern auch
vom Zeitgeist ihrer jeweiligen Epoche (generationsunterschiedliche Wertvorstellungen). Nach
Ansicht einiger Experten litte die gegenwärtige Gesellschaft auch unter einem Werteverfall
(Maßlosigkeit, Abgehobenheit, Zynismus, Habgier etc.), welcher sich in der mangelnden
Antikorruptionseinstellung und dem damit einhergehenden unethischen Verhalten
241
niederschlage. Demnach wurde Korruption auch auf einen Verfall der öffentlichen Moral
zurückgeführt.
Zitat aus Interview 2:
„[…] dass Patienten gar nichts komisch daran finden, dass sie, wenn sie dem Arzt 200 Euro zustecken, dafür einen früheren Termin kriegen für eine Operation, dann ist das ein Verfall der öffentlichen Moral, dass das schon als normal angesehen wird. Das ist ein offener Verfall der Moral.“
Zitat aus Interview 5:
„Das ist eine völlig verlogene Gesellschaft, eine korrupte Gesellschaft geworden. Warum soll im Gesundheitsbereich was funktionieren, wo der Rest der Menschheit völlig korrupt ist? […] Es ist ein absoluter Werteverfall und ich hab auch nicht vor, dass ich da die kaputte Klospülung auf der sinkenden Titanic repariere, das ist völlig sinnlos. […] Was ich sehr häufig erfahren habe ist, dass auf der einen Seite insbesondere bei den Gesundheitsdienstanbietern, bei den Medizinern, sowas wie Habgier, Maßlosigkeit und sozusagen eine völlige Abgehobenheit entsteht, gewisser Zynismus.“
Zitat aus Interview 6:
„Es gibt die philosophische Ansicht, dass der Mensch eben nicht gut ist und daher niemals aufhören wird, es zu tun und sich zu bereichern. […] Und daher glaube ich, wie gesagt, Korruption existent, schwer definierbar, die Kombination aus Kultur, Ethik, Moral, Erziehung, Vorbildfunktion und natürlichem Verständnis für Gut und Schlecht, weil auch das die Frage ist, woher komme ich? Weil ich meine, im Islam ist es gut, wenn einer stiehlt, dass man ihm die Hand abschneidet.[…] Jeder hat eine andere Wertevorstellung und daher, Generationen haben eine andere Wertevorstellung, ich habe eine andere Wertevorstellung als meine Eltern und meine Eltern hatten eine andere Wertevorstellung als meine Großeltern. […] Aber das ist etwas, wo wir eine völlige Veränderung der Wertevorstellungen haben, ohne jetzt moralisch irgendwelche veränderte Situationen zu haben.“
Zitat aus Interview 14:
„Wir alle haben unsere Werte und irgendwo unsere kulturelle Prägung, die beeinflusst unsere Einstellungen und die Einstellungen wiederum beeinflussen unser Verhalten.“
7. Subjektiv empfundene Ungerechtigkeit/mangelnde Wertschätzung
Argumentiert wurde seitens mehrerer Personen (5 von 18 Befragten), dass Korruption auch
Ungerechtigkeit schaffe und ihr dadurch einen guten Nährboden biete. Demnach könne
beispielsweise eine subjektiv empfundene ungerechte Entlohnung und die damit
einhergehende wahrgenommene mangelnde Wertschätzung der eigenen Leistung die eigene
Korruptionsanfälligkeit heben. Insbesondere soll die intransparente Verteilung von
Sonderklassehonoraren im Spitalsbereich als Ungerechtigkeit wahrgenommen werden, da
hier gewisse Berufsgruppen (Unfallchirurgen, Labormediziner) im Vergleich zu anderen
(Psychiater, Kindermediziner etc.) bevorzugt werden.
242
Zitat aus Interview 3:
„Also es gibt Fächer, da kann man Geld scheffeln Ende nie und andere sind die arme Verwandtschaft, die Psychiater, die Kindermediziner, die Geriater haben keinen Zugang zu Privatpatienten, Sonderklasse. Die müssen für das, was sie einnehmen, halt viel Zuwendungsmedizin machen und andere, z.B. die technischen Fächer, kriegen von jedem Sonderklasse-Patienten halt einfach was ab und den sehen sie nie. Da sehen sie nur die Laborprobe oder das Röntgenbild, das macht Ungerechtigkeit. Ungleiche Entlohnung gibt Legitimation für ‚Gut, wenn das so ist, dann schaue ich, wie ich zu etwas komme‘.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich glaube, dass es bei vielen dieser Dinge darum geht, dass jemand das, wenn man auf der individuellen Ebene schaut, dass jemand das Gefühl hat, er kommt zu kurz oder es steht ihm was zu. Und das hat nichts mit Einzelabrechnung oder Pauschalabrechnung zu tun, sondern das hat auch viel mit Anerkennung und Wertschätzung zu tun.“
Zitat aus Interview 9:
„Aber ich glaube, dass das eher so aus dem Ding heraus entsteht, die zahlen mir so wenig für das, was ich tu und jetzt hole ich es mir woanders zurück, weil es steht mir zu. Ja? Aber in Wirklichkeit ist es Betrug.“
Zitat aus Interview 18:
„Es ist auf jeden Fall mehr als viele andere Berufssparten verdienen, das weiß ich, aber insgesamt, glaube ich, dass es nicht so viel ist, wie viele glauben in der Bevölkerung und vor allem viele Ärzte von sich glauben, dass sie in Wirklichkeit verdienen sollten. Und genau dieses Gefühl macht sie extrem anfällig für Korruption. Extrem anfällig.“
8. Finanzielle Abhängigkeit
Wie bereits mehrmals angemerkt wurde, führt laut Expertenmeinung (3 von 18 Befragten) die
Tatsache, dass Mediziner zur Fortbildung gesetzlich verpflichtet sind, die Kosten hierfür
seitens der öffentlichen Hand aber nicht übernommen werden und die Teilnahme an
Kongressen immer teurer wird, dazu, dass Ärzte regelrecht in die wirtschaftliche Abhängigkeit
und somit willkürliche Einflussnahme der Pharmaindustrie gedrängt werden.
Zitat aus Interview 18:
„Und in jeder anderen Berufssparte wird die Fortbildung auch bezahlt. Und das meine ich auch mit ‚in die wirtschaftliche Abhängigkeit treiben die Ärzte‘. […] Und weil man das Ganze der Industrie überlassen hat, sind die Kongresse, und da können Sie sich die Zahlen egal von wo raussuchen, egal von welchem Kongressveranstalter, sind immer teurer geworden. Das ist die Kostenspirale. Und damit wird man extrem abhängig.“
243
9. Anfälligkeit für Schmeicheleien
Die Anfälligkeit des Menschen für Schmeicheleien wurde auch als eine Ursache von Korruption
auf der Mikroebene genannt (3 von 18 Befragten). Über Schmeicheleien sollen vor allem die
sogenannten Meinungsbildner von der Pharmaindustrie eingefangen und für
Marketingzwecke instrumentalisiert werden. Insofern wurden pharmagesponserte
Fortbildungen auch als „Jahrmarkt der Eitelkeiten ohne großen Mehrwert“ bezeichnet.
Zitat aus Interview 9:
„Also ich glaube, dass das, etwas das mir aufgefallen ist, ist, dass wir einfach als soziale Wesen extrem anfällig sind für Schmeicheleien. Also wenn uns einer Honig ums Maul schmiert und sagt ‚Herr Prof., Sie sind aber wirklich der Allerbeste und Sie sind so toll und Ihr Vortrag, der war eine Wucht und nein, was Sie alles leisten und wie Sie das alles schaffen und nein und unglaublich und jemanden wie Sie gibt es nicht noch einmal in ganz Österreich‘. […] Also diese opinion leader werden genauso eingefangen.“
Zitat aus Interview 18:
„Das war eine Verkaufsveranstaltung. Ich war dort und habe wenigstens meine wissenschaftlichen Ergebnisse präsentiert. Und dafür war es gut. Aber ansonsten ist das ein Jahrmarkt der Eitelkeiten ohne großen Mehrwert.“
Hauptursache von Korruption
Wie im nachstehenden (zusätzlich erstellten) Kategoriensystem (Tabelle 18) ersichtlich, wurde
die Hauptursache für Korruption, die im Rahmen der geführten Interviews zusätzlich erfragt
wurde, mehrheitlich (9 von 18 Befragten) auf der Makroebene, von der wesentliche Impulse
zur Ausrichtung des Gesundheitssystems ausgehen, geortet. Vier von 18 Befragten orteten
diese auf der Mikroebene, die restlichen fünf Befragten sahen die Hauptursache auf mehreren
Ebenen liegen. Keine der befragten Personen vermutete die Hauptursache für Korruption auf
der Mesoebene.
Hauptursache von Korruption
Kategorien Häufigkeiten
Makroebene 9
Auf mehreren Ebenen 5
Mikroebene 4
Mesoebene 0
Tabelle 18: Kategoriensystem zu der Hauptursache von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht berücksichtigt. Die Hauptursache von Korruption wurde in allen 18 Interviews erfragt.)
244
Zitat aus Interview 1:
„Naja, auf der Makroebene ist sicher einmal das Hauptproblem, ja. Weil Österreich hat ein Problem mit Transparenz.“
Zitat aus Interview 2:
„Nein, ich glaube, jeder Mensch ist auf gewisse Art und Weise habgierig, wenn man ihnen diese Schlupflöcher lässt, deswegen setzt ja Transparency genau dort an, dass sie sagen, wo sind die Schlupflöcher, stopfen wir doch die Schlupflöcher, statt einzelnen Individuen hinterherzurennen und zu schauen, was sie alles Böses gemacht haben.“
Zitat aus Interview 5:
„Die Hauptursache für Korruption liegt auf der Systemebene begründet. Kuvertmedizin ist Pipifax. Die Dinge, die publiziert werden, sind pipifax. Systemkorruption ist das größte Problem.“
Zitat aus Interview 8:
„Ja, es ist ein Systemfehler, weil eben, wie schon gesagt, Fortbildungen vom Arbeitgeber nicht bezahlt werden, das ist ein klassisches Beispiel. Natürlich ist es letztendlich immer ein individuelles Thema, auf was ich anspreche und ob ich persönlich jetzt mitmache oder nicht, da sind wir beim Thema Bewusstseinsbildung. Aber ich glaube, es ist ein Systemfehler, dass einfach ganz, ganz viel, ob es jetzt der Einkauf von den Apotheken im Krankenhaus ist, wo noch immer irgendwie Deals und Packages und irgendwas gemacht werden, ob es das Wahlarztsystem ist, die Wartelisten im System. Es bringt dem System einen Vorteil, so zu handeln. Und das ist noch immer der große Fehler.“
5.7.5 Auswirkungen von Korruption
Auf Basis des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 19) werden im Folgenden die
Auswirkungen von Korruption auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen
Gesundheitssystems (Oberkategorien) nach ihrer Häufigkeit der Nennungen aufgelistet und
beschrieben. Die dargelegten Auswirkungen decken sich weitgehend mit jenen, die auch aus
der internationalen Literatur (Kapitel 2.6 und 3.4) hervorgehen (Kostenanstieg,
Qualitätsverlust, Vertrauensverlust, gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten,
Diskriminierung, Armutsanstieg etc.). Eine der wichtigsten, neu erworbenen Erkenntnisse
stellt jene dar, dass die Zwei-/Mehrklassenmedizin bereits Eingang in das österreichische
Gesundheitssystem gefunden haben soll.
245
Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Oberkategorien Kategorien Häufigkeit
Makroebene 17
Ökonomische Auswirkungen/Kostenanstieg 12
Qualitätsverlust/Fehlsteuerung des Systems 10
Vertrauensverlust/Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems
7
Innovationsbarriere/Entwicklungsbremse 4
Mesoebene 13
Industriegetriebene Forschung, Fortbildung, Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)
11
Finanzielle Schädigung des Dienstgebers 2
Reputationsschädigung des Dienstgebers 2
Zersetzung organisationaler Wertesysteme 1
Mikroebene 16
Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten 13
Diskriminierung/Zwei-, Mehrklassenmedizin 10
Demoralisierung/Entsolidarisierung 7
Reputationsschädigung/Glaubwürdigkeitsverlust 2
Tabelle 19: Kategoriensystem zu den Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien einschließlich ihrer Oberkategorien.
Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Die Auswirkungen von Korruption
wurden in allen 18 Interviews erfragt.)
Auswirkungen auf der Makroebene
1. Ökonomische Auswirkungen/Kostenanstieg
Am häufigsten (12 von 18 Befragten) wurde angemerkt, dass Korruption zu einer
Vermögensverschiebung, Wettbewerbsbeschränkung und einem Kostenanstieg zulasten
öffentlicher Gesundheitsbudgets beitrage und letztlich zulasten der Steuer- und
Beitragszahler gehe, was wiederum das solidarische Gesundheitssystem unterminieren kann.
Solche Ineffizienzen im Gesundheitssystem wurden nicht nur als ökonomischer Unfug
bezeichnet, sondern würden auch einen vermehrten Spardruck auslösen, der langfristig einer
optimalen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zuwiderlaufen kann.
Zitat aus Interview 2:
„Na, die Wirkung ist, dass das einfach, wenn wir wirklich davon ausgehen, dass zwischen 3 % und 10 %, das sind nummerische Werte, die groß sind, ein großer Brocken, verloren gehen, aus dem Topf des Gesundheitswesens, dann ist das ein Geld, das woanders nicht eingesetzt werden kann. Das ist eine eindeutige Auswirkung.“
246
Zitat aus Interview 4:
„Ja, auf der Systemebene die Auswirkung, dass eigentlich sehr vieles an notwendigen Ressourcen, auch ökonomisch gesehen, die wir im Gesundheitswesen eigentlich an vielen Stellen brauchen, um wirksame Interventionen für Patienten treffen zu können, dass die dann nicht vorhanden sind, sondern eben irgendwo in dunklen Kanälen versickern.“
Zitat aus Interview 14:
„Also Korruption ist ja deswegen so schädlich, weil Korruption negativ auf die Produktivität, auf die Effektivität, auf die Effizienz von Systemen wirkt. […] Und diese Ineffizienzen werden finanziert durch Steuer- und Beitragszahlungen. Und Ineffizienzen im Gesundheitswesen aufrecht zu erhalten, ist nicht nur ökonomischer Unfug, sondern ist auch unethisch, weil ja damit Geld, das über öffentliche, sozusagen Kostenträger hereingenommen wird, es ist ja wurscht, ob es jetzt meine Steuerleistung ist oder mein Sozialversicherungsbeitrag, nicht möglichst zweckentsprechend eingesetzt wird.“
Zitat aus Interview 15:
„Korruption kostet der öffentlichen Hand unnötig Geld, führt zu ungerechtfertigter Vermögens-verschiebung, weil Menschen Einkommen lukrieren, das ihnen nicht zusteht.“
2. Qualitätsverlust/Fehlsteuerung des Systems
Nach mehrheitlicher Expertenansicht (10 von 18 Befragten) können auf Korruption gründende
Fehlentscheidungen zur Fehlsteuerung des gesamten Systems beitragen, was wiederum mit
einem deutlichen Qualitätsverlust (Unter-, Fehl- und Überversorgung, Prozessverlangsamung
etc.) einhergehen kann. Wie bereits unter Punkt 1 („Ökonomische Auswirkungen/
Kostenanstieg“) angemerkt wurde, kann sich vor allem der durch Korruption hervorgerufene
Kostenanstieg langfristig auf die Qualität der Leistungen und deren Outcome auswirken,
wofür es auf internationaler Ebene bereits empirische Belege gibt (vgl. Kapitel 3.4).
Zitat aus Interview 5:
„Nur aus meiner Sicht das Wichtigere ist Zynismus, Menschenverachtung auf der einen Seite und Hilflosigkeit und das Verlassen des Gesetzlichen und des Anspruchhaften in der Gesundheitsversorgung auf der anderen Seite, und das führt letztlich zur völligen Erosion eines an sich guten Systems.“
Zitat aus Interview 10:
„Ich habe eine Fehlsteuerung. D.h., es werden für die falschen Menschen die falschen Leistungen am falschen Ort mit der falschen Qualität erbracht, die Katastrophe.“
Zitat aus Interview 13:
„Systemisch gesehen glaube ich oder bin ich der Überzeugung, dass Korruption die Qualität eindeutig reduziert im Gesundheitswesen, Prozesse verlangsamt.“
247
Zitat aus Interview 15:
„Korruption kann im System dazu führen, dass Fehlentscheidungen getroffen werden“.
3. Vertrauensverlust/Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems
Sieben von 18 befragten Personen räumten ein, dass Korruption mit einem Vertrauensverlust
in die moralische Integrität der Heilberufe und deren Leistungsfähigkeit einhergehe, was
letztlich auch das solidarische Gesundheitssystem unterminieren kann. Dies soll vor allem
dann zutreffen, wenn in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, man bekomme bestimmte
Gesundheitsleistungen nur gegen Bezahlung. Das dadurch hervorgerufene Misstrauen könnte
Korruption und Gesetzesbruch erneut Tür und Tor öffnen.
Zitat aus Interview 4:
„Ganz allgemein gesagt ist aus meiner Sicht eigentlich Korruption Gift für das Vertrauen in das öffentliche Gesundheitswesen. […] Die Korruption ist so die Todsünde in einem öffentlichen Gesundheitswesen, wenn das Grundvertrauen der Patienten dann eigentlich nicht mehr da ist, dass man die notwendigen und zweckmäßigen Leistungen deswegen bekommt, weil man eine bestimmte Krankheit oder Gesundheitssituation hat, sondern nur deswegen, wenn extra was bezahlt wird. Das unterminiert aus meiner Sicht den gesamten Grundkonsens der Bevölkerung für das Gesundheitswesen.“
Zitat aus Interview 5:
„Man hat halt das Gefühl, wenn ich nicht wirklich viel Geld hinlege, kriege ich nichts mehr. D.h., es wird das System verludert und kommt in Verruf und verliert an Ansehen und die Leute werden unsicher und verzweifelt.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich glaube, dass es das System unterminiert. Dass es eigentlich ein soziales, öffentlich-finanziertes System unterminiert, dass es Geld kostet, dass es Vertrauen kaputt macht und dass es letztendlich zulasten der Patienten geht oder der Versicherten.“
Zitat aus Interview 10:
„Die Menschen im System, ob das jetzt Gesundheitssystem oder öffentliches Politiksystem oder was ist, die haben nicht das Vertrauen, dass mit den Steuergeldern und mit den Sozialversicherungsbeiträgen sinnvoll umgegangen wird, ja? Weil die haben auch kein Problem, sich etwas abzuzweigen, weil neben der negativen Vorbildaktion mit dem Geld sowieso überhaupt nur Blödsinn gemacht wird.“
248
4. Innovationsbarriere/Entwicklungsbremse
Dadurch, dass korrupte Akteure gegen besseres Wissen und Gewissen dazu neigen, am alten,
lukrativen System festzuhalten, wurde Korruption von mehreren Experten (4 von 18
Befragten) auch als eine Innovations- und Entwicklungsbremse bezeichnet. Sie behindere
notwendige Entwicklungen, was letztlich zulasten des Gesundheitssystems und der gesamten
Gesellschaft gehen kann.
Zitat aus Interview 7:
„Es ist sicherlich auch gegen Innovation gerichtet, weil natürlich eingefahrene Praktiken, da will man ja nichts Neues, sondern beharrt auf alten Strukturen, weil man weiß, diese alten Strukturen passen mir gut, weil ich mit denen gut umgehen kann.“
Zitat aus Interview 13:
„Systemisch gesehen, glaube ich oder bin ich der Überzeugung, dass Korruption […] notwendige Entwicklungen behindert und der Gesellschaft schadet, also für mich ist das ganz klar. “
Zitat aus Interview 16:
„Und auf der anderen Seite stockt dann auch irgendwann die Innovationskurve, weil gewisse Junge einfach sagen ‚Ich mache das nicht mehr. Kann ich eh nicht machen, komme ich eh nicht dazu. Schaffe ich eh nicht, weil kann ich nicht registrieren, kann ich nicht machen.‘ Also wenn das publik ist, dann gehen viele junge Ideen gar nicht mehr in die Konzeptphase.“
Auswirkungen auf der Mesoebene
1. Industriegetriebene Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis von Health
Professionals (Medizinern)
Als häufigste Auswirkung von Korruption auf der Mesoebene des nationalen
Gesundheitssystems (11 von 18 Befragten) wurde die Manipulation von Forschungs- und
Fortbildungsinhalten genannt, was sich in weiterer Folge – nebst anderen unethischen
Marketingpraktiken – verzerrend auf die spätere Verschreibungspraxis von Health
Professionals auszuwirken vermag. Auf diese Problematik/Auswirkung wurde in Kapitel 5.7.3
unter dem erstgenannten Punkt („Einflussnahme auf Forschung, Fortbildung,
Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)“) bereits ausführlich
eingegangen. An dieser Stelle sei auch auf die dort angeführten Zitate und empirischen
Studienergebnisse auf internationaler Ebene verwiesen.
249
2. Finanzielle Schädigung des Dienstgebers
Die finanzielle Schädigung des Dienstgebers stellt eine weitere genannte Auswirkung von
Korruption dar (2 von 18 Befragten). Dazu komme es beispielsweise dann, wenn Patienten aus
dem öffentlichen Spital in die Privatordinationen oder Privatkliniken abgeworben werden,
wobei neben den entgangenen Einnahmen aus der Sonderklasse, auch zuvor getätigte teure
Diagnostiken im Spital berücksichtigt werden müssen.
Zitat aus Interview 2:
„Und es ist ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Privatordination und teurer Diagnostik im öffentlichen Bereich.“
Zitat aus Interview 3:
„Da wird der Dienstgeber geschädigt und die Patienten unterzeichnen dann eine Patientenwunscherklärung, dass nämlich sie den Wunsch geäußert hätten, das im Privatspital zu machen.“
3. Reputationsschädigung des Dienstgebers
Langfristig vermag sich Korruption nach Expertenansicht (2 von 18 Befragten) auch auf die
Reputation des Dienstgebers (Krankenanstalt, Unternehmen etc.) auszuwirken, insbesondere
dann, wenn gewisse Missbrauchsfälle (ungerechtfertigte Vorreihungen, unethische
Marketingstrategien etc.) in gehäufter Zahl an die Öffentlichkeit treten sollten. Laut einem
Arzt schade Korruption dem Image internationaler, arrivierter Firmen mehr als den kleineren,
weshalb sie auch mehr um ihre Reputation und die Einhaltung gewisser Spielregeln bemüht
sein sollen.
Zitat aus Interview 7:
„Also das ist so ein Erfahrungswert, denn ich weiß von Kollegen, dass, wenn Dinge auftreten, sind es meistens nicht die arrivierten Firmen, die trauen sich gewisse Dinge nicht mehr, die sind da sehr, sehr vorsichtig geworden, zum Glück. Ja, ganz einfach, weil es gibt internationale Reputation, die sind börsennotiert, die sind zu gewisser Transparenz gezwungen, während viele der kleineren, ich meine, das ist irgendwo in der Mitte Westen oder Osten oder was auch immer, da gibt es kein, also wenig Spielregeln, die da irgendwo hinzukommen.“
250
4. Zersetzung organisationaler Wertesysteme
Ein Vertreter der Pharmaindustrie räumte ein, dass sich Korruption zersetzend auf das
organisationale Wertesystem auszuwirken vermag, indem ein solches Verhalten
organisationsintern zugelassen, akzeptiert oder sogar (indirekt) gefördert wird.
Zitat aus Interview 14:
„Und auf eine Organisation, die ein solches Verhalten zulässt, akzeptiert oder vielleicht sogar fördert, wirkt es in letzter Konsequenz natürlich auch völlig wertezersetzend. “
Auswirkungen auf der Mikroebene
1. Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten
Die meistgenannte Auswirkung von Korruption auf der Mikroebene des nationalen
Gesundheitssystems (13 von 18 Befragten) umfasst die gesundheitliche und/oder finanzielle
Schädigung der Patienten. Dies kann sowohl auf normalversicherte als auch auf
zusatzversicherte/private Patienten zutreffen. Beispielsweise können normalversicherte
Patienten über eine ungerechtfertigte Nachreihung auf Wartelisten gesundheitliche
Folgeschäden erleiden oder durch die private Kostenübernahme für Leistungen, die ihnen
eigentlich kostenlos zur Verfügung stehen sollten, in finanzieller Hinsicht geschädigt werden.
Zudem kann auch die private Nebenbetätigung von Ärzten während ihrer offiziellen
Dienstzeiten im öffentlichen Spital eine große gesundheitliche Bedrohung für
normalversicherte Patienten darstellen, falls der Arzt im Falle eines Notfalls nicht anwesend
sein sollte. Ebenso können unethische, verdeckte Marketingpraktiken der Pharmaindustrie
über die Beeinflussung der Verschreibungspraxis der Ärzte oder die Schaffung unnötiger,
falscher oder teurer Patientenbegehrlichkeiten zur gesundheitlichen und/oder finanziellen
Schädigung der Patienten beitragen. Andererseits können auch zusatzversicherte oder private
Patienten, die sowohl für das Individuum als auch für die Organisation eine lukrative
Einkommensquelle darstellen, Gefahr laufen, überversorgt und damit fehlversorgt zu werden
– wie auf internationaler Ebene bereits mehrmals empirisch aufgezeigt werden konnte (Shah
et al. 2011; Koshy et al. 2015). Nach Expertenmeinung kann Überdiagnostik nicht nur zu einer
unnötigen Strahlenbelastung führen, sondern auch das Risiko des Vorliegens eines falsch-
positiven Befundes bergen. Darüber hinaus muss es nicht unbedingt von Vorteil sein, als
251
Privatpatient vom Primararzt operiert zu werden, da dieser angeblich weitaus weniger
operative Eingriffe vornimmt als der Oberarzt.
Zitat aus Interview 3:
„Als Beispiel, ein leitender Arzt in [Name der Krankenanstalt] hätte im Dienst sein sollen, ist von einem Mitarbeiter, einem Arzt in Ausbildung, gesucht worden, weil ein Patient dringend intensivpflichtig war. Der leitende diensthabende Arzt war nicht aufzufinden, weder telefonisch, noch mit Pipserl noch persönlich, man vermutet, er hat irgendwo privat gerade operiert. Der Arzt in Ausbildung konnte dann das Intensivbett nicht durchsetzen, hätte den Chef gebraucht, dass er das macht, der Patient ist gestorben.“
Zitat aus Interview 6:
„Deswegen habe ich z.B. keine Zusatzversicherung, weil ich nicht vom Primarius operiert werden will, weil der kann es nicht. Und ein Zusatzversicherter wird immer vom Primarius operiert.“
Zitat aus Interview 10:
„Eine Benachteiligung Klassenmedizin kommt permanent vor, jemand der gesagt hat, Sonderklasseversicherung, kriegt noch die 23. diagnostische Maßnahme verordnet, weil sie verrechenbar ist.“
Zitat aus Interview 17:
„Wenn man Korruption im Gesundheitssystem ortet, dass jemand eine Leistung erhält, die ihm entweder nicht zusteht oder sie früher erhält als ein anderer, d.h. also, es wird eine Ressource verbraucht, die andere bezahlen und die ein Dritter notwendiger brauchen könnte.“
2. Diskriminierung/Zwei-, Mehrklassenmedizin
Am zweithäufigsten (10 von 18 Befragten) wurde angemerkt, dass Korruption durch die
Bevorteilung einzelner Personen und gleichzeitige Benachteiligung unbeteiligter Dritter die
Gleichheit vor dem System untergrabe, die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter
aufgehen lasse und letztlich in einer Zwei- oder Mehrklassenmedizin münde. Wie unter Punkt
1 („Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten“) bereits angemerkt wurde, müssen
nicht immer Kassenpatienten die Benachteiligten im System sein, sondern können es
durchaus auch zusatzversicherte bzw. private Patienten sein. Insofern wurde die
Zweiklassenmedizin auch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.
252
Zitat aus Interview 2:
„Also zur Zweiklassenmedizin habe ich eine sehr konkrete Meinung und die heißt, dass die Leute, die eine Privatversicherung haben, kriegen ein unglaubliches Ausmaß an unnützer Medizin verpasst. Und da gibt es gute Zahlen dafür, dass Privatversicherte fünfmal so häufig operiert werden oder fünfmal so häufig was auch immer kriegen, die sie nicht brauchen. Das heißt, die Zweiklassenmedizin bewegt sich auch in Richtung unsinniger Medizin.“
Zitat aus Interview 7:
„Auf der individuellen, auf der Haushaltsebene, wird es dann sehr rasch eine Equity-Frage, nicht also die Gleichheit vor dem System wird dann massiv untergraben, wenn sich ganz einfach gewisse Bevölkerungsschichten ein korruptes Verhalten leisten können, andere werden es sich nicht leisten oder weniger leisten, das ist das Erste.“
Zitat aus Interview 10:
„Also Bevorzugung, Zweiklassenmedizin, kommt permanent vor. Eine Benachteiligung Klassenmedizin kommt permanent vor.“
Zitat aus Interview 12:
„Was mich immer nur aufregt, ist, wenn es dann heißt, die beste, bei uns ist eh alles super und alle kriegen das Beste und für alle gleich. Wir wissen alle, dass das nicht stimmt.“
Zitat aus Interview 14:
„Also, was wir immer wieder hören, dass wir einen freien, gleichen Zugang, alle Patientinnen und Patienten zu jeder Form der Therapie haben. Da muss ich sagen, das stelle ich einmal in Zweifel, denn wir erleben zum Teil mit offenen, zum Teil mit versteckten Rationierungen, der Umstand, dass ich im November keinen MR-Termin bekomme, ist ein klares Indiz dafür.“
Auf Nachfrage hin besteht nach mehrheitlicher Ansicht der Experten (16 von insgesamt 17
Befragten im Hinblick auf die Zwei-/Mehrklassenmedizin) kein Zweifel, dass es in Österreich
bereits eine Zweiklassenmedizin gibt. Dies soll sich aktuell vor allem an der Zunahme der
Wahlärzte sowie an den bisherigen langen MRT-Wartezeiten und der Möglichkeit einer
Terminbeschleunigung im Falle des Vorliegens einer Zusatzversicherung oder der privaten
Kostenübernahme zeigen. Vier der 17 Befragten sprachen bereits von einer Drei-
Klassenmedizin (1. Klasse: sozialversicherte Patienten; 2. Klasse: zusatzversicherte/private
Patienten; 3. Klasse: Patienten, die über die richtigen Kontakte/Beziehungen verfügen).
Weitere vier der 17 Befragten gingen sogar von einer Mehrklassenmedizin aus. Dabei wurden
bis zu sechs und mehr Klassen unterschieden, die hinsichtlich der Güte der medizinischen
Behandlung „variieren“ können. Im Folgenden erfolgt eine Auflistung häufig genannter
Klassen nach zunehmender Behandlungsqualität:
253
1. Sozialversicherte Patienten mit Migrationshintergrund oder psychischen Problemen;
2. Sozialversicherte Patienten;
3. Leistungsunterschiede innerhalb der verschiedenen Krankenkassen (GKK, BVA, SVB etc.)
ganz nach dem Motto „Jede Kasse eine eigene Klasse“ im Sinne einer „solidarischen“
Mehrklassenmedizin (Korosec 2007, S. 2);
4. Patienten, die über eine private Krankenzusatzversicherung verfügen;
5. Patienten, die über die richtigen Kontakte/Beziehungen verfügen;
6. Patienten, die über eine private Krankenzusatzversicherung und über die richtigen
Kontakte/Beziehungen verfügen;
7. Patienten, die zusätzlich noch etwas privat zahlen („Kuvertmedizin“);
8. Patienten, die berühmte Persönlichkeiten (Spitzensportler, Politiker etc.) sind
(Premiumklasse).
Zitat aus Interview 3:
„Dafür [die Zweiklassenmedizin] gibt es ja auch im legalen Sektor Beweise und Beispiele, dass die Zunahme der Wahlärzte. Ja, also, ich kann nicht fächern, wo man lange Wartezeiten hat, Augen, Orthopädie, dann gehen die Leute halt dann zum Privatarzt, wenn sie irgendwie warten müssen und halt nur die, die es sich nicht leisten können, die müssen das hinnehmen. Also das ist nicht illegal.“
Zitat aus Interview 8:
„Also als Vertreter der GKK ist unsere Linie ‚Es gibt keine Zweiklassenmedizin‘, inoffiziell natürlich, der Wahlarztbereich wird immer größer, Wartezeiten sind ein Thema, dass man in eine private Ordi geht, dort für die Beratung zahlt und früher einen Termin kriegt, natürlich gibt es das.“
Zitat aus Interview 9:
„Aber es gibt eine Mehrklassenmedizin ja, wobei es gar nicht bedeutet, dass die, die die meiste Versorgung kriegen, unbedingt am besten aussteigen. […] Aber ich glaube auf vier Klassen kommt man relativ leicht. Das sind sozusagen die, die schlechter behandelt werden, die, die normal behandelt werden und die, die quasi zusatzversichert sind und da gibt es quasi noch die Premiumklasse, ja, die absoluten High-Spitzenväter.“
Zitat aus Interview 10:
„Eigentlich haben wir drei Klassen. […] Die, die versichert sind, das ist die allgemeine Klasse. Die, die zusätzliche Zahlungen weißer, schwarzer und dunkler Natur tätigen, ist eh zweite Klasse oder Sonderklasse. Und die dritte Klasse ist die, die jemanden kennen.“
254
Zitat aus Interview 12:
„Und wie gesagt, es fängt damit an, dass ich die richtigen Leute kenne und das ist jetzt einmal wahrscheinlich die wichtigste Klasse, dann geht es weiter, ob Sie privatversichert sind oder nicht, dann geht es auch innerhalb der Krankenkassen weiter, ja? Sind Sie SVA versichert oder GKK?“
Zitat aus Interview 14:
„Ich glaube, dass es nicht eine Zwei-, sondern eine Drei-Klassenmedizin in Österreich gibt. Es gibt die Patienten, die sich aus finanziellen Gründen keine private Gesundheitsvorsorge oder Versicherung leisten können und niemanden kennen. Dann gibt es diejenigen, das ist die zweite Klasse, das sind diejenigen, die es sich privat aus finanziellen Gründen leisten können hier eine besondere Form der Gesundheitsvorsorge und Behandlung zu finanzieren, die aber auch niemanden kennen. Und das, was ich in Österreich erlebe, ist die dritte Klasse, das sind die, die die richtigen Leute kennen.“
Zitat aus Interview 18:
„Wir haben sogar die Drei-Klassenmedizin.“
Ausgehend von den gewonnenen empirischen Erkenntnissen lässt sich folgende These
aufstellen:
A1 Die Zwei-/Mehrklassenmedizin hat bereits Eingang in das österreichische
Gesundheitssystem gefunden.
3. Demoralisierung/Entsolidarisierung
Mehrere Interviewteilnehmer (7 von 18 Befragten) brachten ein, dass Korruption langfristig
zu einer Demoralisierung und Entsolidarisierung beitragen kann, insbesondere dann, wenn
sich der generelle Eindruck in der Bevölkerung verfestigt, dass man nur über ein korruptes
Verhalten etwas erreichen könnte. Dies kann schließlich Demotivation, Frustration bis hin zur
Wut bei den nicht korrupten, ehrlichen Personen auslösen, was langfristig auch bei ihnen mit
einer bestimmten Verhaltensänderung einhergehen kann bzw. sich auf ihre eigene
Korruptionsanfälligkeit auszuwirken vermag. Ein solches gesellschaftlich verbreitetes
Verhalten kann letztlich zum völligen Verfall der öffentlichen Moral beitragen, indem niemand
mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden wird können und gewisse Verhaltensweisen als
„normal“ bzw. „üblich“ angesehen werden.
255
Zitat aus Interview 2:
„Auf der Mikroebene ist die Auswirkung, dass die Moral langsam verfällt. Das klingt irgendwie sehr katholisch, aber so ist das gar nicht gemeint, sondern allein, dass Patienten gar nichts komisch daran finden, dass sie, wenn sie dem Arzt 200 Euro zustecken, dafür einen früheren Termin kriegen für eine Operation, dann ist das ein Verfall der öffentlichen Moral, dass das schon als normal angesehen wird.“
Zitat aus Interview 3:
„Die Korruption ist ein Gift, es muss gar kein Massenphänomen sein, dass sie demoralisiert und entsolidarisiert, wenn man weiß, das geht so und man wäre der Blöde oder ist der Blöde oder vermutet nur, da kriegen manche Vorfahrt oder wenn man als Arzt irgendwo arbeitet und meint, der hat sich das irgendwo organisiert, es geht um das Gift.“
Zitat aus Interview 14:
„Auf den Einzelnen, der sozusagen Korruption sieht und daran nicht teilnimmt und dann sieht, dass dieses korrupte Verhalten zum Erfolg führt, Erfolg unter Anführungszeichen, ist natürlich demotivierend und wirkt frustrierend und ist so quasi ein Anti-Vorbildverhalten. Auf denjenigen, der vermeintlich davon profitiert, wirkt es natürlich moralzersetzend. “
Zitat aus Interview 15:
„Korruption korrumpiert“.
4. Reputationsschädigung
Aus Sicht der befragten Experten (2 von 18 Befragten) kann Korruption nicht nur auf der
Mesoebene, sondern auch auf der Mikroebene im Falle ihrer Aufdeckung und
Veröffentlichung zur Reputationsschädigung und einem langfristigen Glaubwürdigkeitsverlust
beitragen.
Zitat aus Interview 1:
„Und ein paar Ärzte, Kameraden sehen das auch, dass es ein Problem ist, weil sie natürlich das Image verlieren.“
Zitat aus Interview 2:
„Dadurch ist das dann verlorenes Geld, also die Firma steckt das Geld ein, ich nehme logischerweise keines, weil das meine Reputation schädigen würde, und das finde ich hochirritierend, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass eine Firma mein Honorar nicht irgendjemand anderem spenden kann.“
256
5.7.6 Zukünftiger Handlungsbedarf
Anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 20) werden im Folgenden von den
Experten vorgeschlagene Verbesserungsmaßnahmen bzw. der zukünftige Handlungsbedarf,
die teilweise in einer weiteren Ebene ausdifferenziert wurden (Subkategorien), auf den
unterschiedlichen Ebenen des österreichischen Gesundheitssystems (Oberkategorien) nach
ihrer Häufigkeit der Nennungen aufgelistet und beschrieben. Viele der genannten Punkte
decken sich weitgehend mit jenen, die sowohl auf internationaler Ebene (Kapitel 3.6) als auch
auf nationaler Ebene (TI-AC 2010, S. 29) zur nachhaltigen Korruptionseindämmung im
Gesundheitssystem empfohlen werden. Darunter fallen beispielsweise die
Bewusstseinsschaffung, Antikorruptionsgesetzgebung, Verschärfung der Kontroll- und
Sanktionsmechanismen, Transparenzschaffung, Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller
Anreizmechanismen, Errichtung einer anonymen Korruptionsmelde- und weisungsfreien,
unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem, Stärkung der Vorbildwirkung der
Führung etc. Darüber hinaus wurden weitaus konkretere bzw. neue Vorschläge mit Blick auf
den zukünftigen Handlungsbedarf zur Bekämpfung von Korruption im österreichischen
Gesundheitssystem geliefert (Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme, Optimierung
des Abrechnungssystems, strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Neuregelung
der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren, Schließung spezifischer
rechtlicher Regelungslücken, Verbesserung der gesundheitsbezogenen Ausbildung der
Bevölkerung und der wissenschaftlichen Ausbildung von Medizinern u.a.).
257
Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Oberkategorien Kategorien und Subkategorien Häufigkeit
Makroebene 18
Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen
Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme
Strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen
Optimierung des Abrechnungssystems
Anhebung der Spitalsärztegehälter
Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren
17 11 10 6 4 3
Vermehrte Transparenzschaffung 13
Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen 10
Erforderliche Änderungen auf juristischer Ebene 10
Fundamentaler System- und Strukturwandel 6
Errichtung einer anonymen Korruptionsmeldestelle und einer weisungsfreien, unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem
4
Weitere Verbesserungsvorschläge
Forcierung von Generika
Einrichtung einer zentralen Stelle für die Freigabe gesundheitsbezogener Kampagnen und für die Durchführung des Mystery Shoppings
Einführung der Patientenquittung
3 1 1
1
Mesoebene 12
Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen 9
Stärkung der Vorbildfunktion der Führung 3
Aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion von Überversorgung 2
Mikroebene 15
Forcierung der öffentlichen Bewusstseinsbildung, Aufklärung und Sensibilisierung
14
Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung („Health Literacy“) bzw. der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals (Medizinern)
7
Tabelle 20: Kategoriensystem zum zukünftigen Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien einschließlich ihrer Ober- und Subkategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Der zukünftige
Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption wurde in allen 18 Interviews erfragt.)
Zukünftiger Handlungsbedarf auf der Makroebene
1. Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen
Der wichtigste Stellhebel zur Eindämmung von Korruption wurde von den
Interviewteilnehmern (17 von 18 Befragten) auf der Makroebene in der Beseitigung
fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen geortet.
258
Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme
Um die Einflussnahme der Industrie auf das Agieren von Health Professionals
(Medizinern), Forschungseinrichtungen, Selbsthilfegruppen etc. zu unterbinden, schlugen
elf der 18 Befragten eine Finanzierungstrennung von privatem und öffentlichem Bereich
vor. Einerseits biete sich hierfür ein unabhängiger Finanzierungstopf an, der aus Mitteln
der Industrie gespeist und dessen Gelder anschließend von einer unabhängigen Stelle auf
die einzelnen Zielgruppen (Health Professionals, Forschungseinrichtungen, Selbst-
hilfegruppen etc.) verteilt werden könnten. Andererseits besteht laut Expertensicht auch
die Möglichkeit, dass die Finanzierung über die öffentliche Hand erfolgt, welche die Gelder
z.B. über Arzneimittelpreisverhandlungen mit der Industrie wieder hereinholen könnte.
Zitat aus Interview 2:
„Ich würde versuchen, zu berechnen, wieviel Geld die Industrie, wie viel Geld in Ärztefortbildung hineinfließt, dieses Geld dann, also öffentliche Hand, in die Hand nehmen und ausgeben, aber dann muss ich es mir wieder von irgendwo holen und dieses Geld dann von den Arzneimittelpreisen runterstreichen.“
Zitat aus Interview 3:
„Die Pharmaindustrie sollte in einen Topf einzahlen und daraus kriegen dann die einzelnen Gruppen Geld.“
Zitat aus Interview 8:
„Ja, neutrale Töpfe, wo wer auch immer das einzahlt, Industrie oder auch öffentliche Hand. Ist aber was, was eigentlich bei allen Beteiligten nicht auf Gegenliebe stößt, weder bei denen, die es finanzieren sollen noch bei den Ärzten selber, weil natürlich auch der persönliche Benefit verloren geht. Also es gibt Länder, die das machen wie die skandinavischen Länder, wo es auch gut funktioniert, bei uns ist es, glaube ich, derzeit kein Thema.“
Zitat aus Interview 17:
„Also ich würde als Erstes einmal, würde ich die Universitäten besser finanziell ausstatten, damit sie nicht angewiesen sind auf die Subventionen der pharmazeutischen Industrie.“
Zitat aus Interview 18:
„Wie kann man es finanzieren? Na, über die öffentliche Hand. 40.000 Ärzte gibt es in der Standesliste, ich sehe sogar mehr, das Ganze mal 6000 [Fortbildungskonto pro Kopf], sind wir bei 240 Mio., hauen wir noch einmal 10 drauf, 250 Mio. Das ist ein Zehntel von den gesamten Gesundheitsausgaben. Das wäre zu finanzieren, auch wenn man die Preispolitik von den Pharmaka etc. anders gestalten könnte bzw. es nicht so deklariert und nicht die Industrie aufzubringen, aber diesen Topf quasi finanziert. […] Das wäre die erste, wesentliche und extrem wirkungsvolle Maßnahme, die würde sehr viel Einfluss der Industrie auf die Verschreibenden wegbringen.“
259
Strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen
Mehrere Experten (10 von 18 Befragten) sprachen sich für eine strengere (bundesweit
einheitliche) Regulierung von Nebenbeschäftigungen (beispielsweise in Form von
Genehmigungspflichten) aus. Manche forderten sogar ein gänzliches Nebenbe-
schäftigungsverbot, was aktuell auf vertraglicher Ebene nach geltender Rechtslage
möglich erscheint. Letzterer Vorschlag müsste laut Expertensicht allerdings mit einer
Gehaltserhöhung einhergehen, damit die öffentliche Hand weiterhin als Arbeitgeber
attraktiv bleibe und einer Abwanderung der Spitalsärzte langfristig entgegengewirkt
werden kann.
Zitat aus Interview 2:
„Es ist so einfach, es ist so einfach. Einfach jemandem zu sagen, du bist Chef von einer öffentlichen Klinik, du hast hier von 7:00 bis 17:00 Uhr Arbeitszeit. Punkt, Schnitt. Du gehst jetzt nicht noch einmal, du hast ein volles Gehalt, du kannst nicht zu 40 Stunden noch einmal 40 Stunden woanders arbeiten.“
Zitat aus Interview 9:
„Und auch diese Nebenbeschäftigungen sind, es gibt keine klare Regelung für ganz Österreich, ja, wo man sagt, so machen wir es.“
Zitat aus Interview 10:
„Man müsste das öffentliche Gesundheitswesen und Menschen, die dort tätig sind, und private Betätigung komplett trennen. Da gehört eine Firewall her.“
Zitat aus Interview 15:
„Würde ich auf der Stelle untersagen als Arbeitgeber, wenn der Arzt Patienten, die in meinem öffentlichen Haus Geld bringen könnten, weil sie nämlich Sonderklassepatienten werden könnten, er um vielleicht noch eine bessere Entlohnung in ein Privatspital lockt. Also das fällt für mich eigentlich unter Nebenbeschäftigungsverbot, was man dienstrechtlich nach Angestelltengesetz "Konkurrenzschutz" meiner Meinung nach auch unterbinden könnte.“
Optimierung des Abrechnungssystems
Laut Expertenansicht (6 von 18 Befragten) sei auch eine grundlegende Optimierung des
Abrechnungssystems sowohl im niedergelassenen Bereich (Kombination aus Pauschal-
und Einzelleistungsabrechnung) als auch im Spitalsbereich (LKF-System) längst ausständig
und dringend erforderlich, um fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen zur
260
Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen zu beseitigen. Die Fort-
entwicklung müsste sich in eine solche Richtung bewegen, dass man von quantitäts- zu
qualitätsinduzierten Anreizen gelange. Ein neues System, welches seit 2013 existiert und
an dem man sich laut einem Patientenanwalt anlehnen könnte, stellt A-IQI (Austrian
Inpatient Quality Indicators) (BMG 2015b) dar. Dass die Vergütung mit der Qualität
erbrachter Leistungen verknüpft werden sollte, wird auch in der kürzlich veröffentlichten
Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich
empfohlen (LSE 2017a, S. 36f.). Weiters wurde seitens der Interviewten angemerkt, dass
die unterschiedlichen Honorarordnungen im niedergelassenen Bereich vereinheitlicht und
die bisherige Betriebsabgangsdeckung im Spitalsbereich neu geregelt gehören, um einer
Misswirtschaft nachhaltig entgegenzuwirken. An dieser Stelle sei erwähnt, dass aktuell
über eine Neugestaltung der Honorarsysteme für Ärzte und die Harmonisierung der
Leistungskataloge der Krankenkassen debattiert wird (APA 2017c).
Zitat aus Interview 4:
„Also ich glaube, dass eine Fortentwicklung, aber eigentlich eine revolutionäre Fortentwicklung des LKF ganz wesentlich wäre und zwar in die Richtung, dass man von diesen quantitätsinduzierten Anreizen weggeht und zu qualitätsinduzierten Anreizen kommt. Also so mit dem Stichwort ‘Pay for Performance‘ oder ‘Pay for quality‘. […] Möglichkeiten dazu wäre aufbauend auf dem LKF-System jetzt mit einem neuen System, das seit zwei, drei Jahren besteht, haben Sie sicher auch schon gehört, das A-IQI.“
Zitat aus Interview 7:
„Aus dem Grund glaube ich, also man müsste wirklich ganz fundamental das Abrechnungssystem ändern, ich meine, unser Abrechnungssystem fordert das geradezu heraus zu betrügen.“
Zitat aus Interview 10:
„Der dritte Bereich, wo ein gewaltiges Verbesserungspotenzial wäre, wäre die Novellierung des LKF-Systems, das seit mehr als 16 oder 17 Jahren oder was besteht, und wir keine Abgangsdeckung gewähren würden oder allen die gleiche Abgangsdeckung.“
Zitat aus Interview 15:
„Man könnte auch Honorarsysteme einführen, wo mehr pauschal und dann gibt es eine Fallpauschale und nicht für ‚noch linkes Ohrwascherl ausspülen ist noch einmal mehr als wenn er nur rechtes gespült hätte‘. Also ich finde den Honorarkatalog bisweilen ein bisschen einfallslos.“
261
Anhebung der Spitalsärztegehälter
Um die Korruptionsanfälligkeit von Spitalsärzten zukünftig zu reduzieren, müssten laut vier
der 18 Befragten deren niedrigen Gehälter angehoben werden. Insbesondere wäre dies
im Falle eines Nebenbeschäftigungsverbots, der Streichung von Sonderklassehonoraren
oder einer gesetzlichen Untersagung der Entgegennahme jeglicher materieller
Zuwendungen seitens der Industrie unabdingbar, um hochqualifizierte Ärzte weder an die
Privatwirtschaft (z.B. Privatkliniken) noch ans Ausland, wo sie besser bezahlt und somit
auch für ihre Leistung mehr wertgeschätzt werden, zu verlieren. Laut Riedler (2013, S. 32)
könnte es nämlich dadurch insofern zu einer Zweiklassenmedizin kommen, als die aus
öffentlichen Spitälern abgewanderten, hochqualifizierten Ärzte für sozial Schwächere
ohne Zusatzversicherung nicht mehr zugänglich wären. Da sich eine subjektiv empfundene
gerechtere Entlohnung leistungssteigernd auszuwirken vermag, könnte eine
Gehaltserhöhung einem Arzt zufolge gleichzeitig mit weniger Folgekosten im
Gesamtsystem einhergehen und somit auch weniger Ärzte erforderlich machen. Auf diese
Weise wäre die Gehaltserhöhung auch langfristig finanzierbar.
Zitat aus Interview 5:
„Ja, mein Ansatz wäre der, die Leute im niedergelassenen Bereich und im Krankenhaus anständig zu zahlen, aber ihnen dann jede Nebenbeschäftigung zu verbieten.“
Zitat aus Interview 12:
„Wenn Sie mich jetzt fragen würden, was würde ich tun, wenn der kleine Maxi am Reißbrett das Gesundheitssystem neu aufsetzen würde, dann würde ich sagen, wir zahlen ihnen angemessene Gehälter und verbieten jegliche Nebeneinkünfte.“
Zitat aus Interview 18:
„Wenn man jetzt sagt, die Nebenbeschäftigungen sind generell zu verbieten, dann sage ich ‚Ja, ist kein Problem‘, dann muss man halt den Ärzten adäquate Gehälter zahlen. […] Ich glaube auch, es wäre effizienter, es wäre insgesamt, wenn nicht billiger, gleich teuer, und die Ärzte, die drinnen arbeiten, und Gesundheitsberufe wären zufriedener, weil sie mehr Geld bekommen für ihre Arbeit. Weil Geld ist auch eine Wertschätzung, nicht? Für die Leistung.“
Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren
Drei von 18 Befragten forderten eine transparentere (bundesweit einheitliche)
Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren im öffentlichen
Spitalsbereich, um auch hier fehlgeleitete finanzielle Anreize zur Korruption abzuschaffen.
262
Laut einem Patientenanwalt müsste die Entwicklung dahin gehen, dass die direkte
vertragliche Beziehung zwischen Primararzt und Patient aufgehoben wird und eine
Beziehung zwischen Patient und Rechtsträger – wie bei jedem allgemein
sozialversicherten Patienten auch – geschaffen wird. Außerdem sei es wichtig, dass die
Verteilung der Sonderklassegebühren zukünftig leistungsorientiert erfolgt, damit alle
Fachdisziplinen und nicht nur einzelne davon profitieren. Eine weitere Möglichkeit wäre
die komplette Streichung von Sonderklassehonoraren für Spitalsärzte und ihre
vollständige Abführung an die Krankenanstalt, was im Gegenzug mit einer Aufstockung der
Gehälter einhergehen müsste.
Zitat aus Interview 4:
„Aus meiner Sicht sollte das System der Sonderklasse, es gibt zwei Bundesländer, die es so geregelt haben, aber sieben Bundesländer haben es nicht, sollten eigentlich ganz anders geregelt sein so wie eben diese zwei Bundesländer, nämlich Kärnten und Steiermark. Dass nämlich diese direkte vertragliche Beziehung im öffentlichen Krankenhausbereich zwischen Primararzt und Patient weggeht. […] dass es eine andere Beziehung gibt, nämlich eine Beziehung zwischen Patient und Rechtsträger, so wie es üblicherweise bei jedem allgemeinen sozialversicherten Patienten auch da ist, damit dieser persönliche finanzielle Anreiz auch weg ist. Intern sollen die Sonderklassegelder durchaus auch den Ärzten noch zur Verfügung stehen und aufgeteilt werden. […] das Geld soll von mir aus, weiß ich nicht, leistungsgerecht aufgeteilt werden.“
2. Vermehrte Transparenzschaffung
Zukünftiger Handlungsbedarf wurde auch in der vermehrten Transparenzschaffung geortet
(13 von 18 Befragten). Transparenz wurde als das vornehmliche Mittel der Wahl bzw. das
billigste Mittel zur Qualitätssicherung bezeichnet. Um den anhaltenden Schleier der
Intransparenz zukünftig zu lüften und von einer „intransparenten Transparenz“ zu einer
„transparenten Transparenz“ zu gelangen, dürften Offenlegungspflichten nicht länger auf
einer freiwilligen Basis beruhen. Neben einer gesetzlichen Offenlegungspflicht für sämtliche
finanzielle Zuwendungen auf Geber- und Nehmerseite (Industrie, Health Professionals,
Selbsthilfegruppen, medizinische Organisationen etc.), wurde auch eine zentrale, öffentliche
Datenbank zur Erfassung sämtlicher finanzieller Zuwendungen an Angehörige der Fachkreise
und medizinische Institutionen vorgeschlagen, welche zwischenzeitlich bereits eingerichtet
wurde (vgl. Kapitel 4.2.2). Überhaupt wurde die verpflichtende Offenlegung von Interessen-
konflikten aufgrund persönlicher oder finanzieller Beziehungen für wichtige Player im
Gesundheitssystem (z.B. Mitglieder von Beratungs- und Entscheidungsgremien) gefordert, um
für mehr Transparenz zu sorgen und somit das Vertrauen in öffentliche Entscheidungsträger,
263
Health Professionals (Mediziner) und Wissenschaft zu stärken. Was Fachgesellschaften
betrifft, wurde die Einführung einheitlicher Entgelttarife und Offenlegungspflichten als
notwendig erachtet, um deren pharmaunabhängiges Agieren zukünftig sicherzustellen. Im
Sinne der vermehrten Transparenzschaffung wurde auch die strengere Durchsetzung des
transparenten Wartelistenregimes gefordert. Eine gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung
zur Angabe der konkreten Diagnose bei Arzneimittelverschreibungen wurde ebenfalls
vorgeschlagen. Ferner wurde auch eine transparente Preisgestaltung bei Arzneimitteln
gefordert, die auch seitens Aboulenein (2016, S. 199) vorgeschlagen wird und ein Eingreifen
des Staates in marktwirtschaftliche Mechanismen erforderlich machen würde. Zudem wurde
angemerkt, dass Zahlen und Daten zu Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren der
österreichischen Ärztekammer, Spitalskompass- und Outcome-Daten sowie sämtliche
Studienergebnisse der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht gehören – beispielsweise
über die Websites der jeweiligen Organisationen. An dieser Stelle sei auch auf die seitens
Glaeske (2010, S. 10) und Kern-Homolka et al. (2011, S. 16) geforderte Publikationspflicht für
sämtliche klinische Studien auf nationaler oder europäischer Ebene verwiesen. Weiters seien
in diesem Kontext auch die Forderungen von Wild et al. (2015a, S. 55) erwähnt, die eine
Regelung der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen für alle Selbsthilfegruppen
enthalten.
Zitat aus Interview 2:
„[…] im Bereich der Forschung, eine totale Transparenz einfordern, dass man weiß, wer, was, welche Gelder fließen und wofür diese Gelder ausgegeben werden. Und jedes einzelne Honorar, das ein Arzt kriegt, muss offengelegt werden. Wofür, was für eine Gegenleistung er erbracht hat. Also, Transparenz ist das Mittel der Wahl, das vornehme Mittel der Wahl, ohne dass ich jetzt viele Gesetze einführen muss, um den sozialen Druck zu erhöhen, dass diese endlosen Geldflüsse beseitigt werden.“
Zitat aus Interview 3:
„Und man müsste alles tun, um Transparenzstrukturen zu schaffen.“
Zitat aus Interview 9:
„Alle Studien müssen, sollten transparent ins Netz gestellt werden, dass man wirklich schauen kann, wie gut ist denn das wirklich. Ich bin auch dafür, dass die Pharmafirmen ganz transparent machen sollten, was sie für Entwicklungskosten hatten bei diesen Medikamenten, damit auch transparenter wird, wie man zu diesen Fantasiepreisen kommt. […] Ich glaube, also wenn wir es [die Umgehung von Wartelisten] wirklich auf fast Null reduzieren wollen, […] dann müssten wir die maximale Transparenz wie z.B. in England herstellen. Wo es ganz klar ist, wer ist auf der Warteliste, wer hat welchen Score, wer hat sich in der Warteliste wohin bewegt und warum? “
264
Zitat aus Interview 17:
„Also deswegen glaube ich, das Um und Auf im Gesamten ist die Transparenz. […] Transparent ist es nur, wenn ich es auf die Person zurückführen kann. Und dasselbe gilt natürlich auch bei allen Veranstaltungen, bei Fortbildungsveranstaltungen, dass jemand eben, bevor er seinen Vortrag beginnt, wirklich seine Interessen offenlegt.“
Zitat aus Interview 18:
„Fachgesellschaften, die wirklich unabhängig agieren und die dann den Verantwortlichen im öffentlichen System die Expertise liefern, können gegen das Entgelt, das kostet ja, das kann nicht alles ehrenamtlich sein, das ist sehr viel Zeit, die da investiert wird. Und das, was sie dann bekommen, gehört auch ausgewiesen von beiden Seiten zu ganz klaren Tarifen und völlig transparent.“
3. Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Mit dem Verdacht, dass bestehende Regulative und gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen
durch die zuständigen Behörden nicht ausreichend durchgesetzt, überwacht, strafrechtlich
verfolgt und sanktioniert werden, wurde auch der Wunsch nach schärferen Kontroll- und
Sanktionsmechanismen auf der Makroebene mehrmals geäußert (10 von 18 Befragten).
Schließlich sei die abschreckende Wirkung systematischer Überwachung evident (Frank &
Schulze 2003; Olken 2007). Insbesondere gilt es Dinge, die bislang als Kavaliersdelikt
durchgingen, wie beispielsweise Abrechnungsbetrug, konsequenter zu ahnden. Schärfere
Kontrollen und Sanktionen durch die zuständigen Behörden wurden nicht nur in Bezug auf
Abrechnungsbetrug, sondern generell mit Blick auf das Antikorruptionsgesetz, das
Naturalrabatteverbot, die Registrierungspflichten von nicht-interventionellen Studien und
Lobbying-Tätigkeiten, die Umsetzung des transparenten Wartelistenregimes sowie
Meldepflichten von Nebenbeschäftigungen gefordert. Adäquate Monitoringstrukturen sollten
zukünftig vor allem im niedergelassenen Bereich – insbesondere im Wahlarztbereich –
installiert werden. Dabei wurden neuartige Kontrollinstrumente in diesem Bereich, wie
beispielsweise das Mystery Shopping, von der Mehrheit der Interviewteilnehmer (10 von 13
Befragten) begrüßt, allerdings sollten sie nach Ansicht eines Gesundheitswissenschaftlers
leidglich im Verdachtsfall und nicht zusätzlich stichprobenweise eingesetzt werden, um das
Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis nicht unnötig zu zerrütten. Ferner wurde angemerkt,
dass jegliche Kontroll- und Sanktionsmechanismen seitens der Ärztekammer (wie
beispielsweise die Qualitätsüberprüfung durch die ÖQMed52) zukünftig an eine unabhängige
52 Die ÖQMed (Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Medizin GmbH) ist ein Tochterunternehmen der Österreichischen Ärztekammer, die für die Qualitätsüberprüfung von österreichischen Arztpraxen zuständig ist (BMGF 2017c).
265
Behörde ausgelagert gehören. Dies geht auch aus der jüngst veröffentlichten Studie zur
Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich hervor, in der die
Errichtung eines zusätzlichen unabhängigen Ausschusses zur Qualitätssicherung als letzte
Instanz oder die Auslagerung der ÖQMed an das BMGF vorgeschlagen wird (LSE 2017a, S. 36).
Zudem wurde auch der Ausbau der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur
effektiveren Verfolgung aufgedeckter Korruptionsfälle als notwendig erachtet.
Zitat aus Interview 5:
„Also, Abschreckung und Detektion, aber wie gesagt, das ist das Primitive, Angst erzeugen und hohe Wahrscheinlichkeiten erzeugen, dass man erwischt wird, wenn man was macht, das ist nicht gerade das Tolle.“
Zitat aus Interview 7:
„[…] na blöd, jetzt hat mich die Kassa erwischt, aber passiert nicht viel, da kriege ich einen Brief, den schmeiß ich weg und dann ist die Sache erledigt. Sehr viel mehr passiert häufig nicht, also ich glaube, da muss man wirklich härter durchgreifen, Präzedenzfälle starten. Ich finde dieses Mystery Shopping absolut indiziert, das sollte man, sollte viel mehr verbreitet werden, damit die Ärzte auch wissen, gewisse Dinge werden kontrolliert.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich glaube, dass eine Verschärfung mancher strafrechtlicher Dinge sinnvoll wäre, also, eben, man weiß, es gibt das Korruptionsstrafgesetz, es gibt Kuvertmedizin-Themen, das wird aber de facto nicht wirklich, also es hat keine Konsequenzen, das ist ein bisschen das Problem meiner Meinung nach. Es geht noch immer als Kavaliersdelikt durch.“
Zitat aus Interview 12:
„Und ich meine, so sehr die Ärztekammer mich für diese Aussage wieder hassen wird, aber es geht nicht, dass sich die Kammer selber kontrolliert. ÖQMed-Qualität, ja. Ich kann mich nicht selber kontrollieren. Das muss es schon auch geben, auch wir haben interne Audits. Aber warum rückt die Behörde bei uns an und kontrolliert uns auch?“
4. Erforderliche Änderungen auf juristischer Ebene
Zukünftiger Handlungsbedarf wurde auch auf juristischer Ebene geortet (10 von 18
Befragten). Abgesehen von dem notwendigen Novellierungsbedarf, der sich aufgrund der
aktuellen rechtlichen Lage bzw. bestehender gesetzlicher Regelungslücken (vgl. Punkt 3 in
Kapitel 5.7.4) erschließt (u.a. im Hinblick auf die Laienwerbung (§ 51 Abs. 1 Z 1 AMG),
Kronzeugenregelung (§§ 209a, 209b StPO), Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von
Sonderklassehonoraren), wurden noch weitere Änderungsvorschläge eingebracht. Unter
266
anderem fiel der Vorschlag – wie auch aktuell seitens Transparency International – Austrian
Chapter (2016b) – die bislang auf Basis der Verhaltenskodizes geforderte Transparenz in
Gesetzesrang zu erheben, damit zukünftig u.a. eine gesetzliche Verpflichtung zur
namentlichen Offenlegung sämtlicher geldwerter Zuwendungen auf Geber- und Nehmerseite
zum Schutze und im Interesse der Patienten bestehe. Nach Kern-Homolka (2011, S. 18)
gehören Tätigkeiten im Falle schwerwiegender Interessenkonflikte aufgrund finanzieller oder
persönlicher Beziehungen sogar gänzlich verboten. Darüber hinaus sprach sich ein Arzt für ein
gänzliches Verbot jeglicher Zuwendungen an Mediziner aus, um die sachfremde
Einflussnahme auf die medizinische Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis gänzlich
zu unterbinden. Des Weiteren wurde insgesamt dreimal ein gesetzliches Verbot von
Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern gefordert, um auch hier jegliche
Einflussnahme über zielgerichtetes Marketing auszuschließen. In diesem Kontext sei auch auf
die grundsätzlichen Empfehlungen von Lieb (2008, S. 32f.) hinsichtlich des richtigen Umgangs
mit Pharmavertretern verwiesen (keine Vertreter auf Stationen, nur Kontakt bei relevanten
Neuigkeiten, Vorstellung in der Ärztekonferenz, keine Geschenkannahmen etc.), der überdies
auch ein Verbot von Anwendungsbeobachtungen befürwortete. Ein Vertreter von
Transparency International plädierte für ein eigenes Korruptionsstrafrecht im
Gesundheitssystem nach deutschem Vorbild. Seitens eines Arztes wurde auch ein Lobby-
Verbot befürwortet, um auch hier jeglichen Missbrauch über einen solchen Kanal
auszuschließen. Im Hinblick auf das Vergaberecht, welches aufgrund seiner vermeintlich zu
strengen Reglementierung kritisiert wurde, sei an dieser Stelle auch auf die von Transparency
International – Austrian Chapter geforderte gesetzliche Regelung zur Offenlegung der Vergabe
und Beschaffung von Medizinprodukten und diagnostischen Großgeräten hingewiesen (TI-AC
2017a). Um einer Fehlsteuerung im Gesundheitssystem zukünftig effektiver
entgegenzuwirken, schlug ein Gesundheitsjournalist vor, den privaten und öffentlichen
Bereich über die gesetzliche Abschaffung von Zusatzversicherungen gänzlich zu trennen.
Dadurch könnten dem Gesundheitssystem jährlich 500 Mio. bis 1 Mrd. Euro über die Erhöhung
der Sozialversicherungsbeiträge bzw. Steuern im Ausmaß der privaten Finanzierungsströme
zugeführt werden. Eine solche gesundheitspolitische Option wurde auch seitens Pruckner &
Hummer (2013, S. 61) diskutiert. Weiters sei an dieser Stelle auch die Forderung seitens
Aboulenein (2016, S. 203), (Pharma-)Unternehmen jeglichen Zugang zu Patienten (z.B. durch
Datenflüsse oder Maßnahmen im Bereich der Einschulungen) zu verbieten, genannt.
267
Zitat aus Interview 1:
„Wir bräuchten ein eigenes Korruptionsgesetz im Gesundheitswesen.“
Zitat aus Interview 2:
„Ich würde keinem Industrievertreter mehr erlauben, ein Spital zu betreten.“
Zitat aus Interview 10:
„Deswegen glaube ich, dass eine rigorose Trennung von Privatwirtschaft und öffentlichem Gesundheitsbereich sehr viel gut machen würde. Dass eine Abschaffung von Zusatzversicherungen sehr viel gut machen würde an Fehlsteuerung. Weil wenn wir wissen, dass wir heute ungefähr eine Milliarde Gewinn haben bei den Zusatzversicherungen, 500 Mio. bis 1 Mrd., und ich gehe davon aus, dass sich ein Teil der Bevölkerung mehr Zusatzversicherungen leisten kann und ich darf niemanden bevorzugen, kann ich mit einem Strich das abschaffen und kann sagen, ich führe dem Gesundheitswesen 500 Mio. bis 1 Mrd. im Jahr zu, dadurch dass ich die Höchstbemessungsgrundsätze erhöhe.“
Zitat aus Interview 14:
„Ich würde die derzeit auf Basis des Verhaltenskodex geforderte Transparenz in Gesetzesrang erheben.“
Zitat aus Interview 16:
„Ich bin eigentlich dagegen. […] Für was brauche ich einen Pharmareferenten? Pharmareferent ist nichts anderes als ein Vertriebler.“
Zitat aus Interview 18:
„Mein Wunsch und mein Traum wäre eben, dass ein ganz smartes Gesetz, ein einfaches Gesetz da ist, dass Ärzte nichts annehmen dürfen. NICHTS, damit meine ich auch wirklich NICHTS.“
5. Fundamentaler System- und Strukturwandel
Als notwendig, aber politisch schwierig durchzusetzen, wurde auch ein radikaler System- bzw.
Strukturwandel (z.B. am Vorbild der skandinavischen Länder) erachtet, der sich indirekt
korruptionsmindernd auszuwirken vermag. Sechs von 18 befragten Personen schlugen in
diesem Zusammenhang u.a. die Aushebelung des Föderalismus, die Zusammenlegung
unterschiedlicher Finanzierungsströme im Gesundheitssystem („Finanzierung aus einer
Hand“), die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger bis hin zur Zusammenführung der
Ministerien, einen Abbau des stationären Bereichs zugunsten des Ausbaus des ambulanten
Bereichs, die Forcierung von Primärversorgungszentren sowie ein Angestelltensystem
niedergelassener Ärzte vor. Einige der genannten Vorschläge, wie beispielsweise die
Zusammenlegung der österreichischen Sozialversicherungsträger oder die Forcierung von
268
Primärversorgungszentren, werden auch in der kürzlich veröffentlichten Studie zur Effizienz
im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich diskutiert (LSE 2017a, S. 28
und S. 35). Zur Durchsetzung eines gesamtheitlichen System- bzw. Strukturwandels bedürfe
es allerdings – einem Vertreter der Pharmaindustrie zufolge – eines Gesundheitsdiktators.
Zitat aus Interview 2:
„Ich wäre für ein Angestelltensystem von Ärzten mit bestimmten Stunden, mit in die Richtung, wo es geht, Primary-Health-Care-Zentren, wo viele Ärzte zusammenarbeiten und angestellt sind. Die kriegen ein Gehalt, so wie Sie und ich ein Gehalt kriegen, wenn wir arbeiten gehen und dann gehen wir nach 40 Stunden nach Hause. […] Wir müssen uns nicht darüber den Kopf zerbrechen. Das Werkl, dieser Incentive, noch mehr und noch mehr zu kriegen, ist ganz tief in unserem System verankert.“
Zitat aus Interview 10:
„Da gibt es ja einfache Lösungen, nur die sind, wie ich höre, auf das Jahr 2024 verschoben und noch das Lustigere, es gibt da irgendwas, ja genau, die Zusammenlegung der österreichischen Sozialver-sicherungsträger haben sie glaube ich auf 2048 verschoben, also da sind alle Politiker schon lange tot.“
Zitat aus Interview 12:
„Also ich glaube, das ist auch etwas, natürlich man kann das Ministeriengesetz ändern, man könnte Ministerien anders gestalten, aber ich glaube, zu diesem großen Wurf wird sich niemand trauen. Also wenn ich ein Reißbrett hätte, dann täte ich sowas machen. Dann würde ich sagen, Föderalismus aushebeln, Geld folgt Leistung. […] Aber eine liebe Freundin von mir sagt dann immer ‚Da bräuchten wir einen Gesundheitsdiktator‘.“
Zitat aus Interview 13:
„Wir leben im 21. Jahrhundert, es haben sich die Anforderungen geändert. Sie haben viele Zivilisationserkrankungen, die Sie behandeln müssen, Sie haben heute in vielen Regionen einen Pflegeaufwand, betreutes Wohnen etc., also abgestufte Versorgung. D.h., Sie werden nicht, ein Krankenhaus der alten Struktur mit interner Chirurgie, Gynäkologie, Anästhesie brauchen. Sie werden aber ein Gebäude brauchen, wo Sie einen kleinen stationären Bereich haben und wo Sie im Gebäude aber auch ambulante Strukturen drinnen haben, um die Bevölkerung zu versorgen.“
Zitat aus Interview 14:
„Und die Verringerung von Zahlungsströmen wäre auch korruptionshemmend, wenn wir nicht diese berühmten 2500 Zahlungsströme im Gesundheitswesen hätten und wir wirklich eine Finanzierung aus einer Hand hätten, sprich den ambulanten/stationären Sektor und nicht in jedem Bundesland andere Leistungen und andere Finanziers. […] Wenn wir beide plus ein paar ausgesuchter Experten uns da in das Kammerl setzen würden und sagen würden, so, jetzt zeichnen wir vom Scratch das ideale öster-reichische Gesundheitswesen. Wie weit wäre das entfernt vom dem System, das wir heute haben?“
269
6. Errichtung einer anonymen Korruptionsmeldestelle und einer weisungsfreien,
unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem
Mehrere Interviewpartner (4 von 18 Befragten) wiesen auf die notwendige Etablierung eines
eigenen anonymen Meldesystems für Korruptionsfälle im Gesundheitssystem hin. Auf diesen
Bedarf machte bereits Transparency International – Austrian Chapter vor knapp zehn Jahren
in seinem Grundsatzpapier (TI-AC 2010, S. 29) aufmerksam, allerdings wurde bis heute kein
vergleichbares System aufgesetzt. In Frage käme entweder ein telefonbasiertes
(Whistleblower-Hotline) oder internetbasiertes (Whistleblower-Website) Hinweisgeber-
system, wie beispielsweise nach Vorbild der NHS Protect in Großbritannien (NHS Protect
2015). Der Aufbau eines anonymen Meldesystems müsste jedenfalls mit einem
entsprechenden Zeugenschutzprogramm einhergehen, um ausreichend Schutz für
sogenannte „Whistleblower“ bzw. Hinweisgeber zu gewährleisten. Diesbezüglich bestehe in
Österreich insbesondere aus juristischer Sicht noch erheblicher Handlungsbedarf (§§ 209a,
209b StPO Kronzeugenregelung). Weiters wurde vorgeschlagen, anonyme Hinweisgeber-
systeme nicht nur auf der Makroebene, sondern insbesondere auch auf der Mesoebene
(Spitäler, Industrie etc.) zu verankern. Als sinnvoll erachtet wurde indes auch die Errichtung
einer weisungsfreien, unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem zur
Prävention und Kontrolle. In diesem Kontext wurde auch eine sogenannte „Watchdog-
Organisation“ zur Überwachung des Korruptionslevels, wie beispielsweise die Verbraucher-
schutzorganisation „Public Citizen“ in Amerika (Public Citizen 2016), empfohlen.
Zitat aus Interview 1:
„Solange man keine Schutzmöglichkeiten für die Whistleblower hat, haben die ihre Karriere verwirkt. Und wie gesagt, das muss man ganz offen sagen, jungen Ärzten, die bei uns mitgearbeitet haben, haben wir müssen raten ‚Halte den Mund und tu lieber nix‘.“
Zitat aus Interview 2:
„Also ich glaube, es wäre ganz wichtig und ich vertrete auch dieselbe Meinung wie die Grünen, die fordern das schon seit Jahren, eine Korruptionsstelle im Gesundheitswesen, wenn so offensichtlich ist, wie viel Geld da versickert, wo man sich hinwenden könnte.“
Zitat aus Interview 5:
„Das Thema Erwischen, Whistleblower-Hotlines einrichten, von den Deutschen zu lernen, wie es ihnen geht mit dieser Rechtslage, die sie da haben mit telefonischen und internetbasierten Whistleblower-Hotlines. Auch das Thema Kronzeugenregelung sich einmal anzuschauen, die Patienten würden sich dann leichter tun, wenn es Möglichkeiten gäbe, nicht auftreten zu müssen, d.h. auch Zeugenaussagen.“
270
7. Weitere Verbesserungsvorschläge
Neben den bereits geschilderten Verbesserungsvorschlägen wurden vereinzelt noch weitere
unterbreitet, die im Folgenden aber nur kurz angeschnitten und nicht näher ausgeführt
werden. Beispielsweise räumte ein Vertreter der Pharmaindustrie ein, dass die Forcierung von
Generika zur Eindämmung von Korruption und zu erheblichen Kosteneinsparungen beitragen
könnte. Health Professionals (Mediziner) zur vermehrten Verschreibung von Generika
anzuregen, wird auch in der aktuellen Studie zur Effizienz im österreichischen
Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich empfohlen (LSE 2017a, S. 39).
Zitat aus Interview 16:
„Generika sollte man, also sind wirklich kostengünstiger und sind auch nicht Medizin zweiter Art, sondern sind einfach nachgeahmte Wirkstoffe, sind im Prinzip genau das Gleiche. […] Das müssten die Krankenkassen im Prinzip einmal pushen und auch da ist es vielleicht auch ein Phänomen, was auch prekär ist. Das wäre etwas, wo Korruption auch stattfinden könnte.“
Ferner wurde seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie vorgeschlagen,
gesundheitsbezogene Kampagnen einer Freigabemodalität zu unterziehen und nur im Falle
des Vorliegens eines tatsächlichen öffentlichen Interesses genehmigen zu lassen. Ebenso
gehöre eine zentrale Stelle für das Mystery Shopping eingerichtet, damit solche Tests von
einer spezialisierten Institution mit einem gewissen Validitätsanspruch durchgeführt und nicht
von jeder Krankenkasse selbst vollzogen werden. Eine zentrale spezialisierte Einrichtung zur
Betrugsbekämpfung wird auch den Sozialversicherungsträgern in der jüngst veröffentlichten
Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich
vorgeschlagen (LSE 2017a, S. 580).
Zitat aus Interview 12:
„Ich würde es sinnvoll finden, dass diese Kampagnen einer Freigabemodalität unterzogen werden müssten. D.h., dass man sagt, man könnte ja genauso im Rahmen des BMG irgendwo eine Freigabestelle einrichten für solche Sachen, dass gesundheitsbezogene Kampagnen durch eine Freigabe gehen müssen und nur wenn sie sozusagen im Interesse der öffentlichen Gesundheit sind, dürfen sie auch stattfinden. […] Ich hätte es eigentlich spannend gefunden, dass man sagt, man macht es österreichweit, eine Institution, die diese Tests macht mit einem gewissen Validitätsanspruch auch, jetzt ist es halt so, dass jede Kasse das selber halt so macht und sich auf das spezialisiert, wo sie halt etwas sieht.“
271
Aufgegriffen wurde von einem Gesundheitsökonom auch die Idee der Patientenquittung
(Rupp 2010, S. 5; Kern-Homolka et al. 2011, S. 28), die bereits 2008 zur Erhöhung sozialer
Kontrolle im Gespräch war, jedoch letztlich nicht eingeführt wurde. Auf Nachfrage hin wurde
sie allerdings nur von wenigen Experten befürwortet.
Zitat aus Interview 5:
„Wie auch die Patientenquittung, so eine Rechnung halte ich nicht für schlecht, auch wenn Patienten unter Druck sind, haben sie doch möglicherweise eine moralische Beißhemmung, dass mir jemand eine Rechnung gibt, auf der draufsteht, eine Gulaschsuppe und 57 Semmeln, auch wenn ich es nicht zahlen muss […] D.h., auf soziale Kontrolle zu setzen, hätte schon was.“
Zitat aus Interview 11:
„Ich glaube, dass nicht alle Patienten und ich würde sagen, nur ein bescheidener Teil der Patienten in der Lage ist, wirklich diese Quittung auch zu überprüfen und unterschrieben wird vieles dann. Also ist, glaube ich, auch eine Illusion dabei.“
Zukünftiger Handlungsbedarf auf der Mesoebene
1. Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Der Wunsch nach schärferen Kontroll- und Sanktionsmechanismen wurde nicht nur auf der
Makroebene, sondern auch auf der Mesoebene mehrmals (9 von 18 Befragten) geäußert.
Insbesondere gehören die Einhaltung von organisationsinternen Verhaltenskodizes,
ungerechtfertigte Vorreihungen auf Wartelisten („Chefeinschub“), unangemessene
Nebenbeschäftigungen und die Erbringung überflüssiger medizinischer Leistungen und
Diagnostiken („Überversorgung“) seitens zuständiger Dienstgeber besser überwacht und
konsequenter geahndet.
Zitat aus Interview 2:
„Und jetzt müssen diese Verhaltenskodizes auch kontrolliert werden, es ist sowas wie die Verordnungen von dem Herrn [Name der Person] im [Name der Organisation], wenn man eine Verordnung herausgibt, wenn man einen Verhaltenskodex herausgibt, muss man nachher kontrollieren, ob sich einer daran hält, sonst ist es sinnlos.“
Zitat aus Interview 5:
„Und so kann man eigentlich sinnvollerweise nur daran arbeiten, die Probleme zu mildern und die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, zu erhöhen.“
272
Zitat aus Interview 17:
„Also ich glaube, da gibt es an sich ein recht gutes Regelwerk. Man muss schauen, dass es eingehalten wird, muss das transparent halten.“
2. Stärkung der Vorbildfunktion der Führung
Zukünftiger Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptionseindämmung wurde auch auf der
Führungsebene geortet (3 von 18 Befragten). Demnach dürfen Antikorruption und
Compliance nicht nur auf dem Papier geschrieben stehen, sondern müssen seitens der
Führungskräfte den eigenen Mitarbeitern auch aktiv vorgelebt werden, damit sie ihre
Wirksamkeit überhaupt entfalten können.
Zitat aus Interview 8:
„Das braucht nicht nur die Regeln, sondern Compliance ist irgendwie ein, das ist ein kultureller Wert in einem Unternehmen, wie ich damit umgehe. Das ist etwas, was gelebt werden muss, was von einer Führung vorgelebt werden muss, das ist etwas, wo man immer wieder erinnern muss, wo man nachhacken muss, wo so quasi das soziale Gefüge in der Organisation mitziehen muss.“
Zitat aus Interview 12:
„Das funktioniert im Spital auch nicht anders, es ist halt der Primar und nicht der Papa, ja. Aber das wird halt schon vorgelebt auch.“
3. Aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion von Überversorgung
Angeregt wurde auch (2 von 18 Befragten), dass zukünftig – angesichts des enormen
Einsparungspotenzials – vor allem effektive Maßnahmen zur Reduktion von Überversorgung
(Überdiagnostik, Übertherapie) notwendig seien. Beispielsweise könnte die Schaffung
einheitlicher, klarer Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT etc.) zur
Reduktion überflüssig erbrachter Gesundheitsleistungen beitragen, wodurch sich gleichzeitig
auch „künstlich erzeugte“ Ressourcenverknappungen (z.B. MRT-Wartezeiten) vermeiden
ließen. Zudem brachte ein Gesundheitsökonom ein, dass bestimmte Gesundheitsleistungen
auch ersatzlos gestrichen werden könnten.
Zitat aus Interview 2:
„Also die Überversorgung ist gigantomanisch, unglaublich in Österreich, aber nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, und dass man ganz viele Leistungen einfach ersatzlos streichen könnte, also insofern hab ich einen doch anderen Blick auf die Zweiklassenmedizin als die Leute, die etwas nicht kriegen.“
273
Zitat aus Interview 9:
„Überversorgung reduzieren, vor allem Überdiagnostik und Übertherapie reduzieren.“
Zukünftiger Handlungsbedarf auf der Mikroebene
1. Forcierung der öffentlichen Bewusstseinsbildung, Aufklärung und Sensibilisierung
Nach mehrheitlicher Ansicht der Experten (14 von 18 Befragten) liegt der wichtigste Schlüssel
zur nachhaltigen Korruptionseindämmung auf der Mikroebene in der vermehrten Aufklärung,
Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit und medizinischen Fachwelt, um
das vielerorts noch wenig ausgeprägte Problem- und Unrechtsbewusstsein zu heben. Denn
nur, wer die Probleme, deren Ursachen und Auswirkungen, mögliche Sanktionen und
Gegenmaßnahmen kennt, ist in der Lage, sein Verhalten darauf abzustimmen (Gruber et al.
2013, S. 128f.). Demnach sollte der Fokus vorrangig auf die Schaffung einer
Antikorruptionskultur und Prävention und nicht in erster Linie auf Repressionsmaßnahmen
gelegt werden.
Zitat aus Interview 4:
„Also ich glaube, dass auf der individuellen Ebene der Schlüssel zum Erfolg liegt, dass das Unrechtsbewusstsein wirklich so stark ist, dass der Einzelne ganz klar sagt, nein, das mach ich nicht.“
Zitat aus Interview 6:
„Und daher glaube ich, kann man auch Korruption nicht einfach nur von einem Blickwinkel sehen, sondern muss sie von mehreren Blickwinkeln sehen. Und ganz neutral ohne irgendein Moralisieren, ohne Schuldzuweisung den Ist-Stand erheben, ohne Moralisierung, den Wunsch-Zustand definieren und dann diesen Prozess definieren, wie komme ich dorthin, was sehr, sehr stark mit Aufklärung, mit Kommunikation zu tun hat und nicht mit Verurteilen und Strafen.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich würde vor allem beim Thema Bewusstseinsbildung ansetzen.“
Zitat aus Interview 14:
„Und es gibt vor allem viel an Aufklärungsarbeit und an Sensibilisierungsarbeit zu leisten. Also das ist ein Prozess, der auch und gerade in einem Land wie Österreich vielleicht um ein Stück noch herausfordernder ist als in anderen Märkten.“
274
Um das mangelnde Problembewusstsein nachhaltig zu heben, müsste neben diversen
Awareness-Kampagnen und Aufklärungsarbeiten auch bei der Werteerziehung und
Grundeinstellung der Bevölkerung – insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen –
angesetzt werden. Zum einen wurde die verpflichtende Einführung eines Ethikunterrichts an
Schulen als notwendig erachtet, genauso wie ein solcher in die Curricula medizinischer
Universitäten Eingang finden sollte. Nur auf diese Weise könnte ein gesellschaftlicher Werte-
und Kulturwandel initiiert werden, der sich positiv auf die gesellschaftliche Moral und
Korruptionsanfälligkeit auszuwirken vermag. Schließlich bedarf es der eigenen Überzeugung,
um etwaigen Verlockungen dauerhaft zu widerstehen. Dass bewusstseinsbildende
Maßnahmen zur Erhöhung der Sensibilität und Kompetenz von Ärzten im Umgang mit der
pharmazeutischen Industrie bereits während der Ausbildung von Medizinern stattfinden
sollten, darauf wiesen u.a. auch Schneider & Lückman (2008, S. 516) hin.
Zitat aus Interview 5:
„Und auf der anderen Seite und damit könnte man wahrscheinlich viele Fliegen mit einer Klappe erschlagen, ist das Thema Ethikunterricht in den Schulen. Dass wir wirklich auf der individuellen Ebene, auf der untersystemischen Ebene, wie wir es über Schulen organisieren, anbieten, weg mit dem Religionsunterricht und her mit dem Ethikunterricht. Wir brauchen wirklich eine saubere Trennung zwischen Staat und Religion und was wir brauchen sind wirklich Grundwerte.“
Zitat aus Interview 6:
„Aber in Wahrheit musst du bei den Kindern und Jugendlichen anfangen, ihr Gefühl für Fairness, für Transparenz, für Controlling, das nicht Kontrolle ist, für letztendlich auch eine Eigenverantwortung, die bis zu einem gewissen Grad den anderen leben lässt. Um die Win-Win-Win-Situation herzustellen.“
Zitat aus Interview 9:
„Ich würde mir von der MedUni schon sehr wünschen, dass also Medizinstudenten immer wieder mit dem Thema konfrontiert sind.“
Zitat aus Interview 11:
„Ich muss Ihnen sagen, wir haben schon viele Gesetze, aber man kann alles nicht nur gesetzlich regeln, sondern hier ist eine Frage, die Mentalität, den Charakter da heranzubilden, dass die Menschen ganz einfach hier mehr Widerstand gegenüber Korruption leisten.“
275
2. Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung („Health Literacy“) bzw. der
wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals (Medizinern)
Neben der ethischen Werteerziehung wurden mehrmals (7 von 18 Befragten) auch andere
Bildungsmaßnahmen vorgeschlagen. Zum einen gehöre die naturwissenschaftliche bzw.
gesundheitsbezogene Ausbildung der Bevölkerung forciert, um deren Gesundheitskompetenz
(„Health Literacy“) und damit Urteilsfähigkeit und Selbstbestimmung zu stärken und sie
folglich vor verdeckten Marketingpraktiken und manipulativer Einflussnahme durch Dritte
(Industrie, Health Professionals etc.) zu schützen. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz
der Bevölkerung wird auch in der aktuellen Studie zur Effizienz im österreichischen
Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich empfohlen (LSE 2017a, S. 40). Zum anderen
müsste laut Expertenansicht auch die wissenschaftliche Ausbildung von Medizinern gestärkt
werden, damit diese befähigt werden, Studienergebnisse eigenständig zu interpretieren, um
nicht länger von fremden Meinungsbildnern und Pharmareferenten abhängig und
beeinflussbar zu sein. Um solche Bildungsmaßnahmen zu ermöglichen, müsste vor allem das
gegenwärtige Aus- und Fortbildungssystem auf der Makroebene verbessert werden. Zudem
wurde seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie vorgeschlagen, die Zusammenarbeit und
den fachlichen Diskurs zwischen Ärzten und Pharmazeuten bzw. Apothekern nach
amerikanischem Vorbild voranzutreiben, um das für die richtige Medikation relevante
pharmazeutische Wissen mehr in die Entscheidungen der Ärzte im Interesse der Patienten
miteinfließen zu lassen. Dass die Rolle des Apothekers zukünftig gestärkt gehört, wird auch in
der jüngst veröffentlichten Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und
Gesundheitsbereich im Hinblick auf die Forcierung der Verschreibung von Generika
empfohlen (LSE 2017a, S. 39). Ferner gehöre laut einem Vertreter von Transparency
International auch der Bedarf an gut ausgebildeten Public Health-, Korruptions- und
Compliance-Experten im österreichischen Gesundheitssystem gedeckt. Solche
Qualitätsdefizite gehören zukünftig ausgeräumt.
Zitat aus Interview 3:
„Um Zugang zu kriegen zu guter Medizin in heiklen Fällen, ist es gut, wenn man gesundheitskompetent ist. Korrupt muss man nicht sein, aber wenn man gesundheitskompetent ist als Patient, kann man auch bohren und hartnäckig sein und schauen, wo gibt es das Richtige, was braucht man und drauf bleiben. Und gesundheitskompetente Patienten sind auch ein gutes Mittel gegen Korruption, allein die Frage ‚Warum verschreiben Sie mir das?‘.“
276
Zitat aus Interview 16:
„Bei uns ist es auch so, der Arzt ist der Entscheider, gibt den Zettel raus und das war es dann. Der Apotheker ist nichts anderes als ein Verkäufer. Und das Wissen des Apothekers ist aber absolut zentral für die richtige Medikation und der Apotheker ist auch derjenige, der dementsprechend gebildet ist, der auch dementsprechend die Informationen haben sollte, welche Medikation, welches Arzneimittel, welcher Wirkstoff für den Patienten das Beste ist.“
Zitat aus Interview 18:
„Wäre eine andere Qualität von vornherein da, würde mehr Augenmerk auf die Ausbildung der Jungen gelenkt werden, auf die unabhängige Ausbildung, also Ausbildung auf Unabhängigkeit. Das machen jetzt Gott sei Dank die Unis eh schon mehr, dass die Leute die Studien besser lesen können, auch wenn sie nicht wissenschaftlich tätig sind, dass sie sich selbst ein Bild machen können.“
5.7.7 Zukünftiger Forschungsbedarf
Nachfolgend wird der im Rahmen der geführten Interviews identifizierte zukünftige
Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem
anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 21) erläutert. Die Reihung und
Abhandlung der einzelnen Punkte (Kategorien und deren Subkategorien) erfolgt nach der
Häufigkeit ihrer Nennungen. Viele der genannten zukünftigen Forschungsfelder decken sich
weitgehend mit jenen, die auch auf internationaler Ebene (Kapitel 2.9 und 3.8) und nationaler
Ebene (Kapitel 4.2.4) diskutiert werden (wie beispielsweise die Wirksamkeitsüberprüfung und
(Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen; Erforschung neuer Wege zur
verbesserten Aufdeckung und Kontrolle von Korruption; quantitative Erhebung des
Korruptionsausmaßes; gründlichere Ursachenforschung). Darüber hinaus wurden auch neue
österreichspezifische Forschungslücken und -felder im Hinblick auf die Thematik identifiziert
(genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption im
nationalen Gesundheitssystem, Erhebung des nationalen Problembewusstseins, Unter-
suchung des Ausmaßes von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das Agieren
von Health Professionals, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen, Untersuchung des
wahrgenommenen West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälles u.a.), die es zukünftig auf nationaler
Ebene zu erforschen gilt.
277
Zukünftiger Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem
Kategorien und Subkategorien Häufigkeit
Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen
7
Wissenschaftlich fundierte Klärung des Korruptionsbegriffes 5
Quantitative Erhebung des Korruptionsausmaßes/Untersuchung des West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälles
5
Untersuchung des Ausmaßes von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das Agieren von Health Professionals, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen
4
Erhebung des Problembewusstseins/Ursachenforschung 3
Genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption im Gesundheitssystem
3
Weitere zukünftige Forschungsfelder:
Untersuchung des Einflusses finanzieller Anreizmechanismen auf das Korruptionsverhalten
Darstellung sämtlicher (höherrangiger) Beziehungsverflechtungen im nationalen Gesundheitssystem
Durchführung eines internationalen Vergleichs/Benchmarking
Erforschung der Auswirkungen soziodemografischer Faktoren auf die Korruptionsanfälligkeit
Monitoring der Performance und der Korruption im niedergelassenen Bereich
Vergleich der Korruptionsanfälligkeit großer und kleiner (Pharma-)Firmen
Darlegung der Entwicklung des Pharmaimages
7 1
1
1 1
1 1 1
Tabelle 21: Kategoriensystem zum zukünftigen Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem
(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien und deren Subkategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Der zukünftige Forschungsbedarf
wurde in allen 18 Interviews erfragt, wobei zwei Experten hierzu keine Stellung bezogen.)
1. Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen
Der größte Forschungsbedarf (7 von 18 Befragten) wurde in der Wirksamkeitsüberprüfung
und (Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen geortet. Einerseits gehören
bislang gesetzte oder vorgeschlagene Antikorruptionsmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit
überprüft und erforderlichenfalls weiterentwickelt. Dies betreffe insbesondere eingeführte
Verhaltenskodizes und Compliance-Management-Systeme, bisherige Bemühungen zur
vermehrten Transparenzschaffung (z.B. Offenlegungspflichten, transparente
Wartelistenregime) sowie vorgeschlagene Maßnahmen zur Sensibilisierung (z.B.
Ethikunterricht). Ein Gesundheitsökonom sprach sich speziell für die Weiterentwicklung
bislang eingesetzter Detektionssysteme (softwaregestützter Plausibilitätsprüfungen) im
278
niedergelassenen Bereich aus – beispielsweise in Richtung der Nicht-Mustererkennung, um
auch besonders trickreichen Personen auf die Spur zu kommen. Andererseits gehöre laut
Expertenmeinung nach neuen effektiven Lösungsansätzen bzw. Antikorruptionsmaßnahmen
geforscht. Dabei sollte der Schwerpunkt insbesondere auf die Erforschung effektiver
Kommunikationsmittel zur vermehrten Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung gelegt
werden.
Zitat aus Interview 1:
„Da hat jetzt die pharmazeutische Industrie, da gibt es Regeln, wie weit die allerdings umgesetzt werden, ist eine andere Geschichte. Auch das wird nicht beobachtet. Das müssten wir beobachten, wie jede Qualitätsverbesserung muss auditiert werden, man muss sich das anschauen, weil niemand, sozusagen mir sind die Informationen zugänglich, dass ich weiß, dass das noch immer stattfindet.“
Zitat aus Interview 5:
„Dass man sich einerseits anschaut, wie müssen Abschreckungsmaßnahmen beschaffen sein und wie müssen wir technisch Tracking und Detektionssysteme entwickeln, um Übeltätern auch auf die Spur zu kommen. D.h., was bräuchte es an Software, an Unterstützung. Da gibt‘s an sich smarte Ansätze, wobei ich nicht weiß, es gibt eine internationale Softwarefirma, die sich auf Nicht-Mustererkennung spezialisiert hat […], weil sozusagen bestimmte Betrugsmuster kann man relativ geschwind erkennen, das schaffen sogar sehr einfältige Personen, aber trickreiche Nicht-Muster zu erkennen, was da für eine Gesetzmäßigkeit dahintersteht. […] Dann die Frage, wie wirkt sozusagen, wir haben ja keine Evidenz, dass Ethikunterricht wirkt, d.h., ist das Einpflanzen von Normen, von Gut und Böse etwas, was nachhaltig wirkt, oder wirft man das bald über Bord? Gibt's Ansätze, dass Normen, auch wenn man selber darunter Nachteile erleidet, dass das durchaus halten könnte? […] Also das zu beforschen, ob das was bringt, Menschen Normen ans Herz zu legen oder nicht, das wäre ein großer Wunsch.“
Zitat aus Interview 6:
„Und ich brauche wahrscheinlich eine wissenschaftliche Beforschung, was ist die richtige Kommunikation.“
Zitat aus Interview 8:
„Ich glaube, die Ursachen und was passiert, das ist hinreichend bekannt, aber nicht, was man dagegen tun kann und wie man die Betroffenen ins Boot holen kann und Bewusstseinsbildung betreiben kann, da fehlt meiner Meinung nach noch ganz viel.“
Zitat aus Interview 18:
„[…] die verpflichten sich ja jetzt auch offenzulegen, was sie insgesamt investieren, dann sieht man gleich eine Diskrepanz, wie viele legen wirklich offen, wer legt was offen. Dann weiß man ganz genau, dass die ganzen Verhaltenskodizes ‚Wischiwaschi‘, ‚Augenauswischerei‘ sind und dass ein anderer Bedarf sein muss.“
279
2. Wissenschaftlich fundierte Klärung des Korruptionsbegriffs
Mehrere Personen (5 von 18 Befragten) führten an, dass zukünftig eine wissenschaftlich
fundierte Klärung des Korruptionsbegriffes notwendig sei, um zumindest innerstaatlich zu
einem gesellschaftlich einheitlichen Begriffsverständnis zu gelangen. Bisherige Definitionen
wären nicht präzise genug und würden viel Interpretationsspielraum zulassen. Insbesondere
gehören die Grenzen von Korruption klarer festgelegt, damit auch jeder weiß, was unter das
theoretischen Konstrukt von Korruption fällt und was nicht (z.B. Wo hört Trinkgeld auf und ab
wann fängt Schmiergeld an?). Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Begriffsdefinition von
Korruption im Kontext des Gesundheitssystems (Kapitel 5.7.1) kann als erster
Entwicklungsschritt in diese Richtung betrachtet werden.
Zitat aus Interview 6:
„Was ich mir wünschen würde ist, dass man einmal nicht zu gutmenschartig, sondern wissenschaftlich fundiert Korruption definiert. Nicht über die eigenen Emotionen Einzelner, sondern ganz klar über die wissenschaftlichen Grundbegriffe, weil dort muss man einmal ansetzen. Und da gibt es dann auch kein Links und Rechts, sondern da gibt es eben genau diesen Begriff. Und dann sich anschaut, wo sind die Graubereiche und warum werden die gemacht?“
Zitat aus Interview 7:
„Das ist jetzt erneut die Frage ‚Was ist Korruption?‘ oder was ist jetzt gegen das Gesetz oder was ist ganz einfach geschmacklos oder Ausbeutung des Systems? Also die Terminologie ist da fließend.“
Zitat aus Interview 10:
„Was spannend wäre, wären die klassischen Begriffe, die in der österreichischen Seele schwingen, weil es weiß ja kein Österreicher, was Nepotismus ist, diese Freunderlwirtschaft und so, was man so verwendet, dass deren Überdeckung mit dem theoretischen Konstrukt der Korruption in einer Arbeit einmal festgelegt werden müssten. […] Die Umgangssprache hat ganz verschiedene Begriffe für Details von Korruption? Und manche sind gar nicht Korruption, die Leute glauben aber, es ist Korruption.“
3. Quantitative Erhebung des Korruptionsausmaßes/Untersuchung des West-Ost- bzw.
Nord-Süd-Gefälles
Fünf von 18 Befragten räumten ein, dass das bislang lediglich subjektiv geschätzte
Korruptionsausmaß zukünftig quantitativ erhoben werden müsste, um anhand vorliegender
Zahlen und Fakten die Relevanz der Thematik zu veranschaulichen. Die insgesamt dreimal
geäußerte Annahme, dass es innerstaatlich im Hinblick auf das Korruptionsausmaß ein West-
Ost-Gefälle gäbe, gehöre zukünftig ebenfalls wissenschaftlich fundiert untersucht.
280
Zitat aus Interview 3:
„Ja, die Schwierigkeit, die wir haben, ist, dass die Korruption ganz schwer zu belegen ist, man müsste sozusagen die Quantitäten erheben.“
Zitat aus Interview 4:
„Was eigentlich wissenschaftlich nicht sehr sauber ist, wenn ich sage, 3 % bis 10 % gehen in den Bereich Korruption, also da müsste man aus meiner Sicht eigentlich wirklich einmal schauen und eine Studie machen, eine ordentliche, wie schaut es wirklich aus, also so eine Art Ist-Aufnahme von dem Ganzen, um auch weiterreden zu können.“
Zitat aus Interview 6:
„Natürlich brauchst du einmal wirkliche Zahlen, was ist eigentlich los in dem Land, weil alles, das ist Bauchgefühl.“
Zitat aus Interview 7:
„Das wäre auch interessant in Ihrer Arbeit, ob man das nachweisen kann, d.h. nicht irgendwo, dass man nur Zahlen hat für ganz Österreich, sondern ob es auch innerhalb von Österreich ein Gefälle gibt, das wäre eigentlich sehr spannend zu wissen. Also im Prinzip sagt man das immer, man glaubt zu wissen, dass es der Fall ist, ich gebe auch persönlich Anekdoten, wo ich persönlich also weiß, dass gewisse Dinge da im Osten anders gehandhabt werden wie im Westen. Aber wiederum, das ist nicht wissenschaftlich fundiert, ich meine, das sind einfach persönliche Impressionen.“
4. Untersuchung des Ausmaßes von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das
Agieren von Health Professionals, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen
Als ebenso wichtig erachtet und dringend empfohlen wurde seitens mehrerer Personen (4 von
18 Befragten), das Ausmaß von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das
Agieren von Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen sowie auf die Forschung, Fortbildung und
Verschreibungspraxis von Health Professionals wissenschaftlich zu untersuchen. Zum einen
wurde vorgeschlagen, die Einnahmen- und Ausgabenseite von Fachgesellschaften und
Selbsthilfegruppen im Hinblick auf Industriesponsoring und industriegetriebene Ausgaben
näher zu beleuchten. Es gilt zahlenmäßig zu erheben, in welchem Ausmaß sich
Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen über Mittel der Industrie finanzieren (ähnlich wie
in der Studie von Wild et al. 2015a) und wofür die Gelder ausgegeben werden. Zum anderen
gehöre auch ermittelt, wie viele in Leitlinien-Therapie-Empfehlungen eingebundene Experten
in welcher Höhe von der Industrie gesponsert werden. Letztlich könnten über solche Zahlen
Rückschlüsse auf die verdeckte Einflussnahme der Industrie auf wichtige Akteure und
Entscheidungsträger im Gesundheitssystem gezogen werden. Ein wichtiger Forschungsinput
281
wäre auch, den Einfluss von Industriesponsoring auf das Entscheidungs- und Verschreibungs-
verhalten von Health Professionals (Medizinern) zu erforschen. Hierfür müsste man einerseits
beobachten, wer, was, von welcher Firma, in welcher Höhe finanziert bekommt und
andererseits welche Arzneimittel, von welcher Firma, in welcher Menge verschrieben werden.
Über die Korrelation dieser beiden Größen ließe sich folglich ein Zusammenhang ermitteln.
Ein Vertreter der Pharmaindustrie zeigte sich insbesondere am Einfluss der „kleinen
Korruption“ (sprich: geringfügige Geschenke, Essenseinladungen etc.) auf das Entscheidungs-
verhalten von Health Professionals interessiert. Zudem gehöre auch die seitens eines
Gesundheitsökonomen geäußerte Vermutung, dass pharmagesponserte Forschungsprojekte
zu 80 % nur produktgetriebene Forschung darstellen und ohne jegliche Relevanz seien, ebenso
wissenschaftlich erforscht.
Zitat aus Interview 2:
„Dass ich mir dann anschaue, was eigentlich in Österreich geforscht wird, bei welcher Patienten-Klientel, ob es eine relevante Krankheit oder irrelevante Krankheit ist, also ob das irgendein Wohlstands-Klimbim ist, eine Warze auf der kleinen Zehe oder ob das eine relevante Erkrankung ist, ob relevante Forschung betrieben wird. Weil ich behaupte, dass 80 % der Dinge, die von der Industrie gesponsert sind, nur produktgetriebene Forschung ist und von unjeglicher Relevanz, also das behaupte nicht nur ich, da gibt es viele Menschen, die das behaupten.“
Zitat aus Interview 14:
„Was mich wirklich interessieren würde, wäre, ob es tatsächlich, wirklich, also nachweislich, eine Korrelation gibt zwischen dieser kleinen Korruption und einem entsprechenden Entscheidungsverhalten. […] da kriegen wir eine Kiste Ärztemuster, da kriegen wir Kugelschreiber, da kriegen wir, weiß ich nicht, eine Einladung. Da kriegen wir all diese Dinge, fokussiert auf den Gesundheitsbereich.“
Zitat aus Interview 18:
„Erstens, man muss rauskriegen, ganz konkret, wie viele Ärzte in Österreich Zahlungen bekommen bzw. irgendwelche materiellen Zuwendungen bekommen. Alle. Und zwar auf Personen, nicht in aggregierter Form. Dann das Ganze vice versa auf die einzelnen Firmen und Fachdisziplinen, lange Rede, kurzer Sinn: Firma X in der [Fachdisziplin], fünf Ärzte in Wien, zwei Ärzte dort oder sind es vielleicht doch mehr, nämlich in Wirklichkeit knapp fünfzig in Wien, wenn man auch die ganzen Kongresse etc. hernimmt. Nicht? Wirklich alle materiellen Zuwendungen und diese noch aufgeschlüsselt auf Personen. […] Dann nehmen wir die Fachgesellschaften einmal vor. Da wird Ihnen schlecht, wie die sich nämlich finanzieren und wofür sie Gelder ausgeben, also Einnahmen-Ausgaben. Und damit eng verbunden, wie viele Experten, die in Leitlinien-Therapie-Empfehlungen etc. Geld bekommen von der Pharmaindustrie. […] Und der große Punkt C wären dann die Patientengruppen, Patienten-Selbsthilfegruppen. Da haben sie viel zu tun. Das wäre aber wichtig und das wären brandheiße Zahlen, wenn man es gescheit macht.“
282
5. Erhebung des Problembewusstseins/Ursachenforschung
Zukünftiger Forschungsbedarf wurde auch von einigen Experten (3 von 18 Befragten) im
Hinblick auf die Erhebung des vorherrschenden Problembewusstseins geortet, was mitunter
in die Ursachenforschung hineinfällt. Beispielsweise wurde seitens eines Vertreters der
Pharmaindustrie eine systematische Befragung der Spitalsärzte zur Erhebung ihres
Problembewusstseins vorgeschlagen; sprich, ob, von wem und in welchem Ausmaß sie sich
beeinflusst fühlen würden. Ein Gesundheitswissenschaftler empfahl, insbesondere die
Ansichten und das Bewusstsein der jüngeren Generation von Health Professionals im Hinblick
auf die Korruptionsthematik zu erheben.
Zitat aus Interview 9:
„Also ich würde, also wenn man mich jetzt fragt, dann die junge Generation. Also man hofft ja immer, dass es von Generation zu Generation besser ist, also ich würde mir wünschen, dass man die junge Generation von Health Professionals, dass man sich da mehr darum kümmert, ja, wie die das sehen. Also wie sehen sie Interessenkonflikte, wie sehen sie Korruption, wie sehen sie quasi den Umgang mit Macht. […] Also junge Generation, das ist für mich ein Forschungsfeld, ja.“
Zitat aus Interview 12:
„Also wahnsinnig spannend wäre wirklich, Ärzte einmal zu befragen, systematisch zu befragen ‚Wie sehen Sie das?‘, ‚Fühlen Sie sich beeinflusst?‘, ‚Von wem fühlen Sie sich beeinflusst?‘. Und eben nicht über die Ärztekammer, sondern eben nach irgendeiner Stichprobe, keine Ahnung, ja, wobei hier wahrscheinlich die Spitalsärzte am ehesten noch die sind, die die spannendsten sind, weil die halt in einem System arbeiten. Viele von den Einzelärzten schwimmen in ihrem eigenen Sumpf.“
Zitat aus Interview 14:
„Und dann wirklich eine Analyse, nämlich auf beiden Seiten, auf der gebenden und nehmenden Seite in Bezug auf die Frage des Bewusstseins. Also ein bisschen in die Motivforschung hineingehen, ja, also, wo beginnt, wo endet dieser Bereich, wo man den eigenen red-face-test nicht mehr besteht.“
6. Genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption
Drei von 18 Befragten orteten weiteren Forschungsbedarf im Hinblick auf die
Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem. Diese gehören besser
voneinander abgegrenzt und jede Form für sich erforscht. Als ein möglicher methodischer
Ansatz wurden seitens eines Gesundheitsjournalisten narrative Interviews vorgeschlagen, die
auf der Erzählung tatsächlicher Erlebnisse gründen.
283
Zitat aus Interview 9:
„Und dann Überdiagnostik, hab ich eh schon gesagt, Überdiagnostik ist für mich ein Forschungsfeld, weil es einfach derzeit so boomt in vielen Ländern, in vielen Bereichen. Das ist Überdiagnostik, Übertherapie.“
Zitat aus Interview 10:
„Also, das würde ich als interessanten Forschungsbereich nehmen, nämlich das vorhandene Wissen aus der Praxis des Gesundheitssystems in Form von Storytelling, von narrativer Erforschung, aufzubereiten. Weil, was wir versuchen ist ja permanent in Zahlen und Diagrammen darzustellen, was jeder Österreicher eh weiß. Warum sparen wir uns das nicht und fragen die, was sie wissen, konkret?“
Zitat aus Interview 13:
„Also was mich persönlich interessieren würde ist, einmal auch wirklich wissenschaftlich aufzubereiten, wo findet welche Form der Korruption, in welchen Bereichen des Gesundheitswesens statt?“
7. Weitere zukünftige Forschungsfelder
Weitere Forschungslücken, die im Rahmen der geführten Interviews vereinzelt genannt
worden sind, werden nachfolgend zusammengefasst wiedergegeben.
Als notwendig erachtet wurde seitens eines Patientenvertreters die wissenschaftliche
Erforschung des Einflusses bestimmter finanzieller Anreizmechanismen auf das Korruptions-
verhalten (z.B. Einkünfte aus Nebenbeschäftigungen oder Sonderklassegebühren).
Zitat aus Interview 4:
„Dann, glaube ich, wär‘s in den Organisationen, also bei großen Krankenhausträgern, eigentlich sehr interessant, bestimmte finanzielle Anreize, die durchaus mit einem anderen Hintergrund gekommen sind, einmal abzuklappern, welche Auswirkungen die haben, ob die nicht in Richtung Korruption wirken und diese Bereiche auch besondere finanzielle Trigger sind.“
Laut der Aussage eines Gesundheitswissenschaftlers wäre es ebenfalls interessant, sämtliche
(höherrangige) Beziehungsverflechtungen im österreichischen Gesundheitssystem zu
erfassen und gegebenenfalls wie in der Arbeit von Wild et al. (2015b, S. 40) grafisch
darzustellen.
Zitat aus Interview 9:
„Also wenn man das wirklich zeichnen könnte, wie es teilweise für andere Konglomerate wie Raiffeisen oder ganz klare Geflechte gibt, wer da mit wem und so. Also wenn man das mit, also von Baxter bis Gesundheitsministerium, Hauptverband, akademische Einrichtungen, MedUni und so, da hast
284
Personen, die sind miteinander Schule gegangen, die kennen sich super gut, ja. Und die, glaube ich, die sagen, für uns gilt das alles nicht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht erwischt werden.“
Weiters regte ein Arzt an, dass es von zentraler Bedeutung wäre, das nationale
Korruptionsphänomen im internationalen Kontext (EU, OECD etc.) zu untersuchen. Über den
dadurch ausgelösten Reflexionsprozess könnte – insbesondere im Falle eines sehr schlechten
Abschneidens im Ländervergleich – ein höherer Veränderungsdruck auf die Politik ausgeübt
werden.
Zitat aus Interview 7:
„Ich glaube, es ist auch wichtig, immer wieder so ein internationales Benchmarking zu machen. […] Wenn man sagt, also, Transparenz im Gesundheitssystem und wie stehen wir da international – also im Kontext der OECD, im Kontext der EU. Ich glaube dieses Ranking, das ist noch ganz interessant, das führt dann immer zu so einem gewissen Reflexionsprozess und vielleicht auch zu einem gewissen Druck, Dinge zu ändern, Dinge anzugehen.“
Laut einem Gesundheitsökonomen gehört der Einfluss soziodemografischer Faktoren (Alter,
Geschlecht etc.) auf die Korruptionsanfälligkeit von Health Professionals zukünftig beforscht.
Die vermutete Annahme, dass Frauen und jüngere Personen weniger korrupt seien als Männer
und ältere Personen, konnte auf internationaler Ebene bislang nicht eindeutig bestätigt
werden (TI 2014, S. 2). Zwar liegen bereits mehrere Studien (Swamy et al. 2001; Frank et al.
2011; Rivas 2012) vor, die bestätigen, dass Frauen weniger korrupt seien als Männer,
allerdings ist diese Befundlage kritisch zu betrachten, da nicht eindeutig hervorgeht, was
durch wen beeinflusst wird (vgl. Kapitel 2.5).
Zitat aus Interview 5:
„Die Frage wird auch sein, was haben wir für eine Population auch bei den Medizinern. Sind alte Leute weniger korrupt, sind Frauen weniger korrupt, d.h. sozusagen Gender. […] Wir wissen eigentlich nicht, was wir uns einhandeln, entweder unterstellen wir, dass Menschen, wurscht welchen Geschlechts und welchen Alters oder, gleich anfällig sind oder gibt es Unterschiede, man weiß es einfach nicht.“
Des Weiteren wies ein Vertreter von Transparency International darauf hin, dass der gesamte,
schwer einsehbare niedergelassene Bereich – insbesondere der Wahlarztbereich – im Hinblick
auf Performance und Korruption einer objektiven Untersuchung unterzogen gehört, und zwar
von einer unabhängigen Stelle, d.h. weder von der Ärztekammer noch von der
Sozialversicherung.
285
Zitat aus Interview 1:
„In anderen zivilisierten Ländern gibt es Fokusgruppen, da wird beobachtet, wie handeln die praktischen Ärzte, das wollte man vor 30 Jahren hier einführen, niemand hat einen Strich getan, niemand. Keine, es gibt kein Monitoring der Performance, des Geschehens im niedergelassenen Bereich. Das geht nicht über Datenbanken, das geht wie die Holländer das vorexerziert haben, d.h., weil wir hier keine Transparenz haben, werden nur Geschichten erzählt. Und das ist ein Job, den braucht man. Weil ein System ohne Messung, von dem was vorgeht, geht daneben, kann explodieren und es kann unten ganz was anderes passieren als die Leute, die glauben. Das dauert dann recht lange bis dann so ein Feedback-Zyklus kommt.“
Schließlich gehöre auch die seitens eines Arztes geäußerte Annahme, dass größere Firmen
aufgrund vorliegender internationaler Spielregeln und der Furcht vor Imageverlusten eine
geringere Korruptionsanfälligkeit aufweisen würden als kleinere, wissenschaftlich beforscht.
Im näheren Zusammenhang sprach sich ein Vertreter der Pharmaindustrie auch dafür aus, die
Entwicklung des Pharmaimages über die letzten Jahre näher zu untersuchen.
Zitat aus Interview 13:
„Was man, glaube ich, wissenschaftlich auch sehr, sehr schön machen kann, ist, über die Jahre zu zeigen, wie jetzt das, was wir in der Industrie machen, nämlich Transparenz und Compliance, zu versuchen, wirklich hochzuhalten und vorzuleben, wie das nämlich auch den Nimbus der Industrie über die Jahre wieder verändert. Ja, unser Ziel ist, unser Ziel ist auch von diesem negativen Image natürlich wegzukommen und wieder als verlässlicher Partner im Gesundheitswesen anerkannt zu werden. Klar, ich sage das auch überall so. Und die Leute, die glauben, dass da hier auch mit Halbinformationen gearbeitet werden kann, die fallen meines Erachtens auf die Schnauze.“
Zuletzt sei noch angemerkt, dass nach Ansicht eines Arztes die Auseinandersetzung mit der
Korruptionsthematik grundsätzlich wertneutral zu erfolgen habe und idealerweise in
folgenden Schritten verlaufen sollte: Wissenschaftliche Begriffsdefinition Ist-Stand-
Erhebung ohne Schuldzuweisung Definition des Soll-Zustandes (Zielentwicklung) ohne
Moralisierung und in Abstimmung mit der Europäischen Union Prozessentwicklung
(Kommunikation, Aufklärung, Information etc.).
Zitat aus Interview 6:
„Und daher glaube ich, kann man auch Korruption nicht einfach nur von einem Blickwinkel sehen, sondern muss sie von mehreren Blickwinkeln sehen und ganz neutral ohne irgendein Moralisieren, ohne Schuldzuweisung den Ist-Stand erheben, ohne Moralisierung, den Wunsch-Zustand definieren und dann diesen Prozess definieren, wie komme ich dorthin, was sehr, sehr stark mit Aufklärung, mit Kommunikation zu tun hat und nicht mit Verurteilen und Strafen.“
286
5.7.8 Ebenenübergreifende Untersuchung ausgewählter Studienergebnisse
Ausgehend von den vorliegenden Studienergebnissen werden im folgenden Kapitel
ausgewählte, mitunter korruptionsanfälligste Bereiche im österreichischen
Gesundheitssystem einer ebenenübergreifenden Untersuchung unterzogen. Konkret
ausgedrückt: Die Ursachen und Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von
Korruption werden auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen
Gesundheitssystems (vgl. Kapitel 4.1.2) näher beleuchtet und ausgehend von den bisher
gesetzten Gegenmaßnahmen der zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen
abgeleitet. Ziel einer solchen ebenenübergreifenden Darstellung, die sich vor allem zur
Veranschaulichung komplexer Problemstellungen eignet, ist es, die potenziellen
gegenseitigen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Ebenen zu veranschaulichen. Dabei
weisen die Ergebnisse insgesamt darauf hin, dass insbesondere jene Maßnahmen, die auf der
Makroebene gesetzt werden, auf die unteren Ebenen einwirken. Von dort gehen nämlich
wesentliche Impulse zur idealen Ausrichtung der Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem
aus, die wiederum Einfluss auf das Verhalten auf der Meso- und Mikroebene nehmen. Die
ebenenübergreifende Untersuchung erfolgt anhand nachstehender Struktur (Tabelle 22).
Ebene Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf
Mak
ro
Me
so
Mik
ro
Tabelle 22: Bezugsrahmen zur ebenenübergreifenden Untersuchung ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption
Quelle: Verfasserin
287
1. Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner)
Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf
Mak
ro
Gesetzliche Fortbildungsverpflichtung
Fehlende unabhängige (öffentliche) Forschungs- und Fortbildungsfinanzierung
Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen bisher gesetzter Gegenmaßnahmen
Schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems
Kostenanstieg aufgrund hoher Arzneimittelausgaben
Qualitätsverlust durch die Fehlsteuerung des Systems
Verbot von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte
(§ 55b AMG)
Registrierungspflicht für nicht-interventionelle
Studien
Internationale und nationale Verhaltenskodizes (EFPIA, PHARMIG)
Unabhängiger Finanzierungstopf ODER öffentliche Finanzierung
Strengere Regulierung von Pharmareferenten/
Medizinproduktevertretern
Verbot jeglicher materieller Zuwendungen an Ärzte
Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang
Schärfere Kontrollen und Sanktionen
Vermehrte Transparenzschaffung (Verpflichtung zur namentlichen
Offenlegung finanzieller Zuwendungen, Veröffentlichung aller Studiendaten etc.)
Mes
o
Hoher Finanzierungsbedarf
Industriegesponserte Forschung, Fortbildung, Meinungsbildner, Fachgesellschaften etc.
Einsatz von Pharmareferenten/ Medizinproduktevertretern zur Produktvermarktung
Übermäßige Gewährung von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte
Mangelnde Kontrolle und Sanktionen
Industriegetriebene Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis
Reputationsschädigung
Organisationsinterne Verhaltenskodizes,
Compliance-Management-Systeme
Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen
seitens der Industrie (aktuell v.a. in aggregierter Form)
„Pharmaunabhängige Fortbildung“ (z.B. OÖGKK)
Schärfere Kontrollen und Sanktionen
Pharmaunabhängige Meinungs-bildner und Fachgesellschaften
(Einheitliche Entgeltsätze; Offenlegungspflichten)
Mik
ro
Mangelndes Problembewusstsein
Einkommensmaximierung/Habgier
Reziprozität
Fehlende Information/Wissenslücken
Finanzielle Abhängigkeit
Gesundheitliche oder finanzielle Schädigung der Patienten
Reputationsschädigung
Aufklärung, Bewusstseinsbildung
Offenlegung von Interessenkonflikten
Aufklärung, Bewusstseinsbildung
Forcierung der wissenschaftlichen Ausbildung von Medizinern
Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte
Tabelle 23: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner) Quelle: Verfasserin
288
Die Hauptursache für einen der korruptionsanfälligsten Bereiche im Gesundheitssystem – der
Zusammenarbeit zwischen der (Pharma-)Industrie und Medizinern – liegt vor allem auf der
Makroebene begründet. Dadurch, dass Ärzte der gesetzlichen Fortbildungsverpflichtung bei
gleichzeitiger fehlender öffentlicher Fortbildungsfinanzierung unterliegen, werden sie
regelrecht in die finanzielle Abhängigkeit der Industrie gedrängt – nicht zuletzt aufgrund stetig
steigender Fortbildungskosten (u.a. Kongressgebühren). Auf diese Weise geraten sie oft
unmerklich und unbewusst unter den Einfluss der Industrie. Ähnlich sieht es im Hinblick auf
die Finanzierung medizinischer Forschung (insbesondere der angewandten medizinischen
Forschung) aus. Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen geltender Regulative
seitens zuständiger Behörden begünstigen die Situation für die Industrie. Dies betrifft
insbesondere die Registrierungspflicht für nicht-interventionelle Studien sowie das
Naturalrabatteverbot (§ 55b AMG) an niedergelassene Ärzte, wodurch eine erhöhte Gefahr
besteht, dass diese auf der Meso- und Mikroebene aus nutzen- und einkommens-
maximierenden Gründen umgangen werden. Neben der industriellen Finanzierung von
Forschung und Fortbildung können auch der zielgerichtete Einsatz von Pharmareferenten/
Medizinproduktevertretern sowie industriegesponserte Meinungsbildner und Fach-
gesellschaften indirekt Einfluss auf das Verschreibungsverhalten von Medizinern nehmen.
Dies ist vorrangig auf das überwiegend noch wenig ausgeprägte Problem- und
Unrechtsbewusstsein auf der Mikroebene, die allseits bekannte Reziprozitätsregel
(„Quidproquo“) sowie auch auf den mangelnden Informations- und Wissensstand von
Medizinern im Hinblick auf die tatsächlichen Wirkungen und Nebenwirkungen von
Arzneimitteln/Medizinprodukten zurückführbar. Letzteres hängt wiederum mit der
mangelnden wissenschaftlichen Ausbildungsqualität und der dadurch ausbleibenden
Befähigung zum eigenständigen Lesen und unbeeinflussten Interpretieren von Studiendaten
zusammen.
Die Einflussnahme der Industrie auf Mediziner kann auf der Makroebene nicht nur zu einem
erheblichen Kostenanstieg aufgrund erhöhter Arzneimittelverschreibungen und -ausgaben
beitragen, sondern auch mit einem Qualitätsverlust über die Fehlsteuerung des Systems
einhergehen. Insbesondere kann industriegesponserte medizinische Forschung dazu führen,
dass Forschungsinhalte auf der Mesoebene in eine falsche (produktgetriebene) Richtung
gelenkt werden. Zudem kann es vorkommen, dass Studienergebnisse zwar nicht unbedingt
289
gefälscht, aber intransparent dargestellt („beschönigt“, „korrigiert“) oder gar nicht erst
publiziert werden („Publikationsbias“). Dadurch können hochpreisige, aber in Wahrheit
„wenig innovative“ Arzneimittel auf den Markt gelangen, die letztlich zulasten öffentlicher
Gesundheitsbudgets gehen. Industriesponsoring vermag sich auch im Bereich der Fortbildung
kontraproduktiv auszuwirken, indem nur selektiv in bestimmten (lukrativen) Bereichen
weitergebildet wird. Häufig werden die investierten Gelder seitens der Industrie über
Arzneimittelpreisverhandlungen zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets wieder
hereingeholt. Schließlich kann die übermäßige Einflussnahme der Industrie auf das
Verschreibungsverhalten von Medizinern auf der Mikroebene zur gesundheitlichen und/oder
finanziellen Schädigung der Patienten beitragen. Dies kann letztlich nicht nur die Reputation
und Glaubwürdigkeit der Industrie, sondern auch jene von Medizinern negativ beeinflussen.
Bislang gesetzte Maßnahmen zur Vorbeugung von Korruption an der Schnittstelle zwischen
Industrie und Ärzteschaft schließen auf der Makroebene das Naturalrabatteverbot (§ 55b
AMG), die Registrierungspflicht für nicht-interventionelle Studien sowie die Einführung und
Verschärfung von Verhaltenskodizes auf internationaler und nationaler Ebene (EFPIA-Kodex,
PHARMIG-Verhaltenskodex) ein. Organisationsinterne, teilweise noch strenger geregelte
Verhaltenskodizes sowie die Einführung umfassender Compliance-Management-Systeme auf
der Mesoebene ergänzen die Antikorruptionsbemühungen. Zudem hat sich die
pharmazeutische Industrie seit 2016 selbst zur Offenlegung sämtlicher finanzieller
Zuwendungen an Angehörige der Fachkreise und medizinische Institutionen verpflichtet.
Allerdings erfolgte dies bislang überwiegend in aggregierter Form, was lediglich bisweilen in
einer „intransparenten Transparenz“ gemündet hat. Vereinzelte Aktionen wie die
pharmaunabhängige Fortbildung seitens der OÖGKK stellen weitere Maßnahmen zur
Unterbindung industrieller Einflussnahme dar. Dank mehreren Aufklärungsarbeiten kam es
auf der Mikroebene bereits zu einer allmählichen Bewusstseinsschärfung und Sensibilisierung
sowie zur zunehmenden Praxis der Offenlegung von Interessenkonflikten.
Um die verdeckte Einflussnahme der Industrie auf Health Professionals zukünftig zu
unterbinden, bedarf es auf der Makroebene vor allem der Errichtung neuer unabhängiger
Finanzierungssysteme. In Frage käme einerseits ein unabhängiger Finanzierungstopf, der
mittels Geldern der Industrie gespeist werden könnte, die anschließend seitens einer
290
unabhängigen Stelle an die jeweiligen Zielgruppen verteilt werden könnten. Andererseits
besteht auch die Möglichkeit, dass die Forschungs- und Fortbildungsfinanzierung zukünftig
von der öffentlichen Hand übernommen wird, welche die Ausgaben über erneute
Preisverhandlungen mit der Industrie hereinzuholen vermag. Auf rechtlicher Ebene kämen die
strengere Regulierung von Pharmareferenten/Medizinproduktevertretern wie auch ein
gänzliches Verbot jeglicher materieller Zuwendungen an Ärzte in Betracht. Erstrebenswert
wäre auch die Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang, was wiederum mit schärferen
Kontroll- und Sanktionsmechanismen sowohl auf der Makro- als auch auf der Mesoebene
einhergehen müsste. Zudem bedarf es zukünftig vor allem der vermehrten
Transparenzschaffung, wie beispielsweise über die stärkere (gesetzliche oder vertragliche)
Verpflichtung der Ärzteschaft zur namentlichen Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte
aufgrund finanzieller oder persönlicher Beziehungen. Empfehlenswert wäre auch eine
(gesetzliche oder vertragliche) Verpflichtung zur Offenlegung sämtlicher Studiendaten, um
dem besagten „Publikationsbias“ zukünftig entgegenzuwirken. Einheitliche Entgeltsätze sowie
Offenlegungspflichten für pharmagesponserte Meinungsbildner und Fachgesellschaften
könnten ebenso dazu beitragen, deren Unabhängigkeit zukünftig sicherzustellen. Aufgrund
des vielerorts noch mangelnden Problem- und Unrechtsbewusstseins bedarf es auf der
Mikroebene nach wie vor der vermehrten Aufklärung und Bewusstseinsbildung sowie der
Stärkung der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals, um deren Abhängigkeit
und Beeinflussbarkeit durch die Industrie nachhaltig zu reduzieren.
291
2. Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen
Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf
Mak
ro
Ressourcenverknappung (Überversorgung)
Bereitgestellte Ressourcen im Gesundheitssystem
Gehaltsniveau der Spitalsärzte
Vertrauensverlust
Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems
KAKuG-Novelle 2011 (§ 5a Abs. 2 KAKuG)
Transparentes Wartelistenregime
Schärfere Kontrolle und Durchsetzung des transparenten
Wartelistenregimes
Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von
Sonderklassehonoraren
(Gehaltsanhebung)
Vermehrte Transparenzschaffung
Mes
o
Mangelhafte Umsetzung der KAKuG-Novelle
Umgehungsmöglichkeiten EDV-gestützter Anmeldesysteme („OPERA“)
Einkommensmaximierung
Mangelnde Kontrolle und Sanktionen
Mangelnde Vorbildwirkung der Führung
Versorgungsprobleme
Rationierungsgefahr
Veröffentlichung der Wartelisten auf der
Website (bislang nur in NÖ und OÖ)
Schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Einheitliche Kriterien für den
Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT)
Mik
ro
Mangelndes Unrechts- und Problembewusstsein
Einkommensmaximierung/Habgier
Mangelnde Meldebereitschaft der Patienten/Abhängigkeit vom Health Professional
Gesundheitliche und/oder finanzielle Schädigung der Patienten
Diskriminierung
Zwei-/Mehrklassenmedizin
Bisher wenige Maßnahmen
Aufklärung Bewusstseinsbildung
Health Literacy
Tabelle 24: Ebenenübergreifende Untersuchung – Umgehung von Wartelisten Quelle: Verfasserin
292
Die Umgehung von Wartelisten bzw. ungerechtfertigte Vorreihungen sind in erster Linie auf
eine Ressourcenverknappung auf der Makroebene zurückführbar, welche sich letztlich negativ
auf die Wartezeiten auszuwirken vermag. Eine solche Ressourcenverknappung kann aber
auch infolge einer Überversorgung (Überdiagnostik, Übertherapie) auftreten. Abgesehen
davon kann auch das aktuelle Gehaltsniveau der Spitalsärzte zur Einkommensmaximierung
auf der Meso- und Mikroebene über die bevorzugte Behandlung von zusatzversicherten oder
privaten Patienten (Einnahmen aus Sonderklassegebühren oder privaten Zuzahlungen)
verleiten. Ursachen auf der Mesoebene lassen sich hingegen vor allem in der mangelhaften
Umsetzung der KAKuG-Novelle auf der Landesebene sowie in der leichten Umgehung EDV-
gestützter Anmeldesysteme wie „OPERA“ verorten. Schließlich kann immer argumentiert
werden, dass eine Vorreihung medizinisch indiziert sei, was für die meisten Patienten
aufgrund ihrer mangelnden Gesundheitskompetenz nur schwer nachvollziehbar ist. Fehlende
Kontroll- und Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Dienstgeber sowie schlechte
(korrupte) Führungsvorbilder, die sich selbst an keinerlei Regeln und Vorschriften halten,
können zum vermehrten Auftreten ungerechtfertigter Vorreihungen beitragen. Auf der
Mikroebene wird die Problematik einerseits durch das mangelnde Unrechts- und
Problembewusstsein – sowohl seitens der Patienten als auch seitens Medizinern – forciert und
andererseits durch die mangelnde Meldebereitschaft der Patienten aufgrund ihrer
Abhängigkeit vom jeweiligen Gesundheitsdienstleister (Mediziner).
Die Umgehung von Wartelisten kann auf der Makroebene mit einem Vertrauensverlust
einhergehen, was letztlich das gesamte solidarische Gesundheitssystem unterminieren kann.
Auswirkungen auf der Mesoebene schließen mögliche Versorgungsprobleme und die damit
einhergehende Rationierungsgefahr ein. Auf der Mikroebene kann eine ungerechtfertigt
erwirkte Vorreihung zur folgenschweren gesundheitlichen Beeinträchtigung nachgereihter
Patienten führen. Zudem können auch Patienten durch eine „erkaufte“ Vorreihung in
finanzieller Hinsicht geschädigt werden. Jedenfalls schließt die Umgehung von Wartelisten
eine Diskriminierung normalversicherter Patienten gegenüber zusatzversicherter bzw.
privater Patienten ein, was langfristig in einer Zwei-/Mehrklassenmedizin münden kann.
293
Zu den bisherigen Maßnahmen, sogenannten „Terminbeschleunigern“ entgegenzuwirken,
zählt die Einführung des transparenten Wartelistenregimes im Rahmen der KAKuG-Novelle im
Jahr 2011, die auf der Mesoebene allerdings bislang nur in zwei Bundesländern (Nieder- und
Oberösterreich) gänzlich umgesetzt worden ist. Während in Oberösterreich die Wartezeiten
über die Homepages der jeweiligen Spitäler öffentlich einsehbar sind, können diese in
Niederösterreich sogar zwischen den einzelnen Spitälern über die Website des
Krankenanstaltenträgers (Niederösterreichische Landeskliniken-Holding) verglichen werden.
Maßnahmen auf der Mikroebene sind kaum bekannt, die Thematik wird lediglich immer
wieder in den Medien diskutiert.
Auf der Makroebene bedarf es zukünftig vor allem der verschärften Durchsetzung und
Kontrolle des transparenten Wartelistenregimes. Eine Neuregelung der Abrechnung und
Verteilung von Sonderklassehonoraren könnte dabei helfen, den fehlgeleiteten finanziellen
Anreiz zur Bevorzugung von zusatzversicherten bzw. privaten Patienten zu beseitigen. In
diesem Kontext käme evtl. auch eine (erneute) Anhebung der Spitalsärztegehälter in Frage.
Zudem muss zukünftig für mehr Transparenz gesorgt werden, insbesondere was die
Veröffentlichung von Wartelisten auf den Websites der jeweiligen Krankenanstalten und -
träger betrifft. Dies muss erforderlichenfalls mit schärferen Kontroll- und
Sanktionsmechanismen auf der Mesoebene einhergehen. Durch die Schaffung einheitlicher
Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT etc.) könnte einer Überversorgung
und der damit einhergehenden Gefahr der Ressourcenverknappung zusätzlich
entgegengewirkt werden. Um das individuelle Problem- und Unrechtsbewusstsein zu heben,
bedarf es auf der Mikroebene zukünftig insbesondere der vermehrten Aufklärung,
Bewusstseinsbildung sowie einer Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung
(Health Literacy).
294
3. Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen (SHG)
Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf
Mak
ro Mangelnde öffentliche
Finanzierung von Selbsthilfegruppen
Kostenanstieg durch die Schaffung falscher, unnötiger oder teurer Patientenbegehrlichkeiten
Internationale und nationale Verhaltenskodizes (EFPIA, PHARMIG)
Unabhängiger Finanzierungstopf ODER öffentliche Finanzierung
Vermehrte Transparenzschaffung
(Verpflichtung der SHG zur Offenlegung sämtlicher Zuwendungen etc.)
Mes
o Finanzierungsbedarf
Finanzielle Abhängigkeit von der Industrie
Industriegetriebene Information/Hilfestellung
Reputationsschädigung
Glaubwürdigkeitsverlust
Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen
seitens der Industrie
Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen
ARGE Selbsthilfe und Sponsoren
Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen einzelnen SHG und
Sponsoren (inkl. Zuwendungsgrenzen)
Schärfere Kontrollen und Sanktionen
Mik
ro Mangelndes
Problembewusstsein
Mangelnder Informations-stand/Wissenslücken
Gesundheitliche oder finanzielle Schädigung der Patienten
Bisher wenige Maßnahmen
Aufklärung Bewusstseinsbildung
Health Literacy
Tabelle 25: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen Quelle: Verfasserin
295
Aufgrund fehlender öffentlicher Finanzierungsmittel auf der Makroebene sind
Selbsthilfegruppen häufig auf das Sponsoring durch die (Pharma-)Industrie angewiesen.
Dadurch geraten sie oftmals unbewusst und unmerklich in die Abhängigkeit der Industrie und
laufen mitunter Gefahr, zur Direktvermarktung missbraucht zu werden. Dies wird durch das
mangelnde Problembewusstsein der Patienten auf der Mikroebene forciert, welche nur selten
in der Lage sind, die versteckten Marketingpraktiken der Industrie zu durchschauen. Hinzu
kommt ihre mangelnde Gesundheitskompetenz zur Beurteilung der medizinischen
Notwendigkeit, was ihre Empfänglichkeit für jedes noch so propagierte Arzneimittel etc.
zusätzlich erhöht.
Die Schaffung falscher, unnötiger oder teurer Patientenbegehrlichkeiten kann auf der
Makroebene zu einem hohen Kostenanstieg zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets
beitragen. Auf der Mesoebene kann die finanzielle Abhängigkeit von der (Pharma-)Industrie
ab einem gewissen Grad Einfluss auf das Agieren der Selbsthilfegruppe nehmen, wodurch eine
unabhängige Information und Hilfestellung nicht mehr sichergestellt sind. Langfristig
betrachtet, kann dies mit einem Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust der
Selbsthilfegruppe einhergehen. Vor allem aber besteht auf der Mikroebene die Gefahr, dass
Patienten in gesundheitlicher oder finanzieller Hinsicht geschädigt werden, sobald
kommerzielle Interessen vor ihr gesundheitliches Wohl gestellt und ihnen falsche, unnötige
oder überteuerte Therapien „aufgeschwatzt“ werden.
Im Hinblick auf bisherige Gegenmaßnahmen sieht die österreichische Situation wie folgt aus:
Auf Basis internationaler und nationaler Verhaltenskodizes (EFPIA-Kodex, PHARMIG-
Verhaltenskodex) hat sich die Industrie zur Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen
an Selbsthilfegruppen verpflichtet. Zudem wurden Leitlinien für die Zusammenarbeit
zwischen der ARGE Selbsthilfe (Dachverband der Selbsthilfegruppen) und ihren jeweiligen
Sponsoren vereinbart, wobei bislang keine Zuwendungsgrenzen wie in Deutschland festgelegt
worden sind. Wenige bis gar keine Maßnahmen wurden bislang auf der Mikroebene gesetzt.
Zukünftig erscheint es notwendig, sich auf der Makroebene Gedanken über neue unabhängige
Finanzierungssysteme (unabhängiger Finanzierungstopf oder öffentliche Finanzierung) zu
machen. Zudem gehören im Sinne der vermehrten Transparenzschaffung auch
Selbsthilfegruppen zur Offenlegung sämtlicher Zuwendungen (per Gesetz oder Vertrag)
296
verpflichtet. Additiv sollten auf der Mesoebene auch Leitsätze für die Zusammenarbeit
zwischen den einzelnen Selbsthilfegruppen und ihren Sponsoren unter Festlegung bestimmter
Zuwendungsgrenzen vereinbart werden. Die Einhaltung solcher Leitsätze muss
dementsprechend kontrolliert und deren Missachtung sanktioniert werden. Ferner steht eine
kritische Auseinandersetzung mit den möglichen Interessenkonflikten, die in der
Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfegruppen und der Industrie entstehen können, noch aus,
wodurch es vor allem auf der Mikroebene der vermehrten Aufklärung, Bewusstseinsbildung
sowie Health Literacy bedarf.
297
4. Überversorgung (Übertherapie, Überdiagnostik, Krankheitserfindung)
Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf
Mak
ro
Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
Gehaltsniveau der Spitalsärzte
Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem
Zusatzversicherungssystem
Kostenanstieg
Qualitätsverlust durch die Fehlsteuerung des Systems
Ressourcenverknappung
Bisher wenige Maßnahmen
Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen
Optimierung des Abrechnungssystems
Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren
(Gehaltsanhebung)
Mes
o Einkommensmaximierung
Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Reputationsschädigung
Glaubwürdigkeitsverlust
Bisher wenige Maßnahmen
Einheitliche Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT …)
Schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Mik
ro
Mangelndes Problembewusstsein
Einkommensmaximierung/ Habgier
Mangelnder Informationsstand/ Wissenslücken
Gesundheitliche oder finanzielle Schädigung der Patienten
Diskriminierung
Zwei-/Mehrklassenmedizin
Bisher wenige Maßnahmen
(Medienberichte)
Aufklärung Bewusstseinsbildung
Health Literacy
Tabelle 26: Ebenenübergreifende Untersuchung – Überversorgung Quelle: Verfasserin
298
Die Hauptursache für Überversorgung (Überdiagnostik, Übertherapie, Krankheitserfindung)
liegt vor allem auf der Makroebene begründet. Sowohl das Zusatzversicherungssystem als
auch das derzeitige Gehaltsniveau der Spitalsärzte sowie das bisherige, eher
quantitätsorientierte Abrechnungssystem (im stationären wie im ambulanten Bereich) stellen
fehlgeleitete finanzielle Anreize zur Leistungs- und Einkommensmaximierung auf der Meso-
und Mikroebene dar. Dadurch, dass die einzelnen Organisationen (z.B. Krankenanstalten)
selbst in finanzieller Hinsicht von einer vermeintlichen Überversorgung profitieren (z.B. über
die Einnahmen aus Sonderklassehonoraren), sind überflüssig erbrachte Gesundheits-
leistungen bislang wenig bis kaum kontrolliert und sanktioniert worden. Vor allem aber wird
Überversorgung durch das nach wie vor wenig ausgeprägte Problembewusstsein auf der
Mikroebene forciert. Vielerorts gilt noch das Motto: Mehr Medizin, mehr Gesundheit. Hinzu
kommt die mangelnde Gesundheitskompetenz der Patienten bzw. deren mangelnde
Urteilsfähigkeit hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit einer bestimmten Leistung.
Überversorgung kann auf der Makroebene zu einem deutlichen Kostenanstieg zulasten
öffentlicher Gesundheitsbudgets beitragen und mit einem erheblichen Qualitätsverlust über
die Fehlsteuerung des Systems einhergehen. Beispielsweise können überflüssig erbrachte
Gesundheitsleistungen eine Ressourcenverknappung hervorrufen, die sich wiederum auf die
Wartezeiten etc. auszuwirken vermag. Zudem laufen die einzelnen Organisationen auf der
Mesoebene Gefahr, ihre Reputation bzw. Glaubwürdigkeit zu verlieren, sobald vermehrt Fälle
von medizinisch überflüssiger Leistungserbringung an die Öffentlichkeit gelangen. Auf der
Mikroebene vermag sich Überversorgung negativ auf die Patientengesundheit auszuwirken,
da beispielsweise jede Diagnostik auch mit falschen Befunden einhergehen und jedes
Medikament auch Nebenwirkungen verursachen kann. Zudem ist – im Falle der privaten
Kostenübernahme für nicht kassenfinanzierte, unnötig erbrachte Gesundheitsleistungen –
auch eine finanzielle Schädigung der Patienten nicht ausgeschlossen. Dadurch, dass
überwiegend Privatpatienten bzw. zusatzversicherte Patienten (laut Berger & Bayer (2015) ca.
ein Drittel aller Österreicher) von der Überversorgung betroffen sind, kann eine solche
Diskriminierung langfristig in einer Zwei-/Mehrklassenmedizin münden.
Bislang wurden kaum Maßnahmen gegen die Überversorgung auf nationaler Ebene gesetzt –
zumindest sind der Autorin keine bekannt. Die Thematik wird nur gelegentlich in den Medien
diskutiert.
299
Um Überversorgung zukünftig einzudämmen, ist es unbedingt erforderlich, fehlgeleitete
finanzielle Anreizmechanismen auf der Makroebene, die zur Leistungs- und
Einkommensmaximierung auf der Meso- und Mikroebene verleiten, zu beseitigen. An
oberster Stelle stehen hierbei die Optimierung des Abrechnungssystems und die Neuregelung
der Verteilung und Abrechnung von Sonderklassehonoraren. In diesem Kontext könnte auch
über eine (erneute) Anhebung der Spitalsärztegehälter diskutiert werden. Auf der Mesoebene
gehören vor allem einheitliche Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT etc.)
festgelegt, was schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen nach sich ziehen müsste.
Angesichts des vielerorts noch fehlenden Problembewusstseins bedarf es zusätzlich auf der
Mikroebene der vermehrten Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Health Literacy.
300
5.8 Zusammenfassung der Ergebnisse
Ausgehend vom zugrunde liegenden Erkenntnisinteresse bzw. von den zu beantwortenden
Forschungsfragen werden nachstehend die zentralen Ergebnisse der empirischen
Untersuchung einschließlich daraus abgeleiteter Thesen, die es zukünftig empirisch
(quantitativ) zu überprüfen gilt, zusammengefasst. Viele der genannten Punkte finden sich
auch in der internationalen Literatur (vgl. Kapitel 2 und 3) bzw. in der spärlich vorliegenden
nationalen Literatur (vgl. Kapitel 4.2.3) wieder. Allerdings lieferten die Studienergebnisse
weitaus tiefere, detailliertere Einblicke in die Korruptionsthematik auf nationaler Ebene und
förderten mitunter auch neue Erkenntnisse zutage.
Bezugnehmend auf die erste Forschungsfrage („Wie wird der Begriff Korruption im Kontext
des Gesundheitssystems auf nationaler Ebene definiert?“) lässt sich Korruption im nationalen
Gesundheitssystem aus Expertensicht und in Anlehnung an vorherrschende Definitionen als
die „sachfremde Beeinflussung von Entscheidungen und Handlungen, die im Interesse des
öffentlichen Gesundheitssystems stehen, zum Vorteil einer Person oder Organisation, jedoch
zulasten unbeteiligter Dritter (u.a. Patienten, Health Professionals) bzw. der Allgemeinheit
(u.a. Steuerzahler, Versicherungsgemeinschaft)“ definieren.
Die zweite Forschungsfrage („In welcher Form findet Korruption in das nationale
Gesundheitssystem Eingang?“) kann wie folgt beantwortet werden: Insgesamt wurden acht
Einfallstore für Korruption im nationalen Gesundheitssystem eruiert, die allesamt auch auf
internationaler Ebene diskutiert werden. In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 27) erfolgt
eine Zusammenfassung aller aufgedeckten Erscheinungsformen, die vorrangig nach ihrer
wahrgenommenen möglichen Korruptionsanfälligkeit aufgelistet werden. Die höchste
Korruptionsanfälligkeit wurde in der Zusammenarbeit der (pharmazeutischen) Industrie mit
Health Professionals geortet (Einflussnahme auf Forschung, Weiterbildung und
Verschreibungspraxis von Medizinern). Eine besonders hohe Korruptionsanfälligkeit wurde
auch in der Vergabe von Terminen für elektive Operationen und diagnostische Tests
(Umgehung von Wartelisten), in der öffentlichen Beschaffung, in (höherrangigen)
Beziehungsverflechtungen und daraus resultierenden Interessenkonflikten (Favoritismus,
Drehtürkorruption u.a.), in der Überversorgung sowie in der Leistungsabrechnung (vor allem
301
„Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssig erbrachter Leistungen) geortet. Darüber
hinaus wurden auch die Einflussnahme der pharmazeutischen Industrie auf Regulatoren
(Arzneimittelzulassung und -preise, Behördenaudits) und Patienten (Selbsthilfegruppen etc.),
der Missbrauch von Nebenbeschäftigungen (Umleitung von Patienten in die
Privatordination/Privatklinik, Nutzung öffentlicher Einrichtungen zur Behandlung privater
Patienten, Ausübung einer Nebenbeschäftigung während der Dienstzeiten) sowie auch
informelle Zahlungen (vor allem indirekte Zahlungen, wie z.B. die Erhebung einer
„überhöhten“ Ordinationsgebühr) mehrfach diskutiert. Hingegen wurden der E-Card-
Missbrauch und geringfügige Geschenke aufgrund der scheinbar geringen Relevanz kaum
bzw. nur auf Nachfrage hin thematisiert. Angemerkt sei, dass in der Überversorgung
(Überdiagnostik, Übertherapie, Krankheitserfindung) sowie in der Leistungsabrechnung (vor
allem „Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen) „neu erkannte“
Korruptionsphänomene identifiziert wurden, die allerdings bislang vielerorts nicht als solche
erkannt werden. Ausgehend von den gewonnenen empirischen Erkenntnissen wurden
nachstehende Thesen (theoriegestützt) abgeleitet:
E1 Pharmagesponserte medizinische Forschung und Fortbildung werden in eine
produktgetriebene Richtung gelenkt.
E2 Health Professionals (Mediziner), die finanzielle Zuwendungen seitens der Industrie
erhalten, verschreiben vermehrt deren Produkte.
E3 Trotz des gesetzlichen Verbotes werden Naturalrabatte an niedergelassene Ärzte nach wie
vor im Übermaß gewährt.
E4 Selbsthilfegruppen können von der Industrie zur Direktvermarktung missbraucht werden.
E5 Wartezeiten können mittels einer Zusatzversicherung, über den Umweg der
Privatordination oder mittels einer privaten Zuzahlung verkürzt werden.
E6 Im österreichischen Gesundheitssystem bestehen zahlreiche (höherrangige)
Beziehungsverflechtungen und (schwerwiegende) Interessenkonflikte, die nicht immer
offengelegt werden.
E7 Zusatzversicherte Patienten und Privatpatienten werden überversorgt.
302
Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
1. Interaktionen zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals, Patienten oder Regulatoren
Einflussnahme auf Forschung, Fortbildung, Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)
Einflussnahme auf Patienten und Öffentlichkeit (Selbsthilfegruppen etc.)
Einflussnahme auf Arzneimittelzulassung, Arzneimittelpreise und Behördenaudits
2. Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen
über eine private Krankenzusatzversicherung, den Besuch einer Privatordination oder eine private Zuzahlung („Kuvertmedizin“)
3. Korruption in der öffentlichen Beschaffung
vor allem im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe (insbesondere Spitalsbauwesen) und im Einkaufs- und Beschaffungswesen öffentlicher Spitäler
4. Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen
Favoritismus (ungerechtfertigte Vorteilsbeschaffung für Verwandte, Freunde etc.)
Drehtürkorruption (Korruption als Resultat schwerwiegender Interessenkonflikte, die
durch den Wechsel von einem privaten zu einem öffentlichen Arbeitgeber – und
umgekehrt – hervorgerufen werden)
(Lobbyismus)
5. Überversorgung
Übertherapie und Überdiagnostik
„Disease Mongering“ (Krankheitserfindung)
6. Abrechnungsbetrug
vor allem die Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen im ambulanten oder stationären Bereich über „Upcoding“ oder die Erbringung und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen
7. Missbrauch von Nebenbeschäftigungen
Umleitung von Patienten in die eigene Privatordination/Privatklinik
Nutzung öffentlicher Einrichtungen zur Behandlung privater Patienten
Ausübung einer Nebenbeschäftigung während der Dienstzeiten („Absentismus“)
8. Informelle Zahlungen/Kuvertmedizin
Zahlungen für Leistungen, die Patienten kostenlos zur Verfügung stehen sollten, oder für den Erwerb einer „besseren“ bzw. „bevorzugten“ Behandlung
vor allem indirekte Zahlungen, wie beispielsweise die Erhebung einer „überhöhten“ Ordinationsgebühr
Tabelle 27: Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin
Im Hinblick auf die dritte Forschungsfrage („Welche Ursachen lassen sich für die identifizierten
Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?“) lässt sich
Folgendes festhalten: Die Hauptursache für Korruption wurde mehrheitlich auf der
Makroebene, von der wesentliche Impulse zur Ausrichtung des Gesundheitssystems
ausgehen, geortet, wodurch diese wiederum Einfluss auf die Meso- und Mikroebene nimmt.
303
Laut Expertenansicht stellen fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen (fehlende
unabhängige Finanzierungssysteme – vor allem im Bereich der medizinischen Forschung und
Fortbildung –, unangemessene Gehälter der Spitalsärzte, quantitätsorientierte
Abrechnungssysteme, das Zusatzversicherungssystem), mangelnde Kontroll- und
Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Behörden (vor allem im Hinblick auf bislang
gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen) sowie bestehende gesetzliche Regelungslücken (u.a.
fehlender gesetzlicher Schutz für Whistleblower, Ausschluss niedergelassener Ärzte vom
Korruptionsstrafrecht, fehlende einheitliche Regelung zur Abrechnung und Verteilung von
Sonderklassehonoraren) die größten Ursachen von Korruption auf der Makroebene dar.
Vielfach beanstandet wurden auch die anhaltende Intransparenz (u.a. mangelnde
(namentliche) Offenlegungsbereitschaft von Interessenkonflikten aufgrund finanzieller oder
persönlicher Beziehungen, intransparente Veröffentlichung von Studiendaten sowie
Spitalskompass- und Outcome-Daten, intransparente Entscheidungsprozesse) sowie die
mangelnde Antikorruptionskultur und der fehlende politische Wille/Mut zur Veränderung.
Knappe Ressourcen sowie die schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems im Hinblick
auf die gesundheitsbezogene Ausbildung der Bevölkerung („Health Literacy“) sowie die
wissenschaftliche Ausbildung von Health Professionals (insbesondere von Medizinern)
wurden ebenfalls mehrmals genannt. Als korruptionsförderlich wurden auch die in der
Literatur häufig angeführte Drittzahlerkonstruktion sowie der Föderalismus im nationalen
Gesundheitssystem geheißen. Die meistgenannten Ursachen auf der Mesoebene schließen
ebenfalls fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen (Einnahmen aus Sonderklasse-
gebühren, Gestattung von Nebenbeschäftigungen) sowie mangelnde Kontroll- und
Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Dienstgeber (vor allem im Hinblick auf die
Einhaltung von Verhaltenskodizes und unangemessene Nebenbeschäftigungen) ein. Weitere
mehrfach angeführte Ursachen umfassen die organisationale Nutzenmaximierung über die
„Tolerierung“ bestimmter Verhaltensweisen sowie schlechte (korrupte) Führungsvorbilder,
die sich letztlich negativ auf das Verhalten der eigenen Mitarbeiter auszuwirken vermögen. Zu
den meistgenannten Korruptionsursachen auf der Mikroebene zählen mangelndes Problem-
und Unrechtsbewusstsein der Health Professionals (Mediziner) und Patienten im Hinblick auf
die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem sowie die individuelle Neigung zur
Nutzen-/Einkommensmaximierung bzw. Habgier. Weiters wurde Korruption auf der
Mikroebene mehrmals auf den Grundsatz der Reziprozität („eine Hand wäscht die andere“),
304
die mangelnde Meldebereitschaft der Patienten, unterschiedliche Wertvorstellungen sowie
fehlende Informationen bzw. Wissenslücken der Patienten und Health Professionals
(Mediziner) zurückgeführt. Weitere Ursachen wurden in der empfundenen Ungerechtigkeit
bzw. mangelnden Wertschätzung von Health Professionals (Medizinern), in ihrer finanziellen
Abhängigkeit von Dritten (Industrie) sowie erhöhten Anfälligkeit für Schmeicheleien geortet.
Die dargelegten Ursachen decken sich weitgehend mit jenen in der Literatur (vgl. Kapitel 2.5
und 3.5). Neu erworbene (österreichspezifische) Erkenntnisse schließen vor allem genannte
fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen im nationalen Gesundheitssystem, spezifische
rechtliche Regelungslücken, die schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems und
daraus resultierende fehlende Informationen und Wissenslücken der Patienten und Health
Professionals (Mediziner) sowie den mangelnden politischen Willen/Mut zur Veränderung
ein. Weiters genannt seien die mangelnde Meldebereitschaft der Patienten sowie die
mangelnde Wertschätzung von Health Professionals, ihre finanzielle Abhängigkeit von Dritten
und erhöhte Anfälligkeit für Schmeicheleien. Ausgehend von den gewonnenen empirischen
Erkenntnissen wurden nachstehende Thesen theoriegestützt abgeleitet:
U1 Die Korruptionsanfälligkeit von Spitalsärzten hängt von ihrem Gehaltsniveau ab.
U2 Die Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen wird durch das bestehende
quantitätsorientierte Abrechnungssystem im ambulanten und stationären Bereich forciert.
U3 Die Ressourcenverknappung resultiert größtenteils aus der Überversorgung.
U4 Österreich hinkt in der gesundheitsbezogenen Ausbildung der Bevölkerung („Health
Literacy“) sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung der Mediziner hinterher.
U5 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist im
nationalen Gesundheitssystem noch zu wenig ausgeprägt.
U6 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist bei der
jüngeren Generation von Health Professionals stärker ausgeprägt als bei der älteren.
U7 Die Bereitschaft der Patienten, bestimmte Korruptionsfälle zu melden, ist gering.
305
Was die vierte Forschungsfrage („Welche Auswirkungen lassen sich für die identifizierten
Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?“) betrifft,
so kann diese – in weitgehender Übereinstimmung mit der vorliegenden Literatur (vgl. Kapitel
2.6 und 3.4) – wie folgt beantwortet werden: Die meistgenannten Auswirkungen von
Korruption auf der Makroebene reichen von einem Kostenanstieg über einen Qualitätsverlust
durch die Fehlsteuerung des Systems bis zu einem Vertrauensverlust und der damit
einhergehenden Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems. Des Weiteren wurde
auch auf einen möglichen Innovationsrückgang, der sich letztlich negativ auf die zukünftige
notwendige Entwicklung des Gesundheitssystems auszuwirken vermag, hingewiesen. Die
wesentlichste Auswirkung auf der Mesoebene, die in diesem Kontext am häufigsten diskutiert
worden ist, schließt die industriegetriebene Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis
von Health Professionals (Medizinern) ein. Ferner wurden auch die finanzielle Schädigung des
Dienstgebers und dessen Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust sowie die Zersetzung
organisationaler Wertesysteme genannt. Zu den meistgenannten Auswirkungen von
Korruption auf der Mikroebene zählen die gesundheitliche und/oder finanzielle Schädigung
der Patienten, deren Ungleichbehandlung/Diskriminierung und die damit einhergehende
Entwicklung in Richtung Zwei-/Mehrklassenmedizin sowie die Entsolidarisierung/
Demoralisierung der Gesellschaft. Ferner wurde auch ein individueller Glaubwürdigkeits- und
Reputationsverlust erwähnt. Die wichtigste Erkenntnis bzw. Annahme, die in diesem Kontext
mehrmals geäußert wurde und auf Basis derer folgende These abgeleitet wurde, lautet:
A1 Die Zwei-/Mehrklassenmedizin hat bereits Eingang in das österreichische
Gesundheitssystem gefunden.
Zur besseren Übersicht werden in der nachstehenden Tabelle (Tabelle 28) die zentralen
Ergebnisse der empirischen Untersuchung zu den Ursachen und Auswirkungen von Korruption
auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen Gesundheitssystems
zusammengefasst. Die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Ebenen sind durch Pfeile
gekennzeichnet.
306
Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Ursachen Auswirkungen
Mak
roe
be
ne
• Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
Fehlende unabhängige Finanzierungssysteme
Gehaltsniveau der Spitalsärzte
Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem
Zusatzversicherungssystem • Mangelnde Kontroll-/Sanktionsmechanismen • Gesetzliche Regelungslücken • Intransparenz • Mangelnde Antikorruptionskultur • Mangelnder politischer Wille zur Veränderung • Ressourcenverknappung • Schlechte Qualität des Aus-/Fortbildungssystems • Drittzahlerkonstruktion • Politisches System/Föderalismus
• Kostenanstieg • Qualitätsverlust Fehlsteuerung
des Systems • Vertrauensverlust
Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems
• Innovationsbarriere Entwicklungsbremse
Mes
oeb
ene
• Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen
Einnahmen aus Sonderklassegebühren
Gestattung von Nebenbeschäftigungen • Mangelnde Kontroll-/Sanktionsmechanismen • Nutzenstiftung für die Organisation • Mangelnde Vorbildwirkung der Führung
• Industriegetriebene Fortbildung, Forschung, Verschreibungspraxis von Health Professionals
• Schädigung der Finanzen und Reputation des Dienstgebers
• Zerstörung organisationaler Wertesysteme
Mik
roe
be
ne
• Mangelndes Unrechts-/Problembewusstsein • Nutzen-/Einkommensmaximierung/Habgier • Reziprozität/Beziehungspflege • Mangelnde Meldebereitschaft der Patienten • Fehlender Informationsstand/Wissenslücken • Unterschiedliche Wertvorstellungen • Empfundene Ungerechtigkeit/mangelnde
Wertschätzung • Finanzielle Abhängigkeit • Anfälligkeit für Schmeicheleien
• Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten
• Diskriminierung Zwei-/Mehrklassenmedizin
• Demoralisierung/ Entsolidarisierung
• Reputationsschädigung
Tabelle 28: Ursachen und Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin
Im Hinblick auf die fünfte und mitunter wichtigste Forschungsfrage („Welcher zukünftige
Handlungsbedarf kann ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen für
eine nachhaltige Korruptionsprävention und -eindämmung auf den einzelnen Systemebenen
abgeleitet werden?“) lieferte die empirische Untersuchung folgende Ergebnisse: Trotz bislang
gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen besteht auf allen drei Ebenen des Gesundheitssystems
– insbesondere auf der Makro- und Mikroebene – noch genügend Handlungsbedarf. Laut
Expertensicht liegt einer der wichtigsten Stellhebel zur nachhaltigen Korruptionseindämmung
307
auf der Makroebene in der Beseitigung fehlgeleiteter, finanzieller Anreizmechanismen
(Einrichtung unabhängiger Finanzierungssysteme – vor allem im Bereich der medizinischen
Forschung und Fortbildung –, strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Optimierung
des Abrechnungssystems, Anhebung der Spitalsärztegehälter, Neuregelung der Verteilung
und Abrechnung von Sonderklassehonoraren). Weitere vielfach genannte Handlungsfelder
umfassen die vermehrte Transparenzschaffung (u.a. Verpflichtung zur namentlichen
Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte aufgrund persönlicher oder finanzieller
Beziehungen, „transparentere“ Wartelistenregime, Veröffentlichung sämtlicher
Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren, Veröffentlichung aller Studien- und
Spitalskompass- und Outcome-Daten) sowie die Verschärfung von Kontroll- und
Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Behörden (vor allem im Hinblick auf bislang
gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen). Mitunter wurden auch die (Weiter-)Entwicklung
geeigneter Monitoringstrukturen im niedergelassenen Bereich (vor allem im Wahlarztbereich)
sowie der Ausbau der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur effektiveren
Verfolgung und Ahndung aufgedeckter Korruptionsfälle im nationalen Gesundheitssystem als
notwendig erachtet. Weitere Änderungsvorschläge auf der Makroebene beziehen sich auf die
aktuelle rechtliche Situation (u.a. Schaffung eines eigenständigen Antikorruptionsgesetzes im
Gesundheitssystem, Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang, Verbot jeglicher
Zuwendungen an Mediziner, Neuregelung und teilweise Einschränkung von
Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern, Schaffung eines eigenständigen
Whistleblower-Schutzgesetzes). Ferner wurden auch ein fundamentaler System- und
Strukturwandel (Aushebelung des Föderalismus, Angestelltensystem niedergelassener Ärzte,
Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger und unterschiedlicher Finanzierungsströme
im Gesundheitssystem („Finanzierung aus einer Hand“) u.a.) sowie die Errichtung einer
eigenen anonymen Korruptionsmelde- und Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem zur
Prävention und Kontrolle empfohlen. Vereinzelt genannte Verbesserungsvorschläge schließen
die Forcierung von Generika sowie die Einrichtung einer zentralen Stelle für die Freigabe
gesundheitsbezogener Kampagnen und für die Durchführung des Mystery Shoppings ein. Auf
der Mesoebene wurden ebenfalls vorrangig schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen
seitens zuständiger Dienstgeber zur effektiveren Korruptionseindämmung empfohlen. Als
notwendig erachtet wurden auch die Stärkung der Vorbildfunktion der Führung sowie die
aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion vermeintlicher Überversorgung. Auf der
308
Mikroebene liegt der zukünftige Handlungsbedarf vor allem in der vermehrten Aufklärung,
Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung gegenüber der Korruptionsthematik (vor allem
mit Blick auf neu erkannte Korruptionsphänomene wie Überversorgung und „Upcoding“). Dies
stellt – neben der Beseitigung fehlgeleiteter Anreizmechanismen auf der Makroebene –
überhaupt einen der wichtigsten Schlüssel zur nachhaltigen Korruptionseindämmung dar.
Mehrfach genannt wurde auch die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Patienten (Health
Literacy) und der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals (insbesondere von
Medizinern), um deren Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit von Dritten (Leistungserbringern,
Meinungsbildnern, Industrie etc.) und somit deren Korruptionsanfälligkeit zu reduzieren. Der
aufgedeckte Verbesserungs- und Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptionseindämmung
im österreichischen Gesundheitssystem deckt sich größtenteils mit den Empfehlungen, die
auch aus der internationalen und nationalen Literatur (vgl. Kapitel 3.6 und TI-AC 2010, S. 29)
hervorgehen. Allerdings wurden weitaus konkretere bzw. auch neue Vorschläge im Hinblick
auf die Thematik auf nationaler Ebene unterbreitet. Nachfolgende Tabelle (Tabelle 29) liefert
einen detaillierten Überblick über die wichtigsten Studienergebnisse im Hinblick auf den
zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptionseindämmung auf den
unterschiedlichen Systemebenen des österreichischen Gesundheitssystems.
Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen
Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme (unabhängiger Finanzierungstopf, öffentliche Finanzierung etc.)
Strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen (Einführung von Genehmigungspflichten, Nebenbeschäftigungsverbot etc.)
Optimierung des Abrechnungssystems im ambulanten und stationären Bereich (Entwicklung qualitätsorientierter Abrechnungssysteme, Vereinheitlichung unterschiedlicher Honorarordnungen, Neuregelung der Betriebsabgangsdeckung)
Anhebung der Spitalsärztegehälter
Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren • Vermehrte Transparenzschaffung
Verpflichtung zur namentlichen Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte aufgrund persönlicher oder finanzieller Beziehungen
„Transparentere“ Wartelistenregime
Veröffentlichung sämtlicher Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren (insbesondere seitens der österreichischen Ärztekammer)
Veröffentlichung aller Studiendaten sowie Spitalskompass- und Outcome-Daten
Transparente Preisgestaltung bei Arzneimitteln
Angabe der konkreten Diagnose bei Arzneimittelverschreibungen
Regelung der Zusammenarbeit von Wirtschaftsunternehmen und Selbsthilfegruppen, Festsetzung prozentualer Zuwendungsgrenzen
Mak
roe
be
ne
309
• Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Schärfere Sanktionierung von Abrechnungsbetrug
Schärfere Kontrolle und Sanktionierung der Umgehung des Antikorruptionsgesetzes, des Naturalrabatteverbots, des transparenten Wartelistenregimes, der Registrierungspflichten nicht-interventioneller Studien und Lobbying-Tätigkeiten
(Weiter-)Entwicklung und Forcierung geeigneter Monitoringstrukturen im niedergelassenen Bereich (vor allem im Wahlarztbereich)
Einsatz des Mystery Shoppings im Verdachtsfall
Auslagerung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen der Ärztekammer an eine unabhängige Behörde
Ausbau der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft für eine effektivere Verfolgung und Ahndung aufgedeckter Korruptionsfälle
• Erforderliche Änderungen auf juristischer Ebene
Schaffung eines eigenständigen Antikorruptionsgesetzes im Gesundheitssystem
Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang
Verbot jeglicher Zuwendungen an Mediziner
Schaffung eines eigenständigen Whistleblower-Schutzgesetzes
Neuregelung/Einschränkung von Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern
Gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung der Vergabe und Beschaffung von Medizinprodukten und diagnostischen Großgeräten
• Fundamentaler System- und Strukturwandel
Aushebelung des Föderalismus
Angestelltensystem niedergelassener Ärzte
Zusammenlegung unterschiedlicher Finanzierungsströme im Gesundheitssystem („Finanzierung aus einer Hand“) und der Sozialversicherungsträger
• Errichtung einer anonymen Korruptionsmeldestelle und einer weisungsfreien, unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem
• Weitere Verbesserungsvorschläge
Forcierung von Generika
Einrichtung einer zentralen Stelle für die Freigabe gesundheitsbezogener Kampagnen und für die Durchführung des Mystery Shoppings
Mes
oeb
ene
• Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen
Schärfere Kontrolle und Sanktionierung der Umgehung von Verhaltenskodizes und Wartelisten, des Nachgehens unangemessener Nebenbeschäftigungen sowie einer vermeintlichen Überversorgung
• Stärkung der Vorbildfunktion der Führung • Aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion von Überversorgung
Schaffung einheitlicher Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT)
Ersatzlose Streichung bestimmter Gesundheitsleistungen
Mik
roe
be
ne
• Forcierung der öffentlichen Bewusstseinsbildung, Aufklärung und Sensibilisierung
Awareness-Kampagnen, Aufklärungsarbeiten
Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts an Schulen und medizinischen Universitäten
• Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung („Health Literacy“) bzw. der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals
Förderung der gesundheitsbezogenen Ausbildung der Bevölkerung
Förderung der wissenschaftlichen Ausbildung der Health Professionals (Mediziner)
Tabelle 29: Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem
Quelle: Verfasserin
310
Was den zukünftigen Forschungsbedarf in Bezug auf die sechste Forschungsfrage („Wie sieht
der zukünftige Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen
Gesundheitssystem aus?“) betrifft, so deckt sich dieser in vielen Punkten mit der
internationalen Literatur (vgl. Kapitel 2.9 und 3.8). Laut mehrheitlicher Expertenansicht bedarf
es vor allem der Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung bislang gesetzter
Antikorruptionsmaßnahmen (z.B. im Hinblick auf eingeführte Verhaltenskodizes, Compliance-
Management-Systeme). Mehrmals wurden auch die wissenschaftlich fundierte Klärung des
Korruptionsbegriffes und seine Abgrenzung gegenüber verwandteren Konstrukten genannt,
um zumindest auf nationaler Ebene zu einem gesellschaftlich einheitlichen
Begriffsverständnis zu gelangen. Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Begriffsdefinition von
Korruption im Kontext des Gesundheitssystems kann als erster Entwicklungsschritt in diese
Richtung betrachtet werden. Des Weiteren wurde auch mehrfach die quantitative Erhebung
des Korruptionsausmaßes im Gesundheitssystem (einschließlich der Untersuchung des
wahrgenommenen West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälles) als notwendig erachtet, um anhand
realer Zahlen und Daten die Relevanz der Thematik auf nationaler Ebene zu veranschaulichen.
Mehrere Experten schlugen auch die Untersuchung des Ausmaßes von Industriesponsoring
und dessen Einflussnahme auf das Agieren von Health Professionals, Fachgesellschaften und
Selbsthilfegruppen sowie die Erhebung des nationalen Problembewusstseins im Hinblick auf
die Thematik vor. Eine genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen
von Korruption im nationalen Gesundheitssystem wurde ebenfalls empfohlen. Weitere
vereinzelt genannte Forschungsfelder schließen u.a. die Untersuchung des Einflusses
finanzieller Anreizmechanismen auf das Korruptionsverhalten (z.B. Einkünfte aus
Sonderklassehonoraren und Nebenbeschäftigungen), die Erfassung und Darstellung
sämtlicher (höherrangiger) Beziehungsverflechtungen im nationalen Gesundheitssystem
sowie das Monitoring der Performance und der Korruption im niedergelassenen Bereich (vor
allem im Wahlarztbereich) ein.
Was die siebte und letzte Forschungsfrage („Wie sehen die spezifischen potenziellen
ebenenübergreifenden Ursachen-Wirkungszusammenhänge ausgewählter Erscheinungs-
formen von Korruption aus und welcher konkrete zukünftige Handlungsbedarf lässt sich
ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen
ableiten?“) betrifft, so sei an dieser Stelle auf die jeweiligen Tabellen (vgl. Tabelle 23 bis 26) in
311
Kapitel 5.7.8 verwiesen. Angemerkt sei Folgendes: Im Rahmen der ebenenübergreifenden
Untersuchung ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption (Einflussnahme der
(Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner), Umgehung von Wartelisten,
Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen, Überversorgung) hat sich
gezeigt, dass die einzelnen Systemebenen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden
können, da sie in potenzieller Wechselwirkung zueinander stehen. Den Ergebnissen zufolge
wirken insbesondere Maßnahmen, die auf der Makroebene gesetzt werden, auf die unteren
Ebenen ein. Von dort gehen nämlich wesentliche Impulse zur idealen Ausrichtung der
Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem aus, die wiederum Einfluss auf das Verhalten auf
der Meso- und Mikroebene nehmen.
Zusätzlich wurde im Rahmen der geführten Interviews das wahrgenommene Ausmaß von
Korruption erhoben, welches allerdings nicht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses stand
und daher auch keine eigenständige Forschungsfrage darstellte. Dies ist in erster Linie auf die
Schwierigkeit der subjektiven Einschätzung der Korruptionsverbreitung und ihre geringe
Aussagekraft aufgrund des hohen Dunkelfeldes zurückzuführen. Folglich ließen die Aussagen
nur eine grobe Einschätzung des Korruptionsausmaßes in Österreich zu: Die Minorität der
Befragten ging im Ländervergleich von keinem ernsthaften Korruptionsproblem aus bzw. von
einem allmählichen Rückgang dank bisher gesetzter Antikorruptionsbemühungen in den
letzten zehn Jahren. Im Gegensatz dazu schätzte die Majorität der Befragten das Ausmaß mit
dem Hinweis auf bestehende „Schlupflöcher“ und gewisse Graubereiche von Korruption
weitaus höher ein bzw. zwischen 3 % und 10 % der österreichischen Gesundheitsausgaben.
Zudem wurde mehrmals der Verdacht geäußert, dass es in Österreich ein starkes West-Ost-
bzw. Nord-Süd-Gefälle gäbe, d.h., dass die Korruptionsanfälligkeit bzw. das Korruptions-
ausmaß innerstaatlich aufgrund unterschiedlicher kultureller Prägungen variiere. Ausgehend
von dieser Erkenntnis wurde folgende These abgeleitet:
V1 In Österreich besteht im Hinblick auf das innerstaatliche Korruptionsausmaß bzw. die
innerstaatliche Korruptionsanfälligkeit ein starkes West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälle.
312
5.9 Diskussion der Ergebnisse
Im Rahmen der Diskussion der Forschungsergebnisse werden zunächst deren zentralen
Inhalte und anschließend ihre wissenschaftliche und praktische Relevanz diskutiert. Es folgt
eine kritische Reflexion der angewandten Methodik bzw. die Beurteilung der Qualität der
Studie anhand wichtiger Gütekriterien. Abschließend werden einige wichtige Limitationen der
Studie aufgezeigt. Angemerkt sei, dass die diskutierten Punkte hauptsächlich die Meinung der
Autorin widerspiegeln.
Im Zuge der explorativen, qualitativen Untersuchung hat sich gezeigt, dass Korruption im
nationalen Gesundheitssystem nach wie vor ein Thema darstellt, das die Menschen bewegt.
Obwohl von einem wahrgenommenen Korruptionsrückgang im Gesundheitssystem dank
bisher gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen ausgegangen wird, fiel gleichzeitig der Hinweis
auf bestehende „Schlupflöcher“ und neu erkannte Korruptionsphänomene (Überversorgung,
„Upcoding“), bei denen es noch massiv an Transparenz und Problembewusstsein in der
öffentlichen Diskussion mangelt. Unter Einbeziehung aller Graubereiche von Korruption
könnten laut mehrheitlicher Expertenansicht die international geschätzten 3 % bis 10 % der
Gesundheitsausgaben, die jährlich durch Korruption verloren gehen, durchaus in Frage
kommen. Allerdings bleibt das wahre Ausmaß von Korruption aufgrund fehlender Daten und
Zahlen nach wie vor im Verborgenen. Angesichts stetig steigender Gesundheitsausgaben,
zunehmender Ressourcenknappheit und der Frage nach Effektivitäts- und Effizienz-
steigerungspotenzialen im nationalen Gesundheitssystem kann aber davon ausgegangen
werden, dass die Korruptionsproblematik die österreichische Politik und Gesellschaft
zukünftig noch stärker beschäftigen wird. Dabei sollte laut Expertenansicht der zukünftige
Handlungsschwerpunkt vor allem auf die öffentliche Bewusstseinsbildung und die damit
einhergehende Schaffung einer Antikorruptionskultur, die Beseitigung fehlgeleiteter
finanzieller Anreizmechanismen (z.B. Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme,
strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Optimierung des Abrechnungssystems,
Neuregelung der Verteilung und Abrechnung von Sonderklassehonoraren) sowie die
Forcierung von Transparenz und Unabhängigkeit gelegt werden. Damit einhergehen sollten
geeignete Repressionsmaßnahmen (Schließung gesetzlicher Regelungslücken; Verschärfung
der Kontroll- und Sanktionsmechanismen, wofür mitunter auch ein Ausbau der Wirtschafts-
und Korruptionsstaatsanwaltschaft notwendig wäre). Folglich schließt der zukünftige
313
Handlungsbedarf Maßnahmen auf allen drei Ebenen des österreichischen Gesundheits-
systems (Makro-, Meso- und Mikroebene), die in Wechselwirkung zueinander stehen, ein,
wobei insbesondere jene auf der Makro- und Mikroebene fokussiert werden sollten. Bei der
Maßnahmenergreifung sollte besonderes Augenmerk auf all jene Bereiche gerichtet werden,
in denen primäre Interessen (Patientenwohl) mit sekundären Interessen (finanzielle
Interessen) kollidieren bzw. wo sich öffentlicher und privater Bereich kreuzen – somit auf alle
genannten Handlungsfelder (Erscheinungsformen) von Korruption, vor allem aber auf die
Zusammenarbeit zwischen der Industrie und Akteuren des öffentlichen Gesundheitssystems.
Damit sich Entscheidungen seitens Health Professionals, Patienten, wichtigen politischen
Entscheidungsträgern und Non-Profit-Organisationen ausschließlich am Patientenwohl
orientieren und nicht von sekundären Interessen geleitet werden, darf der Pharmaindustrie
als unverzichtbarer Partner im Gesundheitssystem (Forschung und Entwicklung, Herstellung
von Arzneimitteln und medizinischen Großgeräten etc.) zukünftig lediglich eine
unterstützende und keine tragende Rolle (z.B. was die Finanzierung medizinischer Forschung
und Fortbildung betrifft) zukommen. Dabei gilt es, allfällige Schlupflöcher zur Umgehung
vorherrschender Regulative, wie beispielsweise das Outsourcing unethischer
Marketingpraktiken an externe Dienstleister, frühzeitig aufzudecken und zu unterbinden.
Eine wichtige Annahme, die im Kontext der geführten Interviews mehrmals geäußert wurde,
stellt jene dar, dass die Zwei-/Mehrklassenmedizin längst Eingang ins österreichische
Gesundheitssystem gefunden hätte. Angesichts der zunehmenden Anzahl von Wahlärzten
und der Möglichkeit der Umgehung von Wartelisten scheint sich diese Behauptung durchaus
zu bestätigen. Andererseits muss an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass grundsätzlich
niemandem der Zugang zu einer medizinisch notwendigen Leistung in Österreich verwehrt
bleibt. Ein gewisser Rationierungsgrad lässt sich allerdings nicht leugnen, wie sich
beispielsweise aktuell daran erkennen lässt, dass die Kostenübernahme durch die
österreichischen Krankenkassen für die (nachweislich hochwirksame) Behandlung einer
Hepatitis C vom Genotyp 2 oder 3 nach wie vor vom Stadium der Erkrankung abhängig ist. Dies
ist wiederum auf gesundheitsökonomische Überlegungen bzw. die hohen Kosten der
Behandlung (die u.a. öffentlich stark kritisiert werden) und ihre eingeschränkte öffentliche
Finanzierbarkeit zurückzuführen. Weiters manifestiert sich Rationierung auch vielerorts in den
langen Wartezeiten auf diagnostische Tests (MRT, CT), wobei diese auch einer vermeintlichen
314
Überversorgung geschuldet sein können. Inwiefern aktuelle Gegenmaßnahmen, wie die
Aufhebung der Kostendeckelung, langen Wartezeiten zukünftig entgegenwirken werden
können, bleibt abzuwarten. Damit aber Rationierungsmaßnahmen in Anbetracht steigender
Gesundheitsausgaben und knapper werdender Gesundheitsbudgets zukünftig nicht
intensiviert werden müssen, gehört das nationale Gesundheitssystem dringend nach
Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenzialen durchforstet. Vor allem bietet es sich an,
dem Thema Korruption im Gesundheitssystem mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Würde
man nämlich nur einen Teil der geschätzten 1 bis 3,7 Mrd. Euro, die jährlich durch Korruption
verloren gehen, dem öffentlichen Gesundheitssystem zurückführen, könnten solche
Rationierungsmaßnahmen abgewendet bzw. zurückgedrängt werden.
Geschieht zukünftig zu wenig in Richtung einer verbesserten Prozess- und
Ressourcensteuerung, so könnte Österreich auf Dauer die Unterminierung seines
solidarischen Gesundheitssystems drohen. Finanzielle Mittel würden schließlich über die
Lebenserwartung und Lebensqualität der Bevölkerung maßgeblich entscheiden; ein
gerechter, fairer Zugang zur Gesundheitsversorgung wäre quasi nicht mehr gegeben
(Offermanns 2011, S. 64).
5.9.1 Wissenschaftliche und praktische Relevanz
„Korruption im Gesundheitssystem“ stellt in Österreich ein Forschungsthema dar, welches
trotz seiner hohen praktischen Relevanz bislang empirisch kaum untersucht wurde. Dies ist
vor allem der langjährigen Tabuisierung der Thematik geschuldet. Die vorliegende explorative
qualitative Studie zielte daher vorrangig auf die Anforschung des zugrunde liegenden
Forschungsgegenstandes unter Einbeziehung unterschiedlicher Expertensichtweisen und
-perspektiven ab. Dabei konnten neue bzw. vertiefende Erkenntnisse hinsichtlich der
Korruptionsproblematik im nationalen Gesundheitssystem, ihren Erscheinungsformen (vgl.
Tabelle 27), Ursachen und Auswirkungen (vgl. Tabelle 28) einschließlich dem zukünftigen
Handlungsbedarf (vgl. Tabelle 29) generiert werden. Zudem wurde auch der zukünftige
Forschungsbedarf erhoben, wobei vor allem die (Weiter-)Entwicklung bislang gesetzter
Antikorruptionsmaßnahmen und ihre Wirksamkeitsüberprüfung mehrmals geäußert wurden.
Aufgrund dessen, dass eine vergleichbare Untersuchung im österreichischen
Gesundheitssystem noch nicht vorliegt, leistet die durchgeführte Studie als wichtige
315
Voraussetzung für die (Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptions-
maßnahmen und die Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung einen wichtigen
Beitrag zur Korruptionsforschung im nationalen Gesundheitssystem bei. Dabei kann sie als
notwendige Voruntersuchung (zur erstmaligen Erschließung des Forschungsfeldes und
Erfassung der Ausgangssituation) für weiterfolgende Studien und Vergleichsstudien
betrachtet werden. Sofern möglich, sollten zukünftig vor allem quantitative Studien angeregt
werden, um die Ergebnisse (Thesen) der vorliegenden qualitativen Untersuchung zu
bestätigen oder zu widerlegen. An dieser Stelle sei erneut angemerkt, dass die vorliegende
Untersuchung nicht auf die Beschreibung bestimmter Einzelfälle zum Zwecke der
Diskreditierung einzelner Berufsgruppen abgezielt hat. Vielmehr stand eine wertneutrale,
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik im Vordergrund.
Angesichts der großen Tragweite der Problematik – sowohl in gesundheitsökonomischer als
auch in gesellschaftlicher Hinsicht – kann die Eindämmung von Korruption einen wichtigen
Stellhebel zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung bzw. einer verbesserten Prozess- und
Ressourcensteuerung im nationalen Gesundheitssystem darstellen und somit zur langfristigen
Sicherstellung seiner solidarischen Finanzierung beitragen. Schließlich sollen auch künftige
Generationen von einem Gesundheitssystem profitieren, welches sich in erster Linie durch
seinen freien, gerechten Zugang und sein qualitativ hohes Leistungsspektrum auszeichnet. Die
vorliegende Untersuchung trägt somit nicht nur zur Korruptionsforschung im nationalen
Gesundheitssystem bei, sondern birgt auch eine hohe praktische Relevanz. Denn sie liefert
politischen Entscheidungsträgern und Akteuren im Gesundheitssystem neue Impulse und
Ansatzpunkte zur nachhaltigen Korruptionsprävention und -eindämmung sowie zur
Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Allerdings reichen Wissen und Wille
nicht aus: Worten müssen auch Taten folgen.
„Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden.
Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“
(Johann Wolfgang von Goethe)
316
5.9.2 Methodische Reflexion/Gütekriterien
Für die Beurteilung der Qualität der vorliegenden qualitativen Untersuchung wurden keine
klassischen Gütekriterien quantitativer Forschung (Validität, Reliabilität, Objektivität)
herangezogen, da deren Anwendung auf qualitative Studien in der Methodenliteratur häufig
kritisiert wird. Stattdessen wurde auf die empfohlenen, eigens entwickelten Gütekriterien für
qualitative Forschung zurückgegriffen. Dabei wurden sowohl allgemeine als auch spezifische
inhaltsanalytische Gütekriterien (Mayring 2016, S. 140ff.) angewendet, wobei nicht zu allen
gültige Aussagen getroffen werden konnten. Im Hinblick auf die allgemeinen Gütekriterien in
Anlehnung an Mayring – Verfahrensdokumentation, Regelgeleitetheit, Argumentative
Interpretationsabsicherung, Kommunikative Validierung, Nähe zum Gegenstand,
Triangulation (Mayring 2016, S. 144ff.) – fällt die Beurteilung der Studie wie folgt aus:
Verfahrensdokumentation
Ein wichtiges Gütekriterium qualitativer Forschung stellt die Verfahrensdokumentation
zur Sicherstellung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit dar (Mayring 2016, S. 144f.).
Diesem Gütekriterium wurde in der vorliegenden qualitativen Studie insofern Rechnung
getragen, als die genaue methodische Vorgehensweise im Forschungsprozess – von der
Auswahl des Forschungsdesigns (Kapitel 5.3) über die Datenerhebung (Kapitel 5.4) und
Datenaufbereitung (Kapitel 5.5) bis hin zur Datenauswertung (Kapitel 5.6) – im Detail
dokumentiert und begründet wurde. Somit sind der Forschungsprozess und die
Forschungsergebnisse intersubjektiv nachvollziehbar.
Regelgeleitetheit
Damit qualitative Forschung in der Wissenschaftsszene ernst genommen wird, darf sie
weder willkürlich noch unsystematisch erfolgen (Mayring 2016, S. 145f.). Im vorliegenden
Fall richtete sich der Forschungsprozess nach bestimmten aufgestellten Verfahrensregeln
und wurde systematisch durchgeführt. Das systematische Vorgehen zeigt sich
insbesondere darin, dass der gesamte Forschungsprozess in mehrere Einzelschritte zerlegt
wurde, welche schrittweise bearbeitet wurden (vgl. Kapitel 5.3). Insbesondere stellt die
Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse als systematisches, regel- und
theoriegeleitetes Verfahren (vgl. Kapitel 5.6) die Berücksichtigung des Gütekriteriums der
„Regelgeleitetheit“ sicher.
317
Argumentative Interpretationsabsicherung
Um die Qualität von Interpretationen einschätzen zu können, dürfen diese nicht einfach
gesetzt, sondern müssen argumentativ begründet werden. Entscheidend dabei ist, dass
die Deutungen sinnvoll theoriegleitet werden, was wiederum ein adäquates
Vorverständnis voraussetzt (Mayring 2016, S. 145). In der zugrunde liegenden
Untersuchung erfolgte die Interpretation des Datenmaterials unter argumentativer
Begründung (Aussagen der Interviewten wurden mit der bislang vorliegenden Literatur
verglichen) und ist durch die Offenlegung der einzelnen methodischen Schritte, des
Kategoriensystems und der Originalzitate aus den transkribierten Interviews intersubjektiv
überprüfbar.
Kommunikative Validierung
Indem die Forschungsergebnisse den Probanden vorgelegt und gemeinsam mit ihnen
diskutiert werden, kann deren Interpretation und Gültigkeit nochmals überprüft werden
(Mayring 2016, S. 147). Aus zeitlichen Gründen musste in der vorliegenden Arbeit darauf
verzichtet werden. Allerdings wurden während der Interviews immer wieder Rück- und
Verständnisfragen gestellt und das Geäußerte paraphrasiert, um die kommunikativen
Inhalte abzugleichen und Falschinterpretationen zu vermeiden.
Im Hinblick auf die seitens Mayring vorgeschlagenen spezifischen inhaltsanalytischen
Gütekriterien nach Krippendorff (Krippendorf 1980, zitiert nach Mayring 2015, S. 126), die
mehrere Validitätskriterien im engeren Sinne (Semantische Gültigkeit, Stichprobengültigkeit,
Korrelative Gültigkeit, Vorhersagegültigkeit, Konstruktgültigkeit) und Reliabilitätskriterien
(Stabilität, Reproduzierbarkeit, Exaktheit) einschließen, fällt die Einschätzung der Studie wie
folgt aus:
Semantische Gültigkeit
Die Semantische Gültigkeit, die sich auf die „Richtigkeit der Bedeutungsrekonstruktion des
Materials“ bezieht und sich in der „Angemessenheit der Kategoriendefinitionen“
(Definitionen, Codierregeln) widerspiegelt, konnte durch einfache „Checks“ teilweise
sichergestellt werden. Dabei wurden alle innerhalb einer Kategorie zugewiesenen
Textstellen mit dem Konstrukt der Kategorie und auch untereinander auf Homogenität
verglichen (Mayring 2015, S. 126). Mangels Expertenurteilen konnte die Semantische
Gültigkeit aber nicht gänzlich nachgewiesen werden.
318
Stichprobengültigkeit
Um die Stichprobengültigkeit („Qualität der Stichprobe“) zu bestimmen, verweist Mayring
(2015, S. 126) auf die üblichen Kriterien exakter Stichprobenziehung. In der vorliegenden
Arbeit erfolgte die Stichprobenziehung bewusst und sorgfältig nach zuvor festgelegten
Kriterien mit dem Ziel der Generierung einer heterogenen Stichprobe, um eine breite
Sichtweise auf die Thematik zu erhalten und die inhaltliche Repräsentativität
sicherzustellen. Gefundene Gemeinsamkeiten in den Aussagen der aus unterschiedlichen
Feldern des Gesundheitssystems stammenden Probanden lassen auf eine gewisse
Generalisierbarkeit schließen. Damit scheint die Stichprobengültigkeit im Verständnis der
qualitativen Forschung als gegeben. Dagegen spricht allerdings – wie in vielen anderen
qualitativen Forschungsarbeiten auch – der geringe Stichprobenumfang, der allerdings auf
die beschränkte Verfügbarkeit repräsentativer Experten zurückführbar ist.
Stabilität (Intracoderreliabilität)
Die Stabilität der Analyse (Intracoderreliabilität) lässt sich überprüfen, indem das
Analyseinstrument nochmals auf das Material angewendet wird (Mayring 2015, S. 127). In
der zugrunde liegenden Untersuchung wurde das Gütekriterium der „Stabilität“ durch die
erneute Durchcodierung bzw. die nochmalige Anwendung des Analyseinstrumentes auf
das Material und den anschließenden Abgleich der Analyseergebnisse aus den
verschiedenen Durchgängen sichergestellt.
Reproduzierbarkeit (Intercoderreliabilität)
Unter der Reproduzierbarkeit versteht man den Grad, in dem die Codierungen
verschiedener Personen übereinstimmen (Mayring 2015, S. 127f.). Das zugrunde liegende
Datenmaterial wurde durch einen weiteren unabhängigen Experten ausschnittsweise
analysiert und die Ergebnisse anschließend miteinander verglichen. Die vielen
Übereinstimmungen lassen auf die Objektivität des Verfahrens schließen; etwaige Codier-
Unstimmigkeiten wurden solange kritisch diskutiert und interpretiert bis eine Einigung
erzielt werden konnte.
319
5.9.3 Limitationen
Wenngleich die vorliegende explorative qualitative Untersuchung neue bzw. vertiefende
Einblicke in die Korruptionsthematik auf Ebene des Gesundheitssystems liefert, unterliegt sie
einigen Limitationen, die es nachfolgend darzulegen gilt. Zum einen beschränkt sich die
empirische Analyse rein auf den Untersuchungsort Österreich unter Einbeziehung nationaler
Gesundheits- und Antikorruptionsexperten und enthält auch keine große Stichprobengröße,
wodurch eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Länder schwierig erscheint. Zum
anderen wurden die vorliegenden Studienergebnisse rein mittels Experteninterviews
erhoben. Somit basieren viele von den Experten getätigte Äußerungen nicht nur auf
objektiven Wissensbeständen, sondern spiegeln mitunter auch subjektive Meinungen,
Wahrnehmungen und Erfahrungen wider, weshalb sie nur bedingt (über gefundene
Gemeinsamkeiten in den Aussagen) generalisierbar sind. Zudem wurden aus dem Kreis der
Health Professionals ausschließlich Mediziner befragt. Zukünftig wäre es ratsam, auch die
Meinung anderer Health Professionals (Pflegepersonal, Radiologen etc.) zu erfassen, um eine
noch breitere Sichtweise auf die Thematik zu erhalten. Dadurch könnten evtl. neue, bislang
verborgen gebliebene Einfallstore, Ursachen und Auswirkungen von Korruption aufgedeckt
werden. Obwohl die Intra- und Intercoderreliabilität während der Auswertungsphase
sichergestellt werden konnten, können etwaige Ergebnisverzerrungen bzw.
Interpretationsfehler nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Ferner beschränkt sich die
empirische Analyse auf ein Querschnittsdesign und beinhaltet somit nur eine
Erhebungsphase.
320
6 Zusammenfassung und Ausblick
„Die Monetik darf niemals die Überhand über die Ethik im Gesundheitswesen gewinnen.“ (Guido Offermanns)
Die vorliegende Dissertation liefert erstmalig einen umfassenden Einblick aus theoretischer
und empirischer Sicht in den Forschungsgegenstand „Korruption im österreichischen
Gesundheitssystem“. Dabei zielte die Arbeit primär darauf ab, neue bzw. vertiefende
empirische Erkenntnisse hinsichtlich den Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen
von Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene)
des österreichischen Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang
gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen
Korruptionsprävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen aufzudecken. Dem
empirischen Teil der Arbeit ging eine umfassende theoretische Aufarbeitung zur Erhebung der
IST-Situation und des aktuellen Forschungsstandes zu Korruption auf internationaler und
nationaler Ebene – mit besonderer Schwerpunktsetzung auf das Gesundheitssystem – voraus.
Dies stellte eine notwendige Voraussetzung für das (Folge-)Verständnis (mit Blick auf zentrale
Begrifflichkeiten, wissenschaftliche Erklärungsansätze, spezifische Messinstrumente,
internationale und nationale rechtliche Lage etc.) im weiteren Verlauf der Arbeit dar und
diente letztlich als wichtige Ausgangsbasis für die anschließende empirische Untersuchung zur
Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen (vgl. Tabelle 10) mit Blick auf das primäre
Forschungsinteresse.
Nach dem einleitenden ersten Kapitel zeigte sich im zweiten Kapitel, dass Korruption ein
weltweit verbreitetes, komplexes Phänomen darstellt, das unterschiedliche Formen
(Bestechung, Vorteilszuwendung, Veruntreuung, Betrug, Erpressung, Kollusion, Favoritismus
etc.) annehmen kann und dabei keinen gesellschaftlichen Bereich (Wirtschaft, Politik,
Gesundheits- und Bildungswesen etc.) auslässt. Laut aktuellen Schätzungen des
Internationalen Währungsfonds soll sich der weltweite volkswirtschaftliche Schaden durch
Korruption im Jahr 2015 auf 1,5 bis zwei Billionen USD belaufen haben (IMF 2016, S. 5).
Aufgrund der großen Relevanz der Thematik wurde die Korruptionsbekämpfung Anfang der
90er-Jahre auf die politische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler Organisationen
(UN, OECD, Europarat, Transparency International u.a.) gesetzt und fand zeitgleich auch
321
Eingang in die internationale Forschung (Shleifer & Vishny 1993; Klitgaard 1988; Mauro 1995,
1996, 1998; Rose-Ackerman 1996, 1999; Treisman 2000; Wei 2000; Zurawicki & Habib 2002,
2010). Das Phänomen wurde nicht nur seitens der Ökonomie, sondern auch seitens anderer
wissenschaftlicher Disziplinen (Psychologie, Soziologie, Politik, Kriminologie, Geschichts- und
Rechtswissenschaften u.a.) aufgegriffen und erforscht, weshalb auch unterschiedliche
wissenschaftliche Erklärungsansätze vorliegen (Grieger 2012, S. 4ff.). Dabei stellt Korruption
aus vielerlei Hinsicht (Heimlichkeitsdelikt bzw. hohe Dunkelziffer, fehlende global einheitliche
Korruptionsdefinition, fehlende umfassende Korruptionstheorie, kultur- und kontext-
spezifisches Phänomen) keinen einfachen Untersuchungsgegenstand dar (Kliche & Thiel 2011,
S. 412f.). Trotzdem ist es der Wissenschaft gelungen, Korruption insbesondere mittels
quantitativer Erhebungsmethoden (Stakeholderbefragungen, Kompositindizes, Deliktregister,
Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben, Labor-/Feldexperimente etc.), aber
auch mittels qualitativer (Interviews, Fallstudien, Beobachtungen etc.) empirisch zu
untersuchen. Mittlerweile liegen zahlreiche empirische Studien zu den Ursachen und
Auswirkungen von Korruption vor; erstere stellen letztlich eine wichtige Ausgangsbasis für die
Ableitung von Antikorruptionsmaßnahmen dar. Hingegen kann die Datenlage zu der
Verbreitung von Korruption als vergleichsweise dürr eingestuft werden. Unzuverlässige oder
fehlende Messindikatoren gelten hierfür als Hauptursache, worin auch der zukünftige
Forschungsbedarf besteht. Gleiches gilt für die Erhebung der Effektivität und Effizienz bislang
gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen (Europäische Kommission 2007, S. 571). Die
theoretischen und wissenschaftlichen Grundlagen des zweiten Kapitels bildeten eine wichtige
Ausgangsbasis für das nachfolgende dritte Kapitel, in dem der inhaltliche Schwerpunkt auf den
Gesundheitssektor gelegt wurde.
Alsbald zeigte sich im dritten Kapitel, dass der Gesundheitssektor aufgrund seiner
Besonderheiten (enormer Geldmittelfluss, Ungewissheit, Informationsasymmetrien,
Komplexität, Drittzahlerkonstruktion) einen besonders anfälligen Bereich für Korruption
darstellt (Savedoff & Hussmann 2006, S. 4ff.; Kiesl 2010, S. 12; Petkov & Cohen 2016, S. 3).
Dies bekräftigen nicht zuletzt jüngste Erhebungen auf europäischer und internationaler Ebene
(Europäische Kommission 2013; Hardoon & Heinrich 2013; Europäische Kommission 2014;
Pring 2016). Mögliche Korruptionsformen in diesem Sektor schließen u.a. Bestechungs- und
Kickbackzahlungen, informelle Zahlungen („Kuvertmedizin“), Abrechnungsbetrug, Kollusion,
322
Favoritismus, Absentismus, Diebstahl von Arzneimitteln/Medizinprodukten, Veruntreuung
öffentlicher Gesundheitsbudgets, Versicherungsbetrug, Wissenschaftsbetrug und unethische
Marketingpraktiken ein (Vian 2008, S. 85; Europäische Kommission 2013; S. 47ff.; Petkov &
Cohen 2016, S. 4ff.; Nair et al. 2017, S. 16ff.). Internationale Experten schätzen, dass weltweit
zwischen 3 % und 10 % der Gesundheitsbudgets (im Durchschnitt zwischen 5 % und 6 %) durch
Korruption verloren gehen (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee & Button 2015, S. 12;
LSE 2017a, S. 557). Dies kann sich letztlich negativ auf die Finanzierung des gesamten Systems
auswirken, den freien Zugang zur Gesundheitsversorgung unterminieren und schließlich mit
negativen Folgewirkungen auf die Qualität und den Outcome von Gesundheitsleistungen
einhergehen. Internationale Studien bestätigen, dass sich Korruption negativ auf die
Gesundheit und den Wohlstand der Bevölkerung auszuwirken vermag (Anstieg der Kinder-,
Säuglings- und Müttersterblichkeitsraten, Reduktion der Immunisierungsraten und Lebens-
erwartung, Verlängerung der Wartezeiten etc.) (Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005; Lewis
2006; Hanf et al. 2011; Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016). Gesundheitliche
Ungleichheit zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen, ein
Armutsanstieg sowie ein Vertrauensverlust in das öffentliche Gesundheitssystem sind die
unmittelbaren Folgen (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische Kommission 2013, S. 29; Petkov &
Cohen 2016, S. 3). Angesichts ihrer großen Tragweite und darin verborgener beträchtlicher
Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenziale rückte die Bekämpfung von Korruption im
Gesundheitssystem in den letzten zehn bis 15 Jahren zunehmend auf die
gesundheitspolitische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler Organisationen
(Weltbank, WHO, UNDP, EHFCN, TI etc.). Zeitgleich fand sie auch Eingang in die internationale
Forschung. Mittlerweile liegen einige internationale Studien zu den Erscheinungsformen,
Ursachen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem samt Empfehlungen zu
ihrer wirksamen Bekämpfung vor (Ensor 2004; TI 2006; Vian 2008; Barr et al. 2009; Kohler et
al. 2011; Bussmann 2012; Europäische Kommission 2013; Nikoloski & Mossialos 2013). An
dieser Stelle sei auf den theoretischen Bezugsrahmen zur Bekämpfung von Korruption im
Gesundheitssystem (vgl. Abbildung 5) mit seinen vier Handlungsfeldern (Bewusstseins-
schaffung, Prävention, Kontrolle/Detektion, Strafverfolgung/Sanktionen) verwiesen. Wie im
zweiten Kapitel zeigte sich auch im Hinblick auf die Korruptionsthematik im Gesundheits-
system, dass der zukünftige Forschungsbedarf vor allem in der (Weiter-) Entwicklung von
Messinstrumenten zur besseren Quantifizierung dieses Phänomens sowie in der (Weiter-)
323
Entwicklung und Evaluierung der Wirksamkeit von Antikorruptionsmaßnahmen liegt (Mackey
et al. 2016, S. 3; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19).
Ausgehend von den bisherigen erworbenen theoretischen Erkenntnissen wurde im vierten
Kapitel die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem, das
Schwerpunktthema der vorliegenden Dissertation, fokussiert. Hierfür wurde das
österreichische Gesundheitssystem zuerst im Hinblick auf zentrale Systemparameter
(Organisation, Steuerung, Finanzierung, zentrale Kennzahlen) und unter Einbeziehung des
Konzeptes der ebenenübergreifenden Systemsteuerung kurz beschrieben. Anschließend
wurde der zukünftige Verbesserungs- und Handlungsbedarf aufgezeigt. Dabei zeigte sich, dass
das nationale Gesundheitssystem trotz hoher Gesundheitsausgaben lediglich
durchschnittliche Leistungsergebnisse im internationalen Vergleich erzielt und auch langsam
an seine finanziellen Grenzen stößt, weshalb es vermehrt nach Effektivitäts- und
Effizienzsteigerungspotenzialen durchforstet gehört. Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde
auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem als potenzieller Stellhebel für
eine verbesserte Prozess- und Ressourcensteuerung angesichts des international geschätzten
enormen Einsparpotenzials (3-10 % der Gesundheitsbudgets = 1 bis 3,7 Mrd. Euro der
österreichischen Gesundheitsausgaben) näher eingegangen. Nach der erforderlichen
Aufarbeitung der korruptionsrelevanten rechtlichen Lage in Österreich und bislang gesetzter
Antikorruptionsmaßnahmen im nationalen Gesundheitssystem, die vor allem seitens
Transparency International – Austrian Chapter angeregt worden sind und in der vorliegenden
Arbeit in den theoretischen Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im
Gesundheitssystem eingebettet wurden (vgl. Abbildung 6), wurde alsbald klar, dass der
Thematik hierzulande noch vergleichsweise zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies
lässt sich nicht zuletzt an der spärlichen Anzahl vorhandener empirischer Studien –
insbesondere zum Ausmaß, den spezifischen Erscheinungsformen, Ursachen und
Auswirkungen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem – erkennen. Solche Daten
stellen aber eine notwendige Voraussetzung für die (Weiter-)Entwicklung effektiver und
effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die Optimierung der öffentlichen
Gesundheitsversorgung dar (TI-AC 2010, S. 5; Sickinger 2011, S. 194; Gruber et al. 2013, S. 131;
LSE 2017a, S. 42). Weiters bleibt auch die Frage im Hinblick auf die Effektivität und Effizienz
bislang gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen und -bemühungen bisweilen ungeklärt (Gruber
324
et al. 2013, S. 131). Der mangelnde Grundlagen- und Forschungsstand ist nicht zuletzt auf eine
nach wie vor österreichweit fehlende professionelle bzw. universitäre Forschungs- und
Ausbildungseinrichtung mit besonderer Schwerpunktsetzung auf die Thematik zurückführbar
(Rupp 2011, S. 91f.).
Auf Basis der insgesamt erworbenen theoretischen Erkenntnisse und des identifizierten
nationalen Forschungsbedarfs wendete sich das fünfte Kapitel dem empirischen Teil der
Dissertation zur Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen (vgl. Tabelle 10) mit Blick
auf das primäre Erkenntnisinteresse (Forschungsziel) zu. Im Zuge dessen wurde auch das
wahrgenommene Ausmaß von Korruption im nationalen Gesundheitssystem erhoben,
welches allerdings aufgrund der geringen Aussagekraft einer solchen subjektiven
Einschätzung nicht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses stand bzw. keine eigenständige
Forschungsfrage darstellte. Bei der empirischen Untersuchung handelte es sich um eine
explorative qualitative Studie, die sich auf die Durchführung und Auswertung von
Experteninterviews (n = 18) mit ausgewählten Gesundheits- und Antikorruptionsexperten aus
dem österreichischen Gesundheitssystem (darunter u.a. Vertreter von Transparency
International, der Gebietskrankenkassen, des Krankenanstaltenwesens sowie der ärztlichen
Selbstverwaltung (Ärztekammer), Gesundheitspolitiker, aktiv tätige Health Professionals
(Mediziner), Gesundheitsökonomen, Patientenanwälte, Pharmazeuten und
Gesundheitsjournalisten) stützte. Den Experteninterviews lag ein halbstrukturierter
Interviewleitfaden zugrunde, ihre Auswertung erfolgte mittels computerunterstützter
qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring. Eine vergleichbare Untersuchung liegt
österreichweit bislang nicht vor. Ihre Ergebnisse weisen klar daraufhin hin, dass Korruption im
nationalen Gesundheitssystem nach wie vor ein Thema darstellt. Dabei kann Korruption im
nationalen Gesundheitssystem aus Expertensicht und in Anlehnung an vorherrschende
Definitionen als die „sachfremde Beeinflussung von Entscheidungen und Handlungen, die im
Interesse des öffentlichen Gesundheitssystems stehen, zum Vorteil einer Person oder
Organisation, jedoch zulasten unbeteiligter Dritter (u.a. Patienten, Health Professionals) bzw.
der Allgemeinheit (u.a. Steuerzahler, Versicherungsgemeinschaft)“ definiert werden (vgl.
Forschungsfrage 1). Zwar ging die Minorität der Befragten von einem allmählichen Rückgang
von Korruption im nationalen Gesundheitssystem dank bislang gesetzter
Antikorruptionsmaßnahmen aus, allerdings schätzte die Majorität der Befragten das Ausmaß
325
mit dem Hinweis auf bestehende „Schlupflöcher“ und Graubereiche von Korruption bzw. neu
erkannte Korruptionsphänomene (z.B. Überversorgung, „Upcoding“) weitaus höher ein bzw.
zwischen 3 % und 10 % der österreichischen Gesundheitsausgaben. Insgesamt konnten acht
Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem (vgl. Tabelle 27)
aufgezeigt werden (vgl. Forschungsfrage 2). Die höchste Korruptionsanfälligkeit wurde in der
Zusammenarbeit der (pharmazeutischen) Industrie mit Health Professionals geortet
(Einflussnahme auf Forschung, Weiterbildung und Verschreibungspraxis von Medizinern).
Eine besonders hohe Korruptionsanfälligkeit wurde auch in der Vergabe von Terminen für
elektive Operationen und diagnostische Tests (Umgehung von Wartelisten), in der
öffentlichen Beschaffung, in (höherrangigen) Beziehungsverflechtungen und daraus
resultierenden Interessenkonflikten (Favoritismus, Drehtürkorruption u.a.), in der
Überversorgung sowie in der Leistungsabrechnung („Upcoding“, Abrechnung medizinisch
überflüssig erbrachter Leistungen) geortet. Dabei wurden in der Überversorgung
(Überdiagnostik, Übertherapie, Krankheitserfindung) sowie in der Leistungsabrechnung
(„Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen) „neu erkannte“
Korruptionsphänomene identifiziert, die allerdings bislang vielerorts nicht als solche erkannt
werden. Im Rahmen der geführten Interviews konnten mehrere Ursachen und Auswirkungen
von Korruption auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen Gesundheits-
systems (vgl. Tabelle 28) eruiert werden (vgl. Forschungsfrage 3 und 4). Die Hauptursache von
Korruption wurde mehrheitlich auf der Makroebene geortet, von der wesentliche Impulse zur
Ausrichtung des Gesundheitssystems ausgehen und die wiederum Einfluss auf die Meso- und
Mikroebene nimmt. Eine der wichtigsten Erkenntnisse im Zuge der erhobenen Auswirkungen
von Korruption bezieht sich auf die mehrmals geäußerte Annahme, dass die Zwei-
/Mehrklassenmedizin bereits Eingang ins österreichische Gesundheitssystem gefunden hätte.
Angesichts der zunehmenden Anzahl von Wahlärzten und der Möglichkeit der Umgehung von
Wartelisten scheint sich diese Behauptung durchaus zu bestätigen, wobei gleichzeitig betont
werden muss, dass grundsätzlich niemandem der Zugang zu einer medizinisch notwendigen
Leistung in Österreich verwehrt bleibt (mit Ausnahme einiger bislang gesetzter
Rationierungsmaßnahmen). Im Hinblick auf die fünfte und zentrale Forschungsfrage – dem
zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen Bekämpfung von Korruption im nationalen
Gesundheitssystem – lieferte die empirische Untersuchung folgende Ergebnisse: Trotz bislang
gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen besteht auf allen drei Ebenen des Gesundheitssystems
326
– insbesondere auf der Makro- und Mikroebene – noch genügend Handlungsbedarf (vgl.
Tabelle 29). Dabei liegen die wichtigsten Stellhebel zur nachhaltigen Korruptionseindämmung
laut Expertenansicht in der Beseitigung fehlgeleiteter, finanzieller Anreizmechanismen
(Einrichtung unabhängiger Finanzierungssysteme – vor allem im Bereich der medizinischen
Forschung und Fortbildung –, strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Optimierung
des Abrechnungssystems, Anhebung der Spitalsärztegehälter, Neuregelung der Verteilung
und Abrechnung von Sonderklassehonoraren) sowie in der vermehrten Aufklärung,
Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung gegenüber der Korruptionsthematik. Weitere
vielfach genannte Handlungsfelder umfassen die vermehrte Transparenzschaffung (u.a.
Verpflichtung zur namentlichen Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte aufgrund
persönlicher oder finanzieller Beziehungen, „transparentere“ Wartelistenregime,
Veröffentlichung sämtlicher Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren, Veröffentlichung
aller Studien- und Spitalskompass- und Outcome-Daten) sowie die Verschärfung von Kontroll-
und Sanktionsmechanismen (vor allem im Hinblick auf bislang gesetzte
Antikorruptionsmaßnahmen). Mitunter wurden auch die (Weiter-)Entwicklung geeigneter
Monitoringstrukturen im niedergelassenen Bereich sowie der Ausbau der Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft zur effektiveren Verfolgung und Ahndung aufgedeckter
Korruptionsfälle im nationalen Gesundheitssystem als notwendig erachtet. Änderungen auf
juristischer Ebene könnten ebenfalls für den Erfolg zukünftiger Antikorruptionsbemühungen
ausschlaggebend sein (u.a. Schaffung eines eigenständigen Antikorruptionsgesetzes im
Gesundheitssystem, Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang, Verbot jeglicher
Zuwendungen an Mediziner, Neuregelung und teilweise Einschränkung von
Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern, Schaffung eines eigenständigen
Whistleblower-Schutzgesetzes). Darüber hinaus könnte auch die Forcierung der
Gesundheitskompetenz der Patienten (Health Literacy) sowie der wissenschaftlichen
Kompetenz von Health Professionals (insbesondere von Medizinern) dabei helfen, deren
Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit von Dritten (Leistungserbringern, Meinungsbildnern,
Industrie etc.) und somit deren Korruptionsanfälligkeit zu reduzieren. Ferner wurde auch die
Errichtung einer eigenen anonymen Korruptionsmelde- und Antikorruptionsstelle im
Gesundheitssystem zur Prävention und Kontrolle, die bereits vor zehn Jahren seitens
Transparency International – Austrian Chapter empfohlen wurde, vorgeschlagen. Was den
zukünftigen Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen
327
Gesundheitssystem (vgl. Forschungsfrage 6) betrifft, so bedarf es laut mehrheitlicher
Expertensicht vor allem der Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung bislang
gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen (z.B. im Hinblick auf eingeführte Verhaltenskodizes,
Compliance-Management-Systeme). Mehrfach genannt wurden auch die wissenschaftlich
fundierte Klärung des Korruptionsbegriffes, die quantitative Erhebung des
Korruptionsausmaßes im nationalen Gesundheitssystem, die Untersuchung des Ausmaßes
von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das Agieren von Health Professionals,
Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen sowie die Erhebung des nationalen
Problembewusstseins im Hinblick auf die Thematik. Eine genauere Erforschung und
Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem
wurde ebenfalls empfohlen. Auf Basis der vorliegenden Forschungsergebnisse wurden
anschließend mehrere Thesen theoriegestützt abgeleitet (vgl. Kapitel 5.7 und 5.8).
Basierend auf dem Konzept der ebenenübergreifenden Systemsteuerung wurden
abschließend zur Beantwortung der siebten und letzten Forschungsfrage die Ursachen und
Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der Makro-, Meso- und
Mikroebene des nationalen Gesundheitssystems auf ihre potenziellen Wechselwirkungen hin
untersucht und ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen der
zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen abgeleitet (vgl. Tabelle 23 bis 26).
Dabei zeigte sich, dass die einzelnen Systemebenen nicht unabhängig voneinander betrachtet
werden können, da sie in potenzieller Wechselwirkung zueinander stehen. Den Ergebnissen
zufolge wirken insbesondere Maßnahmen, die auf der Makroebene gesetzt werden, auf die
unteren Ebenen ein. Von dort gehen nämlich wesentliche Impulse zur idealen Ausrichtung der
Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem aus, die wiederum Einfluss auf das Verhalten auf
der Meso- und Mikroebene nehmen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Korruptionsthematik im nationalen
Gesundheitssystem die österreichische Politik und Gesellschaft zukünftig noch stärker
beschäftigen wird. Angesichts steigender Gesundheitsausgaben und zunehmender
Ressourcenknappheit sieht man sich mit dem steigenden Druck konfrontiert, das heimische
Gesundheitssystem verstärkt nach Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenzialen zu
durchforsten, damit bislang gesetzte Rationierungsmaßnahmen zukünftig nicht verschärft
328
werden müssen. Dabei kann vor allem die Eindämmung von Korruption in Anbetracht ihres
geschätzten Einsparpotenzials (1 bis 3,7 Mrd. Euro) einen wichtigen Stellhebel zur
Verbesserung der Prozess- und Ressourcensteuerung im nationalen Gesundheitssystem und
zur Sicherstellung seiner solidarischen Finanzierung darstellen. Im Rahmen der empirischen
Untersuchung wurden wichtige Impulse bzw. Ansatzpunkte für die zukünftige Entwicklung in
diese Richtung geliefert. Was jetzt noch fehlt, ist ein starker Wille zur Veränderung (vor allem
seitens politischer Entscheidungsträger), dem auch Taten folgen müssen. Demnach kann die
vorliegende Arbeit als ein Plädoyer für die nachhaltige Korruptionseindämmung im
österreichischen Gesundheitssystem betrachtet werden, damit der zunehmende Handel mit
Gesundheit vor dem Hintergrund des Einzuges der sich bereits abzeichnenden Zwei-
/Mehrklassenmedizin und der damit einhergehenden Gefährdung der gesundheitlichen
Grundversorgung der Bevölkerung zurückgedrängt werden kann. Um auch langfristig einen
fairen, gerechten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung auf
nationaler Ebene sicherzustellen, darf die Monetik niemals die Überhand über die Ethik im
Gesundheitswesen gewinnen. Im Kampf gegen Korruption im nationalen Gesundheitssystem
sollte die Wissenschaft stets ein konstruktiver und kritischer Begleiter sein.
329
Literaturverzeichnis
Abbink, K. (2006). Laboratory experiments on corruption. In: Rose-Ackerman, S. (Hrsg.), International handbook on the economics of corruption (S. 418-437). Cheltenham: Edward Elgar.
Aboulenein, F. (2016). Die Pharma-Falle – Wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren. Wien: edition a. Ades, A. & Di Tella, R. (1996). The causes and consequences of corruption: A review of recent empirical
contributions. IDS Bulletin, 27 (2), 6-11. Ades, A. & Di Tella, R. (1999). Rents, competition, and corruption. The American Economic Review, 89 (4),
982-993. Ahn, R., Woodbridge, A., Abraham, A., Saba, S., Korenstein, D., Madden, E., Boscardin, J. W. & Keyhani, S. (2017).
Financial ties of principal investigators and randomized controlled trial outcomes: Cross sectional study. British Medical Journal, 356 (i6770), 1-9.
Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50 (2),
179-211. ÄK OÖ - Ärztekammer Oberösterreich (2013). Wissen objektiv. Förderungsbedingungen. URL:
http://www.aekooe.at/documents/3466767/3544521/KurzInfo+unabh%C3%A4ngige+Weiterbildung/1e0fc33d-d277-4fad-b5c1-cadd40c22133?version=1.2&t=1410242928000. (29.12.2016)
ÄK Tirol - Ärztekammer Tirol (2013). Ärztliche Nebentätigkeit. Mitteilungen der Ärztekammer für Tirol, 01, 18-19. Aldrich, N. & Crowder, J. (2015). Medicare fraud is 3 to 10 percent of expenditures. The Sentinel. URL:
https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:SmKeqjFfM6sJ:https://www.smpresource.org/Handler.ashx%3FItem_ID%3DC43FBCF5-1EEF-4ED8-8020-D2900B93303A+&cd=1&hl=en&ct=clnk&gl=at. (22.05.2017)
Alexeev, M. & Song, Y. (2013). Corruption and product market competition: An empirical investigation. Journal
of Development Economics, 103, 154-166. Amara, N. (2013). Schwarzes Schaf im weißen Kittel? In: Kurier, 28.04.2013. URL:
http://kurier.at/chronik/wien/betrugsverdacht-schwarzes-schaf-im-weissen-kittel/10.753.268/print. (13.08.2016)
Amelung, V. E., Mühlbacher, A. & Krauth, C. (o.J.). Stichwort: Über-, Unter- und Fehlversorgung. In: Springer
Gabler Verlag (Hrsg.), Gabler Wirtschaftslexikon (online im Internet). URL: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/17916/ueber-unter-und-fehlversorgung-v7.html. (08.03.2017).
Anderson, C. J. & Tverdova, Y. V. (2003). Corruption, political allegiances, and attitudes toward government in
contemporary democracies. American Journal of Political Science, 47 (1), 91-109. Andersson, S. & Heywood, P. M. (2009). The politics of perception: Use and abuse of Transparency International’s
approach to measuring corruption. Political Studies, 57 (4), 746-767. Andvig, J. C., Fjeldstad, O.-H., Amundsen, I., Sissener, T. & Søreide, T. (2000). Research on corruption. A policy
oriented survey. Final report. Chr. Michelsen Institute (CMI) & Norwegian Institute of International Affairs (NUPI). URL: http://www.icgg.org/downloads/contribution07_andvig.pdf. (08.08.2016)
APA – Austria Presse Agentur (2016). 34 Ärzte in Kärnten unter Betrugsverdacht. In: Kurier, 26.08.2016. URL:
https://kurier.at/chronik/oesterreich/34-aerzte-in-kaernten-unter-betrugsverdacht/217.840.371. (19.07.2017)
330
APA – Austria Presse Agentur (2017a). Forschungsgelder-Betrug. Teilbedingte Haft für Grazer Arzt. In: Die Presse, 29.06.2017. URL: http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5243686/ForschungsgelderBetrug_Teilbedingte-Haft-fuer-Grazer-Arzt. (19.07.2017)
APA – Austria Presse Agentur (2017b). Hepatitis C: Leberentzündung ausradieren. In: Der Standard, 05.05.2017.
URL: http://Der Standard/2000057025318/Hepatitis-C-Leberentzuendung-ausradieren. (08.05.2017) APA – Austria Presse Agentur (2017c). Rabmer-Koller pocht auf Reform der Sozialversicherung. In: Der Standard,
22.03.2017. URL: https://Der Standard/2000054630465/Rabmer-Koller-pocht-auf-Reform-der-Sozialversicherung. (03.08.2017)
Argandoña, A. (2005). Corruption and companies: The use of facilitating payments. Journal of Business Ethics, 60
(3), 251-264. ARGE Selbsthilfe Österreich (2011). Grundsätze für die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen. URL:
http://www.selbsthilfe-oesterreich.at/fileadmin/upload/doc/Zusammenarbeit_Wirtschaft.pdf. (20.12.2016)
Armantier, O. & Boly, A. (2008). Can corruption be studied in the lab? Comparing a field and a lab experiment.
URL: http://www.afdb.org/fileadmin/uploads/afdb/Documents/Knowledge/30754246-EN-3.1.3-BOLY-CAN-CORRUPTION-BE-STUDIED-IN-THE-LAB-BOLY-AUGUST-08.PDF. (12.08.2016)
Ashforth, B. E. & Anand, V. (2003). The normalization of corruption in organizations. Research in Organizational
Behavior, 25, 1–52. Ashforth, B. E., Gioia, D. A., Robinson, S. L. & Trevino, L. (2008). Introduction to special topic forum: Re-viewing
organizational corruption. Academy of Management Review, 33 (3), 670–684. ASI – Advertising Specialty Institute (2008). Advertising specialties impressions study. A cost analysis of
promotional products versus other advertising media. URL: http://www.goldnerassociates.com/ASI_Impressions_Study.pdf. (30.03.2017)
Asthana, A. N. (2012). Decentralization and corruption revisited evidence from a natural experiment. Public
Administration and Development, 32 (1), 27-37. Atteslander, P. (2000). Methoden der empirischen Sozialforschung (9. Aufl.). Berlin: Walter de Gruyter. Azfar, O. & Gurgur, T. (2005). Does corruption affect health and education outcomes in the Philippines?
Economics of Governance, 9 (3), 197-244. Azfar, O. & Nelson Jr, W. R. (2007). Transparency, wages, and the separation of powers: An experimental analysis
of corruption. Public Choice, 130 (3-4), 471-493. Azfar, O., Lee, Y. & Swamy, A. (2001). The causes and consequences of corruption. Annals of the American
Academy of Political and Social Science, 573 (1), 42-56. Bachner, F., Bobek, J., Habimana, K., Ladurner, J. & Ostermann, H. (2015). Das österreichische Gesundheitswesen
im internationalen Vergleich (4. Ausg.). Wien: Gesundheit Österreich GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit.
Bader, F., von Maravic, P, Peters, B. G. & Tauch, M. (2013). Corruption, method choice, and constraints –
Exploring methodological pluralism in corruption research. Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, 7 (3), 13-32.
Bai, J., Jayachandran, S., Malesky, E. J., & Olken, B. A. (2013). Does economic growth reduce corruption? Theory
and evidence from Vietnam. National Bureau of Economic Research, Working Paper No. 19483.
331
Bandura, A. (1971). Social learning theory. New York City: General Learning Press. Barr, A., Lindelow, M. & Serneels, P. (2009). Corruption in public service delivery: An experimental analysis.
Journal of Economic Behavior & Organization, 72 (1), 225-239. BASG – Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (2014). Wissenschaftlicher Leitfaden zur Durchführung
von nicht-interventionellen Studien (NIS) in Österreich. URL: http://www.basg.gv.at/fileadmin/_migrated/flexform_uploads/L_I212_Leitfaden_NIS_AT.pdf. (19.12.2016)
Beck, L. & Nagel, V. (2012). Korruption aus ökonomischer Perspektive. In: Graeff, P. & Grieger, J. (Hrsg.), Was ist
Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 31-39). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Becker, G. S. (1968). Crime and punishment. An economic approach. Journal of Political Economy, 76 (2), 169-
217. Beek, J. (2008). Friend of the police – Polizei in Nord-Ghana (Upper West Region). Arbeitspapier Nr. 93, Institut
für Ethnologie und Afrikastudien, Johannes Gutenberg Universität Mainz. URL: https://publications.ub.uni-mainz.de/opus/volltexte/2008/1798/pdf/1798.pdf. (29.07.2016)
Berger, J. & Bayer, F. (2015). Krankenversicherung: Zwischen Über- und Unterversorgung. In: Der Standard,
02.09.2015. URL: http://Der Standard/2000020735136/Krankenversicherung-Zwischen-Ueber-und-Unterversorgung. (02.11.2016)
Berry, C. M., Sackett, P. R. & Wiemann, S. (2007). A review of recent developments in integrity test research.
Personnel Psychology, 60 (2), 271-301. Beyer, J., Frewer, A., Kingreen, D., Meran, J. G. & Neubauer, A. (2003). Kooperation statt Korruption. Wege zu
verantwortlicher Zusammenarbeit zwischen Medizin und Industrie. Der Onkologe, 12, 1355-1361. Bhagwati, J. (1982). Directly unproductive, profit-seeking (DUP) activities. Journal of Political Economy, 90 (5),
988-1002. Bhattacharyya, S. & Hodler, R. (2010). Natural resources, democracy and corruption. European Economic Review,
54 (4), 608-621. Bhattacharyya, S. & Hodler, R. (2015). Media freedom and democracy in the fight against corruption. European
Journal of Political Economy, 39, 13-24. Bienert, G. (2013). Compliance im Pharma-Marketing. Pharma-Logistik-Brief, 9. Blackburn, K., Bose, N. & Haque, M. E. (2008). Endogenous corruption in economic development. Journal of
Economic Studies, 37 (1), 4-25. Blickle, G., Schlegel, A., Fassbender, P. & Klein, U. (2006). Some personality correlates of business white-collar
crime. Applied Psychology: An International Review, 55 (2), 220–233. BMG – Bundesministerium für Gesundheit (2013). Das österreichische Gesundheitssystem. Zahlen – Daten –
Fakten (akt. Aufl.). URL: http://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/3/4/4/CH1066/CMS1291414949078/gesundheitssystem-zahlen-daten-2013.pdf. (16.12.2016)
BMG – Bundesministerium für Gesundheit (2015a). Stellungnahme der Bundesministerin für Gesundheit, Dr.
Sabine Oberhauser, zu der schriftlichen Anfrage (4391/J) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein und weiterer Abgeordneter betreffend „Missbrauch von E-Cards“ am 21.05.2015. URL: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_04200/imfname_417216.pdf. (17.10.2016)
332
BMG – Bundesministerium für Gesundheit (2015b). Austrian Inpatient Indicators (A-IQI). Organisationshandbuch. Organisationsablauf und Systembeschreibung. URL: http://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/7/5/0/CH1367/CMS1385999778812/a-iqi_organisationshandbuch.pdf. (09.01.2017)
BMGF – Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (2014). Die Gesundheitsreform 2013. URL:
http://www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Gesundheitsreform/Die_Gesundheitsreform_2013 (24.01.2017) BMGF – Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (2016). Das Gesundheitswesen im Überblick. URL:
https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitssystem/gesundheitswesen/gesundheitssystem. (24.01.2017) BMGF – Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (2017a). Gesundheitsziele Österreich. Richtungsweisende
Vorschläge für ein gesünderes Österreich – Kurzfassung. URL: https://gesundheitsziele-oesterreich.at/website2017/wp-content/uploads/2017/06/gz_kurzfassung_de_20170626.pdf. (17.07.2017)
BMGF – Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (2017b). Rechtsgrundlagen der Zielsteuerung-Gesundheit
ab 2017. Informationen zur Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, zur Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG Zielsteuerung-Gesundheit sowie zum Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2017. URL: https://www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Gesundheitsreform/_nbsp_Rechtsgrundlagen_der_Zielsteuerung-Gesundheit_ab_2017. (27.08.2017)
BMGF – Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (2017c). Qualitätskontrolle in den Arztpraxen. URL:
https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitssystem/leistungen/arztbesuch/qualitaetskontrolle-arztpraxen. (27.08.2017)
BMJ – Bundesministerium für Justiz (2012). Korruptionsstrafrecht NEU. Fibel zum
Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz 2012. URL: https://www.justiz.gv.at/web2013/file/2c948485398b9b2a013c6764c78f2bfb.de.0/korrstraeg_fibel_webversion.pdf. (01.07.2016)
BMJ – Bundesministerium für Justiz (2017). Handbuch zur Kronzeugenregelung §§ 209a, 209b StPO in der Fassung
des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes II 2016. URL: https://www.justiz.gv.at/web2013/file/2c94848a580590360159b1ae791f03c9.de.0/handbuch_zur_kronzeugenregelung.pdf. (21.05.2017)
Bogner, A., Littig, B. & Menz, W. (2014). Interviews mit Experten – Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden:
Springer VS. Borchardt, A. & Göthlich, S. E. (2009). Erkenntnisgewinnung durch Fallstudien. In: Albers, S., Klapper, D., Konradt,
U., Walter, A. & Wolf, J. (Hrsg.), Methodik der empirischen Forschung (3. Aufl., S. 33-48). Wiesbaden: Gabler Verlag.
Bortz, J. & Döring, N. (2006). Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler (4.
überarb. Aufl.). Heidelberg: Springer-Verlag. Bowman, M.A. & Pearl, D. L. (1988). Changes in drug prescribing patterns related to commercial company funding
of continuing medical education. Journal of Continuing Education in the Health Professions, 8 (1), 13-20. Braun, S. (2014). Der ärztliche Abrechnungsbetrug. Zeitschrift für das Juristische Studium, 1, 35-40. Brett, A. S., Burr, W. & Moloo, J. (2003). Are gifts from pharmaceutical companies ethically problematic? A survey
of physicians. Archives of Internal Medicine, 163, 2213-2218. Brunetti, A. & Weder, B. (2003). A free press is bad news for corruption. Journal of Public Economics, 87 (7-8),
1801-1824.
333
Bussmann, K.-D. (2012). Unzulässige Zusammenarbeit im Gesundheitswesen durch “Zuweisung gegen Entgelt”. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse einer empirischen Studie im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes. Economy & Crime Research Center, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Butt, S. (2011). Anti-corruption reform in Indonesia: An obituary? Bulletin of Indonesian Economic Studies, 47 (3),
381-394. BVA – Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (2016). LIVE Leistungsinformation 2014. URL:
http://www.bva.at/portal27/bvaportal/content/contentWindow?viewmode=content&contentid=10007.732380. (29.12.2016)
Cameron, L., Chaudhuri, A., Erkal, N. & Gangadharan, L. (2005). Do attitudes towards corruption differ across
cultures? Experimental evidence from Australia, India, Indonesia and Singapore. Research Paper No. 943, Department of Economics, University of Melbourne.
Campbell, J.-L. & Göritz, A. S. (2014). Culture corrupts! A qualitative study of organizational culture in corrupt
organizations. Journal of Business Ethics, 120 (3), 291-311. Campos, N. F., Dimova, R. & Saleh, A. (2010). Whither Corruption? A quantitative survey of the literature on
corruption and growth. IZA Discussion Paper No. 5334, Institute for the Study of Labor (IZA). Castro, M. F., Guccio, C. & Rizzo, I. (2014). An assessment of the waste effects of corruption on infrastructure
provision. International Tax and Public Finance, 21 (4), 813-843. Chattopadhyay, S. (2013). Corruption in healthcare and medicine. Indian Journal of Medical Ethics, 10 (3), 153-
159. Chereches, R. M., Ungureanu, M. I., Sandu, P. & Rus, I. A. (2013). Defining informal payments in healthcare: A
systematic review. Health Policy, 110 (2-3), 105-114. Cohen, J. C., Mrazek, M. F. & Hawkins, L. (2007). Corruption and pharmaceuticals: Strengthening good
governance to improve access. In: Campos, J. E. & Pradhan, S. (Hrsg.), The many faces of corruption (S. 29-62). Washington, D.C.: The World Bank.
Correctiv (2016). Euros für Ärzte - Österreich. URL: https://correctiv.org/recherchen/euros-fuer-
aerzte/datenbank/at/. (15.07.2017) Czypionka, T., Kraus, M. & Röhrling, G. (2008). Messung von Effizienz und Qualität im Spitalswesen –
Internationale Aspekte. Endbericht. Wien: Institut für Höhere Studien. URL: http://irihs.ihs.ac.at/1834/1/esd2008.pdf. (28.08.2017)
Czypionka, T., Kraus, M. & Röhrling, G. (2013). Wartezeiten auf Elektivoperationen – Neues zur Frage der
Transparenz? Health System Watch, II, 1-16. Czypionka, T., Kraus, M., Riedel, M. & Röhrling, G. (2007). Warten auf Elektivoperationen in Österreich: eine Frage
der Transparenz. Health System Watch, IV, 1-16. Dana, J. (2009). How psychological research can inform policies for dealing with conflicts of interest in medicine.
In: Lo, B. & Field, M. J. (Hrsg.), Conflict of interest in medical research, education, and practice (S. 358-374). Washington, D.C.: The National Academy Press.
de Vaus, D. (2001). Research design in social research. London: Sage. DeCelles, K.A., DeRue, D.S., Margolis, J.D., & Ceranic, T.L. (2012). Does power corrupt or enable? When and why
power facilitates self-interested behavior. The Journal of Applied Psychology, 97 (3), 681-689. Dell´Anno, R. & Teobaldelli, D. (2015). Keeping both corruption and the shadow economy in check: The role of
decentralization. International Tax and Public Finance, 22 (1), 1-40.
334
Deutscher Bundestag (2010). Illegale Abrechnungspraktiken im Gesundheitswesen. Wissenschaftliche Dienste, 9 – 3000-173/10. URL: https://www.bundestag.de/blob/408462/ad684213ad608ced0ee2135f6358889b/wd-9-173-10-pdf-data.pdf. (10.03.2017)
Deutscher Bundestag (2016). Strafrechtliche und außerstrafrechtliche Regelungen zur Bekämpfung von
Korruption im Gesundheitswesen in Österreich und der Schweiz. Wissenschaftliche Dienste, 9-3000-014/15. URL: https://www.bundestag.de/blob/410032/f815cb9bd3a50eb2b902ddd515c6c910/wd-9-014-15-pdf-data.pdf. (03.08.2017)
Die Presse Verlags-Gesellschaft m.b.H. Co KG (2017). Deckelung wird aufgehoben: Aus für Wartezeiten auf CT
und MRT. In: Die Presse, 29.03.2017. URL: http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5191957/Deckelung-wird-aufgehoben_Aus-fuer-Wartezeiten-auf-CT-und-MRT. (03.08.2017)
Dieleman, J. L. et al. – Global Burden of Disease Health Financing Collaborator Network (2017). Future and potential spending on health 2015–40: Development assistance for health, and government, prepaid private, and out-of-pocket health spending in 184 countries. Lancet, 389 (10083), 2005-2030.
Dieners, P. & Lembeck, U. (2010). Compliance-Management in der betrieblichen Praxis. In: Dieners, P. (Hrsg.),
Handbuch Compliance im Gesundheitswesen: Kooperation von Ärzten, Industrie und Patienten (S. 123-154). München: Verlag C.H. Beck.
Dimant, E. (2013). The nature of corruption: An interdisciplinary perspective. Discussion Paper No. 2013-59, Kiel
Institute for the World Economy. Dimant, E. & Tosato, G. (2016). Causes and effects of corruption: What has past decade’s empirical research
taught us? A survey. Working Paper, University of Pennsylvania. Dimant, E., Krieger, T. & Meierrieks, D. (2013). The effect on corruption on migration, 1985-2000. Applied
Economics Letters, 20 (13), 1270-1274. DiRienzo, C. E., Das, J., Cort, K. T. & Burbridge Jr., J. (2007). Corruption and the role of information. Journal of
International Business Studies, 38 (2), 320-332. Djankov, S., La Porta, R., Lopez-de-Silanes, F. & Shleifer, A. (2002). The regulation of entry. Quarterly Journal of
Economics, 117 (1), 1-37. Dreher, A. & Schneider, F. (2010). Corruption and the shadow economy: An empirical analysis. Public Choice, 144
(1-2), 215-238. Eder-Rieder, M. (2014). Strafrechtliche und strafprozessuale Aspekte der neuen Korruptionsbestimmungen im
österreichischen Strafrecht. Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, 2, 71-88. EFPIA – European Federation of Pharmaceutical Industries (2016). About the EFPIA Disclosure Code. URL:
https://www.efpia.eu/media/25046/efpia_about_disclosure_code_march-2016.pdf. (21.12.2016) EHFCN – European Healthcare Fraud and Corruption Network (2017). Who we are. URL:
http://www.ehfcn.org/who-we-are/. (29.08.2017) Ehlers, A. P. F. & Graßl, S. (2014). Korruption im Gesundheitswesen - letzter Ausweg Strafgesetzbuch? In:
Repschläger, U., Schulte, C. & Osterkamp, N. (Hrsg.), Gesundheitswesen aktuell 2014. Beiträge und Analysen (S. 198-216). BARMER GEK.
Ensor, T. (2004). Informal payments for health care in transition economies. Social Science & Medicine, 58 (2),
237-246. Enste, D. H. & Heldman, C. (2017). Causes and consequences of corruption. An overview of empirical results. IW-
Report 2/2017, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln.
335
Europäische Kommission (2007). Studie zur Korruption innerhalb des staatlichen Bereichs der EU-Mitgliedstaaten. Abschlussbericht. URL: https://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Wissen/Studie%20zur%20Korruption%20innerhalb%20des%20staatlichen%20Bereichs%20der%20EU-Mitgliedsstaaten.pdf. (06.07.2017)
Europäische Kommission (2009). Einstellung des Europäers gegenüber Korruption. Eurobarometer Spezial 325.
Brüssel. URL: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_325_de.pdf. (02.02.2017) Europäische Kommission (2012). Corruption. Special Eurobarometer 374. URL:
http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_374_en.pdf. (05.02.2017) Europäische Kommission (2013). Study on corruption in the healthcare sector. URL:
https://www.stt.lt/documents/soc_tyrimai/20131219_study_on_corruption_in_the_healthcare_sector_en.pdf. (06.07.2017)
Europäische Kommission (2014). Corruption. Special Eurobarometer 397. URL:
http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_397_en.pdf. (05.02.2017) Factor, R. & Kang, M. (2015). Corruption and population health outcomes: An analysis of data from 133 countries
using structural equation modeling. International Journal of Public Health, 60 (6), 633-641. Festinger, L. (1978). Theorie der kognitiven Dissonanz. Bern, Stuttgart, Wien: Verlag Hans Huber. Fischer, K. (2016). Transparenz. In: Fundraising Akademie (Hrsg.), Fundraising. Handbuch für Grundlagen,
Strategien und Methoden (5. Aufl., S. 232-238). Wiesbaden: Springer Gabler. Fisman, R. & Gatti, R. (2002). Decentralization and corruption: Evidence across countries. Journal of Public
Economics, 83 (3), 325-345. Fisman, R. & Svensson, J. (2007). Are corruption and taxation really harmful to growth? Firm level evidence.
Journal of Development Economics, 83 (1), 63-75. Fleck, C. & Kuzmics, H. (1985). Korruption. Zur Soziologie nicht immer abweichenden Verhaltens. Königstein:
Athenäum Verlag. Frank, B. & Schulze, G. (2000). Does economics make citizens corrupt? Journal of Economic Behavior and
Organization, 43 (1), 101-113. Frank, B. & Schulze, G. (2003). Deterrence versus intrinsic motivation: Experimental evidence on the
determinants of corruptibility. Economics of Governance, 4 (2), 143-160. Frank, B., Lambsdorff, J. G. & Boehm, F. (2011). Gender and corruption: Lessons from laboratory corruption
experiments. The European Journal of Development Research, 23 (1), 59-71. Fried, A. (2005). Korruption und Betrug im Gesundheitswesen. Österreichische Krankenhauszeitung, 46 (07-08),
5-9. Frost, A. G. & Rafilson, F. M. (1989). Overt integrity tests versus personality-based measures of delinquency: An
empirical comparison. Journal of Business and Psychology, 3 (3), 269–277. Gaal, P., Belli, P. C., McKee, M. & Szócska, M. (2006). Informal payments for health care: Definitions, distinctions,
and dilemmas. Journal of Health Politics, Policy and Law, 31 (2), 251–293. Gaitonde, R., Oxman, A. D., Okebukola, P. O. & Rada, G. (2016). Interventions to reduce corruption in the health
sector (review). Cochrane Database of Systematic Reviews, 8 (CD008856), 1-75. Ganzger, G., Klein, A. & Vock, L. (2015). Was tun gegen Korruption im Gesundheitswesen? Ärzte Krone, 12,
10-11.
336
Gartlehner, G. (2016). Wie Geld Mediziner beeinflusst. In: Der Standard, 22.04.2016. URL: http://Der Standard/2000034938360/Wie-Geld-Mediziner-beeinflusst. (19.07.2017)
Gartner, G. & Hametner, M. (2017). 81 Prozent nicht nachvollziehbar. Wille zur Transparenz bei Pharmageldern
mangelhaft. In: Der Standard, 12.07.2017. URL: http://Der Standard/2000061149359/81-Prozent-nicht-nachvollziehbar-Wille-zur-Transparenz-bei-Pharmageldern-mangelhaft. (03.08.2017)
Gast, G. (2017). Entwurf für ein neues Bundesvergabegesetz 2017. URL: http://www.chg.at/en/entwurf-fuer-ein-
neues-bundesvergabegesetz-2017/. (14.07.2017) Gebhard, J. (2013). Ärztin droht Berufsverbot. In: Kurier, 05.11.2013. URL: http://kurier.at/chronik/wien/aerztin-
droht-berufsverbot/34.232.779. (05.08.2016) Gee, J. & Button, M. (2015). The financial cost of healthcare fraud 2015. What data from around the world shows.
URL: http://www.port.ac.uk/media/contacts-and-departments/icjs/ccfs/The-Financial-Cost-of-Healthcare-Fraud-Report-2015.pdf. (06.07.2017)
Geiblinger, E. (2008). Die Koalition gegen Korruption. In: Fellmann, I. & Klug, F. (Hrsg.), Vademecum der
Korruptionsbekämpfung (S. 63-66). Linz: IKW – Kommunale Forschung in Österreich. Geiger, D. (2016). Korruption. In: Schmola, G. & Rapp, B. (Hrsg.), Compliance, Governance und Risikomanagement
im Krankenhaus. Rechtliche Anforderungen – Praktische Umsetzung – Nachhaltige Organisation (S. 59-102). Wiesbaden: Springer Gabler.
Gepart, C. (2009). Das Korruptionsstrafrecht im Kurzüberblick. Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, 50
(4), 11. Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen (2016). In: BGBl Jahrgang 2016 Teil I Nr. 25. URL:
http://www.dkgev.de/media/file/23975.Anlage_Gesetz_zur_Bekaempfung_von_Korruption_im_Gesundheitswesen.pdf. (10.07.2017)
Giuliano, A. R., Palefsky, J. M., Goldstone, S., Moreira, E. D., Penny, M. E., Aranda, C., Vardas, E., Moi, H., Jessen,
H., Hillman, R., Chang, Y. H., Ferris, D., Rouleau, D., Bryan, J., Marshall, J. B., Vuocolo, S., Barr, E., Radley, D., Haupt, R.M. & Guris, D. (2011). Efficacy of quadrivalent HPV vaccine against HPV infection and disease in males. The New England Journal of Medicine, 364 (5), 401-411.
Glaeser, E. L. & Saks, R. E. (2006). Corruption in America. Journal of Public Economics, 90 (6), 1053-1072. Glaeske, G. (2010). Vertuschen, Verschweigen, Verzerren: Gesunde Geschäfte mit Bitteren Pillen. In: Labek, A. &
Weidenholzer, J. (Hrsg.), (IN)Transparenz - Ein-Blick in das Gesundheitswesen (S. 9-11). Gesundheitswissenschaften Dokumente, 24. Linz: OÖGKK, JKU.
Glaser, B. G. & Strauss, A. L. (2010). Grounded theory. Strategien qualitativer Forschung (3. Aufl.). Bern: Huber
Verlag. Gläser, J. & Laudel, G. (2006). Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrument rekonstruierender
Untersuchungen (2. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Goel, R. K. & Nelson, M. A. (2010). Causes of corruption: History, geography and government. Journal of Policy
Modeling, 32 (4), 433-447. GÖG – Gesundheit Österreich GmbH (2017). Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen. URL:
https://goeg.at/BIQG. (26.08.2017) Graeff, P. (2012). Begriffsverwendungen und Korruptionsverständnisse in der Forschung: Ein Vergleich von
Definitionen und Ansätzen. In: Graeff, P. & Grieger, J. (Hrsg.), Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 209-230). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
337
Graeff, P. & Dombois, R. (2012). Soziologische Zugänge zur Korruptionsproblematik. In: Graeff, P. & Grieger, J. (Hrsg.), Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 135-152). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Grandt, D. (2013). Fehlverhalten im Gesundheitswesen. In: Repschläger, U., Schulte, C. & Osterkamp, N. (Hrsg.),
Gesundheitswesen aktuell 2013. Beiträge und Analysen (S. 100-123). BARMER GEK. Granovetter, M. (2004). The social construction of corruption. Paper prepared for the conference, “The Norms,
Beliefs and Institutions of 21st Century Capitalism: Celebrating the 100th Anniversary of Max Weber’s The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism”, October 8-9th, Cornell University. URL: http://fsi-media.stanford.edu/evnts/4117/The_Social_Construction_of_Corruption_Oct04.pdf. (06.07.2017)
GRECO – Group of States against Corruption (2016). Dritte Evaluierungsrunde. Zweiter Umsetzungsbericht zu
Österreich. “Kriminalisierung (CETS 173 and 191, GPC 2)“, “Transparenz der Parteienfinanzierung”. URL: http://archiv.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=64094. (26.06.2017)
Gregor-Patera, N., Schader, M. & Wild, C. (2016). Nicht-Interventionelle Studien (NIS) in Österreich. Systematische
Analyse. Rapid Assessment Nr. 7c. Wien: Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment. Grieger, J. (2012). Einleitung: Korruption, Korruptionsbegriffe und Korruptionsforschung. In: Graeff, P. & Grieger,
J. (Hrsg.), Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 3-12). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Grimm, M. (2013). Korruption im stationären Bereich. Gestaltungsmöglichkeiten im Spannungsfeld von Klinik,
Forschung, Pharmasponsoring und Korruptionsstrafrecht. In: Pfeil, W. & Prantner, M. (Hrsg.), Sozialbetrug und Korruption im Gesundheitswesen (S. 87-115). Wien: MANZ Verlag.
Grochowski Jones, R. & Ornstein, C. (2016). Matching industry payments to medicare prescribing patterns: An
analysis. URL: https://static.propublica.org/projects/d4d/20160317-matching-industry-payments.pdf?22 (09.02.2017)
Gruber, V., Keck, W. & Labek, A. (2013). Sachfremde Einflüsse und Korruption aus Perspektive der
Sozialversicherung. In: Pfeil, W. & Prantner, M. (Hrsg.), Sozialbetrug und Korruption im Gesundheitswesen (S. 117-147). Wien: MANZ Verlag.
Gupta, S., Davoodi, H. & Alonso-Terme, R. (2002). Does corruption affect income inequality and poverty?
Economics of Governance, 3 (1), 23-45. Gupta, S., Davoodi, H. & Tiongson, E. (2000). Corruption and the provision of health care and education services.
IMF Working Paper No. 00/116. Washington, D.C.: International Monetary Fund. Gupta, S., Mello, L. & Sharan, R. (2001). Corruption and military spending. European Journal of Political Economy,
17 (4), 749-777. GWW – Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft e.V. (2017). Werbeartikel-Wirkungsstudie 2017.
Durchgeführt von DIMA Marktforschung im Auftrag des GWW. URL: http://gww-newsweek.de/wp-content/uploads/2017/02/WA-Wirkungsstudie-2017.pdf. (30.03.2017)
Gyimah-Brempong, K. & de Camacho S. M. (2006). Corruption, growth, and income distribution: Are there
regional differences? Economics of Governance, 7 (3), 245-269. Haag, A.-C. (2012). Der UK Bribery Act (UKBA) im Vergleich mit dem amerikanischen Foreign Corrupt Practices
Act (FCPA). Recklinghäuser Beiträge zu Recht und Wirtschaft, 13, 1-32. Habib, M. & Zurawicki, L. (2002). Corruption and foreign direct investment. Journal of International Business
Studies, 33 (2), 291-307.
338
Habibov, N. (2016). Effect of corruption on healthcare satisfaction in post-soviet nations: A cross-country instrumental variable analysis of twelve countries. Social Science & Medicine, 152, 119-124.
Hanf, M., Van-Melle, A., Fraisse, F., Roger, A., Carme, B. & Nacher, M. (2011). Corruption kills: Estimating the
global impact of corruption on children deaths. PLoS ONE, 6 (11), 1-7. Hardoon, D. & Heinrich, F. (2011). Bribe Payers Index. Transparency International. URL:
http://files.transparency.org/content/download/98/395/2011_BPI_EN.pdf. (19.07.2017) Hardoon, D. & Heinrich, F. (2013). Global Corruption Barometer. Transparency International. URL:
http://files.transparency.org/content/download/604/2549/file/2013_GlobalCorruptionBarometer_EN.pdf. (14.07.2016)
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag. Heidenheimer, A. J. (1970). Political Corruption. Readings in Comparative Analysis. New York: Holt, Rinehart and
Winston. Heidenheimer, A. J. (1989). Perspectives on the perception of corruption. In: Heidenheimer, A. J., Johnston, M.
& Le Vine, V. T. (Hrsg.), Political corruption. A handbook (S. 855-869). New Brunswick: Transaction Publishers. Heimann, F., Dell, G. & Bathory, G. (2013). UN Convention against Corruption. Progress report 2013. Berlin:
Transparency International. Heimann, F., Földes, Á & Coles, S. (2015). Exporting corruption. Progress report 2015: Assessing enforcement of
the OECD Convention on Combatting Foreign Bribery. Berlin: Transparency International. Herxheimer, A. (2003). Relationships between the pharmaceutical industry and patients’ organisations. British
Medical Journal, 326, 1208-1210. Hintringer, K. (2010). Drittmittelfinanzierung im Gesundheitswesen. Gesundheitswissenschaften Paper, 30. Linz:
OÖGKK. Hintringer, K. (2011). Drittmittelfinanzierung im Gesundheitswesen. Das Österreichische Gesundheitswesen –
ÖKZ, 52 (08-09), 17-19. Hofmarcher, M. M. (2013). Das österreichische Gesundheitssystem. Akteure, Daten, Analysen. Wien, Berlin: MWV
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Internet-Version für das Bundesministerium für Gesundheit). URL: https://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/0/6/3/CH1066/CMS1379591881907/oe_gesundheitssystem.pdf. (07.07.2017)
Homans, G. C. (1968). Social behavior: Its elementary forms. London: Routledge & Kegan Paul. Huntington, S. P. (1968). Political Order in Changing Societies. New Haven, London: Yale University Press. Hussmann, K. (2010). Addressing corruption in the health sector. A DFID practice paper. URL:
https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/67659/How-to-Note-corruption-health.pdf. (15.03.2017)
HVSV – Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (2015). Ethik-Verhaltenskodex. URL:
http://www.hauptverband.at/portal27/portal/hvbportal/content/contentWindow?contentid=10008.619217&action=b&cacheability=PAGE&version=1430740593. (07.07.2017)
339
HVSV – Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (2016a). Amtliche Verlautbarung (Verlautbarung Nr.: 61/2016) der österreichischen Sozialversicherung im Internet. Richtlinien für die Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung von Kontrollen im Vertragspartnerbereich gemäß § 31 Abs. 5 Z 12 ASVG (RLVPK). URL: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Avsv/AVSV_2016_0061/AVSV_2016_0061.pdfsig. (31.08.2017)
HVSV – Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (2016b). Sozialversicherung beschließt
Richtlinie gegen Sozialmissbrauch. URL: http://www.hauptverband.at/portal27/hvbportal/content/contentWindow?viewmode=content&contentid=10007.767439. (29.12.2016)
IHSP – Institute for Health and Socio-Economic Policy (2016). The R&D smokescreen. The prioritization of
marketing & sales in the pharmaceutical industry. Ver. 1.1. URL: http://nurses.3cdn.net/e74ab9a3e937fe5646_afm6bh0u9.pdf. (05.07.2017)
IMF - International Monetary Fund (2016). Corruption: Costs and mitigating strategies. IMF Staff Discussion Note
16/05. Washington, D.C.: International Monetary Fund. Jain, A. K. (2001). Corruption: A review. Journal of Economic Surveys, 15 (1), 71-121. James, H. S. (2002). When is a bribe a bribe? Teaching a workable definition of bribery. Teaching Business Ethics,
6 (2), 199-217. Jansen, S. A. (2005). Elemente „positiver” und “dynamischer” Theorien der Korruption – Multidisziplinäre
Provokationen zur Form der Korruption. In: Jansen, S. A. & Priddat, B. P. (Hrsg.), Korruption. Unaufgeklärter Kapitalismus – Multidisziplinäre Perspektiven zu Funktionen und Folgen der Korruption (S. 11-42). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Johnson, N. D., LaFountain C. L. & Yamarik, S. (2011). Corruption is bad for growth (even in the United States).
Public Choice, 147 (3-4), 377-393. Justesen, M. K. & Bjørnskov, C. (2014). Exploiting the poor: Bureaucratic corruption and poverty in Africa. World
Development, 58, 106-115. Kääriäinen, J. T. (2007). Trust in the police in 16 European countries. A multilevel analysis. European Journal of
Criminology, 4 (4), 409-435. Kaiser, R. (2014). Qualitative Experteninterviews. Konzeptionelle Grundlagen und praktische Durchführung.
Wiesbaden: Springer VS. Katz, H. P., Goldfinger, S. E. & Fletcher, S. W. (2002). Academia-industry collaboration in continuing medical
education: Description of two approaches. Journal of Continuing Education in the Health Professions, 22 (1), 43-54.
Kaufmann, D. & Wei, S. J. (1999). Does ”grease money“ speed up the wheels of commerce? Working Paper No.
7093. Cambridge, MA: National Bureau of Economic Research. Kern-Homolka, I. (2011). Interessenkonflikte und Abrechnungsirrtum. Das österreichische Gesundheitswesen –
ÖKZ, 52 (10), 17-18. Kern-Homolka, I. (2013). Verzerrte Entscheidungen. Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, 54 (5), 13-15. Kern-Homolka, I. & Labek, A. (2012). Interessenkonflikte. Gesundheitswissenschaften Dokument. Linz: OÖGKK,
Referat für Gesundheitsstrategie und Wissenschaftskooperation. Kern-Homolka, I. Labek, A. & Said, H. (2011). Dimensionen der Intransparenz und Beeinflussung im
Gesundheitswesen ausleuchten. Gesundheitswissenschaften Paper, 32. Linz: OÖGKK.
340
Khemani, S. (2004). Local Government Accountability for Service Delivery in Nigeria. Development Research Group. Washington, D. C.: World Bank.
Kickbusch, I., Maag, D. & Saan, H. (2005). Enabling healthy choices in modern health societies. Paper for the
European Health Forum Bad Gastein. URL: http://www.dphu.org/uploads/attachements/books/books_959_0.pdf. (06.12.2016)
Kiesl, F. (2010). Intransparenz und Korruption – Betroffenheit der sozialen Krankenversicherung. In: Labek, A. &
Weidenholzer, J. (Hrsg.), (IN)Transparenz - Ein-Blick in das Gesundheitswesen (S. 12-15). Gesundheitswissenschaften Dokumente, 24. Linz: OÖGKK, JKU.
Kis-Katos, K. & Schulze, G. G. (2013). Corruption in Southeast Asia: A survey of recent research. Asian-Pacific
Economic Literature, 27 (1), 79-109. Klemperer, D. (2008). Interessenkonflikte - Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen. Deutsches Ärzteblatt, 105
(40), 2098-2100. Kliche, T. & Thiel, S. (2011). Empirische Korruptionsforschung: Methoden, Schwierigkeiten und
Entwicklungsansätze. In: Kliche, T. & Thiel, S. (Hrsg.), Korruption: Forschungsstand, Prävention, Probleme (S. 411-466). Lengerich: Pabst Science Publishers.
Klitgaard, R. (1988). Controlling corruption. Berkeley: University of California Press. Kohler, J. C., Asiimwe, A., Ahebwa, A. & Agaba, V. (2011). Fighting corruption in the health sector. Methods, tools
and good practices. New York: UNDP. Kohler, J. C., Martinez, M. G., Petkov, M. & Sale, J. (2016). Corruption in the pharmaceutical sector. Diagnosing
the challenges. Transparency International UK, Pharmaceuticals and Healthcare Programme. URL: http://apps.who.int/medicinedocs/documents/s22500en/s22500en.pdf. (09.03.2017)
Korosec, I. (2007). Die Probleme des österreichischen Gesundheitssystems 2007. Patient & Zukunft –
Orientierung aus Politik und Gesellschaft. NÖ Edition Patientenrechte. URL: http://www.patientenanwalt.com/download/Expertenletter/Gesundheitswesen/upatzent0711_LAbgIngridKorosec.pdf. (15.02.2017)
Koshy, M., Malik, R., Mahmood, U., Husain, Z., Weichselbaum, R. R. & Sher, D. J. (2015). Prevalence and predictors
of inappropriate deliver of palliative thoracic radiotherapy for metastatic lung cancer. Journal of the National Cancer Institute, 107 (12), djv278.
Kotera, G., Okada, K. & Samreth, S. (2012). Government size, democracy, and corruption: An empirical
investigation. Economic Modelling, 29 (6), 2340-2348. Koukol, P. & Machan, M. (2013). Niedergelassene Vertragsärzte als Täter von Korruptionsdelikten? Die
Rechtslage nach dem Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetzt 2012. Recht der Medizin, 04, 124-132. Kraus, M., Czypionka, T., Röhrling, G. & Rasinger, T. (2010). Wartezeiten unter mangelnder Transparenz – Ein
Verteilungsproblem. WISO, 33 (2), 31-46. Krippendorff, K. (1980). Content Analysis. An introduction to its methodology. London: Sage. Krueger, A. (1974). The political economy of the rent-seeking society. American Economic Review, 64 (3), 291-
303. La Porta, R., Lopez-De-Silanes, F., Shleifer, A. & Vishny, R. W. (1997). Trust in large organizations. The American
Economic Review, Papers and Proceedings, 137 (2), 333-338. Lambsdorff, J. G. (2002): Corruption and rent seeking. Public Choice, 113, 97-125.
341
Lambsdorff, J. G. (2006). Causes and consequences of corruption: What do we know from a cross-section of countries? In: Rose-Ackerman, S. (Hrsg.), International handbook on the economics of corruption (S. 3-51). Cheltenham: Edward Elgar.
Lambsdorff, J. G. (2007). The institutional economics of corruption and reform. Theory, evidence and policy.
Cambridge: Cambridge University Press. Lambsdorff, J. G. (2015). What can we know about corruption? A very short history of corruption research and a
list of what we should aim for. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 235 (2), 100-114. Langseth, P. (2016). Measuring corruption. In: Sampford, C., Shacklock, A., Connors, C. & Galtung, F. (Hrsg.),
Measuring corruption (S. 7-44). London, New York: Routledge. LaPalombara, J. (1994). Structural and institutional aspects of corruption. Social Research, 61 (2), 325-350. LBI-HTA – Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment (2016). Über uns. Leitbild des LBI-HTA.
URL: http://hta.lbg.ac.at/page/about-us/de. (19.12.2016) Lederman, D., Loayza, N. V. & Soares, R. R. (2005). Accountability and corruption: Political institutions matter.
Economics & Politics, 17 (1), 1-35. Lewis, M. (2006). Governance and corruption in public health care systems. Working Paper No. 78. Washington,
D. C.: Center for Global Development. Lewis, M. & Petterson, G. (2009). Governance in health care delivery. Raising performance. Policy Research
Working Paper No. 5074. Washington, D.C.: The World Bank Development Economics Department & Human Development Department.
Lexchin, J., Bero, L. A., Djulbegovic, B. & Clark, O. (2003). Pharmaceutical industry sponsorship and research
outcome and quality: Systematic review. British Medical Journal, 326, 1167-1170. Li, S. (2011). Experimentelle Korruptionsforschung: Stand und Perspektiven. In: Kliche, T. & Thiel, S. (Hrsg.),
Korruption: Forschungsstand, Prävention, Probleme (S. 382-410). Lengerich: Pabst Science Publishers. Lieb, K. (2008). Ärzte und Pharma: Kooperation oder Abhängigkeit? Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ,
49 (6), 30-33. Lien, D.-H. D. (1986). A note on competitive bribery games. Economics Letters, 22 (4), 337-341. Lio, M.-C. & Lee, M.-H. (2015). Corruption costs lives: A cross-country study using an IV approach. The
International Journal of Health Planning and Management, 31 (2), 175-190. Litzcke, S., Linssen, R. & Hermanutz, M. (2014). Hannoversche Korruptionsskala (HKS 38). Schriftenreihe
Personalpsychologie (Bd. 1). Hannover: Hochschule Hannover. Litzcke, S., Linssen, R., Maffenbeier, S. & Schilling, J. (2012). Korruption: Risikofaktor Mensch. Wahrnehmung –
Rechtfertigung – Meldeverhalten. Wiesbaden: Springer VS. LSE – London School of Economics and Political Science (2017a). Efficiency review of Austria’s social insurance
and healthcare system. URL: https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=424. (27.08.2017)
LSE – London School of Economics and Political Science (2017b). Review of Austria’s social insurance and
healthcare system. Presentation: Policy Options. URL: https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/6/1/5/CH3582/CMS1503569861947/presentation_media_eng.pdf. (28.08.2017)
Lui, F. T. (1985). An equilibrium queuing model of bribery. Journal of Political Economy, 93 (4), 760-781.
342
Mackey, T. K., Kohler, J. C., Savedoff, W. D., Vogl, F., Lewis, M., Sale, J., Michaud, J. & Vian, T. (2016). The disease of corruption: Views on how to fight corruption to advance 21st century global health goals. BMC Medicine, 14 (149), 1-16.
Mantsch, S., Petersen, P. & Wild, C. (2016). Offenlegung geldwerter Leistungen in Österreich. Systematische
Analyse. Rapid Assessment Nr. 7d. Wien: Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment. Marcus, B. & Schuler, H. (2004). Antecedents of counterproductive behavior at work: A general perspective.
Journal of Applied Psychology, 89 (4), 647– 660. Marek, E. & Jerabek, R. (2014). Korruption und Amtsmissbrauch. Grundlagen, Definitionen und Beispiele zu den
§§ 302, 304 bis 311 StGB sowie weitere praxisrelevante Tatbestände im Korruptionsbereich. Wien: MANZ Verlag.
Martiny, A. (2011). Korruption in historischer Perspektive. Scheinwerfer, 53. Transparency International
Deutschlang. URL: https://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Rundbriefe/Scheinwerfer_53_2011_Korruption-wissenschaftliche_Perspe.pdf (07.07.2016).
Masser-Mayerl, B. (2016). Transparenz schafft Vertrauen. GlaxoSmithKline setzt verantwortungsvoll Impulse und
entscheidet sich für höchste Transparenz. Laut gedacht – Wegweiser zur Umsetzung der Patientenrechte. NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft. URL: http://www.patientenanwalt.com/download/Expertenletter/Patient/Transparenz_schafft_Vertrauen_Masser_Mayer_Expertenletter_Patient.pdf. (03.08.2017)
Mauro, P. (1995). Corruption and growth. Quarterly Journal of Economics, 110 (3), 681-712. Mauro, P. (1996). The effects of corruption on growth, investment, and government expenditure. IMF Working
Paper No. 96/98. Washington, D. C: International Monetary Fund. Mauro, P. (1998). Corruption and the composition of government expenditure. Journal of Public Economics, 69
(2), 263-279. Mayring, P. (2007). Generalisierung in qualitativer Forschung. FQS – Forum Qualitative Social Research, 8 (3), Art.
26. Mayring, P. (2010). Design. In: Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie
(S. 225-237). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. Mayring, P. (2016). Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken (6. Aufl.).
Weinheim, Basel: Beltz Verlag. Mayring, P. & Fenzl, T. (2014). Qualitative Inhaltsanalyse. In: Baur, N. & Blasius, J. (Hrsg.), Handbuch Methoden
der empirischen Sozialforschung (S. 543-556). Wiesbaden: Springer VS. Meissnitzer, M. (2015). Betrugsbekämpfung und soziale Sicherheit. Soziale Sicherheit, 3, 108-120. Méon, P.-G. & Sekkat, K. (2005). Does corruption grease or sand the wheels of grow? Public Choice, 122 (1-2),
69-97. Merkens, H. (2009). Auswahlverfahren, Sampling, Fallkonstruktion. In: Flick, U., von Kardoff, E. & Steinke, I.
(Hrsg.), Qualitative Forschung – Ein Handbuch (S. 286-299). Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Merton, R. K. (1968). Social theory and social structure. New York: The Free Press.
343
MEZIS-DE – Mein Essen zahl ich selbst - Deutschland (2016a). Warum MEZIS. URL: https://www.mezis.de/warum-mezis/. (19.12.2016)
MEZIS-DE – Mein Essen zahl ich selbst - Deutschland (2016b). Jahresbericht 2016. URL: https://mezis.de/wp-
content/plugins/download-attachments/includes/download.php?id=5994. (08.05.2017) Mischkowitz, R., Bruhn, H., Desch, R., Hübner G.-E. & Beese, D. (2000). Einschätzungen zur Korruption in Polizei,
Justiz und Zoll. Ein gemeinsames Forschungsprojekt des Bundeskriminalamtes und der Polizeiführungsakademie. URL: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/BkaForschungsreihe/2_46_EinschaetzungenZurKorruptionInPolizeiJustizUndZoll.pdf?__blob=publicationFile&v=3. (08.08.2016)
Misoch, S. (2015). Qualitative Interviews. Berlin, München, Boston: Walter de Gruyter. Monsau, D. (2010). Vereinte Nationen und Korruptionsbekämpfung. Dresdner Schriften zu Recht und Politik der
Vereinten Nationen (Bd. 12). Frankfurt am Main: Peter Lang. Morgan, D. J., Wright, S. M. & Dhruva, S. (2015). Update on medical overuse. JAMA Internal Medicine, 175 (1),
120-124. Morgan, M. A., Dana, J., Loewenstein, G., Zinberg, S. & Schulkin, J. (2006). Interactions of doctors with the
pharmaceutical industry. Journal of Medical Ethics, 32, 559-563. Morse, S. (2006). Is corruption bad for environmental sustainability? A cross-national analysis. Ecology and
Society, 11 (1), 22-44. Muldoon, K. A., Galway, L. P., Nakajima, M., Kanters, S., Hogg, R. S., Bendavid, E. & Mills, E. J. (2011). Health
system determinants of infant, child and maternal mortality: A cross-sectional study of UN member countries. Globalization and Health, 7 (42), 1-10.
Muno, W. (2016). Klientelismus und Patronage in der Vergleichenden Politikwissenschaft. In: Lauth, H.-J., Kneuer,
M. & Pickel, G. (Hrsg.), Handbuch Vergleichende Politikwissenschaft (S. 649-662). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Myint, U. (2000): Corruption: Causes, consequences and cures. Asia-Pacific Development Journal, 7 (2), 33-58. Nadpara, N. (2015). An empirical examination of the effect of corruption on health outcomes. URL:
https://business.tcnj.edu/files/2015/07/Nadpara-Thesis-2015-revised.pdf. (06.07.2017) Nair, K. S., Sherin Raj, T. P., Arif Phasha & Tiwari, V. K. (2017). Understanding corruption in health systems – An
overview. International Research Journal of Social Sciences, 6 (6), 15-20. Neeman, Z., Paserman, M. D. & Simhon, A. (2008). Corruption and openness. The B.E. Journal of Economic
Analysis & Policy, 8 (1). NHS Protect – National Health Service Protect (2015). Report Fraud – Protect your NHS. URL:
https://www.reportnhsfraud.nhs.uk/. (16.01.2017) Niehaus, H. (2012). Annäherung an einen Korruptionsbegriff des (deutschen) Strafrechts. In: Graeff, P. & Grieger,
J. (Hrsg.), Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 55-65). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Nikoloski, Z. & Mossialos, E. (2013). Corruption, inequality and population perception of healthcare quality in
Europe. BMC Health Services Research, 13 (472), 1-10. Nützenadel, A. (2012). Korruption aus historischer Perspektive. In: Graeff, P. & Grieger, J. (Hrsg.), Was ist
Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 79-92). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
344
ÖÄK – Österreichische Ärztekammer (2013). Verordnung über ärztliche Fortbildung – Konsolidierte Fassung ab 1. September 2013. URL: https://www.arztakademie.at/fileadmin/template/main/dfpPdfs/20130901_DFP_VO_konsolidierteFassung.pdf. (12.02.2017)
ÖÄK - Österreichische Ärztekammer (2014). Ärztlicher Verhaltenskodex 2014. URL:
http://www.aerztekammer.at/documents/10431/19066/%C3%84rztlicher+Verhaltenskodex+2014/8e8c89f4-427a-4729-9944-81f4a07942a1?version=1.0&t=1404114984000. (21.12.2016)
OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development (2015). Gesundheit auf einen Blick 2015. Wo
steht Österreich? URL: https://www.oecd.org/austria/Health-at-a-Glance-2015-Key-Findings-AUSTRIA-In-German.pdf. (23.01.2016)
OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development (2017). Konvention gegen die Bestechung
ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr. URL: http://www.oecd.org/berlin/themen/konvention-gegen-die-bestechung-auslaendischer-amtstraeger.htm. (26.06.2017)
Offermanns, G. (2011). Prozess- und Ressourcensteuerung im Gesundheitssystem. Neue Instrumente zur
Steigerung von Effektivität und Effizienz in der Versorgung. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag. Offermanns, G. (2012). Integrierte Versorgung und Prozessqualität als Schlüssel zu mehr Transparenz im
Gesundheitssystem. In: Holzer, E., Offermanns, G. & Hauke, E. (Hrsg.), Patientenperspektive. Ein neuer Ansatz für die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems (S. 126-138). Wien: Facultas Verlag.
Olken, B. A. (2007). Monitoring corruption: Evidence from a field experiment in Indonesia. Journal of Political
Economy, 115 (2), 200-249. Olken, B. A. (2009). Corruption perceptions vs. corruption reality. Journal of Public Economics, 93 (7), 950-964. Olken, B. A. & Barron, P. (2009). The simple economics of extortion: Evidence from trucking in Aceh. Journal of
Political Economy, 117 (3), 417-452. Olteanu, T. (2012). Korrupte Demokratie? Diskurs und Wahrnehmung in Österreich und Rumänien im Vergleich.
Wiesbaden: Springer VS. OÖGKK – Oberösterreichische Gebietskrankenkasse (2011). Kassenvertrag – Provisionsverbot für Ärzte. RS Nr.
1241/2011. URL: http://www.aekooe.at/documents/3466767/3562641/RS+-+1241-2011+Provisionsverbot+f%C3%BCr+%C3%84rzte/a5569df7-24a3-4ed2-a232-6978e75bee68?version=1.1&t=1409735459000. (29.12.2016)
OÖGKK – Oberösterreichische Gebietskrankenkasse (2012). Unabhängige Fortbildung. URL:
https://vertragspartner.ooegkk.at/portal27/vpooegkkportal/content?contentid=10007.723278&viewmode=content. (29.12.2016)
ORF – Österreichischer Rundfunk (2016a). Ärzte wollen gegen Mystery Shopping klagen. In: ORF Wien,
20.04.2016. URL: http://wien.orf.at/news/stories/2769623/. (29.12.2016) ORF – Österreichischer Rundfunk (2016b). Mystery Shopping: Ärzte kritisieren “DDR 2.0”. In: ORF Wien,
30.05.2016. URL: http://wien.orf.at/news/stories/2777256/. (29.12.2016) Oswald, G. & Matzenberger, M. (2016). Zahl der Wahlärzte seit 2005 um mehr als 43 Prozent gestiegen. In: Der
Standard, 02.11.2016. URL: http://Der Standard/2000046763034/Zahl-der-Wahlaerzte-stieg-seit-2005-um-mehr-als-43. (20.01.2017)
Othman, Z., Shafie, R., Zakimi, F. & Hamid, A. (2014). Corruption – Why do they do it? Procedia – Social and
Behavioral Sciences, 164, 248-257.
345
Palazzo, G., Krings, F. & Hoffrage, U. (2012). Ethical blindness. Journal of Business Ethics, 109 (3), 323–338. Paldam, M. (2001). Corruption and religion adding to the economic model. Kyklos, 54 (2-3), 383-413. Petersen, P. & Wild, C. (2016). Industrielles Sponsoring von Ärztefortbildungen, Patientenverbänden und
Anwendungsbeobachtungen. Der Arzneimittelbrief, 50 (03). Petkov, M. & Cohen, D. (2016). Diagnosing corruption in healthcare. Transparency International UK,
Pharmaceuticals & Healthcare Programme. URL: http://ti-health.org/wp-content/uploads/2016/10/Diagnosing-Corruption-in-Health.pdf. (11.03.2017)
Petsche, A. & Larcher, D. (2014). Korruption verhindern. Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, 55 (05),
21-22. PHARMIG – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (2015): Verhaltenskodex. PHARMIG-
Verhaltenskodex und Verfahrensordnung der Fachausschüsse VHC I. und II. Instanz. URL: http://www.pharmig.at/uploads/VHC_2015_deutsch_web_14668_DE.pdf. (06.08.2016)
Piff, P.K., Stancato, D.M., Côté, S., Mendoza-Denton, R. & Keltner, D. (2012). Higher social class predicts increased
unethical behavior. Proceedings of the National Academy of Sciences, 109 (11), 4086-91. Pincock, S. (2003). WHO tries to tackle problem of counterfeit medicines in Asia. British Medical Journal, 327
(7424), 1126. Piribauer, F. (2010). Transparenzmängel im Gesundheitswesen: Einfallstore zur Korruption. WISO, 33 (2), 81-94. Podolsky, S. H. & Greene, J. A. (2008). A historical perspective of pharmaceutical promotion and physician
education. JAMA, 300 (7), 831-833. Pratt, M. G. & Bonaccio, S. (2016). Qualitative research in I-O Psychology: Maps, myths, and moving forward.
Industrial and Organizational Psychology, 9 (4), 693-715. Pring, C. (2016). People and corruption: Europe and Central Asia. Global Corruption Barometer 2016,
Transparency International. URL: http://www.transparency-se.org/161110_GCB-ECA-Report_web.pdf. (28.06.2017)
Pruckner, G. & Hummer, M. (2013). Fördern private Zuzahlungen im Gesundheitswesen die Zweiklassenmedizin?
Zeitschrift für Gesundheitspolitik, 3, 37-62. Public Citizen (2016). Health and Safety. URL: http://www.citizen.org/Page.aspx?pid=524. (16.01.2017) PwC – PricewaterhouseCoopers (2016). Global Economic Crime Survey. URL:
https://www.pwc.com/gx/en/economic-crime-survey/pdf/GlobalEconomicCrimeSurvey2016.pdf. (18.07.2016)
Rabl, T. (2008). Private corruption and its actors. Insights into the subjective decision making processes. Lengerich:
Pabst Science Publishers. Rabl, T. (2012). Korruption aus der Perspektive der Psychologie. In: Graeff, P. & Grieger, J. (Hrsg.), Was ist
Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 153-167). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Rabl, T. & Kühlmann, T. M. (2008). Understanding corruption in organizations – Development and empirical
assessment of an action model. Journal of Business Ethics, 82 (2), 477-495. Reuband, K.-H. (1998). Kriminalität in den Medien. Erscheinungsformen, Nutzungsstruktur und Auswirkungen
auf die Kriminalitätsfurcht. Soziale Probleme, 9 (2), 125-153.
346
Riedler, K. (2013). Private Mittel im Gesundheitssystem: Entwicklung, Bedeutung und Steuerung. Zeitschrift für Gesundheitspolitik, 3, 9-36.
Rivas, M. F. (2012). An experiment on corruption and gender. Bulletin of Economic Research, 65 (1), 10-42. Robinson, M. (2006). Foreword. In: Transparency International (Hrsg.), Corruption Global Report 2006. Special
focus: Corruption and health (S. XIV-XV). London: Pluto Press. Rohan, A., Bittner, M., Hudler-Seitzberger, M. & Spatt, M. (2009). Korruption – Subjektive Wahrnehmung und
Gegenstrategien im internationalen Vergleich unter besonderer Berücksichtigung der Effizienz der Bürokratie. Projektendbericht (Projekt-Nummer: 12626). Wien: Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung.
Rose-Ackerman, S. (1975). The economics of corruption. Journal of Public Economics, 4 (2), 187-203. Rose-Ackerman, S. (1996). The political economy of corruption - Causes and consequences. Viewpoint, 74, World
Bank. Rose-Ackerman, S. (1999). Corruption and government. Causes, consequences and reform. Cambridge (UK):
Cambridge University Press. Rowe, M. (2009). Notes on a scandal: The official enquiry into deviance and corruption in New Zealand Police.
The Australian and New Zealand Journal of Criminology, 42 (1), 123-138. Rupp, B. (2006). Strategien zum Thema Betrug und Korruption im Gesundheitswesen. Das österreichische
Netzwerk für Transparenz im Gesundheitswesen. Laut gedacht – Wegweiser zur Umsetzung der Patientenrechte. NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft. URL: http://www.patientenanwalt.com/download/Expertenletter/Gesundheitswesen/0603patzent_DrRupp.pdf. (23.07.2016)
Rupp, B. (2010). Überlegungen zum Thema Intransparenz und Korruption im Gesundheitswesen im polygonalen
Spannungsfeld. In: Labek, A. & Weidenholzer, J. (Hrsg.), (IN)Transparenz - Ein-Blick in das Gesundheitswesen (S. 3-6). Gesundheitswissenschaften Dokumente, 24. Linz: OÖGKK, JKU.
Rupp, B. (2011). Öffentliche Wahrnehmung von Korruption, Zwischenbilanz der Intransparenzbekämpfung in
Österreich, Aufgaben für und Beschränkungen von NGOs bei der Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen. WISO, 1, 85-94.
Saha, S., Gounder, R. & Su, J.-J. (2009). The interaction effect of economic freedom and democracy on corruption:
A panel cross-country analysis. Economics Letters, 105 (2), 173-176. Salzburger Nachrichten Verlagsgesellschaft m.b.H. & Co KG (2016). Ärzte: Neuer Konflikt um
Nebenbeschäftigung. In: Salzburger Nachrichten, 19.09.2016. URL: http://www.salzburg.com/nachrichten/oesterreich/politik/sn/artikel/aerzte-neuer-konflikt-um-nebenbeschaeftigung-214555/. (30.03.2017)
Sandholtz, W. & Koetzle, W. (2000). Accounting for corruption: Economic structure, democracy, and trade.
International Studies Quarterly, 44 (1), 31-50. Savedoff, W. D. (2007). Transparency and corruption in the health sector: A conceptual framework and ideas for
action in Latin American and the Caribbean. Health Technical Note 03. Washington, D. C.: Sustainable Development Department.
Savedoff, W. D. & Hussmann, K. (2006). The causes of corruption in the health sector: A focus on health care
systems. Why are health systems prone to corruption? In: Transparency International (Hrsg.), Global Corruption Report 2006: Special focus on corruption and health (S. 4-16). London: Pluto Press.
347
Schaffer, T. (2017). Missbrauch von E-Cards: Kaum Fälle und Kosten. In: Kurier, 29.06.2017. URL: https://kurier.at/politik/inland/missbrauch-von-e-cards-kaum-faelle-und-kosten/272.428.577. (04.08.2017)
Schmid, J. & Schmid, S. (o.J.). Stichwort: Lebenserwartung. In: Springer Gabler Verlag (Hrsg.), Gabler
Wirtschaftslexikon (online im Internet). URL: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/12962/lebenserwartung-v9.html. (08.03.2017)
Schmoller, K. (2013). Rechtlicher Rahmen von Korruption. Neue Rechtslage ab 1.1.2013. In: Pfeil, W. & Prantner, M. (Hrsg.), Sozialbetrug und Korruption im Gesundheitswesen (S. 51-72). Wien: MANZ Verlag.
Schneider, F. (2012). Schattenwirtschaft, Sozialbetrug und Korruption in Österreich: Wer gewinnt? Wer verliert?
URL: http://www.econ.jku.at/members/Schneider/files/publications/2012/KorrPfuschSozialbetrug.pdf. (28.06.2017).
Schneider, N. & Lückmann, S. L. (2008). Pharmasponsoring in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung. Zeitschrift
für Allgemeinmedizin, 84, 516-524. Schneider, N., Egidi, G. & Jonitz, G. (2011). Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
und Vorschläge zu deren Minimierung. In: Lieb, K., Klemperer, D. & Ludwig, W.-D. (Hrsg.), Interessenkonflikte in der Medizin. Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten (S. 205-222). Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.
Schön, R. & Schuschnigg, A. (2009). Reform des Antikorruptionsstrafrechts. Das
Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz 2009. SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis, 4, 16-28.
Schönhöfer, P. S. (2004). Controlling corruption in order to improve global health. International Journal of Risk &
Safety in Medicine, 16, 195–205 Schott, G., Pachl, H., Limbach, U., Gundert-Remy, U., Ludwig, W.-D. & Lieb, K. (2010). Finanzierung von
Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen und die Folgen. Deutsches Ärzteblatt, 107 (16), 279-285.
Schrank, C. & Meier, T. (2012). Freibrief für Geschenkannahmen? Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ,
53 (12), 16-17. Schreiber, J. (2013). Compliance im Krankenhaus: Ohne Risiken und Nebenwirkungen. Protector, 12, 16-17. Schreier, M. (2010). Fallauswahl. In: Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der
Psychologie (S. 238-251). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Schröder, M. (2011). Die Prinzipal-Agent-Theorie. Scheinwerfer, 53. Transparency International Deutschland.
URL: https://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Rundbriefe/Scheinwerfer_53_2011_Korruption-wissenschaftliche_Perspe.pdf. (07.07.2016)
Schuschnigg, A. (2015). Korruptionsstrafrecht. Wien: Linde Verlag. Selbsthilfe Österreich (2017). Was ist eine Selbsthilfe-Organisation? URL:
http://www.selbsthilfe.at/contents/4958/was-ist-eine-selbsthilfe-organisation. (15.03.2017) Senturia, J. J. (1931). Corruption, political. Encyclopedia of the Social Sciences, 4, 448-452. Serra, D. (2006). Empirical determinants of corruption: A sensitivity analysis. Public Choice, 126 (1-2), 225-256. Shadabi, L. (2013). The impact of religion on corruption. The Journal of Business Inquiry, 12, 102-117. Shah, B. R., Cowper, P. A., O’Brien, S. M., Jensen, N., Patel, M. R., Douglas, P. S. & Person, E. D. (2011). Association
between physician billing and cardiac stress testing patterns following coronary revascularization. JAMA, 306 (18), 1993-2000.
348
Shleifer, A. & Vishny, R.W. (1993). Corruption. Quarterly Journal of Economics, 108 (3), 599-617. Sickinger, H. (2008). Internationale Konventionen gegen Korruption. In: Fellmann, I. & Klug, F. (Hrsg.),
Vademecum der Korruptionsbekämpfung (S. 411-416). Linz: IKW – Kommunale Forschung in Österreich. Sickinger, H. (2011). Formen und Verbreitung von Korruption in Österreich. Studie im Auftrag des
Bundesministeriums für Justiz, Endbericht. Wien: Institut für Konfliktforschung. Sørensen, K., Pelikan, J. M., Röthlin, F., Ganahl, K., Slonska, Z., Doyle, G., Fullam, J., Kondilis, B., Agrafiotis, D.,
Uiters, E., Falcon, M., Mensing, M., Tchamov, K., van den Broucke, S. & Brand, H. (2015). Health literacy in Europe: Comparative results of the European health literacy survey (HLS-EU). European Journal of Public Health, 25 (6), 1053-1058.
Spelsberg, A. (2010). Interessenkonflikte im Gesundheitswesen – wo und wie wirken sie und was muss zu ihrer
Bekämpfung getan werden? In: Labek, A. & Weidenholzer, J. (Hrsg.), (IN)Transparenz - Ein-Blick in das Gesundheitswesen (S. 7-8). Gesundheitswissenschaften Dokumente, 24. Linz: OÖGKK, JKU.
Spithoff, S. (2014). Industry involvement in continuing medical education. Time to say no. Canadian Family
Physician, 60, 694-696. Spöndlin, R. (2003). Zweiklassenmedizin. In: Carigiet, E., Mäder, U. & Bonvin, J.-M. (Hrsg.), Wörterbuch der
Sozialpolitik (S. 368). Zürich: Rotpunktverlag. Sprenger, M. (2012). Tarnen und täuschen. Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, 53 (10), 18-20. Stachowicz-Stanusch, A. (2010). Corruption immunity based on positive organizational scholarship towards
theoretical framework. In: Stachowicz-Stanusch, A. (Hrsg.), Organizational immunity to corruption. Building theoretical and research foundations (S. 35-51). New York: Information Age Publishing.
Stärker, L. (2014). KA-AZG – Die KA-AZG Novelle 2014. Österreichische Ärztezeitung, 20. URL:
http://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2014/oeaez-20-25102014/ka-azg-novelle-2014-krankenanstalten-arbeitszeitgesetz-eu-kommission.html. (19.12.2016)
Statista (2016). Durchschnittliche Aufenthaltsdauer in österreichischen Krankenhäusern in den Jahren von 1989
bis 2015 (in Tagen). URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/299902/umfrage/durchschnittliche-aufenthaltsdauer-in-oesterreichischen-krankenhaeusern/. (17.12.2016)
Statistik Austria (2016a). Ärzte und Ärztinnen seit 1960 absolut und auf 100.000 Einwohner. URL:
http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/gesundheitsversorgung/personal_im_gesundheitswesen/022350.html. (16.12.2016)
Statistik Austria (2016b). Einrichtungen im Gesundheitswesen. Krankenanstalten und tatsächlich aufgestellte
Betten. URL: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/gesundheitsversorgung/einrichtungen_im_gesundheitswesen/index.html. (16.12.2016)
Statistik Austria (2016c). Spitalsentlassungen aus allen Krankenanstalten 1989 bis 2015. URL:
https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/stationaere_aufenthalte/spitalsentlassungen_gesamt/022075.html. (17.12.2016)
Statistik Austria (2016d). Gestorbene nach ausgewählten Merkmalen, Lebenserwartung und
Säuglingssterblichkeit seit 2005. URL: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/gestorbene/index.html. (17.12.2016)
Statistik Austria (2017). Gesundheitsausgaben in Österreich laut System of Health Accounts (SHA), 1990-2015.
URL:http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/gesundheitsausgaben/019701.html. (30.03.2017)
349
Stein, P. (2014). Forschungsdesign für die quantitative Sozialforschung. In: Baur, N. & Blasius, J. (Hrsg.), Handbuch
Methoden der empirischen Sozialforschung (S. 135-151). Wiesbaden: Springer VS. Steinman, M. A., Shlipak, M. G. & McPhee, S. J. (2001). Of principles and pens: Attitudes of practices of medicine
housestaff toward pharmaceutical industry promotions. American Journal of Medicine, 110 (7), 551-557. Steßl, A. (2012). Effektives Compliance Management in Unternehmen. Wiesbaden: Springer VS. Stuhlhofer, A., Kufrin, K., Caldarovic, O., Gregurovic, M., Odak, I., Detelic, M. & Glavasevic, B. (2008). Corruption
as a cultural phenomenon: Expert perceptions in Croatia. Discussion Paper Series No. 11, University of Konstanz.
Svensson, J. (2005). Eight questions about corruption. Journal of Economic Perspectives, 19 (3), 19-42. Swaleheen, M. & Stansel, D. (2007). Economic freedom, corruption, and growth. Cato Journal, 27 (3), 343-358. Swamy, A., Knack, S., Lee, Y. & Azfar, O. (2001). Gender and corruption. Journal of Development Economics, 64
(1), 25-55. Tanzi, V. (1998). Corruption around the world: Causes, consequences, scope, and cures. Staff Papers –
International Monetary Fund, 45 (4), 559-594. Tanzi, V. & Davoodi, H. (1997). Corruption, public investment, and growth. IMF Working Paper No. 97/139.
Washington, D. C.: International Monetary Fund. Tanzi, V. & Davoodi, H. (2000). Corruption, growth, and public finances. IMF Working Paper No. 00/182.
Washington, D.C.: International Monetary Fund. Thiel, S. (2012). Korruption als Forschungsthema der Kriminologie. In: Graeff, P. & Grieger, J. (Hrsg.), Was ist
Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 169-188). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Thompson, D. F. (1993). Understanding financial conflicts of interests. The New England Journal of Medicine, 329
(8), 573-576. TI – Transparency International (2006). Global Corruption Report 2006. Special Focus: Corruption and health.
London: Pluto Press. TI – Transparency International (2014). Gender, equality and corruption: What are the linkages? Policy Brief, 1,
1-10. TI – Transparency International (2016). Corruption Perceptions Index 2016. URL:
http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY-Transparency-International-Corruption-Perceptions-Index-2016/$FILE/EY-Transparency-International-Corruption-Perceptions-Index-2016.pdf. (28.06.2017)
TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2010). Transparenzmängel im Gesundheitswesen:
Einfallstore zur Korruption. Grundsatzpapier. URL: https://www.ti-austria.at/wp-content/uploads/2016/01/Forderungspapier-Gesundheitswesen-2010.pdf. (06.07.2016)
TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2013). Das ABC der Antikorruption. URL: https://www.ti-
austria.at/wp-content/uploads/2016/01/Das-ABC-der-Antikorruption-1.-Auflage.pdf. (30.07.2016) TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2014). Lobbying in Österreich. Wer vertritt wessen
Interessen? Was dürfen wir darüber wissen? URL: https://www.ti-austria.at/wp-content/uploads/2016/01/Lobbying-in-%C3%96sterreich.pdf. (19.12.2016)
350
TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2015). Corruption Perceptions Index. URL: https://www.ti-austria.at/was-wir-tun/internationale-forschung/korruptionsindizes/corruption-perceptions-index/. (18.07.2016)
TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2016a). Top 10 der ersten 10 Jahre. Erfolge von
Transparency International – Austrian Chapter seit 2005. URL: https://www.ti-austria.at/wp-content/uploads/2016/01/Top-10-der-ersten-10-Jahre.pdf. (19.12.2016)
TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2016b). Noch immer kaum Transparenz im
Gesundheitswesen. Transparency International – Austrian Chapter fordert gesetzliche Regelungen zur Offenlegung von Zahlungen der Pharmaindustrie. URL: https://www.ti-austria.at/2016/11/04/noch-immer-kaum-transparenz-im-gesundheitswesen/. (16.12.2016)
TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2017a). Gesundheitswesen – Forderungen und Ziele. URL:
https://www.ti-austria.at/worum-es-geht/korruption-nach-themenbereichen/gesundheitswesen/. (02.01.2017)
TI-AC – Transparency International – Austrian Chapter (2017b). Ende des Aufwärtstrends: Österreich im
weltweiten Korruptionswahrnehmungsindex nur noch auf Rang 17. URL: https://www.ti-austria.at/2017/01/25/ende-des-aufwaertstrends/. (28.06.2017)
TI-DE – Transparency International Deutschland (2000). Transparenzmängel im Gesundheitswesen.
Ressourcenverschwendung, Missbrauch, Betrug – Einfallstore zur Korruption. URL: https://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/30.40.01StudieGes_4_00.pdf. (05.08.2016)
TI-DE – Transparency International Deutschland (2004). Europäische Partner im gemeinsamen Kampf gegen
Betrug und Korruption im Gesundheitswesen. Bericht von der „European Healthcare Fraud & Corruption Conference” in London. URL: https://www.transparency.de/Bericht_von_der__European_Heal.630.0.html. (22.07.2016)
TI-DE – Transparency International Deutschland (2017). Der Integritätspakt. URL:
https://www.transparency.de/Integritaetspakt.80.0.html. (22.03.2017) TI-UK – Transparency International United Kingdom (2014). Transparency and good governance in global health.
Transparency International UK’s Pharmaceutical & Healthcare programme. URL: https://www.transparency.org.uk/wp-content/plugins/download-attachments/includes/download.php?id=1407. (09.07.2017)
Treisman, D. (2000). The causes of corruption: A cross-national study. Journal of Public Economics, 76, 399-457. Truex, R. (2011). Corruption, attitudes, and education: Survey evidence from Nepal. World Development, 39 (7),
1133-1142. Tschachler, E. (2010). Teure Bildung. Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, 51 (01-02), 7-8. Umphress, E., Bingham, J. & Mitchell, M. S. (2010). Unethical behavior in the name of the company: The
moderating effect of organizational identification and positive reciprocity beliefs on unethical pro-organizational behavior. Journal of Applied Psychology, 95 (4), 769–780.
UN – United Nations (2004). United Nations Convention against Corruption. New York: UN Office on Drugs and
Crime. UN-Sozialpakt (1966). Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte. URL:
https://www.amnesty.at/de/view/files/download/showDownload/?tool=12&feld=download&sprach_connect=125. (06.07.2017)
351
UNODC – United Nations Office on Drugs and Crime (2017). United Nations Convention against Corruption signature and ratification status as of 12 December 2016. URL: https://www.unodc.org/unodc/en/treaties/CAC/signatories.html. (26.05.2017)
Van Rijckeghem, C. & Weder, B. (2001). Bureaucratic corruption and the rate of temptation: Do wages in the civil
service affect corruption and by how much? Journal of Development Economics, 65 (2), 307-331. Vargas-Hernández, J. G. (2010). The multiple faces of corruption: Typology, forms and levels. In: Stachowicz-
Stanusch, A. (Hrsg), Organizational immunity to corruption. Building theoretical and research foundations (S. 131-146). New York: Information Age Publishing.
Vian, T. (2008). Review of corruption in the health sector: Theory, methods and interventions. Health Policy and
Planning, 23 (2), 83-94. Vian, T., Gryboski, K., Sinoimeri, Z. & Hall Clifford, R. (2004). Informal Payments in the Public Health Sector in
Albania: A Qualitative Study. Bethesda, M.D.: Partners for Health Reformplus Project, Abt Associates Inc. VKI – Verein für Konsumenteninformation (2010). Privat hat Vorrang. Konsument, 8, 40-42. VKI – Verein für Konsumenteninformation (2016). Privat geht’s schneller. Konsument, 4, 10-13. Vock, P. (2016). Pharma-Geschenke, ein Tabu? In: medONLINE, 06.12.2016. URL:
https://medonline.at/2016/pharma-geschenke-ein-tabu/. (02.03.2017) von Alemann, U. (2005). Politische Korruption: Ein Wegweiser zum Stand der Forschung. In: von Alemann, U.
(Hrsg.), Dimensionen politischer Korruption. Beiträge zum Stand der internationalen Forschung (S. 13- 49). PVS-Politische Vierteljahresschrift (Sonderheft 35). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
von Maravic, P. (2007). Verwaltungsmodernisierung und dezentrale Korruption: Lernen aus unbeabsichtigten
Konsequenzen. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt Verlag. Walther, F. (2010). Das Korruptionsstrafrecht des StGB. JURA, 32 (7), 511-520. Wassermann, S. (2015). Das qualitative Experteninterview. In: Niederberger, M. & Wassermann, S. (Hrsg.),
Methoden der Experten- und Stakeholdereinbindung in der sozialwissenschaftlichen Forschung (S. 51-67). Wiesbaden: Springer VS.
Wazana, A. (2000). Physicians and the pharmaceutical industry: Is a gift ever just a gift? JAMA, 283 (3), 373-380. Wei, S.-J. (2000). How taxing is corruption on international investors? Review of Economics and Statistics, 81 (4),
1-12. Weiss, H. (2008). Korrupte Medizin. Ärzte als Komplizen der Konzerne. Köln: Kiepenheuer & Witsch. WHO – World Health Organization (2010a). Towards a cleaner and more efficient health sector. Technical Brief
Series – Brief No 2. URL: http://digicollection.org/hss/documents/s18331en/s18331en.pdf. (03.04.2017) WHO – World Health Organization (2010b). Good Governance for Medicines Curbing Corruption in Medicines
Regulation and Supply. URL: http://www.who.int/medicines/areas/policy/goodgovernance/ENCurbingCorruption4May2010.pdf. (29.03.2017)
Wild, C., Khan, A. & Erdos, J. (2015a). Sponsoring von PatientInneninitiativen in Österreich. Systematische
Analyse. Rapid Assessment Nr. 7b. Wien: Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment. Wild, C., Küllinger, R. & Hintringer, K. (2015b). Sponsoring österreichischer Ärztefortbildung. Systematische
Analyse der DFP-Fortbildungsdatenbank. Rapid Assessment Nr. 07a. Wien: Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment.
352
Wolf, S. (2012). Politikwissenschaftliche Korruptionsforschung. In: Graeff, P. & Grieger, J. (Hrsg.), Was ist Korruption? Begriffe, Grundlagen und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Korruptionsforschung (S. 113-133). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Wolf, S. (2014). Korruption, Antikorruptionspolitik und öffentliche Verwaltung. Einführung und europapolitische
Bezüge. Wiesbaden: Springer VS. Yaphe, J., Edman, R., Knishkowy, B. & Herman, J. (2001). The association between funding by commercial
interests and study outcome in randomized controlled trials. Family Practice, 18 (6), 565-568. Yeganeh, H. (2014). Culture and corruption: A concurrent application of Hofstede’s, Schwartz’s und Inglehart’s
frameworks. International Journal of Development Issues, 13 (1), 2-24. Zeuzem, S. (2017). Therapieoptionen bei Hepatitis C. Eine aktuelle Bestandsaufnahme. Deutsches Ärzteblatt, 114
(1-2), 11-21. Zhang, Y., Liqun, C. & Vaughn, M. S. (2009). Social support and corruption: Structural determinants of corruption
in the world. The Australian and New Zealand Journal of Criminology, 42 (2), 204-217. Zhao, H., Zhang, H. & Xu, Y. (2016). Does the dark triad of personality predict corrupt intention? The mediating
role of belief in good luck. Frontiers in Psychology, 7 (608), 1-16. Zurawicki, L. & Habib, M. (2010). Corruption and foreign direct investment: What have we learned? International
Business & Economics Research Journal, 9 (7), 1-10.