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Mag. a Arleta Franczukowska Korruption im Kontext einer verbesserten Prozess- und Ressourcensteuerung für das österreichische Gesundheitssystem DISSERTATION zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Betreuer Assoc.-Prof. PD Dr. Guido Offermanns Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Organisation, Personal und Dienstleistungsmanagement Abteilung für Personal, Führung und Organisation Erstgutachter Assoc.-Prof. PD Dr. Guido Offermanns Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Organisation, Personal und Dienstleistungsmanagement Abteilung für Personal, Führung und Organisation Zweitgutachterin Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment Klagenfurt, September 2017

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Mag.a Arleta Franczukowska

Korruption im Kontext einer verbesserten Prozess- und Ressourcensteuerung für das

österreichische Gesundheitssystem

DISSERTATION

zur Erlangung des akademischen Grades

Doktorin der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Fakultät für Wirtschaftswissenschaften

Betreuer Assoc.-Prof. PD Dr. Guido Offermanns Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Organisation, Personal und Dienstleistungsmanagement Abteilung für Personal, Führung und Organisation

Erstgutachter Assoc.-Prof. PD Dr. Guido Offermanns Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Organisation, Personal und Dienstleistungsmanagement Abteilung für Personal, Führung und Organisation

Zweitgutachterin Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment

Klagenfurt, September 2017

II

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere an Eides statt, dass ich

- die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und andere als die ange-

gebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe,

- die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung, einschließ-

lich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt habe,

- die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder sinn-

gemäß übernommen habe, in geeigneter Form gekennzeichnet und den Ursprung der

Information durch möglichst exakte Quellenangaben (z.B. in Fußnoten) ersichtlich

gemacht habe,

- die Arbeit bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde vorgelegt habe

und

- zur Plagiatskontrolle eine digitale Version der Arbeit eingereicht habe, die mit der

gedruckten Version übereinstimmt.

Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben wird.

(Unterschrift) (Ort, Datum)

III

Gender-Erklärung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf eine geschlechterspezifische

Schreibweise verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen, die sich zugleich auf beiderlei

Geschlecht (Männer und Frauen) beziehen, werden stets nur in der im Deutschen üblichen

maskulinen Form angeführt, wie beispielsweise „Ärzte“ statt „ÄrztInnen“ oder „Ärztinnen und

Ärzte“. Dies darf keinesfalls als Geschlechterdiskriminierung oder als Verletzung des

Gleichheitsgrundsatzes verstanden werden.

IV

Vorwort

Die vorliegende Dissertation entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche

Mitarbeiterin in der Abteilung für Personal, Führung und Organisation (PFO) an der

wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Der ihr

zugrunde liegende Untersuchungsgegenstand („Korruption im österreichischen

Gesundheitssystem“) stellt eine gesellschaftlich höchst relevante Angelegenheit dar, die mich

persönlich sehr bewegt, weswegen ich auch hoffe, dass sie einen möglichst großen

Adressatenkreis erreicht.

Die Erstellung dieser Arbeit war eine große persönliche Herausforderung und bereichernde

Erfahrung zugleich. Es war eine Zeit mit einigen Höhen und vielen Tiefen. Daher möchte ich

mich an dieser Stelle bei allen Personen, die auf unterschiedliche Weise zum Gelingen dieser

Arbeit beigetragen haben, ganz herzlich bedanken. Allen voran gilt mein besonderer Dank

meinem Doktorvater, Herrn Assoc.-Prof. Dr. Guido Offermanns, für seine hervorragende

fachliche sowie mentale Unterstützung während meiner gesamten „turbulenten“

Promotionszeit. Vor allem möchte ich ihm für die gewährten nötigen Freiräume, seinen

motivierenden Zuspruch, die zahlreichen inspirierenden Gespräche, wertvollen Ratschläge

und Anregungen sowie für seine Rücksichtnahme und endlose Geduld danken. Bedanken

möchte ich mich bei ihm auch für die Anbahnung des Projektes „Korruption, Compliance und

angewandte Versorgungsforschung im österreichischen Gesundheitssystem“, in das meine

Dissertation eingebunden war und wodurch ich vom Wissen und den wertvollen

Informationen meiner zahlreichen Projekt- und Kooperationspartner profitieren durfte. Ein

herzlicher Dank gebührt auch Frau Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild für ihre freundliche Bereitschaft

zur Übernahme und Erstellung des Zweitgutachtens. Vielmals bedanken möchte ich mich auch

bei Dr. Thomas Fenzl, der mir in methodischer Hinsicht mehrmals beratend und unterstützend

zur Seite stand.

Ein herzliches Dankeschön gebührt auch meinen (ehemaligen) Kollegen und Freunden in der

PFO-Abteilung, in erster Linie Senka Omerhodzić, Monika Jaritz und Melanie Holz, für die gute

Zusammenarbeit, aber vor allem für ihre „moralische“ Unterstützung während meiner von

Höhen und Tiefen geprägten Promotionszeit. Niemals vergessen werde ich ihre Hilfsbereit-

V

schaft, ihr offenes Ohr und die vielen heiteren Mittags- und Kaffeepausen, wodurch ich diese

bewegende Zeit in schöner Erinnerung behalten werde. Bedanken möchte ich mich auch bei

meiner geschätzten Kollegin Anastasiya Lychak, die mich bei der Literaturrecherche sehr

unterstützt hat. Ein großer Dank richtet sich auch an meinen neuen Abteilungsleiter,

Dr. Heiko Breitsohl, der mir den notwendigen Freiraum in der entscheidenden Endphase

meiner Dissertation gewährt hat. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei allen

teilnehmenden Interviewpartnern bedanken, ohne deren Gesprächsbereitschaft und

Engagement diese Arbeit niemals zustande gekommen wäre. Danke sagen möchte ich auch

meiner Lektorin, Fr. Mag. Heike Lang, und ihrem Team für die überaus schnelle, sorgfältige

Durchsicht meiner Arbeit.

Sehr dankbar bin ich auch allen meinen Freunden und Bekannten für ihr Verständnis bei länger

andauernden „Kontaktpausen“ und Besuchsabsagen, aber auch für ihren motivierenden

Beistand und die gelegentlich willkommene Ablenkung. Es sei mir bitte verziehen, dass ich

nicht alle an dieser Stelle namentlich nennen kann.

Zu guter Letzt gilt mein größter Dank meiner geliebten Familie, allen voran meiner Mutter,

Emilia Franczukowska, meinem Vater, Ireneusz Franczukowski, und meinen beiden

Schwestern, Agnes Binder und Angelika Franczukowska. Durch ihre bedingungslose Liebe,

ihren steten Rückhalt, ihren motivierenden Zuspruch und ihre endlose Geduld haben sie im

wesentlichen Maß dazu beigetragen, dass ich mein Dissertationsvorhaben zum erfolgreichen

Abschluss gebracht und nicht zu Grabe getragen habe. Zutiefst dankbar bin ich auch meinem

langjährigen Lebensgefährten, Kenan Karajko, der in dieser herausfordernden Phase meines

Lebens immer für mich da war und mir mit seiner optimistischen Lebenshaltung sehr viel Kraft

und Trost gespendet hat. Zudem hat er mich auch in fachlicher Hinsicht, beispielsweise bei

der Erstellung zahlreicher Abbildungen und Tabellen, tatkräftig unterstützt. Ich danke meiner

Familie und meinem Lebensgefährten, dass sie nie den Glauben an mich verloren haben. Ihnen

möchte ich diese Arbeit widmen.

Klagenfurt, im August 2017

Arleta Franczukowska

VI

Abstract

Hintergrund

Mehrere Studien bestätigen, dass Korruption im Gesundheitssystem die Effektivität und

Effizienz von Gesundheitsleistungen reduziert. Aufgrund dessen rückte die

Korruptionsbekämpfung in den letzten zehn bis 15 Jahren auf die gesundheitspolitische

Agenda zahlreicher Nationen. Im Gegensatz zum internationalen Forschungsstand liegen auf

nationaler Ebene kaum empirische Studien im Hinblick auf die Korruptionsthematik im

Gesundheitssystem vor. Dies stellt allerdings eine notwendige Voraussetzung für die

(Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die

Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung auf nationaler Ebene dar. Die

vorliegende Untersuchung zielte daher vorrangig darauf ab, neue bzw. vertiefende empirische

Erkenntnisse hinsichtlich der Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von

Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene) des

österreichischen Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang gesetzten

Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen

Korruptionsprävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen abzuleiten. Ferner

wurde der Korruptionsbegriff auf Verständnis, Klarheit und Mehrdeutigkeit näher analysiert

und eine nationale Korruptionsdefinition im Kontext des Gesundheitssystems abgeleitet.

Ebenso konnten zukünftige Forschungslücken und -felder aufgezeigt werden.

Methodik

Die Forschungsmethodik basiert zum einen auf einer intensiven Literaturrecherche und

-analyse zur Erfassung der IST-Situation und des aktuellen Standes der Korruptionsforschung

auf internationaler und nationaler Ebene – mit besonderem Fokus auf das Gesundheits-

system. Zum anderen wurde eine explorative qualitative Studie durchgeführt, die sich auf die

Erhebung und Auswertung von Interviews (n=18) mit ausgewählten Gesundheits- und

Antikorruptionsexperten aus dem österreichischen Gesundheitssystem stützte. Den

Experteninterviews lag ein halbstrukturierter Interviewleitfaden zugrunde, ihre Auswertung

erfolgte mittels computerunterstützter qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring. Ausgehend

von den Forschungsergebnissen wurden mehrere Hypothesen, die es zukünftig empirisch

(quantitativ) zu überprüfen gilt, abgeleitet.

VII

Ergebnisse/Schlussfolgerungen

Insgesamt wurden acht Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheits-

system identifiziert. Die höchste Korruptionsanfälligkeit wurde in der Zusammenarbeit der

(Pharma-)Industrie mit Health Professionals geortet (Einflussnahme auf Forschung,

Weiterbildung und Verschreibungspraxis von Medizinern). Eine besonders hohe Korruptions-

anfälligkeit wurde auch in der Vergabe von Terminen für elektive Operationen und

diagnostische Tests (Umgehung von Wartelisten), in der öffentlichen Beschaffung, in

(höherrangigen) Beziehungsverflechtungen und daraus resultierenden Interessenkonflikten

(Favoritismus, Drehtürkorruption u.a.), in der Überversorgung sowie in der Leistungs-

abrechnung (vor allem „Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssig erbrachter

Leistungen) geortet. Zudem konnten mehrere Ursachen (fehlgeleitete finanzielle

Anreizmechanismen, mangelndes Unrechts- und Problembewusstsein, mangelnde Kontroll-

und Sanktionsmechanismen, Intransparenz, Regelungslücken, schlechte Qualität des Aus- und

Fortbildungssystems u.a.) und Auswirkungen (Kostenanstieg, gesundheitliche/finanzielle

Schädigung der Patienten, Zwei-/Mehrklassenmedizin u.a.) für die identifizierten Korruptions-

phänomene auf nationaler Ebene aufgezeigt werden. Im Speziellen wurden ausgewählte

Erscheinungsformen von Korruption (Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health

Professionals, Umgehung von Wartelisten u.a.) auf ihre potenziellen ebenenübergreifenden

Ursachen-Wirkungszusammenhänge näher analysiert und der zukünftige Handlungsbedarf

ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen

abgeleitet. Zwar werden laut Expertenansicht ein erhöhtes Problembewusstsein und ein

allmählicher Rückgang von Korruption im nationalen Gesundheitssystem dank bislang

gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen wahrgenommen, allerdings wurde gleichzeitig auf

immer noch bestehende „Schlupflöcher“ und neu erkannte Korruptionsphänomene (z.B.

Überversorgung, „Upcoding“), bei denen es noch massiv an Transparenz und Problembe-

wusstsein in der öffentlichen Diskussion mangelt, hingewiesen. Demnach liegt der zukünftige

Handlungsbedarf vor allem in der vermehrten Aufklärung und Bewusstseinsschaffung

gegenüber der Korruptionsthematik und weiters in der Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller

Anreizmechanismen, in der vermehrten Transparenzschaffung und der Verschärfung

bisheriger Kontroll- und Sanktionsmechanismen sowie in der Schließung von Regelungslücken.

Ein weiterer Stellhebel zur Korruptionsbekämpfung wurde in der Forcierung der Gesundheits-

kompetenz der Bevölkerung und der wissenschaftlichen Kompetenz von Medizinern geortet.

VIII

Inhaltsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung .............................................................................................................. II

Gender-Erklärung ........................................................................................................................ III

Vorwort ...................................................................................................................................... IV

Abstract ...................................................................................................................................... VI

Abbildungsverzeichnis .................................................................................................................. X

Tabellenverzeichnis ..................................................................................................................... XI

Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................... XII

1 Einleitung ............................................................................................................................. 1

1.1 Problemstellung und Identifikation des Forschungsbedarfs ................................................... 2

1.2 Zielsetzungen und Fragestellungen ......................................................................................... 4

1.3 Methodisches Vorgehen ......................................................................................................... 6

1.4 Aufbau der Arbeit .................................................................................................................... 8

2 Korruption .......................................................................................................................... 13

2.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung .................................................................................. 13

2.2 Ausmaß von Korruption ........................................................................................................ 15

2.3 Formen und Typologien von Korruption ............................................................................... 17

2.4 Wissenschaftliche Erklärungsansätze .................................................................................... 22

2.5 Ursachen von Korruption ...................................................................................................... 32

2.6 Auswirkungen von Korruption .............................................................................................. 36

2.7 Antikorruptionsmaßnahmen ................................................................................................. 38

2.8 Messung von Korruption ....................................................................................................... 42

2.9 Zukünftiger Forschungsbedarf .............................................................................................. 53

2.10 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 3 ................................................................ 55

3 Korruption im Gesundheitssystem ....................................................................................... 58

3.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung .................................................................................. 58

3.2 Ausmaß von Korruption ........................................................................................................ 60

3.3 Erscheinungsformen von Korruption .................................................................................... 61

3.4 Auswirkungen von Korruption .............................................................................................. 76

3.5 Ursachen von Korruption ...................................................................................................... 79

3.6 Antikorruptionsmaßnahmen ................................................................................................. 83

3.7 Messung von Korruption ....................................................................................................... 91

3.8 Zukünftiger Forschungsbedarf .............................................................................................. 97

3.9 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 4 ................................................................ 99

IX

4 Korruption im österreichischen Gesundheitssystem ............................................................ 102

4.1 Nationales Gesundheitssystem ........................................................................................... 102

4.1.1 Organisation, Steuerung und Finanzierung ................................................................. 103

4.1.2 Ebenenübergreifende Systemsteuerung ..................................................................... 106

4.1.3 Zentrale Kennzahlen .................................................................................................... 107

4.1.4 Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf .................................................... 109

4.2 Korruption ........................................................................................................................... 112

4.2.1 Rechtlicher Hintergrund .............................................................................................. 114

4.2.2 Bisherige Antikorruptionsmaßnahmen ....................................................................... 130

4.2.3 Nationaler Forschungsstand ........................................................................................ 142

4.2.4 Zukünftiger Forschungsbedarf .................................................................................... 145

4.3 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 5 .............................................................. 146

5 Empirische Untersuchung ................................................................................................... 147

5.1 Forschungsziel ..................................................................................................................... 147

5.2 Forschungsfragen ................................................................................................................ 148

5.3 Forschungsdesign ................................................................................................................ 149

5.4 Datenerhebung.................................................................................................................... 151

5.4.1 Erhebungsmethodik .................................................................................................... 151

5.4.2 Stichprobe ................................................................................................................... 155

5.4.3 Erhebungsprozess ........................................................................................................ 157

5.5 Datenaufbereitung .............................................................................................................. 158

5.6 Datenauswertung ................................................................................................................ 158

5.6.1 Auswertungsmethodik ................................................................................................ 158

5.6.2 Auswertungsprozess .................................................................................................... 159

5.7 Forschungsergebnisse ......................................................................................................... 164

5.7.1 Definition von Korruption ............................................................................................ 164

5.7.2 Ausmaß von Korruption .............................................................................................. 168

5.7.3 Erscheinungsformen von Korruption .......................................................................... 170

5.7.4 Ursachen von Korruption ............................................................................................ 210

5.7.5 Auswirkungen von Korruption .................................................................................... 244

5.7.6 Zukünftiger Handlungsbedarf ...................................................................................... 256

5.7.7 Zukünftiger Forschungsbedarf .................................................................................... 276

5.7.8 Ebenenübergreifende Untersuchung ausgewählter Studienergebnisse .................... 286

5.8 Zusammenfassung der Ergebnisse ...................................................................................... 300

5.9 Diskussion der Ergebnisse ................................................................................................... 312

5.9.1 Wissenschaftliche und praktische Relevanz ................................................................ 314

5.9.2 Methodische Reflexion/Gütekriterien ........................................................................ 316

5.9.3 Limitationen................................................................................................................. 319

6 Zusammenfassung und Ausblick ......................................................................................... 320

Literaturverzeichnis ................................................................................................................... 329

X

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Methodischer Zugang der Arbeit ...................................................................................... 7

Abbildung 2: Übersicht Kapitel 1 bis 6 der Arbeit ................................................................................. 12

Abbildung 3: Manifestierung von Korruption im Gesundheitssystem ................................................. 62

Abbildung 4: Theoretischer Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem..... 83

Abbildung 5: Theoretischer Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem ...... 90

Abbildung 6: Korruptionsbekämpfung im österreichischen Gesundheitssystem .............................. 142

Abbildung 7: Forschungsdesign .......................................................................................................... 150

Abbildung 8: Auswertungsprozess ...................................................................................................... 160

XI

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Wissenschaftliche Fragestellungen ........................................................................................ 5

Tabelle 2: Formen und Typologien von Korruption .............................................................................. 17

Tabelle 3: Wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption ......................................................... 22

Tabelle 4: Methoden zur Messung von Korruption .............................................................................. 43

Tabelle 5: Erscheinungsformen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem ............... 78

Tabelle 6: Instrumente zur Messung und Identifikation von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem .............................................................................................................. 96

Tabelle 7: Ebenenübergreifende Systemsteuerung ............................................................................ 106

Tabelle 8: Rechtslage in Österreich ..................................................................................................... 115

Tabelle 9: Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen Gesundheitssystem .. 141

Tabelle 10: Wissenschaftliche Fragestellungen .................................................................................. 148

Tabelle 11: Interviewleitfaden ............................................................................................................ 154

Tabelle 12: Interviewteilnehmer ......................................................................................................... 156

Tabelle 13: Regeln für die induktive Kategorienbildung ..................................................................... 162

Tabelle 14: Kategoriensystem zur Definition von Korruption............................................................. 165

Tabelle 15: Kategoriensystem zum Ausmaß von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................................................... 168

Tabelle 16: Kategoriensystem zu den Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 171

Tabelle 17: Kategoriensystem zu den Ursachen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 211

Tabelle 18: Kategoriensystem zu der Hauptursache von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 243

Tabelle 19: Kategoriensystem zu den Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 245

Tabelle 20: Kategoriensystem zum zukünftigen Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem ............................................................................... 257

Tabelle 21: Kategoriensystem zum zukünftigen Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem ....................................... 277

Tabelle 22: Bezugsrahmen zur ebenenübergreifenden Untersuchung ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption ............................................................................... 286

Tabelle 23: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner) ................................................................................................. 287

Tabelle 24: Ebenenübergreifende Untersuchung – Umgehung von Wartelisten............................... 291

Tabelle 25: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen ........................................................................................................... 294

Tabelle 26: Ebenenübergreifende Untersuchung – Überversorgung ................................................. 297

Tabelle 27: Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .............. 302

Tabelle 28: Ursachen und Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem . 306

Tabelle 29: Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem .......................................................................................................... 309

XII

Abkürzungsverzeichnis

AGES Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit

A-IQI Austrian Inpatient Quality Indicators

ÄK Ärztekammer

AKH Allgemeinkrankenhaus

AMG Arzneimittelgesetz

AngG Angestelltengesetz

ARGE Arbeitsgemeinschaft

Art. Artikel

ÄrzteG Ärztegesetz

ASVG Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

AUVA Allgemeine Unfallversicherungsanstalt

BAK Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung

BASG Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen

BDG Beamten-Dienstrechtsgesetz

BGA Bundesgesundheitsagentur

BGBl. Bundesgesetzblatt

BI Business International

BIA Büro für Interne Angelegenheiten

BIQG Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen

BMASK Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

BMF Bundesministerium für Finanzen

BMGF Bundesministerium für Gesundheit und Frauen

BVA Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter

BVerG Bundesvergabegesetz

B-VG Bundesverfassungsgesetz

COI Conflict of Interest

CT Computertomografie

DFID Department for International Development

EACN European contact-point network against corruption

EFPIA European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations

EHFCN European Healthcare Fraud and Corruption Network

EMA European Medical Agency

EPAC European Partners against Corruption

EU Europäische Union

EUCOMED European Confederation of Medical Suppliers Associations

EUROPOL European Union Agency for Law Enforcement Cooperation

FCPA Foreign Corrupt Practices Act

FinStrG Finanzstrafgesetz

GGM Good Governance for Medicines programme

GKK Gebietskrankenkasse

GÖG Gesundheit Österreich GmbH

GRECO Group d'États contre la corruption/Group of States against Corruption

HKS Hannoversche Korruptionsskala

HTA Health Technology Assessment

IACA International Anti-Corruption Academy

IBES Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbstbeschreibungen

XIII

ICRG International Country Risk Guide

IHS Institut für Höhere Studien

IMD Institute for Management Development

INTERPOL International Police Organization

IWF Internationaler Währungsfond

JKU Johannes Kepler Universität

KAKuG Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz

LBI-HTA Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment

LKF Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung

LobbyG Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz

LSE London School of Economics and Political Science

MeTA Medical Transparency Alliance

MEZIS „Mein Essen zahl ich selbst“, eine Initiative unbestechlicher Ärzte

MPG Medizinproduktegesetz

MRT Magnetresonanztomografie

NHS National Health Service

NIS Nicht-interventionelle Studie

ÖÄK Österreichische Ärztekammer

OECD Organisation for Economic Co-operation and Development

OLAF Office européenne de lutte antifraude/European Anti-Fraud Office

OÖGKK Oberösterreichische Gebietskrankenkasse

ÖQMed Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement

in der Medizin GmbH

ORF Österreichischer Rundfunk

OSR Oberster Sanitätsrat

PEFA Public Expenditure and Financial Accountability indicators

PETS, PERs Public Expenditure Tracking Surveys, Public Expenditure Reviews

PHARMIG Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs

PIA Persönlichkeitsinventar zur Integritätsabschätzung

PRIKRAF Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfond

PVA Pensionsversicherungsanstalt

RLVPK Richtlinien für die Kontrolle im Vertragspartnerbereich

SBBG Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz

SHG Selbsthilfegruppe

StGB Strafgesetzbuch

SVB Sozialversicherungsanstalt der Bauern

TI Transparency International

TI-AC Transparency International – Austrian Chapter

UN United Nations

UNCAC United Nations Convention against Corruption

UNDP United Nations Development Programme

VAEB Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau

VAN Versicherungsanstalt des österreichischen Notariates

VBG Vertragsbedienstetengesetz

VKI Verein für Konsumenteninformation

WEF Weltwirtschaftsforum

WGKK Wiener Gebietskrankenkasse

WHO Weltgesundheitsorganisation

WKStA Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft

1

1 Einleitung

„Monetik statt Ethik im Gesundheitssystem?“ (Guido Offermanns)

Korruption stellt ein uraltes, komplexes, weltweit verbreitetes Phänomen dar (Shleifer &

Vishny 1993, S. 599; Myint 2000, S. 33), welches nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern

auch in das Gesundheitssystem Eingang findet. Dies bekräftigen nicht zuletzt jüngste

Erhebungen auf europäischer und internationaler Ebene (Europäische Kommission 2013;

Hardoon & Heinrich 2013; Europäische Kommission 2014; Pring 2016). Mehr noch: Laut den

Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers von 2013 und des Global Corruption

Barometers von 2016 weist das Gesundheitssystem im Vergleich zu anderen Bereichen

(z.B. Polizei- und Zollwesen) sogar die höchste Bestechungsrate auf europäischer Ebene auf

(Europäische Kommission 2014, S. 8.; Pring 2016, S. 19). Auch weltweit wird der Gesundheits-

sektor (Pharma- und Medizinprodukteindustrie) neben der Rüstungs-, Erdöl- und Bauindustrie

zu den besonders korruptionsanfälligen Branchen gezählt (Rupp 2006, S. 3; Haardoon &

Heinrich 2011, S. 15).

Obwohl das österreichische Gesundheitssystem im europäischen Vergleich im Hinblick auf

Chancengerechtigkeit, Zugang und Leistungsangebot positiv abschneidet (Bachner et al. 2015,

S. 123), ist es vor Korruption und Missbrauch auch nicht gefeit. Dies geht nicht nur aus

zahlreichen Medienberichten (Amara 2013; Gebhard 2013; APA 2016; Gartlehner 2016; APA

2017a) und etwaigen Skandal- und Enthüllungsbüchern (Weiss 2008; Aboulenein 2016) auf

nationaler Ebene hervor, sondern auch aus jüngst vorliegenden Befragungsergebnissen des

Special Eurobarometers aus dem Jahr 2013 – wenngleich der Gesundheitssektor in Österreich

im EU-Durchschnitt als vergleichsweise wenig korrupt angesehen wird (AT: 15 %; EU: 33 %)

(Europäische Kommission 2014, S. T18). Dennoch ist die Relevanz der Thematik in

ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht erheblich (Rupp 2011, S. 86). Laut Schätzungen

internationaler Experten gehen zwischen 3 % und 10 % (im Durchschnitt 5 % bis 6 %) der

Gesundheitsbudgets durch Korruption verloren (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee &

Button 2015, S. 12; LSE 2017a, S. 557). Auf die aktuellen österreichischen Gesundheits-

ausgaben laut Statistik Austria (Statistik Austria 2017) umgelegt, ergäbe dies einen jährlichen

2

Schaden zwischen 1 und 3,7 Mrd. Euro. Angesichts des zunehmenden Finanzierungs- und

Sparsamkeitsdrucks, der aktuell auf vielen Staaten – einschließlich Österreich – im Kontext des

demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts lastet, stellen solche

„Ineffizienzen“ ein durchaus ernstzunehmendes Problem dar. Denn neben dem durch

Korruption verursachten monetären Schaden rückt vor allem der nicht-monetäre, im Sinne

der daraus resultierenden mangelnden Gesundheitsversorgung, in den Vordergrund (Rupp

2006, S. 2; Vian 2008, S. 83ff.; WHO 2010a; European Commission 2013, S. 29). So ergeben

sich in diesem Themenfeld auch zahlreiche Schnittstellen im Kontext der Priorisierung (vor

allem Rangreihenbildung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsoptionen),

Rationalisierung (Verbesserung der Effizienz des Ressourceneinsatzes) und Rationierung

(Begrenzung in der Leistungserbringung entsprechend dem Finanzierungspotenzial) von

Gesundheitsleistungen. Schließlich geht es darum, mit den begrenzten Ressourcen eine

optimale medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (Offermanns 2011, S.

34ff.). Nicht zu vergessen sind auch die ethischen Aspekte, welche die Grundfesten des

Gesundheitssystems adressieren: Wertediskussion, solidarisches Gesundheitssystem, soziale

Ungleichheit etc. Damit einher geht die öffentlich lang und kontrovers geführte Debatte um

die Zwei-/Mehrklassenmedizin.

1.1 Problemstellung und Identifikation des Forschungsbedarfs

Angesichts der großen Tragweite des Problems und darin verborgener beträchtlicher

Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenziale wurde die Bekämpfung von Korruption in den

letzten zehn bis 15 Jahren zunehmend auf die gesundheitspolitische Agenda zahlreicher

Nationen gesetzt. In Österreich wurden wichtige Aktivitäten in diese Richtung vor allem

seitens des österreichischen Vereins zur Korruptionsbekämpfung Transparency International

– Austrian Chapter angeregt, die nicht zuletzt zu einer allmählichen öffentlichen

Bewusstseinsschaffung im Hinblick auf die Thematik beigetragen haben. So kam es u.a. zur

Verschärfung des rechtlichen Rahmens (Korruptionsstrafrecht u.a.), zur Errichtung der

Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einschließlich ihres anonymen

Hinweisgebersystems („Whistleblower-Homepage“) sowie zur Einführung und Forcierung von

Verhaltens- und Ethikkodizes und sogenannter Compliance-Management-Systeme in

zahlreichen Organisationen. Trotz aller Antikorruptionsbemühungen in den letzten Jahren, auf

3

die im Rahmen der vorliegenden Dissertation noch näher eingegangen wird, wird der

Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem noch vergleichsweise zu wenig

Aufmerksamkeit geschenkt. Dies lässt sich nicht zuletzt an der spärlichen Anzahl bislang

vorliegender empirischer Studien – einer notwendigen Voraussetzung für die (Weiter-)

Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die Optimierung der

öffentlichen Gesundheitsversorgung – erkennen (TI-AC 2010, S. 5; Sickinger 2011, S. 194;

Gruber et al. 2013, S. 131). Während auf internationaler Ebene bereits mehrere Publikationen

aus den letzten zehn bis 15 Jahren – insbesondere zu den Ursachen, Erscheinungsformen und

Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem samt Empfehlungen zu ihrer wirksamen

Bekämpfung (Ensor 2004; TI 2006; Vian 2008; Barr et al. 2009; Kohler et al. 2011; Bussmann

2012; Europäische Kommission 2013; Nikoloski & Mossialos 2013) – vorliegen, besteht auf

nationaler Ebene noch erheblicher Forschungsbedarf. Dies ist nicht zuletzt auf die langjährige

Tabuisierung der Thematik zurückzuführen (TI-AC 2010, S. 5; Gruber et al. 2013, S. 131).

Insbesondere fehlt es bislang an empirisch fundiertem Grundlagenwissen zu dem Ausmaß,

den spezifischen Erscheinungsformen (Problemfeldern), Ursachen und Auswirkungen von

Korruption im nationalen Gesundheitssystem (Rupp 2006, S. 2ff.; Rupp 2011, S. 91ff.; Gruber

et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 574). Eine umfassende, systemimmanente Auseinander-

setzung mit der Korruptionsthematik, welche über die Grenzen der einzelnen Organisationen

hinausgeht, ist ebenso ausständig (Rupp 2006, S. 2). Zudem bedarf es zukünftig der

vermehrten Überprüfung bisheriger und neuer institutioneller Rahmenbedingungen,

Strukturen und Abgeltungssysteme hinsichtlich ihrer Anreizwirkungen und Schwachstellen,

um zu einem größeren Verständnis der Korruptionsmechanismen und -dynamiken

beizutragen (Rupp 2010, S. 5). Solche ausstehenden Informationen sind insofern wichtig, als

sie die erforderliche Grundlage zur Ableitung effektiver und effizienter

Antikorruptionsmaßnahmen darstellen. Weiters bleibt auch die Frage im Hinblick auf die

Effektivität und Effizienz bislang gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen und -bemühungen

bisweilen ungeklärt (Gruber et al. 2013, S. 131). Zu dieser Thematik liegen selbst auf

internationaler Ebene kaum verlässliche Informationen/Evaluationen oder wissenschaftliche

Ergebnisse vor (Vian 2008, S. 91; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19). Weiterer

Forschungsbedarf besteht ferner im Hinblick auf die Frage, inwieweit die zunehmende

Feminisierung, Alterung und Multiethnizität Einfluss auf Werthaltungen und Normen-

Compliance von Entscheidungsträgern nehmen (Rupp 2010, S. 5). Angemerkt sei, dass es

4

derzeit österreichweit noch keine professionelle bzw. universitäre Einrichtung gibt, die sich

ausschließlich der Korruptionsforschung im Gesundheitssystem und der damit verbundenen

Aus- und Weiterbildung widmet. Nicht zuletzt kann der mangelnde Grundlagen- und

Forschungsstand auch darauf zurückgeführt werden (Rupp 2011, S. 91f.).

In Anbetracht des erheblichen nationalen Forschungsbedarfes als notwendige Voraussetzung

für die zukünftige (Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Maßnahmen zur

Eindämmung von Korruption im nationalen Gesundheitssystem und der Freisetzung darin

verborgener Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenziale erscheint es umso wichtiger und

dringender, sich mit diesem gesundheitsökonomisch und gesellschaftlich hoch relevanten

Thema auf nationaler Ebene intensiver auseinanderzusetzen.

1.2 Zielsetzungen und Fragestellungen

Die vorliegende Dissertation zielt primär darauf ab, neue bzw. vertiefende empirische

Erkenntnisse hinsichtlich der Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von

Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene) des

österreichischen Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang gesetzten

Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen

Korruptionsprävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen aufzudecken. Im

Speziellen gilt es, ausgewählte Erscheinungsformen von Korruption im Rahmen einer

ebenenübergreifenden Untersuchung näher zu analysieren. Hierbei werden die spezifischen

Ursachen und Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der

Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen Gesundheitssystems auf ihre

potenziellen Wechselwirkungen beleuchtet und ausgehend von den bislang gesetzten

Antikorruptionsmaßnahmen der konkrete zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen

Ebenen abgeleitet. Demnach verfolgt die vorliegende Arbeit vor allem einen

systemorientierten Ansatz, wobei die Ableitung und ebenenorientierte Systematisierung

konkreter Empfehlungen und Maßnahmen zur nachhaltigen Korruptionseindämmung im

nationalen Gesundheitssystem im Vordergrund stehen. Ferner soll im Rahmen der

vorliegenden Arbeit der Korruptionsbegriff auf Verständnis, Klarheit und Mehrdeutigkeit

näher analysiert und davon ausgehend eine nationale Korruptionsdefinition im Kontext des

5

Gesundheitssystems abgeleitet werden. Letztlich zielt die Arbeit auch darauf ab, weitere

potenzielle Forschungslücken und -felder im Hinblick auf den vorliegenden

Untersuchungsgegenstand aufzuzeigen. Auf Basis der eruierten Forschungsergebnisse sollen

schließlich Thesen abgeleitet werden, die es zukünftig – sofern möglich – empirisch

(quantitativ) zu überprüfen gilt.

Aus dem dargelegten Erkenntnisinteresse der vorliegenden Dissertation bzw. deren

Zielsetzungen lassen sich mehrere, nachstehend aufgelistete wissenschaftliche

Fragestellungen (Tabelle 1) ableiten, die es im Rahmen dieser Arbeit zu beantworten gilt.

Wissenschaftliche Fragestellungen

F1. Wie wird der Begriff Korruption im Kontext des Gesundheitssystems auf nationaler Ebene definiert?

F2. In welcher Form findet Korruption in das nationale Gesundheitssystem Eingang?

F3. Welche Ursachen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?

F4. Welche Auswirkungen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?

F5. Welcher zukünftige Handlungsbedarf kann ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen für eine nachhaltige Korruptionsprävention und -eindämmung auf den einzelnen Systemebenen abgeleitet werden?

F6. Wie sieht der zukünftige Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem aus?

F7. Wie sehen die spezifischen potenziellen ebenenübergreifenden Ursachen-Wirkungszusammenhänge ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption aus und welcher konkrete zukünftige Handlungsbedarf lässt sich ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen ableiten?

Tabelle 1: Wissenschaftliche Fragestellungen

Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer interdisziplinären Betrachtung durch Rekurs

auf ökonomische, soziologische, psychologische und öffentlich-rechtliche Ansätze der

Korruptionsforschung – eingebettet in den Kontext der Public Health und Gesundheits-

systemforschung. Sie thematisiert demnach ein interdisziplinäres Forschungsfeld und kann

folglich mehreren wissenschaftlichen Disziplinen zugeordnet werden; primär aber den

6

Gesundheitswissenschaften, der Betriebswirtschaftslehre, der Soziologie und der Psychologie.

Die aus dieser Dissertation gewonnenen Erkenntnisse sollen nicht nur einen wichtigen Beitrag

zur nationalen Korruptionsforschung im Gesundheitssystem leisten, sondern darüber hinaus

nationalen und internationalen Korruptionsforschern, Politikern und Akteuren des

Gesundheitssystems neue Impulse bzw. Ansatzpunkte für die zukünftige Entwicklung

effektiver und effizienter Maßnahmen zur nachhaltigen Korruptionsprävention und

-bekämpfung sowie zur Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung liefern. Die

Eindämmung von Korruption kann letztlich einen wichtigen Stellhebel zur Effektivitäts- und

Effizienzsteigerung bzw. einer verbesserten Prozess- und Ressourcensteuerung im nationalen

Gesundheitssystem darstellen. Schließlich sollen auch künftige Generationen in Österreich

von einem öffentlichen, solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, welches sich in erster

Linie durch einen freien, gerechten Zugang und ein qualitativ hohes Leistungsspektrum

auszeichnet, profitieren. Demzufolge liegt die vorliegende Forschungsarbeit vor allem im

Interesse des Gesamtsystems und zielt in keinerlei Hinsicht auf die Beschreibung bestimmter

Einzelfälle zum Zwecke der Diskreditierung einzelner Berufsgruppen ab. Vielmehr steht eine

wertneutrale, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik im Vordergrund. Eine

vergleichbare empirische Untersuchung liegt österreichweit bislang nicht vor.

1.3 Methodisches Vorgehen

Die Untersuchung der wissenschaftlichen Fragestellungen erfolgt im Rahmen einer als

Monografie verfassten Dissertation, die sich in einen theoretischen und einen empirischen

Teil gliedert (vgl. Abbildung 1). Der theoretische Teil der Arbeit zielt auf die Erfassung der IST-

Situation und des aktuellen Standes der Korruptionsforschung auf internationaler und

nationaler Ebene – mit besonderer Schwerpunktsetzung auf das Gesundheitssystem – ab. Die

theoretische Aufarbeitung stellt eine notwendige Voraussetzung für das (Folge-)Verständnis

(mit Blick auf zentrale Begrifflichkeiten, wissenschaftliche Erklärungsansätze, spezifische

Messinstrumente, internationale und nationale rechtliche Lage etc.) im weiteren Verlauf der

Arbeit dar und dient letztlich als wichtige Ausgangsbasis für die anschließende empirische

Untersuchung, die auf die Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen mit Blick auf

das zugrundeliegende Erkenntnisinteresse abzielt.

7

Abbildung 1: Methodischer Zugang der Arbeit

1. Theoretischer Teil

Startpunkt der vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchung bildete eine intensive

Literaturrecherche und -analyse zur Erhebung der internationalen und nationalen IST-

Situation und des aktuellen Standes der Korruptionsforschung mit besonderem Fokus auf das

Gesundheitssystem. Für eine möglichst vollständige Erfassung der relevanten Literatur bezog

die Recherche alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen wie (Online-)

Bibliothekskataloge, Datenbanken (Web of Science, JSTOR, Emerald, EconPapers, Genios,

ScienceDirect, Wiso, SpringerLink u.a.), Lexika, Zeitschriften, Zeitungen und Internet-

Suchmaschinen ein. Die Suchbegriffeingabe erfolgte zweisprachig (Deutsch und Englisch)

anhand folgender Schlagwörter, die bewusst miteinander kombiniert wurden, um eine höhere

Trefferquote zu erzielen: „Korruption“, „Gesundheitswesen“, „Betrug“, „Bestechung“, „Ethik“,

„Interessenkonflikte“, „Missbrauch“, „Verschwendung“, „missbräuchliches Verhalten“,

„Inoffizielle Zahlungen“, „Fehlverhalten“, „Kuvertmedizin“, „Compliance“, „Pharmaindustrie“,

„Health Professionals“, „Chefarzteinschub“, „Korrupte Medizin“, „Zweiklassenmedizin“,

„Mehrklassenmedizin“, „Lobbyismus“, „Tarnen“, „Täuschen“ u.a. Anschließend erfolgte die

Sichtung und systematische Analyse des zusammengetragenen Materials. Dieses umfasste am

Ende zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, Überblicksartikel, Tagungsberichte,

Statistiken, Artikel aus Fach- und Tagespresse, Sonderdrucke und Monografien. Allerdings

stammt der überwiegende Teil des recherchierten und gesichteten Schrifttums nicht aus

Österreich, was nur den erheblichen nationalen Forschungsbedarf auf diesem Themengebiet

bestätigt. Zur Aufarbeitung der notwendigen juristischen Komponente war eine intensive

KORRUPTION IM ÖSTERREICHISCHEN GESUNDHEITSSYSTEM

1. THEORETISCHER TEIL

Erhebung Ist-Situation und aktueller Forschungsstand auf

internationaler/nationaler Ebene

2. EMPIRISCHER TEIL

Explorative qualitative Studie

8

Auseinandersetzung mit der aktuellen korruptionsrelevanten rechtlichen Lage auf

internationaler und nationaler Ebene erforderlich.

2. Empirischer Teil

Ausgehend von der umfassenden Literaturrecherche und -analyse erfolgte die empirische

Untersuchung zur Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen und Schließung

identifizierter Forschungslücken. Konkret handelt es sich hierbei um eine explorative

qualitative Studie, die sich auf die Durchführung und Auswertung von Experteninterviews

(n = 18) mit ausgewählten Gesundheits- und Antikorruptionsexperten aus dem

österreichischen Gesundheitssystem stützte (darunter u.a. Vertreter von Transparency

International, der Gebietskrankenkassen, des Krankenanstaltenwesens sowie der ärztlichen

Selbstverwaltung (Ärztekammer), Gesundheitspolitiker, aktiv tätige Health Professionals

(Mediziner), Gesundheitsökonomen, Patientenanwälte, Pharmazeuten und Gesundheits-

journalisten). Den Experteninterviews lag ein halbstrukturierter Interviewleitfaden zugrunde,

ihre Auswertung erfolgte mittels computerunterstützter qualitativer Inhaltsanalyse nach

Mayring. Die Studie basierte auf einem Querschnittsdesign bzw. beinhaltete nur eine

Erhebungsphase. Die Interviewerhebung erstreckte sich über einen Zeitraum von ca. elf

Monaten (Oktober 2015 bis September 2016).

1.4 Aufbau der Arbeit

Analog zur methodischen Vorgehensweise gliedert sich der strukturelle Aufbau der

vorliegenden Arbeit in einen theoretischen Teil (Kapitel 2 bis 4) und einen empirischen Teil

(Kapitel 5), durch die sich ein klar erkennbarer roter Faden durchzieht. Nach dem einleitenden

ersten Kapitel folgt im zweiten Kapitel ein prägnanter Überblick über die aktuelle IST-

Situation und den Forschungsstand zu Korruption auf internationaler Ebene. Dies schließt eine

ausführliche Begriffsklärung und -abgrenzung, die Darstellung der potenziellen Verbreitung

von Korruption sowie die Veranschaulichung ihrer gängigen Formen und Typologien ein. Im

Fokus steht vor allem die Aufarbeitung wissenschaftlicher Erklärungsansätze dieses

Phänomens, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit – vor allem im Rahmen der empirischen

Untersuchung – mehrmals zurückgegriffen wird. Weiters werden (überwiegend empirisch

belegte) Ursachen und Auswirkungen von Korruption näher beleuchtet, um die Relevanz der

9

Thematik – vor allem in ökonomischer, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht – zu

verdeutlichen. Anschließend wird auf bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen auf

internationaler Ebene, die größtenteils aus den dargelegten Ursachen ableitbar sind, näher

eingegangen. Fokussiert werden vor allem internationale Antikorruptions-Übereinkommen

(der UN, OECD etc.). Die dargelegten Gegenmaßnahmen stellen schließlich eine wichtige

Ausgangsbasis für die Generierung und Ableitung von Maßnahmen zur Bekämpfung von

Korruption im Gesundheitssystem auf internationaler und nationaler Ebene dar. Einen ebenso

wichtigen Kern des zweiten Kapitels bildet die Erhebung wichtiger Messinstrumente von

Korruption, auf deren Basis schließlich die Auswahl und Begründung der Erhebungsmethodik

der vorliegenden Arbeit erfolgt. Abschließend werden bestehende Forschungslücken auf

internationaler Ebene aufgezeigt, die größtenteils auch auf die Erforschung von Korruption im

Gesundheitssystem zutreffen.

Auf Basis der erhobenen theoretischen Grundlagen zum Untersuchungsgegenstand

„Korruption“ erfolgt im dritten Kapitel eine inhaltliche Fokussierung auf den

Gesundheitssektor. Demnach zielt das dritte Kapitel auf die Erhebung der internationalen IST-

Situation und des aktuellen Forschungsstandes im Hinblick auf „Korruption im

Gesundheitssystem“ ab. In diesem Kontext gilt es, wichtige Begrifflichkeiten zu klären bzw.

voneinander abzugrenzen sowie das potenzielle Ausmaß und die spezifischen

Erscheinungsformen von Korruption im Gesundheitssystem aufzuzeigen. Weiters wird auf

spezifische (empirisch belegte) Ursachen und Auswirkungen dieses Phänomens näher

eingegangen, um die Relevanz der Thematik – vor allem in gesundheitsökonomischer und

gesellschaftlicher Hinsicht – zu verdeutlichen. Im Fokus des dritten Kapitels steht

insbesondere die Erhebung bislang gesetzter bzw. empfohlener Antikorruptionsmaßnahmen

im Gesundheitssystem, auf deren Grundlage ein theoretischer Bezugsrahmen zur

Korruptionsbekämpfung in diesem speziellen Kontext vorgestellt wird. Weiters werden auch

spezifische Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruption im

Gesundheitssystem auf internationaler Ebene sowie der zukünftige Forschungsbedarf

aufgezeigt.

10

Das vierte Kapitel widmet sich dem eigentlichen Schwerpunktthema der vorliegenden

Dissertation: „Korruption im österreichischen Gesundheitssystem“. Demnach zielt das vierte

Kapitel – ausgehend von den bisherigen theoretischen Erkenntnissen – auf die Erhebung der

nationalen Ausgangslage und des aktuellen Forschungsstandes im Hinblick auf die genannte

Thematik ab. Zunächst wird das nationale Gesundheitssystem in Bezug auf wichtige

Systemparameter (Organisation, Steuerung, Finanzierung, zentrale Kennzahlen etc.) kurz

beschrieben. Im Speziellen wird auf das Konzept der ebenenübergreifenden Systemsteuerung

bzw. auf die ebenenübergreifende Darstellung der wichtigsten Akteure und

Steuerungsmechanismen im nationalen Gesundheitssystem zurückgegriffen, welche auch im

Rahmen der Ergebnisdarstellung der empirischen Untersuchung zum Einsatz kommt.

Ausgehend vom identifizierten zukünftigen Verbesserungs- und Handlungsbedarf im

nationalen Gesundheitssystem (u.a. hohe Gesundheitsausgaben, durchschnittliche erbrachte

Leistungsergebnisse im internationalen Vergleich, Ressourcenverknappung) wird schließlich

auf die Korruptionsthematik als potenzieller Stellhebel für eine verbesserte Prozess- und

Ressourcensteuerung näher eingegangen. Dies schließt die Aufarbeitung der aktuellen,

korruptionsrelevanten rechtlichen Lage sowie die Darlegung bislang gesetzter

Antikorruptionsmaßnahmen auf nationaler Ebene ein, die letztlich in den theoretischen

Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem aus Kapitel 3 eingebettet

und grafisch veranschaulicht werden. Einen wichtigen Kern des vierten Kapitels bildet die

Erhebung des aktuellen nationalen Forschungsstandes zur diesbezüglichen Thematik und des

sich daraus erschließenden Forschungsbedarfes.

Ausgehend von den insgesamt erworbenen theoretischen Erkenntnissen und dem

identifizierten nationalen Forschungsbedarf wendet sich das fünfte Kapitel dem empirischen

Teil der Dissertation zu. Wie bereits mehrmals angemerkt wurde, zielt die empirische

Untersuchung, der ein exploratives qualitatives Forschungsdesign zugrunde liegt, auf die

Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen ab. Im Zuge dessen wird auch das

wahrgenommene Ausmaß von Korruption im nationalen Gesundheitssystem erhoben,

welches allerdings aufgrund der geringen Aussagekraft einer solchen subjektiven

Einschätzung nicht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses steht bzw. keine eigenständige

Forschungsfrage darstellt. Zur Sicherstellung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der

Studie werden eingangs das Forschungsdesign, die Datenerhebung, -aufbereitung und

11

-auswertung umfassend beschrieben und begründet. Im Fokus des fünften Kapitels steht die

Darlegung der eruierten Forschungsergebnisse einschließlich daraus abgeleiteter Thesen, die

es zukünftig empirisch (quantitativ) zu überprüfen gilt. Wie bereits angemerkt wurde, wird im

Rahmen der Ergebnisdarstellung auf das Konzept der ebenenübergreifenden

Systemsteuerung zurückgegriffen. In concreto werden die Ursachen und Auswirkungen

ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der Makro-, Meso- und Mikroebene

des nationalen Gesundheitssystems auf ihre potenziellen Wechselwirkungen hin untersucht

und ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen der zukünftige

Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen abgeleitet. Demzufolge besteht der größte

Anspruch darin, aus der empirischen Untersuchung konkrete Empfehlungen und Maßnahmen

auf den jeweiligen Systemebenen für die nachhaltige Korruptionsprävention und

-eindämmung im nationalen Gesundheitssystem abzuleiten. Es gilt, neben der

wissenschaftlichen Relevanz, vor allem die praktische Relevanz der Studie hervorzuheben.

Gleichzeitig wird auf etwaige (methodische) Einschränkungen und Limitationen der Studie

verwiesen.

Im sechsten und letzten Kapitel werden die zentralen theoretischen und empirischen

Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst. Dabei folgt ein umfassender Ausblick auf die

notwendigen zukünftigen Entwicklungen zur nachhaltigen Eindämmung von Korruption als ein

potenzieller Stellhebel zur langfristigen Effektivitäts- und Effizienzsteigerung im nationalen

Gesundheitssystem und zur Sicherstellung seiner solidarischen Finanzierung – eine

notwendige Voraussetzung für einen freien, gerechten Zugang zu einer qualitativ

hochwertigen Gesundheitsversorgung.

Nachfolgende Darstellung (Abbildung 2) liefert einen guten Überblick über die wichtigsten

Inhalte und den Aufbau der vorliegenden Arbeit.

12

Kapitel 2: IST-Situation und theoretische Grundlagen zu Korruption

Begriffsklärung und-abgrenzung

Ausmaß Formen und TypologienWissenschaftliche Erklärungsansätze

Ursachen AuswirkungenAntikorruptions-

maßnahmenMessinstrumente

Zukünftiger Forschungsbedarf

Kapitel 3: IST-Situation und theoretische Grundlagen zu Korruption im Gesundheitssystem

Begriffsklärung und -abgrenzung

Ausmaß Erscheinungsformen

Ursachen und Auswirkungen Antikorruptionsmaßnahmen Messinstrumente

Zukünftiger Forschungsbedarf

Kapitel 4: IST-Situation und theoretische Grundlagen zu Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Nationales Gesundheitssystem

Organisation, Steuerung, Finanzier.

Ebenenübergreifende Systemsteuerung

Zentrale Kennzahlen

Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf

Korruption Rechtlicher HintergrundBisherige

Antikorruptionsmaßnahmen

Zukünftiger Forschungsbedarf

Kapitel 5: Empirische Untersuchung

Nationale Korruptionsdefinition

Erscheinungsformen Ausmaß

Ursachen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene

Auswirkungen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene

Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf

Empfehlungen auf der Makroebene

Empfehlungen auf der Mikroebene

Weiterer zukünftiger Forschungsbedarf

Empfehlungen auf der Mesoebene

Kapitel 1: Einleitung

Kapitel 6: Zusammenfassung und Ausblick

Abbildung 2: Übersicht Kapitel 1 bis 6 der Arbeit

13

2 Korruption

Das folgende Kapitel liefert einen umfassenden und prägnanten Überblick über die IST-

Situation und den aktuellen Stand der Korruptionsforschung auf internationaler Ebene.

Ausgehend von einer ausführlichen Begriffsbestimmung und -abgrenzung von Korruption

(Kapitel 2.1) und ihrem potenziellen Ausmaß (Kapitel 2.2) werden ihre unterschiedlichen

Formen und Typologien (Kapitel 2.3) beleuchtet. Daraufhin werden verschiedene

wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption erläutert (Kapitel 2.4) und ausgehend

davon ihre Ursachen (Kapitel 2.5) und Auswirkungen (Kapitel 2.6) untersucht. Anschließend

werden bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen auf internationaler Ebene (Kapitel 2.7)

und bisherige Verfahren zur Messung von Korruption einschließlich ihrer methodischen

Probleme (Kapitel 2.8) diskutiert. Abschließend wird der zukünftige Forschungsbedarf

aufgezeigt (Kapitel 2.9) und die wichtigsten Erkenntnisse aus Kapitel 2 als Überleitung auf

Kapitel 3 zusammengefasst wiedergegeben (Kapitel 2.10).

2.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung

Obwohl es sich bei Korruption um ein Jahrhunderte altes Phänomen handelt, existiert bis

heute keine einheitliche, allgemein gültige Begriffsbestimmung dafür – weder aus

interdisziplinärer noch aus internationaler Sicht. Und das, obwohl es an bisherigen

Korruptionsdefinitionen keineswegs mangelt (von Alemann 2005, S. 19; Kliche & Thiel 2011,

S. 412; Graeff 2012, S. 208f.). Die größte Herausforderung bei der Formulierung einer

umfassenden, allseits akzeptierten Definition liegt wohl darin, den unterschiedlichen

Disziplinen und ihren Erfordernissen bzw. den einzelnen Ländern und ihren Kulturen (Normen

und Werten) gerecht zu werden. Schließlich kann ein bestimmtes Verhalten aus der Sicht

verschiedener Disziplinen oder zweier aus fremden Kulturkreisen stammenden Personen

unterschiedlich aufgefasst werden. Was für den einen korrupt ist, muss es nicht unbedingt

auch für den anderen sein (Graeff 2012, S. 208f.; Dimant 2013, S. 5).

Leitet man Korruption von dem lateinischen Wort „corrumpere“ ab, so lässt es sich mit

verderben, vernichten oder bestechen übersetzen (TI-AC 2013, S. 38). Diese Übersetzung

greift allerdings viel zu kurz, wenn es darum geht, Korruption eindeutig zu definieren.

14

Konkreter wird es, wenn man die juridisch-normative Definition von Korruption heranzieht.

Diese liefert eine vergleichsweise sehr klare, aber auch recht enge Sichtweise von Korruption,

indem sie sie auf den Tatbestand der Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung und

Vorteilsannahme als Kerndelikte (vgl. Kapitel 2.3 und 4.2.1) eingrenzt (von Alemann 2005, S.

19). Folglich werden aus juristischer Sicht nur „opferlose Delikte“, bei denen keinem Dritten

ein „direkter“ Schaden entsteht, zu Korruption gezählt, weshalb Delikte wie Betrug,

Erpressung oder Untreue nicht darunter subsumiert werden (Graeff 2012, S. 214f.). Zwar kann

eine solche enge Betrachtungsweise von Korruption sowohl aus praktischer Sicht

(Vermeidung von Überkriminalisierung, genauere Abgrenzung gegenüber anderen Delikten

etc.) als auch aus theoretischer Sicht (genaueres Forschungsdesign etc.) durchaus vorteilhaft

sein, berücksichtigt allerdings keine Graubereiche korrupten Verhaltens (illegitimes

Verhalten) bzw. Regelungslücken und bleibt zusätzlich auf den jeweiligen Rechtsraum

beschränkt. Aufgrund dessen weichen viele Korruptionsforscher auf weiter gefasste

Definitionen aus (von Alemann 2005, S. 19f.; Wolf 2014, S. 20).

Eine sehr beliebte, häufig herangezogene Definition von Korruption, die ursprünglich von

Joseph J. Senturia (1931, S. 449) vorgeschlagen wurde und über das strafrechtliche

Verständnis hinausgeht, lautet: „The misuse of public power for private profit“ bzw. „der

Missbrauch von öffentlicher Macht zum privaten Nutzen“ (Tanzi 1998, S. 564; von Alemann

2005, S. 20; Lambsdorff 2007, S. 16). Dabei bezieht sich der „private Nutzen“ sowohl auf

materielle als auch auf immaterielle Vermögenswerte; der „Missbrauch“ auf ein

abweichendes Verhalten (z.B. vom formalen Rechts- und Normensystem) und die „öffentliche

Macht“ auf die Machtausübung durch ernannte Bürokraten und gewählte Politiker

(Lambsdorff 2007, S. 16f.). Dadurch, dass sich Senturias Definition universell auf Korruption

übertragen lässt, indem sich lediglich die drei genannten Begriffe kreuzen müssen, wurde sie

auch von der Weltbank übernommen (Tanzi 1998, S. 564; von Alemann 2005, S. 20; DiRienzo

et al. 2007, S. 321). Allerdings besteht bei dieser Definition das Problem, dass der Begriff

„Missbrauch“ nicht immer einfach zu definieren ist und der Begriff „privater Nutzen“ keine

Schwellenwerte angibt, um geringfügigen Nutzen auszuschließen (von Alemann 2005, S. 20f.;

Kliche & Thiel 2011, S. 413). Zudem schließt sie durch die übermäßige Fokussierung auf

öffentliche Macht private Macht weitgehend aus (Tanzi 1998, S. 564; von Alemann 2005, S. 20;

DiRienzo et al. 2007, S. 321; Kliche & Thiel 2011, S. 413). Dadurch fallen beispielsweise

15

Schattenwirtschaft oder Steuerhinterziehung nicht unter diesen Korruptionsbegriff

(Lambsdorff 2007, S. 19).

Zur Einbeziehung des privaten Sektors wandelte Transparency International Senturias

Definition in „the misuse of entrusted power for private gain“ bzw. „den Missbrauch von

anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“ um (DiRienzo et al. 2007, S. 321; TI-AC

2013, S. 38). Zwar erlaubt diese Definition, Korruption in ihrer größeren Bandbreite zu

erfassen, allerdings besteht auch bei dieser modifizierten Version weiterhin das Problem, dass

der Begriff „Missbrauch“ nicht einfach zu definieren ist und der Begriff „privater Nutzen“ keine

Schwellenwerte angibt. Somit kann sich auch bei dieser Definition die Grenzziehung zwischen

korruptem und korrektem Verhalten manchmal als sehr schwierig erweisen (von Alemann

2005, S. 20f.; Kliche & Thiel 2011, S. 413). Trotz der Schwächen der allgemeinen

Begriffsbestimmung von Transparency International lehnen sich viele Korruptionsforscher

nach wie vor an diese an (Dimant 2013, S. 6; TI-AC 2013, S. 38).

Der vorliegenden Dissertation wird zunächst ebenfalls die Korruptionsdefinition nach

Transparency International zugrunde gelegt, wobei die Formulierung einer eigenständigen

Definition für das nationale Gesundheitssystem im Rahmen der empirischen Untersuchung

anvisiert wird.

2.2 Ausmaß von Korruption

Korruption stellt nicht nur ein uraltes, sondern auch ein weltweit verbreitetes Phänomen dar

(Shleifer & Vishny 1993, S. 599; Myint 2000, S. 33), von dem nicht nur die Entwicklungsländer

betroffen sind. Dies lässt sich vor allem aus den Länderplatzierungen des Korruptions-

wahrnehmungsindexes (Corruption Perception Index) 1 von Transparency International

ableiten (Litzcke et al. 2012, S. 11). Laut dem aktuellen Korruptionswahrnehmungsindex lag

Österreich 2016 auf Rang 17 von insgesamt 176 erfassten Staaten und rutschte damit im

Vergleich zum Vorjahr (2015: Rang 16) um einen Platz ab, womit der leichte Aufwärtstrend

der letzten Jahre vorerst vorbei zu sein scheint (2013: Rang 26; 2012: Rang 25; 2011: Rang 16;

1 Die einzelnen Indizes (Corruption Perception Index, Global Corruption Barometer und Eurobarometer) werden in Kapitel 2.8 näher ausgeführt.

16

2005: Rang 10). Die Liste wird von Dänemark, Neuseeland und Finnland als die am wenigsten

von Korruption betroffenen Länder angeführt. Die untersten Ränge belegen Syrien,

Nordkorea, Südsudan und Somalia, die somit zu den korruptionsanfälligsten Ländern der Erde

gezählt werden (TI 2016; TI-AC 2017b). Wie dem Global Corruption Barometer von

Transparency International aus dem Jahr 2013, der über 114.000 Befragte aus 107 Ländern

einschloss, zu entnehmen ist, stellt Korruption laut Ansicht der Befragten weltweit ein

ernsthaftes Problem dar. Auf einer Skala von 1 (Korruption ist gar kein Problem) bis 5

(Korruption ist ein sehr ernsthaftes Problem) lag der ermittelte Durchschnittswert der

untersuchten Länder bei 4.1. Mehr als jeder vierte Befragte gab an, in den letzten zwölf

Monaten ein Bestechungsgeld an öffentliche Institutionen oder für öffentliche

Dienstleistungen gezahlt zu haben. Am korruptesten wurden politische Parteien, Polizisten,

Beamte, Legislative und Justiz eingestuft, wobei die meisten Bestechungszahlungen an

Polizisten und Justiz (gefolgt von Bestechungszahlungen für Registrierungs-, Gesundheits- und

Bildungsleistungen etc.) geflossen sind. Neben Bestechung wurde auch Favoritismus bzw.

Günstlingswirtschaft als problematisch eingestuft (Hardoon & Heinrich 2013, S. 3ff. und S. 11).

Den Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus dem Jahr 2013 (27.786 Befragte

aus den EU-Mitgliedsstaaten) zufolge, glauben 76 % der Befragten, dass Korruption ein weit

verbreitetes Phänomen im eigenen Land darstellt. Jeder dritte Europäer ist sogar der

Meinung, dass Korruption sehr weit verbreitet ist, nur die wenigsten (5 %) gehen von einem

wahrgenommenen Rückgang aus. Dies trifft vor allem auf die süd- und osteuropäischen

Nationen (u.a. Griechenland, Italien, Litauen, Kroatien, Tschechien, Spanien, Rumänien) zu.

Am korruptesten wurden wiederum Politiker und politische Parteien eingestuft. Jeder achte

Europäer gibt an, jemanden zu kennen, der Bestechungsgelder angenommen oder offeriert

hat; jeder zwölfte gibt an, selbst Fälle von Korruption im vergangenen Jahr erlebt oder

beobachtet zu haben. Die höchste Bestechungsrate weist das Gesundheitssystem auf

(Europäische Kommission 2014, S. 6ff. und S. 116ff.). Die Befragungsergebnisse des Special

Eurobarometers decken sich in vielerlei Hinsicht mit dem aktuellen Global Corruption

Barometer von 2016, der knapp 60.000 Befragte aus 42 Ländern des europäischen und

zentralasiatischen Raumes einschloss. Jeder Dritte zählt Korruption zu den größten Problemen

im eigenen Land, wobei Politiker und öffentliche Bedienstete als am korruptesten eingestuft

werden. Jeder sechste Befragte gibt an, ein Bestechungsgeld für den Erhalt einer öffentlichen

Dienstleistung im letzten Jahr gezahlt zu haben. Die höchste Bestechungsrate auf

17

europäischer Ebene weist wiederum das Gesundheitssystem auf (Pring 2016, S. 2ff. und S. 19).

Laut aktuellen Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), welche sich auf

Hochrechnungen von Daniel Kaufmann beziehen, soll sich der weltweite volkswirtschaftliche

Schaden durch Korruption im Jahr 2015 auf 1,5 bis zwei Billionen USD (ca. 2 % des globalen

BIP) belaufen haben (IMF 2016, S. 5). Der volkswirtschaftliche Schaden durch Korruption in

Österreich wurde von Friedrich Schneider (JKU Linz) auf Basis des

Korruptionswahrnehmungsindexes im Jahr 2012 auf 17 Mrd. Euro geschätzt (Schneider 2012,

S. 13f.). Aktuelle Hochrechnungen liegen nicht vor bzw. sind der Autorin nicht bekannt.

2.3 Formen und Typologien von Korruption

Die meisten spezifischen Formen von Korruption, von denen viele gleichzeitig auch eine

Straftat darstellen, sind klar und verständlich definiert und bilden die Grundlage

verschiedener legaler oder akademischer Definitionen (Langseth 2016, S. 9). Darüber hinaus

werden in der Literatur verschiedene Kategorien bzw. Typologien von Korruption

unterschieden, nach denen die einzelnen Korruptionsformen klassifiziert werden können

(Tanzi 1998, S. 565; Vargas-Hernàndez 2010, S. 132ff.; Wolf 2014, S. 22). Allerdings existieren

nach wie vor keine universellen Formen bzw. Typologien von Korruption, genauso wie es auch

bislang an einer universellen Definition von Korruption mangelt (Vargas-Hernàndez 2010, S.

132). Die folgende Tabelle (Tabelle 2) fasst die gängigsten Formen und Typologien von

Korruption, die anschließend kurz beschrieben werden, zusammen, wobei kein Anspruch auf

Vollständigkeit besteht.

Formen und Typologien von Korruption

Formen Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung, Vorteilsannahme

Veruntreuung

Betrug

Erpressung

Kollusion

Favoritismus (Nepotismus, Patronage, Klientelismus)

Typologien Public vs. private corruption

Petty vs. grand corruption

Situative vs. structural vs. systemic corruption

White vs. grey vs. black corruption

Tabelle 2: Formen und Typologien von Korruption Quelle: Verfasserin

18

1. Formen von Korruption

Im Folgenden werden jene spezifischen Verhaltensformen aufgelistet, die von der Mehrzahl

der Korruptionsforscher zu Korruption im weiteren Sinne bzw. im Sinne des „Missbrauchs von

anvertrauter Macht zum privaten Nutzen“ gezählt werden. Weiter gefasste

Begriffsdefinitionen, die über den strengen strafrechtlichen Korruptionsbegriff hinausgehen,

schließen eben nicht nur „opferlose“ Delikte wie Bestechung, Bestechlichkeit,

Vorteilszuwendung und -annahme ein, sondern auch Veruntreuung, Betrug, Erpressung,

Kollusion und Favoritismus in all seinen Ausprägungen (Nepotismus, Patronage,

Klientelismus).

Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung und Vorteilsannahme

Die wohl verbreitetste und zentralste Form von Korruption stellt Bestechung in ihrer

aktiven Form und Bestechlichkeit in ihrer passiven Form dar. Im österreichischen

Strafrecht versteht man unter Bestechung (§ 307 StGB) bzw. Bestechlichkeit (§ 304 StGB)

das Anbieten, Versprechen oder Gewähren bzw. das Fordern, Annehmen oder Sich-

versprechen-lassen eines Vorteils für die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung

eines Amtsgeschäftes (z.B. Auftragszusage, Verfahrensbeschleunigung, Informations-

beschaffung). Ähnliches gilt für den privatwirtschaftlichen Bereich (§ 309 StGB) (Andvig et

al. 2000, S. 15; Vargas-Hernàndez 2010, S. 133; Eder-Rieder 2014, S. 75ff.). Der

Unterschied zwischen Bestechung und Vorteilszuwendung (§ 307a StGB) bzw.

Bestechlichkeit und Vorteilsannahme (§ 305 StGB) besteht darin, dass im letzteren Fall

kein Verstoß gegen die Dienstpflichten („pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung

eines Amtsgeschäftes“) vorliegen muss. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn

Person A Beamten B einen bestimmten Vorteil für eine Genehmigung verspricht, die

Person A ohnehin zustehen würde (Wolf 2014, S. 21). Detailliertere Ausführungen zu den

einzelnen Korruptionsdelikten finden sich in Kapitel 4.2.1.

Veruntreuung

Zwar fällt Veruntreuung (§ 133 StGB) im strafrechtlichen Sinne nicht unter Korruption,

beinhaltet aber durchaus auch den Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten

Nutzen im Sinne der unrechtmäßigen Zueignung von anvertrauten fremden (öffentlichen)

Gütern zu Bereicherungszwecken. Einfach ausgedrückt handelt es sich hierbei um eine

besondere Form von Diebstahl (Andvig et al. 2000, S. 15f.; Vargas-Hernàndez 2010, S. 134).

19

Betrug

Betrug (§ 146 StGB) stellt ein Vermögensdelikt dar und liegt vor, wenn jemand zu

Bereicherungszwecken einen anderen durch Täuschung über Tatsachen zu einer

Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen Dritten am

Vermögen schädigt (Andvig et al. 2000, S. 16; Vargas-Hernàndez 2010, S. 134). Einen

typischen Fall von Betrug stellt beispielsweise Abrechnungsbetrug dar, indem Leistungen

abgerechnet werden, die gar nicht oder in anderen Dimensionen erbracht worden sind

(Gruber et al. 2013, S. 119f.).

Erpressung

Erpressung (§ 144 StGB) beinhaltet die Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder

Unterlassung (z.B. zur Enthüllung bestimmter sensibler Informationen) durch die

Ausübung von Gewalt oder gefährlichen Drohung, um sich oder einen Dritten

unrechtmäßig zu bereichern (Andvig et al. 2000, S. 17; Vargas-Hernàndez 2010, S. 134).

Kollusion

Kollusion beschreibt das unerlaubte Zusammenwirken zweier oder mehrerer Akteure im

öffentlichen und/oder privaten Sektor, beispielsweise in Form geheimer Preis- oder

Angebotsabsprachen, zulasten unbeteiligter Dritter (Hussman 2010, S. 23; Vargas-

Hernàndez 2010, S. 134).

Favoritismus (Nepotismus, Patronage, Klientelismus)

Favoritismus oder Günstlingswirtschaft bezeichnet überordnend die ungerechtfertigte

Vorteilsbeschaffung für bzw. Begünstigung von Familienangehörigen oder Freunden

(Nepotismus bzw. Vetternwirtschaft) 2, politischen Parteien, religiösen, ethnischen oder

regionalen Gruppierungen (Klientelismus bzw. Patronage) 3 . Einen typischen Fall von

Günstlingswirtschaft stellt die ungerechtfertigte Bevorzugung bestimmter Personen bei

der Vergabe von Positionen und Ämtern dar (Ämterpatronage) (Andvig et al. 2000, S. 17f.;

Vargas-Hernàndez 2010, S. 135).

2 Der Begriff Nepotismus findet heutzutage nicht nur im Familien- und Verwandtschaftskontext, sondern auch im Freundschaftskontext Anwendung (Olteanu, 2013, S. 143). 3 Im Konkreten wird unter Klientelismus eine längerfristige, persönliche und asymmetrische Beziehung zwischen zwei Akteuren (Patron und Klient) verstanden, die dem reziproken Austausch von Ressourcen dient. Häufig werden die Begriffe Klientelismus und Patronage synonym verwendet, wobei auch zwischen diesen differenziert wird. Unter anderem wird Patronage auf der mesosoziologischen Ebene von Organisationen und Institutionen (Parteiapparat) beleuchtet, während Klientelismus auf der mikrosoziologischen Ebene (Patron-Klient-Beziehung) analysiert wird (Muno 2016, S. 649ff.).

20

Während die zuvor geschilderten Delikte von der Mehrheit der Korruptionsforscher unter

Korruption subsumiert werden, herrscht bei einigen anderen wie beispielsweise der

Geldwäscherei (§ 165 StGB) oder Steuerhinterziehung (§ 33 FinStrG) bisweilen Uneinigkeit

(Wolf 2014, S. 22). Während Geldwäscherei auf die Verbergung oder Verschleierung der

rechtswidrigen Herkunft von Vermögensbestandteilen abzielt (TI-AC 2013, S. 28), wird unter

Steuerhinterziehung laut geltendem Recht die rechtswidrige Erwirkung einer

Abgabenverkürzung verstanden. Auch wenn diese Formen üblicherweise nicht unter

Korruption subsumiert werden, treten sie dennoch häufig in Zusammenhang mit ihr auf (Wolf

2014, S. 22). Nicht selten wird auch Lobbyismus im Graubereich von Korruption geortet, was

allerdings bislang eine legale Form der Einflussnahme auf wichtige Entscheidungsträger und -

prozesse in der Exekutive und Legislative bzw. eine legale Form der Interessenvertretung in

Politik und Gesellschaft darstellt (Priddat 2011, S. 69f.; Wolf 2014, S. 18).

2. Typologien von Korruption

In der Literatur wird man des Öfteren mit bestimmten Kategorien bzw. Typologien von

Korruption konfrontiert; die bedeutendsten gilt es im Folgenden näher zu erläutern.

Public vs. private corruption

Eine grundlegende Kategorisierung von Korruption richtet sich nach den involvierten

Akteuren: Während public corruption die Beteiligung eines Politikers oder öffentlichen

Bediensteten an der korrupten Tat voraussetzt, bezieht sich private corruption

ausschließlich auf Korruption zwischen privaten Akteuren (Argandoña 2005, S. 253; Wolf

2014, S. 22). Weiters kann public corruption in political corruption und bureaucratic

corruption unterteilt werden. Erstere liegt vor, wenn politische Entscheidungsträger ihre

Macht missbrauchen und Entscheidungen im eigenen Interesse zulasten der Allgemeinheit

treffen. Letztere hingegen bezieht sich auf den Machtmissbrauch durch öffentliche

Bedienstete, wie beispielsweise die Bevorzugung von Familienmitgliedern bei der Vergabe

öffentlicher Aufträge oder Stellen (Vargas-Hernàndez 2010, S. 132f.).

Petty vs. grand corruption

In Abhängigkeit vom Korruptionsausmaß differenzieren viele Korruptionsforscher

zwischen grand corruption und petty corruption. Grand corruption, welche oftmals auch

als high-level corruption bezeichnet wird, impliziert Korruption auf hoher

gesellschaftlicher und politischer Ebene bei den führenden Eliten eines Landes. Sie ist

21

zumeist mit großen Geldsummen verbunden, auf Dauer angelegt und bewusst geplant.

Dementsprechend hoch ist der daraus resultierende Korruptionsschaden. Hingegen

schließt petty corruption oder low-level corruption solche Fälle ein, die seitens

niederrangiger Bediensteter spontan bzw. ungeplant, aus der Alltagssituation heraus ohne

besondere Wiederholungsabsicht verübt werden. Petty corruption ist vor allem auf

administrativer bzw. Beamtenebene (bureaucratic corruption) anzutreffen. Besticht man

beispielsweise einen Verkehrspolizisten, so handelt es sich hierbei klarerweise um petty

corruption, die in der Regel mit weitaus weniger Geld verbunden ist als grand corruption.

Allerdings darf die „kleine Korruption“ im Hinblick auf ihr Schadensausmaß nicht

unterschätzt werden, vor allem wenn sie Eingang in das tägliche Leben, z.B. ins Bildungs-

und Gesundheitswesen, findet (Myint 2000, S. 40f.; von Alemann 2005, S. 32f.).

Situative vs. structural vs. systemic corruption

Im Hinblick auf die Häufigkeit und Stabilität korrupter Beziehungen lässt sich zwischen

situative, structural und systemic corruption unterscheiden. Ähnlich wie petty corruption

erfolgt situative corruption spontan, ungeplant und ohne besondere

Wiederholungsabsicht ganz im Sinne einer Gelegenheitskorruption. Hingegen beruht

strukturelle Korruption (structural corruption), der eine gezielte Planung und Vorbereitung

vorausgeht, auf länger andauernden Korruptionsbeziehungen. Strukturelle Korruption

kann in regelrechten Netzwerken münden, die, sobald sie großflächiger werden und

mehrere Länder und politische Systeme umfassen, sich in systemischer Korruption

(systemic corruption) niederschlagen können (Litzcke et al. 2012, S. 9f.; Wolf 2014, S. 22).

White vs. grey vs. black corruption

In Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Akzeptanz bzw. Wahrnehmung kann Korruption

nach Heidenheimer (1989) in folgende drei Kategorien unterteilt werden: White

corruption beinhaltet jene Fälle, die von der Gesellschaft überwiegend toleriert und

akzeptiert werden. Diese Form der Korruption ist vor allem in familiengeprägten sowie

auch in Patron-Klient-Systemen anzutreffen. Grey corruption bezieht sich indes auf Fälle,

die zwar als moralisch verwerflich angesehen, allerdings aufgrund eines mangelnden

Unrechtsbewusstseins nicht von allen als korrupt aufgefasst werden; wohingegen black

corruption alle Formen von Korruption einschließt, die eindeutig aus moralischer und

legaler Sicht als korrupt gelten und gesellschaftlich verachtet werden (von Alemann 2005,

S. 33f.; Vargas-Hernàndez 2010, S. 136).

22

2.4 Wissenschaftliche Erklärungsansätze

Als Forschungsgegenstand hat Korruption Eingang in verschiedenste Wissenschaftsdisziplinen

gefunden. Dies überrascht wenig, zumal Korruption als ubiquitäres, globales Phänomen

beinahe jede gesellschaftswissenschaftliche Disziplin tangiert und daher nur interdisziplinär

erfassbar ist. Mittlerweile existieren neben ökonomischen Erklärungsansätzen von Korruption

auch psychologische, soziologische, politische, kriminologische, strafrechtliche, historische

u.a. (von Alemann 2005, S. 22ff.; Stachowicz-Stanusch 2010, S. 36; Graeff 2012, S. 208; Grieger

2012, S. 6ff.). Allerdings handelt es sich hierbei meist um bereits vorhandene, „entlehnte“

Theorien und weniger um „originäre“ Ansätze, weshalb in dieser Hinsicht durchaus ein

Theoriedefizit besteht (Graeff 2012, S. 226f.). In der folgenden Tabelle (Tabelle 3) werden die

wichtigsten Erklärungsansätze der für die Korruptionsforschung wohl relevantesten

Disziplinen zusammengefasst und anschließend ausführlich beschrieben, wobei kein Anspruch

auf Vollständigkeit besteht.

Wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption

Ökonomische Erklärungsansätze

Nutzenmaximierendes Verhalten rational-agierender Akteure, mangelnde Ausgestaltung institutioneller Rahmenbedingungen

Principal-Agent-Theorie (Prinzipal-Agent-Klient-Theorie)

Rent-Seeking-Ansatz

Kosten-Nutzen-Analyse

Psychologische Erklärungsansätze

Korruptionsförderliche personelle (z.B. Antikorruptionseinstellung, subjektive Normen) und situative Faktoren (z.B. wahrgenommene Handlungskontrolle)

Theorie des geplanten Verhaltens

Theorie der kognitiven Dissonanz

Sozialkognitive Lerntheorie

Soziologische Erklärungsansätze

Formelle und informelle Beziehungsstrukturen von Korruptionsakteuren, korruptionsförderliche institutionelle/kulturelle Rahmenbedingungen

Soziale Austauschtheorie

Netzwerktheorie

Anomietheorie

Strafrechtliche Erklärungsansätze

Mangelnde Ausgestaltung und Vollziehung des gesetzlich-normativen Rahmens

Kriminologische Erklärungsansätze

Einbeziehung strafrechtlicher und soziologischer Erklärungsansätze

Politische Erklärungsansätze

Korruptionsförderliche Faktoren wie Demokratisierungsgrad, Regierungssystem, Größe des öffentlichen Sektors, Pressefreiheit etc.

Historische Erklärungsansätze

Historische Entwicklung und Ausprägungen von Korruption, Vergleichsziehung mit heutigen Erscheinungsformen

Tabelle 3: Wissenschaftliche Erklärungsansätze von Korruption Quelle: Verfasserin

23

1. Ökonomische Perspektiven

Ökonomische Erklärungsansätze sehen Korruption im nutzenmaximierenden

Entscheidungsverhalten rational agierender Akteure begründet, welche die Auswirkungen

ihres Handelns auf Dritte nicht berücksichtigen. Aus der vermeintlichen Win-Win-Situation

entstehen jedoch externe Kosten, die zulasten einer ganzen Gesellschaft (z.B.

Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums) gehen können. Dieses nutzenmaximierende

Verhalten der Akteure wird vor allem von der Ausgestaltung organisationaler

Rahmenbedingungen wie Ermessensspielräumen und Entscheidungskompetenzen, Rechen-

schaftspflichten, Anreiz-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen dominiert (Rose-Ackerman

1996; von Alemann 2005, S. 29; Beck & Nagel 2012, S. 31f.). Demzufolge hängt Korruption aus

ökonomischer Sicht nicht von der menschlichen Moral, sondern vorrangig von der

Ausgestaltung institutioneller Strukturen, die Anreize zu korruptem Verhalten bieten, ab (Beck

& Nagel 2012, S. 32f.). Den Zusammenhang zwischen Korruption und organisationalen

Rahmenbedingungen beschrieb Klitgaard (1988, S. 75) mathematisch anschaulich anhand

folgender „Formel“: Corruption = Monopoly + Discretion – Accountability. Daraus erschließt

sich, dass Korruption immer dann entsteht, wenn ein Akteur über monopolistische Macht

verfügt, viel Handlungs- und Entscheidungsspielraum genießt und seinem Vorgesetzten

gegenüber kaum verantwortlich ist bzw. keine Rechenschaft ablegen muss. Im Folgenden

werden die zentralsten ökonomischen Erklärungsansätze von Korruption näher erläutert.

Prinzipal-Agent-Theorie (Prinzipal-Agent-Klient-Theorie)

Ein unter Ökonomen sehr beliebter Ansatz zur Erklärung von Korruption stellt die auf der

Rational-Choice-Theorie gründende Prinzipal-Agent-Theorie dar, welche von Klitgaard

(1988) zur Prinzipal-Agent-Klient-Theorie erweitert wurde. Ihr zufolge entsteht Korruption

aufgrund von asymmetrischen Informationen zwischen dem Prinzipal (Auftraggeber,

Staat) und dem Agenten (Auftragnehmer, Amtsträger), aufgrund deren es Letzterem

ermöglicht wird, sich korrupt, d.h. nicht im Interesse des Prinzipals, sondern im eigenen

Interesse bzw. in dem des Klienten (z.B. eines Unternehmens), zu verhalten. Die

Informationsasymmetrien resultieren aus Informationsvorsprüngen des Agenten (bedingt

durch seinen direkten Kontakt mit dem Klienten) und den begrenzten

Kontrollmöglichkeiten des Prinzipals, was dem Agenten wiederum einen gewissen

Entscheidungs- und Handlungsspielraum gewährt und ihn zur Korruption verleiten kann.

Einem solchen opportunistischen Verhalten entgegenzuwirken erweist sich insofern als

24

schwierig, als der Prinzipal lediglich über eine entsprechende Vertragsgestaltung Anreize

setzen kann, die den Agenten zu einem ehrlichen Verhalten motivieren sollen (James

2002, S. 209ff.; Schröder 2011, S. 5; Beck & Nagel 2012, S. 34f.). Beispiele für eine Prinzipal-

Agent-Beziehung lassen sich überall finden: Ein Beamter (Agent), der den Staat (Prinzipal)

schädigt, weil er gegen die Zahlung eines Bestechungsgeldes eine Lizenz an ein

Unternehmen (Klient) vergibt, welche diesem nicht zusteht (Beck & Nagel 2012, S. 34). Ein

Arzt (Agent), der nicht vorrangig im Interesse seines Patienten (Prinzipal) agiert, weil er

sich mit der Pharmaindustrie (Klient) verbündet hat (Schröder 2011, S. 5).

Rent-Seeking-Ansatz

Zu den ersten ökonomischen Ansätzen, die zur Erklärung von Korruption herangezogen

worden sind, zählt der Rent-Seeking-Ansatz, der insbesondere von Krueger (1974), Rose-

Ackerman (1978) und Bhagwati (1982) in den 70er-Jahren genauer analysiert worden ist.

Häufig wird er zur Analyse politischer Korruption eingesetzt. Ein Rent-Seeking-Verhalten

beschreibt die Beeinflussung politischer Entscheidungsträger und -prozesse mittels

Bestechungszahlungen zum persönlichen Vorteil. Es zielt somit auf die Erschließung oder

Sicherung von Einkommenserzielungschancen mittels politisch erwirkter Privilegien ab. Im

Unterschied zur Prinzipal-Agent-Klient-Theorie, muss hierbei kein Regel- oder

Gesetzesverstoß vorliegen. Vielmehr zielt ein solches Verhalten darauf ab, bereits auf den

Regel- bzw. Gesetzgebungsprozess Einfluss zu nehmen. Beispielsweise könnte ein

Unternehmen versuchen, auf einen öffentlichen Entscheidungsprozesses mittels

Bestechungszahlungen zu den eigenen Gunsten einzuwirken. Sobald jedoch

Bestechungszahlungen und nicht sinnvolle Argumente und Sachverhalte die Entscheidung

eines Politikers dominieren, kann es zur Wettbewerbsverzerrung und Fehlallokation von

Ressourcen kommen. Folglich stellt Korruption eine illegale Form von Rent-Seeking-

Aktivitäten dar. Davon abzugrenzen ist Lobbyismus, der unter die legalen Formen des

Rent-Seeking-Verhaltens fällt (Lambsdorff 2002, S. 120f.; von Alemann 2005, S. 29f.; Beck

& Nagel 2012, S. 35).

Kosten-Nutzen-Analyse

Einen weiteren bedeutenden ökonomischen Ansatz zur Erklärung von Korruption stellt die

Kosten-Nutzen-Analyse dar. Erstmalig angewandt auf die Ökonomik des Verbrechens

durch Becker (1968) beschreibt dieser Ansatz Korruption als Resultat einer subjektiv

geprägten Kosten-Nutzen-Abwägung: Sobald der Nutzen der Korruption die Kosten

25

übersteigt, entscheidet sich der Akteur für die korrupte Handlung. Dabei erfolgt die

Kosten-Nutzen-Abwägung sowohl auf Seiten der bestochenen Person (Höhe des

Bestechungsgeldes, Strafausmaß im Falle der Aufdeckung, moralische Kosten wie

Gewissensbisse und Selbstvorwürfe etc.) als auch auf Seiten des Bestechers (der aus der

Bestechungszahlung erlangte Vorteil, Höhe des Bestechungsgeldes, Zeitaufwand,

moralische Kosten etc.) (Beck & Nagel 2012, S. 33f.; Litzcke et al. 2012, S. 23f.).

2. Psychologische Perspektiven

Psychologen versuchen das Entscheidungsverhalten von Personen in ethischen Dilemma-

Situationen anhand von Faktoren wie beispielsweise der Einstellung zu korruptem Verhalten

oder der wahrgenommenen Handlungskontrolle zu erklären und schließen somit sowohl

personelle als auch situative Variablen im Rahmen einer solchen Einstellungs- und

Verhaltensforschung ein (Rabl 2008, S. 79; Grieger 2012, S. 7ff.).

Theorie des geplanten Verhaltens

Eine in der Psychologie häufig angewendete Theorie zur Erklärung korrupten Handelns

stellt die Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen (1991) dar (Rabl 2012, S. 155f.). Ihr

zufolge ist menschliches Verhalten von drei Aspekten abhängig: von der eigenen

Einstellung zum Verhalten (Bewertung des Verhaltens), von der subjektiven Norm bzw.

von dem sozialen Druck, ein solches Verhalten auszuführen oder nicht, sowie von der

wahrgenommenen Handlungskontrolle bzw. vom Schwierigkeitsgrad der Ausführung

eines solchen Verhaltens. Daraus erschließt sich Folgendes: Je positiver die eigene

Einstellung und subjektive Norm im Hinblick auf ein bestimmtes Verhalten sind und je

größer die wahrgenommene Kontrolle zur Verhaltensausführung ist, umso höher ist die

Intention und Wahrscheinlichkeit, dementsprechend zu agieren (Ajzen 1991, S. 188).

Ausgehend von den Komponenten der Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen

(1991) und des Rubikon-Modells der Handlungsphasen nach Heckhausen ([1987] 1989)

entwickelten Rabl (2008) und Rabl und Kühlmann (2008) das Modell korrupten Handelns.

Das aus der psychologischen Motivationsforschung stammende Rubikon-Modell

reflektiert den motivationalen Aspekt der Zielauswahl („Wünschen“, realitätsorientiert)

wie auch den volitionalen Aspekt der Zielerreichung („Wollen“, realisierungsorientiert)

(Heckhausen 1989, S. 203ff.; Rabl 2012, S. 155). Die empirische Überprüfung des Modells

zeigte, dass weder der Wunsch noch der Wille, ein bestimmtes Ziel (z.B. Auftragszusage)

26

zu erreichen, eine korrupte Handlung auslösen. Demnach wird Korruption nicht von

Beginn als ein mögliches Mittel zur Zielerreichung in Betracht gezogen, sondern erst, wenn

sich eine Gelegenheit zu Korruption bietet. Ob die Entscheidung für oder gegen Korruption

fällt, hängt letztlich von drei Aspekten ab, die sich in der Theorie des geplanten Verhaltens

widerspiegeln: von der eigenen Einstellung zu Korruption, von der Akzeptanz/Ablehnung

von Korruption im persönlichen Umfeld sowie von der wahrgenommenen Kontrolle zur

erfolgreichen Durchführung der korrupten Tat (geringe Aufdeckungswahrscheinlichkeit

etc.). Je positiver ein Akteur und sein Umfeld Korruption gegenüber eingestellt sind und je

größer der Glaube, die korrupte Handlung erfolgreich ausführen zu können, umso höher

wird die Intention und letztlich die Wahrscheinlichkeit sein, dementsprechend im Sinne

der Zielerreichung zu agieren (Rabl & Kühlmann 2008, S. 489f.; Litzcke et al. 2012, S. 24f.;

Rabl 2012, S. 155f.). Folglich resultiert Korruption bei entsprechender Gelegenheit aus

dem Zusammenspiel von motivationalen, volitionalen und kognitiven (jedoch nicht

emotionalen) Komponenten innerhalb eines situativen Kontexts (Rabl & Kühlmann 2008,

S. 489f.).

Theorie der kognitiven Dissonanz

Aus psychologischer Sicht lässt sich Korruption auch mittels der Theorie der kognitiven

Dissonanz nach Festinger ([1957] 1978) erklären. Unter kognitiver Dissonanz wird ein

Spannungszustand verstanden, der aus der Unvereinbarkeit bestimmter Kognitionen

(Kenntnisse, Meinungen, Überzeugungen etc.) resultiert (Festinger 1978, S. 17). Beim

Vorliegen kognitiver Dissonanz, wie es häufig nach Entscheidungen oder

Einstellungsänderungen der Fall ist, kommt es vor allem auf die eingesetzten Strategien zu

ihrer Bewältigung an. Eine Möglichkeit, kognitive Dissonanz zu beheben oder zu

reduzieren, besteht beispielsweise darin, eine Kognition an die andere anzupassen oder

neue, konsonante Kognitionen, die die Dissonanz ausgleichen, hinzuzufügen. Auch

könnten dissonante Kognitionen durch Ignorieren oder Vergessen entfernt werden

(Festinger 1978, S. 30ff.; Litzcke et al. 2012, S. 26f.). Die eingesetzten Beseitigungs-

strategien entscheiden letztlich darüber, ob die Tat wiederholt wird oder nicht.

Übertragen auf ein Korruptionsbeispiel könnte dies folgendermaßen aussehen: Ein

Mitarbeiter, der bislang ehrlich und anständig war, entscheidet sich erstmalig dazu,

korrupt zu handeln und erlebt daraufhin kognitive Dissonanz (er ist ein anständiger

Mensch, handelt aber korrupt). Er versucht diese innere Spannung zu bewältigen, indem

27

er sich einredet, dass er das zugunsten eines Dritten getan hat oder dass es die absolute

Ausnahme war (Anpassung einer Kognition an eine andere). Andererseits könnte er die

korrupte Tat auch herunterspielen und sich schön reden, dass ein solches Verhalten

bereits üblich und normal sei (Hinzufügen einer neuen konsonanten Kognition). Ferner

könnte er auch versuchen, die korrupte Handlung zu ignorieren oder zu vergessen

(Entfernung dissonanter Kognitionen) (Litzcke et al. 2012, S. 26f.). Litzcke et al. (2012,

S. 27) weisen diesbezüglich darauf hin, dass die Theorie der kognitiven Dissonanz

insbesondere zur Erforschung situativer Faktoren von Korruption herangezogen werden

könnte, da sie Hinweise für Verhaltensanreize und Neutralisierungstechniken liefert. Für

die Handlungsentscheidung und Situationsbewertung korrupter Handlungen könnten vor

allem die Höhe des Vorteils, ob er einem selbst oder jemand anderem zugutekommt und

ob es sich dabei um eine einmalige Tat handelt, eine entscheidende Rolle spielen (Litzcke

et al. 2012, S. 27).

Sozialkognitive Lerntheorie

Gemäß der sozialkognitiven Lerntheorie nach Bandura (1971) lernen Individuen vom

beobachtbaren Verhalten ihrer menschlichen Vorbilder, d.h., dass sie das Verhalten

anderer Individuen beobachten und versuchen, es nachzuahmen. Übertragen auf

Korruption würde dies bedeuten, dass Individuen sich deswegen korrupt verhalten, weil

andere es ihnen vorleben bzw. sie das beobachtbare korrupte Verhalten anderer imitieren

(Rabl 2008, S. 80ff.).

3. Soziologische Perspektiven

Viele Soziologen betrachten das Phänomen Korruption als abweichendes Verhalten oder eben

als „nicht immer abweichendes Verhalten“ (Fleck & Kuzmics 1985, zitiert nach von Alemann

2005, S. 28), was auf eine Störung der sozialen Beziehung deuten lässt. Somit steht die soziale

Beziehung bei der soziologischen Korruptionsforschung im Mittelpunkt (von Alemann 2005,

S. 28). Die soziologische Untersuchung von Korruption kann auf unterschiedlichen

gesellschaftlichen Ebenen (Mikro- und Makroebene) erfolgen. Bei mikrosoziologischen

Korruptionstheorien rücken die formellen und informellen Beziehungsstrukturen von

Korruptionsakteuren sowie der soziale Kontext, in dem sie eingebettet sind, in den

Vordergrund (Rabl 2008, S. 78f.; Graeff & Dombois 2012, S. 135ff.; Grieger 2012, S. 7).

Demgegenüber basieren makrosoziologische Erklärungsansätze von Korruption auf einer

28

gesamtgesellschaftlichen Betrachtung, indem das gesamte Korruptionsniveau eines Landes

oder jenes großer Bevölkerungsgruppen untersucht wird und dessen Höhe dann mit den

institutionellen Strukturen oder dem kulturellen Kontext in Zusammenhang gesetzt wird.

Dabei dürfen die beiden Ebenen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, da das

Handeln der Individuen auf der Mikroebene durch die gesellschaftlichen Kontextbedingungen

auf der Makroebene beeinflusst werden kann und umgekehrt. Wie bereits ersichtlich, lässt

sich die aktuelle soziologische Korruptionsforschung nicht eindeutig von anderen Disziplinen

abgrenzen, da sie gerne auf die theoretischen Grundlagen ihrer Nachbarwissenschaften

zurückgreift. Während sich mikrosoziologische Untersuchungen des Öfteren an

psychologische und kriminologische Theorien anlehnen, bezieht die makrosoziologische

Forschung gerne ökonomische Ansätze ein (Graeff & Dombois 2012, S. 135f.).

Soziale Austauschtheorie

Nach der sozialen Austauschtheorie, die eher zu den mikrosoziologischen Theorien gezählt

wird und u.a. durch die Arbeiten von Homans ([1961] 1968) in den frühen 60er-Jahren

geprägt wurde, resultiert Korruption aus einer wechselseitigen Austauschbeziehung, die

auf Leistungen und Gegenleistungen beruht (Homans 1968, S. 30ff.; Rabl 2008, S. 78f.). Ein

solcher reziproker Tauschakt kann entweder von ökonomischen (Belohnungen und

Kosten) oder sozialen Aspekten (Normen und Werte wie beispielsweise die aus der

empfangenen Leistung resultierende soziale Verpflichtung zur Gegenleistung) dominiert

sein und sich langfristig zu einer vertrauenswürdigen und loyalen Beziehung herausbilden.

Sobald jedoch auf eine Leistung keine oder lediglich eine unzureichende Gegenleistung

erfolgt, wird die Reziprozität durchbrochen und die korrupte Beziehung zerfällt. Häufig

wird die soziale Austauschtheorie zur Erklärung von Vetternwirtschaft, Ämterpatronage

und sonstigen Gefälligkeiten herangezogen (Granovetter 2004, S. 3ff.; Graeff & Dombois

2012, S. 137ff.).

Netzwerktheorie

In Anknüpfung an die soziale Austauschtheorie können Korruptionsbeziehungen auch

mittels der Netzwerktheorie erklärt werden (Granovetter 2004; Graeff & Dombois 2012,

S. 138). Demzufolge kann das soziale Netzwerk, in dem ein Akteur eingebettet ist, diesem

Gewinnaussichten bieten, die andernfalls nicht erreichbar wären. Dabei zeichnen sich

korrupte Netzwerke insbesondere dadurch aus, dass jedes einzelne Mitglied strikt seine

eigenen Interessen innerhalb eines solchen Beziehungsgeflechts verfolgt. Eine hohe

29

Effektivität und geringe Aufdeckungswahrscheinlichkeit weisen korrupte Netzwerke dann

auf, wenn sie relativ klein, geschlossen, dicht und bindend sind (Steßl 2012, S. 65ff.).

Gelegentlich wird zur Beschreibung von Netzwerken auch auf Prinzipal-Agent-Modelle

zurückgegriffen (Graeff & Dombois 2012, S. 138).

Anomietheorie

Einen weiteren soziologischen Ansatz zur Erklärung von Korruption stellt die

Anomietheorie dar. Gemäß Emil Durkheim, der die Theorie im Jahr 1893 begründete,

beschreibt der Begriff „Anomie“ einen Zustand der Norm- und Regellosigkeit. Der

Kriminologe Robert Merton ([1938] 1968) hingegen definiert Anomie als eine Situation, in

der ein Widerspruch zwischen den kulturell vorgegebenen Zielen einer Gesellschaft und

den kulturell akzeptierten Mitteln zur Zielerreichung besteht. Diese Diskrepanz resultiert

insbesondere daraus, dass die als legitim erachteten Mittel in der Gesellschaft ungleich

verteilt sind. Demzufolge entsteht Korruption immer dann, wenn die Wichtigkeit der

Zielerreichung (z.B. ökonomischer Erfolg) als sehr hoch und die sozial akzeptierten Mittel

zur Zielerreichung (z.B. Ausbildung) als ineffektiv oder unzugänglich eingeschätzt werden,

weshalb man auf illegitime bzw. korrupte Praktiken übergeht (Merton 1968, S. 185ff.; Rabl

2008, S. 78f.).

4. Strafrechtliche Perspektiven

Strafrechtliche Erklärungsansätze sehen die Ursachen für die Entstehung von Korruption im

gesetzlich-normativen Rahmen begründet, der für eine effektive Korruptionsbekämpfung

nicht ausreichend ausgestaltet ist oder nicht hinreichend vollzogen wird. Insofern zielen

Strafrechtswissenschaftler vor allem auf die Aufdeckung und Schließung von

Strafbarkeitslücken ab. Schließlich können nur jene Korruptionsdelikte strafrechtlich verfolgt

werden, die auch im Gesetz niedergeschrieben sind (Grieger 2012, S. 6; Niehaus 2012, S. 64).

Zentrale Fragen, die sich aus strafrechtlicher Sicht ergeben, betreffen insbesondere den

Korruptionsbegriff, der bis dato wenig untersucht worden ist: Was versteht man im

rechtswissenschaftlichen Sinne überhaupt unter Korruption? Welche Merkmale

charakterisieren den Begriff und was unterscheidet ihn von anderen Formen der Kriminalität?

Nach wie vor existiert beispielsweise in Deutschland kein gesetzlicher Korruptionsbegriff. Wer

also nach dem Begriff „Korruption“ in deutschen Strafgesetzbüchern sucht, sucht vergeblich.

30

Dies liegt insbesondere daran, dass im Strafgesetzbuch lediglich die mit Korruption

verbundenen Straftatbestände (Kerndelikte: Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme

und Vorteilsgewährung) angeführt sind. Andere Delikte, wie beispielsweise Betrug,

Erpressung oder Untreue, stellen, wie bereits in Kapitel 2.1 geschildert wurde, keine

Korruption im strafrechtlichen Sinne dar (Walther 2010, S. 511; Niehaus 2012, S. 56ff.). Im

Gegensatz zu Deutschland hat der Begriff „Korruption“ in Österreich mit dem

Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz bereits im Jahr 2012 Eingang ins Strafgesetzbuch

gefunden, wonach die Überschrift des 22. Abschnittes des Besonderen Teils des StGB

nunmehr lautet: „Strafbare Verletzungen der Amtspflicht, Korruption und verwandte strafbare

Handlungen“ (BMJ 2012, S. 3). Gesetzlich definiert ist der Begriff aber auch hierzulande nicht,

stattdessen werden genauso verschiedene Korruptionstatbestände aufgelistet (Schuschnigg

2015, S. 1f.). Auf das aktuelle österreichische Korruptionsstrafrecht und das strafrechtliche

Korruptionsverständnis wird in Kapitel 4.2.1 näher eingegangen.

5. Kriminologische Perspektiven

Aus Sicht der Kriminologie wurde das Thema Korruption noch vergleichsweise wenig

beleuchtet – und das ausgerechnet in einem Fach, das sich mit verbrecherischem Verhalten

und seiner effektiven Bekämpfung befasst. Bislang scheint Korruption in der Kriminologie

lediglich im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität als Begleitdelikt auf. Somit existiert

noch keine Theorie der Korruption aus kriminologischer Perspektive. Als interdisziplinär

ausgerichtete Wissenschaft bedient sich die Kriminologie gerne der Erkenntnisse, Theorien

und Methoden anderer wissenschaftlicher Disziplinen, wobei insbesondere die

Strafrechtswissenschaft und die Soziologie das Feld dominieren (Zhang et al. 2009, S. 204f.;

Thiel 2012, S. 169f.). Im Rahmen der Untersuchung von Wirtschaftskriminalität hat sich die

zuvor geschilderte, aus der Soziologie stammende Anomietheorie nach Merton (1968) als

fruchtbar erwiesen, die auch zur Erklärung von Korruption herangezogen werden kann. Was

die Untersuchung von Korruption staatlicher Instanzen (Polizei, Justiz etc.) betrifft, besteht

seitens der Kriminologie noch viel Aufholbedarf. Erste Studien (Kääriäinen 2007; Rowe 2009)

hierzu stammen erst aus den vergangenen letzten Jahren (Thiel 2012, S. 170ff.).

31

6. Politische Perspektiven

Wie naheliegend, befasst sich die Politikwissenschaft vor allem mit „politischer Korruption“,

zu der bereits viele Arbeiten vorliegen, allerdings noch zu wenig aus dem deutschsprachigen

Raum (Wolf 2012, S. 113f.). Dass international bereits viel zu dem Thema geforscht wurde,

liegt daran, dass die Politik einen Bereich darstellt, der besonders korruptionsanfällig ist

(Umgehung von Parteienfinanzierungsregeln, Beeinflussung von Politik- und

Verwaltungsentscheidungen etc.) (Monsau 2010, S. 10). An dieser Stelle sei auf das

monumentale Werk „Political Corruption“ von Arnold Heidenheimer (1970) verwiesen (von

Alemann 2005, S. 23). Ein Genus an politikwissenschaftlichen Theorien der

Korruptionsforschung existiert nicht. Zumeist beziehen Politologen zur Erklärung politischer

Korruption die theoretischen Ansätze der vergleichenden Regierungslehre (Demokratie- oder

Parteientheorien), der Policy-Forschung (akteurszentrierte Ansätze oder Implementations-

theorien), der internationalen Beziehungen (Theorien zwischenstaatlicher Politik) oder der

politischen Theorie (Ansätze angesehener politischer Theoretiker) ein. Beliebte Faktoren, die

im Rahmen der politischen Korruptionsforschung untersucht werden, sind u.a.

Demokratisierungsgrad, Regierungssystem, Größe des öffentlichen Sektors, Pressefreiheit,

Transparenzregelungen, Partizipationsmöglichkeiten, wirtschaftliche Lage etc. Dabei werden

nicht selten benachbarte Disziplinen wie beispielsweise die Philosophie,

Geschichtswissenschaften, Psychologie, Rechtswissenschaften, Soziologie oder Ökonomie

tangiert. Eine besondere Herausforderung bei der Untersuchung politischer Korruption stellt

die Grenzziehung zwischen öffentlichem und privatem Bereich dar, vor allem in Zeiten

zunehmender öffentlich-privater Partnerschaften und Privatisierungen (Wolf 2012, S. 115f.).

7. Historische Perspektiven

Historische Erklärungsansätze versuchen Korruption anhand ihrer historischen Entwicklung

und Ausprägungen sowie einer Vergleichsziehung mit heutigen Erscheinungsformen zu

erklären (von Alemann 2005, S. 22; Nützenadel 2012, S. 79f.). Wesentlichste Erkenntnis

historischer Korruptionsforscher ist jene, dass Korruption ein soziales Phänomen darstellt,

welches sehr wohl einem geschichtlichen Wandel unterlegen ist – abhängig vom politisch-

historischen Kontext. Ursprünglich ging man von der These aus, dass Korruption mit der

Entwicklung von Demokratie und Marktwirtschaft weitgehend ausgeräumt werden würde.

Diese Annahme wurde durch das hohe Korruptionsausmaß in Entwicklungsländern empirisch

32

gestützt. Allerdings zeigten die vielen Korruptionsskandale außerhalb der Entwicklungsländer

ein widersprüchliches Bild auf, weshalb diese These wiederum angezweifelt wird. Lange Zeit

wurde die historische Betrachtung von Korruption vernachlässigt, da sie keine direkten

Handlungsanweisungen zur Korruptionsbekämpfung liefern konnte. Allerdings kann die

historische Korruptionsforschung zu einem tieferen Verständnis der Ursachen von Korruption

beitragen und somit indirekt Ideen zu ihrer Bekämpfung beisteuern (Martiny 2011, S. 6;

Nützenadel 2012, S. 80ff.).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es keineswegs an wissenschaftlichen

Erklärungsansätzen von Korruption mangelt, zumal es sich bei den meisten um „entlehnte“

Theorien und weniger um „originäre“ handelt. Die hier geschilderten Ausführungen

repräsentieren noch lange nicht die volle Bandbreite an bereits vorhandenen

Erklärungsansätzen. Auch andere (hier nicht angeführte) Disziplinen, wie beispielsweise die

Philosophie (z.B. Ethik moralischen Verhaltens), Theologie (z.B. Korruption als Sünde),

Pädagogik (z.B. Bildungslücken) oder Medienwissenschaften (z.B. Skandalisierungsmechanis-

men), können wichtige Beiträge zur Erforschung von Korruption und somit wertvolle Impulse

zu ihrer effektiven Bekämpfung liefern (von Alemann 2005, S. 23f.; Graeff 2012, S. 226f.).

2.5 Ursachen von Korruption

Ausgehend von den verschiedenen wissenschaftlichen Erklärungsansätzen von Korruption

kann auf ihre zahlreichen, bereits vielfach untersuchten Ursachen (historische,

wirtschaftliche, strukturelle, kulturelle, institutionelle und individuelle) geschlossen werden.

Dabei stellt die Ursachenforschung aus kausalanalytischer Sicht insofern eine

Herausforderung dar, als die untersuchten Determinanten häufig auch Auswirkungen

darstellen und daher nicht immer eindeutig gesagt werden kann, in welche Richtung die

Korrelation letztlich kausal wirkt (von Alemann 2005, S. 37; Lambsdorff 2006, S. 4; Kis-Katos &

Schulze 2013, S. 83). Im Folgenden werden die wichtigsten wissenschaftlichen (überwiegend

empirisch belegten) Befunde der letzten Jahre zu den Korruptionsursachen zusammengefasst

wiedergegeben.

33

Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene (Makroebene) wurden bisweilen verschiedene

historische, wirtschaftliche, strukturelle und kulturelle Korruptionsursachen identifiziert und

untersucht. Historisch gesehen konnte ein negativer Zusammenhang zwischen dem

Korruptionsniveau und dem kolonialen Erbe eines Landes ermittelt werden. Allerdings bezieht

sich dieser signifikante Zusammenhang primär auf jene Länder, die einst unter britischer

Kolonialherrschaft und deren Rechtssystem standen (Treisman 2000, S. 418ff.; Swamy et al.

2001, S. 41f.). Wirtschaftlich betrachtet kann Korruption als Folge mangelnden

Wirtschaftswachstums (Bai et al. 2013), niedrigen Entwicklungsstandes (Treisman 2000; Serra

2006), fehlenden Wettbewerbs4 (Ades & Di Tella 1999), geringer wirtschaftlicher Freiheit

(Saha et al. 2009; Enste & Heldman 2017, S. 15), Marktoffenheit (Sandholtz & Koetzle 2000;

Neeman et al. 2008) und großen Rohstoffreichtums (Ades & Di Tella 1999; Bhattacharyya &

Hodler 2010) resultieren. Strukturelle Ursachen beziehen sich auf das formale Rechts- und

Strafsystem im Sinne einer unzureichenden, inkonsistenten oder intransparenten

Ausgestaltung von Gesetzen, Richtlinien und Regeln (Regulierungsqualität) (Myint 2000, S. 37;

von Alemann 2005, S. 35; Lambsdorff 2006, S. 6ff.; Enste & Heldman 2017, S. 13) und/oder

deren unzureichenden Vollziehung (Tanzi 1998, S. 574). Andererseits können staatliche

Verbürokratisierung und Überregulierung, wie beispielsweise die Einführung hoher

Markteintrittsbarrieren, Korruption auch vorantreiben (Djankov et al. 2002; Svensson 2005,

S. 28f.). Die Unabhängigkeit der Judikative stellt jedenfalls eine wichtige Determinante von

Korruption dar (Ades & Di Tella 1996). Ferner kann das Korruptionsniveau vom jeweiligen

Regierungssystem abhängig sein bzw. mit zunehmendem Demokratisierungsgrad – zumindest

auf lange Sicht gesehen – schrumpfen, wie mehrere Studien belegen konnten (Treisman 2000,

S. 433f.; Sandholtz & Koetzle 2000; Bhattacharyya & Hodler 2015; Enste & Heldman 2017,

S. 11). Was den Einfluss der Größe des Regierungsapparates auf Korruption betrifft, liegen

bislang ambivalente Studienergebnisse vor (LaPalombara 1994, S. 338; Goel & Nelson 2010).

Kotera et al. (2012) untersuchten diese Ergebnisambivalenz und führten sie auf den

Demokratisierungsgrad zurück; d.h., dass Korruption ihren Ergebnissen zufolge nur in

demokratisch geprägten Systemen mit der Größe des öffentlichen Sektors abzunehmen

vermag. Die Annahme, dass Dezentralisierung mit der damit einhergehenden

Wettbewerbszunahme zur Korruptionseindämmung beiträgt, gilt aufgrund unzureichender

oder widersprüchlicher Befunde ebenfalls als strittig (Treisman 2000; Fisman & Gatti 2002;

4 Wobei hier auch ambivalente Studienergebnisse vorliegen (Alexeev & Song 2013).

34

Asthana 2012). Weitgehend erwiesen bleibt hingegen, dass Pressefreiheit durch die

vermehrte Transparenzschaffung, Verbreitung von Antikorruptionsnormen und die Erhöhung

sozialer Kosten im Sinne der Veröffentlichung korrupten Verhaltens mit Korruption negativ

korreliert ist (Treisman 2000; Brunetti & Weder 2003; Bhattacharyya & Hodler 2015).

Inwiefern kulturelle Determinanten bzw. soziale Normen und Werte Auswirkungen auf

Korruption haben, wurde ebenfalls empirisch untersucht. Insbesondere konnten Vertrauen,

Hierarchie und Traditionalismus als signifikante kulturelle Determinanten von Korruption

ausfindig gemacht werden (LaPorta et al. 1997). Je höher das Vertrauen in der Gesellschaft,

desto niedriger das Aufkommen von Korruption; je hierarchischer und traditioneller die

Gesellschaft, umso korruptionsanfälliger ist sie (von Alemann 2005, S. 36f.; Lambsdorff 2006,

S. 17ff.). Hinsichtlich des Zusammenhangs von Korruption und Religion liefern bisherige

Untersuchungsergebnisse ein eher widersprüchliches Bild. Während viele Forscher

festgestellt haben, dass staatsnahe Religionen wie Christentum und Islam Korruption

begünstigen und staatsferne Glaubensrichtungen wie Protestantismus korruptionsmindernd

wirken (Treisman 2000; Paldam 2001; Serra 2006), kommen vereinzelte Studien indes zu dem

Ergebnis, dass die Religion keinerlei Auswirkung auf Korruption hat (Shadabi 2013). Eine

jüngere Studie bestätigt, dass kulturelle Werte Einfluss auf das wahrgenommene

Korruptionsniveau haben (Yeganeh 2014).

Auf der institutionellen Ebene (Mesoebene) wird Korruption laut aktuellem Forschungsstand

insbesondere auf zu hohe Profitaussichten (Rose-Ackerman 1996; Myint 2000, S. 36), zu große

Ermessensspielräume und Entscheidungskompetenzen (Myint 2000, S. 37f.), fehlende

Transparenz und Rechenschaftspflichten (Tanzi 1998, S. 575f.; Myint 2000, S. 38f.; Lederman

et al. 2005) sowie mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen und daraus resultierende

niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeiten (Shleifer & Vishny 1993, S. 601f.; Rose-Ackerman

1996; Tanzi 1998, S. 574f.; Frank & Schulze 2003; Olken 2007) zurückgeführt. Fehlende

positive (Führungs-)Vorbilder und ethische Standards (Tanzi 1998, S. 576; Mischkowitz et al.

2000, S. 205f.; Ashforth & Anand 2003, S. 6ff.) sowie eine korrupte Organisationskultur

(Ashforth & Anand 2003, S. 9ff.) können das Aufkommen von Korruption nicht nur

begünstigen, sondern auch legitimieren bzw. normalisieren. Inwiefern niedrige Gehälter

Anreize zu Korruptionstaten bieten, bleibt aufgrund teilweise heterogener Befunde (Treisman

35

2000; van Rijckeghem & Weder 2001; Swamy et al. 2001; Azfar & Nelson 2007) nach wie vor

strittig (von Alemann 2005, S. 37).

Was die Ursachen von Korruption auf der individuellen Ebene (Mikroebene) betrifft, liegen

bereits mehrere Untersuchungen zum Einfluss des Geschlechts, Bildungsniveaus und der

Armut auf Korruption vor (Dimant & Tosato 2016, S. 16). Sowohl ältere als auch jüngere

Studien (Swamy et al. 2001; Frank et al. 2011; Rivas 2012) bestätigen, dass Frauen weniger

korrupt sind als Männer. Allerdings ist diese Befundlage kritisch zu betrachten, da nicht

eindeutig hervorgeht, was durch wen tatsächlich beeinflusst wird (von Alemann 2005, S. 36;

TI 2014, S. 2f.). Weitgehend übereinstimmende Ergebnisse liefern Studien auch im Hinblick

auf die Annahme, dass Korruption mit steigendem Bildungsniveau abnimmt (Glaeser & Saks

2006; Truex 2011). Die Vermutung, dass Korruption mit wachsender Armut zunimmt, konnte

ebenfalls empirisch bestätigt werden (Justesen & Bjørnskov 2014). Weitere empirisch belegte

Ursachen auf der individuellen Ebene schließen mangelndes Unrechtsbewusstsein (von

Alemann 2005, S. 31), geringes Problembewusstsein bzw. Antikorruptionseinstellung

(Cameron et al. 2005; Palazzo et al. 2012), mangelnde Integrität (Frost & Rafilson 1989) sowie

geringe moralische Identität (DeCelles et al. 2012) ein. Im Hinblick auf Persönlichkeitsfaktoren

wird Korruption u.a. auf eine mangelnde Selbstkontrolle (Marcus & Schuler 2004; Blickle et al.

2006), Habgier (Piff et al. 2012), Neurotizismus, Machiavellismus und Psychopathie (Zhao et

al. 2016) zurückgeführt. Was Gewissenhaftigkeit betrifft, liegen widersprüchliche Ergebnisse

vor. Entgegen der Annahme, dass hohe Gewissenhaftigkeit korruptionsmindernd wirkt, kann

diese die Korruptionsneigung im Sinne eines übertriebenen Pflichtbewusstseins auch erhöhen

(Blickle et al. 2006). Ferner können falsch verstandene Loyalitäten oder eine

Überidentifikation mit der eigenen Organisation (Mischkowitz et al. 2000, S. 206; Umphress

et al. 2010) sowie Arbeitsunzufriedenheit und Nebentätigkeiten Anreize zu korruptem

Verhalten bieten (Mischkowitz et al. 2000, S. 206).

36

2.6 Auswirkungen von Korruption

Was die Auswirkungen von Korruption betrifft, ist sich die Mehrheit internationaler

Korruptionsforscher inzwischen einig: Korruption bringt einem Land mehr Nachteile als

Vorteile (Shleifer & Vishy 1993, S. 611; Tanzi 1998, S. 578ff.; Enste & Heldman 2017, S. 23f.).

Dabei divergierten die anfänglichen Meinungen unter den Wissenschaftlern sehr stark. Einige

Forscher (Huntington 1968; Lui 1985; Lien 1986) schrieben Korruption im Sinne der Erwirkung

einer notwendigen Zulassung/Genehmigung, Auftragszusage, Preisminderung oder

Verfahrensbeschleunigung eine durchaus nutzenstiftende und effizienzsteigernde Bedeutung

zu. Diese sogenannte „grease the wheels view“, Korruption diene als ein notwendiges

Schmiermittel zur Modernisierung und Ankurbelung der wirtschaftlichen und

gesellschaftlichen Maschinerie sowie zur Kompensation schlechter Regierungsführung dank

der schnelleren und effizienteren Überwindung bürokratischer Strukturen, wird heutzutage

von immer weniger Wissenschaftlern vertreten (Tanzi 1998, S. 578ff.; von Alemann 2005,

S. 38ff.; Enste & Heldman 2017, S. 23f.). Vielmehr hat sich angesichts vorliegender

Studienergebnisse die „sand the wheels view“, Korruption wirke wie Sand im Getriebe,

durchgesetzt (Kaufmann & Wei 1999; Méon & Sekkat 2005).

Ob ökonomisch, gesellschaftlich, politisch oder ökologisch betrachtet, Korruption kann in

vielerlei Hinsicht desaströse Folgen 5 nach sich ziehen. Mehrere Studien bestätigen, dass

Korruption sich negativ auf die (nationale und internationale) Investitionsrate auszuwirken

vermag, was langfristig die Produktivität und Innovativität und somit die ökonomische

Entwicklung von Unternehmen und Staaten unterminieren kann (Mauro 1995; Wei 2000;

Habib & Zurawicki 2002; Méon & Sekkat 2005; Johnson et al. 2011). Überhaupt konnten

empirische Untersuchungen einen negativen Einfluss von Korruption auf das

Wirtschaftswachstum aufgrund von Investitionsrückgängen, Qualitätseinbußen, erhöhter

indirekter Besteuerung und Ressourcenfehlallokationen nachweisen (Tanzi & Davoodi 2000;

Fisman & Svensson 2007; Johnson et al. 2011), wobei auch einige ambivalente

Studienergebnisse vorliegen (Swaleheen & Stansel 2007; Campos et al. 2010). Allerdings kann

das Wirtschaftswachstum aus kausalanalytischer Sicht nicht nur als Auswirkung, sondern auch

als Ursache von Korruption angesehen werden (Enste & Heldman 2017, S. 28). Ferner liegen

5 Bei einigen der nachfolgend diskutierten Auswirkungen kann es sich um bereits dargelegte Ursachen handeln, da die kausale Beziehung, wie bereits in Kapitel 2.5 erwähnt wurde, in beide Richtungen wirken kann.

37

einige Befunde vor, die einen positiven Zusammenhang zwischen Korruption und

Schattenwirtschaft belegen (Dreher & Schneider 2010; Dell`Anno & Teobaldelli 2015), wobei

auch hier die tatsächliche kausale Beziehung nach wie vor unklar ist (Enste & Heldman 2017,

S. 34). Die korruptionsinduzierte Verminderung staatlicher Einnahmen (Wirtschaftsrückgang,

zunehmende Schattenwirtschaft) und Erhöhung staatlicher Ausgaben (Ineffizienzen) vermag

sich letztlich negativ auf das Haushaltsdefizit auszuwirken (Tanzi & Davoodi 1997; Castro et al.

2014; Dimant & Tosato 2016, S. 19f.). Des Weiteren können Kartell- und Monopolbildungen

durch Korruption vorangetrieben und der Wettbewerb verzerrt werden, was wiederum mit

negativen Auswirkungen auf die Entwicklung und den Wohlstand der Bevölkerung

einhergehen kann (Rose-Ackerman 1996; von Alemann 2005, S. 39). In gesellschaftlicher

Hinsicht kann Korruption durch Fehlallokationen und Ressourcenverschwendung zu

Ungerechtigkeiten und Ineffizienzen bei der Verteilung öffentlicher Güter beitragen und

Qualitätseinbußen bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (insbesondere im

Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturbereich) implizieren (Shleifer & Vishny 1993, S. 616;

Tanzi & Davoodi 1997; Mauro 1998; Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005). Beispielsweise

kann es zur Verlagerung staatlicher Ausgaben von weniger lukrativen Bereichen (z.B.

Gesundheits- und Bildungswesen) in lukrativere, weniger aufdeckungsriskante Bereiche (z.B.

Rüstungsindustrie) kommen, wobei Investitionen in Erstere von größerer Relevanz für die

gesellschaftliche Wohlfahrt und das Wirtschaftswachstum sein können (Gupta et al. 2001).

Insbesondere aber fördert Korruption Ungleichheiten in der Einkommensverteilung, wodurch

die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert wird (Gupta et al. 2002; Gyimah-Brempong & de

Camacho 2006). Diese Erkenntnis steht wiederum im Widerspruch zu jenen Studien, die von

einer umgekehrten kausalen Beziehung ausgehen (Enste & Heldman 2017, S. 30f.). Weiters

wurde argumentiert, dass Korruption soziale Werte und Normen zersetzt (Dimant 2013, S.

39). Dass ein hohes Korruptionsniveau die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte forcieren

kann, konnte u.a. in der Studie von Dimant et al. (2013) aufgezeigt werden. Politisch gesehen

kann Korruption mit einem öffentlichen Vertrauensverlust in das politische System

einhergehen und folglich die Legitimität eines Staates und dessen politische Stabilität und

Demokratie untergraben (Rose-Ackerman 1996; Tanzi 1998, S. 583; Anderson & Tverdova

2003). Aus ökologischer Sicht liegen mehrere empirische Befunde vor, u.a. von Morse (2006),

die die negativen Auswirkungen von Korruption auf die Umwelt belegen (Lambsdorff 2006,

S. 34).

38

2.7 Antikorruptionsmaßnahmen

Trotz teilweise ambivalenter Studienergebnisse (z.B. hinsichtlich der Größe des

Regierungsapparates oder Gehaltshöhe) lassen sich aus der empirischen Befundlage zu den

Ursachen von Korruption wichtige Ansatzpunkte für eine erfolgreiche

Korruptionsbekämpfung ableiten, wie z.B. Pressefreiheit, Demokratisierungsgrad,

Regulierungsqualität, Unabhängigkeit der Justiz, Transparenzschaffung, effektive Kontroll-

und Sanktionsmechanismen, Bewusstseinsbildung und zivilgesellschaftliches Engagement,

Integrität (Enste & Heldman 2017, S. 36). Dabei rückte die Bekämpfung von Korruption vor

allem in den 90er-Jahren aufgrund zahlreicher Skandale und Mediendebatten auf die

politische Agenda zahlreicher Nationen (von Aleman 2005, S. 14). Auf internationaler Ebene

kam es in dieser Zeit zum Beschluss einiger, sich teilweise überlappender und ergänzender

Antikorruptions-Konventionen (der UN, OECD, des Europarates etc.), die die

Unterzeichnerstaaten nicht nur zur lückenlosen rechtlichen Regulierung, sondern vor allem

zur präventiven Maßnahmenergreifung gegen Korruption (im öffentlichen wie im

privatwirtschaftlichen Bereich) verpflichtet haben. Die Umsetzung der Konventionen wird

durch verschiedene Monitoringmechanismen (u.a. Selbstevaluationen, Experten-

evaluationen, Veröffentlichung der Evaluierungsberichte) überwacht (Sickinger 2008, S. 411).

Nachstehend werden die wichtigsten Antikorruptions-Einrichtungen und -Übereinkommen

auf internationaler Ebene aufgelistet und kurz beschrieben, wobei kein Anspruch auf

Vollständigkeit besteht.

OECD

Das 1997 beschlossene OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung

ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (OECD Convention on

Combating Bribery of Foreign Public Officials in International Business Transactions/OECD

Anti-Bribery Convention) verpflichtet die Vertragspartner zur Bestrafung der Bestechung

ausländischer Amtsträger. Die Konvention stellte zu ihrer Zeit einen Meilenstein in der

Bekämpfung grenzüberschreitender Korruption dar, welche bis dahin nicht sanktioniert

wurde. Ganz im Gegenteil: Im Ausland bezahlte Bestechungsgelder konnten bis zu diesem

Zeitpunkt sogar steuermindernd geltend gemacht werden (Sickinger 2008, S. 411f.).

Inzwischen wurde das rechtsverbindliche OECD-Übereinkommen von allen 34

OECD-Mitgliedsstaaten und sieben Nicht-Mitgliedsstaaten unterzeichnet (OECD 2017). In

Österreich erfolgte die Ratifizierung im Jahr 1999 (BGBI III Nr. 176/1999). Kritisiert wird

39

allerdings, dass die OECD trotz ihres strengen Monitoringverfahrens durch die

OECD-Arbeitsgruppe ihre Mitglieder zu wenig zur Umsetzung ihrer Standards zwingt, was

zur mangelhaften Vollstreckung (Verfolgung und Verurteilung von Bestechungsfällen) in

vielen Ländern führt (Heimann et al. 2015; Enste & Lademan 2017, S. 37).

Vereinte Nationen (UN)

Das UN-Übereinkommen gegen Korruption (UN Convention against Corruption - UNCAC)

wurde 2003 seitens der Vereinten Nationen aufgesetzt und stellte den ersten globalen,

völkerrechtlich bindenden Vertrag zur Korruptionsbekämpfung dar. Das Übereinkommen

verpflichtet alle Vertragspartner, effektive und effiziente Maßnahmen zur Prävention und

Bekämpfung von Korruption zu ergreifen und die internationale Zusammenarbeit zu

unterstützen. Die Korruptionsbekämpfungsstrategien der UNCAC umfassen vor allem

folgende vier Bereiche: Prävention, Kriminalisierung und Strafverfolgung, internationale

Kooperation und Vermögensabschöpfung (UN 2004; Enste & Heldman 2017, S. 36f.).

Inzwischen wurde das UN-Übereinkommen von insgesamt 181 Ländern (Stand Dezember

2016) ratifiziert (UNODC 2017). In Österreich erfolgte die Ratifizierung im Jahr 2006 (BGBI

III Nr. 47/2006). Obwohl das UN-Übereinkommen eine wichtige Rolle in der

internationalen Bekämpfung von Korruption einnimmt, wird sein Monitoringsystem stark

kritisiert. Insbesondere mangelt es an einem Follow-up-System zur Sicherstellung der

Umsetzung der in den Evaluierungsberichten vorgeschlagenen Empfehlungen sowie an

Transparenz, da die Evaluierungsberichte wenig veröffentlicht werden (Heimann et al.

2013; Enste & Lademan 2017, S. 36f.).

Europarat/GRECO

Der Europarat hat sich vor allem der Korruptionsbekämpfung in den einzelnen

Mitgliedsstaaten gewidmet. Im Jahr 1999 wurden das Strafrechtsübereinkommen gegen

Korruption (Criminal Law Convention on Corruption) und das Zivilrechtsübereinkommen

gegen Korruption (Civil Law Convention on Corruption) zur Ratifikation vorgelegt. Das

Strafrechtsübereinkommen gegen Korruption enthält weitreichende Regelungen (u.a.

aktive und passive Bestechung öffentlicher Amtsträger, nationaler und ausländischer

Parlamentarier, Bediensteter im privaten Sektor, Angestellter internationaler

Organisationen, Vertreter internationaler Gerichtshöfe etc.) sowie eine Vorgabe für die

Errichtung unabhängiger, spezialisierter Antikorruptionseinrichtungen. Zudem soll

40

Hinweisgebern („Whistleblowern“)6 ausreichender Schutz geboten und die internationale

Zusammenarbeit zur Auslieferung und Informationsbeschaffung gestärkt werden. Das

Zivilrechtsübereinkommen gegen Korruption umfasst Regelungen für den Schutz von

Korruptionsopfern (z.B. Schadenersatzansprüche). Zur Überwachung und Evaluation der

Implementierung der Antikorruptionspolitik des Europarates wurde im selben Jahr die

Staatengruppe gegen Korruption GRECO (Group d'États contre la corruption/Group of

States against Corruption) gegründet. Deren Mitglieder sind alle EU-Mitglieder, alle EU-

Beitrittskandidaten, mehrere Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die USA. Die

Monitoringmechanismen von GRECO umfassen Berichtspflichten der Mitgliedsstaaten,

Expertenevaluierungen bzw. Peer-Reviews sowie das Aufzeigen von Best Practices

(Sickinger 2008, S. 412ff.). Während das Zivilrechtsübereinkommen in Österreich 2006

ratifiziert wurde (BGBI III Nr. 155/2006), erfolgte die Ratifizierung des

Strafrechtsübereinkommens erst im Jahr 2013 (BGBI III Nr. 1/2014). Im letzten GRECO-

Bericht aus dem Jahr 2016 (zweiter Umsetzungsbericht zur dritten Evaluierungsrunde im

Bereich des Strafrechts und der Parteienfinanzierung) wurde eine durchaus positive Bilanz

für Österreich gezogen (GRECO 2016).

OLAF

Zur Eindämmung von Korruption auf EU-Ebene wurde 1999 das Europäische Amt für

Betrugsbekämpfung OLAF (Office européenne de lutte antifraude/European Anti-Fraud

Office) eingerichtet (Sickinger 2008, S. 415). OLAF stellt eine unabhängige Einrichtung zur

Ermittlung von Betrugs- und Korruptionsdelikten, die zur finanziellen Schädigung der EU

beitragen, dar. Dabei können auch schwere Vergehen von Mitgliedern der EU-Organe und

EU-Einrichtungen von OLAF untersucht und anschließend in Straf- und Disziplinar-

verfahren geahndet werden (TI-AC 2013, S. 47).

EPAC/EACN

EPAC (European Partners against Corruption) ist ein unabhängiges, informelles Netzwerk

bestehend aus über 60 nationalen Antikorruptionsbehörden und der Polizei

übergeordneten Überwachungseinrichtungen aus Staaten der EU und des Europarats. Ein

formaleres Netzwerk von rund 50 EU-Antikorruptionsbehörden stellt EACN (European

contact-point network against corruption) dar. Gemeinsam bilden EPAC/EACN das

6 Als Whistleblower gelten Informanten, die Korruption und sonstiges Fehlverhalten öffentlich aufzeigen (Kern-Homolka et al. 2011, S. 47). Der Unterschied zum Kronzeugen besteht darin, dass Whistleblower als Hinweisgeber nicht selbst an der Tat beteiligt sind (BMJ 2017, S. 3).

41

zentrale Forum für europäische Antikorruptionspraktiker zum wechselseitigen Austausch

von Erfahrungen und Expertenwissen. Gemeinsam erarbeitete Standards und Prinzipien

liefern staatlichen Behörden einen wichtigen Orientierungsrahmen zur Bekämpfung von

Korruption (TI-AC 2013, S. 25).

Transparency International

Die wohl bekannteste, internationale, parteipolitisch unabhängige Nichtregierungs-

organisation zur Bekämpfung von Korruption stellt Transparency International dar, die

1993 von dem ehemaligen Weltbankdirektor Peter Eigen gegründet wurde. Die

Organisation zielt vorrangig darauf ab, das Problembewusstsein in der Gesellschaft zu

heben sowie die Zusammenarbeit von Regierungen, Wirtschaft, Medien und

Zivilgesellschaft im Kampf gegen Korruption zu stärken. Somit zielt Transparency

International nicht auf das Anprangern von Einzelfällen, sondern primär auf Prävention

und die Reform von Systemen ab. Für Initiativen und Aktivitäten von Transparency

International sind die jeweiligen nationalen Chapters verantwortlich; das österreichische

Chapter von Transparency International (Transparency International – Austrian Chapter)

wurde im Frühjahr 2005 gegründet. Abgesehen davon ist Transparency International der

Herausgeber von drei weltweit erstellten, regelmäßig veröffentlichten Indizes zum Thema

Korruption: Corruption Perception Index, Bribe Payers Index und Global Corruption

Barometer (vgl. Kapitel 2.8) (Geiblinger 2008, S. 63ff.).

Zu den wichtigsten Antikorruptionsbemühungen auf nationaler Ebene, die vor allem aufgrund

der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Maßnahmenergreifung gegen Korruption basierend

auf den internationalen Antikorruptions-Konventionen gesetzt wurden, zählen die

Verschärfung des Antikorruptionsstrafrechts (2008) sowie die Einrichtung unabhängiger

Antikorruptionseinrichtungen wie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft

(WKStA), die eng mit dem Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung

(BAK) kooperiert. Nähere Informationen zu den gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen auf

nationaler Ebene können Kapitel 4.2.2 entnommen werden. Eine ausführlichere Auseinander-

setzung mit der Thematik würde an dieser Stelle den Umfang der vorliegenden Arbeit

sprengen.

42

2.8 Messung von Korruption

Seitdem Korruption in den 90er-Jahren zunehmend auf die politische Agenda zahlreicher

Staaten gesetzt wurde, fand das Thema auch vermehrt Eingang in die internationale

Forschung (Shleifer & Vishny 1993; Mauro 1995, 1996, 1998; Rose-Ackerman 1996, 1999;

Treisman 2000; Wei 2000; Zurawicki & Habib 2002, 2010). Hervorzuheben sind insbesondere

die frühen, wegweisenden Arbeiten von Rose-Ackerman (1975), Klitgaard (1988) und Shleifer

& Vishny (1993). Dabei stellt Korruption in vielerlei Hinsicht keinen einfachen

Untersuchungsgegenstand dar. Die Forschungsarbeit wird allein schon dadurch erschwert,

dass nach wie vor keine umfassende, allgemeingültige Definition von Korruption existiert

(Kliche & Thiel 2011, S. 412; Langseth 2016, S. 9). Zudem handelt es sich hierbei um ein sehr

kontextspezifisches Phänomen, welches einerseits von den institutionellen

Rahmenbedingungen und dem jeweiligen Entwicklungsstand, und andererseits von den

kulturspezifischen Normen und Werten, die wiederum Einfluss auf die Wahrnehmung von und

Einstellung gegenüber Korruption nehmen können, abhängig ist. Eine grenzübergreifende

komparative Untersuchung ist somit mit immensen methodischen Problemen behaftet (Kliche

& Thiel 2011, S. 412; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 101). Ferner mangelt es bisweilen an einer

interdisziplinären, umfassenden Korruptionstheorie, wodurch umfassende Schluss-

folgerungen aus den Ergebnissen einzelner Untersuchungen erschwert werden (Kliche & Thiel

2011, S. 412). Die größte Herausforderung liegt allerdings in der Identifikation von Indikatoren

und Daten zur Messung und Erfassung korrupten Verhaltens. Dies ist wiederum auf die

Prinzipien zurückzuführen, auf denen Korruption beruht: Verschwiegenheit und

Geheimhaltung. Ein vertrauliches Geschäft, aus dem beide an der Korruption beteiligte Seiten

profitieren und daher alles daran setzen, es möglichst geheim zu halten. Ein solches in der

Regel opferloses Täter-Täter-Delikt findet nur schwerlich einen Kläger. Dementsprechend

hoch ist die Dunkelziffer nicht aufgedeckter Fälle und umso schwieriger erweist sich die

empirische Erforschung dieses Gegenstandes (Jansen 2005, S. 14f.; Blackburn et al. 2008, S. 5;

Lambsdorff & Schulze 2015, S. 100). Nichtsdestotrotz ist es Wissenschaftlern bereits gelungen,

Korruption empirisch zu untersuchen, insbesondere was ihre Ursachen und Auswirkungen

betrifft. Während die erste Generation der Korruptionsforschung ihren Fokus auf

länderübergreifende Analysen unter Einbeziehung von Korruptionswahrnehmungsindizes

legte und auch grand corruption mit einschloss, rückte die zweite Generation von der Makro-

auf die Mikroebene ab und untersucht Korruption seither vermehrt auf Individuums-,

43

Haushalts- oder Unternehmensebene mittels Befragungen, Experimenten oder Erhebungen

zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben. Zwar liefert die zweite Forschergeneration neue

Sichtweisen zu den kausalen Prozessen, welche korrupten Transaktionen unterliegen, jedoch

ist sie aufgrund der erheblichen Messschwierigkeiten überwiegend auf petty corruption

beschränkt (Lambsdorff & Schulze 2015, S. 100f.).

Im Folgenden werden die wichtigsten quantitativen und qualitativen Zugänge der

Korruptionsforschung, die in der nachstehenden Tabelle (Tabelle 4) zusammengefasst

werden, einschließlich ihrer methodischen Probleme aufgezeigt und näher beschrieben,

wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht.

Methoden zur Messung von Korruption

1. Quantitative Methoden

Stakeholderbefragungen (Experten, Bevölkerung, Korruptionsopfer)

Kompositindizes

Deliktregister (Kriminalstatistik)

Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben

Feld- und Laborexperimente

Integritätstests

Hannoversche Korruptionsskala (HKS 38)

2. Qualitative Methoden

(Experten-)Interviews

Beobachtungen

Fallstudien

Dokumentenanalysen

Fokusgruppen

Tabelle 4: Methoden zur Messung von Korruption Quelle: Verfasserin

1. Quantitative Methoden

Aktuell wird die Korruptionsforschung in den Sozialwissenschaften von quantitativen Studien

dominiert. Dies trifft vor allem auf die Wirtschaftswissenschaften zu. Über 90 % der von Bader

et al. (2013, S. 24) analysierten wirtschaftswissenschaftlichen Artikel wandten quantitative

Methoden an, ungefähr 8 % setzten qualitative Methoden ein, während die restlichen einen

Mixed-Methods-Ansatz verfolgten (Bader et al. 2013, S. 24ff.). Zu den bislang eingesetzten

quantitativen Methoden zählen:

44

Stakeholderbefragungen

Aufgrund der eingangs geschilderten Messschwierigkeiten wurden in der Vergangenheit

zumeist Maßzahlen herangezogen, die aus der subjektiven Wahrnehmung und Einschätzung

von Befragten (Experten, Bevölkerung, Korruptionsopfer etc.) resultierten und somit

hinsichtlich dem Grad, den Ursachen und Folgen von Korruption nur beschränkt

aussagekräftig waren. Dennoch wurde dank der Emergenz zahlreicher Datensätze und der

damit einhergehenden Entwicklung sogenannter Korruptionsindizes seitens unterschiedlicher

Organisationen und Einrichtungen die quantitative Korruptionsforschung in den letzten

Jahren stark vorangetrieben (Jain 2001, S. 76f.; Svensson 2005, S. 22f.; Blackburn et al. 2008,

S. 5; Zurawicki & Habib 2010, S. 1f.; Bader et al. 2013, S. 29).

Expertenbefragungen

Die meisten Indizes, die ursprünglich aus privatwirtschaftlichen Erwägungen (für Banken,

Investoren und multinationale Unternehmen zur Einschätzung politischer, finanzieller und

ökonomischer Risiken) entwickelt worden sind, beruhen auf jährlichen

Einschätzungsmittelwerten befragter Experten (Investoren, Spitzenmanager,

Wirtschaftsfachleute, Risikoanalysten etc.). Dabei variieren die Kennzahlen in

Abhängigkeit von ihren jeweiligen Herausgebern hinsichtlich der Stichprobengröße,

Befragungsquelle sowie Itemmenge. Zu den wichtigsten Indizes zählen insbesondere die

Ratings von Business International (BI), der International Country Risk Guide (ICRG) von

Political Risk Services, das World Competitiveness Yearbook vom Institute for Management

Development (IMD) sowie der Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums

(WEF) (Mauro 1995, S. 682ff.; Azfar et al. 2001, S. 49; Jain 2001, S. 76f.; Svensson 2005, S.

21f.; Kliche & Thiel 2011, S. 429ff.). Ihr Vorteil liegt allesamt darin, dass sie ganze

Gesellschaften in einer einzigen Kennzahl abbilden und dadurch einen internationalen

Vergleich ermöglichen (Kliche & Thiel 2011, S. 431). Auf diese Weise erlangte auch Paolo

Mauro im Jahr 1995 seinen Durchbruch in der empirisch-quantitativen

Korruptionsforschung, als er mittels eines internationalen Datensatzes (basierend auf den

gemittelten Werten dreier Indizes von Business International zur Korruption,

Bürokratisierung und Effizienz des Rechtssystems) einen signifikanten negativen

Zusammenhang zwischen dem Korruptionsniveau und der Investitionsrate (und somit

dem Wirtschaftswachstum) verschiedener Länder belegen konnte (Mauro 1995). Seine

Pionierarbeit löste eine Welle verwandter Studien aus (Lambsdorff & Schulze 2015,

45

S. 101). Allerdings wird die Gültigkeit der Indizes aus mehreren Gründen angezweifelt:

Erstens wird zwischen der Wahrnehmung und eigener Erfahrung der Experten nicht

differenziert. Zweitens kann die Wahrnehmung der Experten verzerrt sein und von der

Realität abweichen, beispielsweise durch Vorurteile, den länder- oder kulturspezifischen

Kontext oder die vermehrte Sichtbarmachung und Skandalisierung von Korruption.

Drittens werden unterschiedliche Erscheinungsformen von Korruption und nationale,

branchenspezifische Unterschiede nicht berücksichtigt (Andersson & Heywood 2009, S.

752ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 432f.). Eine gründlichere methodologische Betrachtung lässt

somit auf eine eher geringe Aussagefähigkeit dieser Indikatoren schließen. Um diese zu

erhöhen, bedarf es zukünftig u.a. der Offenlegung von Stichproben und Gütekriterien

(Kliche & Thiel 2011, S. 433f.).

Bevölkerungsumfragen

Abgesehen von Experten kann auch die Bevölkerung hinsichtlich ihrer Erfahrungen und

subjektiven Wahrnehmung von Korruption in verschiedenen Organisationen und

Handlungsfeldern befragt werden und somit eine zusätzliche Sichtweise im Hinblick auf

die Verbreitung und Formen dieses Phänomens liefern (Kliche & Thiel 2011, S. 438f.). Der

wohl bekannteste Indikator, der auf regelmäßigen Bevölkerungsumfragen basiert, ist der

Global Corruption Barometer von Transparency International (Kliche & Thiel 2011,

S. 438f.). Weitere bekannte Indikatoren auf regionaler Ebene stellen der Eurobarometer,

Afrobarometer und Latinbarometer dar (Hussmann 2010, S. 13). Zwar lassen

Bevölkerungsdaten durch ihre Differenzierung nach Subgruppen eine gründlichere

Prävalenz- und Ursachenforschung zu, unterliegen jedoch auch typischen Wahrnehmungs-

verzerrungen wie Vorurteilen und Stereotypen, beispielsweise infolge übermäßiger

Medienrepräsentation bestimmter Deliktgruppen. Daher muss die subjektive

Wahrnehmung mit der Realität nicht unbedingt übereinstimmen. Aus diesem Grund sind

Bevölkerungsumfragen für sich allein nicht tragfähig. Ein interkultureller Vergleich erweist

sich ebenso als schwierig (Reuband 1998, S. 148; Kliche & Thiel 2011, S. 439f.).

Viktimisierungsbefragungen

Auch Viktimisierungsbefragungen stellen eine Möglichkeit dar, mehr Einblick in das

Dunkelfeld Korruption zu erhalten und die Effektivität bestimmter Gegenmaßnahmen zu

überprüfen. Aufgrund dessen, dass sie auf konkreten Ereignissen bzw. eigenen

Erfahrungen und nicht auf Einschätzungen beruhen, gelten sie als greifbarer und

46

inhaltsvalider (Kliche & Thiel 2011, S. 434ff.). Dennoch sind die Ergebnisse sowohl von der

Auskunftsbereitschaft als auch von der Auskunftsfähigkeit der Befragten (im Sinne der

Erkennung der Schädigung) abhängig und bilden demnach nicht die vollständigen Opfer-

und Schadensziffern ab (Kliche & Thiel 2011, S. 437; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 103f.).

Die wohl bekannteste Studie zur Erfassung von Wirtschaftskriminalität, die auf

zweijährlichen Viktimisierungsbefragungen auf Unternehmensebene beruht und neben

Delikten wie Geldwäscherei und Internetkriminalität auch Korruption und Bestechung

einschließt, ist der Global Economic Crime Survey von PricewaterhouseCoopers (Kliche &

Thiel 2011, S. 435; PwC 2016, S. 8ff.).

Kompositindizes (Aggregierte Datensätze)

Um die Gültigkeit einzelner Indizes zu erhöhen, werden ihre Ergebnisse häufig auch

miteinander kombiniert und in einem Gesamtindex gemittelt. Der größte Vorteil eines solchen

Kompositindikators liegt in der Datenverdichtung und Vergleichbarkeit bei gleichzeitiger

Reduktion einzelner Fehlerquellen in der Datenerhebung und -auswertung (Kliche & Thiel

2011, S. 442f.). Die hohe Interkorrelation der Indizes lässt wiederum auf einen gewissen

Konsens in der Wahrnehmung und Messung von Korruption schließen, weswegen diese gerne

in Kombination miteinander zur Schätzung des Zusammenhangs von Korruption und anderen

Variablen, wie beispielsweise Wirtschaftswachstum, herangezogen werden (Azfar et al. 2001,

S. 49; Jain 2001, S. 77; Blackburn et al. 2008, S. 5). So stellt auch der Korruptions-

wahrnehmungsindex von Transparency International einen Metaindex dar, der sich aus

Rankings unterschiedlicher Institutionen zusammensetzt. Aktuell gilt er als das beste

Korruptionsmaß für internationale Vergleiche (von Alemann 2005, S. 26; Andersson &

Heywood 2009, S. 752ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 445; TI-AC 2015). Nichtsdestotrotz stellt sich

bei derartigen aggregierten Datensätzen die Frage, ob ihre hohe Interkorrelation nicht auf

eine mögliche Fehlerkumulation in den Einzelkennziffern (z.B. kulturelle Stereotype)

zurückzuführen ist. Solange weder Gütekriterien noch Stichproben einsehbar sind, bleibt auch

die Validität von Metaindizes strittig (Kliche & Thiel 2011, S. 445).

47

Deliktregister (Kriminalstatistik)

Eine weitere Möglichkeit, Korruption empirisch zu untersuchen, besteht in der Auswertung

fremdproduzierter Daten wie Strafverfolgungsdaten (Kriminalstatistik, Deliktregister etc.)

(von Alemann 2005, S. 24; Kliche & Thiel 2011, S. 441; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104).

Diese geben Auskunft über das Hellfeld, d.h. über die Zahl bekannt gewordener Delikte sowie

– bei tiefergehenden Analysen – über deren Schwere und Beteiligungskreis. Langfristige

Entwicklungen können daraus abgeleitet werden. Zwar stellt eine solche Datenauswertung

eine weitaus objektivere Erhebungsmethodik dar, liefert jedoch aufgrund des hohen

Dunkelfeldes nur wenig Aufschluss über die tatsächliche Verbreitung und das Ausmaß von

Korruption. Zudem unterliegen die Daten jährlichen Schwankungen und somit einer hohen

Diagnoseanfälligkeit infolge rechtlicher Veränderungen oder verstärkter Strafverfolgung

(Kliche & Thiel 2011, S. 441; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104). Insofern erweist sich auch

ein internationaler Vergleich als sehr schwierig bis unmöglich, als eine einheitliche

Rechtsetzung, Strafverfolgung und Delikterfassung vorausgesetzt werden (Kliche & Thiel

2011, S. 442; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104). Aufgrund ihrer hohen Diagnoseanfälligkeit

können Inzidenz- und Prävalenzraten Korruptionsforschern lediglich grobe Anhaltspunkte im

Hinblick auf die Verbreitung, Formen und Ursachen von Korruption liefern (Kliche & Thiel

2011, S. 442).

Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben

Korruption lässt sich auch anhand des Schwundes der seitens der öffentlichen Hand zur

Verfügung gestellten Mittel bewerten und quantifizieren. Als Erhebungsinstrumente kommen

zumeist spezielle Befragungen oder Audits in Frage (vgl. Kapitel 3.7). Überdies kann

Korruption auch in nichtmonetärer quantitativer Weise, wie beispielsweise über die

Ermittlung der Absentismusrate im Rahmen einer Umfrage zur Qualität der öffentlichen

Dienstleistungserbringung, gemessen werden (Lambsdorff & Schulze 2015, S. 104). Bader et

al. (2013, S. 29) führen in concreto an, dass eine Gegenüberstellung der getätigten Ausgaben

für ein öffentliches Infrastrukturprojekt und dessen aktuellem Wert eine Möglichkeit darstellt,

Korruption zu erfassen. Der Vorteil all dieser Ansätze besteht insbesondere im höheren

Messlevel (Bader et al. 2013, S. 29).

48

Labor- und Feldexperimente

Ein aktueller Trend im Rahmen empirisch-quantitativer Korruptionsforschung geht in Richtung

Feld- und Laborexperimente. Diese bieten im Gegensatz zu bisherigen quantitativen

Erhebungsmethoden neue Möglichkeiten, die Determinanten und Auswirkungen

individuellen Korruptionsverhaltens wie auch die Wirksamkeit gesetzter

Antikorruptionsmaßnahmen über direkte Beobachtung zu erforschen. Zwar liegen die Vorteile

von Feldexperimenten insbesondere in der hohen externen Validität und Realitätsnähe,

jedoch leidet ihre interne Validität häufig unter der mangelnden Kontrollierbarkeit der

experimentellen Situation. Zudem erweist sich deren Durchführbarkeit insofern als schwierig,

als Korruption direkt kaum messbar und beobachtbar ist. Dies gilt auch für die empirische

Überprüfung der tatsächlichen Wirkungen von Antikorruptionsmaßnahmen. Im Vergleich zu

Feldexperimenten ermöglichen Laborexperimente die Untersuchung der Einflussnahme

ausgewählter Faktoren (z.B. Entdeckungswahrscheinlichkeit, Sanktionen) auf das individuelle

Entscheidungsverhalten unter kontrollierten Rahmenbedingungen. Aufgrund ihrer

Kontrollierbarkeit weisen sie eine hohe interne Validität auf. Gegenüber Feldexperimenten

können sie auch gezielter im Hinblick auf die Forschungsfrage designt werden. Ihr Nachteil

liegt indes in der mangelnden externen Validität infolge der künstlich erschaffenen Situation

und einer Experimentalgruppe, die sich meist aus Studierenden zusammensetzt. Die

Übertragbarkeit auf die reale Welt bleibt somit strittig. Ferner lässt sich grand corruption im

Labor nur schwer untersuchen. Da augenscheinlich sowohl Feld- als auch Laborexperimente

über Vor- und Nachteile verfügen, sollten sie idealerweise in komplementärer Weise

eingesetzt und deren Ergebnisse verglichen werden (Abbink 2006, S. 418ff.; Li 2011, S. 382ff.;

Lambsdorff & Schulze 2015, S. 105ff.). Inzwischen wurden einige Publikationen zum Thema

experimenteller Korruptionsforschung veröffentlicht. Zu den ersten experimentellen

Korruptionsstudien zählt jene von Frank & Schulze (2000), die u.a. den Einfluss des

Geschlechts und des Studienzweiges auf das Korruptionsverhalten aufzeigen konnten (höhere

Korruptionsanfälligkeit männlicher Ökonomiestudierender). Ein Beispiel für ein reines

Feldexperiment stellt die Untersuchung von Olken & Barron (2009) dar. Über einen Zeitraum

von neun Monaten wurden LKW-Fahrer von als Fahrer-Assistenten verkleideten Forschern auf

ihrer regulären Route durch Aceh (Indonesien) begleitet, um die Häufigkeit und Höhe illegaler

Zahlungen an Militär-/Polizeikontrollstellen und Wiegestationen direkt zu beobachten. Auf

über 300 Fahrten konnten über 6000 illegale Zahlungen beobachtet werden, was insgesamt

49

über 40 USD pro Fahrt und 13 % der Fahrtkosten entsprach. Weitere experimentelle Studien

stammen u.a. von Cameron et al. (2005), Armantier & Boly (2008) und Barr et al. (2009).

Integritätstests

Integritätstests, wie beispielsweise IBES (Inventar berufsbezogener Einstellungen und

Selbstbeschreibungen) oder PIA (Persönlichkeitsinventar zur Integritätsabschätzung), bieten

eine Möglichkeit, die individuelle Neigung zu kontraproduktivem Verhalten (Diebstahl,

Absentismus, Mobbing etc.), die in Abhängigkeit von den jeweiligen Einstellungen und

Persönlichkeitsmerkmalen wie Gewissenhaftigkeit oder Selbstkontrolle variieren kann, zu

messen (Kliche & Thiel 2011, S. 420f.; Litzcke et al. 2014, S. 4f.). Zwar können Integritätstests

Gutachter bei der Einschätzung der Neigung von Probanden zu kontraproduktivem Verhalten

unterstützen, doch eignen sie sich nur bedingt zur Vorhersage von Korruption bzw. lediglich

in Kombination mit anderen Instrumenten. Dies wird einerseits damit argumentiert, dass die

Tests anfällig für Coaching und sozial erwünschtes Antwortverhalten seien, und andererseits

damit, dass sie streng genommen nur Gehorsam und Konformität gegenüber den

Vorgesetzten erfassen und somit unethisches Verhalten zugunsten des Arbeitgebers nicht

berücksichtigen (Berry et al. 2007, S. 271ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 421ff.). Zudem erfasst das

Konstrukt Integrität ein viel breiteres Verhaltensspektrum als Korruption und ist vor allem auf

Persönlichkeitsdimensionen ausgerichtet (Litzcke et al. 2014, S. 4f.).

Hannoversche Korruptionsskala (HKS 38)

Mit der Hannoverschen Korruptionsskala (HKS 38) lässt sich die Einstellung gegenüber

Korruption messen. Die Skala umfasst insgesamt 38 Items, die sich auf drei Subskalen

verteilen: Die kognitive Subskala (15 Items) erfasst Stereotypen, Überzeugungen und

Meinungen hinsichtlich Korruption, die affektive Subskala (13 Items) erhebt Emotionen und

Stimmungen, die bei einer Person im Zusammenhang mit Korruption ausgelöst werden, die

konative Subskala (10 Items) erfasst Verhalten und Verhaltenstendenzen gegenüber

Korruption. Im Vergleich zu Integritätstests ist die HKS 38 spezifischer (Korruption statt

Integrität) und fokussiert Einstellungen statt Persönlichkeitsdimensionen. Aufgrund der

Gefahr sozial erwünschten Antwortverhaltens sollte das Instrument lediglich in der

Korruptionsforschung und nicht in der Personalauswahl eingesetzt werden (Litzcke et al.

2014).

50

2. Qualitative Methoden

Wie bereits erwähnt wurde, sind qualitative Studien im Gegensatz zu quantitativen in der

Korruptionsforschung noch relativ unterrepräsentiert – insbesondere im Bereich der

Wirtschaftswissenschaften (Kliche & Thiel 2011, S. 411; Bader et al. 2013, S. 29). Und dies,

obwohl die qualitative Korruptionsforschung vertiefendere oder sogar neue Erkenntnisse

hinsichtlich den Korruptionsmechanismen und -dynamiken liefern kann (Kliche & Thiel 2011,

S. 411). Zu den wichtigsten qualitativen Methoden im Bereich der Korruptionsforschung

zählen u.a. (Experten-)Interviews, Beobachtungen, Fallstudien, Dokumentenanalysen und

Fokusgruppen, wobei im Folgenden nur ausgewählte Erhebungsinstrumente näher ausgeführt

werden (Kliche & Thiel 2011, S. 414ff.; Bader et al. 2013, S. 26f.; Langseth 2016, S. 16ff.).

(Experten-)Interviews

Die wohl am häufigsten eingesetzte Form der qualitativen Befragung stellt – neben dem

Telefoninterview und der schriftlichen qualitativen Befragung – das persönliche Interview dar.

Hierbei wird – mit zunehmendem Strukturierungs- und abnehmendem Offenheitsgrad –

zwischen dem narrativen, problemzentrierten, Experten-, halbstandardisierten und

fokussierten Interview unterschieden. Als mittlere Variante zwischen Offenheit und

Strukturierung sei an dieser Stelle das Experteninterview hervorgehoben. Im Vergleich zu

anderen Interviewformen zeichnen sich Experteninterviews dadurch aus, dass die Person des

Befragten in den Hintergrund gerückt wird, während ihr spezielles Fach- und

Hintergrundwissen einschließlich ihrer persönlichen Erfahrungen, Sichtweisen und

Einschätzungen in Bezug auf das Untersuchungsthema in den Mittelpunkt gestellt werden.

Somit wird die Wahl der Interviewpartner, die als Repräsentanten einer bestimmten Gruppe

oder Feldes angesehen werden, vom jeweiligen Forschungsinteresse geleitet (Borchardt &

Göthlich 2009, S. 38ff.; Bogner et al. 2014, S. 10ff.). Die Stärken von Experteninterviews liegen

in erster Linie in der Erforschung und Rekonstruktion innovativer, komplexer Handlungsfelder

und sozialer Prozesse sowie im Verstehen kausaler Wirkmechanismen, die das Feld und

dessen beteiligten Akteure prägen (Wassermann 2015, S. 64f.). Aufgrund dessen werden

Experteninterviews auch gerne zur Erforschung von Korruption herangezogen (Stuhlhofer et

al. 2008; Campbell & Göritz 2014; Othman et al. 2014). Beispielsweise untersuchten

Stuhlhofer et al. (2008) im Rahmen einer groß angelegten, kulturellen Vergleichsstudie die

Formen, Ursachen, Auswirkungen und Bekämpfungsstrategien von Korruption in Kroatien

51

mittels Experteninterviews. Eine große Zahl an aus verschiedenen Bereichen stammenden

Interviewpartnern ermöglicht die Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes aus

unterschiedlichen Perspektiven und die Vergleichbarkeit dieser – insbesondere wenn hierbei

die Theoriengenerierung angestrebt wird (Wassermann 2015, S. 54f.). Strittig bleibt indes,

inwiefern qualitative Experteninterviews zur Überprüfung von Hypothesen oder Theorien

herangezogen werden können. Zudem beruhen sie nebst objektiven auch auf subjektiven

Wissensbeständen, Meinungen und Wahrnehmungen, die es bei der Auswertung zu

berücksichtigen gilt (Wassermann 2015, S. 53ff.). Nähere Ausführungen zum

Experteninterview lassen sich in Kapitel 5.4.1 finden, da sich die vorliegende Dissertation auf

diese Erhebungsmethodik stützt.

(Teilnehmende) Beobachtung

Beobachtungen zielen darauf ab, sinnlich wahrnehmbares Verhalten zum Zeitpunkt seines

Geschehens zu erfassen und zu interpretieren (Atteslander 2000, S. 73, zitiert nach Borchardt

& Göthlich 2009, S. 40). Sie können in unterschiedlicher Form (offen vs. verdeckt, teilnehmend

vs. nicht-teilnehmend, wenig vs. stark strukturiert, informiert vs. unwissentlich u.a.)

durchgeführt werden (Borchardt & Göthlich 2009, S. 38). Im Hinblick auf den

Untersuchungsgegenstand Korruption, der in der Regel im Verborgenen stattfindet, bietet

sich insbesondere die teilnehmende Beobachtung an, um die Motive und Ablaufmuster

menschlicher Interaktionen über direkte Beteiligung näher zu ergründen. Meistens findet

diese zusätzlich in verdeckter Form statt (Kliche & Thiel 2011, S. 418). Eine auf einer

teilnehmenden Beobachtung und mehreren Interviews basierende Studie stellt jene von Beek

(2008) dar, der Korruption in der Polizei in Nord-Ghana als eine situative Anpassung der

Polizeiarbeit an ihr unsicheres Umfeld (niedrige Legitimität, konkurrierende alternative

Rechtsinstanzen, innerinstitutionelle Widersprüche etc.) beschrieben hat. Zwar können

Beobachtungsverfahren zu einem tieferen Verständnis der Korruptionsmechanismen

– insbesondere in Subkulturen – beitragen, allerdings ist die Möglichkeit der direkten

Beobachtung selten gegeben; zudem werden andere Forschungsansätze als effizienter und

zuverlässiger eingestuft. Neben ihrer zeit- und ressourcenaufwendigen Vorbereitung und

Durchführung können teilnehmende Beobachtungen auch unter ihrer mangelnden

Objektivität aufgrund von Wahrnehmungsverzerrungen oder der zu geringen Distanz zum

Forschungsobjekt leiden. Zudem bestehen im Falle der verdeckten Beobachtung oftmals

52

forschungsethische oder rechtliche Bedenken (Borchhardt & Göthlich 2009, S. 40ff.; Kliche &

Thiel 2011, S. 419f.; Langseth 2016, S. 17f.). Ferner muss bereits im Vorhinein abgeklärt

werden, ob und wann im Rahmen des Forschungsprojektes aufgedecktes, illegales Verhalten

an Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden sollte (Langseth 2016, S. 18).

Fallstudien

Eine Fallstudie verfolgt das Ziel, die Motive, Abläufe, Ursachen und Auswirkungen sozialen

Handelns anhand eines realen Einzelereignisses zu ergründen und somit zu einem tieferen

Verständnis all seiner Rahmenbedingungen und Einzelheiten beizutragen. Hierfür bedarf es

einer umfangreichen Datenerhebung, die unterschiedliche empirische Methoden,

insbesondere Befragungen (sowohl qualitativer als quantitativer Natur),

Dokumentenanalysen und Beobachtungen, mit einschließen kann. Liegen mehrere

vergleichbare Fallstudien vor, deren eruierte Zusammenhänge sich gegenseitig bestätigen,

können auf deren Grundlage Theorieansätze (Hypothesen, Erklärungsmodelle) und

Gefahrenindikatoren abgeleitet werden (Borchardt & Göthlich 2009, S. 34ff.; Kliche & Thiel

2011, S. 414ff.; Lengsath 2016, S. 17). Fallstudien eignen sich vor allem zur Untersuchung sehr

innovativer, bislang unerforschter, komplexer Bereiche, wenn es an Fallzahlen für eine

quantitative Erforschung noch mangelt – wie beispielsweise im Falle von Korruption

(Borchardt & Göthlich 2009, S. 36). Einige fallstudienbasierte Studien zu Korruption liegen

bereits auf, unter anderem jene von Maravic (2007), in der dezentrale Korruption als mögliche

Folge des New Public Managements via Interviews und Dokumentenanalysen untersucht

wurde. Allerdings können Fallstudien sehr zeitaufwendig und ihre Durchführbarkeit vom

jeweiligen Feldzugang (z.B. Akteneinsicht, Vollständigkeit und Richtigkeit der Daten,

Erfordernis selbstständiger Ermittlungen) dominiert sein – insbesondere was den

Untersuchungsgegenstand Korruption anbelangt. Zudem setzen sie häufig einen bestimmten

Sachverstand voraus (Merkens 2009, S. 294f.; Kliche & Thiel 2011, S. 415f.). Eine

Verallgemeinerung von Fallstudien ist nur schwer möglich (Borchardt & Göthlich 2009, S. 36;

Mayring 2015, S. 20); dies würde im Hinblick auf Korruption eine breite Fallsammlung (u.a.

Gerichts- und Ermittlungsakten) und deren komplexe Auswertung supponieren, insbesondere

seitens Staatsanwaltschaften, Polizeien und Kontrollorganen wie etwa Rechnungshöfen.

Bisherige Auswertungen von Strafverfolgungsdaten (wie z.B. der Kriminalstatistik) lieferten

lediglich Aussagen über Umfang, Verteilung und Beteiligtenkreis und weniger über deren

53

speziellen Hintergründe und Rahmenbedingungen. Außerdem lassen sich von Fallstudien

alleine – schon aufgrund des hohen Dunkelfeldes – keine Rückschlüsse auf die tatsächliche

Prävalenz von Korruption ziehen (Kliche & Thiel 2011, S. 414ff.).

2.9 Zukünftiger Forschungsbedarf

Obwohl sich die Korruptionsforschung derzeit in einer Konjunkturphase befindet, weist sie

noch viel Forschungsbedarf auf. Zwar sind die Ursachen und Auswirkungen von Korruption

mittlerweile gut erforscht, allerdings bleiben einige Fragen zu ihrer Kausalität offen. Zudem

basieren viele Untersuchungen auf länderübergreifenden Analysen, ohne die jeweiligen

kultur- und kontextspezifischen Gegebenheiten/Strukturen zu berücksichtigen, was eine

wichtige Voraussetzung für die Entwicklung wirksamer Antikorruptionsmaßnahmen auf

nationaler Ebene darstellt. Ferner gehören die unterschiedlichen Formen von Korruption auf

ihre spezifischen Auswirkungen näher untersucht (Lambsdorff 2006, S. 41ff.). Im Vergleich zu

den Ursachen und Auswirkungen von Korruption kann die Datenlage zu ihrer Verbreitung als

dürr und unzuverlässig eingestuft werden. Unzureichende, unpräzise oder fehlende

Messinstrumente gelten hierfür als Hauptursache. Folglich bedarf es zukünftig vor allem der

vermehrten Überprüfung, Weiter- und Neuentwicklung von Instrumenten zur Korruptions-

messung. Vor allem bleibt nach wie vor fraglich, inwiefern wahrnehmungsbasierende

Umfragen zur Erfassung von Korruption und für eine internationale oder interregionale

Vergleichsforschung tatsächlich geeignet sind (Kliche & Thiel 2011, S. 450ff.; Bader et al. 2013,

S. 29; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 109). Zur Erlangung objektiverer, von der subjektiven

Wahrnehmung unabhängiger Korruptionsdaten empfiehlt es sich u.a., regelmäßig in

unterschiedlichen Branchen repräsentative Viktimisierungsbefragungen durchzuführen,

kontinuierlich und systematisch Fallakten zu studieren (z.B. mittels eines einheitlichen

Auswertungsschemas), den Ausbau der Korruptionsberichterstattung seitens Polizeien und

Ministerien zu forcieren sowie auf eine Offenlegung der zur Strafverfolgung eingesetzten

Mittel zu drängen. Auf diese Weise könnte das Dunkelfeld besser abgeschätzt und Korruption

auch im Hinblick auf regionale und branchenspezifische Unterschiede eingehender studiert

werden (Kliche & Thiel 2011, S. 452ff.). Zudem bieten Erhebungen zur Rückverfolgung

öffentlicher Ausgaben eine weitere Möglichkeit, Korruption genauer zu erfassen (Lambsdorff

& Schulze 2015, S. 104). Zur umfassenderen Beleuchtung von Korruption und der genaueren

54

Verdeutlichung ihrer Mechanismen und Dynamiken gehören zukünftig kausalanalytische

Forschungsansätze wie Experimente und qualitative Erhebungsmethoden (z.B. Interviews,

Beobachtungen, Fallstudien) stärker einbezogen (Kliche & Thiel 2011, S. 451f.). Generell wird

eine verstärkte Daten- und Methodentriangulation empfohlen, wie beispielsweise die

Kombination von qualitativen und quantitativen Ansätzen oder Feld- und Laborexperimenten,

um bisherige Erhebungswege zu validieren und die generelle Aussagekraft von

Untersuchungsergebnissen zu erhöhen (Kliche & Thiel 2011, S. 452; Bader et al. 2013, S. 29;

Lambsdorff & Schulze 2015, S. 108f.). Zu den wenigen Studien, die auf einer

Methodentriangulation basieren, zählen beispielsweise die Untersuchungen von Olken (2009)

oder von Armantier & Boly (2008). Was die international komparative Forschung betrifft, ist

gleichfalls eine Validierung eingesetzter Messinstrumente vonnöten; gerade kulturelle und

sozialstrukturelle Unterschiede haben in der komparativen Forschung bisweilen wenig

Beachtung gefunden (Kliche & Thiel 2011, S. 412).

Weiters mangelt es in der Forschung an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Effizienz und

Effektivität bislang gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen, wodurch eine gezielte und

wirksame Korruptionsbekämpfung erschwert wird. Dies liegt vor allem an den fehlenden

Messinstrumenten zur Erfassung ihrer Wirksamkeit (Europäische Kommission 2007, S. 571).

Zukünftig gilt es, auch die kultur- und kontextspezifischen Gegebenheiten, die auf die

Effektivität von Antikorruptionsmaßnahmen einwirken können, zu untersuchen und zu

berücksichtigen; sprich: Was macht eine Antikorruptionsstrategie in einem bestimmten

(kulturellen) Kontext erfolgreich, aber nicht in einem anderen? (Lambsdorff & Schulze 2015,

S. 108). Ein weiteres Forschungsdesiderat stellt bisweilen auch die Analyse der grand

corruption und systemic corruption dar, was mit ihren erheblichen Messschwierigkeiten

zusammenhängt. Grand corruption wurde bislang fast ausschließlich mittels Befragungen auf

der Makroebene erfasst. Angesichts ihres immensen Schadensausmaßes ist ihre gründlichere

Erforschung für die Generierung zukünftiger Antikorruptionsmaßnahmen unabdingbar. Ein

möglicher Ansatz, systemic corruption näher zu erforschen, besteht in der historischen

Untersuchung von Faktoren und Anreizen, die zur Entwicklung und Aufrechterhaltung des

korrupten Systems geführt haben. Ebenso bietet es sich an, erfolgreiche und nicht-

erfolgreiche Antikorruptionsmaßnahmen näher zu analysieren (Lambsdorff & Schulze 2015,

S. 109f.). Indonesien, ein Land, welches jahrelang mit systemischer Korruption unter der

55

Diktatur Suhartos zu kämpfen hatte und erst nach seinem Abgang nach mehreren

Rückschlägen einen allmählich erfolgreichen Korruptionsrückgang verzeichnet, stellt

beispielsweise eine gute Story für grand corruption bzw. systemic corruption dar (Butt 2011;

Lambsdorff & Schulze 2015, S. 109f.).

2.10 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 3

Korruption, seitens Transparency International als der „Missbrauch von anvertrauter Macht

zum privaten Nutzen“ definiert, stellt ein uraltes, komplexes, weltweit verbreitetes Phänomen

dar (Shleifer & Vishny 1993, S. 599; Myint 2000, S. 33). Sie kann unterschiedliche Formen

(Bestechung/Bestechlichkeit, Vorteilszuwendung/-annahme, Veruntreuung, Betrug,

Erpressung, Kollusion, Favoritismus etc.) annehmen und mit verheerenden wirtschaftlichen,

gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Folgen (Investitions- und Wirtschafts-

rückgang, Wettbewerbsverzerrung, Fehlallokationen und Qualitätseinbußen bei öffentlichen

Dienstleistungen, ungleiche Einkommensverteilung, Zersetzung sozialer Werte und Normen,

öffentlicher Vertrauensverlust, Unterminierung staatlicher Legitimität etc.) einhergehen

(Lambsdorff 2006, S. 22ff.; Enste & Heldman 2017, S. 23ff.). Laut aktuellen Schätzungen des

Internationalen Währungsfonds soll sich der weltweite volkswirtschaftliche Schaden durch

Korruption im Jahr 2015 auf 1,5 bis zwei Billionen USD belaufen haben (IMF 2016, S. 5).

Aufgrund zahlreicher Skandale und Mediendebatten wurde die Korruptionsbekämpfung in

den 90er-Jahren auf die politische Agenda zahlreicher Staaten gesetzt. Dabei lassen sich allein

aus der empirischen Befundlage zu den Ursachen von Korruption wichtige Ansatzpunkte zu

ihrer erfolgreichen Bekämpfung (Pressefreiheit, Demokratisierungsgrad, Regulierungs-

qualität, Unabhängigkeit der Justiz, Transparenzschaffung, Kontroll- und Sanktions-

mechanismen, Bewusstseinsbildung und zivilgesellschaftliches Engagement, Integrität etc.)

ableiten (Enste & Heldman 2017, S. 36). Überdies kam es in den 90er-Jahren auf

internationaler Ebene zum Beschluss einiger wichtiger Antikorruptions-Konventionen (der

UN, OECD, des Europarates etc.), die die Unterzeichnerstaaten zur lückenlosen rechtlichen

Umsetzung und aktiven Maßnahmenergreifung gegen Korruption (u.a. Errichtung

unabhängiger, spezialisierter Antikorruptionseinrichtungen, Schutz von Whistleblowern etc.)

verpflichtet haben. Zeitgleich fand das Thema auch vermehrt Eingang in die internationale

56

Forschung (Shleifer & Vishny 1993; Klitgaard 1988; Mauro 1995, 1996, 1998; Rose-Ackerman

1996, 1999; Treisman 2000; Wei 2000; Zurawicki & Habib 2002, 2010). Die ersten

theoretischen Untersuchungen hierzu erfolgten bereits in den frühen 70er-Jahren (Krueger

1974; Rose-Ackerman 1975; Bhagwati 1982), wobei zu den zentralen wegweisenden Arbeiten

jene von Rose-Ackerman (1975), Klitgaard (1988) und Shleifer & Vishny (1993) gezählt werden.

Dabei stellt Korruption aus vielerlei Hinsicht keinen einfachen Untersuchungsgegenstand dar

(Heimlichkeitsdelikt bzw. hohe Dunkelziffer, fehlende global einheitliche

Korruptionsdefinition, fehlende umfassende Korruptionstheorie, kultur- und

kontextspezifisches Phänomen) (Kliche & Thiel 2011, S. 412f.). Den Durchbruch in der

empirischen Korruptionsforschung erlangte 1995 Mauro, der dank eines internationalen, auf

Korrespondenten- und Experteneinschätzungen beruhenden Korruptionsindexes von

Business International einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen dem

Korruptionsniveau und der Investitionsrate (und somit dem Wirtschaftswachstum)

verschiedener Länder belegen konnte (Mauro 1995). Seitdem wächst die Zahl der

veröffentlichten Studien und wissenschaftlichen Arbeiten zu Korruption vehement. Das

Thema erlebt aktuell einen regelrechten Literaturboom seitens verschiedener

wissenschaftlicher Disziplinen (Jain 2001, S. 71; von Alemann 2005, S. 14; Bader et al. 2013, S.

23f.). Mittlerweile existieren neben ökonomischen Erklärungsansätzen von Korruption auch

psychologische, soziologische, politische, kriminologische, strafrechtliche, historische u.a.

(von Alemann 2005, S. 22ff.; Graeff 2012, S. 208; Grieger 2012, S. 6ff.). Nach wie vor

dominieren vor allem quantitative Methoden die Korruptionsforschung (Stakeholder-

befragungen, Kompositindizes, Deliktregister, Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher

Ausgaben, Labor-/Feldexperimente etc.) und weniger qualitative (Interviews, Fallstudien,

Beobachtungen etc.), wobei eine Abkehr von der Makroebene (länderübergreifende

Analysen) auf die Mikroebene (Haushalts-, Individuums- und Unternehmensebene) in den

letzten Jahren beobachtbar ist (Bader et al. 2013; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 100ff.).

Während die Ursachen und Auswirkungen von Korruption (abgesehen von einigen offen

gebliebenen kausalanalytischen Fragen) mittlerweile gut erforscht sind, kann die Datenlage zu

ihrer Verbreitung als vergleichsweise dürr eingestuft werden. Unzuverlässige oder fehlende

Messindikatoren gelten hierfür als Hauptursache, worin auch der zukünftige

Forschungsbedarf besteht. Gleiches gilt für die Erhebung der Effektivität und Effizienz bislang

gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen (Europäische Kommission 2007, S. 571), wofür es

57

ebenfalls an adäquaten Messinstrumenten mangelt. Um Korruption zukünftig umfassender zu

beleuchten und ihre Mechanismen und Dynamiken genauer zu verdeutlichen, empfiehlt es

sich, zukünftig verstärkt kausalanalytische Ansätze wie Experimente und qualitative

Erhebungsmethoden einzubeziehen (Kliche & Thiel 2011, S. 450ff.). Generell sollte auf eine

verstärkte Daten- und Methodentriangulation gesetzt werden, um die Aussagekraft von

Untersuchungsergebnissen zu erhöhen und bisherige Erhebungsmethoden zu validieren

(Kliche & Thiel 2011, S. 452; Bader et al. 2013, S. 29; Lambsdorff & Schulze 2015, S. 108f.).

Nachdem in Kapitel 2 ein prägnanter, umfassender Überblick über die aktuelle Ausgangslage

und die wichtigsten theoretischen Grundlagen zum Forschungsgegenstand Korruption als

wichtige Ausgangsbasis für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit geliefert wurde,

erfolgt im nachfolgenden Kapitel 3 eine inhaltliche Fokussierung auf „Korruption im

Gesundheitssystem“.

58

3 Korruption im Gesundheitssystem

Im Folgenden wird ein umfassender und zugleich kompakter Überblick über die IST-Situation

und den aktuellen Forschungsstand zu Korruption im Gesundheitssystem auf internationaler

Ebene geliefert. Ausgehend von der Begriffsbestimmung und -abgrenzung von Korruption im

Gesundheitssystem (Kapitel 3.1) und ihrem geschätzten Ausmaß (Kapitel 3.2) werden die

spezifischen Erscheinungsformen (Kapitel 3.3), Auswirkungen (Kapitel 3.4) und Ursachen

(Kapitel 3.5) dieses Phänomens erläutert. Danach wird auf bislang gesetzte

Antikorruptionsmaßnahmen auf internationaler Ebene (Kapitel 3.6) und die wichtigsten

Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruption und ihrer Risiken im

Gesundheitssystem (Kapitel 3.7) näher eingegangen. Abschließend wird der zukünftige

Forschungsbedarf aufgezeigt (Kapitel 3.8) und die wichtigsten Erkenntnisse aus Kapitel 3 als

Überleitung auf Kapitel 4 zusammengefasst wiedergegeben (Kapitel 3.9).

3.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung

Bei der Begriffsbestimmung von Korruption im Kontext des Gesundheitssystems lehnen sich

viele Autoren an die gängige Definition von Transparency International an (Savedoff 2007,

S. 2; Vian 2008, S. 84; Chattopadhyay 2013, S. 153). Da aber der „Missbrauch von anvertrauter

Macht zum privaten Nutzen“ für die Definition von Korruption im Gesundheitssystem oftmals

zu kurz greift, indem diese Definition den Kern des Problems (Intransparenz des äußerst

komplexen Systems „Gesundheitswesen“) nicht herausbildet, wurde von Transparency

International – Deutsches Chapter folgende erweiterte Begriffsbestimmung vorgeschlagen:

„Im Gesundheitswesen soll ein Verhalten dann „korruptiv“ genannt werden, wenn zugunsten

[eines Einzelnen bzw.] 7 einer bestimmten Gruppe der im Gesundheitsmarkt Agierenden

missbräuchlich Vorteile zu Lasten anderer Gruppen, beziehungsweise der Allgemeinheit

bewirkt werden“ (TI-DE 2000, S. 2). So liegt bei dieser Definition weniger die einzelne strafbare

Handlung (Bestechung, Vorteilszuwendung etc.) im Vordergrund, sondern vielmehr die

Gesamtstruktur, welche durch ihre hohe Intransparenz möglicherweise Einfallstore für

Korruption bietet (TI-DE 2000, S. 2). In diesem Sinne wird auch in der vorliegenden Dissertation

fortan auf die erweiterte Begriffsbestimmung von Transparency International zurückgegriffen,

7 Dieser Teil wurde später seitens Transparency International – Austrian Chapter hinzugefügt (TI-AC 2010, S. 6).

59

wobei – wie bereits in Kapitel 2.1 angemerkt wurde – die Formulierung einer eigenständigen

Definition für das nationale Gesundheitssystem im Rahmen der empirischen Untersuchung

anvisiert wird.

Häufig taucht der Begriff „Korruption im Gesundheitssystem“ im Zusammenhang mit

Begriffen wie Compliance, Interessenkonflikten oder der Zwei-/Mehrklassenmedizin auf, die

es im Folgenden klar abzugrenzen gilt.

Compliance

Im Gegensatz zu Korruption wird unter Compliance die Übereinstimmung mit und die

Einhaltung von rechtlichen oder regulativen Vorgaben verstanden. Davon abzugrenzen ist

der Begriff der Patienten-Compliance, der die Bereitschaft der Patienten, die Anweisungen

ihrer Ärzte zu befolgen, beschreibt (Dieners & Lembeck 2010, S. 125; Bienert 2013, S. 1ff.).

Interessenkonflikte

Laut Thompson (1993, S. 573) versteht man unter Interessenkonflikten im Kontext des

Gesundheitssystems Situationen, „in denen professionelles Urteilsvermögen, welches sich

auf ein primäres Interesse (z.B. das Wohl des Patienten oder die Validität der Forschung)

bezieht, dazu tendiert, durch ein sekundäres Interesse (z.B. finanzieller Vorteil)

unangemessen beeinflusst zu werden.“. Demzufolge stellen Interessenkonflikte Zustände

und nicht Handlungs- oder Beurteilungsergebnisse dar, die das menschliche

Urteilsvermögen nicht zwangsläufig beeinflussen, sondern lediglich ein Risiko hierfür

bergen (Klemperer 2008, S. 2100). Daher sind Interessenkonflikte im Gesundheitssystem

nicht von vornherein als verwerflich oder illegitim zu bezeichnen, insbesondere deswegen

nicht, weil sie ubiquitär verbreitet und heutzutage eher die Regel als die Ausnahme

darstellen. Erst der richtige Umgang mit ihnen (z.B. in Form ihrer Offenlegung) bestimmt,

ob sie in missbräuchlichem Verhalten bzw. Korruption resultieren (Klemperer 2008, S.

2100; Spelsberg 2010, S. 7; Hintringer 2010, S. 24ff.; Kern-Homolka 2011, S. 18).

Zweiklassenmedizin/Mehrklassenmedizin

Die Zwei- oder Mehrklassenmedizin beschreibt eine Situation, in der die Qualität der

Gesundheitsversorgung vom finanziellen oder sozialen Status einer Person abhängig ist

und somit ein solidarisch finanziertes System unterminiert wird. Während sich der Begriff

der Zweiklassenmedizin zumeist auf die unterschiedliche Qualität der medizinischen

Versorgung in Abhängigkeit von der Versicherungsart bezieht und somit die Einteilung von

60

Krankenversicherten in zwei Klassen – in gesetzlich versicherte und zusatzversicherte

Patienten – impliziert, differenziert die Mehrklassenmedizin zwischen weitaus mehr

Patientengruppen im Hinblick auf die Güte der medizinischen Behandlung (vgl. Kapitel

5.7.5) (Spöndlin 2003, S. 368; Pruckner & Hummer 2013, S. 43).

3.2 Ausmaß von Korruption

Bereits 2006 ging aus dem Global Corruption Report von Transparency International mit

besonderer Schwerpunktsetzung auf das Gesundheitssystem hervor, dass Korruption selbst

im Gesundheitssektor ein weltweit verbreitetes Phänomen darstellt (TI 2006, S. 25ff.). Wie

dem Global Corruption Barometer aus dem Jahr 2013 zu entnehmen ist, wird die

Korruptionsanfälligkeit des Gesundheitssektors auf einer Skala von 1 (gar nicht korrupt) bis 5

(extrem korrupt) im Durchschnitt mit 3.3 bewertet. Insgesamt 17 % aller Befragten gaben an,

in den letzten 12 Monaten ein Bestechungsgeld für den Erhalt einer Gesundheitsleistung

bezahlt zu haben (Hardoon & Heinrich 2013, S. 11 und S. 16). Laut einer Studie der

Europäischen Kommission aus demselben Jahr findet Korruption in allen europäischen

Gesundheitssystemen Eingang; Unterschiede bestehen lediglich hinsichtlich des Ausmaßes

und den einzelnen Ausprägungsformen (Europäische Kommission 2013, S. 3). Den

Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus 2013 zufolge, geht jeder dritte

Europäer (33 %) davon aus, dass Korruption im Gesundheitssystem weit verbreitet ist. Jeder

zwanzigste Europäer gibt an, im vergangenen Jahr für den Erhalt einer Gesundheitsleistung

eine Zuwendung in Form einer Geldzahlung, Krankenhausspende oder eines Geschenks

geleistet zu haben. Dabei weist das Gesundheitssystem im Vergleich zu anderen Bereichen

(z.B. Polizei- und Zollwesen) die höchste Bestechungsrate auf. Während einige EU-Länder (z.B.

Rumänien, Litauen) sehr stark davon betroffen sind, weisen andere wenig bis kaum

Bestechungsfälle im Gesundheitssystem auf (z.B. Großbritannien, Niederlande, Schweden)

(Europäische Kommission 2014, S. 6ff. und S. 117ff.). Ähnliches geht auch aus dem aktuellen

Global Corruption Barometer hervor; auch hier verzeichnet das Gesundheitssystem die

höchste Bestechungsrate innerhalb der EU-Länder. Insgesamt gaben 10 % aller europäischen

Haushalte, die im vergangenen Jahr eine Gesundheitsleistung in Anspruch genommen haben,

an, ein Bestechungsgeld gezahlt zu haben (Pring 2016, S. 19). Internationale Experten

schätzen, dass weltweit ca. 3 % bis 10 % (im Durchschnitt zwischen 5 % und 6 %) der

61

Gesundheitsbudgets durch Korruption verloren gehen und nicht der öffentlichen

Gesundheitsversorgung zugutekommen (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee & Button

2015, S. 12; LSE 2017a, S. 557). Auf die globalen Gesundheitsausgaben – nach Dieleman et al.

(2017) ca. 9,21 Billionen USD im Jahr 2014 – umgelegt, ergäbe dies einen jährlichen Schaden

zwischen 276,3 und 921 Mrd. USD (laut eigener Berechnung der Autorin). Angesichts des

zunehmenden Finanzierungs- und Sparsamkeitsdrucks, der aktuell auf vielen Staaten im

Kontext des demografischen Wandels und medizinischen Fortschrittes lastet, stellen solche

„Ineffizienzen“ ein durchaus ernstzunehmendes Problem dar (Rupp 2006, S. 2). Denn neben

dem durch Korruption verursachten monetären Schaden rückt vor allem der nicht-monetäre

im Sinne der daraus resultierenden mangelnden Gesundheitsversorgung in den Vordergrund

(Vian 2008, S. 83ff.; WHO 2010a; European Commission 2013, S. 29). Auf die spezifischen

monetären und nicht-monetären Auswirkungen von Korruption wird in Kapitel 3.4 näher

eingegangen.

3.3 Erscheinungsformen von Korruption

Mittlerweile liegen einige Studien auf internationaler Ebene zu den Erscheinungsformen von

Korruption im Gesundheitssystem vor. Die häufigsten Erscheinungsformen schließen

Bestechungs- und Kickbackzahlungen, informelle Zahlungen zwischen Leistungserbringern

und -empfängern, Abrechnungsbetrug, Kollusion, Favoritismus, Absentismus, Diebstahl von

Arzneimitteln/Medizinprodukten, Veruntreuung öffentlicher Gesundheitsbudgets,

Versicherungsbetrug, Wissenschaftsbetrug und unethische Marketingpraktiken ein (Savedoff

2007, S. 3ff.; Vian 2008, S. 85; Europäische Kommission 2013, S. 47ff.; Petkov & Cohen 2016,

S. 4ff.; LSE 2017a, S. 554f.; Nair et al. 2017, S. 16ff.).

Am besten lassen sich die spezifischen Erscheinungsformen von Korruption identifizieren,

indem man sich die beteiligten Akteure im Gesundheitssystem und deren

Beziehungsverflechtungen genauer ansieht. Zu den wichtigsten Akteuren in jedem

Gesundheitssystem zählen die Gesundheitspolitik und -verwaltung, Leistungszahler,

Leistungserbringer, Leistungsempfänger sowie die Industrie als wichtiger Lieferant. Angesichts

geteilter Rollen und Verantwortlichkeiten können sich im wechselseitigen Zusammenspiel für

jeden der Beteiligten Möglichkeiten ergeben, das System zum eigenen Nutzen zu

62

missbrauchen (Savedoff 2007, S. 3ff.; Nair et al. 2017, S. 17). Nachfolgende Grafik (Abbildung

3) veranschaulicht die mögliche Einbettung korrupter Praktiken im Gesundheitssystem, die

anschließend auf der Ebene der einzelnen Akteure näher beleuchtet werden. Zu beachten ist,

dass nicht alle Erscheinungsformen grundsätzlich illegal sein müssen, sondern nach der ihnen

zugrunde gelegten Begriffsbestimmung in den sogenannten (kontext- und länderspezifischen)

Graubereich zwischen Legalität und Illegalität fallen können. Dieser Graubereich resultiert

zumeist aufgrund fehlender oder unklarer Regeln und Gesetze; der Umgang mit ihnen hängt

in erster Linie von der persönlichen Motivation, den individuellen Werten und Prinzipien ab

(Europäische Kommission 2013, S. 53 und S. 93).

Erp

ress

un

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h In

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tore

n

Gesundheitspolitik und -verwaltung

Leistungszahler (Staat, öffentliche/

private Versicherung)

Einflussnahme auf Entscheidungsträger

state capture

Einflussnahme auf Entscheidungsträger

Einflussnahme auf Entscheidungsträger

asdf

Normensetzung und Kontrolle

Arzneimittelzulassung Medizinprodukte-Zertifizierung Normensetzung und Kontrolle

Kosten- und Sparsamkeitsdruck

Absentismus Missbrauch von Nebentätigkeiten Abrechnungsbetrug Diebstahl etc.

Einflu

ssnah

me au

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eid

un

gsträger

Einflussnahme auf Entscheidungsträger

state capture

procurement corruption Qualitätsbetrug

Wissenschaftsbetrug unethische Marketingpraktiken

Einflussnahme auf Verschreibungspraxis etc.

procurement corruption

Leistungserbringer (öffentlich/privat)

Informelle Zahlungen Favoritismus

Überversorgung Unterversorgung etc.

Informelle Zahlungen Missbrauch der Krankenversicherungskarte Rezeptfälschungen etc.

Leistungsempfänger (Patienten)

Andere Lieferanten (Anlagenbau etc.)

Arzneimittel- und Medizinprodukte-

lieferanten

Abbildung 3: Manifestierung von Korruption im Gesundheitssystem Quelle: In Anlehnung an Savedoff 2007, S. 3

63

1. Gesundheitspolitik und -verwaltung

In vielen Ländern zählt das Gesundheitssystem zu den am stärksten regulierten Sektoren

(Petkov & Cohen 2016, S. 8). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Arzneimittel und

Medizinprodukte sicher und effektiv, Health Professionals (Leistungserbringer) ausreichend

qualifiziert sind und Gesundheitseinrichtungen bestimmte Standards erfüllen. Über die

Einhaltung bestehender Regulative zum Schutze der Patienten wachen Regulierungsbehörden

(Gesundheitsministerien, Aufsichtsbehörden etc.); die Festlegung von Gesundheitszielen und

-strategien und die damit einhergehende Reglementierung des Gesundheitssystems obliegt

der Gesundheitspolitik. Weder die Ebene der Gesundheitspolitik noch die der -verwaltung ist

vor Korruption gefeit (Savedoff 2007, S. 4; Petkov & Cohen 2016, S. 6ff.).

Bestechung

Um Einfluss auf wichtige Entscheidungsträger und -prozesse in Politik und Verwaltung zu

nehmen (im Fachjargon als state capture bezeichnet), können Akteure im

Gesundheitssystem öffentlich Bedienstete für die pflichtwidrige Vornahme oder

Unterlassung einer bestimmten Handlung (z.B. ungerechtfertigte Zulassung eines

bestimmten Arzneimittels/Medizinproduktes, ungerechtfertigte Akkreditierung einer

medizinischen Fachkraft oder Zertifizierung einer Gesundheitseinrichtung) bestechen

(Hussmann 2010, S. 24; Petkov & Cohen 2016, S. 6ff.; Nair et al. 2017, S. 17). Selbst wenn

sich Akteure konform verhalten, kann die eigene öffentliche Position zur Akquirierung von

Bestechungsgeldern missbraucht werden (Savedoff 2007, S. 4).

Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen

Neben finanziellen Anreizen können Individuen, Unternehmen und Gruppierungen auch

ihre persönlichen Verbindungen und (höherrangigen) Positionen dazu missbrauchen,

Einfluss auf wichtige Entscheidungsträger und -prozesse in der Politik und Verwaltung zum

eigenen Vorteil zu nehmen. Der Missbrauch persönlicher Verbindungen und

einflussreicher (höherrangiger) Positionen schließt insbesondere Favoritismus

(Nepotismus, Klientelismus) und die Drehtürkorruption8 (revolving door corruption) ein

(Europäische Kommission 2013, S. 85; Petkov & Cohen 2016, S. 6f.). Beteiligte an solchen

ungebührlichen Interaktionen, die sich zumeist auf höherer Ebene abspielen, können

8 Die Drehtürkorruption resultiert aus vorliegenden Interessenkonflikten, die beispielsweise durch den Wechsel von einem privaten Arbeitgeber (z.B. Pharmaindustrie) zu einem öffentlichen Arbeitgeber (z.B. Krankenhaus), dessen wichtiger Lieferant der ehemalige private Arbeitgeber ist, hervorgerufen werden können (Europäische Kommission 2013, S. 86).

64

sowohl Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, die Industrie als auch Leistungserbringer sein.

Ein hohes Missbrauchsrisiko bergen vor allem enge Beziehungsverflechtungen zwischen

Wirtschaftstreibenden, Regierungsmitarbeitern und Politikern sowie simultane und

wechselnde Beschäftigungen in und zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor,

wodurch schwerwiegende Interessenkonflikte (und die daraus resultierende

Drehtürkorruption) hervorgerufen werden können. In diesem Kontext kann sich auch die

Grenzziehung zwischen legalem Lobbying und unethischer Einflussnahme auf politische

Entscheidungsträger und -prozesse gegebenenfalls als sehr schwierig erweisen

(Europäische Kommission 2013, S. 85f.).

2. Leistungszahler (Kostenträger)

Leistungszahler (Staat, öffentliche und private Versicherungsanstalten etc.) finanzieren

Gesundheitsleistungen, die seitens Health Professionals erbracht werden, und zielen in erster

Linie auf einen effizienten Einsatz zur Verfügung stehender Ressourcen ab. Dabei können sie

nicht nur seitens Leistungserbringern und -empfängern betrogen (Abrechnungsbetrug,

Missbrauch der Krankenversicherungskarte, Rezeptfälschungen etc.), sondern auch selbst

illegal tätig werden (Savedoff 2007, S. 4; Europäische Kommission 2013, S. 87ff.).

Veruntreuung öffentlicher Gesundheitsbudgets

Grundsätzlich besteht immer das Risiko, dass öffentliche Gesundheitsbudgets durch

(höherrangige) Funktionäre veruntreut werden (Savedoff 2007, S. 4; Kohler et al. 2011,

S. 37). Ein besonders hohes Veruntreuungsrisiko bergen vor allem spendenfinanzierte

nationale Gesundheitsbudgets, da deren Verwendung schwerer zu kontrollieren und zu

verfolgen ist (Kohler et al. 2011, S. 37; Petkov & Cohen 2016, S. 18f.). Fehlende öffentliche

Gelder zur Finanzierung von Gesundheitsleistungen können mit der Zunahme informeller

Zahlungen einhergehen (Petkov & Cohen 2016, S. 18).

Ablehnung von Versicherungsansprüchen

(Private) Versicherungsanstalten können Versicherungsansprüche auch ablehnen, obwohl

sie gesetzlich verpflichtet sind, diese zu erstatten. Gleichzeitig können auch Mitarbeiter

aus Regulierungsbehörden bestochen werden, um solche korrupten Verhaltensweisen zu

ignorieren (Savedoff 2007, S. 4).

65

3. Leistungserbringer (Gesundheitsdienstleister, Health Professionals)

Grundsätzlich stehen Leistungserbringern (Medizinern und anderen Gesundheitsberufen,

Gesundheits- und Forschungseinrichtungen) zahlreiche Wege offen, um ihre Position zum

eigenen Vorteil zu missbrauchen. Als wichtige Entscheidungsträger und Vertrauenspersonen

der Patienten entscheiden sie nicht nur über die Wahl der richtigen Therapie und Medikation,

sondern u.a. auch über die Länge des Krankenhausaufenthalts einschließlich der Nach-

behandlung sowie über weiterführende Diagnostika und zusätzliche medizinische Leistungen.

Dabei kann im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Berufsethos der Versuchung schon mal

nachgegeben und der finanzielle oder berufliche Eigennutzen über das Wohl des Patienten

oder des Gesamtsystems gestellt werden (Savedoff 2007, S. 4).

Informelle Zahlungen

Eine gängige Form von Korruption im Zuge der Leistungserbringung stellen sogenannte

informelle Zahlungen (informal payments, under-the-table-payments) dar, die in

Österreich auch unter dem Begriff der „Kuvertmedizin“ bekannt sind (TI-AC 2010, S. 7).

Aufgrund ihrer zahlreichen Ausprägungen existiert bislang keine einheitliche Definition9

von informal payments (Chereches et al. 2013, S. 108ff.). Grundsätzlich versteht man unter

informal payments Zuwendungen (Geld- oder Sachleistungen) für die Erbringung von

Leistungen, die anspruchsberechtigten Patienten eigentlich kostenlos oder zu einem

niedrigeren Preis zustehen sollten. Oftmals werden auch Zuwendungen darunter

subsumiert, die zwischen Leistungserbringern und -empfängern im Gegenzug für eine

bessere oder bevorzugte Behandlung (z.B. Vorreihung auf Wartelisten) vereinbart werden

(TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 4f.; Europäische Kommission 2013, S. 31ff. und S. 53ff.).

Die Zuwendung selbst kann seitens der Leistungserbringer gefordert oder seitens der

Patienten angeboten werden und vor, während oder nach der jeweiligen

Untersuchung/Behandlung erfolgen. Angemerkt sei, dass es sich bei informellen

Zahlungen nicht immer um einen Bestechungsversuch handeln muss, da sie auch die Form

eines Geschenkes annehmen können, insbesondere dann, wenn kein eindeutiger

Zusammenhang zwischen der Leistungserbringung und der Geld- oder Sachleistung

erkennbar ist. Fraglich bleibt indes, ob und inwiefern sich eine solche Gabe auf die

9 Chereches et al. (2013, S. 113) empfehlen, sich an die Definition von Gaal et al. (2006, S. 276) anzulehnen: “a direct contribution, which is made in addition to any contribution determined by the terms of entitlement, in cash or in-kind, by patients or others acting on their behalf, to health care providers for services that the patients are entitled to”.

66

zukünftige Behandlung des Patienten auszuwirken vermag (Europäische Kommission

2013, S. 31 und S. 93).

Missbrauch von Nebenbeschäftigungen

Eine Alternative zu informellen Zahlungen stellt der Missbrauch von

Nebenbeschäftigungen dar. Dies betrifft vor allem im öffentlichen Krankenhaus

angestellte Ärzte, die Patienten unnötigerweise in die eigenen Privatordinationen

umleiten (und hierfür eine Ordinationsgebühr erheben) oder öffentliche Einrichtungen

(z.B. diagnostische Geräte, Laboruntersuchungen) zur Behandlung privater Patienten

nutzen (TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 5; Europäische Kommission 2013, S. 62; Petkov

& Cohen 2016, S. 21).

Absentismus

Unter Absentismus werden unbefugte Abwesenheiten bzw. Fehlzeiten von angestellten

Leistungserbringern während ihrer vereinbarten Dienstzeiten verstanden (Lewis &

Petterson 2009, S. 32). Da ein Gehalt bezogen wird, obwohl man seinen Dienstpflichten

nicht nachkommt, fällt dieses Verhalten unter Korruption. Nicht selten stellt Absentismus

das Resultat des Nachgehens einer Nebenbeschäftigung während der Dienstzeiten dar

(Savedoff 2007, S. 5; Kohler et al. 2011, S. 20f.; Petkov & Cohen 2016, S. 19).

Favoritismus bei der Leistungserbringung

Favoritismus bei der Leistungserbringung schließt eine bessere oder bevorzugte

Behandlung (z.B. Vorreihung auf Wartelisten) von Familienangehörigen, Freunden,

Bekannten etc. ein (Petkov & Cohen 2016, S. 21).

Rabatte und Kickbackzahlungen

Gegen Rabatte (z.B. Naturalrabatte bzw. Gratismuster) und Kickbackzahlungen10 können

verordnende Health Professionals (Mediziner) seitens Pharma- und Medizinprodukte-

herstellern, aber auch seitens Krankenhäusern, Diagnosezentren, Laborinstituten,

Optikern, Hörgeräteherstellern, Therapeuten, Zahntechnikern etc. dazu motiviert werden,

deren Produkte und Dienstleistungen zu verschreiben oder Patienten an sie zu überweisen

(TI-AC 2010, S. 10ff.).

10 Unter einer Kickbackzahlung versteht man den Rückfluss von Bestechungsgeldern als Gegenleistung für unrechtmäßig gewährte Vorteile. Zum Beispiel: Ein Auftragnehmer besticht den Mitarbeiter seines Auftrag-gebers und erhält im Gegenzug den Zuschlag für einen bestimmten Auftrag. Das Bestechungsgeld, das an den korrumpierten Mitarbeiter geflossen ist, holt er sich indirekt über die Ausstellung einer erhöhten Rechnung vom Auftraggeber zurück (TI-AC 2013, S. 36f.).

67

Über- und Unterversorgung

Finanzielle oder berufliche Anreize können Leistungserbringer zur Über- oder

Unterversorgung verleiten (TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 4f.; Petkov & Cohen 2016,

S. 21). Unter Überversorgung versteht man die Erbringung von Leistungen, die keinen

gesicherten (Zusatz-)Nutzen aufweisen und für die kein individueller Bedarf besteht.

Überversorgung liegt aber auch dann vor, wenn trotz der Verfügbarkeit kostengünstigerer,

gleich nutzenstiftender Leistungen die teurere Variante gewählt wird. Im Gegensatz dazu

beschreibt Unterversorgung eine Situation, in der Patienten Gesundheitsleistungen

vorenthalten werden, obwohl ein individueller Bedarf besteht, der (Zusatz-)Nutzen

hinreichend belegt und die Kosten-Nutzen-Relation akzeptabel ist (Amelung et al. o.J.;

Offermanns 2011, S. 22ff.).

Veruntreuung von Arzneimitteln, Medizinprodukten oder Forschungsgeldern

Grundsätzlich besteht immer das Risiko, dass Arzneimittel und Medizinprodukte aus

öffentlichen Einrichtungen (Spitälern etc.) für den privaten Gebrauch, die Behandlung

privater Patienten oder den Weiterverkauf entwendet werden (TI 2006, S. XVIII; Savedoff

2007, S. 5; Kohler et al. 2011, S. 22; Europäische Kommission 2013, S. 91ff.). Zudem können

auch Forschungsgelder veruntreut werden (Petkov & Cohen 2016, S. 11).

Abrechnungsbetrug

Abrechnungsbetrug kann in vielerlei Formen auftreten. Grundsätzlich wird darunter die

Abrechnung sogenannter „Scheinpatienten“ bzw. von nicht erbrachten oder nicht

vollständig erbrachten Leistungen verstanden. Auch die Abrechnung unnötig erbrachter

Leistungen oder die Auswahl hochpreisiger Arzneimittel und Therapien trotz der

Verfügbarkeit kostengünstigerer Alternativen (z.B. Generika 11 ) kann zu Abrechnungs-

betrug im Sinne der Erbringung unwirtschaftlicher Leistungen gezählt werden (Savedoff

2007, S. 5; Europäische Kommission 2013, S. 87ff.; Braun 2014, S. 36f.; Petkov & Cohen

2016, S. 18f.). Einige Autoren subsumieren auch „Upcoding“ bzw. die

Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen durch die unangemessene Wahl

von Diagnosecodes unter Abrechnungsbetrug (Europäische Kommission 2013, S. 87ff.).

11 Unter Generika werden nachgeahmte, wirkungsstoffgleiche Arzneimittel verstanden, die nach abgelaufenem Patentschutz von anderen Firmen hergestellt werden dürfen (Kern-Homolka et al. 2011, S. 26).

68

Korruption bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen und Posten

Eine weitere Form von Korruption auf der Ebene der Leistungserbringer stellt die auf

Bestechung, Favoritismus etc. gründende Vergabe von Ausbildungsplätzen (Zulassung zum

Studium, Aufnahme in spezielle Trainingsprogramme etc.) und Posten dar, bei der die

individuelle Leistung wenig Berücksichtigung findet (TI 2006, S. XVIII; Vian 2008, S. 85;

Petkov & Cohen 2016, S. 19).

Manipulation von Outcome-Daten

Die Manipulation von Outcome-Daten beruht auf der Beschönigung, Verzerrung oder

Unterdrückung von Daten durch Leistungserbringer oder Einrichtungen betreffend die

Qualität der am Patienten durchgeführten Dienstleistung (Petkov & Cohen 2016, S. 21).

4. Leistungsempfänger (Patienten)

Nicht nur Leistungserbringer, auch Patienten sind durch das Streben nach höchstmöglicher

Gesundheit vor Korruption nicht gefeit. Neben informellen Zahlungen für den Erwerb einer

besseren oder bevorzugten Behandlung kann auch auf andere korrupte Praktiken, die vor

allem auf einen freien oder subventionierten Zugang zu Gesundheitsleistungen abzielen,

zurückgegriffen werden (Savedoff 2007, S. 5).

Leistungsmissbrauch infolge der Falschangabe von Einkommensverhältnissen oder

durch die Vortäuschung eines Wohnsitzes/Aufenthaltes im Inland

Missbräuchlicher Leistungsbezug kann infolge der Falschdarstellung von

Einkommensverhältnissen, indem beispielsweise Einkunftsquellen verschwiegen werden,

oder durch die Vortäuschung eines Wohnsitzes oder Aufenthaltes im Inland erfolgen

(Savedoff 2007, S. 5; Meissnitzer 2015, S. 114ff.; LSE 2017a, S. 574).

Missbrauch der Krankenversicherungskarte

Um an subventionierte oder kostenlose Gesundheitsleistungen zu gelangen, besteht auch

die Möglichkeit, eine gestohlene, gefälschte oder „geliehene“ Krankenversicherungskarte

zu benutzen (Savedoff 2007, S. 5; Nair et al. 2017, S. 17).

Fälschung ärztlicher Atteste

Für den Erhalt des Führerscheins oder einer unrichtigen Krankenstandsbestätigung, den

Bezug einer Invaliditätszahlung oder zur Umgehung des Militärdienstes können Patienten

Ärzte bestechen und sie zur Ausstellung gefälschter Atteste („Gefälligkeitsatteste“)

veranlassen (Savedoff 2007, S. 5; Europäische Kommission 2013, S. 54).

69

Rezeptfälschungen

Rezeptfälschungen beruhen zumeist darauf, dass Patienten zusätzliche (zumeist

verschreibungspflichtige) Medikamente auf von Ärzten ausgestellten Rezepten eintragen,

um in deren Besitz zu gelangen und Kosten zu sparen (Deutscher Bundestag 2010, S. 16).

Beitragshinterziehung

Obwohl Beitragshinterziehung vor allem Dienstgeber im Zusammenhang mit

unselbstständigen Beschäftigungsverhältnissen betrifft – da üblicherweise Dienstgeber

verpflichtet sind, Beschäftigungen zu melden und Pflichtbeiträge abzuführen – seien sie in

diesem Kontext auch erwähnt. Strategien zur Hinterziehung von Sozialversicherungs-

beiträgen schließen u.a. die Auslagerung von Dienstnehmern auf Scheinfirmen 12 , die

Scheinselbstständigkeit 13 , Scheinpraktika 14 , die Verschleierung des tatsächlichen Aus-

maßes des Beschäftigungsverhältnisses („Scheingeringfügigkeit“) oder der Beschäftigung

an sich („Schwarzarbeit“) ein (Meissnitzer 2015, S. 110ff.; LSE 2017a, S. 574).

5. Lieferanten (Industrie)

Medizinischer Fortschritt und lebensnotwendige Behandlungsmöglichkeiten beruhen zumeist

auf Produkten, die seitens der Industrie (Pharmaunternehmen, Medizinprodukteherstellern

etc.) entwickelt und hergestellt werden. Insofern nimmt die Industrie eine wichtige Rolle im

Gesundheitssystem ein (Grandt 2013, S. 107). Doch wie jedes privatwirtschaftliche

Unternehmen ist auch sie an der Vermarktung und Umsatzsteigerung ihrer Produkte

interessiert. Sobald aber Profitinteressen vor das Patientenwohl gestellt werden, ist

Korruption Tor und Tür geöffnet (TI-AC 2010, S. 15f.). Im Folgenden werden insbesondere

korrupte Praktiken der pharmazeutischen Industrie hervorgehoben, die entlang ihrer

gesamten Wertschöpfungskette Eingang finden können (Forschung und Entwicklung,

Produktion, Registrierung, Marketing, Beschaffung, Distribution) (Cohen et al. 2007, S. 35;

Kohler et al. 2016, S. 3ff.).

12 Unter einer Scheinfirma werden Firmen verstanden, die keiner betrieblichen Tätigkeit nachgehen, sondern lediglich als Anmelde- und Verrechnungsvehikel zur Umgehung von Beitragspflichten fungieren. Gegen die Zahlung einer Anmeldegebühr können Mitarbeiter zur Sozialversicherung angemeldet werden und erhalten daraufhin umfassenden Sozialversicherungsschutz, obwohl in weiterer Folge keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden. Die Scheinfirma bleibt solange bestehen, bis sie durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beseitigt wird (Meissnitzer 2015, S. 110f.). 13 Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine abhängige Beschäftigung, beispielsweise durch die Einbettung in ein vorgebliches Werkvertragsverhältnis, verschleiert wird (Meissnitzer 2015, S. 111). 14 Pflichtpraktika, Volontariate etc. unterliegen zumeist keiner umfassenden Beitragspflicht, weswegen Beschäftigungen gerne als solche verschleiert werden (Meissnitzer 2015, S. 111f.).

70

Arzneimittelfälschungen

Der Informationsvorsprung, den die Industrie hinsichtlich ihrer eigenen Produkte und

Lieferungen genießt, kann sehr leicht zum eigenen Vorteil missbraucht werden. So kann

es vorkommen, dass Arzneimittel gefälscht oder an ihrer Qualität gespart wird; sprich

wirkungslose, unter- oder überdosierte, mit falschen Inhaltsstoffen angereicherte oder

mit Schadstoffen verunreinigte und somit minderwertige und gesundheitsgefährdende

Medikamente hergestellt und vertrieben werden. Abgesehen davon können auch

verfallene Arzneimittel wieder verpackt und weiter verkauft werden (TI 2006, S. XVIII;

Savedoff 2007, S. 5ff.; TI-AC 2010, S. 21f.; Kohler et al. 2011, S. 27f.; Petkov & Cohen 2016,

S. 17). In diesem Kontext ist auch Korruption im Rahmen von Qualitätskontrollen und

Behördenaudits nicht ausgeschlossen (Kohler et al. 2016, S. 12). Laut Schätzungen der

WHO sollen 10 % aller weltweit und 25 % aller in einkommensschwachen Ländern

konsumierten Arzneimittel entweder gefälscht oder von minderwertiger Qualität sein

(Pincock 2003, S. 1126; Cohen et al. 2007, S. 33). Dies betrifft vor allem Arzneimittel zur

Behandlung der weltweit häufigsten Erkrankungen wie z.B. Malaria, Tuberkulose und

bakterielle Infektionen (Pincock 2003, S. 1126; Kohler et al. 2011, S. 28).

Korruption in der öffentlichen Beschaffung (procurement corruption)

Aufgrund hoher Beschaffungsvolumen und langer Vertragsdauern stellt das öffentliche

Beschaffungswesen im Gesundheitsbereich (Einkauf von Arzneimitteln und

Medizinprodukten, Auftragsvergabe beim Bau von Gesundheitseinrichtungen etc.) einen

sehr lukrativen und daher besonders korruptionsanfälligen Bereich dar (Kohler et al. 2011,

S. 30f.; Europäische Kommission 2013, S. 48f.; Petkov & Cohen 2016, S. 14). Um den

Zuschlag für einen bestimmten Auftrag zu erhalten, können sich Akteure auch korrupter

Praktiken bedienen. Procurement corruption bzw. Korruption im öffentlichen

Beschaffungswesen schließt dabei Bestechung, Kickbackzahlungen, Kollusion (geheime

Preis- oder Angebotsabsprachen zwischen Bietern), Favoritismus und Erpressung ein und

kann in jede Phase des öffentlichen Beschaffungsprozesses (Vor-Angebotsphase: Wahl der

Beschaffungsmethode, Bedarfsermittlung, Anforderungsspezifikation; Angebotsphase:

Angebotseinholung, -bewertung und -auswahl; Nach-Angebotsphase: Vertragsumsetzung

und Überwachung) Eingang finden. Beispielsweise kann die Spezifikation von

Anforderungskriterien oder der Bewertungs- und Auswahlprozess zugunsten bevorzugter

Bieter manipuliert sowie vereinbarte Vertragsbedingungen (Preise, Qualität etc.)

71

nachträglich abgeändert oder nicht eingehalten werden. Ferner sind auch geheime Preis-

oder Angebotsabsprachen sowie Marktaufteilungen zwischen einzelnen Bietern

(Kollusion) möglich (TI 2006, S. XVIII; Savedoff 2007, S. 5f.; Europäische Kommission 2013,

S. 63ff.; Kohler et al. 2016, S. 22f.; Petkov & Cohen 2016, S. 14f.). Expertenschätzungen

zufolge gehen weltweit 10-25 % aller öffentlichen Beschaffungsausgaben für Arzneimittel

und Medizinprodukte durch Korruption verloren (WHO 2010b; Europäische Kommission

2013, S. 71).

Diebstahl von Arzneimitteln und Medizinprodukten an Verteilungs- und Lagerstellen

Grundsätzlich besteht nicht nur bei Leistungserbringern die Gefahr, dass Arzneimittel und

Medizinprodukte entwendet werden. Diese können auch auf ihrem Transportweg vom

Hersteller zum Empfänger sowie auch an diversen Lagerstätten seitens unterschiedlicher

Akteure (Hafenpersonal, LKW-Fahrer, Lagermitarbeiter, Regierungsbeamte etc.) für den

privaten Gebrauch oder Weiterverkauf gestohlen werden (Kohler et al. 2011, S. 35; Kohler

et al. 2016, S. 26f.; Petkov & Cohen 2016, S. 16f.).

Einflussnahme auf die Arzneimittelzulassung, Zertifizierung von Medizinprodukten und

Preisfestsetzung

Auch Mitarbeiter aus Regulierungsbehörden können mittels Bestechung, Favoritismus etc.

dazu veranlasst werden, Anträge auf Arzneimittelregistrierung und -zulassung oder

Zertifizierung von Medizinprodukten auch bei unerfüllten Anforderungen (z.B.

mangelndem Nachweis über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines

Arzneimittels) zu genehmigen oder schneller zu bearbeiten. Zusätzlich können auch

überhöhte Preise vereinbart werden, was sich wiederum negativ auf die Zugänglichkeit

von Gesundheitsleistungen auszuwirken vermag (TI 2006, S. XVIII; Kohler et al. 2011,

S. 27f.; Europäische Kommission 2013, S. 29; Kohler et al. 2016, S. 15). Hohe Preise können

wiederum einen Markt für kostengünstigere gefälschte oder minderwertige Produkte

schaffen (Kohler et al. 2011, S. 27).

Wissenschaftsbetrug

Wissenschaftsbetrug zielt in erster Linie auf die Zulassung von Arzneimitteln (und

Medizinprodukten) ab, für die ausreichend Studien zur Bestätigung ihrer Qualität,

Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorliegen müssen. Er schließt u.a. die Manipulation des

Studiendesigns oder der Studienergebnisse (Korrektur, Beschönigung etc.), die

Zurückhaltung oder Falschverbreitung (Hervorhebung des Nutzens, Unterdrückung des

72

Risikos) von Studiendaten sowie Ghostwriting15 ein (Schönhöfer 2004, S. 199f.; Kohler

2013, S. 8f.; Petkov & Cohen 2016, S. 10f.). Auch scheinwissenschaftliche, für

Marketingzwecke durchgeführte nicht-interventionelle Studien (Anwendungs-

beobachtungen)16, die weniger auf die Überprüfung der Sicherheit und Wirksamkeit von

Arzneimitteln, sondern vielmehr auf deren erhöhte Verschreibung abzielen, können im

weiteren Sinne unter Wissenschaftsbetrug subsumiert werden (TI-AC 2010, S. 18; Kohler

et al. 2016, S. 18; Petkov & Kohen 2016, S. 12f.). Solche korrupten Praktiken schließen

zumeist mehrere Akteure, die am Forschungsprozess (Industrie, Forscher,

Forschungseinrichtungen, Universitäten, Patienten etc.) und/oder an der Veröffentlichung

und Verbreitung von Studienergebnissen (Fachzeitschriften, Gutachter, Journalisten,

Meinungsbildner etc.) beteiligt sind, ein und resultieren aus schwerwiegenden

Interessenkonflikten (finanzielle und berufliche Anreize wie Karriere, Reputation etc.)

(Petkov & Cohen 2016, S. 10). Sie führen letztlich zur Verzerrung der tatsächlich

vorhandenen wissenschaftlichen Evidenzlage, dem sogenannten Publikationsbias. In der

Folge können Ärzte, die auf die wissenschaftliche Evidenzlage zurückgreifen, zur

Verordnung wirkungsloser oder gesundheitsgefährdender Produkte veranlasst werden

(Hintringer 2011, S. 18; Petkov & Cohen 2016, S. 10). Eine Reihe von Untersuchungen

bestätigt, dass pharmagesponserte Studien öfter ein positives Ergebnis ausweisen als

anderweitig finanzierte Studien (Yaphe et al. 2001; Lexchin et al. 2003; Ahn et al. 2017).

Herausgegriffen sei an dieser Stelle die systematische Literaturübersicht der deutschen

Ärzteschaft, die darauf deuten lässt, dass die Finanzierung einer Arzneimittelstudie durch

die pharmazeutische Industrie Einfluss auf die Interpretation und Protokollierung der

Studienergebnisse zugunsten des Sponsors nehmen kann, wodurch solche Studien im

Vergleich zu anderweitig finanzierten Studien häufiger zu einem positiven Ergebnis

gelangen. Unterschiede in methodischer Hinsicht konnten allerdings nicht festgestellt

werden (Schott et al. 2010).

15 Beim Ghostwriting handelt es sich um selbst durchgeführte Studien und Veröffentlichungen seitens der

Industrie, deren wahre Autorenschaft allerdings verborgen bleibt, indem renommierte Wissenschaftler die Studien im eigenen Namen gegen Bezahlung veröffentlichen. Auf diese Weise sollen Reputation und Prestige der Ergebnisse gewährleistet werden (Rupp 2011, S. 91; Kern-Homolka et al. 2011, S. 18f.; Kohler et al. 2016, S. 9). 16 Nicht-interventionelle Studien bzw. Anwendungsbeobachtungen stellen systematische Untersuchungen bereits zugelassener Arzneimittel an Patienten dar (§ 2a Abs. 3 AMG). Sie zielen auf die Gewinnung neuer Erkenntnisse hinsichtlich der Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Arzneimitteln ab (TI-AC 2010, S. 18). Dafür, dass Patienten auf ein bestimmtes Medikament eingestellt und anschließend der Behandlungserfolg dokumentiert wird, erhalten Ärzte von der Pharmaindustrie zumeist eine bestimmte Aufwandsentschädigung pro Patient (Kern-Homolka et al. 2011, S. 17f.).

73

Unethische Marketingpraktiken

Um ihre Produkte zu vermarkten, interagiert die Industrie regelmäßig mit anderen

Akteuren im Gesundheitssystem (Petkov & Cohen 2016, S. 12). Aufgrund der vielerorts

strengen Werberegelungen zum Schutz der Konsumenten (u.a. Verbot der Laienwerbung

für verschreibungspflichtige Arzneimittel) zielen ihre Marketingpraktiken vorrangig auf die

Beeinflussung der Verschreibungspraxis von Health Professionals (vor allem von

Medizinern) ab. Hierfür können neben direkten Bestechungsgeldern im Austausch für die

vermehrte Verschreibung bestimmter Produkte (Arzneimittel und Medizinprodukte) auch

unethische Marketingpraktiken – vor allem im Rahmen der engen Zusammenarbeit

zwischen Industrie und Health Professionals – zum Einsatz kommen (Savedoff 2007, S. 5f.;

TI-AC 2010, S. 16f.; Europäische Kommission 2013, S. 73f.; Kohler et al. 2016, S. 17f.).

Solche Praktiken reichen von direkten finanziellen Zuwendungen (überhöhte Vortrags-

oder Beratungshonorare, überhöhte Honorare im Rahmen von Forschungsaufträgen etc.),

über indirekte finanzielle Zuwendungen (übermäßige Gewährung von Naturalrabatten

bzw. Arzneimittelmustern, kostenlose Ausstattung von Ordinationen, Essenseinladungen

und sonstige Geschenke) bis hin zur Produktwerbung in Abrechnungsprogrammen und

Fachzeitschriften. Hinzu kommt die mögliche Verbreitung von fehlgeleiteten

Informationen hinsichtlich der tatsächlichen Wirksamkeit und Sicherheit von

Arzneimitteln/Medizinprodukten über Pharmareferenten/Medizinprodukteberater,

gekaufte Meinungsbildner (opinion leaders)17, Produktbroschüren oder Medien. Zudem

können auch nicht-interventionelle Studien (Anwendungsbeobachtungen) zu

Marketingzwecken missbraucht werden (TI-AC 2010, S. 16f.; Europäische Kommission

2013, S. 79; Kohler et al. 2016, S. 17f.; Petkov & Kohen 2016, S. 12f.). Grundsätzlich zielen

all diese unethischen Marketingpraktiken darauf ab, Health Professionals über die

Schaffung finanzieller Anreize und Loyalitäten zur Verschreibung firmeneigener, zumeist

hochpreisiger Produkte zu bewegen (Europäische Kommission 2013, S. 79; Kohler et al.

2016, S. 18). Laut einer jüngst veröffentlichten Studie aus den USA konnte der

Zusammenhang zwischen finanziellen Beziehungen zu Pharma-/Medizinprodukte-

herstellern und der Verschreibungspraxis von Medizinern bereits bestätigt werden.

17 Unter Meinungsbildnern (opinion leaders) werden Fachexperten verstanden, die sich öffentlich zu einem bestimmten Thema äußern und dadurch andere in ihrer objektiven Meinungsbildung beeinflussen (Kern-Homolka et al. 2011, S. 18). Um ihre Produkte möglichst positiv darzustellen, versucht die Industrie Einfluss auf solche Meinungsbildner über finanzielle Anreize etc. zu nehmen (Grandt 2013, S. 109).

74

Demnach nimmt die Wahrscheinlichkeit (teilweise zwei- bis dreimal so hoch), ein –

zumeist im höheren Preissegment liegendes – Markenprodukt zu verschreiben, mit der

Entgegennahme finanzieller Zuwendungen zu. Neben direkten finanziellen Zuwendungen

für Vorträge, Beratungen etc. können bereits harmlos erscheinende Essenseinladungen

Einfluss auf die Verschreibungspraxis nehmen (Grochowski Jones & Ornstein 2016).

Aktuellen Untersuchungen zufolge investiert die pharmazeutische Industrie weitaus mehr

in die Vermarktung ihrer Produkte als in die Forschung und Entwicklung neuer

Arzneimittel. Im Jahr 2015 wurden im Durchschnitt lediglich 8,32 % der eingenommenen

Erträge für Forschung und Entwicklung aufgewendet, während die durchschnittlichen

Marketingausgaben 23,74 % (knapp das Dreifache) betrugen (IHSP 2016, S. 3).

Als besonders schwierig erweist sich in diesem Kontext die Grenzziehung zwischen

Kooperation und Korruption im Bereich industriegesponserter Forschung und Fortbildung.

Grundsätzlich kann die Zusammenarbeit zwischen pharmazeutischer/medizintechnischer

Industrie und Health Professionals nicht zwangsläufig als illegal oder unethisch bezeichnet

werden. Ganz im Gegenteil: Vielerorts ist sie für den medizinischen Fortschritt und die

ärztliche Fortbildung aufgrund mangelnder öffentlicher Ressourcen unabdingbar.

Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Industrie ihre Position dazu

missbraucht, Forschungs- und Fortbildungsinhalte in eine falsche (produktgetriebene)

Richtung zu lenken, um somit auf die Verschreibungspraxis von Health Professionals

einzuwirken (TI-AC 2010, S. 17f.; Europäische Kommission 2013, S. 73f.; Kohler et al. 2016,

S. 17f.; Petkov & Cohen 2016, S. 12f.). Mit dem vermehrten Aufkommen von Studien, die

einen solchen Zusammenhang bereits bestätigen (Bowman & Pearl 1988; Wazana 2000;

Katz et al. 2002; Spithoff 2014, S. 694), stößt das Thema international zunehmend auf

öffentliche Kritik (Lieb 2008, S. 30f.; Europäische Kommission 2013, S. 82; Wild et al.

2015b, S. 7). Medizinische Forschung und Fortbildung müssen sich nämlich ausschließlich

an der medizinischen Notwendigkeit und am Bedarf und nicht an der Gewinnerwartung

der Unternehmen orientieren (Grandt 2013, S. 114).

75

Ein weiteres öffentlich kontrovers diskutiertes Thema stellt die enge Zusammenarbeit

zwischen Industrie und Selbsthilfeorganisationen18 sowie zwischen Industrie und Regu-

lierungsbehörden dar. Auch hier besteht das Risiko, dass über industriegesponserte

Selbsthilfeorganisationen oder industriegesponserte öffentliche Gesundheits- bzw.

Gesundheitsvorsorgekampagnen Werbeverbote umgangen und Produkte direkt beim

Patienten beworben werden, wodurch Patientenbegehrlichkeiten geweckt und wiederum

indirekt Einfluss auf die Verschreibungspraxis von Health Professionals genommen wird

(TI-AC 2010, S. 19ff.; Petkov & Cohen 2016, S. 13). Kritisiert wird in diesem Kontext auch

die enge Zusammenarbeit mit und das Sponsoring von Fachgesellschaften19, wodurch eine

Einflussnahme auf die Entwicklung von Leitlinien20 oder Konsensusberichten21 zugunsten

der Industrie nicht ausgeschlossen ist. Beispielsweise kann die Ausweitung diagnostischer

Grenzwerte für bestimmte Krankheiten (z.B. Bluthochdruck) zur Schaffung „neuer“

Patienten und der Erhöhung des Arzneimittelbedarfs führen (TI-AC 2010, S. 18f.; Grandt

2013, S. 110; Petkov & Cohen 2016, S. 12). Angesichts dessen, dass sich unethische

Marketingpraktiken zumeist im Graubereich von Korruption bewegen, sind sie sehr

schwierig bis unmöglich zu quantifizieren (Europäische Kommission 2013, S. 83).

Die dargelegten Erscheinungsformen von Korruption werden einschließlich ihrer potenziellen

Auswirkungen im anschließenden Kapitel (Kapitel 3.4) tabellarisch (vgl. Tabelle 5) aufgelistet.

18 Unter einer Selbsthilfeorganisation versteht man den freiwilligen Zusammenschluss von Menschen, die unter ähnlichen physischen, psychischen oder sozialen Problem leiden und gemeinsam versuchen, diese selbst zu bewältigen. Sowohl Betroffene als auch Mitbetroffene können sich an den gemeinsamen Aktivitäten beteiligen (Selbsthilfe Österreich 2017). 19 Fachgesellschaften nehmen eine wichtige Rolle bei der Festlegung von diagnostischen und therapeutischen Standards, bei der Entwicklung von Behandlungsleitlinien, bei der Ausbildungsgestaltung von Spezialisten sowie bei der Repräsentation der Interessen von Patienten mit Erkrankungen aus dem jeweiligen Fachgebiet ein (Grandt 2013, S. 110). 20 Leitlinien stellen evidenzbasierte, am Patientenwohl ausgerichtete Handlungsempfehlungen für Ärzte etc. dar. Inhaltliche Unabhängigkeit und fachliche Qualität sind wichtige Voraussetzungen (Grandt 2013, S. 110f.). 21 Bei divergierenden Meinungen zu medizinischen Verfahren (Therapien, Diagnosen etc.) werden sogenannte Konsensuskonferenzen abgehalten und die daraus resultierenden Empfehlungen in einem Konsensusbericht verschriftlicht (TI-AC 2010, S. 18; Kern-Homolka et al. 2011, S. 18).

76

3.4 Auswirkungen von Korruption

Nur die wenigsten bedenken bei der Ausübung einer korrupten Handlung im

Gesundheitssystem ihre weitreichenden Folgen, geschweige denn, dass sie gegen das in Art.

12 des UN-Sozialpaktes verankerte fundamentale Menschenrecht auf „höchstmöglichen

Standard an körperlicher und geistiger Gesundheit“ verstoßen (UN-Sozialpakt 1966; Robinson

2006, S. XIV). Zwar mag Korruption auf den ersten Blick als eine Win-Win-Situation erscheinen,

bei genauerer Betrachtung offenbart sich allerdings eine ganz andere Realität: Geschädigte

Patienten, Staatskassen, Versicherungsanstalten und Mitbewerber – am Ende trifft es auch

die vermeintlich Profitierenden, indem deren korrupte Machenschaften aufgedeckt und

deren Reputation zerstört wird (Kiesl 2010, S. 14).

Dass Korruption die Gesundheit und den Wohlstand der Bevölkerung ernsthaft

beeinträchtigen kann, gilt inzwischen als empirisch bestätigt (Vian 2008, S. 83; Nair et al. 2017,

S. 15). Internationale Studienergebnisse weisen auf die reduzierte Qualität und den Outcome

von Gesundheitsleistungen hin. Insbesondere kann Korruption zu einem Anstieg der

Säuglings- und Kindersterblichkeitsraten beitragen (Gupta et al. 2000; Lewis 2006; Hanf et al.

2011; Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016) sowie die Müttersterblichkeitsraten

(Muldoon et al. 2011) heben, die Immunisierungsraten reduzieren (Azfar & Gurgur 2005;

Lewis 2006; Factor & Kang 2015) und die Anzahl untergewichtiger Neugeborener erhöhen

(Gupta et al. 2000). Des Weiteren vermag sich Korruption negativ auf die Lebenserwartung

(Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016) und die Wartezeiten in Spitälern

auszuwirken (Azfar & Gurgur 2005). Demnach kann Korruption im Gesundheitssektor über

Leben und Tod entscheiden – insbesondere in einkommensschwachen Ländern (Hussmann

2010, S. 2; Nadpara 2015). Die gesundheitlichen Folgeschäden von Korruption werden zumeist

auf ihren verursachten Kostenanstieg – geschätzte 3 % bis 10 % der Gesundheitsausgaben

(TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee & Button 2015, S. 12; LSE 2017, S. 557) –

zurückgeführt, der langfristig die Finanzierung des gesamten Systems und den freien Zugang

zur Gesundheitsversorgung unterminieren kann (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische

Kommission 2013, S. 29). Wie so oft, trifft es die Ärmsten am härtesten, wenn lebens-

erhaltende Gesundheitsleistungen oder Medikamente, die eigentlich jedem frei zugänglich

sein sollten, aus Kostengründen verwehrt werden (Cohen et al. 2007, S. 30; Kohler et al. 2011,

S. 12). Die durch den beschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung hervorgerufene

77

gesundheitliche Ungleichheit zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungs-

gruppen kann schließlich in einem Armutsanstieg münden. Massive Unzufriedenheit (Azfar &

Gurgur 2005; Habibov 2016) und ein Vertrauensverlust in das öffentliche Gesundheitssystem

sind die unmittelbaren Folgen (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische Kommission 2013, S. 29;

Petkov & Cohen 2016, S. 3).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Korruption negativ auf die Effizienz,

Effektivität, Zugänglichkeit und Verteilungsgerechtigkeit von Gesundheitsleistungen

auszuwirken vermag (Hussmann 2010, S. 2; TI-UK 2014, S. 3). Anders ausgedrückt: Korruption

führt zu einer teureren, schlechteren und ungerechteren Gesundheitsversorgung, die sich

langfristig in einer höheren Morbiditäts- und Mortalitätsrate niederschlagen kann

(Schönhöfer 2004, S. 202; WHO 2010a). In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 5) werden die

spezifischen Auswirkungen von Korruption einschließlich ihrer zuvor dargelegten

Erscheinungsformen (Kapitel 3.3) auf der Ebene der einzelnen Akteure im Gesundheitssystem

näher ausgeführt.

Erscheinungsformen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem

Akteure Erscheinungsformen Auswirkungen

Gesundheitspolitik und -verwaltung

Einflussnahme auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse in Politik und Verwaltung mittels

Bestechung

Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen o Favoritismus o Drehtürkorruption

Fehlsteuerung des Gesundheitssystems o Verzerrte Gesundheitspolitik und

Gesetzgebung o Unangemessene Prioritätensetzung

Qualitätsminderung von Gesundheitsleistungen o Umgehung bestehender Regulative

(z.B. Zulassungskriterien) o Mangelnde Qualitätskontrolle

Gesundheitliche Schädigung der Patienten

Leistungszahler

Veruntreuung öffentlicher Gesundheitsbudgets

Ablehnung von Versicherungsansprüchen

Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets

Finanzierungs- und Versorgungsprobleme

Beschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung

78

Leistungserbringer

Informelle Zahlungen

Missbrauch von Nebenbeschäftigungen

Absentismus

Rabatte und Kickbackzahlungen

Favoritismus bei der Leistungserbringung

Über- und Unterversorgung

Veruntreuung von Arzneimitteln/Medizinprodukten oder Forschungsgeldern

Abrechnungsbetrug

Korruption bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen und Posten

Manipulation von Outcome-Daten

Finanzielle Belastung für Patienten

Ungleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung

Verarmung der Bevölkerung

Kostenanstieg, Ineffizienzen, Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets

Mindere Ausbildungsqualität

Eintritt inkompetenter Health Professionals in das Gesundheitssystem

Vertrauensverlust, Zynismus und Frustration aufgrund des ungerechten Systems

Minderung der Versorgungsqualität

Gesundheitliche Schädigung der Patienten

Leistungsempfänger Leistungsmissbrauch durch die Falschangabe von Einkommens-verhältnissen oder durch die Vortäuschung eines Wohnsitzes/ Aufenthaltes im Inland

Missbrauch der Krankenversicherungskarte

Fälschung ärztlicher Atteste

Rezeptfälschungen

Beitragshinterziehung

Kostenanstieg, Ineffizienzen, Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets

Finanzierungs- und Versorgungsprobleme

Beschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung

Industrie Arzneimittelfälschungen

Korruption in der öffentlichen Beschaffung (procurement corruption)

Diebstahl von Arzneimitteln und Medizinprodukten an Verteilungs- und Lagerstellen

Einflussnahme auf Arzneimittelzulassung, Zertifizierung von Medizinprodukten und Preisfestsetzung

Wissenschaftsbetrug

Unethische Marketingpraktiken

Qualitätsdefizite o Bau- und Einrichtungsmängel o Inadäquate

Gesundheitsinfrastruktur o Einschleusung minderwertiger,

ineffektiver, gesundheitsschädlicher Arzneimittel und Medizinprodukte

Kostenanstieg, Ineffizienzen, Minderung öffentlicher Gesundheitsbudgets o Hohe Bau- und Einrichtungskosten o Beschaffung überteuerter, ungeeig-

neter oder überflüssiger Produkte o Neubeschaffung gestohlener

Produkte o Unangemessene, überflüssige

Verschreibung von Produkten

Finanzierungs- und Versorgungsprobleme

Beschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung

Verzerrung medizinischer Forschung und Fortbildung o Produktgetriebene inhaltliche

Schwerpunktsetzung o Publikationsbias

Finanzielle und/oder gesundheitliche Schädigung der Patienten

Tabelle 5: Erscheinungsformen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem Quelle: In Anlehnung an Vian 2008, S. 85; Petkov & Cohen 2016, S. 4ff.; Nair et al. 2017, S. 16ff.

79

3.5 Ursachen von Korruption

Das Gesundheitssystem – egal ob öffentlich oder privat finanziert, in armen oder reichen

Ländern – weist einige Besonderheiten auf, die es intransparent und daher besonders anfällig

für Korruption machen (TI 2006, S. XVII; Kiesl 2010, S. 12; Petkov & Cohen 2016, S. 3).

Enormer Geldmittelfluss

Die globalen Gesundheitsausgaben beliefen sich im Jahr 2014 auf ca. 9,21 Billionen USD

(Dieleman et al. 2017). Im Durchschnitt geben Länder zwischen 5 % und 15 % ihres BIPs

für das Gesundheitswesen aus. Damit stellt der Gesundheitssektor einen äußerst

lukrativen Bereich dar, der hohe Profitaussichten bietet und gleichzeitig ein hohes

Missbrauchspotenzial birgt (Hussmann 2010, S. 3).

Ungewissheit

Im Vergleich zu „normalen“ Märkten ist der Gesundheitsmarkt von hoher Ungewissheit

geprägt. Die Ungewissheit darüber, wann, wer, an welcher Krankheit erkranken wird und

wie effektiv die Behandlung sein wird, erschwert das Ressourcenmanagement

einschließlich der Auswahl, Erbringung, Überwachung und Messung von

Gesundheitsleistungen. Dadurch können sich Einfallstore für Ineffizienzen und Korruption

eröffnen, die nur schwer aufgedeckt und deren Akteure nur schwer zur Rechenschaft

gezogen werden können. Anders als in „normalen“ Märkten können Konsumenten

(Patienten) im Gesundheitsmarkt nicht als Regulatoren eingesetzt werden, da sie als

medizinische Laien zumeist nicht in der Lage sind, die beste Leistung in puncto Qualität

und Kosten auszuwählen (Savedoff & Hussmann 2006, S. 5; Hussmann 2010, S. 3).

Informationsasymmetrien

Der Grad der Ungewissheit variiert zwischen einzelnen Akteuren im Gesundheitssystem,

was letztlich in ungleich verteilten Informationen bzw. Informationsasymmetrien

resultieren kann. In der Regel wissen nur die behandelnden Ärzte, was medizinisch

notwendig ist, weshalb Patienten auf deren Therapieempfehlungen angewiesen sind. Je

höher der Leidensdruck und die Ungewissheit der Patienten, umso höher deren

Abhängigkeit vom Behandler. Auch die pharmazeutische und medizintechnische Industrie

ist zumeist besser über ihre Produkte informiert als jene, die sie verschreiben oder

beschaffen, weshalb Letztere auf die Produktangaben vertrauen müssen (Savedoff &

Hussmann 2006, S. 5f.; Hussmann 2010, S. 3; Kiesl 2010, S. 12; Kern-Homolka et al. 2011,

80

S. 10f.). Gemäß der Prinzipal-Agent-Theorie (vgl. Kapitel 2.4) können asymmetrische

Informationen zwischen einzelnen Akteuren im Gesundheitssystem in Kombination mit

unterschiedlichen Interessen zu missbräuchlichem Verhalten führen, welches nur schwer

überwacht, aufgedeckt und sanktioniert werden kann. Beispielsweise kann das Vertrauen,

das der Patient seinem Arzt im Hinblick auf die richtige Therapiewahl oder der Arzt der

Industrie im Hinblick auf die angegebene Qualität und Wirksamkeit ihrer Produkte

entgegenbringt, sehr leicht zum eigenen Vorteil missbraucht werden. Der Arzt kann seine

finanziellen Interessen vor das Patientenwohl stellen und minderwertige, hochpreisige

oder überflüssige Produkte verordnen. Ebenso kann die Industrie über falsche oder

unvollständige Produktangaben Ärzte zur Verschreibung unwirksamer oder

gesundheitsgefährdender Arzneimittel veranlassen (Savedoff & Hussmann 2006, S. 5f.;

Hussmann 2010, S. 3).

Komplexität

Das Gesundheitssystem zeichnet sich durch die hohe Involviertheit zahlreicher Akteure

(Politiker, Behörden, Versicherungsanstalten, Industrie, Leistungserbringer, Patienten

etc.) und deren komplexe Beziehungsverflechtungen aus (Savedoff & Hussmann 2006,

S. 6f.). Dabei stellt die Vereinbarkeit unterschiedlicher, teilweise zuwiderlaufender

Akteursinteressen die größte Herausforderung dar: Die Leistungserbringer, die sowohl am

Behandlungsergebnis als auch am wirtschaftlichen Auskommen interessiert sind; die

Patienten, die nach der bestmöglichen medizinischen Versorgung streben; die

Sozialversicherungen, die auf einen effektiven und effizienten Einsatz der Ressourcen

abzielen; die Industrie, die neben der Zurverfügungstellung wirksamer Produkte auch

Profite erzielen möchte (Beyer 2003, S. 1355; Kern-Homolka 2013, S. 13). Vorliegende

Interessenkonflikte, die aufgrund der erwähnten undurchsichtigen Beziehungs-

verflechtungen zwischen den Akteuren nur schwer aufzudecken sind, können

wechselseitige Beeinflussungen auslösen und zu verzerrten Entscheidungen auf der

systemischen, organisationalen und individuellen Ebene zulasten der öffentlichen

Gesundheit führen. Abgesehen davon können Gesundheitsleistungen, die stark

dezentralisiert und individualisiert erbracht werden, die Standardisierung und Über-

wachung der Leistungserbringung und Beschaffung erschweren und somit auch ein hohes

Missbrauchspotenzial bergen (Savedoff & Hussmann 2006, S. 6f.; Hussmann 2010, S. 4).

81

Drittzahlerkonstruktion

Anders als in „normalen Märkten“, in denen der Nachfrager Konsument, Einkäufer und

Zahler zugleich ist, werden diese Rollen im Gesundheitsmarkt in der Regel zwischen

Patient, Arzt und Krankenversicherung bzw. Staat aufgeteilt. Infolgedessen kommt es

allerdings zu einem Marktversagen: Denn dadurch, dass der Leistungsempfänger (Patient)

die Behandlungskosten nicht selbst übernimmt, kann die Nachfrage über die Preishöhe

nicht gesteuert werden. Folglich wird alles, was der Leistungserbringer (Arzt) empfiehlt

bzw. anbietet, auch nachgefragt (= angebotsinduzierte Nachfrage). Der Benachteiligte in

dem System ist jedenfalls der Kostenträger (Krankenversicherung, Staat), der für alle

konsumierten Leistungen aufkommen muss, ohne selbst unmittelbare Kenntnis vom

Krankheits- und Leistungsgeschehen zu haben. Demzufolge kann die

Drittzahlerkonstruktion im Gesundheitssystem über die Schaffung vermehrter

Informationsasymmetrien zu einem sogenannten „Moral Hazard“ führen. Dieser

beschreibt das Ansteigen der Wahrscheinlichkeit für eine Verhaltensänderung und den

damit verbundenen Schadenseintritt nach dem Abschluss einer Versicherung. Einfach

ausgedrückt: Dadurch, dass man nicht mehr direkt für die Kosten aufkommen muss, steigt

das Risiko der Verordnung und Inanspruchnahme überflüssiger oder hochpreisiger

medizinischer Leistungen (Lewis 2006, S. 4; Kiesl 2010, S. 12; Rupp 2010, S. 3f.; Kern-

Homolka 2011, S. 11f.).

Schlussfolgernd lässt sich die Korruptionsanfälligkeit des Gesundheitssystems auf den

enormen Geldmittelfluss und die damit einhergehenden hohen Profitaussichten, die hohe

Ungewissheit und damit verbundene Informationsasymmetrien sowie auf die hohe

Komplexität aufgrund der Involviertheit zahlreicher Akteure zurückführen. Zudem begünstigt

die Trennung zwischen Leistungsempfängern, Leistungserbringern und Leistungszahlern

(Drittzahlerkonstruktion) über die Schaffung vermehrter Informationsasymmetrien die

Anfälligkeit des Gesundheitssystems für missbräuchliches Verhalten zulasten Dritter. Der

daraus resultierende hohe Grad an Intransparenz erschwert die Überwachung, Aufdeckung

und Sanktionierung korrupter Machenschaften (Savedoff & Hussmann 2006, S. 4ff.; Rupp

2010, S. 3f.; TI-AC 2010, S. 5). Noch schwieriger erweist sich die Situation im Falle einer

mangelhaften Regulierung oder Überreglementierung des Gesundheitssystems, niedriger

Gehälter und mangelnder Rechenschaftspflichten (Kohler et al. 2011, S. 11). Dies alles deckt

82

sich weitgehend mit der vorherrschenden Meinung internationaler Korruptionsforscher (vgl.

Kapitel 2.5), dass hohe Profitaussichten, Monopolstellungen, geringe Aufdeckungs-

wahrscheinlichkeiten, mangelnde Transparenz und Rechenschaftspflichten, fehlende

Kontroll- und Sanktionsmechanismen, überhöhte Ermessensspielräume und Entscheidungs-

kompetenzen sowie unzureichend ausgestaltete/vollzogene Gesetze und Regeln den

perfekten Nährboden für Korruption darstellen (Klitgaard 1988, S. 75; Shleifer & Vishny 1993,

S. 601f.; Rose-Ackerman 1996; Myint 2000, S. 36ff.).

In Anlehnung an die identifizierten Ursachen von Korruption entwickelte Vian (2008, S. 86)

einen theoretischen Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem aus

der Sicht öffentlich Bediensteter (Abbildung 4), aus dem sich in weiterer Folge

Antikorruptionsmaßnahmen ableiten lassen. Laut Vian kommt es immer dann zum

„Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen“, wenn die drei Elemente

„Gelegenheit zum Missbrauch“, „Druck oder Anreiz zum Missbrauch“ und „Rationalisierung“

zusammentreffen. „Gelegenheit zum Missbrauch“ beschreibt die generelle Systemanfälligkeit

aufgrund erhöhter Ermessensspielräume und Entscheidungskompetenzen, einer

Monopolstellung, mangelnder Rechenschaftspflichten, fehlender Transparenz, mangelnder

Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung und Bestrafung sowie fehlender Partizipation der Bürger

an der Planung und Erbringung von Leistungen. Hingegen beschreibt „Rationalisierung“ die

individuelle Rechtfertigung für ein korruptes Verhalten, die wiederum von den sozialen

Normen, der individuellen Einstellung und Persönlichkeit abhängig ist. „Der Druck oder Anreiz

zum Missbrauch“ impliziert die individuellen Motive für Korruption wie z.B. niedrige Gehälter,

familiäre oder finanzielle Probleme. Demnach kommt es immer dann zur Korruption, wenn

sich die Gelegenheit dazu bietet, man sich dazu genötigt fühlt und sein Verhalten als

gerechtfertigt ansieht (Vian 2008, S. 85ff.; Hussmann 2010, S. 7ff.).

83

Abbildung 4: Theoretischer Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem Quelle: Vian 2008, S. 86

3.6 Antikorruptionsmaßnahmen

Das Gesundheitssystem zu kriminalisieren, galt lange Zeit als ein großes Tabuthema (Rupp

2006, S. 1). Erst Anfang der Jahrtausendwende erregte die Thematik die öffentliche

Aufmerksamkeit – nicht zuletzt aufgrund des Aufkommens erster Studien über die

gesundheitlichen Folgeschäden von Korruption (Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005; Lewis

2006; Hanf et al. 2011; Factor & Kang 2015) und sich häufender Medienskandale – und rückte

auf die gesundheitspolitische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler

Organisationen (Weltbank, WHO, UNDP, Transparency International u.a.) (TI-DE 2000, S. 1;

Vian 2008, S. 83; Kohler et al. 2011, S. 10). Inzwischen gilt Korruption im Gesundheitssystem

als unleugbare Realität, die zu den gravierendsten ethischen Krisen in der heutigen Medizin

gezählt wird (Chattopadhyay 2013, S. 153).

Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung effektiver Maßnahmen zur Bekämpfung von

Korruption stellt die genaue Analyse ihrer kultur- und kontextspezifischen Ursachen und

Treiber dar. Erst auf dieser Grundlage lassen sich gezielte Gegenmaßnahmen ableiten, die in

84

der Regel den vier Handlungsfeldern Bewusstseinsschaffung, Prävention, Kontrolle/Detektion

und Strafverfolgung/Sanktionen zugeordnet werden können (Hussmann 2010, S. 8f.). Um ihre

volle Wirksamkeit entfalten zu können, sollten die Maßnahmen idealerweise miteinander

kombiniert werden, wobei in Abhängigkeit vom jeweiligen länder-, kultur- und

organisationsspezifischen Kontext unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden können

(Europäische Kommission 2013, S. 141ff.; Gruber et al. 2013, S. 128). Im Folgenden werden

die wichtigsten Antikorruptionsmaßnahmen im Gesundheitssystem, die sich vor allem auf

europäischer Ebene bewährt haben (Europäische Kommission 2013, S. 141ff.), aufgelistet und

anschließend deren Zusammenhang grafisch veranschaulicht (Abbildung 5).

1. Bewusstseinsschaffung

Ein wichtiger Schlüssel zur nachhaltigen Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem liegt

in der öffentlichen Bewusstseinsschaffung (Hussmann 2010, S. 8). Denn nur, wer die

Probleme, deren Ursachen und Auswirkungen, mögliche Sanktionen und Gegenmaßnahmen

kennt, ist in der Lage, sein Verhalten darauf abzustimmen (Gruber et al. 2013, S. 128f.).

Maßnahmen zur vermehrten Bewusstseinsschaffung schließen gezielte Informations- und

Aufklärungsarbeiten über diverse Medien (Presse, Radio, Fernseher etc.),

Publikationstätigkeiten, Bildungsmaßnahmen zur Ethik und Rechtslage in Schulen,

Universitäten und Betrieben sowie diverse Kooperationen und Netzwerke auf internationaler

und nationaler Ebene (z.B. EHFCN – European Healthcare Fraud and Corruption Network22,

Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von Transparency International – Austrian Chapter23) ein.

Die Schaffung von Bewusstsein stellt eine wichtige Voraussetzung für die Forcierung einer

Antikorruptionskultur dar, indem sie über die Ingangsetzung einer Wertediskussion zum

Wandel sozialer Normen, öffentlicher Einstellungen und Verhaltensweisen beiträgt und somit

eine wichtige kulturbildende Rolle einnimmt (Hussmann 2010, S. 8; Europäische Kommission

2013, S. 135f.; Gruber et al. 2013, S. 128f.).

22 Das EHFCN wurde 2005 mit dem Ziel der gemeinsamen Zusammenarbeit im Bereich der Korruptionsprävention und -bekämpfung zur Verbesserung der europäischen Gesundheitssysteme gegründet. Die Zusammenarbeit schließt den Austausch und die Bereitstellung von Informationen, Tools, Best-Practices und Bildungsmaßnahmen ein. Mittlerweile zählt das Netzwerk 19 Mitglieder (Sozialversicherungen, Ministerien etc.) in 14 Staaten. Österreich ist bislang nicht vertreten. Die Gründung des EHFCN erfolgte auf der Grundlage der European Healthcare Fraud and Corruption Declaration von 2004 (Gruber et al. 2013, S. 134f.; EHFCN 2017). 23 Die Arbeitsgruppe wird in Kapitel 4.2.2 näher ausgeführt.

85

2. Antikorruptionsgesetzgebung

Um Korruption nachhaltig entgegenzuwirken, bedarf es eines gut ausgestalteten rechtlichen

Rahmens, der keine Strafbarkeitslücken zulässt (Chattopadhyay 2013, S. 158). Mit dem US

Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) aus 1977 und dem noch strengeren UK Bribery Act aus

2010 wurde ein internationaler Standard für die Antikorruptionsgesetzgebung gesetzt. Durch

die extraterritoriale Wirkung der Gesetze können auch ausländische natürliche und juristische

Personen unter das Korruptionsstrafrecht fallen (Europäische Kommission 2013, S. 142; Haag

2012, S. 1ff.). Die nationale Antikorruptionsgesetzgebung, die sich am FCPA oder UK Bribery

Act orientieren kann und mit internationalen Antikorruptions-Konventionen konform laufen

muss, gehört jedenfalls so ausgestaltet, dass sie auch korrupten Akteuren im Gesundheits-

system keine Schlupflöcher gewährt (Schönhöfer 2004, S. 205; Europäische Kommission 2013,

S. 102). Ein eigenes Korruptionsstrafrecht im Gesundheitssystem, wie es erst kürzlich in

Deutschland installiert wurde, stellt auf internationaler Ebene bislang eher die Ausnahme als

die Regel dar (Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen 2016).

3. Selbstregulierung

Neben der gesetzlichen Regulierung kann auch Selbstregulierung in Form von

Verhaltenskodizes (Codes of Conduct) oder Ethikkodizes (Codes of Ethics) einen effektiven

Weg zur Eindämmung von Korruption bieten (TI 2006, S. XIX; Europäische Kommission 2013,

S. 120; Nair et al. 2017, S. 19). Verhaltenskodizes oder Ethikkodizes stellen eine freiwillige

Selbstverpflichtung einzelner Organisationen zur Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln

gegen Intransparenz und Korruption dar. Wichtige Voraussetzung ist, dass solche

Verhaltensregeln nicht nur niedergeschrieben, sondern auch tatsächlich gelebt werden

(Grundsatz des „walk the talk“) und deren Einhaltung ausreichend kontrolliert und

sanktioniert wird (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36ff.; Rupp 2011, S. 89). Selbstregulierung kann

sowohl auf nationaler als auch auf supranationaler Ebene erfolgen. Industrielle Vereinigungen

auf europäischer Ebene, wie EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and

Associations) oder EUCOMED (European Confederation of Medical Suppliers Associations),

verfügen grundsätzlich über einen Verhaltens- oder Ethikkodex, dem alle Mitglieder

unterworfen sind. Für den Fall, dass nationale und supranationale Selbstregulierungen

voneinander abweichen, kommt die strengere Regulierung zur Anwendung (Europäische

Kommission 2013, S. 120ff.).

86

4. Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Damit Gesetze, Regeln und Verhaltenskodizes im Gesundheitssystem ihre volle Wirksamkeit

entfalten können, bedarf es effektiver Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Neben einer

effektiven, unabhängigen Justiz, Antikorruptionsbehörden sowie üblicher Aufsichtsorgane

und Kontrollmechanismen im Gesundheitssystem (interne und externe Kontrollsysteme,

Qualitätsaudits, Gesundheitsinspektionen, Prüfung und Rückverfolgung von

Gesundheitsausgaben, Beschwerdemanagementsysteme etc.) sollten auch spezifische

Spezialorganisationen/-behörden geschaffen werden, die sich speziell der Prävention und

Bekämpfung von Korruption im Gesundheitssystem annehmen. Solche Organe sollten

idealerweise sowohl kontroll- als auch sanktionsberechtigt und mit ausreichenden

personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet sein (TI 2006, S. XXI; Europäische

Kommission 2013, S. 106; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19). Grundsätzlich muss

nicht immer eine neue Antikorruptionsstelle für das Gesundheitssystem geschaffen werden,

manchmal reicht es aus, wenn bestehende Institutionen zusätzliche Ressourcen zugewiesen

bekommen und ihre Funktionen auf das Gesundheitssystem ausgeweitet werden. Eine eigene

Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem stellt beispielsweise die National Health Service

(NHS) Protect in Großbritannien dar, die 2011 eingerichtet wurde und Aufgaben im Bereich

der Bewusstseinsschaffung und Prävention sowie der Aufdeckung, Ermittlung und

Strafverfolgung von Korruption im Gesundheitssystem übernimmt. Zudem betreibt sie auch

ein anonymes, IT-gestütztes Hinweisgebersystem (NHS Fraud and Corruption Reporting Line)

(Europäische Kommission 2013, S. 106ff.; LSE 2017a, S. 572ff.). Hinweisgebersysteme

(„Whistleblower-Systeme“) können in der Aufdeckung und Bekämpfung von Korruption ein

wichtiges Instrument darstellen; allerdings erfordern sie zeitgleich die Ergreifung wirksamer

Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern (Whistleblowern) (TI 2006, S. XX; Chattopadhyay

2013, S. 158). Das einstig angestrebte Ziel, eine eigene Antikorruptionsbehörde im

Gesundheitssystem auf europäischer Ebene („Gesundheits-OLAF“) zu etablieren, konnte

bislang nicht umgesetzt werden (Rupp 2011, S. 92).

5. Transparenzschaffung

Ein ebenso wichtiger korruptionspräventiver Ansatz liegt in der vermehrten

Transparenzschaffung (Mackey et al. 2016, S. 3; Nair et al. 2017, S. 19). Dies kann

beispielsweise über die Einführung transparenter Wartelistenregime oder über die

87

Verpflichtung zur Verschreibung von Arzneimitteln nach ihrem generischen Namen

(Wirkstoffnamen) statt nach ihrem kommerziellen Markennamen erfolgen (Europäische

Kommission 2013, S. 149). Um mehr Transparenz in die finanziellen Beziehungen zwischen

medizinischen Leistungserbringern und der Industrie zu bringen, wurde in den USA im Jahr

2010 der Physician Payment Sunshine Act verabschiedet. Seitdem sind alle pharmazeutischen

und medizintechnischen Unternehmen zur Offenlegung sämtlicher geldwerter Leistungen an

Mediziner und medizinische Einrichtungen gesetzlich verpflichtet. Ausgehend vom Physician

Payment Sunshine Act wurden ähnliche Transparenz-Initiativen in Europa auf nationaler (z.B.

French Sunshine Act) und supranationaler Ebene (z.B. EFPIA-Disclosure Code) gestartet

(Europäische Kommission 2013, S. 127f.). Weitere Maßnahmen zur Transparenzschaffung

umfassen u.a. die verpflichtende (internetgestützte) Veröffentlichung aller Studiendaten und

-ergebnisse zur Ermöglichung ihrer unabhängigen Auswertung und Beurteilung (Grandt 2013,

S. 117) sowie die Bekanntgabe sämtlicher Informationen zu öffentlichen Ausschreibungen und

Vergabeentscheidungen und Gesundheitsbudgets („Budget-Transparenz“) auf nationaler,

lokaler und organisationaler Ebene (TI 2006. S. XIX; Nair et al. 2017, S. 19). Schließlich stellen

auch verpflichtende Interessenkonflikterklärungen bzw. Conflict of Interest (COI)-Erklärungen

(Erklärungen zu finanziellen und persönlichen Beziehungen) sowie der Ausschluss von

Experten bei Entscheidungen im Falle schwerwiegender vorliegender Interessenkonflikte eine

transparenzschaffende Möglichkeit dar, um die Unabhängigkeit wichtiger

Entscheidungsträger im Gesundheitssystem (Mitglieder von Fachgesellschaften, Leitlinien-

kommissionen etc.) zu gewährleisten (Grandt 2013, S. 118).

6. Beseitigung struktureller Systemschwächen bzw. fehlgeleiteter (finanzieller)

Anreizmechanismen

Die effektive Eindämmung von Korruption im Gesundheitssystem setzt die Beseitigung

struktureller Systemschwächen bzw. fehlgeleiteter (finanzieller) Anreizmechanismen voraus

und kann folglich mit einer Reformierung des Gesundheitssystems einhergehen. Zu solchen

Systemschwächen, die fehlgeleitete Anreize zur Korruption bieten können, zählen

beispielsweise ineffektive Führungsstrukturen, inadäquate Finanzierungssysteme (fehlende

leistungsorientierte Finanzierung), unzureichende Kapazitäten im Gesundheitssystem, die

mangelnde (öffentliche) Finanzierung medizinischer Forschung und Fortbildung sowie eine

inadäquate Ressourcenallokation. Was niedrige Gehälter betrifft, so vermag sich ihre

88

Anhebung in vielen Ländern erst in Kombination mit anderen Maßnahmen (z.B. schärferen

Kontroll- und Sanktionsmechanismen) korruptionsmindernd auszuwirken (TI 2006, S. XX;

Kohler et al. 2011, S. 40f.; Europäische Kommission 2013, S. 142).

7. Pressefreiheit und investigativer Journalismus

Eine aktive, unabhängige Medienberichterstattung kann in der Korruptionsbekämpfung eine

entscheidende Rolle spielen. Viele Korruptionsfälle, denen behördliche Ermittlungen und

Rechtsverfahren folgen können, werden erst über investigativen Journalismus aufgedeckt und

über die Medien ans Tageslicht geführt. Dabei kann vor allem die Aufdeckung und

anschließende Verurteilung hochrangiger Korruptionsfälle eine besonders abschreckende und

normsetzende Wirkung entfalten. Somit wirkt sich eine unabhängige

Medienberichterstattung nicht nur unterstützend auf die Arbeit staatlicher

Antikorruptionsinstitutionen aus, sondern kann auch einen wesentlichen Beitrag zur

öffentlichen Bewusstseinsschaffung und Forcierung einer Antikorruptionskultur leisten.

Zudem kann sie auch maßgeblichen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess nehmen, indem

sie auf Strafbarkeitslücken hinweist und auf erforderliche Gesetzesänderungen drängt

(Europäische Kommission 2013, S. 133ff.).

8. Partizipation und Engagement der Zivilgesellschaft

Neben einer unabhängigen Medienberichterstattung können auch die Einbindung und das

Engagement der Zivilgesellschaft und Patienten ein zentrales Element in der

Antikorruptionspolitik darstellen. Zivilgesellschaftliche Organisationen schließen

regierungsunabhängige Verbraucherschutzverbände und Interessengruppen (z.B.

Patientengruppen) sowie sonstige Nicht-Regierungsorganisationen (z.B. sogenannte

„Watchdog-Organisationen“ 24) ein. Sie können einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von

Korruption im Gesundheitssystem leisten, indem sie Druck auf Regierende ausüben, das

öffentliche Bewusstsein schärfen und damit eine Antikorruptionskultur forcieren, das

Gesundheitssystem auf allen Ebenen überwachen und etwaige Korruptionsfälle aufdecken

(z.B. über eigene Recherchetätigkeiten oder Patientenhotlines) (TI 2006, S. XX; Europäische

Kommission 2013, S. 131ff.). Letztlich sollte sichergestellt werden, dass die Stimmen der

24 Watchdog-Organisationen verfolgen das Ziel, das Handeln von Unternehmen, Staaten, Non-Profitorganisationen u.a. kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls öffentlich anzuprangern (Fischer 2016, S. 235).

89

Patienten als Adressaten der Gesundheitsversorgung und Opfer von Korruption nicht

überhört werden (Schönhöfer 2004, S. 205; Nair et al. 2017, S. 19). Ein gutes Beispiel für eine

„Watchdog-Organisation“, die sich auch im Gesundheitsbereich engagiert, stellt

beispielsweise die US-amerikanische Verbraucherschutzorganisation Public Citizen dar (Public

Citizen 2016).

9. Spezifische Maßnahmen gegen procurement corruption

Um procurement corruption im Gesundheitssektor einzudämmen, hat sich vielerorts die

Einrichtung zentraler, unabhängiger Vergabestellen, die Ausweitung der Vergabevorschriften

auf den Gesundheitssektor sowie die Festsetzung einheitlicher Standards und maximaler

Preise bewährt, wodurch es in der Folge zu niedrigeren Preisen, höherer Qualität und

Transparenz gekommen ist (Europäische Kommission 2013, S. 116ff.; Nair et al. 2017, S. 19).

Zur Überwachung der Einhaltung geltender Beschaffungsvorschriften wird auch die

Ernennung eines Aufsichtskomitees für sämtliche Beschaffungsvorgänge im

Gesundheitssystem vorgeschlagen (Nair et al. 2017, S. 19). Empfohlen werden auch

sogenannte Integritätspakte, insbesondere bei der Vergabe größerer Aufträge. Ein

Integritätspakt, welcher von Transparency International selbst entwickelt wurde und

mittlerweile globale Anwendung findet, stellt eine bindende Vereinbarung zwischen dem

Auftraggeber und allen Bietern zum integren und sauberen Verhalten bzw. zum Verzicht auf

korrupte Verhaltensweisen dar, die durch entsprechende Sanktionsandrohungen abgesichert

werden (TI 2006, S. XX; TI-DE 2017).

10. Kohärente Antikorruptionsstrategie im Gesundheitssystem

Um Korruption im Gesundheitssystem nachhaltig einzudämmen, ist eine kohärente, nationale

Antikorruptionsstrategie vonnöten, die neben dem Gesundheitssystem auch andere Sektoren

(Infrastruktur-, Finanz- und Bildungswesen etc.) im Sinne eines sektorenübergreifenden

Ansatzes einschließt und mehrere Maßnahmen integriert (Kohler et al. 2011, S. 41;

Europäische Kommission 2013, S. 142ff.; Nair et al. 2017, S. 19). Im Falle beschränkter

finanzieller Ressourcen sollte eine Priorisierung der Handlungsfelder im Hinblick auf die

korruptionsanfälligsten Bereiche vorgenommen werden. Jedenfalls sollte die Umsetzung der

Antikorruptionsstrategie in Zusammenarbeit mit Regierenden, Nichtregierungs-

organisationen, internationalen Behörden, Forschungsgruppen, Fachexperten und Bürgern

90

erfolgen (Kohler et al. 2011, S. 41; Nair et al. 2017, S. 19). Wichtigste Voraussetzung für eine

erfolgreiche Korruptionseindämmung im Gesundheitssystem stellt allerdings ein starker

politischer Wille dar (Nair et al. 2017, S. 15). Aufgrund länder- und kulturspezifischer

Gegebenheiten müssen nicht alle Maßnahmen überall vom selben Erfolg gekrönt sein

(Europäische Kommission 2013, S. 142ff.).

Im Sinne der Ausarbeitung eines theoretischen Bezugsrahmens zur Korruptionsbekämpfung

im Gesundheitssystem werden nachfolgend (Abbildung 5) die dargelegten

Antikorruptionsmaßnahmen in Anlehnung an Hussmann (2010, S. 8) den vier

Handlungsfeldern Bewusstseinsschaffung, Prävention, Kontrolle/Detektion sowie

Strafverfolgung/Sanktionen zugeordnet und deren Zusammenhang grafisch veranschaulicht.

Unter den Punkt „externe Aufsicht“ fallen beispielsweise Pressefreiheit und

zivilgesellschaftliches Engagement. Für eine effektive Korruptionsbekämpfung ist die

Kombination mehrerer Maßnahmen, die sämtliche Handlungsfelder abdecken, unabdingbar.

Bewusstseinsschaffung Informations- und

Aufklärungsarbeiten Bildungsmaßnahmen (Ethik, Recht) Kooperationen & Netzwerke

Kontrolle & Detektion Interne/externe Kontrollsysteme Audits, Beschwerdemanagement Rückverfolgung von

Gesundheitsausgaben Hinweisgebersysteme

(Whistleblower-Website/-Hotline)

Strafverfolgung & Sanktionen Effektive, unabhängige Justiz Antikorruptionsbehörden (im GW) Ermittlungs- und

Untersuchungsverfahren Disziplinäre und strafrechtliche

Sanktionen

Prävention Rechtlicher Rahmen Selbstregulierung (Ethikkodizes) Transparenzschaffung (COI-

Erklärungen, Informationszugang) Beseitigung struktureller

Systemschwächen, Integritätspakte

Management Leadership

Politischer Wille

Internationale Initiativen zur Korruptionsbekämpfung (Antikorruptions-Konventionen u.a.)

externe Aufsicht

externe Aufsicht

Abbildung 5: Theoretischer Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im Gesundheitssystem Quelle: In Anlehnung an Hussmann 2010, S. 8

91

3.7 Messung von Korruption

Ausgehend von den in Kapitel 2.8 beschriebenen quantitativen und qualitativen Zugängen der

Korruptionsforschung werden nachfolgend die wichtigsten Instrumente zur Identifikation und

Messung von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem herausgegriffen bzw.

neue spezifische Messinstrumente vorgestellt und kurz erläutert.

Korruptionsanfälligkeitsbewertung (vulnerability to corruption assessment)

Ziel eines vulnerability to corruption assessment ist es, die Risiken verschiedener

Erscheinungsformen von Korruption im Gesundheitssystem oder innerhalb bestimmter

Gesundheitsbereiche zu identifizieren. Die Methodik schließt üblicherweise eine Analyse des

rechtlichen Rahmens, Regeln und Prozeduren sowie Interviews und Fokusgruppen zur

Erfassung der Sichtweise verschiedener Stakeholder ein (Hussmann 2010, S. 35).

Kontrollsystemprüfung (control system review)

Ein zentrales Instrument zur Messung der Korruptionsanfälligkeit stellen eine

Kontrollsystemprüfung (control system review) bzw. eine Wirksamkeitsbewertung

eingesetzter Kontrollsysteme oder ein Risiko-Audit dar. Bei einem control system review lässt

sich über einen Vergleich mit Best-Practice-Standards feststellen, wie gut eine Organisation

die Ermessensspielräume ihrer Entscheidungsträger, die Einhaltung von Gesetzen, Regeln und

Vorgaben sowie ihre Ressourcen kontrolliert. Jedes Review startet mit der Identifikation

korruptionsanfälligster Bereiche (z.B. Abteilungen, die Genehmigungen oder Lizenzen

erteilen). Danach wird die Existenz von „Best-Practice-Schutzmaßnahmen“ ermittelt, wie

beispielsweise klare operative Prozeduren, die angemessene Verteilung von Zuständigkeiten,

elektronische Sammlung und Analyse von Daten sowie Prozeduren für das

Finanzmanagement und Audits. Am schwierigsten erweist sich eine Kontrollsystemprüfung in

Ländern, in denen der Gesundheitssektor einem Wandel hinsichtlich der Finanzierung,

Organisation oder dem Management von Gesundheitsleistungen unterlegen ist (Vian 2008,

S. 89f.).

92

Wertschöpfungskettenanalyse (value chain analysis)

Ähnlich wie die Kontrollsystemprüfung zielt die value chain analysis darauf ab,

Korruptionsrisiken entlang eines Versorgungssystems bzw. einer Wertschöpfungskette zu

identifizieren. Ebenso unterstützt sie bei der Lokalisierung korruptionsanfälligster Bereiche

und Priorisierung potenzieller Lösungen (Hussmann 2010, S. 35f.). Nach selbigem Prinzip

verfährt beispielsweise MeTA (Medical Transparency Alliance), eine Stakeholderallianz im

Arzneimittelmarkt, welche 2008 initiiert wurde und seitens des DFID (Department for

International Development) in Zusammenarbeit mit der WHO und der Weltbank geführt wird.

MeTA zielt auf einen verbesserten Zugang, die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von

Arzneimitteln über die Schaffung vermehrter Transparenz entlang der gesamten Arzneimittel-

Wertschöpfungskette (Auswahl, Registrierung, Beschaffung, Distribution, Marketing) ab. In

Ländern, in denen sie operiert (Ghana, Jordanien, Peru, Philippinen, Kirgisistan, Uganda,

Sambia), hat sie bislang entweder zur Aufdeckung minderwertiger Arzneimittel, zur

Verbesserung des Arzneimittel-Auswahlprozesses oder zur Preisfestsetzung und erhöhter

Transparenz beigetragen (Hussmann 2010, S. 34ff.; Kohler et al. 2011, S. 19). Ein ähnliches

Instrument stellt das Assessement Tool des Good Governance for Medicines programme

(GGM) der WHO dar, welches ebenfalls auf die Identifikation korruptionsanfälliger Bereiche

im pharmazeutischen Sektor abzielt (Kohler et al. 2011, S. 15). Eine sehr informative, aber

hochsensible Analyse, die zusätzlich im Rahmen einer Wertschöpfungskettenanalyse

durchgeführt werden kann, stellt die Stammbaumanalyse (family tree analysis) dar, welche

auf die Aufdeckung ungebührlicher (familiärer) Beziehungsverflechtungen auf allen Ebenen

des Gesundheitssystems (Politik, Verwaltung, Industrie) und daraus resultierende

Interessenkonflikte abzielt (Hussmann 2010, S. 36).

Analyse der Regierungsführung im Gesundheitssystem (analysis of governance in

healthcare systems)

Um die Regierungsarbeit zu verbessern und Korruption einzudämmen, entwickelte die

Weltbank einen Bezugsrahmen zur Analyse guter Regierungsführung im Gesundheitssystem.

Die Analyse erfolgt anhand mehrerer Leistungsindikatoren in den Bereichen Budget- und

Ressourcenmanagement, Performance der Leistungserbringer, Performance der

Gesundheitseinrichtungen, informelle Zahlungen und Korruptionswahrnehmung (Lewis &

Petterssen 2009; Hussmann 2010, S. 36).

93

Public Expenditure and Financial Accountability indicators (PEFA)

Anhand Public Expenditure and Financial Accountability indicators (PEFA) lassen sich die

Budgetperformance, die unter Korruption leiden kann, und der daraus resultierende

Verbesserungs- und Handlungsbedarf identifizieren. Gesundheitsrelevante PEFA-Indikatoren

umfassen die Vorhersagbarkeit und Kontrolle des Budgetvollzugs, der Budgetglaubwürdigkeit,

Budgetvollständigkeit und -transparenz, maßnahmenbezogene Budgetierung, Buchhaltung,

Aufzeichnung und Berichterstattung, externe Prüfung und Audit (Lewis & Pettersson 2009,

S. 15ff.; Hussmann 2010, S. 29).

Public Expenditure Tracking Surveys and Reviews (PETS, PERs), Quantitative Service

Delivery Surveys und Preisvergleiche

Korruption im Gesundheitssystem kann auch mittels Erhebungen zur Rückverfolgung

öffentlicher Ausgaben, wie z.B. Public Expenditure Tracking Surveys (PETS) und Public

Expenditure Reviews (PERs), quantitativen Umfragen zur Leistungserbringung (Quantitative

Service Delivery Surveys) oder Preisvergleichen (z.B. International Drug Price Indicator Guide)

erfasst werden (Vian 2008, S. 88f.). Im Gegensatz zu PEFA-Indikatoren, die zur Lokalisation

etwaiger Performanceprobleme im Rahmen öffentlicher Budgetierungsprozesse eingesetzt

werden, zielen derartige Instrumente auf die Identifikation von Ressourcenlecks und

Ineffizienzen und den daraus resultierenden Reformbedarf ab. Sie eignen sich besonders gut,

um Bereiche und Orte aufzuspüren, wo finanzielle Mittel ihre Begünstigten nicht erreichen

oder zweckentfremdet werden. Demnach ergänzen bzw. vervollständigen sie die PEFA-

Beweisführung über die Performance der Regierung (Lewis & Pettersson 2009, S. 17ff.;

Hussmann 2010, S. 30 und S. 36). An dieser Stelle sei beispielhaft die Studie von Khemani

(2004) erwähnt, der das Problem nicht ausgezahlter Personalgehälter in 252

Gesundheitseinrichtungen in Nigeria untersuchte. Dabei konnte er über die Korrelation von

Umfrage- und Finanzaufzeichnungsdaten keinen Zusammenhang zwischen nicht ausgezahlten

Personalgehältern und dem Einkommen lokaler Regierungen bzw. den budgetierten

Ausgaben für Personalgehälter feststellen. Die Nichtauszahlung von Personalgehältern war

durch eine ineffiziente Ressourcenallokation des Bundes bzw. durch mangelnde Ressourcen

auf lokaler Ebene nicht erklärbar. Vielmehr wiesen die Ergebnisse auf eine mangelnde

Rechenschaftspflicht auf lokaler Ebene hin (Khemani 2004). Solche Auswertungen können

94

letztlich Druck auf Regierende ausüben, ihre Transparenz- und Performanceprobleme zu

erklären und zu beheben (Vian 2008, S. 88f.).

Haushaltsumfragen

Haushaltsumfragen können ein wichtiges Messinstrument für Korruption darstellen, indem

sie beispielsweise die Ausgaben für Gesundheitsleistungen, die eigentlich kostenlos zur

Verfügung stehen sollten (z.B. informelle Zahlungen), oder Unregelmäßigkeiten in der

Gehaltsabrechnung erfassen. Letztlich lässt sich über solche Daten feststellen, inwiefern

öffentliche Gesundheitsbudgets zur Erreichung der Gesundheitsziele und Bedürfnis-

befriedigung der Bevölkerung über die Bereitstellung öffentlicher Gesundheitsleistungen

eingesetzt werden. Da Haushaltsumfragen mit einem großen finanziellen und zeitlichen

Aufwand verbunden sein können, sollte idealerweise auf bereits erhobene Daten (z.B. World

Bank Living Standards Measurement Surveys, Demographic and Health Surveys (DHS))

zurückgegriffen werden (Vian 2008, S. 88; Hussmann 2010, S. 13).

Umfragen zu Korruptionswahrnehmung und -erfahrungen im Gesundheitssystem

Befragungen der Bevölkerung, Health Professionals, Gesundheitseinrichtungen, öffentlicher

Bediensteter, der Industrie oder Experten können Aussagen zur wahrgenommenen

Korruptionsanfälligkeit des Gesundheitssystems liefern (Vian 2008, S. 88; Lewis & Pettersson

2009, S. 55ff.). Im Zuge der Erhebung können auch Meinungsunterschiede erfasst und/oder

das Augenmerk auf spezifische Erscheinungsformen (Absentismus, informelle Zahlungen etc.)

gelenkt werden. Regelmäßig durchgeführte Befragungen erlauben, Änderungen des

Korruptionsniveaus im Laufe der Zeit zu überwachen (Vian 2008, S. 88). Neben Umfragen auf

nationaler Ebene, kann auch auf bekannte internationale und regionale Indikatoren, die häufig

ihren Fokus auf bestimmte Sektoren wie beispielsweise den Gesundheitssektor legen und

daher auch Informationen zur Korruption in diesem Sektor bergen, zurückgegriffen werden.

Während Indikatoren wie die Governance and Anti-Corruption Country Diagnostic surveys der

Weltbank oder der Corruption Perception Index von Transparency International vor allem auf

der Erhebung der persönlichen Wahrnehmung von Korruption beruhen, erfassen Indikatoren

wie der Global Corruption Barometer von Transparency International oder der Eurobarometer,

sowohl die Wahrnehmung von Korruption als auch persönliche Erfahrungen mit diesem

Phänomen (vgl. Kapitel 2.8). Idealerweise sollten wahrnehmungsbasierte Umfragen zur

95

Korruption mit erfahrungsbasierten oder sogar mit anderen Instrumenten wie beispielsweise

Fokusgruppen kombiniert werden. Eine andere Möglichkeit, Korruption im Gesundheits-

system zu erfassen, stellen Umfragen zur Patientenzufriedenheit dar (Hussmann 2010, S. 36f.).

Qualitative Datenerhebung

Die Erhebung qualitativer Daten über Interviews oder Fokusgruppen kann zur genaueren

Ergründung der Korruptionsmechanismen und -dynamiken (z.B. Druck, soziale Normen,

Einstellungen, Rechenschaftspflichten etc.) im Gesundheitssystem beitragen (vgl. Kapitel 2.8)

(Vian 2008, S. 89). Beispielsweise enthüllten Interviews mit Health Professionals und

Patienten in Albanien viele neue Details im Hinblick auf die Ursachen der Gewährung und

Annahme informeller Zahlungen (z.B. niedrige Gehälter, Wunsch nach einer besseren oder

schnelleren Behandlung etc.). Mitunter konnten erhebliche Meinungsunterschiede zwischen

den befragten Gruppen identifiziert werden. Während viele Health Professionals davon

ausgingen, dass informelle Zahlungen freiwillig getätigt werden, gaben viele Patienten an, sich

dazu genötigt zu fühlen, um Zugang zur Gesundheitsversorgung oder eine bessere oder

schnellere Behandlung zu erhalten (Vian et al. 2004).

In Anlehnung an Lewis & Petterson (2009, S. 13) und Hussmann (2010, S. 12f.) erfolgt in der

nachstehenden Tabelle (Tabelle 6) eine Zusammenfassung der wichtigsten Instrumente zur

Identifikation und Messung von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem.

Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem

Bereich Problem Messinstrumente

Ge

ne

rell

Bereichsübergreifend

Korruptionsanfälligkeitsbewertung (vulnerability to corruption assessment)

Kontrollsystemprüfung (control system review)

Wertschöpfungskettenanalyse (value chain analysis) o Medicine Transparency Alliance (MeTA) o Good Governance for Medicines (GGM) o Stammbaumanalyse (family tree analysis)

Analyse der Regierungsführung im Gesundheitssystem (analysis of governance in healthcare systems)

96

Bu

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me

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Budgetprozesse

Fokusgruppen und Interviews mit öffentlich Bediensteten, Institutionen und Zivilgesellschaft

Public Expenditure and Financial Accountability indicators (PEFA)

Gehaltsabrechnungs-lecks

Haushaltsumfragen

Fokusgruppen mit öffentlich Bediensteten und Health Professionals

Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben (Public Expenditure Tracking Surveys (PETS), Public Expenditure Reviews (PERs))

Sonstige Ressourcenlecks

Fokusgruppen mit öffentlich Bediensteten, Institutionen und Health Professionals

Einrichtungsumfragen

Quantitative Umfragen zur Leistungserbringung (Quantitative Service Delivery Surveys)

Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben (Public Expenditure Tracking Surveys (PETS))

Arzneimittel

Good Governance for Medicines (GGM)

Medicines Transparency Alliance (MeTA)

Preisvergleiche (International Drug Price Indicator Guide)

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Ämterkauf

Interviews mit öffentlich Bediensteten und ehemaligen öffentlich Bediensteten

Offizielle Verwaltungsaufzeichnungen kombiniert mit Einrichtungsumfragen

Governance und Anti-Corruption Country Diagnostic surveys

Absentismus

Überraschungsbesuche

Direkte Beobachtungen

Einrichtungsaufzeichnungen

Quantitative Umfragen zur Leistungserbringung (Quantitative Service Delivery Surveys)

Fokusgruppen oder Interviews mit Einrichtungsleitern und Patienten

Informelle Zahlungen

Haushaltsumfragen

Befragungen an Einrichtungsausgängen und Scorekarten

Fokusgruppen/Interviews mit Patienten und Health Professionals

Governance and Anti-Corruption Country Diagnostic surveys

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Wahrnehmung von Korruption

TI Corruption Perception Index

Governance and Anti-Corruption Country Diagnostic surveys

Nationale Umfragen zur Wahrnehmung von Korruption

Erfahrungen mit Korruption

TI Global Corruption Barometer, Eurobarometer, Afrobarometer, Latinbarometer

Nationale Umfragen zu Erfahrungen mit Korruption

Umfragen zur Patientenzufriedenheit

Fokusgruppen

Tabelle 6: Instrumente zur Messung und Identifikation von Korruptionsrisiken und Korruption im Gesundheitssystem

Quelle: In Anlehnung an Lewis & Petterson 2009, S. 13; Hussmann 2010, S. 12f.

97

Abschließend sei angemerkt, dass mittlerweile auch einige Experimente zur Messung von

Korruption im Gesundheitssystem vorliegen. Beispielsweise konnten Barr et al. (2009) in einer

experimentellen Studie mit 144 äthiopischen Pflegestudenten in Übereinstimmung mit der

Theorie feststellen, dass verstärkte Monitoringmechanismen und eine daraus resultierende

erhöhte Aufdeckungswahrscheinlichkeit sowie professionelle Normen sich korruptions-

mindernd auszuwirken vermögen. Indes konnte nur ein schwacher Beweis für die

korruptionsmindernde Wirkung einer Gehaltsanhebung erbracht werden.

3.8 Zukünftiger Forschungsbedarf

Bei Betrachtung der Forschungslandschaft zu Korruption im Gesundheitssystem, kann auf

mehrere internationale Publikationen aus den letzten zehn bis 15 Jahren verwiesen werden.

Seitdem sich internationale Organisationen wie die Weltbank, WHO, UNDP, EHFCN,

Transparency International oder die Europäische Kommission dem Thema aktiv angenommen

und es verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt haben, stieg auch die Anzahl

wissenschaftlicher Arbeiten hierzu an. Obwohl schon einige Publikationen zu den

Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem

samt Empfehlungen zu ihrer wirksamen Bekämpfung vorliegen (Ensor 2004; TI 2006; Vian

2008; Barr et al. 2009; Kohler et al. 2011; Bussmann 2012; Europäische Kommission 2013;

Nikoloski & Mossialos 2013; Petkov & Cohen 2016; Nair et al. 2017), besteht auf

internationaler Ebene noch genügend Forschungsbedarf. Dabei trifft vieles, was die zukünftige

Korruptionsforschung im Allgemeinen betrifft, auch auf die Erforschung von Korruption im

Gesundheitssystem zu.

Eine der größten Herausforderungen stellt bisweilen die Quantifizierung von Korruption im

Gesundheitssystem dar. Aufgrund ihrer hohen Dunkelziffer sind ihr tatsächliches Ausmaß und

ihre Kosten nach wie vor weitgehend unbekannt. Um Korruption zukünftig besser

quantifizieren zu können, bedarf es vor allem der (Weiter-)Entwicklung von Mess-

instrumenten und Indikatoren sowie einer genaueren Datensammlung, -berichterstattung

und -analyse (Mackey et al. 2016, S. 3). Auch informelle Zahlungen, eine der sichtbarsten

Korruptionsformen im Gesundheitssystem, gelten noch als unzureichend erforscht. Bisherige

Studien stammen zumeist aus einkommensschwachen Ländern. Angesichts ihrer international

98

bekannten Auswirkungen und um ein vollständiges Bild vom Ausmaß des Problems zu

erhalten, sollten vermehrt Untersuchungen zum Ausmaß und den spezifischen Auswirkungen

informeller Zahlungen auch in einkommensstarken Ländern initiiert werden (Europäische

Kommission 2013, S. 150).

Was die Korruptionsursachenforschung als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung

wirksamer Antikorruptionsmaßnahmen betrifft, sollte diese zukünftig auf unterschiedlichen

Ebenen25 des Gesundheitssystems (z.B. individuelle und organisationale Ebene) ansetzen und

vor allem ebenenübergreifende Ursachen-Wirkungszusammenhänge näher beleuchten.

Während bislang insbesondere Variablen auf der organisationalen Ebene fokussiert worden

sind, sollte zukünftig auch Augenmerk auf Variablen auf der individuellen Ebene (z.B. Werte,

Normen) und deren ebenenübergreifende Wirkungsbeziehungen gelegt werden. Letztlich

könnten Interventionen auf der individuellen Ebene, wie z.B. erzieherische Maßnahmen, die

Wirksamkeit bestimmter Antikorruptionsmaßnahmen auf der organisationalen Ebene

beeinflussen. Zukünftiger Forschungsbedarf besteht auch im Hinblick auf den theoretischen

Bezugsrahmen zur Erklärung von Korruption nach Vian (2008, S. 86), der Korruption bisweilen

lediglich aus der Sicht öffentlich Bediensteter untersucht hat. Um eine vollständige Theorie

von Korruption im Gesundheitssystem zu erhalten, gehören auch der Einfluss anderer

Beteiligter, deren Überzeugungen, Beweggründe und Verhaltensweisen auf die Faktoren im

Modell überprüft. Damit ließe sich insbesondere die Einwirkung sozialen und

zwischenmenschlichen Drucks auf den Missbrauch von anvertrauter Macht zum eigenen

Nutzen sowie die Fähigkeit, dem zu widerstehen, erklären (Vian 2008, S. 91).

Da präventive Antikorruptionsmaßnahmen (Gesetze, Vorgaben, Verhaltenskodizes,

Interessenkonflikterklärungen etc.) zumeist nur in Kombination mit ausreichenden Kontroll-

und Sanktionsmechanismen ihre volle Wirksamkeit entfalten können, bedarf es zukünftig

auch der Erforschung neuer Wege zur Aufdeckung und Kontrolle von Korruption im

Gesundheitssystem (Vian 2008, S. 91). Generell sollte der zukünftige Forschungsschwerpunkt

auf die (Weiter-)Entwicklung und Evaluierung der Wirksamkeit von Antikorruptions-

maßnahmen im Gesundheitssektor gelegt werden. Hierfür bedarf es wiederum der (Weiter-)

25 Auf die Wichtigkeit der ebenenübergreifenden Korruptionsursachenforschung wiesen bereits Ashforth et al. (2008, S. 673) hin.

99

Entwicklung und Kombination geeigneter Instrumente zur Effektivitätsmessung. Zudem gilt es

auch die länder- bzw. kontextspezifischen Faktoren, die Einfluss auf den Erfolg geplanter

Maßnahmen nehmen können, näher zu ergründen (Vian 2008, S. 91; Kohler et al. 2011, S. 41;

Europäische Kommission 2013, S. 150; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19).

Außerdem sollten generelle Antikorruptionsmaßnahmen, wie öffentliche Finanzmanage-

mentreformen, Watchdog-Agenturen und Whistleblowerprogramme auf die besonderen

Bedürfnisse des Gesundheitssektors zugeschnitten werden. Um andere Länder bei der

Ergreifung von Reformen und Vermeidung von Fehlern zu unterstützen, ist eine gründliche

Dokumentation des Maßnahmenumsetzungsprozesses erforderlich (Vian 2008, S. 91).

3.9 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 4

Aufgrund seiner Besonderheiten (enormer Geldmittelfluss, Ungewissheit, Informations-

asymmetrien, Komplexität, Drittzahlerkonstruktion) stellt das Gesundheitssystem weltweit

einen besonders anfälligen Bereich für Korruption dar (Savedoff & Hussmann 2006, S. 4ff.;

Kiesl 2010, S. 12; Petkov & Cohen 2016, S. 3). Dies bekräftigen nicht zuletzt jüngste

Erhebungen auf europäischer und internationaler Ebene (Europäische Kommission 2013;

Hardoon & Heinrich 2013; Europäische Kommission 2014; Pring 2016). Mögliche

Korruptionsformen im Gesundheitssystem schließen u.a. Bestechungs- und Kickbackzah-

lungen, informelle Zahlungen („Kuvertmedizin“), Abrechnungsbetrug, Kollusion, Favoritismus,

Absentismus, Diebstahl von Arzneimitteln/Medizinprodukten, Veruntreuung öffentlicher

Gesundheitsbudgets, Versicherungsbetrug, Wissenschaftsbetrug und unethische

Marketingpraktiken ein. Ein besonders umstrittenes Thema stellt nach wie vor die enge

Zusammenarbeit zwischen der Industrie und Health Professionals im Bereich der Forschung

und Fortbildung dar, da sich die Grenzziehung zwischen Kooperation und Korruption nicht

immer als ganz einfach erweist (Vian 2008, S. 85; Europäische Kommission 2013; S. 47ff.;

Petkov & Cohen 2016, S. 4ff.; Nair et al. 2017, S. 16ff.). Internationalen Expertenschätzungen

zufolge gehen weltweit zwischen 3 % und 10 % (im Durchschnitt zwischen 5 % und 6 %) der

Gesundheitsbudgets durch Korruption verloren (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee &

Button 2015, S. 12; LSE 2017a, S. 557). Dies kann letztlich die Finanzierung des gesamten

Systems und den freien Zugang zur Gesundheitsversorgung unterminieren und die Qualität

und den Outcome von Gesundheitsleistungen ernsthaft beeinträchtigen. Internationale

100

Studien bestätigen, dass sich Korruption negativ auf die Gesundheit und den Wohlstand der

Bevölkerung auszuwirken vermag (Anstieg der Kinder-, Säuglings- und Mütter-

sterblichkeitsraten, Reduktion der Immunisierungsraten und Lebenserwartung, Verlängerung

der Wartezeiten etc.) (Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005; Lewis 2006; Hanf et al. 2011;

Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016). Die dadurch ausgelöste gesundheitliche

Ungleichheit zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen kann

schließlich in einem Armutsanstieg münden und mit einem Vertrauensverlust in das

öffentliche Gesundheitssystem einhergehen (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische Kommission

2013, S. 29; Petkov & Cohen 2016, S. 3).

Angesichts ihrer großen Tragweite rückte die Bekämpfung von Korruption im

Gesundheitssystem in den letzten zehn bis 15 Jahren zunehmend auf die

gesundheitspolitische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler Organisationen

(Weltbank, WHO, UNDP, EHFCN, TI etc.). Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen auf

internationaler Ebene schließen Maßnahmen zur Bewusstseinsschaffung (Informations- und

Aufklärungsarbeiten, Bildungsmaßnahmen zur Ethik und rechtlichen Lage, Kooperationen

etc.), zur Prävention (Antikorruptionsgesetzgebung, Verhaltenskodizes, Transparenz-

schaffung, Beseitigung struktureller Systemschwächen, Integritätspakte etc.), zur

Kontrolle/Detektion (interne und externe Kontrollsysteme, Audits, Beschwerdemanagement-

und Hinweisgebersysteme etc.) sowie zur Strafverfolgung/Sanktionierung (unabhängige

Justiz, spezielle Antikorruptionsbehörden im Gesundheitssystem, disziplinäre und

strafrechtliche Sanktionen etc.) ein. Eine freie, unabhängige Medienberichterstattung,

zivilgesellschaftliches Engagement sowie eine nationale kohärente, sektorenübergreifende

Antikorruptionsstrategie und ihre Forcierung durch die Politik stellen weitere, insbesondere

auf europäischer Ebene empfohlene Maßnahmen gegen Korruption im Gesundheitssystem

dar (Hussmann 2010, S. 8f.; Europäische Kommission 2013, S. 97ff.; Nair et al. 2017, S. 18ff.).

Was die wichtigsten Instrumente zur Identifikation und Messung von Korruption und ihrer

Risiken im Gesundheitssystem betrifft, sei an dieser Stelle auf Tabelle 6 verwiesen.

Obwohl schon einige Studien zu den Ursachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen von

Korruption im Gesundheitssystem samt Empfehlungen zu ihrer wirksamen Bekämpfung auf

internationaler Ebene vorliegen, besteht in vielerlei Hinsicht noch Forschungsbedarf.

101

Einerseits gilt es, das tatsächliche Ausmaß und die Kosten von Korruption im

Gesundheitssystem über die (Weiter-)Entwicklung von Messinstrumenten und Indikatoren

sowie über eine genauere Datensammlung, -berichterstattung und -analyse besser zu

quantifizieren (Europäische Kommission 2013, S. 150; Mackey et al. 2016, S. 3). Zum anderen

mangelt es vor allem in einkommensstarken Ländern an Studien zur Verbreitung von

Korruption und ihren spezifischen Auswirkungen im Gesundheitssystem, wie beispielsweise

im Hinblick auf informelle Zahlungen (Europäische Kommission 2013, S. 150). Ferner gehören

die Korruptionsursachen als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung wirksamer

Antikorruptionsmaßnahmen genauer erforscht, wobei der zukünftige Fokus insbesondere auf

die Erforschung ebenenübergreifender Ursachen-Wirkungszusammenhänge gesetzt werden

sollte (Vian 2008, S. 91). Generell sollte der Forschungsschwerpunkt auf die (Weiter-)

Entwicklung und Evaluierung der Wirksamkeit von Antikorruptionsmaßnahmen im

Gesundheitssystem gelegt werden. Wichtige Voraussetzung hierfür stellt wiederum die

(Weiter-)Entwicklung und Kombination geeigneter Instrumente zur Effektivitätsmessung dar

(Vian 2008, S. 91; Kohler et al. 2011, S. 41; Europäische Kommission 2013, S. 150; Gaitonde et

al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19).

Ausgehend von den erworbenen theoretischen Erkenntnissen aus Kapitel 2 und 3 erfolgt im

nachfolgenden Kapitel 4 eine Fokussierung auf das eigentliche Schwerpunktthema der

vorliegenden Dissertation: „Korruption im österreichischen Gesundheitssystem“.

102

4 Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Das folgende Kapitel zielt auf die Erhebung der Ausgangssituation und des aktuellen

Forschungsstandes im Hinblick auf Korruption im österreichischen Gesundheitssystem ab.

Nach einer kurzen Beschreibung des nationalen Gesundheitssystems anhand zentraler

Systemparameter und unter Einbeziehung des Konzeptes der ebenenübergreifenden

Systemsteuerung wird der zukünftige Verbesserungs- und Handlungsbedarf in diesem Sektor

aufgezeigt (Kapitel 4.1.). Davon ausgehend wird auf die Korruptionsthematik im nationalen

Gesundheitssystem als potenzieller Stellhebel für eine verbesserte Prozess- und

Ressourcensteuerung näher eingegangen (Kapitel 4.2). Dies schließt die Aufarbeitung der

aktuellen, korruptionsrelevanten rechtlichen Lage sowie die Darlegung bislang gesetzter

Antikorruptionsmaßnahmen auf nationaler Ebene ein. Weiters werden der aktuelle nationale

Forschungsstand zur Korruptionsthematik im Gesundheitssystem und der sich daraus

erschließende zukünftige Forschungsbedarf aufgezeigt. Abschließend werden die wichtigsten

Erkenntnisse aus Kapitel 4 als Überleitung auf den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit

zusammengefasst wiedergegeben (Kapitel 4.3). Die österreichspezifischen

Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption einschließlich dem

identifizierten zukünftigen Handlungs- und Forschungsbedarf werden im Rahmen der

explorativen qualitativen Studie aufgearbeitet und diskutiert.

4.1 Nationales Gesundheitssystem

Solidarität, Leistbarkeit und Universalität – so lauten die drei Grundprinzipien, auf denen das

österreichische Gesundheitssystem gründet. Unabhängig von Geschlecht, Alter oder sozialer

Herkunft – allen Menschen soll der gleiche, niederschwellige Zugang zur bestmöglichen

medizinischen Versorgung gewährt werden. Ermöglicht wird dieser umfassende Schutz durch

das Bismarck-Modell der gesetzlichen, sozialen Krankenversicherung, wodurch 98 % (BMGF

2016) der österreichischen Bevölkerung pflichtversichert und somit im Krankheitsfall

abgesichert sind. Die Pflichtversicherung deckt ein breites Leistungsspektrum ab, welches

nebst ambulanter und stationärer Versorgung, medizinischer Rehabilitation und

Hauskrankenpflege, Psychotherapie, Medikamenten etc. auch gewisse Präventions- und

Vorsorgemaßnahmen wie Impfungen und Screening-Untersuchungen inkludiert. Allerdings

103

darf die Krankenbehandlung nach § 133 (2) ASVG das Maß des Notwendigen nicht

überschreiten. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern genießen österreichische Patienten

die Freiheit, ihre Leistungserbringer (Hausarzt, Facharzt, Spitalsambulanz etc.) frei wählen zu

können. Zwar kann die Inanspruchnahme einzelner Leistungen mit bestimmten Zuzahlungen

seitens der Patienten (Rezeptgebühren für Medikamente, prozentuale Selbstbehalte,

Taggelder bei stationären Aufenthalten etc.) einhergehen, allerdings sind Personen, die die

Einkommensgrenze unterschreiten oder an einer chronischen Krankheit leiden, im Sinne des

Solidaritätsprinzips davon befreit (BMG 2013, S. 11ff.; BMGF 2016). Aufgrund des

niederschwelligen, sozial ausgewogenen Zugangs, der freien Arztwahl und des umfassenden

hochwertigen Leistungsangebotes weist das österreichische Gesundheitssystem nach wie vor

hohe Zufriedenheitswerte in Bevölkerungsumfragen auf (Offermanns 2012, S. 126f.;

Hofmarcher 2013, S. 259; Bachner et al. 2015, S. IIIf.; OECD 2015; LSE 2017a, S. 57f.).

4.1.1 Organisation, Steuerung und Finanzierung

Das österreichische Gesundheitssystem zeichnet sich in erster Linie durch seine

föderalistische Struktur und die damit einhergehenden fragmentierten Zuständigkeiten auf

Bundes- und Landesebene aus. Viele Bereiche des österreichischen Gesundheitssystems fallen

in die Kompetenz des Bundes. 26 Beispielsweise obliegt die Regelung des ambulanten

Bereiches, der Gesundheitsberufe, des Apotheken- und Arzneimittelwesens sowie der

Verbrauchergesundheit (z.B. Lebensmittelsicherheit) ausschließlich dem Bund. Davon

ausgenommen ist allerdings der stationäre Bereich (Krankenanstaltenwesen), für den der

Bund lediglich die Grundsatzgesetzgebung festlegt, während die Ausführungsgesetzgebung

und Vollziehung den einzelnen Bundesländern zufällt. Zudem wird die Gesundheitsverwaltung

(Öffentlicher Gesundheitsdienst, Pflegegeld, Prävention, Sozialhilfe etc.) auch hauptsächlich

von den Ländern bzw. Gemeinden wahrgenommen. Die ambulante (haus- und fachärztliche)

Versorgung obliegt hingegen der Sozialversicherung als Selbstverwaltungskörperschaft in

Zusammenarbeit mit der Ärztekammer (BMG 2013, S. 6; Hofmarcher 2013, S. 29ff.; BMGF

2016). Aufgrund der verteilten Zuständigkeiten müssen sich Bund, Länder und

Sozialversicherung bei wichtigen Entscheidungen stets abstimmen, wofür erforderlichenfalls

26 Die gesetzliche Grundlage für die Bereitstellung und Finanzierung von Sozial- und Gesundheitsleistungen stellt auf Bundesebene das Sozialversicherungsrecht, die Gesetze auf Basis der Finanzausgleichsverhandlungen sowie der Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG zwischen Bund und Ländern dar (Hofmarcher 2013, S. 29).

104

innerstaatliche Verträge (Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG) abgeschlossen werden

müssen (BMGF 2016; LSE 2017a, S. 58).

Zu den wichtigsten Akteuren im Gesundheitssystem auf Bundesebene zählen das Parlament,

das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF), das Bundesministerium für

Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK), das Bundesministerium für Finanzen

(BMF), die Sozialversicherung27, die einzelnen Interessenvertretungen (Kammern, Patienten-

anwaltschaften etc.), der Oberste Sanitätsrat (OSR) als medizinisch-wissenschaftliches

Beratungsgremium sowie die Österreichische Agentur für Gesundheit und

Ernährungssicherheit (AGES). Weiters agiert auf Bundesebene die Gesundheit Österreich

GmbH (GÖG) als nationales Forschungs- und Planungsinstitut und Kontaktstelle für

Gesundheitsförderung mit ihren drei Geschäftszweigen (Österreichisches Bundesinstitut für

Gesundheitswesen, Fonds Gesundes Österreich, Bundesinstitut für Qualität im Gesundheits-

wesen) (BMG 2013, S. 6; Hofmarcher 2013, S. 34ff.; LSE 2017a, S. 53ff.). Seit der Gesundheits-

reform 2005 fungiert auf Bundesebene auch die Bundesgesundheitsagentur (BGA) als zentrale

Einrichtung zur regionen- und sektorenübergreifenden Planung, Steuerung und Finanzierung

des Gesundheitssystems gemeinsam mit ihrem Organ der Bundesgesundheitskommission

(Vertreter des Bundes, aller Länder, der Sozialversicherung, der Städte und Gemeinden, der

Patientenanwaltschaften, der Österreichischen Ärztekammer etc.). Auf Landesebene spielen

die Landesgesundheitsfonds, die primär für die Umsetzung der Vorgaben der BGA sowie für

die Finanzmittelverteilung an gemeinnützige Krankenanstalten zuständig sind, mit ihren

jeweiligen Landesgesundheitsplattformen (Vertreter des Bundes, der Länder, der

Sozialversicherung, der Städte und Gemeinden, der Krankenanstaltenträger etc.) eine zentrale

Rolle (BMG 2013, S. 8ff.; Hofmarcher 2013, S. 29f.; BMGF 2016). Darüber hinaus wurden

basierend auf dem im Rahmen der Gesundheitsreform 2013 zwischen Bund, Ländern und

Sozialversicherung vereinbarten Zielsteuerungssystem („Zielsteuerung-Gesundheit“) die

Bundes-Zielsteuerungskommission auf Bundesebene sowie die Landes-Zielsteuerungs-

kommission auf Landesebene als Entscheidungsgremien eingerichtet. Die Gesundheitsreform

„Zielsteuerung-Gesundheit“ zielt in erster Linie auf die verbesserte Abstimmung zwischen

27 Die österreichische Sozialversicherung schließt die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung ein und gliedert sich in 21 Sozialversicherungsträger – 9 Gebietskrankenkassen, 5 Betriebskrankenkassen, 7 Versicherungs-anstalten (PVA, AUVA, SVA, VAEB, SVB, BVA, VAN). Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger fungiert als Dachorganisation (LSE 2017a, S. 55f.).

105

dem stationären und ambulanten Bereich und somit auf eine verbesserte partnerschaftliche,

sektorenübergreifende Organisation, Steuerung und Finanzierung zur nachhaltigen

Finanzierbarkeit und Gewährleistung des solidarischen Gesundheitssystems ab. Sie gründet

auf Verträgen zwischen Bund und Ländern nach Art. 15a BV-G (BMG 2013, S. 10; BMGF 2014;

BMGF 2016). Mit dem Zielsteuerungsvertrag 2017 bis 2021, welches auf neuen 15a-

Vereinbarungen beruht, wurde die Fortführung und Weiterentwicklung des 2013

implementierten partnerschaftlichen Zielsteuerungssystems beschlossen (BMGF 2017b).

Die Finanzierung des österreichischen Gesundheitssystems erfolgt hauptsächlich über

öffentliche Mittel – einkommensabhängige Sozialversicherungsbeiträge (ca. 45 %) und

Steuergelder (ca. 31 %) – sowie über private Zuzahlungen (ca. 24 %) im Rahmen von direkten

oder indirekten Kostenbeteiligungen (Rezeptgebühren, Taggelder bei Spitalsaufenthalten,

Selbstbehalte, private Krankenversicherungen etc.). Die wichtigste Finanzierungsquelle stellt

die soziale Krankenversicherung dar, die beinahe für die gesamten Kosten im extramuralen

Bereich aufkommt und zusätzlich die Spitäler mitfinanziert. Die restlichen Spitalskosten sowie

Pflegeleistungen werden hauptsächlich über Steuereinnahmen abgedeckt (BMG 2013, S. 19;

Riedler 2013, S. 17; BMGF 2016; Statistik Austria 2017). Während die Vergütung des

ambulanten Bereiches durch die Krankenversicherung auf einem gemischten Honorierungs-

system (Pauschalabrechnungen und Einzelleistungsvergütungen) basiert, erfolgt die

Finanzierung des stationären Bereichs vorrangig leistungsorientiert. So werden beispielsweise

Fondskrankenanstalten28 (rund die Hälfte aller Spitäler in Österreich) über die Landesgesund-

heitsfonds, welche aus Mitteln des Bundes, der Länder und Sozialversicherungen gespeist

werden, nach dem LKF-System (leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung) 29

vergütet. Reichen die Mittel der Landesgesundheitsfonds zur Finanzierung der

Krankenanstalten nicht aus, werden diese von den Ländern bzw. Spitalsträgern aufgebracht.

Die von Privatkrankenanstalten erbrachten Leistungen für Sozialversicherte, für die die soziale

Krankenversicherung leistungsverpflichtet ist, werden über den Privatkrankenanstalten-

Finanzierungsfond (PRIKRAF), der aus Mitteln der Sozialversicherung gespeist wird,

abgegolten (Hofmarcher 2013, S. 38 und S. 86; BMGF 2016).

28 Unter Fondskrankenanstalten werden öffentliche allgemeine und Sonderkrankenanstalten sowie privat-gemeinnützige allgemeine Spitäler, die die akutstationäre Versorgung übernehmen, subsumiert (Hofmarcher 2013, S. 86; BMGF 2016). 29 Das LKF-System beruht auf der Vergütung von Spitalsleistungen auf Basis sogenannter Fallpauschalen, die sich aus Leistungspunkten für bestimmte Diagnosen und Leistungen zusammensetzen (BMGF 2016).

106

4.1.2 Ebenenübergreifende Systemsteuerung

In Anlehnung an Offermanns (2011, S. 19ff.) erfolgt in der nachstehenden Tabelle (Tabelle 7)

eine ebenenübergreifende Darstellung der wichtigsten Akteure und Steuerungsmechanismen

im nationalen Gesundheitssystem. Betrachtet werden drei Systemebenen, die in

gegenseitiger Wechselwirkung zueinander stehen. Eine solche Betrachtungsweise eignet sich

insbesondere für komplexe Problemstellungen, weshalb sie auch im empirischen Teil der

vorliegenden Arbeit (Kapitel 5.7.8) zur Anwendung kommt.

Ebenenübergreifende Systemsteuerung

Systemebene Fokus Akteure Steuerungsinstrumente

Mak

ro Gesellschaftliche

Ebene mit Werten und Prinzipien

Gesundheitssystem

Solidarität Leistbarkeit Universalität

Gleichbehandlung Qualitätssicherung

EU, Bund, Länder Versicherer

Interessenvertretungen (Kammern, Lobby,

Patientenvertretungen)

Gesetze, Verordnungen Ressourcenallokation

Gesundheitsziele Versorgungssystem

Finanzierungssystem Ausbildungssystem

Me

so Organisationale

Ebene

Leistungserbringer

Kundenorientierung Mitarbeiter- und

Prozessorientierung Effektivität

Selbstverwaltung Krankenanstalten

Wirtschaft (Pharma, Medizintechnik etc.) Selbsthilfegruppen

Normatives und Strategisches Management

Dienstleistungs- und Qualitätsmanagement

Strategisches Personalmanagement

Mik

ro Individuelle Ebene

Health Professional-Patienten-Beziehung

Patienten-orientierung

Outcome Effizienz

Empowerment

Health Professionals Patienten

Angehörige Patientenanwälte

Prozessmanagement Risikomanagement

Klinische Pfade Leitlinien

Tabelle 7: Ebenenübergreifende Systemsteuerung Quelle: In Anlehnung an Offermanns 2011, S. 20

Ausgerichtet an den Grundprinzipien (Solidarität, Leistbarkeit, Universalität) erfolgt die

Steuerung des Gesundheitssystems auf der Makroebene hauptsächlich durch den

Gesetzgeber, der seitens Sozialversicherung und verschiedener Interessenvertretungen

(Kammern, Lobbyisten etc.) beraten wird. Grundsätzlich geht es hierbei um die Regelung des

Versorgungs-, Ausbildungs- und Finanzierungssystems einschließlich gesetzter finanzieller

Anreizmechanismen. Akteure auf der Meso- und Mikroebene sind zur Umsetzung und

Einhaltung der Vorgaben und gesetzten Rahmenbedingungen auf der Makroebene, auf die sie

selbst kaum Einfluss haben, verpflichtet. Der Schwerpunkt auf der organisationalen Ebene

liegt vorrangig auf der Organisation und ihren Strukturen (personelle, räumliche,

107

technologische, finanzielle Strukturen), ihren Prozessen (Management- und Unterstützungs-

prozesse, Geschäfts- und Kernprozesse etc.) sowie ihren erzielten Ergebnissen (qualitative,

quantitative und finanzielle Ergebnisse). Hierfür werden Steuerungsinstrumente wie

beispielsweise Normatives und Strategisches Management, Qualitätsmanagement und

Strategisches Personalmanagement eingesetzt, die wiederum Einfluss auf die konkrete

Leistungserstellung und Ergebnisqualität auf der Mikroebene nehmen. Neben der Steuerung

der konkreten Beziehung zwischen Health Professionals und Patienten (über

Prozessmanagement, Risikomanagement, klinische Pfade, Leitlinien etc.) rücken auf der

individuellen Ebene Outcome-Messungen und Messungen der Patientenzufriedenheit als

Qualitätsnachweise gegenüber unterschiedlichen Anspruchsgruppen auf der Makro- und

Mesoebene vermehrt in den Vordergrund. Nicht nur die Kontraktfähigkeit zwischen Kassen,

Ländern und Health Professionals, sondern auch die Höhe der zur Verfügung gestellten

Ressourcen sollen zukünftig an die nachgewiesene Ergebnisqualität geknüpft sein

(Offermanns 2011, S. 19ff.).

4.1.3 Zentrale Kennzahlen

Laut System of Health Accounts (SHA) beliefen sich die gesamten österreichischen

Gesundheitsausgaben im Jahr 2015 auf 37,58 Mrd.30 Euro bzw. 11,1 % des Bruttoinlands-

produktes (BIP). Seit 1990 lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg der Gesundheitsausgaben um

durchschnittlich 5 % pro Jahr beobachten (von 8,4 % auf 11,1 % des Bruttoinlandsproduktes).

Dies wird nicht zuletzt auf den demografischen Wandel (steigendes Durchschnittsalter der

Bevölkerung) sowie den technologischen Fortschritt in der Medizin zurückgeführt (Riedler

2013, S. 10; Statistik Austria 2017). Der größte Teil der ausgegebenen Gelder (ca. 30-40 %)

fließt jährlich in den stationären Bereich, in dem auch der Schwerpunkt der österreichischen

Gesundheitsversorgung liegt (BMG 2013, S. 20; Riedler 2013, S. 16). So wurden im Jahr 2015

rund 2,82 Mio. stationäre Aufenthalte inklusive sogenannter Null-Tagesaufenthalte

(entspricht einer Krankenhaushäufigkeit von 327 Aufenthalten pro 1.000 Einwohner) bei einer

durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 6,5 Tagen registriert (Statista 2016; Statistik Austria

2016c). Hierfür standen rund 65.138 Spitalsbetten in 278 Krankenanstalten (darunter

allgemeine Krankenanstalten, Sonderkrankenanstalten, Rehabilitationszentren, Sanatorien,

30 Die berechneten Werte schließen sowohl laufende Gesundheitsausgaben (35,08 Mrd. Euro) als auch Investitionen im Gesundheitsbereich (2,5 Mrd. Euro) ein.

108

Pflegeheime etc.) zur Verfügung. Dies entspricht einer Bettendichte von 7,5 Betten pro 1.000

Einwohner, wobei in den letzten Jahrzehnten – dank schwerpunktmäßiger Zielsetzung der

Gesundheitspolitik – ein rückläufiger Trend zu beobachten ist (Statistik Austria 2016b).

Maximal 25 % der Betten in gemeinnützigen Krankenanstalten dürfen gesetzlich für Sonder-

klassepatienten zur Verfügung gestellt werden (Riedler 2013, S. 32). Der zweitgrößte Teil der

Gesundheitsausgaben (ca. 20 %) wird jährlich für die ambulante Versorgung aufgewendet, die

größtenteils von frei praktizierenden, niedergelassenen Ärzten, aber auch seitens Ambu-

latorien und Spitalsambulanzen sichergestellt wird (BMG 2013, S. 15ff.). Insgesamt wurden im

Jahr 2015 44.002 berufsausübende Ärzte (Allgemeinmediziner, Fachärzte, Turnusärzte) in

Österreich gezählt, was einer Ärztedichte von 5,06 Ärzten je 1.000 Einwohner entspricht – mit

deutlichem Aufwärtstrend (Statistik Austria 2016a). Zirka die Hälfte aller Ärzte ist im

niedergelassenen Bereich tätig, wovon wiederum etwa die Hälfte über einen Vertrag mit den

Kassen verfügt (BMG 2013, S. 15ff.; Riedler 2013, S. 28; Hofmarcher 2013, S. 151f.; BMGF

2016). Während die Anzahl der Kassenärzte seit 2000 kontinuierlich gesunken ist, hat sich die

Zahl der Wahlärzte, d.h. jener Ärzte, die über keinen Kassenvertrag verfügen, seit dieser Zeit

beinahe verdoppelt (Riedler 2013, S. 28f.; Oswald & Matzenberger 2016). Dies hängt

wiederum mit der zunehmenden Nachfrage nach privaten Leistungen zusammen; aktuell

verfügt fast ein Drittel der österreichischen Bevölkerung über eine private Zusatzversicherung.

Laut Umfragen liegen die Hauptmotive für den Abschluss einer Zusatzversicherung in der

besseren medizinischen Versorgung, in der freien Arztwahl sowie in kürzeren Wartezeiten (vor

allem für elektive Operationen) begründet und weniger in der höheren Hotel- und

Servicekomponente. Allerdings schließt die rechtliche Situation (§ 16 KAKuG) lediglich die

Besserstellung von zusatzversicherten Patienten durch die freie Arzt- und Krankenhauswahl

sowie den erhöhten Komfort der Unterbringung ein; Unterschiede in der Qualität der

medizinischen Versorgung dürfen keine bestehen (Pruckner & Hummer 2013, S. 47ff.).

Seit 1980 ist ein kontinuierlicher Anstieg der Lebenserwartung in Österreich zu verzeichnen.

2015 lag die Lebenserwartung bei der Geburt31 bei 78,63 Jahren für Männer und 83,59 Jahren

für Frauen, was einer durchschnittlichen Zunahme von mehr als acht Jahren zum

Vergleichsjahr (1980) entspricht. Die Sterblichkeitsrate belief sich im Jahr 2015 auf 9,6

31 Die Lebenserwartung bei der Geburt drückt die durchschnittliche Anzahl zu erwartender Lebensjahre eines Neugeborenen aus, die unter vorherrschenden Sterblichkeitsbedingungen bei der Geburt erwartet werden kann (Schmid & Schmid o.J.).

109

Todesfälle je 1.000 Einwohner und markiert somit einen leichten Aufwärtstrend. Hingegen ist

die Säuglingssterblichkeit in den letzten Jahren stark zurückgegangen, von 4,2 Todesfällen im

Jahr 2005 auf 3,1 Todesfälle je 1.000 Lebendgeborene im Jahr 2015. Zu den häufigsten

Todesursachen bezogen auf die allgemeine Sterblichkeitsrate zählen nach wie vor

Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) sowie bösartige

Neubildungen (Krebs) (Hofmacher 2013, S. 10f.; Statistik Austria 2016d).

4.1.4 Zukünftiger Verbesserungs- und Handlungsbedarf

Vergleicht man die österreichischen Kennzahlen im europäischen Kontext, so lässt sich trotz

hoher Zufriedenheitswerte in Bevölkerungsumfragen folgender Handlungs- und

Verbesserungsbedarf feststellen: Die nationalen Gesundheitsausgaben liegen weit über dem

EU-Durchschnitt. Die Krankenhaushäufigkeit und durchschnittliche Verweildauer in den

Spitälern sind ebenfalls unübertroffen bzw. überproportional hoch. Zudem weist Österreich

im europäischen Vergleich eine überdurchschnittlich hohe Betten-, Ärzte- und

Großgerätedichte auf, was einerseits für einen guten Zugang zum Gesundheitssystem und

dessen Qualität spricht, andererseits aber auch die Effizienz des Ressourceneinsatzes

zunehmend in Frage stellt. Angesichts der vergleichsweise nur durchschnittlich erbrachten

Leistungsergebnisse (Outcome-Indikatoren wie Lebenserwartung, gesunde Lebensjahre,

Sterblichkeit, Säuglingssterblichkeit etc.) werden die Abweichungen hauptsächlich auf nicht

ausgeschöpfte Effizienzpotenziale zurückgeführt (Bachner et al. 2015, S. 36ff. und S. 123f.;

OECD 2015). Trotz bisheriger Bemühungen zur Koordinationsverbesserung wird nach wie vor

die mangelhafte Abstimmung zwischen dem intra- und extramuralen Bereich, zwischen den

unterschiedlichen Ebenen ambulanter Versorgung, zwischen akutstationärer Versorgung und

Nachbetreuung sowie zwischen den einzelnen Gesundheitsdienstleistern beanstandet,

wodurch sich häufig Redundanzen in der Versorgung und Finanzierung ergeben (Korosec

2007, S. 1f.; Hofmarcher 2013, S. 260; Bachner et al. 2015, S. 124). Kritisiert wird insbesondere

das „duale Finanzierungssystem“ (ambulante Versorgung wird überwiegend von der

Sozialversicherung finanziert; stationäre Versorgung vom Bund bzw. den Ländern), welches

unter anderem dazu führt, dass Gesundheitsleistungen und deren Kosten zwischen dem

ambulanten und stationären Bereich hin und her geschoben werden (Korosec 2007, S. 1f.; LSE

2017a, S. 26). Weiters wird die Qualität der medizinischen Primärversorgung bemängelt, was

sich insbesondere an der überdurchschnittlich hohen Anzahl der Spitalsaufenthalte und der

110

überdurchschnittlich hohen Einweisungsrate chronisch Erkrankter erkennen lässt (OECD

2015; LSE 2017a, S. 64). Lange Zeit wurde die beabsichtigte Reduktion von Spitalsaufenthalten

mittels der Forcierung der medizinischen Primärversorgung durch die ausstehende Einigung

über die Finanzierung einer solchen Leistungsverschiebung behindert (Offermanns 2012,

S. 127; Hofmarcher 2013, S. 186; OECD 2015). Inwiefern die neue Art. 15a-Vereinbarung über

die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens durch die Verlagerung von

Leistungen in den ambulanten Bereich (vor allem über den Ausbau des niedergelassenen

Bereichs durch die Realisierung von mind. 75 interdisziplinären Primärversorgungseinheiten,

wofür insgesamt 200 Mio. Euro zweckgewidmet wurden) zukünftig zur Entlastung des

vollstationären Bereichs in den Akut-Krankenanstalten beitragen wird können, bleibt

abzuwarten (BMGF 2017b).

Zukünftiger Handlungsbedarf besteht in Österreich ferner im Bereich der Gesundheits-

förderung und Prävention, um vermeidbare Krankheiten und damit einhergehende

Folgekosten zu minimieren (Hofmarcher 2013, S. 260; Bachner et al. 2015, S. 123; LSE 2017a,

S. 63). Besorgniserregend erscheint vor allem der überdurchschnittlich hohe Nikotin- und

Alkoholkonsum pro Kopf, insbesondere jener der österreichischen Jugendlichen (BMG 2013,

S. 29f.; Bachner et al. 2015, S. 86ff.; LSE 2017a, S. 63). Mit der Vereinbarung nationaler

Rahmen-Gesundheitsziele im Jahr 2012 wurde der erste wichtige Grundstein für eine

gesundheitsförderliche Gesamtpolitik in Österreich unter Einbindung aller Politikfelder

(Health in all Policies) gelegt. Diese Ziele sollen dazu beitragen, die gesunden Lebensjahre der

österreichischen Bevölkerung zu erhöhen. Auf Basis der insgesamt zehn vereinbarten

Rahmen-Gesundheitsziele (u.a. Ziel 10: Sicherstellung einer nachhaltigen, qualitativ

hochwertigen und effizienten Gesundheitsversorgung für alle) erfolgte 2014 die Festlegung

der österreichweiten Gesundheitsförderungsstrategie im Rahmen des Bundeszielsteuerungs-

vertrages. Sie fanden auch Eingang in das aktuelle Regierungsprogramm (BMGF 2017a).

Viele der genannten Punkte im Hinblick auf den zukünftigen Verbesserungs- und

Handlungsbedarf im nationalen Gesundheitssystem gehen auch aus der lang erwarteten,

jüngst veröffentlichten Studie der London School of Economics and Political Science (LSE) zur

Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich hervor (LSE

2017a). Laut dieser Untersuchung wird das gesamte Effizienzsteigerungspotenzial im

111

nationalen Gesundheitssystem zwischen 629,3 Mio. und 845,5 Mio. Euro geschätzt. Dabei

wurde auch im Hinblick auf die Korruptionsthematik ein Einsparpotenzial geortet. Würde man

das in dieser Studie vorsichtig geschätzte Ausmaß von Korruption im nationalen

Gesundheitssystem (1 % der öffentlichen Gesundheitsausgaben in Österreich = 265 Mio. Euro)

um 30 % bis 50 % reduzieren, ließen sich 79,5 Mio. bis 132, 6 Mio. Euro einsparen (LSE 2017b,

S.22ff.).

Auf der Suche nach einer verbesserten Prozess- und Ressourcensteuerung zur langfristigen

Sicherstellung des solidarisch finanzierten Gesundheitssystems in Österreich kann somit auch

die lang tabuisierte Korruptionsthematik in diesem Bereich beträchtliche Effektivitäts- und

Effizienzsteigerungspotenziale bergen, weshalb sie im Folgenden in den Fokus der

vorliegenden Arbeit gerückt wird.

112

4.2 Korruption

Obwohl das österreichische Gesundheitssystem im europäischen Vergleich im Hinblick auf

Chancengerechtigkeit, Zugang und Leistungsangebot positiv abschneidet (Bachner et al. 2015,

S. 123), ist es vor Korruption und Missbrauch nicht gefeit. Kern des Problems stellen auch

hierzulande die hohe Komplexität des Systems und die daraus resultierende Intransparenz,

die enormen jährlich darin umgesetzten Geldmittel, asymmetrische Informationen sowie die

Drittzahlerkonstruktion dar. Dadurch werden Einfallstore für Korruption und missbräuchliches

Verhalten für alle Systembeteiligten eröffnet, was zulasten unbeteiligter Dritter und letztlich

des gesamten Systems gehen kann (Kiesl 2010, S. 12; TI-AC 2010, S. 6; Kern-Homolka et al.

2011, S. 10ff.).

Dass auch das nationale Gesundheitssystem eine gewisse Anfälligkeit für Korruption birgt,

lässt sich nicht nur aus zahlreichen Medienberichten (Amara 2013; Gebhard 2013; APA 2016;

Gartlehner 2016; APA 2017a) und etwaigen Skandal- und Enthüllungsbüchern (Weiss 2008;

Aboulenein 2016) auf nationaler Ebene schließen, sondern geht auch aus jüngst vorliegenden

Befragungsergebnissen hervor. Laut einer Bevölkerungsumfrage durch die Paul-Lazarsfeld-

Gesellschaft im Jahr 2009 wird der Gesundheitsbereich in Österreich zu 43 % als

korruptionsanfällig wahrgenommen (Rohan et al. 2009, S. 52; Rupp 2011, S. 86). Nach den

Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus demselben Jahr hingegen liegt dieser

Wert lediglich bei 20 % und somit unter dem EU-weiten Durchschnittswert von 32 %

(Europäische Kommission 2009, S. 35; Rupp 2011, S. 86). Ähnliche Ergebnisse des Special

Eurobarometers liegen für das Jahr 2011 vor (AT: 24 %; EU: 30 %) (Europäische Kommission

2012, S. 53). Laut den jüngst vorliegenden Resultaten des Special Eurobarometers aus dem

Jahr 2013 wird der Gesundheitssektor in Österreich „nur“ noch zu 15 % bei einem EU-weiten

Durchschnittswert von 33 % als korruptionsanfällig wahrgenommen (Europäische

Kommission 2014, S. T18). Zwar wird das österreichische Gesundheitssystem laut solchen

Meinungsbefragungen als vergleichsweise wenig korrupt angesehen, dennoch ist die Relevanz

der Thematik in ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht erheblich (Rupp 2011, S. 86).

Läge man die laut internationalen Experten geschätzten 3 % bis 10 % der Gesundheitsbudgets,

die jährlich in ungewissen Quellen versickern (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee &

Button 2015, S. 12), auf die österreichischen Gesundheitsausgaben laut Statistik Austria (2017)

um, ergäbe dies einen jährlichen Schaden zwischen 1 und 3,7 Mrd. Euro (laut eigener

113

Berechnung der Autorin). Angesichts der stetig steigenden nationalen Gesundheitsausgaben,

ausgelöst durch den demografischen Wandel und den technologischen Fortschritt in der

Medizin, und dem damit einhergehenden zunehmenden Finanzierungs- und

Sparsamkeitsdruck kann dies auch hierzulande langfristig die optimale

Gesundheitsversorgung der Bevölkerung beeinträchtigen und somit das solidarische

Gesundheitssystem unterminieren (Rupp 2006, S. 2; Hintringer 2010, S. 4). So ergeben sich in

diesem Themenfeld auch zahlreiche Schnittstellen im Kontext der Priorisierung,

Rationalisierung und Rationierung von Gesundheitsleistungen. Schließlich geht es darum, mit

den begrenzten Ressourcen eine optimale medizinische Versorgung der Bevölkerung

sicherzustellen (Offermanns 2011, S. 34ff.). Nicht zu vergessen sind auch die ethischen

Aspekte, welche die Grundfesten des Gesundheitssystems adressieren: Wertediskussion,

solidarisches Gesundheitssystem, soziale Ungleichheit etc. Damit einher geht die öffentlich

lang und kontrovers geführte Debatte um die Zwei-/Mehrklassenmedizin.

Noch vor zehn Jahren galt Korruption im nationalen Gesundheitssystem als ein großes Tabu-

Thema. Aufkommende Korruptionsfälle wurden zumeist als bedauerliche Einzelfälle abgetan

und dementsprechend gehandhabt (Rupp 2006, S. 1f.). Erst dank dem unermüdlichen

Engagement herausragender Persönlichkeiten und dem österreichischen Chapter von

Transparency International, die auf die Thematik über diverse Medien- und Pressearbeit

aufmerksam gemacht haben, wurde das Thema allmählich in den Fokus der öffentlichen

Aufmerksamkeit gerückt. Debattiert wurden nicht nur finanzielle Vorteile, sondern auch

unlautere Geschenke und sonstige Graubereiche von Korruption, die – obgleich nicht immer

strafbar – zumindest aus ethischer Sicht fragwürdig erschienen. Welche Verhaltensweisen laut

aktueller Rechtslage strafbar sind, wer bei der Antikorruptionsbewegung eine tragende Rolle

gespielt hat und welche Gegenmaßnahmen daraufhin gesetzt worden sind, wie der aktuelle

nationale Stand der Korruptionsforschung im Gesundheitssystem und der daraus

resultierende Forschungsbedarf aussehen, wird im Folgenden dargelegt.

114

4.2.1 Rechtlicher Hintergrund

Um Korruption nachhaltig einzudämmen, bedarf es – dem strafrechtlichen Erklärungsansatz

folgend (vgl. Kapitel 2.4) – eines gut ausgestalteten rechtlichen Rahmens, der keine

Schlupflöcher für korruptes Verhalten aufgrund bestehender Regelungslücken gewährt. Mit

dem Aufkommen zahlreicher Korruptionsskandale und dem dadurch erkannten

Handlungsbedarf wurden in Österreich, insbesondere in den letzten zehn Jahren, zahlreiche

Änderungen auf juristischer Ebene vorgenommen. Die relevantesten strafrechtlichen und

außerstrafrechtlichen Regelungen zur Bekämpfung von Korruption im nationalen

Gesundheitssystem werden nachfolgend allgemein verständlich aufgearbeitet, wobei kein

Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Ein eigenes Antikorruptionsgesetz im

Gesundheitssystem, wie jenes, welches erst kürzlich in Deutschland aufgrund erkannter

Regelungslücken verabschiedet wurde (Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im

Gesundheitswesen 2016), liegt hierzulande noch nicht vor.

Zur besseren Übersicht werden die wichtigsten strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen

Regelungen, die anschließend näher ausgeführt werden, in der nachstehenden Tabelle

(Tabelle 8) zusammengefasst.

Rechtslage in Österreich

A. Strafrechtliche Regelungen

Korruptionsstrafrecht Korruptionstatbestände des öffentlichen Bereiches: Voraussetzung: Eigenschaft als Amtsträger (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB)

Bestechung (§ 307 StGB)/Bestechlichkeit (§ 304 StGB)

Vorteilszuwendung (§ 307a StGB)/Vorteilsannahme (§ 305 StGB)

Vorteilszuwendung zur Beeinflussung (§ 307b StGB)/ Vorteilsannahme zur Beeinflussung (§ 306 StGB)

Verbotene Intervention (§ 308 StGB)

i.w.S. Missbrauch der Amtsgewalt (§ 302 StGB)

Korruptionstatbestände des privaten Bereiches:

Geschenkannahme und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten (§ 309 StGB)

i.w.S Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB)

i.w.S. Untreue (§ 153 StGB)

i.w.S. Umtriebe während einer Geschäftsaufsicht oder im Insolvenzverfahren (§ 160 StGB)

i.w.S. Bestechung bei der Wahl oder Volksabstimmung (§ 265 StGB)

Sonstige strafrechtliche Bestimmungen (mögliche Begleitdelikte von Korruption)

Erpressung (§ 144 StGB)

Veruntreuung (§ 133 StGB)

Unterschlagung (§ 134 StGB)

Betrug (§ 146 StGB)

115

B. Außerstrafrechtliche Regelungen

Ärztegesetz (ÄrzteG)

Werbebeschränkung und Provisionsverbot (§ 53 ÄrzteG)

Arzneimittelgesetz (AMG)

Provisionsverbot (§ 55a AMG)

Naturalrabatteverbot (§ 55b AMG)

Medizinproduktegesetz (MPG)

Provisionsverbot (§ 108 MPG)

Sozialbetrugs-bekämpfungsgesetz (SBBG)

Verbesserung der Sozialbetrugsbekämpfung und Behördenkooperation

Beamten-Dienstrechts-gesetz (BDG), Vertrags-bedienstetengesetz (VBG)

Dienstrechtliches Geschenkannahmeverbot (§ 59 BDG, § 5 VBG)

Nebenbeschäftigungen (§ 56 BDG, § 5 VBG)

Dienstordnungen der österreichischen Sozialversicherung

Geschenkannahmeverbot u.a.

Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger

Richtlinien für die Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung von Kontrollen im Vertragspartnerbereich (RLVPK) gemäß § 31 Abs. 5 Z 12 ASVG

Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG)

Transparentes Wartelistenregime (§ 5a Abs. 2 KAKuG)

Individuelles Auskunftsrecht (§ 5a Abs. 3 KAKuG)

Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz (LobbyG)

Lobbying-Tätigkeiten (§ 5 LobbyG)

Prinzipien der Lobbying-Tätigkeit und Interessenvertretung (§ 6 LobbyG)

Tätigkeitseinschränkung (§ 8 LobbyG)

Lobbying- und Interessenvertretungs-Register (§ 9 LobbyG)

Verordnung über die Meldepflicht nicht-interventioneller Studien (BGBl II Nr. 180/2010)

Ärztliche Aufklärungspflicht (§ 2 NIS-Verordnung)

Register nicht-interventioneller Studien (§ 4 NIS-Verordnung)

Meldepflicht nicht-interventioneller Studien (§ 5 NIS-Verordnung)

Abschlussbericht (§ 7 NIS-Verordnung)

Bundesvergabegesetz (BVergG)

Aktuelles Vergaberecht

Vergaberechtsreformgesetz 2017

Tabelle 8: Rechtslage in Österreich Quelle: Verfasserin

A. Strafrechtliche Regelungen

Das Strafgesetzbuch (StGB) enthält einige wichtige Regelungen zur Bekämpfung von

Korruption im Gesundheitssystem. Hierzu zählen in erster Linie die zentralen Bestimmungen

des Korruptionsstrafrechts sowie sonstige strafrechtliche Bestimmungen.

116

Korruptionsstrafrecht

Unter Korruption im strafrechtlichen Sinne wird „jede Art von Pflichtwidrigkeit und Missbrauch

einer eingeräumten Befugnis bzw. Vertrauensstellung in einer Funktion in Verwaltung,

Wirtschaft und Politik im Austausch gegen einen Vorteil, auf den kein rechtlich begründeter

Anspruch besteht“ verstanden (Eder-Rieder 2014, S. 72). Allerdings liefert der österreichische

Gesetzgeber keine eindeutige Definition von Korruption, stattdessen werden verschiedene

Korruptionstatbestände aufgelistet (Schuschnigg 2015, S. 1f.). Das erste Antikorruptions-

gesetz in Österreich stammte aus dem Jahr 1964 und stellte zu seiner Zeit lediglich die

Geschenkannahme und Bestechung leitender Angestellter eines Unternehmens unter Strafe.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden maßgebliche Bereiche von Korruption nur von den

Strafbestimmungen „Missbrauch der Amtsgewalt“ und „Untreue“ erfasst. Mit dem zweiten

Antikorruptionsgesetz im Jahr 1982 und den Strafrechtsänderungsgesetzen in den Jahren

1987 und 1998 folgten weitreichende Änderungen im Bereich der §§ 304 ff StGB. Die letzte

wesentliche Reformierung des österreichischen Korruptionsstrafrechts, die nicht zuletzt von

der Umsetzung internationaler Antikorruptions-Übereinkommen (der UN, OECD, des

Europarates etc.) getragen war, erfolgte im Jahr 2008 und läutete damit eine neue Ära in der

Bekämpfung öffentlicher und privater Korruption ein (Eder-Rieder 2014, S. 71; Marek &

Jerabek 2014, S. 1). Die wichtigsten Novellierungsbereiche umfassten die Einführung des

Amtsträgerbegriffes (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB), die Neuregelung der Geschenkannahme und

Bestechung (ehemalige §§ 304 und 307 StGB) sowie die Einführung neuer Tatbestände wie

„Abgeordnetenbestechung“ (ehemaliger § 304a StGB), „Geschenkannahme durch

Bedienstete oder Beauftragte“ (ehemaliger § 168c StGB) und die „Bestechung von

Bediensteten oder Beauftragten“ (ehemaliger § 168d StGB) (BMI 2009, S. 12f.; Gepart 2009,

S. 11). Aufgrund unpräziser, zu weit gefasster Bestimmungen und der damit einhergehenden

öffentlichen Kritik wurde das Korruptionsstrafrecht im Jahr 2009 novelliert und teilweise

wieder entschärft. Unter anderem kam es zur Klarstellung des Amtsträgerbegriffes – auch im

Gesundheitsbereich (Schön & Schuschnigg 2009, S. 16ff.; Rupp 2011, S. 90; Eder-Rieder 2014,

S. 71; Marek & Jerabek 2014, S. 1). 2012 folgte die nächste weitreichende Korruptionsstraf-

rechtsänderungsnovelle. Zentrale Änderungen umfassten die Erweiterung des

Amtsträgerbegriffes (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB) mit vollständiger Einbeziehung von Abgeordneten

bzw. von Organen und Bediensteten staatsnaher Unternehmen, die Erweiterung der

inländischen Gerichtsbarkeit (§ 64 Abs. 1 StGB), die Neuregelung der Vorteilszuwendung (§

117

307a StGB) bzw. Vorteilsannahme (§ 305 StGB), des sogenannten „Anfütterns“ (§§ 306 und

307b StGB) und der verbotenen Intervention (§ 308 StGB) sowie im Bereich der

Privatkorruption die Zusammenführung der §§ 168c und 168d StGB zum nunmehr neuen

Tatbestand „Geschenkannahme und Bestechung durch Bedienstete und Beauftragte“ (§ 309

StGB). Zudem wurde das Privatanklageerfordernis (§ 168e StGB) abgeschafft, wodurch

Korruption im privaten Bereich zum Offizialdelikt erklärt und der Tatbestand der tätigen Reue

(ehemaliger § 307c StGB) aufgrund der bestehenden Kronzeugenregelung (§ 209a StPO)

ersatzlos gestrichen wurden. Die zentralsten Bestimmungen zum aktuellen

Korruptionsstrafrecht (§§ 304-309 StGB) finden sich nunmehr im 22. Abschnitt des

Besonderen Teils des Strafgesetzbuches unter der neuen Überschrift „Strafbare Verletzungen

der Amtspflicht, Korruption und verwandte strafbare Handlungen“, womit auch der Begriff

Korruption erstmalig Eingang ins Strafgesetzbuch fand (BMJ 2012, S. 3ff.; Eder-Rieder 2014,

S. 71f.; Marek & Jerabek 2014, S. 1). Ferner können auch § 153a StGB (Geschenkannahme

durch Machthaber), § 160 StGB (Umtriebe während einer Geschäftsaufsicht oder im

Insolvenzverfahren) sowie § 265 StGB (Bestechung bei der Wahl oder Volksabstimmung) zum

Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne gezählt werden (Eder-Rieder 2014, S. 72; Marek &

Jerabek 2014, S. 2; Schuschnigg 2015, S. 4). Häufig werden auch der Missbrauch der

Amtsgewalt (§ 302 StGB) und die Untreue (§ 153 StGB) unter das Korruptionsstrafrecht im

weiteren Sinne subsumiert, wobei es sich hierbei um keine „echten“ Korruptionsdelikte

handelt (BMJ 2012, S. 32ff.; Schuschnigg 2015, S. 4). Die Korruptionsstraftaten im engeren

Sinne (§§ 304-309 StGB) stellen grundsätzlich subsidiäre Auffangtatbestände dar, die erst in

Betracht kommen, wenn beispielsweise Strafbarkeit nach § 302 StGB (Missbrauch der

Amtsgewalt) oder § 153 StGB (Untreue) nicht vorliegt (Marek & Jerabek 2014, S. 2).

Wie bereits angedeutet, lässt sich das Korruptionsstrafrecht in einen öffentlichen und privaten

Bereich unterteilen. Im Vergleich zum privaten Korruptionsstrafrecht enthält das öffentliche

mehr Delikte und sieht auch strengere Strafdrohungen vor. Zudem wird im öffentlichen Sektor

zwischen pflichtwidriger32 und pflichtgemäßer33 Vornahme oder Unterlassung eines Amts-

geschäftes differenziert, während im privaten Sektor Pflichtwidrigkeit für die Strafbarkeit

32 Pflichtwidrigkeit liegt vor, wenn konkreten Amts- oder Dienstpflichten zuwidergehandelt bzw. gegen Gesetze, Verordnungen, Erlässe, Richtlinien, Dienstverträge etc. verstoßen wird (Marek & Jerabek 2014, S. 77). 33 Pflichtgemäß bedeutet, dass im Einklang mit den Rechtsnormen und nach sachlich-rechtlichen Erwägungen gehandelt wird. Darin liegt auch der wesentlichste Unterschied zur Pflichtwidrigkeit und somit zwischen Bestechung/Bestechlichkeit und Vorteilsannahme/Vorteilszuwendung begründet (Marek & Jerabek 2014, S. 79).

118

vorliegen muss (Deutscher Bundestag 2016, S. 7). Die Anwendung des Korruptionsstrafrechts

im öffentlichen Bereich setzt primär die Beteiligung sogenannter „Amtsträger“ am

Korruptionsdelikt voraus. Das heißt, dass die Erfüllung der Eigenschaft als Amtsträger nach

§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB vorliegen muss, damit das strengere öffentliche Korruptionsstrafrecht

überhaupt angewandt werden kann.

Amtsträger (§ 74 Abs. 1 Z 4a StGB)

Als Amtsträger gilt jeder, der für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen

Gemeindeverband, für eine andere Person des öffentlichen Rechts 34 (ausgenommen

Kirche oder Religionsgesellschaften), für einen anderen Staat oder für eine internationale

Organisation Aufgaben der Gesetzgebung, Verwaltung oder Justiz als deren Organ35 oder

Dienstnehmer 36 wahrnimmt (lit. b) oder der sonst im Namen der genannten Körper-

schaften befugt ist, in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte37 vorzunehmen (lit. c)38.

Amtsträger ist auch jeder, der als Organ oder Bediensteter eines Unternehmens tätig ist,

an dem eine oder mehrere inländische oder ausländische Gebietskörperschaften

unmittelbar oder mittelbar mit mindestens 50 % des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals

beteiligt sind, das eine solche Gebietskörperschaft allein oder gemeinsam mit anderen

solchen Gebietskörperschaften betreibt oder durch finanzielle oder sonstige

wirtschaftliche oder organisatorische Maßnahmen tatsächlich beherrscht; jedenfalls aber

jedes Unternehmen, dessen Gebarung der Überprüfung durch den Rechnungshof, dem

Rechnungshof gleichartige Einrichtungen der Länder oder einer vergleichbaren

internationalen oder ausländischen Kontrolleinrichtung unterliegt (lit. d)39. Somit fallen

grundsätzlich alle Rechtsträger des öffentlichen Rechts unter das Korruptionsstrafrecht,

inländische, ausländische und internationale Amtsträger eingeschlossen. Als Amtsträger

gelten allerdings nicht Personen, die nur Tätigkeiten untergeordneter Art ausüben und

34 Darunter fallen z.B. Ärzte-, Rechtsanwalts-, Arbeiter- oder Wirtschaftskammern, Universitäten, Krankenhäuser, Sozialversicherungsanstalten, Stiftungen und Fonds mit eigener Rechtspersönlichkeit (Eder-Rieder 2014, S. 72). 35 Als Organe seien beispielhaft genannt der Bundespräsident, Bundesminister, Abgeordnete, Mitglieder der Landesregierungen, Bürgermeister, Richter, Staatsanwälte (Eder-Rieder 2014, S. 72). 36 Dienstnehmer können z.B. Gemeindebedienstete, Verwaltungspraktikanten u.a. sein (Eder-Rieder 2014, S. 72). 37 Amtsgeschäfte umfassen alle Tätigkeiten eines Amtsträgers, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Vollziehungsaufgaben des Rechtsträgers stehen. Keine Amtsgeschäfte stellen allgemeine Delikte wie Diebstahl oder Veruntreuung dar (BMJ 2012, S. 31; Eder-Rieder 2014, S. 73f.). 38 Dies betriff z.B. Schöffen, Geschworene, Prüfer an Universitäten sowie „beliehene“ private Unternehmen oder Einzelpersonen wie TÜV-Prüfer (Eder-Rieder 2014, S. 72f.). 39 Dies trifft beispielsweise auf Organe und Bedienstete staatsnaher Unternehmen wie z.B. ÖBB Infrastruktur AG, Österreichische Post AG, Wiener Linien GmbH, ASFINAG GmbH sowie Krankenanstalten GmbH der Gebietskörperschaften (Salzburger Landeskliniken etc.) zu (BMJ 2012, S. 22; Eder-Rieder 2014, S. 73).

119

nicht direkt an den Vollziehungsaufgaben beteiligt sind (Reinigungskräfte, Portiere etc.)

(Schön & Schuschnigg 2009, S. 19; BMJ 2012, S. 16ff.; Eder-Rieder 2014, S. 72; Marek &

Jerabek 2014, S. 64ff.). Demzufolge stellen Ärzte, die in einem öffentlichen Krankenhaus

oder an einer Universität arbeiten, Amtsträger dar, während Ärzte, die in Privatkliniken

oder Ordensspitälern angestellt sind, dies nicht tun (Kern-Homolka et al. 2011, S. 9; Vock

2016). Lange Zeit blieb strittig, ob auch niedergelassene Ärzte oder Vertragsärzte vom

Amtsträgerbegriff erfasst sind und unter das Korruptionsstrafrecht im öffentlichen Sektor

fallen. Inzwischen sind sich Experten einig, dass dem nicht so ist, manche schließen

allerdings eine Strafbarkeit von Vertragsärzten nach § 309 StGB als Beauftragte der

gesetzlichen Krankenkassen nicht aus (Schrank & Meier 2012, S. 16f.; Koukol & Machan

2013, S. 126ff.; Schmoller 2013, S. 60). Demzufolge begeht ein niedergelassener Arzt, der

Provisionen für die Verschreibung bestimmter Arzneimittel annimmt, keine

Korruptionsstraftat als Amtsträger und grundsätzlich auch nicht nach § 309 StGB,

allerdings kann er nach § 55a AMG (vgl. AMG) geahndet werden (Deutscher Bundestag

2016, S. 9).

Zu den wichtigsten Korruptionstatbeständen im öffentlichen Sektor zählen laut geltender

Rechtslage:

Bestechung (§ 307 StGB)/Bestechlichkeit (§ 304 StGB)

Der Tatbestand der Bestechung (§ 307 StGB) liegt vor, wenn einem Amtsträger oder

Schiedsrichter für die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäftes

ein Vorteil 40 für ihn oder einen Dritten angeboten, versprochen oder gewährt wird.

Umgekehrt macht sich auch ein Amtsträger oder Schiedsrichter nach § 304 StGB strafbar,

wenn er für sich oder einen Dritten einen Vorteil für die pflichtwidrige Vornahme oder

Unterlassung eines Amtsgeschäftes fordert, annimmt oder sich versprechen lässt. Dies

trifft auch auf Vorteile für die Erstattung eines unrichtigen Befundes oder Gutachtens

40 Unter einem Vorteil versteht man jede Leistung materieller Art (Geldzahlungen, Wertgegenstände, Dienstleistungen mit einem bestimmten Marktwert etc.) oder immaterieller Art (gesellschaftliche und berufliche Vorteile wie die Unterstützung bei einem Bewerbungsgespräch oder Jobvermittlung, sexuelle Zuwendungen u.a.), die jemanden besser stellt, ohne einen rechtlich begründeten Anspruch darauf zu haben. Kein Vorteil liegt vor, wenn der Leistung eine angemessene Gegenleistung (Vortragshonorar, Übernahme der Kosten für Verpflegung, Unterkunft etc.) gegenübersteht. Auch bei regelmäßigen, wechselseitigen Essenseinladungen handelt es sich um keinen Vorteil im Sinne der Korruptionstatbestände. Ob der Vorteil vor, während oder nach der im Zusammenhang stehenden Amtsführung angenommen/gewährt wird, ist für die §§ 304, 305, 307 und 307b StGB irrelevant (BMJ 2012, S. 26; Marek & Jerabek 2014, S. 72ff.).

120

durch von einem Gericht oder einer anderen Behörde bestellten Sachverständigen zu. Eine

Geringfügigkeitsgrenze existiert nicht. Verstöße gegen § 307 oder § 304 StGB können in

Abhängigkeit von der Höhe des Vorteils mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren

geahndet werden (Eder-Rieder 2014, S. 75ff.; Marek & Jerabek 2014, S. 76ff.).

Vorteilszuwendung (§ 307a StGB)/Vorteilsannahme (§ 305 StGB)

Nach § 307a StGB ist es verboten, einem Amtsträger oder Schiedsrichter für die

pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäftes einen ungebührlichen

Vorteil für ihn oder einen Dritten anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren.

Umgekehrt macht sich auch ein Amtsträger oder Schiedsrichter nach § 305 StGB strafbar,

wenn er für sich oder einen Dritten für die pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung

eines Amtsgeschäftes einen Vorteil fordert oder einen ungebührlichen Vorteil annimmt

oder sich versprechen lässt. Das Fordern eines Vorteils ist stets strafbar, hier besteht keine

Ausnahmeregelung im Hinblick auf die Ungebührlichkeit des Vorteils. Keine ungebühr-

lichen Vorteile stellen laut § 305 Abs. 4 StGB Vorteile dar, die gesetzlich erlaubt sind oder

die im Rahmen von Veranstaltungen gewährt werden, an deren Teilnahme ein amtlich

oder sachlich gerechtfertigtes Interesse besteht (z.B. Zuwendungen im Rahmen von

ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen). Weiters stellen auch Vorteile für gemeinnützige

Zwecke, auf deren Verwendung kein bestimmender Einfluss seitens Amtsträger oder

Schiedsrichter ausgeübt werden kann, sowie orts- oder landesübliche Aufmerksamkeiten

geringfügigen Wertes (< 100 Euro nach aktueller Judikatur) – außer, wenn die Tat

gewerbsmäßig begangen wird – keine ungebührlichen Vorteile dar. Die Strafobergrenze

liegt bei fünf Jahren Freiheitsstrafe. Das tatsächliche Strafmaß hängt von der Höhe des

Vorteils ab (BMJ 2012, S. 35ff.; Eder-Rieder 2014, S. 76ff.; Marek & Jerabek 2014, S. 78ff.).

Vorteilszuwendung zur Beeinflussung (§ 307b StGB)/Vorteilsannahme zur Beeinflussung

(§ 306 StGB)

Eine Vorteilszuwendung zur Beeinflussung (§ 307b StGB) liegt vor, wenn einem Amtsträger

oder einem Schiedsrichter ein ungebührlicher Vorteil für ihn oder einen Dritten mit dem

Vorsatz angeboten, versprochen oder gewährt wird, ihn dadurch in seiner Tätigkeit als

Amtsträger zu beeinflussen. Ebenso ist die Vorteilsannahme zur Beeinflussung (§ 306

StGB) strafbar, wenn ein Amtsträger oder Schiedsrichter mit dem Vorsatz, sich dadurch in

seiner Tätigkeit als Amtsträger beeinflussen zu lassen, für sich oder einen Dritten einen

Vorteil fordert oder einen ungebührlichen Vorteil annimmt oder sich versprechen lässt.

121

Ausgenommen von der Strafbarkeit nach § 306 Abs. 1 StGB ist das Annehmen und Sich-

versprechen-lassen von geringfügigen Vorteilen (§306 Abs. 3 StGB), es sei denn, die Tat

wird gewerbsmäßig begangen41. Allerdings ist das Fordern eines Vorteils stets strafbar,

unabhängig von der Geringfügigkeit des Vorteils. Die Tatbestände beziehen sich auf das

sogenannte Anfüttern bzw. die vorsorgliche Vorteilszuwendung oder -annahme

(„Klimapflege“). Auch wenn kein unmittelbarer Zusammenhang mit einem konkreten

Amtsgeschäft vorliegt, dienen die Zuwendungen dazu, den Amtsträger oder Schiedsrichter

vorsorglich bzw. im Bedarfsfall „gewogen“ zu stimmen. Das Strafmaß ist von der Höhe des

Vorteils abhängig; die Strafobergrenze liegt bei fünf Jahren Freiheitsstrafe (BMJ 2012,

S. 47ff.; Eder-Rieder 2014, S. 78ff.; Marek & Jerabek 2014, S. 83ff.; Deutscher Bundestag

2016, S. 11f.). Grundsätzlich ist bei allen Korruptionsdelikten die Strafbarkeit auf Geber-

und Nehmerseite gesondert zu prüfen. So erscheint es beispielsweise möglich, dass der

Zuwender nach § 307b StGB bestraft wird, weil er die Absicht verfolgt hat, den Amtsträger

durch die Vorteilszuwendung in seiner Amtsführung zu beeinflussen. Währenddessen

bleibt der Amtsträger im Falle eines geringfügigen Vorteils straffrei, da er den Vorteil ohne

den Vorsatz angenommen hat, sich dadurch in seiner Amtsführung beeinflussen zu lassen

(BMJ 2012, S. 47 und S. 66).

Verbotene Intervention (§ 308 StGB)

Unter einer verbotenen Intervention (§ 308 StGB) versteht man das Anbieten,

Versprechen oder Gewähren bzw. das Fordern, Annehmen oder Sich-versprechen-lassen

eines Vorteils für sich oder einen Dritten für die ungebührliche Einflussnahme auf die

Entscheidungsfindung eines Amtsträgers oder Schiedsrichters. Als ungebührlich gilt die

Einflussnahme dann, wenn sie auf die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines

Amtsgeschäftes abzielt oder mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines

ungebührlichen Vorteils für den Amtsträger oder für ihn an einen Dritten verbunden ist.

In Abhängigkeit von der Höhe des Vorteils kann eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren

verhängt werden, es sei denn, die Tat ist nach einer anderen Bestimmung strenger zu

ahnden (BMJ 2012, S. 69ff.; Eder-Rieder 2014, S. 81; Marek & Jerabek 2014, S. 93ff.). Mit

41 Nach § 305 Abs. 4 Z 3 StGB stellen orts- oder landesübliche Aufmerksamkeiten geringen Werts keinen

ungebührlichen Vorteil dar. Handelt es sich um keine orts- oder landesübliche Aufmerksamkeit, können auch Beträge unter 100 Euro geahndet werden. Nach § 306 Abs. 3 StGB fällt das Erfordernis einer orts- oder landesüblichen Aufmerksamkeit weg, es reicht, wenn es sich um einen geringfügigen Vorteil handelt (BMJ 2012, S. 65).

122

dieser Bestimmung sollen insbesondere Formen des gesetzwidrigen Lobbyismus

(„Interventionsunwesen“) bekämpft werden (Eder-Rieder 2014, S. 81; Deutscher

Bundestag 2016, S. 12).

Missbrauch der Amtsgewalt (§ 302 StGB)

Zum Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne wird häufig auch der Missbrauch der

Amtsgewalt gezählt, wobei es sich hierbei eigentlich um kein Korruptionsdelikt handelt,

da grundsätzlich kein Vorteil im Spiel sein muss (Schuschnigg 2015, S. 4). Nach § 302 StGB

ist ein Beamter, der seine Befugnis, im Namen des Bundes, eines Landes, eines

Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes

als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, vorsätzlich

missbraucht, um andere an ihren Rechten zu schädigen, mit einer Freiheitsstrafe bis zu

fünf Jahren zu bestrafen. Wird die Tat bei der Führung eines Amtsgeschäfts mit einer

fremden Macht oder einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung begangen oder

übersteigt der Schaden 50.000 Euro, so kann eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren

verhängt werden. Der Missbrauch der Amtsgewalt stellt grundsätzlich eine „bevorrangte“

Norm dar; d.h., erst wenn diese nicht zur Anwendung gelangt, kommen die subsidiären

Auffangtatbestände (§§ 304-308 StGB) in Betracht (Marek & Jerabek 2014, S. 55).

Im Bereich der Privatkorruption sind als wichtigste Tatbestände zu nennen:

Geschenkannahme und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten

(§ 309 StGB)

Einen zentralen Korruptionstatbestand im privaten Bereich stellt die „Geschenkannahme

und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten“ nach § 309 StGB dar (Deutscher

Bundestag 2016, S. 13). Nach dieser Bestimmung ist es verboten, einem Bediensteten oder

Beauftragten eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr für die pflichtwidrige

Vornahme oder Unterlassung einer Rechtshandlung einen Vorteil für ihn oder einen

Dritten anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren. Ebenso ist es Bediensteten oder

Beauftragten eines Unternehmens nicht erlaubt, Vorteile im gleichen Kontext zu fordern,

anzunehmen oder sich versprechen zu lassen. Die einstige Geringfügigkeitsgrenze wurde

abgeschafft. Im Gegensatz zur Untreue (§ 153 StGB) reicht für die Erfüllung des

Tatbestandes bedingter Vorsatz aus, eine Vermögensschädigung muss nicht vorliegen.

Verstöße gegen § 309 StGB können in Abhängigkeit von der Höhe des Vorteils mit einer

123

Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden (BMJ 2012, S. 33f.; Eder-Rieder 2014,

S. 82; Marek & Jerabek 2014, S. 96ff.). Wie bereits erwähnt, fallen niedergelassene

Vertragsärzte nach mehrheitlicher juristischer Auffassung nicht unter § 309 StGB, da sie

auch nicht als Bedienstete oder Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen angesehen

werden (Deutscher Bundestag 2016, S. 13). Die endgültige Klärung dieser Rechtsfrage

steht aber noch aus (Schrank & Meier 2012, S. 16f.; Koukol & Machan 2013, S. 128f.).

Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB)

Zum Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne wird auch die Geschenkannahme durch

Machthaber gezählt. Nach § 153a StGB kann jeder geahndet werden, der für die Ausübung

der ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumten Befugnis,

über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, einen nicht bloß

geringfügigen Vermögensvorteil annimmt und pflichtwidrig nicht abführt. Eine

Strafbarkeit nach § 153a StGB liegt lediglich dann vor, wenn die Annahme und

Einbehaltung einer Zuwendung sich nicht nachteilig auf den Machtgeber auswirkt (in dem

Fall käme Untreue und ihre Strafbarkeit nach § 153 StGB in Betracht) bzw. im Unterschied

zu § 309 StGB ein pflichtgemäßes Handeln angeboten wurde. Das Strafmaß kann eine

Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen umfassen

(Eder-Rieder 2014, S. 82f.). Strittig bleibt indes, inwiefern auch der Vorteilsgeber als

Beteiligter nach § 153a StGB geahndet werden kann (Marek & Jerabek 2014, S. 122).

Untreue (§ 153 StGB)

Unter das Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne wird häufig auch der Tatbestand der

Untreue (§ 153 StGB) subsumiert, wobei es sich hierbei grundsätzlich um ein reines

Vermögensdelikt handelt (Niehaus 2012, S. 57). Untreue begeht, wer seine Befugnis, über

fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich

missbraucht und dadurch den anderen am Vermögen schädigt. In Abhängigkeit von der

Schadenshöhe können Verstöße gegen § 153 StGB entweder mit einer Geldstrafe bis zu

360 Tagessätzen oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren geahndet werden.

Grundsätzlich stellt Untreue eine „bevorrangte“ Norm dar (BMJ 2012, S. 32f.; Marek &

Jerabek 2014, S. 57ff.). Einen charakteristischen Fall von Untreue stellen sogenannte

Kickback-Vereinbarungen im Geschäftsverkehr dar (vgl. Kapitel 3.3). Darunter fallen

(verdeckte) Provisionsabsprachen, Geschenkabsprachen, „Schmiergeldabsprachen“, die

zwischen Arbeitnehmern und Geschäftspartnern beim Abschluss von Rechtsgeschäften

124

vereinbart werden und die zulasten deren Arbeitgeber bzw. Geschäftsherren gehen. Liegt

allerdings keine Vermögensschädigung des Arbeitgebers bzw. Geschäftsherren vor, ist der

Tatbestand der Untreue nicht erfüllt; dann kommt Strafbarkeit nach §§ 304, 305 oder 153a

StGB in Betracht (BMJ 2012, S. 33ff.).

Weitere Tatbestände, die dem privaten Korruptionsstrafrecht im weiteren Sinne

zugeordnet werden können, stellen § 160 StGB (Umtriebe während einer

Geschäftsaufsicht oder im Insolvenzverfahren) und § 265 StGB (Bestechung bei der Wahl

oder Volksabstimmung) dar, die allerdings an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden

(Eder-Rieder 2014, S. 72; Schuschnigg 2015, S. 4). Dies gilt auch für jene Straftaten, die

nicht zur Korruption im strafrechtlichen Sinne gezählt werden, wohl aber als Begleitdelikte

auftreten können, wie beispielsweise Erpressung (§ 144 StGB), Veruntreuung (§ 133 StGB),

Unterschlagung (§ 134 StGB) oder Betrug (§ 146 StGB) (Niehaus 2012, S. 57).

B. Außerstrafrechtliche Regelungen

Neben den strafrechtlichen Bestimmungen existieren in Österreich auch außerstrafrechtliche

Regelungen zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitssystem, deren Geltungsbereich

sich zumeist nur auf einzelne Berufsgruppen (Beamte, Ärzte, Sozialversicherungsmitarbeiter,

Lobbyisten etc.) oder Gebiete (Arzneimittel- und Medizinproduktebereich etc.) beschränkt

(Deutscher Bundestag 2016, 14).

Ärztegesetz (ÄrzteG)

Der § 53 ÄrzteG beinhaltet eine Werbebeschränkung und ein Provisionsverbot. Demnach

dürfen Ärzte keine unwahren, unsachlichen oder unstandesgemäßen Äußerungen im

Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung machen. Das Vergeben, Versprechen, Annehmen

oder Sich-zusichern-lassen von Vergütungen für die Zuweisung von Kranken an sich oder

andere ist ebenfalls untersagt. Gegen dieses Verbot verstoßende Rechtsgeschäfte sind als

nichtig zu betrachten. Daraus resultierende Leistungen können zurückgefordert werden. Die

laut § 53 ÄrzteG verbotenen Tätigkeiten sind auch Gruppenpraxen sowie sonstigen physischen

und juristischen Personen untersagt (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36).

125

Arzneimittelgesetz (AMG)

Laut § 55a AMG sind Prämien, finanzielle oder materielle Vorteile im Rahmen der

Verkaufsförderung für Arzneimittel an zur Verschreibung oder Abgabe berechtigte Personen

untersagt, unabhängig davon, ob sie gewährt, angeboten, versprochen bzw. gefordert,

angenommen oder sich versprochen gelassen werden. Ausgenommen von diesem Verbot sind

materielle Vorteile von geringem Wert und solche, die für die medizinische oder

pharmazeutische Praxis von Belang sind. Die Bestimmungen stehen der direkten oder

indirekten Übernahme von angemessenen Reise- und Aufenthaltskosten und den

Teilnahmegebühren bei ausschließlich berufsbezogenen wissenschaftlichen Veranstaltungen

nicht entgegen, allerdings dürfen solche Kosten nicht für andere als die zur Verschreibung

oder Abgabe berechtigten Personen übernommen werden. Der Repräsentationsaufwand

muss immer streng auf den wissenschaftlichen Hauptzweck der Veranstaltung begrenzt sein.

Gemäß § 55b AMG sind auch Naturalrabatte an zur Verschreibung oder Abgabe berechtigte

Personen betreffend im Erstattungskodex enthaltene Arzneimittel verboten, egal ob sie

gewährt, angeboten, versprochen bzw. gefordert, angenommen oder sich versprochen

gelassen werden (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36). Allerdings sind Geldrabatte im gleichen

Ausmaß sowie Naturalrabatte an Krankenanstalten nach wie vor von der Regelung

ausgenommen (Piribauer 2010, S. 85). Verstöße gegen die §§ 55a und 55b AMG können nach

§ 84 AMG mit einer Geldstrafe bis zu 25.000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 50.000 Euro

geahndet werden (Deutscher Bundestag 2016, S. 16).

Medizinproduktegesetz (MPG)

Ähnlich wie § 55a AMG untersagt § 108 MPG Prämien, finanzielle oder materielle Vorteile an

Personen, die im Rahmen der Verschreibung, Abgabe, Beschaffung für Einrichtungen des

Gesundheitswesens, Errichtung, Inbetriebnahme oder Anwendung von Medizinprodukten

Aufgaben übernehmen, egal ob sie gewährt, angeboten, versprochen bzw. gefordert,

angenommen oder sich versprochen gelassen werden. Ausgenommen von diesem Verbot sind

materielle Vorteile von geringem Wert und solche, die für die medizinische oder

medizintechnische Praxis von Belang sind (Kern-Homolka et al. 2011, S. 36). Verstöße gegen

§ 108 MPG können nach § 111 MPG mit einer Geldstrafe bis zu 25.000 Euro, im

Wiederholungsfall bis zu 50.000 Euro geahndet werden (Deutscher Bundestag 2016, S. 16).

126

Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG)

Mit dem Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG) trat 2016 ein Bundesgesetz zur

Verbesserung der Abwehr, Verhinderung und Verfolgung von Sozialbetrug

(Beitragshinterziehung, E-Card-Missbrauch, missbräuchliche Inanspruchnahme von

Krankenständen u.a.) in Kraft. Solche illegalen Verhaltensweisen sollen insbesondere durch

die verbesserte Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung (Datenaustausch etc.)

sowie wirksame Kontrolle der zuständigen Behörden und Einrichtungen eingedämmt werden

(LSE 2017a, S. 578).

Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG) und Vertragsbedienstetengesetz (VBG)

Der § 59 BDG sieht ein dienstrechtliches Geschenkannahmeverbot vor. Laut dieser Regelung

ist es Beamten untersagt, im Hinblick auf ihre amtliche Stellung für sich oder einen Dritten ein

Geschenk, einen anderen Vermögensvorteil oder einen sonstigen Vorteil zu fordern,

anzunehmen oder sich versprechen zu lassen. Orts- oder landesübliche Aufmerksamkeiten

von geringem Wert gelten nicht als Geschenke in diesem Sinne. Die Regelung nach § 59 BDG

gilt gemäß § 5 VBG auch für Vertragsbedienstete des Bundes. Ähnliche Bestimmungen gelten

für Landes- und Gemeindebeamte nach dem Dienstrecht der jeweiligen Länder. Verstöße

gegen diese Vorschriften gehen mit disziplinar- oder dienstrechtlichen Konsequenzen einher

(Deutscher Bundestag 2016, S. 14). Was Nebenbeschäftigungen betrifft, so sind diese nach §

56 BDG bzw. § 5 VBG dann untersagt, wenn sie Beamte oder Vertragsbedienstete an der

Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben behindern, die Vermutung ihrer Befangenheit

hervorrufen oder sonstige wesentliche dienstliche Interessen gefährden (ÄK Tirol 2013, S. 18;

Grimm 2013, S. 110f.). Jedenfalls unterliegen Nebenbeschäftigungen von Beamten und

Vertragsbediensteten der gesetzlichen Meldepflicht gegenüber der jeweiligen Dienstbehörde

(ÄK Tirol 2013, S. 18).

Dienstordnungen der österreichischen Sozialversicherung

Die Dienstordnungen für Sozialversicherungsmitarbeiter (Verwaltungsangestellte, Pflege-

personal, Ärzte, medizinisch-technische Dienste etc.) enthalten Vorschriften zur Vermeidung

von Korruption im Gesundheitswesen. Nach diesen Bestimmungen ist es

Sozialversicherungsmitarbeitern untersagt, in Ausübung ihres Dienstes Versicherte und

Leistungsempfänger oder deren Dienstgeber zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Weder

127

die Annahme von Geschenken (orts- und landesübliche Aufmerksamkeiten ausgenommen)

noch das Sich-zuwenden oder Sich-zusichern-lassen sonstiger Vorteile ist erlaubt (Gruber et

al. 2013, S. 117; Deutscher Bundestag 2016, S. 14).

Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat im Jahr 2016 Richtlinien

für die Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung von Kontrollen im

Vertragspartnerbereich (RLVPK) gemäß § 31 Abs. 5 Z 12 ASVG erlassen, zu denen die

Sozialversicherungsträger gemäß § 32a ASVG verpflichtet sind (LSE 2017a, S. 578). Nach § 5

RLVPK sind Kontrollen der Vertragspartner (Vertragsärzte, Vertragsgruppenpraxen,

Krankenanstalten, Apotheken u.a.) von jedem Sozialversicherungsträger (durch eigene

Bedienstete oder beauftragte Dritte) entsprechend der individuellen Situation durchzuführen.

Schwerpunktmäßig können für die Kontrollen die vertragskonforme Leistungserbringung,

ungerechtfertigte Krankmeldungen, die Verrechnung nicht bzw. unvollständig erbrachter

Leistungen, auffällige Veränderungen bei Wartezeiten für die Erlangung bestimmter

Leistungen u.a. in Betracht kommen (HVSV 2016a).

Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG)

Seit 2011 sind die Träger von öffentlichen und privat gemeinnützigen Krankenanstalten nach

§ 5a Abs. 2 KAKuG zur Einrichtung eines transparenten Wartelistenregimes in anonymisierter

Form für elektive Operationen sowie für Fälle invasiver Diagnostik (zumindest für die Fächer

Augenheilkunde und Optometrie, Orthopädie und orthopädische Chirurgie sowie

Neurochirurgie) verpflichtet, sofern die jeweilige Wartezeit vier Wochen überschreitet.

Kriterien für den Ablauf und die Organisation des Wartelistenregimes sind durch die

Landesgesetzgebung festzusetzen, wobei die Gesamtanzahl der pro Abteilung für den Eingriff

vorgemerkten Personen und von diesen die der Sonderklasse angehörigen vorgemerkten

Personen erkennbar zu machen sind. Zudem sieht § 5a Abs. 3 KAKuG ein individuelles

Auskunftsrecht über die gegebene Wartezeit für den Eingriff vorgemerkter Personen vor.

Sofern technisch möglich, ist die Auskunftseinholung tunlichst auf elektronischem Wege zu

ermöglichen (Czypionka et al. 2013, S. 2f.).

128

Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz (LobbyG)

Das Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz von 2013 regelt Verhaltens-

und Registrierungspflichten bei Tätigkeiten, die auf die unmittelbare Beeinflussung

bestimmter Entscheidungsprozesse in der Gesetzgebung oder Vollziehung des Bundes, der

Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände abzielen (§ 1 LobbyG). So hat jeder, der eine

Lobbying-Tätigkeit oder eine Interessenvertretung wahrnimmt, u.a. seine Aufgabe und

Identität beim erstmaligen Kontakt mit einem Funktionsträger offenzulegen, Informationen

wahrheitsgemäß weiterzugeben und es zu unterlassen, sich Informationen auf unlautere Art

und Weise zu beschaffen oder unangemessenen bzw. unlauteren Druck auf Funktionsträger

auszuüben (§ 6 LobbyG). Weiters untersagt das Gesetz die Ausübung einer Lobbying-Tätigkeit

für wichtige Funktionsträger wie öffentlich Bedienstete und Politiker (§ 8 LobbyG) und sieht

eine Eintragungspflicht in das öffentlich einsehbare, elektronische Lobbying- und

Interessenvertretungsregister des Bundesministeriums für Justiz für Lobbying-Unternehmen,

Unternehmen, die Unternehmenslobbyisten beschäftigen, Selbstverwaltungskörper und

Interessenverbände vor (§ 9 LobbyG). Allenfalls dürfen Lobbying-Unternehmen,

Unternehmen, die Unternehmenslobbyisten beschäftigen, Lobbyisten und

Unternehmenslobbyisten keine Lobbying-Tätigkeiten ausüben – erst ab Bekanntgabe zur

Eintragung in das Register sowie während aufrechter Eintragung (§ 5 LobbyG). Nach § 1

LobbyG fallen politische Parteien, Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Österreichische

Gemeinde- und Städtebund, die gesetzlichen Sozialversicherungsträger und deren

Hauptverband sowie Interessenverbände, die keine Interessenvertreter beschäftigen, nicht

unter das LobbyG. In weiten Teilen ist das Bundesgesetz u.a. auf die Interessenvertretung

durch die Sozialpartner sowie durch sonstige Selbstverwaltungskörper und Interessen-

verbände nicht anzuwenden (TI-AC 2014, S. 2f.).

Verordnung über die Meldepflicht nicht-interventioneller Studien (NIS-Verordnung)

Die Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BGBl II Nr. 180/2010; geändert

durch BGBl. II Nr. 484/2012) über die Meldepflicht nicht-interventioneller Studien auf

Grundlage des § 48 Abs. 3 AMG sieht vor, dass jede inländische nicht-interventionelle Studie

seitens der Verantwortlichen vor ihrer Durchführung dem Bundesamt für Sicherheit im

Gesundheitswesen (BASG) unter Angabe aller erforderlichen Informationen elektronisch zu

melden und in das elektronische, öffentlich einsehbare Register des BASG aufzunehmen ist

129

(§§ 4-5 NIS-Verordnung). Weiters sieht die NIS-Verordnung u.a. vor, dass Patienten

hinsichtlich ihrer Teilnahme an einer nicht-interventionellen Studie aufzuklären sind (§ 2 NIS-

Verordnung) und ein Abschlussbericht dem BASG vorzulegen ist (§ 7 NIS-Verordnung) (Rupp

2011, S. 90; BASG 2014, S. 1ff.).

Bundesvergabegesetz (BVergG)

Das Bundesvergabegesetz zielt neben der Gleichbehandlung aller Bewerber/Bieter und dem

Transparenzgebot auf die Sicherstellung eines freien und lauteren Wettbewerbs ab.

Demzufolge sind Bestechung, Preisabsprachen und die Ausnutzung einer markt-

beherrschenden Stellung untersagt (Gruber et al. 2013, S. 124). Zur Gewährleistung der

Einhaltung dieser Grundsätze stellt das Vergaberecht ein umfangreiches Rechtsschutz-

instrumentarium zur Verfügung (Deutscher Bundestag 2016, S. 16). Aktuell liegt der Entwurf

für ein Vergaberechtsreformgesetz 2017 zur Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien

(2014/24/EU und 2014/25/EU) vor, der die Erlassung eines neuen Bundesvergabegesetzes

2017 und die Aufhebung des Bundesvergabegesetzes 2006, die bereits erforderliche

Änderung des Bundesvergabegesetzes 2017 und die Novellierung des Bundesvergabegesetzes

für Verteidigung und Sicherheit 2012 vorsieht. Die Änderungen umfassen u.a. die ab

18.10.2018 verpflichtende elektronische Auftragsvergabe für alle öffentlichen Auftraggeber,

die Verpflichtung zur Bekanntgabe vergebener Aufträge über 50.000 Euro (unter

www.data.gv.at) sowie strengere Regeln zum Verbot der Umgehung des Vergaberechts (Gast

2017).

Schlussfolgernd lässt sich Folgendes festhalten: Während bestimmte korrupte

Verhaltensweisen zweifellos unter Strafe gestellt sind, stellen einige noch einen sogenannten

„Graubereich“ dar und bedürfen zukünftig der vermehrten Klarstellung und gegebenenfalls

Rechtsprechung, damit deren Auslegung als Korruption nicht länger von der persönlichen

Einstellung, den individuellen Werten und Normen abhängig ist (Kiesl 2010, S. 13f.;

Europäische Kommission 2013, S. 92f.). Beispielsweise bleibt nach wie vor fraglich, ab wann

die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Stellen (z.B. Sponsoring, Lobbying,

Drittmittelforschung) keine Kooperation mehr darstellt, sondern bereits eine korrupte

Handlung mit dem Ziel der Einflussnahme auf öffentliche Entscheidungsträger und daher

unter das Strafrecht gestellt werden müsste (Niehaus 2012, S. 55f.). Auf spezifische

130

Regelungslücken und Graubereiche von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

wird im Rahmen der explorativen qualitativen Studie (vgl. Kapitel 5.7.4) noch näher

eingegangen. Fest steht, dass der strafrechtliche Umgang mit Korruption viel juristischen

Diskussionsstoff bietet.

4.2.2 Bisherige Antikorruptionsmaßnahmen

Laut einer anonymisierten Expertenaussage wurde die Antikorruptionsbewegung im

österreichischen Gesundheitssystem Anfang der Jahrtausendwende seitens des damaligen

Leiters des Büros für Interne Angelegenheiten (BIA) im Innenministerium und des heutigen

Leiters der Antikorruptionsakademie in Laxenburg (IACA – International Anti-Corruption

Academy), Martin Kreutner, angestoßen. Mit nahezu missionarischem Eifer versuchte dieser

damals, nachdem er die Relevanz der Thematik erkannte, die Materie über diverse Medien-

und Pressearbeit der Bevölkerung näher zu bringen. Mittlerweile gilt er nicht nur

österreichweit, sondern auch weltweit als einer der einflussreichsten Korruptionsexperten

(Fried 2005, S. 5). Zivilgesellschaftlich betrachtet kann auch Bernhard Rupp (Gesundheits-

experte der niederösterreichischen Arbeiterkammer) als der First Mover bezeichnet werden,

der sich noch vor der Gründung des österreichischen Vereins zur Korruptionsbekämpfung

Transparency International – Austrian Chapter im Jahr 2005 mit der Korruptionsthematik im

Gesundheitssystem auseinandergesetzt und sich zunehmend darin engagiert hat. Unter

anderem gründete er in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Krems ein eigenes Netzwerk

und bot Vorlesungen an unterschiedlichen österreichischen Hochschulen an (Fried 2005, S. 9),

die allerdings aufgrund der sehr konfliktreichen Thematik kurz darauf eingestellt werden

mussten. Daraufhin löste er sein Netzwerk auf und trat der 2006 gegründeten Arbeitsgruppe

„Gesundheitswesen“ von Transparency International –Austrian Chapter bei, bei der er nach

wie vor als aktives Mitglied tätig ist. Im Jahr 2007 setzte der Verein zur

Korruptionsbekämpfung mit der Veröffentlichung seines Grundsatzpapiers

„Transparenzmängel im Gesundheitswesen: Einfallstore zur Korruption“ (TI-AC 2010) den

ersten wichtigen Schritt in Richtung „Enttabuisierung des Themas und Schaffung eines

öffentlichen Problembewusstseins“. Trotz einiger Kritik an der empfundenen

Pauschalverurteilung seitens Politikern und Akteuren des Gesundheitssystems, gelang es den

Aktivisten einige wichtige Aktivitäten zur Korruptionsprävention und -bekämpfung anzuregen.

Unter anderem wurden – wie gefordert – alle Wiener Gemeindespitäler auf Transparenz und

131

Antikorruptionsmaßnahmen durch das Kontrollamt überprüft, was zu sichtbaren

Antikorruptionsbemühungen (wie der Neuregelung von Dienstreisen, Drittmitteln und

Fortbildungen etc.) seitens des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) geführt hat. 2008

wurde das Thema „Transparenz im Gesundheitswesen“ sogar ins Regierungsprogramm der

neu gewählten SPÖ-ÖVP-Koalition aufgenommen (Rupp 2011, S. 89). Nach wie vor engagiert

sich die Arbeitsgruppe für die Korruptionsthematik im Gesundheitssystem über diverse

Kontakte mit Medien, Meinungsbildnern und Entscheidungsträgern, Publikationen,

Podiumsdiskussionen, Veranstaltungen und Stellungnahmen (TI-AC 2010, S. 2). Primäres Ziel

liegt in der Schaffung einer Antikorruptionskultur und der Prävention (Rupp 2006, S. 3). Im

Bedarfsfall bietet der Verein auch anonyme und diskrete Hilfestellungen an (laut einer

anonymisierten Expertenaussage).

Welche sonstigen Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung im nationalen Gesundheits-

system sowohl vor als auch nach der Veröffentlichung des Grundsatzpapiers der

Arbeitsgruppe von Transparency International – Austrian Chapter gesetzt worden sind und

mitunter zur vermehrten Aufklärung, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung beigetragen

haben, gilt es nachfolgend näher zu ergründen.

1. Verschärfung des rechtlichen Rahmens

Wie im vorherigen Kapitel (Kapitel 4.2.1) bereits ausführlich dargelegt wurde, hat sich in den

letzten zehn Jahren in Sachen Korruptionsbekämpfung insbesondere auf juristischer Ebene

einiges getan. Im Jahr 2006 wurden Naturalrabatte an niedergelassene Ärzte gesetzlich

verboten (§ 55b AMG). 2008 folgte die Verschärfung des Korruptionsstrafrechtes, um

Korruption im öffentlichen und privaten Bereich effektiver einzudämmen. Allerdings kam es

2009 aufgrund unpräziser Bestimmungen und notwendiger Klarstellungen (insbesondere im

Hinblick auf den Amtsträgerbegriff sowie auch Kongressteilnahmen und Kontakten zu

Pharma- und Medizinprodukteunternehmen) zu einer erneuten Novellierung und teilweisen

Entschärfung der Korruptionstatbestände (Schön & Schuschnigg 2009, S. 16ff.; Rupp 2011,

S. 90). 2010 wurde die Meldepflicht für nicht-interventionelle Studien auf Grundlage der

gemäß § 48 Abs. 3 AMG erlassenen Verordnung des Bundesministers für Gesundheit (BGBl II

Nr. 180/2010; geändert durch BGBl. II Nr. 484/2012) eingeführt (Rupp 2011, S. 90; BASG 2014,

132

S. 1ff.). Des Weiteren wurden mit der Novellierung des Krankenanstalten- und Kuranstalten-

gesetzes (§ 5a Abs. 2 KAKuG) im Jahr 2011 öffentliche und privat-gemeinnützige Kranken-

anstalten zur Einrichtung eines transparenten Wartelistenregimes für elektive Operationen

sowie für Fälle invasiver Diagnostik verpflichtet (Czypionka et al. 2013, S. 2f.). 2012 folgte die

nächste Korruptionsstrafrechtsänderungsnovelle, mit der der Begriff Korruption erstmalig

Eingang in das Strafgesetzbuch fand (BMJ 2012, S. 3ff.). Ein Jahr später verabschiedete der

Nationalrat das Lobbying- und Interessensvertretungs-Transparenz-Gesetz (LobbyG); 2016

folgte die Einführung des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG) und die gesetzliche

Verankerung des Mystery Shoppings42 gemäß § 32a ASVG und die auf dessen Grundlage

erlassene Durchführungsrichtlinie (RLVPK).

2. Einrichtung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA)

Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2008 wurde auch die bundesweit zuständige

Korruptionsstaatsanwaltschaft (KStA) eingerichtet, die seit 2009 tätig ist, der

Oberstaatsanwaltschaft Wien unterliegt und befugt ist, Korruptionsfälle dank der Bündelung

notwendiger Qualifikation und Expertise selbstständig zu verfolgen (BMI 2009, S. 12). 2011

wurde diese Sondereinrichtung der Justiz in die Wirtschafts- und Korruptions-

staatsanwaltschaft (WKStA) überführt und verfolgt seitdem neben Korruptionsdelikten (nach

den §§ 304-309, § 153a und gegebenenfalls § 302 StGB) auch Wirtschaftsstrafsachen. Das

Ermittlungsverfahren erfolgt grundsätzlich in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt zur

Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK), welches 2010 das Büro für Interne

Angelegenheiten im Innenministerium abgelöst hat, sowie mit ausländischen

Korruptionsbekämpfungseinrichtungen wie OLAF, Interpol, Europol etc. (Eder-Rieder 2014, S.

84; TI-AC 2016a, S. 3). 2013 wurde auch ein anonymes Hinweisgebersystem („Whistleblower-

Homepage“) seitens der WKStA installiert (TI-AC 2016a, S. 8). Eine anonyme Meldestelle für

Korruptionsfälle im Gesundheitswesen sowie eine weisungsfreie, unabhängige

Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem zur Prävention und Kontrolle, wie sie bereits vor

zehn Jahren seitens Transparency International – Austrian Chapter vorgeschlagen wurden,

sind allerdings nach wie vor ausständig (TI-AC 2010, S. 29).

42 Auf das Thema „Mystery Shopping“ wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch näher eingegangen.

133

3. Forcierung antikorruptionsrelevanter wissenschaftlicher Einrichtungen, Initiativen,

Veranstaltungen und Projekte

Um die Einflussnahme der Industrie auf Entscheidungsträger des Gesundheitssystems

(insbesondere Mediziner) zu unterbinden, wurden in den letzten Jahren spezielle

wissenschaftliche Einrichtungen zur objektiven Beurteilung klinischer Studien eingerichtet

(Kern-Homolka et al. 2011, S. 42ff.). Dazu zählt in erster Linie das Ludwig Boltzmann Institut

für Health Technology Assessment43 (LBI-HTA), welches 2006 als unabhängige Institution zur

evidenzbasierten Entscheidungsunterstützung im Gesundheitswesen und für einen

effizienteren Ressourceneinsatz gegründet wurde (LBI-HTA 2016). Im darauffolgenden Jahr

(2007) folgte auf Bundesebene die Etablierung des Bundesinstitutes für Qualität im

Gesundheitswesen (BIQG), welches einen Teil der Gesundheit Österreich Gesellschaft (GÖG)

darstellt und mit der Konzipierung, Umsetzung und Evaluation eines gesamtösterreichischen

Qualitätssystems zur Sicherstellung und Steigerung von Transparenz, Patientenorientierung,

Effektivität und Effizienz beauftragt wurde (GÖG 2017). Ein Bereich beschäftigt sich speziell

mit dem Thema „Qualität und Wirtschaftlichkeit“ mittels der HTA-Methode (Kern-Homolka et

al. 2011, S. 42). Neben solcher wissenschaftlicher Einrichtungen zur objektiven Beurteilung

klinischer Studien kam es 2008 zur Gründung von MEZIS („Mein Essen zahl ich selbst“) durch

den Sprecher der Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von Transparency International –

Austrian Chapter, Franz Piribauer. Die Vereinigung stellt eine Initiative unbestechlicher Ärzte

und Ärztinnen dar, die sich der Einflussnahme durch die pharmazeutische und

medizintechnische Industrie über gemeinsam erarbeitete Strategien entziehen wollen (Kern-

Homolka et al. 2011, S. 43f.; MEZIS-DE 2016a). Des Weiteren fand 2009 das seitens der

Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK), des AKH Linz und der Johannes Kepler

Universität Linz veranstaltete 2. Linzer Forum zum Thema „(In)Transparenz – Ein-Blick in das

Gesundheitswesen“ statt, auf dem Korruption schwerpunktmäßig aus interdisziplinärer Sicht

behandelt wurde (Labek & Weidenholzer 2010). Aktuell läuft das seitens des Karl-Landsteiner-

Arbeitskreises in Kooperation mit der Alpen-Adria-Universität und der Medizinischen

Universität Wien ins Leben gerufene Projekt „Korruption, Compliance und angewandte

Versorgungsforschung im österreichischen Gesundheitssystem“, in welches auch die

vorliegende Dissertation eingebunden war.

43 Health Technology Assessment beschreibt die Evaluierung vorherrschender oder neuer medizinischer Technologien (Medikamente, Verfahren, Strukturen etc.) hinsichtlich medizinischer, ökonomischer, ethischer, rechtlicher oder organisationaler Kriterien (Kern-Homolka et al. 2011, S. 42).

134

4. Selbstregulierung – Forcierung von Ethik- und Verhaltenskodizes

Im Laufe der Antikorruptionsbewegung der letzten zehn Jahre wurden auch zahlreiche

Organisationen im Gesundheitssektor zur Einführung, Weiterentwicklung und Forcierung von

Verhaltens- und Ethikkodizes (vgl. Kapitel 3.6) angeregt. Kern-Homolka et al. (2011, S. 36ff.)

fassen in ihrem Beitrag „Dimensionen der Intransparenz und Beeinflussung im

Gesundheitswesen ausleuchten“ die wichtigsten Kodizes und deren zentralsten Inhalte

zusammen, die nachstehend u.a. kurz umrissen werden.

Verhaltenskodex der Österreichischen Ärztekammer

Auf knapp vier Seiten regelt der ärztliche Verhaltenskodex, der im Jahr 2005 verfasst

wurde, insbesondere die Zusammenarbeit zwischen der Ärzteschaft und der Pharma- bzw.

Medizinprodukteindustrie zur Sicherstellung der ärztlichen Unabhängigkeit sowie die

unmittelbare Anwendung von Arzneimitteln im Zuge der ärztlichen Behandlung. Der

Regelungsbereich umfasst u.a. Fortbildungsveranstaltungen, Geschenkannahmen, die

Annahme von Ärztemustern, Klinische Prüfungen und Forschung, die Verschreibung von

Medikamenten und nicht-interventionelle Studien (Anwendungsbeobachtungen), das

Anbieten gewerblicher Dienstleistungen und Produkte sowie die Weitergabe von

Patientendaten. Verstöße gegen den ärztlichen Verhaltenskodex werden nach § 136

Ärztegesetz als Disziplinarvergehen geahndet (Rupp 2011, S. 88; ÖÄK 2014). Allerdings

werden Informationen über allfällige Verfahren bei Verstößen gegen den Verhaltenskodex

bislang nicht veröffentlicht (Rupp 2011, S. 89).

PHARMIG-Verhaltenskodex

2007 wurde der Verhaltenskodex des Verbandes der pharmazeutischen Industrie

Österreichs (PHARMIG), der auf die Einhaltung hoher ethischer Standards der

pharmazeutischen Industrie in Zusammenarbeit mit Angehörigen der Fachkreise,

medizinischen Institutionen und Organisationen abzielt und wesentliche Bestimmungen

des Verhaltenskodexes der European Federation of Pharmaceutical Industries and

Associations (EFPIA) beinhaltet, neu aufgesetzt und über die Jahre weiterentwickelt. Der

Regelungsbereich umfasst u. a. die Arzneimittelinformation und -werbung, Fortbildungs-

veranstaltungen, Zusammenarbeit mit Angehörigen der Fachkreise und Institutionen,

nicht-interventionelle Studien, Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen, klinische

Prüfungen, Transparenz, Vorteile, Gewinnspiele, Mitarbeiter in den pharmazeutischen

Unternehmen (Rupp 2011, S. 88f.; PHARMIG 2015). An dieser Stelle seien einige zentrale

135

Regelungen herausgegriffen: Die Kostenübernahme im Rahmen von Fortbildungs-

veranstaltungen hat sich ausschließlich auf Reisekosten, Verpflegung, Übernachtung und

gegebenenfalls Teilnahmegebühren zu beschränken. Dies schließt eine Übernahme der

Kosten für Begleitpersonen oder etwaige Unterhaltungsprogramme (Theater, Konzert,

Sportveranstaltungen etc.) aus. Leistungen, die Ärzte für die Industrie erbringen (z.B.

Vortragstätigkeiten, Beratungsleistungen, klinische Prüfungen, nicht-interventionelle

Studien), bedürfen eines schriftlichen Vertrages, müssen angemessen honoriert sein und

dürfen nicht an die Empfehlung, Verschreibung oder Abgabe eines Arzneimittels

gekoppelt sein (Tschachler 2010, S. 8; PHARMIG 2015, S. 14ff.). Besonders hervorzuheben

sind die seit 30.06.2016 geltenden, auf der Transparenz-Initiative von EFPIA gründenden

Offenlegungspflichten für sämtliche geldwerte Leistungen (Forschung und Entwicklung,

Spenden und Förderungen, Veranstaltungen, Dienst- und Beratungsleistungen) an

Angehörige der Fachkreise, medizinische Institutionen und Organisationen. Die

Offenlegung hat grundsätzlich in namentlicher Form und allenfalls in aggregierter (falls die

aus datenschutzrechtlichen Gründen erforderliche Zustimmungserklärung von Medizinern

und medizinischen Organisationen zur namentlichen Offenlegung nicht vorliegt) über die

Websites der jeweiligen Pharmaunternehmen zu erfolgen (PHARMIG 2015, S. 19ff.; EFPIA

2016; Mantsch et al. 2016, S. 5). Seit Kurzem können die offengelegten Zahlungen auch

über eine öffentliche, zentrale Datenbank, die in Zusammenarbeit mit der Zeitung Der

Standard, dem Österreichischen Rundfunk (ORF) und der deutschen Rechercheplattform

Correctiv errichtet wurde, eingesehen werden (Correctiv 2016). Bei Verstößen gegen den

PHARMIG-Verhaltenskodex wird ein Verfahren vor der PHARMIG (Fachausschüsse VHC I.

und II. Instanz) eingeleitet, welches jedoch keinen Einfluss auf ein strafrechtliches

Verfahren hat (Kern-Homolka et al. 2011, S. 39; PHARMIG 2015, S. 42 und S. 60).

Informationen zu allfälligen Verfahren werden der Öffentlichkeit bislang nicht zugänglich

gemacht (Rupp 2011, S. 89).

Ethik-Verhaltenskodex des Hauptverbandes der österreichischen Sozial-

versicherungsträger

Seit 2014 liegt auch ein Ethik-Verhaltenskodex des Hauptverbandes der österreichischen

Sozialversicherungsträger vor, der sich an den Verhaltensgrundsätzen Glaubwürdigkeit,

Transparenz, Integrität, Verschwiegenheit, Objektivität und Kooperation orientiert (HVSV

2015).

136

Verhaltensrichtlinien der Krankenanstalten

Auch die Krankenanstalten haben Verhaltensrichtlinien verfasst, die bei Verstößen

disziplinäre Maßnahmen nach sich ziehen können. Dazu zählen beispielsweise die

Transparenzrichtlinien des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV), die Themen

abdecken wie die Finanzierung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, den Umgang mit

Drittmitteln, Sponsoring und Spenden, den nachvollziehbaren Einkauf von Medikamenten

sowie den Verhaltenskodex im Medizinbereich (Kern-Homolka et al. 2011, S. 39).

Direktionsweisung der OÖGKK

Eine Direktionsweisung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse sieht ein

gänzliches Geschenkannahmeverbot (Null-Toleranz-Prinzip, Wegfall der Geringfügigkeits-

klausel) im Rahmen der Ausübung einer dienstlichen Tätigkeit vor (Kern-Homolka et al.

2011, S. 39f.).

Anzumerken ist, dass bislang österreichweit kein Verhaltenskodex existiert, der die

Zusammenarbeit zwischen der Industrie und Patientenorganisationen (Selbsthilfegruppen)

regelt. Bisher wurden lediglich Grundsätze für die Zusammenarbeit der ARGE-Selbsthilfe

(Dachverband der österreichischen Selbsthilfegruppen) und Wirtschaftsunternehmen

vereinbart, wobei diese nach wie vor keine prozentualen Zuwendungsgrenzen wie

beispielsweise in Deutschland beinhalten (ARGE Selbsthilfe Österreich 2011; Wild et al. 2015a,

S. 16). Ebenso anzuführen ist, dass noch nicht alle Verhaltenskodizes verbindliche

Interessenkonflikt-Erklärungen für ihre Mitarbeiter, Mitglieder in Entscheidungs- und

Beratungsgremien sowie externe Dienstleister beinhalten, geschweige denn eine

Veröffentlichung dergleichen vorschreiben. Aufgrund dessen werden Interessenkonflikte bei

relevanten Vorträgen, Publikationen etc. nicht immer offengelegt, wie es bereits international

Usus ist (Kern-Homolka et al. 2011, S. 19f.; Kern-Homolka & Labek 2012, S. 14f.).

5. Einführung von Compliance-Management-Systemen

Neben Verhaltens- bzw. Ethikkodizes wurden überdies in vielen Organisationen sogenannte

Compliance-Management-Systeme installiert. Diese zielen – als integrativer Bestandteil eines

Werte-Management-Systems – auf die Vermeidung möglicher Regelverstöße seitens der

Mitarbeiter und Organe des jeweiligen Unternehmens zur Schadensvorbeugung und

Effizienzsteigerung ab. Grundsätzlich setzt sich ein Compliance-Management-System aus

137

folgenden Kernelementen zusammen: Festlegung und Umsetzung von Verhaltensregeln

(Compliance-Standards bzw. Verhaltenskodizes); Installierung eines Compliance-Officers zur

Umsetzung des Compliance-Management-Systems; Überwachung der Regeleinhaltung und

Sanktionierung von Regelverstößen; Schulungen und Trainings; Durchführung von

Compliance-Audits; Einrichtung eines zentralen Vertragsmanagements; Einrichtung von

Compliance-Hotlines und Helplines; Entwicklung von Programmen und Prozessen für etwaige

Ermittlungs- und Folgemaßnahmen im Verdachtsfall (Dieners & Lembeck 2010, S. 125ff.).

Somit vereint ein Compliance-Management-System Präventions-, Kontroll- und Reaktions-

maßnahmen (Petsche & Larcher 2014, S. 21). Dabei können sich Compliance-Management-

Systeme an den vier Grundprinzipen der Antikorruption, die sich in der Praxis herausgebildet

haben, orientieren. Hierzu zählen das Transparenzprinzip (Offenlegung von Zuwendungen,

Antrags- und Genehmigungsprozesse etc.), das Trennungsprinzip (Trennung bestimmter

Vorgänge zur Vermeidung von Interessenkonflikten und daraus resultierender Korruption –

jedoch systembedingt nicht immer einhaltbar), das Äquivalenzprinzip (angemessenes

Verhältnis von Leistung und Gegenleistung) und das Dokumentationsprinzip (schriftliche

Fixierung von Interaktionen zur Sicherstellung ihrer intersubjektiven Nachvollziehbarkeit)

(Geiger 2016, S. 79ff.).

6. Sonstige Maßnahmen seitens der pharmazeutischen Industrie

Seitens der pharmazeutischen Industrie wurden in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen

ergriffen, um das Image der in Verruf gekommenen Branche wieder zu heben und von ihrem

negativen Ansehen wegzukommen. Laut einer anonymisierten Expertenaussage haben sich

viele PHARMIG-Mitglieder neben dem PHARMIG-Verhaltenskodex44 eigene, teilweise noch

strengere Regelungswerke auferlegt, die zumeist auch in ein umfangreiches Compliance-

Management-System eingebettet sind. Eine Vorreiterrolle in Sachen Compliance und

Antikorruption bzw. Transparenz und Ethik nimmt seit Jahren das britische Pharma-

unternehmen GlaxoSmithKline (GSK) ein, welches auch dem strengen UK Bribery Act

unterliegt (Masser-Mayerl 2016). Nachstehend werden exemplarisch einige zentrale

Compliance-Maßnahmen ausgewählter (im Rahmen der empirischen Erhebung befragter)

Pharmaunternehmen aufgelistet, wobei nicht alle Maßnahmen überall zum Einsatz kommen.

44 Laut einer anonymisierten Expertenaussage kann der PHARMIG-Verhaltenskodex auch als Schadensbegrenzung gegenüber den überbordenden, seitenlangen Compliance-Handbüchern der einzelnen PHARMIG-Mitglieder betrachtet werden.

138

Installierung eines Compliance-Officers (beratende und kontrollierende Funktion);

Regelmäßige Compliance-Schulungen;

Interne und externe Compliance-Audits;

Einheitliche Stundensätze für Vortragende (in Abhängigkeit von ihrer Profession);

Höchstzuwendungsgrenzen pro Person und pro Institution;

Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen erfolgen auf institutioneller und nicht auf

individueller Ebene („Entpersonalisierung“ der Einladungspraxis);

Einhaltung von Wertgrenzen bei Essenseinladungen;

Standardverträge, die von einer zentralen Freigabestelle unter Wahrung des Mehr-Augen-

Prinzips genehmigt werden müssen;

Null-Toleranz-Politik („Zero-Tolerance“-Politik) bei Geschenkannahmen, Wegfall der

Geringfügigkeitsklausel;

„No Consent-No Contract-Politik“ bzw. „NC-NC-Politik“ („Ohne Zustimmung kein

Vertrag“): Die Zustimmung zur namentlichen Honorar-Veröffentlichung wird zur

Vertragsbedingung;

Ein auf mehreren Ebenen (Team-, Abteilungs-, Bereichsebene etc.) angesiedeltes

Kontrollsystem (ICF – Internal Control Network), welches u.a. Selbstkontrolle, Monitoring

durch unabhängige externe Prüfer sowie kurzfristige, themenbezogene oder

vollumfängliche unternehmensinterne Audits einschließt;

Integritätstests bei Recruitingprozessen;

CSI-Checks (Crime Scene Investigation) bei der Lieferantenauswahl;

Sanktionskataloge.

7. Sonstige Maßnahmen seitens der Krankenkassen

Im Kampf gegen Abrechnungsbetrug setzen die Krankenkassen – laut einer anonymisierten

Expertenaussage – bereits seit Jahrzehnten auf sogenannte Plausibilitätsprüfungen, im Zuge

derer sämtliche Abrechnungen mittels spezieller Software auf Plausibilität und Richtigkeit

gescannt werden. Weiters wurde 2004 das jährliche Leistungsinformationsblatt für

Versicherte eingeführt, welches über die Kosten der in Anspruch genommenen

Gesundheitsleistungen eines Kalenderjahres informiert und u.a. zur Aufdeckung falsch

abgerechneter Leistungen beitragen soll (BVA 2016). Darüber hinaus hat die OÖGKK, die eine

Vorreiterrolle in der Missbrauchsbekämpfung einnimmt, 2011 ein Provisionsverbot für ihre

139

Ärzte in den Gesamtvertrag (§ 21a GVOÖ) aufgenommen (OÖGKK 2011). Zudem wurde 2012

die Aktion „unabhängige Fortbildung“ in Zusammenarbeit mit der oberösterreichischen

Ärztekammer gestartet und ein industrie-unabhängiger Fortbildungstopf für die

oberösterreichische Ärzteschaft eingerichtet (ÄK OÖ 2013; Kern-Homolka 2013, S. 15). Auf die

Direktionsweisung der OÖGKK und das generelle Geschenkannahmeverbot bei der

Ausführung einer dienstlichen Tätigkeit wurde bereits hingewiesen. Seit 2016 ist es den

österreichischen Krankenkassen gesetzlich auch gestattet, auf das öffentlich stark kontrovers

diskutierte „Mystery Shopping“ zurückzugreifen, um Korruption und Betrug im

Gesundheitswesen aufzuspüren und einzudämmen. Im Konkreten beschreibt Mystery

Shopping die Betrugskontrolle (insbesondere im Hinblick auf Gefälligkeitsatteste,

Abrechnungsbetrug) durch entsendete Testpatienten mit Hilfe eigens hierfür ausgestellter

E-Cards durch die Krankenkassen. Solche Kontrollen werden stichprobenweise basierend auf

einem jährlich im Vorhinein zu erstellenden Stichprobenplan und auf begründeten Verdacht

hin durchgeführt, wobei das tatsächliche Ausmaß des Einsatzes dieser Strategie bislang

unbekannt ist – nicht zuletzt, weil sie sehr umstritten ist. Während Kritiker (vor allem

Ärztekammer und Ärzteschaft) das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis durch dieses

Kontrollinstrument stark gefährdet sehen und es als menschenrechtswidrige Anstiftung zur

Straftat abtun, halten Hauptverband und Krankenkassen dagegen und beruhen sich auf den

entsprechenden Paragrafen im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (§ 32a ASVG) und die

auf dessen Basis erlassene Durchführungsrichtlinie (RLVPK) von 2016 (HVSV 2016a; HVSV

2016b; ORF 2016a; LSE 2017a, S. 577f.). Ob und inwiefern Mystery Shopping tatsächlich

verfassungswidrig ist, gilt es zukünftig noch abzuklären. Fakt ist, dass sich allein in Wien der

Betrugsverdacht in 11 von 14 getesteten Arztpraxen bereits bestätigt hat (ORF 2016b). In

diesem Zusammenhang ist insbesondere die Arbeit der Missbrauchserkennungs- und

Präventionsgruppe der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) hervorzuheben, die sich seit

2008 schwerpunktmäßig dem Thema Abrechnungsbetrug widmet und einen wesentlichen

Beitrag zur Aufhellung dieses Dunkelfeldes leistet (Meissnitzer 2015, S. 119).

140

8. Sonstige Maßnahmen seitens der Krankenanstalten(-träger)

Auf der Ebene der Krankenanstalten und -träger wurden in den letzten Jahren ebenso etliche

Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption gesetzt. Die Einführung von

Verhaltenskodizes und die Einrichtung von Compliance-Management-Systemen bzw. die

Installierung von Compliance-Abteilungen haben das Bewusstsein für Compliance und

Antikorruption im Krankenhauswesen gehoben (Schreiber 2013, S. 16f.; Petsche & Larcher

2014, S. 22). Darüber hinaus wurde die Zusammenarbeit zwischen Krankenanstaltenträgern

(wie beispielsweise dem Wiener Krankenanstaltenverbund) und Organisationen wie

Transparency International – Austrian Chapter oder der Wirtschafts- und Korruptions-

staatsanwaltschaft forciert (Petsche & Larcher 2014, S. 22). Was Nebenbeschäftigungen von

angestellten Ärzten (Vortragstätigkeiten, Beratungsleistungen etc.) betrifft, so sind diese

grundsätzlich nicht verboten, sofern sie mit der dienstlichen Tätigkeit vereinbar sind (ÄK Tirol

2013, S. 18; Grimm 2013, S. 110f.). Jedenfalls unterliegen Nebenbeschäftigungen von

Beamten und Vertragsbediensteten der gesetzlichen Meldepflicht gegenüber dem

Dienstgeber (vgl. Kapitel 4.2.1). Zudem ist der Dienstgeber befugt, auf vertraglicher Ebene zu

regeln, dass für jede ausgeübte Nebenbeschäftigung seine vorherige schriftliche Zustimmung

einzuholen ist (ÄK Tirol 2013, S. 18; Petsche & Larcher 2014, S. 22). Zwar besteht im Falle eines

privatrechtlichen Dienstverhältnisses keine gesetzliche Meldepflicht, allerdings kann eine

solche vertraglich vereinbart werden. Darüber hinaus kann ein vertragliches

Nebenbeschäftigungsverbot, welches über das gesetzliche Nebenbeschäftigungsverbot nach

§ 7 AngG „Konkurrenzverbot“ hinausgeht, festgelegt werden (ÄK Tirol 2013, S. 18f.). Laut

mehreren anonymisierten Expertenaussagen haben die meisten Dienstgeber von einem

vertraglichen Nebenbeschäftigungsverbot bislang eher Abstand genommen.

In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 9) werden die wichtigsten der zuvor dargelegten

Maßnahmen, die in den letzten Jahren zur Prävention und Eindämmung von Korruption im

österreichischen Gesundheitssystem gesetzt worden sind – chronologisch aufgelistet –

zusammengefasst.

141

Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen Gesundheitssystem

Seit 2005 Einführung, Weiterentwicklung und Forcierung von Verhaltens- und Ethikkodizes; Einrichtung von Compliance-Management-Systemen

2006 Verbot von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte (§ 55b AMG)

2006 Gründung des Ludwig Boltzmann Institutes für Health Technology Assessment

2007 Enttabuisierung von Korruption im Gesundheitssystem durch die Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von Transparency International – Austrian Chapter

2007 Errichtung des Bundesinstitutes für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG)

2008 Verschärfung des Korruptionsstrafrechts

2008 Gründung von MEZIS („Mein Essen zahl ich selbst“)

2009 Entschärfung des Korruptionsstrafrechts

2009 Errichtung der Korruptionsstaatsanwaltschaft

2010 Einführung der Meldepflicht für nicht-interventionelle Studien (BGBl II Nr. 180/2010)

2011 Umgründung der Korruptionsstaatsanwaltschaft in die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA)

2011 Einführung des transparenten Wartelistenregimes (§ 5a Abs. 2 KAKuG)

2012 Novellierung des Korruptionsstrafrechts

2013 Einführung der Registrierungspflicht für Lobbyisten (§ 5 und § 9 LobbyG)

2013 Errichtung der Whistleblower-Homepage seitens der WKStA

2015 Initiierung des interdisziplinären Projektes „Korruption, Compliance und angewandte Versorgungsforschung im österreichischen Gesundheitssystem” seitens der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Karl Landsteiner Gesellschaft und Medizinischen Universität Wien

2016 Einführung des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG)

2016 Gesetzliche Verankerung des Mystery Shoppings (§ 32a ASVG)

2016 Freiwillige Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur Offenlegung geldwerter Leistungen an Angehörige der Fachkreise, medizinische Institutionen und Organisationen; Errichtung einer zentralen, öffentlichen Datenbank zur Erfassung solcher geldwerter Leistungen

Tabelle 9: Bislang gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin

Abschließend werden die gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen im österreichischen

Gesundheitssystem in den theoretischen Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung (vgl.

Kapitel 3.6) eingebettet und den vier Handlungsfeldern Bewusstseinsbildung, Prävention,

Kontrolle/Detektion und Strafverfolgung/Sanktionen zugeordnet (Abbildung 6). Gemäß

internationalen Empfehlungen schließen bisherige Strategien zur Bekämpfung von Korruption

im nationalen Gesundheitssystem Maßnahmen auf allen vier Ebenen ein.

142

4.2.3 Nationaler Forschungsstand

Bislang wurde das Thema „Korruption im Gesundheitssystem“ auf nationaler Ebene

hauptsächlich aus theoretischer Sicht beleuchtet. Nachdem die Pioniere, Martin Kreutner und

Bernhard Rupp, die Thematik Anfang der Jahrtausendwende angeregt haben und die

Enttabuisierung der Thematik durch die Arbeitsgruppe „Gesundheitswesen“ von

Transparency International – Austrian Chapter im Jahr 2007 über die Veröffentlichung ihres

theoretischen Grundsatzpapiers (TI-AC 2010) folgte, stieß die Materie auf ein breiteres

Interesse. Dies lässt sich vor allem an der Anzahl vorliegender Beiträge und Publikationen zur

diesbezüglichen Thematik erkennen (Fried 2005, 2009; Rupp 2006, 2009, 2011; Kern-Homolka

et al. 2011; Kern-Homolka & Labek 2012; Kern-Homolka 2013; Labek & Weidenholzer 2010;

Piribauer 2010; Tschachler 2010; Hintringer 2010, 2011; Sprenger 2012; Petsche & Larcher

2014; Ganzger et al. 2015). Die Abhandlungen umfassen zumeist die theoretische Darlegung

etwaiger Einfallstore bzw. Problemfelder von Korruption unter Einbeziehung von Erfahrungs-

Abbildung 6: Korruptionsbekämpfung im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin

Bewusstseinsschaffung Enttabuisierung des Themas durch TI-AC Forcierung wissenschaftlicher

Einrichtungen (LBI-HTA, BIQG) Themenbezog. Projekte, Veranstaltungen Organisationsinterne Aufklärungs- und

Bildungsmaßnahmen (Ethik, Recht) Gründung von MEZIS Medienberichte

Kontrolle & Detektion Interne und externe Kontrollsysteme Audits, Beschwerdemanagement Plausibilitätsprüfungen, Mystery Shopping Interne und externe Hinweisgebersysteme

(z.B. Whistleblower-Homepage der WKStA)

Strafverfolgung & Sanktionen Einrichtung der WKStA Ermittlungsbezogene Zusammenarbeit mit

BAK, OLAF, Europol, Interpol etc. Strafrechtliche Sanktionen Organisationsinterne Fachausschüsse und

disziplinäre Maßnahmen Sanktionskataloge

Prävention Verschärfung des rechtlichen Rahmens Forcierung von Ethik-/Verhaltenskodizes Einrichtung von CM-Systemen Transparenzschaffung (z.B. Offenlegung

geldwerter Leistungen der Pharmaindustrie, COI-Erklärungen)

Integritätstests, CSI-Checks, NC-NC-Politik

Leadership Politischer

Wille

externe Aufsicht

Internationale Initiativen zur Korruptionsbekämpfung (Antikorruptions-Konventionen u.a.)

externe Aufsicht

143

berichten und Annahmen sowie etwaige Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf den

zukünftigen Handlungsbedarf; einige Beiträge beinhalten auch eine Aufarbeitung und

Klarstellung der rechtlichen Situation in Österreich. An dieser Stelle sei auch auf etwaige

Skandal- und Enthüllungsbücher seitens österreichischer Journalisten, Health Professionals

und anderer Insider aus der älteren und jüngeren Vergangenheit verwiesen (Weiss 2008;

Aboulenein 2016). Wenngleich von vielen Betroffenen als Pauschalangriff abgetan und

verteufelt, liefern sie dennoch neue, bewegende Einblicke in den „Korruptionsalltag“ vieler im

Gesundheitssystem Agierender und bekräftigen größtenteils die Ergebnisse vorliegender

(internationaler) Studienergebnisse. Zur Wahrung der wissenschaftlichen Objektivität bleiben

die Inhalte solcher Enthüllungsbücher im Rahmen der vorliegenden Arbeit aber

weitestgehend ausgeklammert.

Im Gegensatz zum internationalen Forschungsstand liegen auf nationaler Ebene aufgrund der

langjährigen Tabuisierung der Thematik kaum empirische Studien vor (TI-AC 2010, S. 5;

Sickinger 2011, S. 194; Gruber et al. 2013, S. 131). Der aktuelle Informationsstand basiert

größtenteils auf Erfahrungsberichten und Annahmen, belegtes Material ist kaum vorhanden

(Gruber et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 576). Die wenigen empirischen Untersuchungen, die

nach intensiver Literaturrecherche vorliegen, stammen entweder vom Ludwig Boltzmann

Institut für Health Technology Assessment (LBI-HTA), vom Institut für Höhere Studien (IHS)

oder vom Verein für Konsumenteninformation (VKI). Hervorzuheben sind insbesondere die

Arbeiten des LBI-HTA unter der wissenschaftlichen Leitung von Claudia Wild. Allein im Jahr

2015/2016 wurden gleich drei Studien zum Thema „Sponsoring in der Medizin“ veröffentlicht.

Die erste Untersuchung beschäftigte sich mit dem Sponsoring österreichischer

Ärztefortbildung anhand einer systematischen Analyse der DFP-Fortbildungsdatenbank. Das

ermittelte Gesamtsponsoring für das Jahr 2014 betrug in Abhängigkeit vom medizinischen

Fach zwischen 14 % (Angiologie) und 67 % (Rheumatologie), wobei die finanziellen

Unterstützungsleistungen hauptsächlich von Pharma- und Medizinprodukteherstellern aus

dem jeweiligen Fach, vornehmlich von „High-Cost“- und/oder „High-Volume“-Produkten,

stammen. Mangels kontrollierter Meldungen wird der tatsächliche Sponsoringanteil weitaus

höher geschätzt (Wild et al. 2015b). Als nächstes ging man im Rahmen einer systematischen

Analyse der Frage nach, in welchem Ausmaß Patienteninitiativen (Selbsthilfegruppen) im Jahr

2014 von Pharmafirmen finanzielle Unterstützung erhielten. Das Gesamtsponsoring wurde

144

auf Basis veröffentlichter Zahlen mit 1,146 Mio. Euro ausgewiesen, wobei die meisten

Zuwendungen (63 %) an Initiativen aus den Bereichen Neurologie, Hämato-Onkologie,

Rheumatologie und Hämophilie flossen. Auch hier ist von einem deutlichen „Underreporting“

auszugehen (Wild et al. 2015a). Die dritte Studie widmete sich dem Sponsoring von nicht-

interventionellen Studien (NIS) in Österreich und zielte auf die Erhebung des

Erkenntnisinteresses registrierter NIS ab. Von den insgesamt 251 verzeichneten NIS mit über

400.000 Patienten (zum Stichtag) wurden 191 von Pharmaunternehmen durchgeführt. Diese

beschäftigten sich größtenteils mit der Wirksamkeit und Arzneimittelsicherheit – vor allem

onkologischer Medikamente, Immunsuppressiva (Rheumatologie) und Immunstimulanzien

(Neurologie und Onkologie) – und wiesen zumeist ein positives Ergebnis aus. Allerdings

konnten aufgrund geringer formaler Meldeanforderungen, -moral und -kontrolle keine

fundierten Aussagen über NIS gemacht werden (Gregor-Patera et al. 2016). Alle drei

Untersuchungen zeigen ein klares Muster: Sponsoring findet vor allem im Bereich

hochpreisiger Arzneimittel (Hämato-Onkologie, Endokrinologie, Rheumatologie, Neurologie

etc.) statt. Die Untersuchungsergebnisse stärken den Verdacht, dass finanzielle Beziehungen

zur Industrie einer objektiven, evidenzbasierten medizinischen Praxis zulasten der

Patientengesundheit zuwiderlaufen können (Petersen & Wild 2016). Eine andere HTA-Studie

ging der Frage nach, in welchem Umfang Pharmaunternehmen Ärzte, medizinische

Institutionen und medizinische Forschung im Jahr 2015 finanziell unterstützten. Das eruierte

Gesamtsponsoring belief sich auf 104,1 Mio. Euro (Forschung: € 54 Mio.; Ärzte: € 22,4 Mio.;

Institutionen: € 27,7 Mio.), wobei die Bereitschaft zur namentlichen Offenlegung relativ gering

war (Mediziner: 21,9 %; Institutionen: 50,2 %) (Mantsch et al 2016). Abgesehen von den

Untersuchungen des LBI-HTA liegen auch seitens des Institutes für Höhere Studien mehrere

Publikationen zu Wartezeiten auf Elektivoperationen unter der wissenschaftlichen Leitung

von Thomas Czypionka vor. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Wartelisten über eine

private Krankenzusatzversicherung, den Besuch einer Privatordination oder eine private

Zuzahlung umgangen werden können (Czypionka et al. 2007; Kraus et al. 2010; Czypionka et

al. 2013). Auch der Verein für Konsumenteninformation beschäftigte sich bereits mit

ähnlichen Fragestellungen (Wartezeiten auf Ambulanztermine und MRT-Untersuchungen)

und kam gleichfalls zu dem Ergebnis, dass es privat schneller ginge (VKI 2010, 2016). Die

dargelegten Studienergebnisse werden im Rahmen der explorativen qualitativen

Untersuchung der vorliegenden Dissertation erneut aufgegriffen und diskutiert.

145

4.2.4 Zukünftiger Forschungsbedarf

Angesichts der spärlich vorhandenen empirischen Studien auf nationaler Ebene bedarf es

zukünftig vor allem der Forcierung wissenschaftlicher Arbeiten zum besagten Themengebiet.

Insbesondere mangelt es bislang an empirisch fundiertem Grundlagenwissen zum Ausmaß,

den spezifischen Erscheinungsformen (Problemfeldern), Ursachen und Auswirkungen von

Korruption im österreichischen Gesundheitssystem (Rupp 2006, S. 2ff.; Rupp 2011, S. 91ff.;

Gruber et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 42). Eine umfassende, systemimmanente Auseinan-

dersetzung mit der Korruptionsthematik, welche über die Grenzen der einzelnen

Organisationen hinausgeht, ist ebenso ausständig (Rupp 2006, S. 2). Zudem bedarf es

zukünftig der vermehrten Überprüfung bisheriger und neuer institutioneller

Rahmenbedingungen, Strukturen und Abgeltungssysteme hinsichtlich ihrer Anreizwirkungen

und Schwachstellen, um zu einem größeren Verständnis der Korruptionsmechanismen und -

dynamiken beizutragen (Rupp 2010, S. 5). Solche ausstehenden Informationen sind insofern

wichtig, als sie die erforderliche Grundlage zur Ableitung effektiver und effizienter

Antikorruptionsmaßnahmen darstellen. Weiters bleibt auch die Frage im Hinblick auf die

Effektivität und Effizienz bisher gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen bislang ungeklärt

(Gruber et al. 2013, S. 131). Zu dieser Thematik liegen auch auf internationaler Ebene kaum

verlässliche Informationen/Evaluationen oder wissenschaftliche Ergebnisse vor (Vian 2008, S.

91; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19). In diesem Kontext empfehlen Gruber et

al. (2013, S. 131) die Initiierung einer umfassenden Studie zur Erhebung der Ausgangslage in

Österreich (im Hinblick auf primäre Problemfelder von Korruption) als wichtige Voraussetzung

für einen effektiven und effizienten Einsatz von Antikorruptionsmaßnahmen und ihre

Wirksamkeitsevaluation. Vorgeschlagene Erhebungsmethoden schließen u.a. Literatur-

studien, Befragungen von Leistungsempfängern und -erbringern, Finanziers und Wissen-

schaftlern, die Definition von Indikatoren zur Messung von Korruption, Fallstudien sowie

Analysen internationaler und nationaler Best-Practice-Modelle ein, wobei insbesondere

qualitativen Messmethoden besondere Bedeutung beizumessen ist (Gruber et al. 2013, S.

131). Eine umfassende Untersuchung zur Erhebung der Erscheinungsformen von Korruption

im nationalen Gesundheitssystem und ihrer potenziellen Verbreitung/Kosten wird auch in der

kürzlich veröffentlichten Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und

Gesundheitsbereich als notwendige Voraussetzung für die (Weiter-)Entwicklung, Priorisierung

und Implementierung wirksamer Gegenmaßnahmen vorgeschlagen (LSE 2017a, S. 578ff.).

146

Weiterer Forschungsbedarf besteht ferner im Hinblick auf die Frage, inwieweit die

zunehmende Feminisierung, Alterung und Multiethnizität der Bevölkerung Einfluss auf

Werthaltungen und Normen-Compliance von Entscheidungsträgern nehmen (Rupp 2010, S.

5). Angemerkt sei, dass es derzeit österreichweit noch keine professionelle bzw. universitäre

Einrichtung gibt, die sich ausschließlich der Korruptionsforschung im Gesundheitssystem und

der damit verbundenen Aus- und Weiterbildung widmet. Nicht zuletzt kann der mangelnde

Forschungsstand auch darauf zurückgeführt werden (Rupp 2011, S. 91f.).

4.3 Zusammenfassung und Überleitung auf Kapitel 5

Das österreichische Gesundheitssystem zielt auf eine solidarisch finanzierte

Gesundheitsversorgung ab. Allerdings stößt das System durch seine stetig steigenden

Gesundheitsausgaben – bei vergleichsweise nur durchschnittlich erbrachten Leistungs-

ergebnissen – und dem damit einhergehenden zunehmenden Sparsamkeits- und

Finanzierungsdruck allmählich an seine Grenzen, weshalb es verstärkt nach allfälligen

Effizienz- und Effektivitätssteigerungspotenzialen durchforstet gehört (Rupp 2006, S. 2;

Hintringer 2010, S. 4). Laut Expertenschätzungen birgt vor allem die Korruptionsthematik im

Gesundheitssystem ein enormes Einsparpotenzial (3-10 % der Gesundheitsausgaben),

weshalb sie verstärkt in den Vordergrund des gesundheitspolitischen und -ökonomischen

Diskurses gerückt werden sollte. Allerdings wird dem Thema in Österreich trotz einiger

Antikorruptionsbemühungen in den letzten zehn Jahren (vgl. Tabelle 9) noch vergleichsweise

zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dies lässt sich nicht nur an der spärlichen Anzahl

vorhandener empirischer Studien – einer notwendigen Voraussetzung für die

(Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die

Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung – erkennen (TI-AC 2010, S. 5; Sickinger

2011, S. 194; Gruber et al. 2013, S. 131; LSE 2017a, S. 42), sondern auch an einer bislang

fehlenden professionellen Forschungs- und Ausbildungseinrichtung sowie einer eigenen

Korruptionsmelde- und Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem (Rupp 2010, S. 5; TI-AC

2010, S. 29). Um dem dringenden Forschungsbedarf auf nationaler Ebene zu begegnen, wurde

im Rahmen der vorliegenden Dissertation eine explorative qualitative Studie zur empirischen

Erfassung der Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption und des

zukünftigen Handlungs- und Forschungsbedarfs durchgeführt. Ihre konkreten Ziele,

eingesetzten Methoden und Ergebnisse werden im folgenden Kapitel 5 ausführlich dargelegt.

147

5 Empirische Untersuchung

Kapitel 5 behandelt die empirische Untersuchung, welche zum Erkenntnisinteresse der

vorliegenden Arbeit (vgl. Kapitel 1.2) beitragen soll. Nach der Darlegung des konkreten

Forschungsziels (Kapitel 5.1) und den daraus abgeleiteten wissenschaftlichen Fragestellungen

(Kapitel 5.2) erfolgt die Beschreibung und Begründung des ausgewählten Forschungsdesigns

(Kapitel 5.3) und der Datenerhebung im Hinblick auf die Erhebungsmethodik,

Stichprobenziehung und den Erhebungsprozess (Kapitel 5.4). Anschließend werden die

Datenaufbereitung (Kapitel 5.5) und die Datenauswertung samt der Begründung und

Beschreibung der Auswertungsmethodik und des Auswertungsprozesses (Kapitel 5.6) näher

erläutert. Danach werden die Forschungsergebnisse einschließlich abgeleiteter Thesen

hinsichtlich der zu beantwortenden Forschungsfragen vorgestellt (Kapitel 5.7) und

anschließend zusammengefasst (Kapitel 5.8). Abschließend folgt eine kritische Diskussion der

zentralen Forschungsergebnisse einschließlich der Reflexion ihrer wissenschaftlichen und

praktischen Relevanz, ihrer methodischen Umsetzung (Gütekriterien) sowie ihrer etwaigen

Limitationen (Kapitel 5.9).

5.1 Forschungsziel

Ausgehend von den erworbenen theoretischen Erkenntnissen und dem identifizierten

nationalen Forschungsbedarf zielt die empirische Untersuchung primär darauf ab, neue bzw.

vertiefende empirische Erkenntnisse hinsichtlich der Erscheinungsformen, Ursachen und

Auswirkungen von Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen des österreichischen

Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang gesetzten

Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptions-

prävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen aufzudecken. Im Speziellen gilt es,

ausgewählte Erscheinungsformen von Korruption im Rahmen einer ebenenübergreifenden

Untersuchung näher zu analysieren. Hierbei werden die spezifischen Ursachen und

Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der Makro-, Meso- und

Mikroebene des österreichischen Gesundheitssystems auf ihre potenziellen Wechsel-

wirkungen beleuchtet und ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen

der konkrete zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen abgeleitet. Ferner soll im

148

Rahmen der empirischen Untersuchung der Korruptionsbegriff auf Verständnis, Klarheit und

Mehrdeutigkeit näher analysiert und davon ausgehend eine nationale Korruptionsdefinition

im Kontext des Gesundheitssystems abgeleitet werden. Letztlich zielt die Arbeit auch darauf

ab, weitere potenzielle Forschungslücken und -felder im Hinblick auf den vorliegenden Unter-

suchungsgegenstand aufzuzeigen. Auf Basis der eruierten Forschungsergebnisse sollen

schließlich Thesen abgeleitet werden, die es zukünftig – sofern möglich – empirisch

(quantitativ) zu überprüfen gilt.

5.2 Forschungsfragen

Aus dem(den) dargelegten Forschungsziel(en) lassen sich mehrere, bereits in Kapitel 1.2

erwähnte und nachstehend erneut aufgelistete wissenschaftliche Fragestellungen (Tabelle 10)

ableiten, die es im Rahmen der empirischen Untersuchung zu beantworten gilt.

Wissenschaftliche Fragestellungen

F1. Wie wird der Begriff Korruption im Kontext des Gesundheitssystems auf nationaler Ebene definiert?

F2. In welcher Form findet Korruption in das nationale Gesundheitssystem Eingang?

F3. Welche Ursachen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?

F4. Welche Auswirkungen lassen sich für die identifizierten Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?

F5. Welcher zukünftige Handlungsbedarf kann ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen für eine nachhaltige Korruptionsprävention und -eindämmung auf den einzelnen Systemebenen abgeleitet werden?

F6. Wie sieht der zukünftige Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem aus?

F7. Wie sehen die spezifischen potenziellen ebenenübergreifenden Ursachen-Wirkungszusammenhänge ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption aus und welcher konkrete zukünftige Handlungsbedarf lässt sich ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen ableiten?

Tabelle 10: Wissenschaftliche Fragestellungen (vgl. Tabelle 1)

149

5.3 Forschungsdesign

Das Forschungsdesign beschreibt den Untersuchungsplan bzw. die konkrete

Herangehensweise an eine wissenschaftliche Fragestellung (Mayring 2010, S. 226). Dabei

werden in der Literatur für quantitative und qualitative Forschung neben bestimmten

Grundmodellen von Forschungsdesigns (z.B. Querschnittsdesign, Längsschnittdesign,

Experiment etc.) auch allgemeine Designs (= Ablaufplan systematischer Schritte im

Forschungsprozess) unterschieden, welche sich weiters in vier spezielle Untersuchungs-

designs differenzieren lassen: exploratives, deskriptives, zusammenhangsanalytisches und

kausalanalytisches Design (de Vaus 2001, S. 8ff.; Mayring 2010, S. 225ff.; Stein 2014, S. 138ff.).

Während explorative Forschungsdesigns dem Untersuchungsgegenstand mit dem Ziel der

Generierung neuer Fragestellungen und Hypothesen möglichst nahe kommen wollen, zielen

deskriptive Designs auf dessen genaue Beschreibung ab. Zusammenhangsanalysen hingegen

zielen auf die Untersuchung ausgewählter Variablen aus dem Gegenstandsbereich ab,

während Kausalanalysen zusätzlich solche Zusammenhänge auf ihre Kausalität (Ursache-

Wirkungs-Beziehung) hin untersuchen (Mayring 2010, S. 230ff.). Im Falle der vorliegenden

Untersuchung wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt, welches sich primär durch

seinen explorativen Charakter (Mayring 2010, S. 231f.) auszeichnet. Demnach richtet sich das

Erkenntnisinteresse nicht wie in quantitativen Studien auf das Erklären menschlichen

Verhaltens anhand großer, messbarer Stichproben, sondern vielmehr auf das Verstehen und

Beschreiben sozialen Handelns anhand weniger Einzelfälle (Bortz & Döring 2006, S. 298ff.).

Zudem zielen qualitative Studien im Gegensatz zu quantitativen zumeist auf die Generierung

oder Weiterentwicklung von Thesen und Theorien und weniger auf deren Überprüfung ab

(Pratt & Bonaccio 2016, S. 694f.).

Das explorative qualitative Forschungsdesign wurde für diese Arbeit primär aus folgenden

Gründen gewählt: Zum einen ermöglicht es die Exploration eines in Österreich bislang

empirisch kaum erforschten, komplexen Phänomens. Dabei kann die Offenheit und Flexibilität

des Forschungsansatzes zu einem tieferen Verständnis oder sogar zu neueren Erkenntnissen

hinsichtlich der Korruptionsmechanismen und -dynamiken beitragen, auf deren Grundlage

schließlich Thesen abgeleitet werden (Mayring 2010, S. 231ff.; Kliche & Thiel 2011, S. 411;

Pratt & Bonaccio 2016, S. 696f.). Zum anderen erschien ein quantitativer Zugang aufgrund der

geringen Datenlage, Neuartigkeit und Komplexität des Untersuchungsgegenstandes erst nach

150

dessen qualitativer Beforschung und Thesengenerierung sinnvoll. Eine besondere

Herausforderung stellte auch die Stichprobenziehung aufgrund der Sensibilität der Thematik

dar (Campbell & Göritz 2014, S. 296). Die vorliegende Studie kann als notwendige

Voruntersuchung für fortfolgende (quantitative) Studien und Vergleichsstudien betrachtet

werden. Aus forschungspraktischen Gründen beschränkt sich die empirische Analyse auf ein

Querschnittsdesign (Stein 2014, S. 142) und beinhaltet somit nur eine Erhebungsphase.

In der nachstehenden Abbildung (Abbildung 7) werden die einzelnen Ablaufschritte des

explorativen qualitativen Forschungsdesigns, welches sich im Vergleich zu quantitativen

Forschungsdesigns vor allem durch seine Zirkularität und Rückkoppelungsschleifen

auszeichnet, dargestellt und in den fortfolgenden Kapiteln genauer beschrieben. Damit wird

gleichzeitig ersichtlich, dass die vorliegende Untersuchung zur Sicherstellung ihrer

intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit einem genauen Plan gefolgt ist, im

Ablauf genau beschrieben, argumentativ begründet und systematisch durchgeführt wurde –

ein wichtiger Aspekt, der zur Aufwertung qualitativer Studien in der Wissenschaft beitragen

soll (Mayring 2010, S. 225ff.).

3. Beschreibung der Datenerhebung (Wahl und Begründung der Erhebungsmethodik, Stichprobe, Erhebungsprozess) Kapitel 5.4

2. Spezifizierung der wissenschaftlichen Forschungsfragen Kapitel 5.2

4. Beschreibung der Datenaufbereitung (Transkription und Reflexion der Interviews) Kapitel 5.5

5. Beschreibung der Datenauswertung (Wahl und Begründung der Auswertungsmethodik, Auswertungsprozess) Kapitel 5.6

6. Darstellung der Ergebnisse (Interpretation, Rückbezug auf Forschungsfragen, Thesenbildung, Zusammenfassung) Kapitel 5.7-5.8

7. Diskussion der Ergebnisse (Schlussfolgerungen, wissenschaftliche/praktische Relevanz, Gütekriterien, Limitationen) Kapitel 5.9

1. Aktueller Stand der Forschung (Theoretischer Hintergrund, Forschungsbedarf)

Abbildung 7: Forschungsdesign Quelle: In Anlehnung an Mayring 2010, S. 229ff.

151

5.4 Datenerhebung

Nachdem das Forschungsdesign aufgezeigt und näher erläutert wurde, erfolgt nachfolgend

die Darstellung grundlegender Aspekte zur Datenerhebung. Dies schließt die Begründung und

detaillierte Beschreibung der ausgewählten Erhebungsmethodik, der Stichprobe und des

Erhebungsprozesses ein.

5.4.1 Erhebungsmethodik

Zu den anfangs in Frage kommenden qualitativen Untersuchungsmethoden zählten

Fallstudien, Fokusgruppen und Experteninterviews. Aufgrund der Generalisierungs-

problematik einzelner Fallstudien und der Schwierigkeit der Anberaumung einer Fokusgruppe

wurden Experteninterviews (vgl. Kapitel 2.8) vorgezogen. Zudem erschienen Experten-

interviews, da deren Stärken in der Exploration neuer, komplexer Phänomene unter

Einbeziehung unterschiedlicher unabhängiger Sichtweisen/Perspektiven sowie im Verstehen

kausaler Mechanismen liegen (Campbell & Göritz 2014, S. 296; Wassermann 2015, S. 54ff.),

eine geeignete Untersuchungsmethode darzustellen. Außerdem werden sie mittlerweile auch

in der internationalen qualitativen Korruptionsforschung eingesetzt und empfohlen

(Stuhlhofer et al. 2008; Campbell & Göritz 2014; Othman et al. 2014).

Im Vergleich zu anderen Interviewformen (narrative, problemzentrierte, halbstandardisierte,

fokussierte Interviews u.a.) zeichnen sich Experteninterviews als mittlere Variante zwischen

Offenheit und Strukturierung dadurch aus, dass die Person des Befragten in den Hintergrund

gerückt wird, während ihr spezielles Fach- und Hintergrundwissen einschließlich ihrer

persönlichen Erfahrungen, Sichtweisen und Einschätzungen in Bezug auf das Forschungs-

thema in den Mittelpunkt gestellt werden. Somit wird die Wahl der Interviewpartner, die als

Repräsentanten einer bestimmten Gruppe oder Feldes angesehen werden, vom jeweiligen

Forschungsinteresse geleitet. Um die Struktur und Zielorientierung des Gesprächs

sicherzustellen und gleichzeitig eine offene Gesprächsführung zu ermöglichen, wird dem

Experteninterview häufig ein Interviewleitfaden zugrunde gelegt (Borchardt & Göthlich 2009,

S. 38ff.; Bogner et al. 2014, S. 10ff.). Da es sich beim vorliegenden Forschungsansatz in

Anbetracht des Studiendesigns vorrangig um ein exploratives Experteninterview zur

Orientierung im Untersuchungsfeld und zur Thesengenerierung handelt und weniger um ein

152

systematisierendes (zur gezielten Informationsgewinnung und Wissenslückenschließung)

oder theoriengenerierendes (zur Erhebung von Deutungswissen wie Handlungs-

orientierungen) (Bogner et al. 2014, S. 22ff.), wurde ein offener, halbstrukturierter

Interviewleitfaden herangezogen. Wie aus der nachstehenden Tabelle (Tabelle 11) ersichtlich,

gliederte sich dieser in sieben große Themenbereiche (Definition, Ausmaß,

Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption, zukünftiger

Handlungsbedarf, zukünftiger Forschungsbedarf). Die Fragen zu den einzelnen Themenblocks

wurden theoriegestützt aus den zugrunde liegenden Forschungsfragen abgeleitet. Zwar stellte

das Ausmaß von Korruption keine eigenständige Forschungsfrage dar, wurde aber additiv

erhoben. Zu Beginn jedes übergeordneten Themenblocks wurden sehr offene Fragestellungen

formuliert, um die persönlichen Sichtweisen und Relevanzsetzungen der Befragten zu

erörtern. Im Nachhinein wurden nicht genannte interessante Aspekte, wie z.B. nicht erwähnte

Erscheinungsformen von Korruption (Einflussnahme der Industrie, Missbrauch von

Nebenbeschäftigungen, Kuvertmedizin, Umgehung von Wartelisten, Abrechnungsbetrug,

geringfügige Geschenke, E-Card-Missbrauch, Lobbying etc.) oder bislang gesetzte

Antikorruptionsmaßnahmen (Mystery Shopping, Compliance-Richtlinien etc.), thematisiert

und genauer hinterfragt. Den Abschluss des Interviewleitfadens bildete eine persönliche

Zusatzfrage mit Blick auf die eigene Betroffenheit von oder Auseinandersetzung mit der

Thematik. Der Interviewleitfaden beinhaltete keine Fragen zu soziodemografischen Daten

(Alter, Ausbildung, beruflicher Werdegang), da diese bereits im Vorfeld jedes Interviews

recherchiert und erhoben werden konnten. Um sicherzustellen, dass auch das gemessen wird,

was gemessen werden sollte (Validität), wurde der Interviewleitfaden nach einem ersten

„Probeinterview“ überarbeitet und erneut an die wissenschaftlichen Fragestellungen

angepasst.

153

Interviewleitfaden

I. DEFINITION VON

KORRUPTION

1. Im Rahmen unserer Forschung beschäftigen wir uns auch mit dem Korruptionsbegriff, daher lautet meine erste Frage: Was verstehen Sie unter Korruption? Wie würden Sie diesen Begriff definieren?

II. AUSMAẞ VON

KORRUPTION

2. Dass das Gesundheitssystem vor Korruption und Missbrauch nicht gefeit ist, gilt ja mittlerweile als unbestritten, aber wie ernst ist das Problem in Österreich Ihres Erachtens? Hat Österreich ein Korruptionsproblem im Bereich des Gesundheitssystems?

3. Laut Angaben internationaler Experten versickern ca. 3-10 % der

Gesundheitsbudgets im Untergrund. Auf die österreichischen Gesundheitsausgaben umgelegt, ergäbe dies einen jährlichen Schaden zwischen 1 und 3,7 Mrd. Euro. Wie würden Sie das gesamte Korruptionsausmaß im österreichischen Gesundheitssystem einschätzen?

III. ERSCHEINUNGS-

FORMEN VON

KORRUPTION

4. Transparency International – Austrian Chapter hat in seinem Grundsatzpapier aus dem Jahr 2007 mehrere Einfallstore für Korruption und Missbrauch im österreichischen Gesundheitssystem aufgezeigt. Wo sehen Sie insbesondere Einfallstore für Korruption?

5. Können Sie im Hinblick auf die geschilderten Einfallstore von

Korruption konkrete Beispiele nennen? 6. Was glauben Sie, welche dieser von Ihnen dargelegten Formen sind

besonders korruptionsanfällig bzw. problematisch für unser Gesundheitssystem?

7. Können Sie neue Phänomene im Hinblick auf Korruption im nationalen

Gesundheitssystem erkennen und benennen? Bei Bedarf nachgefragt:

Wie denken Sie über Lobbying im österreichischen Gesundheitswesen? Ist Lobbying gerade in einem so sensiblen Bereich erforderlich und gerechtfertigt oder sind Lobbyarbeit und Transparenz ein unüberwindbarer Widerspruch?

Das Image der Industrie hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Unter anderem wurde ihr vorgeworfen, Einfluss auf wichtige Akteure im Gesundheitssystem zu nehmen. Welche Meinung haben Sie diesbezüglich?

Was halten Sie von den Nebenbeschäftigungen (Privatordinationen etc.) der Ärzte?

Inwiefern stellt Abrechnungsbetrug (die Kuvertmedizin, der E-Card-Missbrauch, die Umgehung von Wartelisten etc.) im österreichischen Gesundheitssystem ein Thema dar?

Würden Sie geringfügige Geschenke als problematisch einstufen und warum?

154

IV. URSACHEN VON

KORRUPTION

8. Welche Ursachen können Sie für die von Ihnen geschilderten Einfallstore für Korruption im nationalen Gesundheitssystem erkennen?

9. Welche Ursachen sehen Sie auf der

Makroebene?

Mesoebene?

Mikroebene?

10. Auf welcher dieser Ebenen glauben Sie liegt die Hauptursache für Korruption begründet und warum?

V. AUSWIRKUNGEN

VON KORRUPTION

11. Wie wirkt sich Korruption im nationalen Gesundheitssystem aus?

12. Welche konkreten Auswirkungen erkennen Sie auf der

Makroebene?

Mesoebene?

Mikroebene?

13. Glauben Sie, dass wir in Österreich eine Zwei-/Mehrklassenmedizin haben und warum?

VI. ZUKÜNFTIGER

HANDLUNGSBEDARF

14. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas in unserem Gesundheitssystem im Hinblick auf all diese Problemfelder zu verbessern, wo würden Sie ansetzen und warum?

15. Wo sehen Sie den größten Verbesserungsbedarf? Bei Bedarf nachgefragt:

Was halten Sie von neueren präventiven Ansätzen wie beispielsweise dem Mystery Shopping?

Was halten Sie von der Patientenquittung, die 2008 im Gespräch war, allerdings nicht umgesetzt worden ist?

Inwiefern glauben Sie, dass die vielerorts bereits verankerten Compliance-Richtlinien und Verhaltenskodizes auch tatsächlich umgesetzt und gelebt werden?

VII. ZUKÜNFTIGER

FORSCHUNGS-

BEDARF

16. Welche Bereiche gehören zukünftig mehr erforscht? Wo sehen Sie einen erheblichen Forschungsbedarf?

PERSÖNLICHE

ZUSATZFRAGE

17. Sind Sie selbst schon einmal mit solchen Sachverhalten konfrontiert worden?

18. Wenn ja, mit welchen?

Tabelle 11: Interviewleitfaden Quelle: Verfasserin

155

5.4.2 Stichprobe

Da qualitative Experteninterviews grundsätzlich nicht auf die Generalisierung ihrer

produzierten Ergebnisse abzielen, sondern vielmehr auf das Verstehen und Beschreiben des

zugrunde liegenden Forschungsgegenstandes, erheben sie auch nicht den Anspruch, eine

repräsentative Stichprobe im statistischen Sinne zu ziehen (Schreier 2010, S. 240ff.; Kaiser

2014, S. 71). Vielmehr steht die inhaltliche Repräsentativität im Vordergrund, die sich in der

adäquaten Zusammenstellung der Stichprobe und der Relevanz der untersuchten Subjekte

widerspiegelt (Misoch 2015, S. 188). Dies trifft auch auf die vorliegende Untersuchung zu.

Folglich wurde die Stichprobe nicht zufällig ausgewählt wie bei der Zufallsstichprobe, sondern

gezielt, um einen höchstmöglichen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die wissenschaftliche

Fragestellung zu generieren. Die absichtsvolle bzw. bewusste Stichprobenziehung erfolgte

kriterienorientiert, d.h., dass die potenziellen Interviewteilnehmer bestimmte Kriterien

erfüllen mussten, um überhaupt in die Stichprobe aufgenommen zu werden (Schreier 2010,

S. 241). Zu diesen Kriterien, welche sich an jenen in der Literatur orientierten (Gläser & Laudel

2006, S. 113, zitiert nach Kaiser 2014, S. 72), zählten: ausreichender Wissensstand mit Blick

auf den Forschungsgegenstand, langjährige Beschäftigung im nationalen Gesundheitssystem,

Involviertheit mit Blick auf den Forschungsgegenstand, Verfügbarkeit und Interview-

bereitschaft. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die Heterogenität der Stichprobe nach

dem Prinzip der „maximalen strukturellen Variation“ gelegt (Schreier 2010, S. 243f.). Demnach

sollten die befragten Akteure aus unterschiedlichen Bereichen (Leistungsbereich, Wirtschaft,

Verwaltung, Politik, Wissenschaft, Medien etc.) und Ebenen des österreichischen

Gesundheitssystems (Makro-, Meso- und Mikroebene) kommen, um eine breite Sichtweise

auf die Thematik zu ermöglichen und die inhaltliche Repräsentativität der Stichprobe zu

gewährleisten. Zudem erschien eine gewisse Generalisierbarkeit über gefundene

Gemeinsamkeiten in den Aussagen der aus unterschiedlichen Feldern des Gesundheits-

systems stammenden Probanden nicht ausgeschlossen (Mayring 2007; Campbell & Göritz

2014, S. 296). Bei der Suche nach potenziellen Interviewteilnehmern waren Literaturhinweise

und Empfehlungen seitens wichtiger Informanten und bereits interviewter Personen

(„Schneeballsystem“) (Bogner et al. 2014, S. 35) sehr hilfreich.

156

Am Ende setzte sich die Stichprobe aus insgesamt 18 Interviewteilnehmern aus

unterschiedlichen Bereichen des österreichischen Gesundheitssystems zusammen. Unter den

befragten Gesundheits- und Antikorruptionsexperten befanden sich unter anderem

Repräsentanten bzw. Vertreter von Transparency International, Patientenanwälte,

Gesundheitspolitiker, aktiv tätige Health Professionals (Mediziner), Vertreter des

Krankenanstaltenwesens, Gesundheitsökonomen, Pharmazeuten, Vertreter der

Gebietskrankenkassen, Gesundheitswissenschaftler, Vertreter der ärztlichen

Selbstverwaltung (Ärztekammer) und Gesundheitsjournalisten. Das Alter der befragten

Personen lag zwischen 35 und 75 Jahren. Dreizehn der Befragten waren männlich, fünf davon

weiblich. In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 12) erfolgt eine chronologische Auflistung

aller Interviewpartner unter der Angabe ihrer beruflichen Funktion/Bezeichnung. Um die

Anonymität der Befragten sicherzustellen und eine Rückführbarkeit der Aussagen auf einzelne

Personen zu vermeiden, wurde auf alters- und geschlechtsspezifische Angaben verzichtet.

Interviewteilnehmer

Interview 1 Vertreter von Transparency International, Mediziner

Interview 2 Gesundheitsökonom

Interview 3 Patientenanwalt

Interview 4 Patientenanwalt

Interview 5 Gesundheitsökonom, Jurist

Interview 6 Mediziner, Gesundheitspolitiker

Interview 7 Gesundheitsexperte, Mediziner

Interview 8 Vertreter der Gebietskrankenkasse

Interview 9 Gesundheitswissenschaftler, Mediziner

Interview 10 Gesundheitsjournalist

Interview 11 Vertreter des Krankenanstaltenwesens

Interview 12 Vertreter der Pharmaindustrie

Interview 13 Vertreter der Pharmaindustrie, Mediziner

Interview 14 Vertreter der Pharmaindustrie

Interview 15 Gesundheitspolitiker, Jurist

Interview 16 Vertreter der Pharmaindustrie

Interview 17 Vertreter der Ärztekammer, Mediziner

Interview 18 Mediziner

Tabelle 12: Interviewteilnehmer

157

5.4.3 Erhebungsprozess

Angesichts der Sensibilität der Thematik erwies sich die Gewinnung der Befragten leichter als

vermutet: Bis auf zwei Ausnahmen stellten sich alle der hauptsächlich via E-Mail kontaktierten

Personen prompt für ein Interviewgespräch zur Verfügung, was wiederum auf ein reges

Interesse am Forschungsgegenstand zurückführbar ist. Von den insgesamt 18 von der Autorin

mündlich geführten Interviews wurden 16 persönlich und zwei via Telefon geführt. Räumlich

betrachtet fanden neun der 16 persönlich geführten Interviews in Wien, zwei in

Niederösterreich, zwei in Kärnten, eins in Oberösterreich, eins in Vorarlberg und eins in der

Steiermark statt. Die Mehrheit der Interviews (9) wurde in den Büros der interviewten

Personen geführt, drei in einer Cafeteria, zwei in einer Hotellobby, eines in einer

Privatordination und eines in einer Privatwohnung. Zu Beginn jedes Interviews erfolgte die

Vorstellung der Interviewerin und der Studie, ihren Hintergründen und Zielen. Zudem wurde

die Einwilligung zur Tonbandaufnahme vorab von jedermann eingeholt, nachdem auf den

anonymen und vertraulichen Umgang mit den erhobenen Daten in Anlehnung an die

vorherrschenden Datenschutzstandards hingewiesen wurde. Um etwaige Ergebnis-

verzerrungen zu vermeiden, wurde auch jeder Befragte vor Gesprächsbeginn gebeten, stets

seine ehrliche Meinung bzw. Sichtweise kundzutun. Jedes leitfadengestützte Interview

dauerte zwischen 43 Minuten und 2,5 Stunden; im Durchschnitt ca. 75 Minuten. Die Mehrheit

der befragten Personen verfügte über direkten und/oder indirekten Kontakt mit Korruption.

Die Offenheit der Gesprächsführung ermöglichte es, auf gewisse Aussagen der Befragten

näher einzugehen, nicht genannte Aspekte genauer zu hinterfragen sowie die Reihenfolge der

gestellten Fragen situationsgerecht anzupassen. Nach jedem Interview folgten eine kurze

Feedbackrunde sowie die Erkundigung nach weiteren potenziellen Interviewpartnern.

Abschließend wurde den Interviewteilnehmern für ihre Gesprächsbereitschaft gedankt.

Rückblickend betrachtet zeigte sich die Majorität der Befragten sehr offen und interessiert an

der Thematik, was vor allem an der Interviewlänge ersichtlich ist. Bis auf einen Fall entwickelte

sich stets eine sehr angenehme Gesprächsatmosphäre. Die Interviewerhebung erstreckte sich

über einen Zeitraum von ca. elf Monaten, von Oktober 2015 bis September 2016.

158

5.5 Datenaufbereitung

Jedes Interview wurde unmittelbar nach seiner Aufzeichnung vollständig mittels der Software

F4transkript nach zuvor festgelegten Regeln transkribiert. Dabei wurden Idiome der Befragten

„verhochdeutscht“, Unvollständigkeiten und Wiederholungen mit transkribiert, Stockungen

mittels Punkten und Unklarheiten mittels „unverständlich“ kenntlich gemacht sowie

Auffälligkeiten wie Lachen, Räuspern oder Ähnliches in Klammern angegeben. Um Fehler

durch Unzuverlässigkeiten oder ein mangelndes Hintergrundwissen und Verständnis für den

Forschungsgegenstand zu reduzieren, erfolgte die Transkription in eigenständiger Arbeit

durch die Autorin. Am Ende lagen insgesamt 334 Seiten Transkriptionsmaterial vor. Wichtige

Zusatzinformationen, die nach Abschalten des Diktiergerätes noch geäußert wurden, wurden

ebenso verschriftlicht. Zudem wurde jedes einzelne Interview hinsichtlich Interviewsituation,

Gesprächsverlauf, etwaigen Auffälligkeiten und Störfaktoren etc. schriftlich reflektiert.

5.6 Datenauswertung

Im Anschluss an die Datenaufbereitung erfolgte die inhaltliche Auswertung der Interviews. Im

Folgenden erfolgt die Begründung und detaillierte Beschreibung der ausgewählten

Auswertungsmethodik und des Auswertungsprozesses.

5.6.1 Auswertungsmethodik

Da sich die Wahl der Auswertungsmethodik grundsätzlich an den formulierten

Fragestellungen und dem Erkenntnisinteresse zu orientieren hat (Bogner et al. 2014, S. 22ff.;

Wassermann 2015, S. 53ff.), bot sich im vorliegenden Fall explorativer Experteninterviews

insbesondere die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring an. Als systematisches, regel- und

theoriegeleitetes Verfahren zur Analyse von Kommunikation vermag sich die qualitative

Inhaltsanalyse unterstützend auf die Exploration neuer Erkenntnisse zur wissenschaftlichen

Fragestellung unter Einbeziehung theoretischer Hintergrundinformationen auszuwirken.

Grundsätzlich stellt sie ein qualitativ-orientiertes Auswertungsverfahren dar, welches sich

allerdings der Methodik der quantitativen Inhaltsanalyse bedient und dadurch die

Auswertung großer Datenmengen ermöglicht – weshalb sie des Öfteren auch zu den Mixed-

Methods-Ansätzen gezählt wird. Mayring selbst bevorzugt den Begriff „qualitativ orientierte

159

kategoriengeleitete Textanalyse“ anstelle qualitativer Inhaltsanalyse, da sich diese nicht allein

auf Kommunikationsinhalte beschränkt, sondern auch Rückschlüsse auf nichtsprachliche

Inhalte zulässt. Im Zentrum der qualitativ orientierten kategoriengeleiteten Textanalyse steht

ein sogenanntes Kategoriensystem, d.h., die Analyse des zugrundeliegenden Textmaterials

erfolgt anhand definierter Kategorien, die über ein deduktives (vorab aus der

Theorie/Fragestellung abgeleitet) und/oder induktives Vorgehen (aus dem konkreten

Material herausgebildet) entwickelt, strengen Konstruktions- und Zuordnungsregeln

unterworfen und während der Analyse laufend überarbeitet und rücküberprüft werden. Der

Auswertungsvorgang basiert somit auf der regelgeleiteten Zuordnung von deduktiv und/oder

induktiv gebildeten Kategorien zu konkreten Textstellen. Die Regelgeleitetheit des Verfahrens

soll eine systematische Auswertung und deren subjektive Überprüfbarkeit sicherstellen.

Darüber hinaus können auch quantitative Analyseschritte (z.B. Auszählung von

Kategorienhäufigkeiten) während der Datenauswertung miteinfließen. Am Ende des

Auswertungsprozesses erfolgt die Zusammenstellung und Interpretation der Ergebnisse im

Hinblick auf die wissenschaftliche Fragestellung unter Berücksichtigung inhaltsanalytischer

Gütekriterien (Mayring & Fenzl 2014, S. 543ff.; Mayring 2015, S. 13ff.).

In der vorliegenden Studie wurde die Interviewauswertung durch die

Textverarbeitungssoftware MAXQDA (Version 12) unterstützt, die nach dem Programm

ATLAS.ti am zweithäufigsten für qualitative Inhaltsanalysen eingesetzt wird. Insbesondere

erleichtert die Software die Verwaltung großer Datenmengen und bietet über nützliche

Funktionen Unterstützung bei der Systematisierung, Strukturierung und Analyse des

erhobenen Datenmaterials (Mayring 2015, S. 117f.). Die Datenauswertung erforderte nicht

nur eine zeitaufwendige, selbstständige Einarbeitung in das Programm MAXQDA, sondern

auch ein intensives Literaturstudium zur qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring.

5.6.2 Auswertungsprozess

Die Auswertung der Interviews erfolgte durch die Autorin in Anlehnung an das von Mayring

(2015, S. 61ff.) vorgeschlagene Ablaufmodell zur qualitativen Inhaltsanalyse in mehreren auf-

einanderfolgenden analytischen Schritten, die in der nachstehenden Abbildung (Abbildung 8)

aufgelistet und anschließend ausführlich beschrieben werden.

160

1. Bestimmung des Ausgangsmaterials Festlegung des Materials, Analyse der Entstehungsgeschichte, formale Charakteristika des Materials

2. Richtung der Analyse

3. Wissenschaftliche Fragestellungen

4. Deduktive Ableitung der Hauptkategorien

5. Auswahl der induktiven Kategorienbildung als Analysetechnik Festlegung der Kategoriendefinitionen und des Abstraktionsniveaus

6. Festlegung der Analyseeinheiten Kodier-, Kontext-, Auswertungseinheit

8. Erster Materialdurchgang Revision des Kategoriensystems

10. Intercoder-Reliabilitätsprüfung

12. Quantitative Analyse der Kategorien Auszählung von Kategorienhäufigkeiten

7. Probekodierung Revision des vorläufigen Kategoriensystems nach der Auswertung von vier Interviews

9. Zweiter Materialdurchgang Intracoder-Reliabilitätsprüfung, Revision des Kategoriensystems

11. Endgültiger Materialdurchgang

13. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse

Abbildung 8: Auswertungsprozess Quelle: In Anlehnung an Mayring 2015, S. 61ff.

161

Den Beginn der kategorienbasierten Auswertung bildete die Bestimmung des

Ausgangsmaterials (Schritt 1). Dieses schloss das gesamte transkribierte Datenmaterial aller

18 geführten Interviews einschließlich relevanter verschriftlichter Zusatzinformationen ein.

Auf die Entstehungsgeschichte und formale Charakteristika des auszuwertenden Materials

wurde bereits hingewiesen (Kapitel 5.4 und 5.5). Im darauffolgenden Schritt (Schritt 2) wurde

die Analyserichtung festgelegt. Nach dem inhaltsanalytischen Kommunikationsmodell

(Mayring 2015, S. 59) richtete sich die Analyse primär darauf, Aussagen über den kognitiven

Hintergrund der Befragten (Fach- und Hintergrundwissen einschließlich persönlicher

Erfahrungen, Sichtweisen und Einschätzungen in Bezug auf den Forschungsgegenstand) zu

tätigen. Daraufhin erfolgte die deduktive Ableitung der Hauptkategorien aus den zugrunde

liegenden wissenschaftlichen Fragestellungen (Schritt 3 und 4), die sich auch in der Struktur

und den Frageblöcken des Interviewleitfadens widerspiegeln. Zudem wurde auch das

wahrgenommene Ausmaß von Korruption, welches im Rahmen der geführten Interviews

miterhoben wurde, allerdings nicht im Fokus des Erkenntnisinteresses stand, als

eigenständige Hauptkategorie definiert. Somit lagen als Ausgangsbasis sieben deduktiv

gewonnene Hauptkategorien vor:

1. Definition von Korruption

2. Ausmaß von Korruption

3. Erscheinungsformen von Korruption

4. Ursachen von Korruption

5. Auswirkungen von Korruption

6. Zukünftiger Handlungsbedarf

7. Zukünftiger Forschungsbedarf

Ausgehend von diesen Hauptkategorien wurde im Folgenden die Analysetechnik der

induktiven Kategorienbildung (Mayring 2015, S. 85ff.) gewählt (Schritt 5). Dies erschien

angesichts der zugrunde liegenden Forschungsfragen und des explorativen Charakters der

Studie am zweckmäßigsten. Bevor aber die Hauptkategorien mit induktiv gebildeten

Kategorien aufgefüllt werden konnten, bedurfte es der Festlegung konkreter Konstruktions-

und Zuordnungsregeln, im vorliegenden Fall der Kategoriendefinitionen und des

Abstraktionsniveaus. Damit sollte die Regelgeleitetheit des Verfahrens und somit seine

162

subjektive Überprüfbarkeit sichergestellt werden. In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 13)

werden die angewandten Regeln auf Ebene der einzelnen Hauptkategorien zusammengefasst.

Hauptkategorie Definition Abstraktionsniveau

1. Definition von Korruption

Alle Textstellen, die auf das subjektive Begriffsverständnis von Korruption hinweisen

Abgeleitete Definitionsbereiche von Korruption

2. Ausmaß von Korruption

Alle Textstellen, die etwas über die Einschätzung zur Verbreitung von Korruption aussagen

Allgemeine Einschätzung der Verbreitung

3. Erscheinungsformen von Korruption

Alle Textstellen, die sich auf die Form beziehen, in welcher Korruption ins nationale Gesundheitssystem Eingang findet

Über die konkret geschilderte Situation hinaus verallge-meinerbare Erscheinungs-formen von Korruption

4. Ursachen von Korruption

Alle Textstellen, die auf auslösende Faktoren von Korruption hinweisen

Über die konkret geschilderte Situation verallgemeinerbare Ursachen

5. Auswirkungen von Korruption

Alle Textstellen, die etwas über die Konsequenzen von Korruption aussagen

Über die konkret geschilderte Situation verallgemeinerbare Auswirkungen

6. Zukünftiger Handlungsbedarf

Alle Textstellen, die Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf bislang gesetzte Antikorruptions-maßnahmen oder neue Maßnahmenvorschläge beinhalten

Konkret genannte Verbesserungs- oder Maßnahmenvorschläge

7. Zukünftiger Forschungsbedarf

Alle Textstellen, die auf Forschungslücken in der nationalen Korruptionsforschung im Gesundheitssystem hinweisen

Konkret genannte Forschungslücken

Tabelle 13: Regeln für die induktive Kategorienbildung Quelle: Verfasserin

Um die Inhaltsanalyse zu präzisieren, erfolgte in weiterer Folge (Schritt 6) die Festlegung der

einzelnen Analyseeinheiten (Mayring & Fenzl 2014, S. 553; Mayring 2015, S. 61):

Als Codiereinheit (minimaler Textteil, der unter eine Kategorie fallen darf) wurden

mehrere Wörter mit Sinneszusammenhang – inhaltstragende Paraphrasen – festgesetzt.

Als Kontexteinheit (größter Textbestandteil, der unter eine Kategorie fallen darf) wurde

der gesamte Antworttext auf eine bestimmte Frage festgelegt.

Die Auswertungseinheit (Textteile, die nacheinander ausgewertet werden sollen) schloss

alle 18 geführten Interviews ein.

163

Unter Berücksichtigung dieser vorab festgelegten Auswertungsregeln wurde der induktive

Kategorienbildungsprozess gestartet. Dabei wurden die aus dem vorliegenden Textmaterial

gewonnen Kategorien, die den jeweiligen Hauptkategorien zugeordnet wurden, teilweise in

einer weiteren Ebene (Subkategorien) ausdifferenziert. Gleichzeitig wurde die Häufigkeit der

Kategoriennennungen für die nachfolgende quantitative Auswertung erfasst, wobei die

mehrfache Zuordnung von Materialbestandteilen, die verschiedene Aspekte aufzeigten, zu

unterschiedlichen Kategorien zulässig war. Zudem wurden wichtige Textstellen und erste

Interpretationen während des Auswertungsprozesses mittels sogenannter „Memos“

festgehalten. Nach einem ersten „Probedurchgang“, welcher die Auswertung der ersten vier

Interviews beinhaltete, fand die erste Revision und Überarbeitung des Kategoriensystems

statt (Schritt 7). Dabei wurden Kategorien, die ähnliche Sachverhalte erfassten,

zusammengefasst und zu allgemein formulierte Kategorien präzisiert. Anhand dieses

überarbeiteten Kategoriensystems erfolgte die Durchcodierung des gesamten Datenmaterials

(Schritt 8). Anschließend wurde das Kategoriensystem erneut revidiert und modifiziert. In

diesem Kontext wurden alle gefundenen Kategorien innerhalb der dritten, vierten und fünften

Hauptkategorie (Ursachen von Korruption, Auswirkungen von Korruption, zukünftiger

Handlungsbedarf) nochmals folgenden drei aus der Theorie abgeleiteten Oberkategorien

zugeordnet:

1. Makroebene: Alle Kategorien, die der gesundheitssystemischen/gesellschaftlichen Ebene

zugeordnet werden können.

2. Mesoebene: Alle Kategorien, die der organisationalen Ebene zugeordnet werden können.

3. Mikroebene: Alle Kategorien, die sich auf die individuelle Ebene beziehen.

Im nächsten Schritt (Schritt 9) wurde das Datenmaterial zur Sicherstellung der

Intracoderreliabilität (Mayring & Fenzl 2014, S. 546; Mayring 2015, S. 127) erneut

durchcodiert und anschließend auf etwaige Übereinstimmungen und Nicht-

Übereinstimmungen mit den Analyseergebnissen des ersten Durchganges verglichen. Dies

hatte die erneute Überarbeitung des Kategoriensystems zur Folge. Anschließend wurde das

zugrunde liegende Material zur Sicherstellung der Intercoderreliabilität (Mayring und Fenzl

2014, S. 547; Mayring 2015, S. 127) durch einen weiteren unabhängigen Codierer

ausschnittsweise analysiert und die Ergebnisse miteinander verglichen (Schritt 10). Die vielen

Übereinstimmungen ließen auf die Objektivität des Verfahrens schließen; etwaige Codier-

164

Unstimmigkeiten wurden solange kritisch diskutiert und interpretiert bis eine Einigung erzielt

werden konnte. Daraufhin erfolgte ein letzter Materialdurchgang anhand des fixierten

Kategoriensystems (Schritt 11). Die anschließende Ergebnisaufbereitung schloss quantitative

Analysen bzw. die Auszählung von Kategorienhäufigkeiten (Mayring 2015, S. 53) ein (Schritt

12). Dabei wurden mehrfach zugewiesene Kategorien innerhalb eines Interviews nur einmal

gezählt bzw. wurden Mehrfachnennungen einzelner Kategorien im Rahmen eines Interviews

nicht berücksichtigt. Als Ergebnis lag daraufhin für jede der sieben Hauptkategorien ein

eigenständiges Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien

(einschließlich ihrer jeweiligen Ober- und Subkategorien) vor. Anhand dieser

Kategoriensysteme erfolgt im nachfolgenden Kapitel (Kapitel 5.7) die Zusammenfassung und

Interpretation des Datenmaterials im Hinblick auf die zugrunde liegenden Forschungsfragen

(Schritt 13).

5.7 Forschungsergebnisse

Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der explorativen qualitativen Untersuchung im

Hinblick auf die aufgeworfenen Forschungsfragen auf Basis der vorliegenden

Kategoriensysteme interpretiert und durch direkte Zitate aus den Interviews, häufig genannte

Fallbeispiele und vorliegende Studienergebnisse untermauert. Die Fallbeispiele dienen

lediglich zur Veranschaulichung der Relevanz und Aktualität der Korruptionsthematik im

nationalen Gesundheitssystem. Ausgehend von den theoretischen und empirisch

gewonnenen Erkenntnissen werden schließlich Thesen abgeleitet, die im Rahmen der

Ergebnisdarstellung näher ausgeführt werden.

5.7.1 Definition von Korruption

Anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 14) wird nachfolgend das subjektive

Korruptionsverständnis, das während den Interviews mit den expliziten Fragen „Was

verstehen Sie unter Korruption?“ bzw. „Wie würden Sie diesen Begriff definieren?“ erhoben

wurde, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert und ausgehend von den diversen

Sichtweisen der Experten eine nationale Korruptionsdefinition im Kontext des Gesundheits-

systems abgeleitet. Die nachfolgend präsentierte Definition ist somit das Ergebnis eines Ver-

gleichs und der Bündelung aller in den Interviews aufgefundenen relevanten Informationen.

165

Definition von Korruption

Kategorien Häufigkeit

Individuelle Definition von Korruption 8

TI-Definition 4

Strafrechtlicher Korruptionsbegriff 3

Erweiterte TI-Definition im Gesundheitssystem 2

Tabelle 14: Kategoriensystem zur Definition von Korruption (Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen

innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Das subjektive Korruptionsverständnis wurde in insgesamt 17 Interviews erfragt.)

Was das subjektive Begriffsverständnis von Korruption betrifft, gingen die Ansichten der

Experten weit auseinander. Acht der 17 befragten Personen definierten Korruption auf ihre

persönliche Art und Weise, wobei es sich hierbei weniger um „echte“ Definitionen als um das

Hervorheben zentraler Aspekte dieses Phänomens handelte. Auffällig war, dass es bei den

individuellen „Definitionen“ viele Überschneidungen, sowohl untereinander als auch mit

gängigen Korruptionsdefinitionen, gab (unsachliche Beeinflussung von Entscheidungen oder

Handlungen, persönlicher Vorteil oder Interesse, Win-Win-Lose-Situation, Nachteil für die

Öffentlichkeit, Ressourcenmissbrauch etc.).

Zitat aus Interview 3:

„Korruption ist ein Heimlichkeitsdelikt. Da haben meistens zwei was davon, der, der korrumpiert und der, der korrumpiert wird und das Ganze geht zulasten Dritter und der Dritte ist im Gesundheitswesen letztlich die Allgemeinheit, die Steuerzahler, die Versicherungsgemeinschaft.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich werde den Begriff sehr weit definieren, dass ich sage, sobald mein Verhalten durch ein persönliches Interesse beeinflusst ist und ich anders entscheide als ich das professionell tun sollte. Also ich sehe das viel weiter als der reine strafrechtliche Korruptionsbegriff. […] Das Rechtskonforme hat es meiner Meinung nach noch viel zu eng gesehen. Das ist so wie man meiner Meinung nach keine Summen angeben kann und sagen kann, ab 30 Euro bist du korrupt.“

Zitat aus Interview 11:

„Eine unsachliche Beeinflussung von Handlungen, die man anders machen oder unterlassen würde, wenn hier nicht Anreize gesetzt werden würden, anders zu handeln, also guten Gewissens zu handeln.“

Zitat aus Interview 14:

„Überall dort, wo tatsächlich oder möglicherweise sachfremde Einflussfaktoren auf Entscheidungen im öffentlichen Bereich einwirken bzw. einwirken können. […] Wenn Entscheider im Gesundheitswesen Vorteile sachfremder Natur von Anbietern angeboten werden oder diese auch angenommen werden,

166

dann ist das natürlich schon eine Situation, wo Entscheidungen dann auch von diesen sachfremden Motiven geleitet sind oder werden können.“

Zitat aus Interview 18:

„Einfluss auf eine Person ausüben, entweder mit finanziellen Mitteln oder sonstigem Druck, oder andere Einflussnahme, die dieser Person oder in ihrer Sphäre einen Benefit verspricht, um dann etwas zu tun, was gegen das primäre Interesse, Interesse der Öffentlichkeit, verstößt.“

Einige Interviewteilnehmer (4 von 17 Befragten) lehnten sich bei der Begriffsklärung von

Korruption an die gängige Definition von Transparency International („Missbrauch von

anvertrauter Macht zum privaten Nutzen“) an. Allerdings wurde diese Begriffsbestimmung

seitens anderer Befragter auch als unpräzise und „schwammig“ bezeichnet, weil sie viel

Interpretationsspielraum zulasse und die Grenzen von Korruption nicht klar festlege (sprich:

„Wo beginnt Korruption und wo endet sie?“). Dadurch ergäbe sich oftmals eine fließende und

unscharfe Terminologie zu verwandten Konstrukten. Ähnliches geht auch aus der

internationalen Korruptionsliteratur hervor (vgl. Kapitel 2.1). Zwei der 17 befragten Personen

wiesen bei der Definition von Korruption auf den erweiterten Korruptionsbegriff im

Gesundheitssystem von Transparency International hin (vgl. Kapitel 3.1).

Zitat aus Interview 9:

„Also, ich würde mich schon an einer gängigen Definition festhalten, weil ich die prinzipiell nicht so schlecht finde. Ich glaube, Korruption ist, wenn man seine Macht missbraucht oder auch seine Stellung, aber Stellung hat ja auch viel mit Macht zu tun, um für sich selbst einen Vorteil zu generieren oder durchaus auch für die Institution, für die man arbeitet. Also Korruption ist ein Machtmissbrauch.“

Zitat aus Interview 10:

„Korruption ist das Nutzen einer Funktion oder Stellung oder einer Machtstellung zugunsten der eigenen Person, also um Vorteile zu generieren, und die Korruption geht immer zulasten Dritter“.

Während die Majorität (14 von 17 Befragten) Korruption weit über das Rechtskonforme

hinaus definierte, grenzte die Minorität (3 von 17 Befragten) Korruption auf den

strafrechtlichen Begriff ein. Einer der Befragten wies zudem auf die Notwendigkeit hin, sich

hierbei unbedingt auch den konkreten Einzelfall im Hinblick auf Wissentlichkeit,

Absichtlichkeit etc. anzuschauen.

167

Zitat aus Interview 6:

„Da sind wir schon wieder beim Ersten, wo fängt Korruption an und wo endet sie? […] Ist Korruption, wenn ich regelmäßig in ein teures Lokal gehe und dort viel Geld lasse und wenn ich dann dringend einen Tisch brauche, einen kriege? Wenn man streng diskutiert, JA. […] Also auch da kommen wir in eine Diskussionsebene hinein. Das heißt, wahrscheinlich ist und bleibt es trotzdem am besten, den gesetzlichen Korruptionsbegriff einmal heranzuziehen und sich dann den Einzelfall anzuschauen und vor allem zu unterscheiden zwischen der Absichtlichkeit und der Wissentlichkeit. Auch wenn ich weiß, Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, aber diesen Hintergrund zu betrachten und bei Veränderung eben zu schauen, wo sind die Gründe, wo kann ich eigentlich den Grund verändern. Ich glaube, ich muss immer den Grund verändern, warum jemand unter Umständen an die Grenzen von Korruption kommt.“

Zitat aus Interview 15:

„[…] und lehne mich bei der Beschreibung von Korruption an die einschlägigen Tatbestände vom Strafgesetzbuch an, die ich allerdings Ihnen jetzt auswendig ohne Text nicht wiedergeben kann, aber Korruption ist für mich gleichzusetzen mit dem, was im Strafgesetz unter die einschlägigen Bestimmungen fällt.“

Ausgehend von den diversen Expertensichtweisen und in Anlehnung an gängige Definitionen

kann Korruption im Kontext des Gesundheitssystems zusammengefasst als die „sachfremde

Beeinflussung von Entscheidungen und Handlungen, die im Interesse des öffentlichen

Gesundheitssystems stehen, zum Vorteil einer Person oder Organisation, jedoch zulasten

unbeteiligter Dritter (u.a. Patienten, Health Professionals) bzw. der Allgemeinheit (u.a.

Steuerzahler, Versicherungsgemeinschaft)“ definiert werden.

Zuletzt sei noch angemerkt, dass im Rahmen der geführten Interviews insgesamt zweimal und

im Einklang mit der Theorie stehend (Kapitel 2.1) darauf hingewiesen wurde, dass sich die

Formulierung einer einheitlichen, global akzeptierten Definition von Korruption aufgrund

kultureller Differenzen als sehr schwierig bis unmöglich erweisen kann. Was in einem Land

zweifelsfrei als korrupt gilt, muss nicht unbedingt auch auf andere Kulturkreise zutreffen.

Demnach sollte die transkulturelle Begriffsklärung von Korruption möglichst einfach gehalten

und erst innerstaatlich auf juristischer Ebene präzisiert werden.

Zitat aus Interview 7:

„Also ich glaube, […] man muss den Begriff einfach definieren, was verstehen wir darunter und dann alles, was drüber und drunter ist, fällt in den kulturellen Kaviar. […] In unserer Gesetzgebung ist es so, dass, wenn man jetzt public procurement betreibt, z.B. etwas einkauft, das ganz einfach, was die Parameter des Gutes betrifft, das billigste Gut eingekauft werden soll. […] In vielen Kulturen ist das nicht so. Ist aber nicht unbedingt jetzt Korruption, na, da wird gekauft von einem Familienmitglied aus dem Grund, weil es dann ein Quid pro quo ist. Man sagt ok, ich kauf was von dir, dann erwarte ich, dass du von mir was kaufst.“

168

5.7.2 Ausmaß von Korruption

Nachfolgend werden die Ergebnisse zum wahrgenommenen Ausmaß von Korruption im

österreichischen Gesundheitssystem anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle

15) erläutert. Angemerkt sei, dass die Erhebung des Korruptionsausmaßes nicht im

Vordergrund des Erkenntnisinteresses stand, da derartige Schätzungen zum

Korruptionsausmaß auf der persönlichen Wahrnehmung beruhen und auch aufgrund der

hohen Dunkelziffer wenig aussagekräftig sind. Somit lässt sich auch keine abschließende

Einschätzung zur Verbreitung und zum Schadensausmaß der im Folgenden dargelegten

Erscheinungsformen von Korruption abgeben. Es lassen sich lediglich grobe Aussagen über das

Korruptionsausmaß in Österreich tätigen.

Ausmaß von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Kategorien Häufigkeit

Zwischen 3 % und 10 % der österreichischen Gesundheitsausgaben 11

Rückgang, kein ernsthaftes Korruptionsproblem 4

West-Ost-Gefälle/Nord-Süd-Gefälle 3

Tabelle 15: Kategoriensystem zum Ausmaß von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem (Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Das Ausmaß von Korruption wurde in allen 18 Interviews erfragt, wobei drei

Experten hierzu keine Stellung bezogen.)

Dass das österreichische Gesundheitssystem vor Korruption und Missbrauch nicht gefeit ist,

wurde von keinem der befragten Experten angezweifelt. Allerdings gingen die Meinungen

weit auseinander, was das wahrgenommene Ausmaß von Korruption betrifft. Während die

Minorität (4 von 18 Befragten) im Ländervergleich von keinem ernsthaften Korruptions-

problem ausging bzw. von einem allmählichen Rückgang dank bisher gesetzter

Antikorruptionsbemühungen in den letzten zehn Jahren, schätzte die Majorität (11 von 18

Befragten) das Ausmaß mit dem Hinweis auf bestehende „Schlupflöcher“ und gewisse

Graubereiche von Korruption weitaus höher ein bzw. zwischen 3 % und 10 % der

österreichischen Gesundheitsausgaben. Drei der 18 befragten Experten verzichteten mit dem

Hinweis auf die Schwierigkeit und geringe Aussagekraft einer solchen subjektiven

Einschätzung auf eine diesbezügliche Stellungnahme.

169

Zitat aus Interview 8:

„Die Einschätzung ist schwierig, aber 10 %, also weniger ist es meiner Meinung nach auf keinen Fall, ja. Es geht sehr, sehr viel unter und man muss es halt wie gesagt sehr, sehr weit fassen, weil ich glaube, dass, wenn man den weiteren Begriff nimmt und auch wirklich sagt, wie werden Ärzte bezüglich Medikamenten informiert, was passiert hier? Die Transparenz von Studiendaten dazu nimmt, wenn man das wirklich ganz, ganz breit fasst, glaube ich, dass es noch mehr ist.“

Zitat aus Interview 9:

„Ich kenne auch diese Schätzungen, ja also 5-10 %, das sind Schätzungen, ja? Also ich glaube, es ist schwer abzuschätzen, ja, wie viel uns sozusagen verloren geht durch Korruption im System, aber ich nehme einmal an, dass wir in dem Bereich ungefähr liegen werden.“

Zitat aus Interview 10:

„Also je nach Definition, was Korruption ist, weil ja, Korruption ist ja oft so umfunktioniert, dass es gar nicht mehr als solche von den Akteuren wahrgenommen wird, halt ich diese 3-10 % für, ja, richtig geschätzt, ich glaube aber, dass eben sehr vielen, die daran beteiligt sind an solchen Themen, es gar nicht bewusst ist, weil Sie gar nichts anderes kennen.“

Zitat aus Interview 13:

„Also ich habe den Eindruck, dass das Thema insgesamt in den letzten Jahren massiv an Aktualität dahingehend gewonnen hat, dass einfach auch halt das Bewusstsein und der Umgang öffentlicher geworden ist, präsenter geworden ist, aber auch das Wissen, was versteht man unter Korruption bzw. was sind die Auswirkungen von Korruption. Ich glaube aber auch, und das ist auch gleich eine Aussage, ich bin mir sehr, sehr sicher, dass in Summe das Gesundheitswesen insgesamt weniger anfällig ist heute als vor zehn Jahren. Also da bin ich sehr, sehr überzeugt. […] Also ich glaube nicht, dass es in diesen Bereich [3-10 %] fällt.“

Zitat aus Interview 17:

„Also ich glaube, dass es schwer vergleichbar ist, Dinge, die vor zehn Jahren waren und heute sind. Also letztlich ist die Korruption wesentlich eindeutiger definiert, also, es ist ein größerer Personenkreis eindeutiger definiert, es ist ein Strafdelikt, ein ganz ein klares und dass das, wie es früher verstanden wurde, naja, der lockere Umgang, dass das wesentlich minimiert worden ist, weil einfach die Kriterien viel schärfer und klarer sind. […] Also jedenfalls fühle ich mich in einem relativ korruptionsfreien Umfeld.“

Hervorzuheben ist, dass insgesamt drei der 18 Befragten den Verdacht äußerten, dass es in

Österreich ein starkes West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälle gäbe, d.h., dass die

Korruptionsanfälligkeit bzw. das Korruptionsausmaß innerstaatlich aufgrund

unterschiedlicher kultureller Prägungen variiere. Dinge, die im Westen und Norden

Österreichs (z.B. Vorarlberg, Tirol) als verpönt gelten, würden im Osten und Süden (z.B.

Burgenland, Wien) aufgrund der eingehauchten „Ostblock- bzw. Balkaneinstellung“ toleriert

170

werden und daher eine gängige Praxis darstellen. Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde

folgende These abgeleitet:

V1 In Österreich besteht im Hinblick auf das innerstaatliche Korruptionsausmaß bzw. die

innerstaatliche Korruptionsanfälligkeit ein starkes West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälle.

Zitat aus Interview 4:

„Ich glaube, dass es da schon eine gewisse Abstufung gibt. Je weiter man in den Norden kommt, umso mehr ist die Sensibilität für das, was böse ist, Korruption, ausgeprägter. Und je weiter man in den Süden kommt und auch in den Osten teilweise, also, wenn ich jetzt, auf den Punkt gebracht, da vergleiche manche Ansätze in Vorarlberg und manche Ansätze in Wien/Niederösterreich/Burgenland dann merkt man schon auch z.B. in den Ärztekreisen, Gesundheitspersonal eine gewisse Laschheit je weiter man in den Osten kommt.“

Zitat aus Interview 6:

„Weil wir haben in Österreich ein extrem starkes West-Ost-Gefälle. […] Und das ist auch wieder aus der Vergangenheit erklärbar, das ist natürlich auch Ostblock.“

Zitat aus Interview 7:

„Ich gebe auch persönlich Anekdoten, wo ich persönlich also weiß, dass gewisse Dinge da im Osten anders gehandhabt werden als im Westen. Aber wiederum, das ist nicht wissenschaftlich fundiert, ich mein, das sind einfach persönliche Impressionen, ja.“

5.7.3 Erscheinungsformen von Korruption

Ausgehend vom vorliegenden Kategoriensystem (Tabelle 16) werden im Folgenden die

eruierten Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem nach

der Häufigkeit ihrer wahrgenommenen möglichen Korruptionsanfälligkeit45 aufgelistet und

beschrieben. Jene Erscheinungsformen, die nicht zu den korruptionsanfälligsten gezählt

wurden, werden nach der Häufigkeit ihrer Nennungen gereiht. Die identifizierten Einfallstore

für Korruption decken sich weitgehend mit jenen, die bislang auch in der Literatur – sowohl

auf internationaler Ebene (vgl. Kapitel 3.3) als auch auf nationaler (TI-AC 2010) – aufgezeigt

werden konnten. Darüber hinaus wurden auch „neu erkannte“ Korruptionsphänomene im

nationalen Gesundheitssystem (z.B. Überversorgung, „Upcoding“) aufgedeckt, die auf

45 Aussagen zum korruptionsanfälligsten Bereich im österreichischen Gesundheitssystem lassen sich in lediglich 13 der 18 geführten Interviews finden. Drei der 13 Experten nannten jeweils zwei Bereiche, die zu den korruptionsanfälligsten gezählt wurden.

171

internationaler Ebene längst als solche erkannt worden sind. Insgesamt wurden acht

Einfallstore für Korruption im nationalen Gesundheitssystem aufgedeckt. Zwar wurden

geringfügige Geschenke und der Missbrauch der E-Card (überwiegend auf Nachfrage hin) auch

thematisiert, allerdings wurden sie als weniger problematisch eingestuft, weswegen sie auch

in Tabelle 16 grau hinterlegt sind. Bei den dargelegten Erscheinungsformen von Korruption

besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Kategorien Häufigkeit

korruptionsan-fälligster Bereich

Häufigkeit Nennungen

Interaktionen zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals, Patienten oder Regulatoren

Einflussnahme auf Forschung, Fortbildung, Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)

Einflussnahme auf Patienten und Öffentlichkeit (Selbsthilfegruppen etc.)

Einflussnahme auf Arzneimittelzulassung, Arzneimittelpreise und Behördenaudits

5

17

16

8

8

Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen 4 16

Korruption in der öffentlichen Beschaffung 3 9

Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen

2 14

Überversorgung 1 10

Abrechnungsbetrug 1 10

Missbrauch von Nebenbeschäftigungen 17

Informelle Zahlungen/Kuvertmedizin 12

(Geringfügige Geschenke) 9

(E-Card-Missbrauch) 2

Tabelle 16: Kategoriensystem zu den Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Die Erscheinungsformen von Korruption wurden

in allen 18 Interviews erfragt.)

172

1. Interaktionen zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals, Patienten

oder Regulatoren

Die Industrie stellt einen wichtigen Player im Gesundheitssystem dar, der in erster Linie durch

die Zurverfügungstellung innovativer Medikamente und Medizinprodukte zur Verbesserung

der Lebensqualität kranker Menschen beitragen soll. Allerdings ist sie auch an der

Vermarktung und Umsatzsteigerung ihrer Produkte interessiert, wobei ihr nicht selten

unterstellt wird, ihre ökonomischen Ziele vor die sozialen zu stellen (TI-AC 2010, S. 15f.). Im

Spannungsfeld zwischen Profitinteressen und Patientenwohl erweist sich insbesondere die

Grenzziehung zwischen Kooperation und Korruption nicht immer als einfach. Obwohl die

Zusammenarbeit der (Pharma-)Industrie mit wichtigen Akteuren im Gesundheitssystem

(Ärzten, Patienten, Regulatoren etc.) für den wechselseitigen Informationsaustausch, die

Sicherstellung und Förderung des medizinischen Fortschritts und somit für die öffentliche

Gesundheit notwendig und wünschenswert ist, ist sie laut Kritikern mit den Marketing- und

Profitinteressen der Industrie nur schwer vereinbar (Schneider et al. 2011, S. 210). Dadurch

birgt sie ein großes Einfallstor für Korruption, welches auch von den befragten Experten am

häufigsten (17 von 18 Befragten) thematisiert wurde.

Dass im Anschluss überwiegend korruptionsnahe Interaktionen der pharmazeutischen

Industrie mit Medizinern, Patienten und Regulatoren beschrieben werden, liegt daran, dass

diese von den befragten Experten am häufigsten thematisiert wurden. Dies soll aber nicht

bedeuten, dass andere Industrien (Medizinproduktehersteller, Informationstechnologie,

Technik etc.) und Health Professionals (Pflegekräfte, Physiotherapeuten etc.) weniger anfällig

für Korruption seien.

Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Forschung, Fortbildung und

Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)

Das größte Einfallstor für Korruption im österreichischen Gesundheitssystem wurde in der

engen Zusammenarbeit zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals

(Medizinern) geortet. Insgesamt fünfmal wurde der Bereich zum korruptionsanfälligsten

gezählt, wobei beinahe alle Interviewteilnehmer (16 von 18 Befragten) auf die Thematik

eingingen. Dabei wurde insbesondere die Einflussnahme der Industrie auf die Forschung,

Fortbildung und die damit einhergehende Verschreibungspraxis der Ärzteschaft diskutiert.

173

Möglichkeiten, Einfluss auf die ärztliche Verschreibungspraxis zu nehmen, wurden allerdings

nicht nur im Bereich der Forschung und Fortbildung, sondern auch über den Einsatz anderer

unethischer Marketingpraktiken (übermäßige Gewährung von Naturalrabatten, Einsatz von

Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern etc.) gesehen. Angeprangert wurde vor

allem die Verwicklung von Ärzten in die wirtschaftlichen Interessen der pharmazeutischen

Industrie. Zwar waren sich alle Experten einig, dass gewisse Missstände, die vor zehn bis 15

Jahren noch gang und gäbe waren (z.B. unangemessene Rahmenprogramme auf Kongressen

wie Helikopterflüge etc., Übernahme der Aufenthaltskosten für Familienangehörige) bereits

der Vergangenheit angehören, dennoch wurde seitens mehrerer Personen die Vermutung

geäußert, dass weiterhin zahlreiche Schlupflöcher und „legale“ Möglichkeiten zur

„verdeckten“ Einflussnahme bestehen würden. Auf die Aktualität dieser Problematik wies

auch jüngst der Wiener Neurologe Fahmy Aboulenein (2016) in seinem Buch „Die Pharma-

Falle – Wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren“ hin.

Zitat aus Interview 8:

„Ich würde sagen, es gibt schöne Feigenblätter, aber die Situation hat sich meiner Meinung nach nicht geändert. Es gibt heute Regeln, wie man damit umgeht, und es gibt wie bei jeder Regel neue Wege, wie man diese Regeln umgeht. Es gibt offizielle Ethik-Kodizes und unterm Strich weiß man trotzdem, dass es so rennt, wie es rennt.“

Zitat aus Interview 9:

„Letztendlich findet die Industrie immer Möglichkeiten, das System, also das Gesundheitssystem, in dem Bereich, wo es für sie von Interesse ist, so zu gestalten, dass es für sie möglichst freundlich ist.“

Zitat aus Interview 14:

„Also diese, diese ganz argen Sachen, wenn ich das so formulieren darf, die finden nicht mehr statt. Ist es deswegen völlig weg, nein, nein, mit Sicherheit nicht. Es gibt also da noch viel zu tun. Und es gibt vor allem viel an Aufklärungsarbeit und an Sensibilisierungsarbeit zu leisten.“

Zitat aus Interview 18:

„Das Totschlagargument der Industrie, das ist alles ein alter Hut, NEIN.“

Im Bereich der Forschung wurden vor allem nicht-interventionelle Studien (Anwendungs-

beobachtungen), die seitens der öffentlichen Hand nicht finanziert werden, als ein weiterhin

bestehendes Schlupfloch für Korruption genannt. Zwar unterliegen nicht-interventionelle

174

Studien seit 2010 einer gesetzlichen Registrierungspflicht im nicht-interventionellen Studien-

register (vgl. Kapitel 4.2.1), dennoch wurde kritisiert, dass diese kaum kontrolliert werden und

somit nicht garantiert werden kann, dass diese nicht weiterhin als Marketinginstrument der

Pharmaindustrie und als zusätzliche Einkommensquelle der Ärzte zulasten der Patienten und

öffentlicher Kassen missbraucht werden. Einer der lukrativsten und zugleich anfälligsten

Bereiche für den Missbrauch nicht-interventioneller Studien wurde in der Onkologie geortet.

Es handle sich um kein unbedeutendes Nebeneinkommen, wenn im Rahmen einer

Anwendungsbeobachtung mehrere Patienten auf eine z.B. 50.000 Euro teure Therapie

eingestellt und pro Patient 2000 Euro von der Pharmaindustrie als sogenannte

„Aufwandsentschädigung“ kassiert werden. Solche überhöhten Aufwandsentschädigungen

wie auch unnötige Einstellungen von Patienten auf gewisse Arzneimittel würden eindeutig in

den Bereich von Korruption fallen. Ein Vertreter der Pharmaindustrie ging bereits von einem

wahrgenommenen Rückgang nicht-interventioneller Studien aus und erwähnte, dass sich sein

Unternehmen schon längst von dieser Praxis verabschiedet hätte. Inwiefern die im Juli 2016

eingeführte Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur Offenlegung sämtlicher

Zuwendungen an die Ärzteschaft dem Missbrauch nicht-interventioneller Studien zusätzlich

entgegenwirken wird können, kann aktuell noch nicht gesagt werden.

Zitat aus Interview 10:

„Beispielsweise Anwendungsstudien, wo Ärzte einen finanziellen Anreiz bekommen, ein Medikament zu verschreiben, weil sie dann pro ausgefülltem Bogen und Patient einen Aufwandsersatz kriegen, das ist ja etwas, was offiziell läuft. Das ist ja gar nicht einmal bei uns Korruption, aber das ist ein falscher Incentive, ja.“

Der gegenwärtige medizinische Wissenschaftsbetrieb in Österreich wurde nicht nur im

Hinblick auf Anwendungsbeobachtungen kritisiert. Beispielsweise führte ein

Gesundheitsökonom an, dass die überwiegende Finanzierung der medizinischen Forschung

(angewandten Forschung und/oder experimentellen Forschung) 46 durch die Industrie

aufgrund mangelnder öffentlicher Gelder dazu führe, dass Forschungsprojekte in eine falsche

(produktgetriebene) Richtung gelenkt werden würden. Seiner Ansicht nach komme es auf

diese Weise zu einer unglaublichen Verschwendung von Forschungsgeldern durch die

Auswahl irrelevanter Forschungsinhalte, die ausschließlich der Gewinnmaximierung der

46 Die Finanzierung der Grundlagenforschung erfolgt in Österreich hauptsächlich durch die öffentliche Hand (Hintringer 2011, S. 18).

175

Unternehmen und weniger einer evidenzbasierten, qualitativen Gesundheitsversorgung

dienlich wären. Als Beispiel führte er den onkologischen Bereich an, in dem wahnsinnig viel

geforscht wird, obwohl die Erfolgsrate relativ gering sei. Die auf den Markt gebrachten

hochpreisigen, aber wenig „innovativen“ Arzneimittel (sogenannte „Scheininnovationen“)

sollen vor allem zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets und der Patienten gehen.

Zitat aus Interview 2:

„Ich behaupte, dass 80 % der Dinge, die von der Industrie gesponsert sind, nur produktgetriebene Forschung ist und von unjeglicher Relevanz, also das behaupte nicht nur ich, da gibt‘s viele Menschen, die das behaupten.“

Weiters wurde angemerkt, dass industriegesponserte medizinische Forschung auch dazu

führe, dass Studienergebnisse zwar nicht unbedingt gefälscht, aber sehr häufig intransparent

dargestellt („beschönigt“, „korrigiert“) oder sogar im Falle negativer Ergebnisse gar nicht erst

publiziert werden. Im Einklang mit der Theorie (Hintringer 2011, S. 18; Petkov & Cohen 2016,

S. 10) komme es dadurch zu einer Verzerrung der tatsächlich vorhandenen wissenschaftlichen

Evidenzlage, dem sogenannten Publikationsbias, der sich in weiterer Folge negativ auf die

ärztliche Verschreibungspraxis auszuwirken vermag. Ein Vertreter von Transparency

International wies in diesem Kontext auf das Problem „unsauberer“ Studiendesigns hin,

wodurch es häufig zu einer Überschätzung der Wirksamkeit und Unterschätzung der

Nebenwirkungen von Arzneimitteln käme. Die Ansichten der Experten laufen konform mit den

Ergebnissen internationaler Studien, die den Zusammenhang zwischen Industriesponsoring

und positiven Studienergebnissen belegen (Yaphe et al. 2001; Lexchin et al. 2003; Ahn et al.

2017). Herausgegriffen sei an dieser Stelle erneut die systematische Literaturübersicht der

deutschen Ärzteschaft, die darauf schließen lässt, dass die Finanzierung einer

Arzneimittelstudie durch die pharmazeutische Industrie Einfluss auf die Interpretation und

Protokollierung der Studienergebnisse zugunsten des Sponsors nehmen kann, wodurch solche

Studien im Vergleich zu anderweitig finanzierten Studien häufiger zu einem für die

Pharmaindustrie vorteilhaften Ergebnis gelangen. Unterschiede in methodischer Hinsicht

konnten allerdings nicht festgestellt werden (Schott et al. 2010). In diesem Kontext sei auf die

Erfolgsgeschichte des Grippemittels „Tamiflu“ bzw. „Oseltamivir“ verwiesen, die

hauptsächlich auf geschönten Ergebnissen, zurückgehaltenen Studien, pharmaabhängigen

Autoren und dem Versagen von Regulierungsbehörden gegründet haben soll (Sprenger 2012,

S. 18ff.; Grandt 2013, S. 107f.).

176

Zitat aus Interview 9:

„Also dieser Publikationsbias, vieles wird nicht publiziert, publiziert werden vor allem Positivstudien, aber da sind wir schon eigentlich sozusagen in diesem Bereich dieser Verzerrungen, dieses Bias, ja. Aber das geht dann noch viel weiter, ja. Also viele dieser Studienergebnisse sind eigentlich nicht wirklich relevant, ja. […] der sagt, 90 % von dem könnt ihr schmeißen, weil das ist nicht repräsentativ, das gilt nur für die Studienpopulation, aber nicht für den Rest der Welt, und und und. Also da haben wir riesige Probleme, wenn man so will, ja.“

Was die ärztliche Fortbildung betrifft, wurde auf die Problematik hingewiesen, dass die Kosten

für ärztliche Kongressbesuche weiterhin zum überwiegenden Teil von der Industrie (Pharma-

und Medizinproduktehersteller) getragen werden und diese somit auch in gewisser Weise

gelenkt seien, d.h., dass selektiv in bestimmten Bereichen (vor allem in lukrativen)

weitergebildet wird. Aufgrund der stetig steigenden Kongressgebühren (bis zu 1000 Euro

exklusive Quartier und Verpflegung) und der gesetzlichen Fortbildungsverpflichtung (ÄrzteG §

49) 47 bei gleichzeitig fehlender öffentlicher Finanzierung sollen Ärzte regelrecht in die

finanzielle Abhängigkeit der Industrie und somit in die industriegetriebene Fortbildung

gedrängt werden. Internationalen Schätzungen zufolge soll mehr als die Hälfte aller

Fortbildungsaktivitäten durch die Industrie gesponsert sein (Podolsky & Greene 2008). Dabei

muss sich die Unterstützung nicht nur auf finanzielle Zuschüsse beschränken, sondern kann

auch Mitspracherechte bei der Referentenbestellung und Themenauswahl beinhalten

(Hintringer 2011, S. 18f.; Kern-Homolka 2013, S. 14f.). Nach Ansicht der befragten Experten

sollen pharmagesponserte Fortbildungen, die wirklich unabhängig sind (keine industrielle

Einflussnahme auf Organisation und Inhalte), eher eine Ausnahme darstellen. Laut einer

Studie von Wild et al. (2015b) belief sich das ermittelte Gesamtsponsoring für ärztliche

Fortbildung in Österreich im Jahr 2014 – in Abhängigkeit vom medizinischen Fach – zwischen

14 % (Angiologie) und 67 % (Rheumatologie), wobei die finanziellen Unterstützungsleistungen

hauptsächlich von Pharma- und Medizinprodukteherstellern aus dem jeweiligen Fach,

vornehmlich von „High-Cost“- und/oder „High-Volume“-Produkten, stammen. Mangels

kontrollierter Meldungen wurde der tatsächliche Sponsoringanteil weitaus höher geschätzt

(Wild et al. 2015b). Dass sich Industriesponsoring verzerrend auf medizinische

Fortbildungsinhalte und die ärztliche Verschreibungspraxis (höhere Verschreibungsraten,

inadäquate Verschreibung medizinischer Produkte) zugunsten des Sponsorpräparates

47 Nach den geltenden Bestimmungen (Verordnung über ärztliche Fortbildung, konsolidierte Fassung 2013) müssen Ärzte innerhalb von fünf Jahren im Rahmen des Diplom-Fortbildungs-Programms (DFP) 250 Punkte (einst 150 Punkte innerhalb von drei Jahren) durch den Besuch von approbierten Veranstaltungen, Literaturstudium oder E-Learning erwerben (Tschachler 2010, S. 7; ÖÄK 2013).

177

auszuwirken vermag, wurde auf internationaler Ebene bereits durch mehrere

Studienergebnisse verdeutlicht (Bowman & Pearl 1988; Wazana 2000; Katz et al. 2002;

Schneider & Lückmann 2008; Spithoff 2014, S. 694; Wild et al. 2015b, S. 9). Beispielsweise

konnte bereits vor knapp 20 Jahren in einer Studie aufgezeigt werden, dass Ärzte, deren

Fortbildungskosten durch die Industrie übernommen werden, dazu neigen, die Produkte ihres

Sponsors in den Folgemonaten bevorzugt zu verschreiben (Bowman & Pearl 1988). Dies dürfte

nicht zuletzt daran liegen, dass in industriegesponserten Fortbildungsveranstaltungen

Produkte des Sponsors häufiger erwähnt werden (Wazana 2000, S. 377). Grundsätzlich kann

daher davon ausgegangen werden, dass industriegesponserte ärztliche Fortbildung zur

Umsatzsteigerung bestimmter Produkte beiträgt, was vorrangig den Profitinteressen der

Industrie und weniger einer evidenzbasierten, qualitativ hochwertigen

Gesundheitsversorgung zugutekommt (Schneider et al. 2011, S. 210).

Zitat aus Interview 7:

„[…] dass ganz einfach selektiv in gewissen Bereichen weitergebildet wird, wo natürlich auch die Industrie was zu verkaufen hat. In anderen Gebieten, wo es nichts zu verkaufen gibt oder weniger zu verkaufen, es deswegen keine Weiterbildung gibt. Und also so hingehend wiederum, da kann man nicht argumentieren, das ist Korruption, das ist einfach dann zweifelhafte Geschäftspraktiken, das ist nicht illegal, ja.“

Zitat aus Interview 8:

„Der Einfluss der Pharmaindustrie auf jeden Fall, der Einfluss über die Fortbildung oder über die sogenannte Fortbildung, die sehr industriegetrieben ist, einerseits was die Preise von Fortbildungsangeboten angehen, dass kaum noch wer privat wo hinfahren kann auf einen größeren Kongress, weil es so teuer ist. Da muss man sich fast einladen lassen. Und dass die Fortbildung selber, dass da die Industrie sehr dahinter steht, auch wenn es offiziell neutrale Referenten sind.“

Zwar werden Einladungen zu Kongressen vielerorts nicht mehr direkt an die betroffenen Ärzte

ausgesandt, sondern erfolgen indirekt über den Vorgesetzten bzw. die Organisationsleitung,

dennoch konnte ein Arzt keinen großen Unterschied darin erkennen. Laut ihm nehme auch

die Wahrscheinlichkeit, zu einem Kongress eingeladen zu werden, mit der Zahl der

Verschreibungen zu. Während er eine solche Praxis als direkte Bestechung auffasste, gab ein

anderer Mediziner zu, dass er kein Problem darin sehe, warum er das Produkt jenes

Unternehmens, welches ihm in Form von Kongresseinladungen etc. Gutes tue, nicht öfters

verschreiben könnte. Seiner Ansicht nach schade er dem Patienten dadurch nicht, da es

178

aufgrund der strengen Zulassungsregulierungen am Medizinmarkt kein schlechteres Produkt

gäbe, sondern lediglich mehrere vergleichbare Präparate von verschiedenen Firmen.

Zitat aus Interview 6:

„Diese Kanülen gibt es von vier Firmen. Die sind völlig ident. Wenn Sie mir die Augen verbinden, da gibt es keinen Unterschied. Also nehme ich natürlich die von der Firma, die mir Gutes tut. Aber damit tu ich dem Patienten ja nichts Schlechtes.“

Dass es sich bei den präferierten Markenprodukten zumeist um viel teurere Arzneimittel

handelt, die vor allem zulasten der Krankenkassen gehen, bleibt häufig unberücksichtigt. Laut

den Ergebnissen der bereits erwähnten jüngst veröffentlichten Studie aus den USA, in der der

Zusammenhang zwischen finanziellen Beziehungen zu Pharma-/Medizinprodukteherstellern

und der Verschreibungspraxis von Ärzten untersucht wurde, nimmt die Wahrscheinlichkeit

(teilweise zwei- bis dreimal so hoch), ein – zumeist im höheren Preissegment liegendes –

Markenprodukt zu verschreiben, mit der Entgegennahme finanzieller Zuwendungen zu.

Neben direkten finanziellen Zuwendungen für Vorträge, Beratungen etc. können bereits

harmlos erscheinende Essenseinladungen Einfluss auf die Verschreibungspraxis nehmen

(Grochowski Jones & Ornstein 2016). Drei Untersuchungen des Ludwig Boltzmann Instituts für

Health Technology Assessment (Wild et al. 2015a; Wild et al. 2015b; Gregor-Patera et al. 2016)

bestätigen, dass Sponsoring auf nationaler Ebene vor allem im Bereich hochpreisiger Arznei-

mittel stattfindet (Hämato-Onkologie, Rheumatologie, Neurologie, Endokrinologie, etc.).

Auf Basis der vorliegenden empirischen Erkenntnisse wurden folgende zwei Thesen

abgeleitet:

E1 Pharmagesponserte medizinische Forschung und Fortbildung werden in eine

produktgetriebene Richtung gelenkt.

E2 Health Professionals (Mediziner), die finanzielle Zuwendungen seitens der Industrie

erhalten, verschreiben vermehrt deren Produkte.

Weiteres thematisiert wurde von den befragten Experten das Problem der sogenannten

Meinungsbildner (opinion leader) – Fachexperten, die sich öffentlich zu einem bestimmten

Thema äußern und dadurch andere in ihrer objektiven Meinungsbildung beeinflussen (Kern-

Homolka et al. 2011, S. 18). Kritisiert wurden insbesondere Ärzte, die im Auftrag bestimmter

Firmen auf sogenannten „Satellitensymposien“ im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen

179

„Expertenvorträge“ zu bestimmten Produkten oder Therapien halten und damit auch die

Verschreibungspraxis ihrer Kollegen zugunsten einzelner Firmen beeinflussen können. Solche

„Expertenvorträge“ wurden mitunter als regelrechte Verkaufsveranstaltungen bezeichnet.

Neben den Meinungsbildnern wurde auch die Unabhängigkeit von medizinischen

Fachgesellschaften und die Objektivität ihrer (Leitlinien-)Empfehlungen und

Konsensusberichte in Frage gestellt, da diese oftmals Meinungsbildner an Bord hätten und

teilweise von den Pharmafirmen finanziert werden würden.

Zitat aus Interview 9:

„Da gibt es diese Expertenmeetings, ja, wo man dann Expertenvorträge hat, die auch deklariert sind als Expertenvorträge, gesponsert von den Firmen. […] Also, die sind ja extrem anfällig. Also, wenn du dann irgendwelche Professoren ständig nach vorne stellst, ja, die natürlich klar sagen Glaxo finanziert das oder Merck finanziert das, ja, dass ich da rede da, ich bin opinion leader, ich bin der Experte. Das ist grenzwertig, das ist absolut grenzwertig. […] Diese Mitmäuler, die es nach wie vor gibt, ja, diese gekauften opinion leader, die sind natürlich auch extrem aggressiv, wenn du sie in diese Richtung anredest.“

Zitat aus Interview 18:

„Aber die Industrie schafft es, manipulativ Einfluss zu nehmen, in jedem einzelnen Bereich, der für das Gesundheitswesen relevant ist. Das fängt an ab der Forschung, geht dann weiter über die Forschung zu der Verschreibungspraxis des einzelnen Arztes, als auch dann über Multiplikationseffekte von Ärzten, Fachgesellschaften, Fachgremien über die verschreibenden Ärzte hinaus bis hin dann auch über die Interessensvertretung der Industrie zur Politik, Lobbyismus.“

Neben dem Forschungs- und Fortbildungsbereich wurden im Rahmen der geführten

Interviews auch andere unethische Marketingpraktiken der Industrie zur Beeinflussung der

Verschreibungspraxis der österreichischen Ärzteschaft diskutiert. Beispielsweise soll laut der

Aussage eines Vertreters der Pharmaindustrie die übermäßige (sprichwörtlich „kistenweise“)

Gewährung von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte eine weiterhin gängige Praxis in

Österreich darstellen, und dies trotz des vorliegenden gesetzlichen Verbotes (§ 55a AMG). Wie

auch ein Vertreter der Ärztekammer merkte er zusätzlich an, dass es auch in den Graubereich

von Korruption falle, wenn ein Krankenhausbetreiber das Medikament einer Firma trotz

Kostenvorteilen über längere Zeit bevorzuge, da dies im Rahmen der Streuwirkung und über

die Einstellung der Patienten auf ein bestimmtes Medikament wiederum zu einer vermehrten

Verschreibung im niedergelassenen Bereich führe.

180

Ausgehend von dieser empirischen Erkenntnis wurde folgende These aufgestellt:

E3 Trotz des gesetzlichen Verbotes werden Naturalrabatte an niedergelassene Ärzte nach wie

vor im Übermaß gewährt.

Heftige Kritik wurde auch am Berufsbild der Pharmareferenten und Medizinproduktevertreter

geübt, indem diese weniger für wichtige Informationslieferanten als vielmehr für

kompetenzlose Industrievertreter, die mit ihren Produktbroschüren in erster Linie

zielgerichtetes Marketing betreiben, gehalten wurden. Ein Vertreter von Transparency

International ging allerdings bereits von einem wahrgenommenen Rückgang dieser

Berufsgruppe aus.

Zitat aus Interview 18:

„Ja, also, es ist ein gesetzlich anerkannter Beruf [Pharmareferent]. Gut, schön, ja gut, und was haben die im Spital zu suchen? Welche Expertise haben die? Kennen die sich wirklich aus? Die haben ja auch nur die halbe Wahrheit, die haben ihre Produktbroschüren, die zielgerichtetes Marketing sind, im Prinzip, was anderes sind die nicht, um bei den Ärzten vorzusprechen. Nicht? Die Daten sind in Wirklichkeit abrufbar über die öffentlichen Datenbanken, das ist überhaupt kein Problem, Journale gibt es auch genug.“

Bislang gesetzte Maßnahmen zur Vorbeugung von Korruption an der Schnittstelle zwischen

Industrie und Ärzteschaft (z.B. Verhaltenskodizes, Veröffentlichung von Honorarzahlungen)

wurden als wichtig und notwendig erachtet, allerdings wären diese nicht ausreichend, um die

Einflussnahme der Industrie endgültig zu unterbinden. Beispielsweise bezeichnete ein Arzt die

Offenlegung sämtlicher Geldflüsse seitens der Pharmaindustrie als „intransparente

Transparenz“, solange diese überwiegend in aggregierter Form stattfinde. Diesbezüglich wies

ein Vertreter der Pharmaindustrie darauf hin, dass dies in erster Linie am mangelnden

Problembewusstsein und an der erforderlichen Einverständniserklärung der Ärzte läge und

weniger an der Industrie. Zudem müsste die Einhaltung von Verhaltenskodizes strenger

kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert werden. Insbesondere gilt es, allfällige Schlupf-

löcher zur Umgehung solcher Regeln, wie beispielsweise über das Outsourcing des „Rechts-

und Regelbrechens“ an externe Dienstleister, frühzeitig aufzudecken und zu unterbinden.

Zitat aus Interview 12:

„Vor zehn Jahren hätte ich gesagt, das größte Problem ist die Industrie, heute sage ich, das größte Problem sind die Ärzte.“

181

Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Patienten und Öffentlichkeit

Neben der Einflussnahme der (pharmazeutischen) Industrie auf Health Professionals wurde

mehrmals (8 von 18 Befragten) auch ihre Einflussnahme auf Patienten und Öffentlichkeit

angeprangert. Laut Expertenansicht soll es in den letzten Jahren einen starken Wandel

gegeben haben, nämlich von der Beeinflussung der Ärzte zur vermehrten Beeinflussung der

Patienten und Öffentlichkeit. Demnach versuche die Industrie vermehrt über den direkten

Kontakt mit den Patienten bzw. der Bevölkerung ihre Produkte zu vermarkten und die

verbotene Laienwerbung (§ 51 AMG) zu umgehen. Insbesondere sollen Patienten-

organisationen bzw. Selbsthilfegruppen, die aufgrund fehlender öffentlicher Finanzierung

häufig auf Mittel der Industrie angewiesen sind, eine neue Spielwiese und somit einen neuen

Nährboden für Korruption darstellen. Denn ein unabhängiges Agieren der Selbsthilfe im

Hinblick auf Information und Hilfestellung sei ab einem gewissen Grad der Fremdfinanzierung

nicht mehr sichergestellt. Laut internationalen Schätzungen trifft dies zu, sobald das Budget

der Patientenorganisation zu mehr als 20 % vom Sponsor getragen wird (Herxheimer 2003, S.

1209). Die größte Missbrauchsgefahr wurde in der „Direktvermarktung“, beispielsweise im

Rahmen pharmagesponserter Expertenvorträge, geortet, die letztlich zur Schaffung falscher,

unnötiger oder teurer Patientenbegehrlichkeiten führen soll. Schließlich stellt nicht jedes von

der Pharmaindustrie angepriesene Medikament für jeden Patienten die Heilsbotschaft dar

oder weist seine propagierte Wirksamkeit auf. In diesem Kontext sei auch auf das Problem

hingewiesen, dass Patientenorganisationen auch für Lobbyingzwecke instrumentalisiert

werden können, indem deren Mitglieder entsandt werden, um Einfluss auf wichtige

Entscheidungsträger (z.B. Arzneimittelzulassung) zu nehmen (Hintringer 2011, S. 18).

Basierend auf Studienergebnissen aus den USA quantifizierte der Vorsitzende der

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, das durch-

schnittliche Kosten-Nutzen-Verhältnis des Sponsorings von Selbsthilfegruppen mit eins zu

vier. Anders ausgedrückt: Jeder in eine Selbsthilfegruppe investierte Dollar bringt der Industrie

das Vierfache an Umsatz ein (TI-AC 2010, S. 24). Obwohl die Instrumentalisierung von

Selbsthilfegruppen zu Marketingzwecken der (pharmazeutischen) Industrie im Rahmen der

geführten Interviews als „neue Spielwiese für Korruption“ aufgedeckt wurde, muss an dieser

Stelle angemerkt werden, dass bereits Transparency International – Austrian Chapter in

seinem Grundsatzpapier vor zehn Jahren auf diese Problematik aufmerksam gemacht hat

(TI-AC 2010, S. 24f.).

182

Zitat aus Interview 5:

„Gerd Glaeske aus Deutschland hat geschrieben, dass eine Zeit lang Pharmafirmen auch gesagt haben, wir gehen nicht mehr auf die Ärzteschaft los, sondern wir kaufen uns Selbsthilfegruppen und es ist ein Investment nach der Studie von Gerd Glaeske wesentlich besser als bei der Beeinflussung des Verschreibungsverhaltens von Ärzten. Also Selbsthilfeorganisationen könnten möglicherweise eine neue Spielwiese sein.“

Zitat aus Interview 8:

„Einerseits die Beeinflussung der Öffentlichkeit und der Patienten ist ein Riesenthema, weil es, glaube ich, noch sehr unterschätzt wird. Es hat einen Wandel gegeben, weg von der Beeinflussung der Ärzte hin zur Beeinflussung der Patienten, das Schaffen von Begehrlichkeiten, das ist meiner Meinung nach eigentlich der größte Punkt, der wirklich sehr unterschätzt wird derzeit.“

Zitat aus Interview 12:

„Selbsthilfegruppen, also d.h. diese Gruppierungen oder die Patientenvertretungen, sind in Österreich halt nicht klar neutral gefundet und daher sind sie halt immer auf der Suche nach Geldmitteln und machen sich natürlich daher auch anfällig für, ja, dass man sie verwendet sozusagen.“

Inwiefern die Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur Offenlegung sämtlicher

Zuwendungen an Selbsthilfegruppen ihrer Einflussnahme langfristig entgegenwirken wird

können, kann bislang noch nicht gesagt werden. Kritisiert wurde, dass sich bislang nur die

Industrie, jedoch nicht Patientenorganisationen zur Offenlegung verpflichtet hätten. Laut der

bereits erwähnten jüngeren Bestandsaufnahme von Wild et al. (2015a) sollen die meisten

Unterstützungsgelder im Jahr 2014 an Selbsthilfegruppen in den Bereichen Neurologie,

Hämato-Onkologie, Rheumatologie und Hämophilie geflossen sein. Das auf Basis der

veröffentlichten Daten ermittelte Gesamtsponsoring soll 2014 insgesamt 1,146 Mio. Euro

betragen haben, wobei das wahre Ausmaß weitaus höher geschätzt wird.

Auf Basis der vorliegenden empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:

E4 Selbsthilfegruppen können von der Industrie zur Direktvermarktung missbraucht werden.

Eine weitere Möglichkeit, direkten Einfluss auf Patienten und Öffentlichkeit zu nehmen,

welche sich nach Expertenmeinung auch im Graubereich von Korruption bewegt, stellt die

Forcierung gesundheitsbezogener Awareness-Kampagnen (z.B. Impfkampagnen, Vorsorge-

maßnahmen) dar, um Bevölkerung und Regierende zum kollektiven Einkauf bestimmter

Produkte zu bewegen. Eine solche Vermischung von Werbung und Information sei nur schwer

durchschaubar. Mehrmals (drei der acht Befragten) wurde in diesem Zusammenhang die HPV-

183

Impfung (Impfung gegen humane Papillomaviren) als klassisches Beispiel angeführt, die

europaweit angeblich nur in Österreich für Mädchen und Jungen empfohlen wird, obwohl der

Nutzen – insbesondere für letztere Zielgruppe – in Fachkreisen durchaus kontrovers diskutiert

wird (Kern-Homolka 2013, S. 14). Vermutet wurde eine Verwicklung einzelner Mitglieder der

österreichischen Impfkommission in die wirtschaftlichen Interessen der pharmazeutischen

Industrie. Entgegen der Meinung der Experten muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass

mittlerweile Studienergebnisse vorliegen, die den Nutzen einer HPV-Impfung bei Jungen

durchaus belegen (Giuliano et al. 2011). Neben der umstrittenen HPV-Impfung sei ferner an

den „Schweinegrippe-Hype“ 2009/2010 verwiesen, der Entscheidungsträger und

Krankenkassen zum übermäßigen Einkauf unnötiger Impfstoffe veranlasst hat, obwohl er

letztlich milde verlaufen ist. Mittlerweile wird die Schweinegrippeimpfung zu den größten

Marketingkampagnen der letzten Jahre gezählt (Kern-Homolka et al. 2011, S. 21f.).

Zitat aus Interview 1:

„Ganz eigenartige Entscheidungen, man impft der Pharma in Österreich die Buben, ja, bei HPV, ja, ich glaube sonst nirgends. […] Warum gerade eine völlige Ausnahme, die Effizienz sozusagen oder der Nutzen nicht wirklich da nachgewiesen, nicht öffentlich diskutiert, nur mit viel Werbung vorbereitet wurde.“

Zitat aus Interview 8:

„Klassisches Beispiel auch die HPV-Impfung in Österreich als einziges europäisches Land für Buben empfohlen und von der öffentlichen Hand finanziert. Und auch da gibt es jemanden in der österreichischen Impfkommission, der von dieser Firma profitiert, würde ich einmal vorsichtig sagen, und der keinen Interessenkonflikt bekannt gegeben hat.“

Einflussnahme der Pharmaindustrie auf Arzneimittelzulassung, Arzneimittelpreise und

Behördenaudits

Im Graubereich von Korruption bewegt sich nach Ansicht mehrerer Experten (8 von 18

Befragten) häufig auch die gesamte Thematik rund um Arzneimittelzulassung,

Arzneimittelpreise und Behördenaudits. Kritik wurde vor allem an der schnellen

Zulassungsgeschwindigkeit von Arzneimitteln, deren Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und

Überlegenheit gegenüber anderen Präparaten nicht ausreichend nachgewiesen werden

konnte, geübt.48 Vermutet wurde u.a. eine Einwirkung der pharmazeutischen Industrie auf

48 Angemerkt sei, dass die Überlegenheit gegenüber anderen Arzneimitteln nach geltendem Arzneimittelgesetz (§§ 7 bis 27) keine Voraussetzung für eine Zulassung darstellt; erforderlich ist nur der Nachweis über eine den Risiken überlegene Wirksamkeit.

184

öffentliche Entscheidungsträger (z.B. AGES – Österreichische Agentur für Ernährungs-

sicherheit), denen massive Interessenkonflikte unterstellt wurden. Schließlich dürfe die

Zulassung oder Nicht-Zulassung eines Arzneimittels ausschließlich von der Überprüfung der

zugrunde liegenden Studiendaten abhängig sein.

Zitat aus Interview 7:

„Wir haben immer noch einen der höchsten, also in der OECD, einen der schnellsten Zulassungsgeschwindigkeiten. […] Und andere Länder sind da viel, viel vorsichtiger ja, also die schauen sich das an, was bringt es, außer neue Kosten, ist es effektiv das Medikament vis-à-vis älteren Medikamente usw. Also da wird viel sorgfältiger abgewogen, in Österreich ist man da sehr, sehr schnell. Also im Prinzip ein goldener Boden für die Pharmawirtschaft.“

Zitat aus Interview 16:

„[…] wenn man wirklich neue Arzneimittel registrieren will, sei es jetzt europaweit oder österreichweit, dann benötigt man ja klinische Studien, benötigt man ja einen gewissen Clinical Assessor. Und hier, glaube ich, ist schon der erste Schritt, wo Österreich sehr anfällig sein kann, ich vermute es auch ist, um gewisse Studien zu akzeptieren bei dem einen und bei dem anderen nicht zu akzeptieren. […] Wenn man schon bei der Registrierung von Arzneimitteln ist, […] also von der Firma aus haben wir doch sehr viele Kunden und manche Kunden schaffen es einfach spielend zu registrieren, manche schaffen es gar nicht. Also das ist für mich, sag ich einmal, der erste Punkt, wo ich glaube, viel Korruption zu schnuppern, ja? Also sprich bei der Registrierung von Arzneimitteln.“

Neben der Zulassungsgeschwindigkeit wurde auch die überhöhte Preisgestaltung von

Pharmaka angeprangert, die öffentliche Gesundheitsbudgets zu sprengen drohe und vielen

Patienten den Zugang zu einem effektiven Arzneimittel verwehre. Nach Ansicht eines

Vertreters der Gebietskrankenkasse stellen überhöhte Medikamentenkosten aktuell eines der

größten Probleme für die Krankenkassen und einen guten Nährboden für Korruption dar.

Weder die Produktions- noch Forschungs- und Entwicklungskosten könnten eine solche

überhöhte Preispolitik rechtfertigen. Das Problem überhöhter Medikamentenpreise zulasten

der jeweiligen Kostenträger (Bund, Länder, Krankenversicherung etc.) wird auch in der jüngst

veröffentlichen Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und

Gesundheitsbereich diskutiert (LSE 2017a, S. 70).

Zitat aus Interview 8:

„Ich sehe es eher in dem Bereich Medikamentenkosten. Das ist eine riesige Baustelle, da sind große Summen dahinter und auch sehen wir, dass ganz massiv interveniert wird, Fortbildungen, Stakeholder ins Boot geholt werden, bevor Medikamente überhaupt auf den Markt kommen. Ja, also Medikamente kosten, neue, teure Medikamente, das ist eigentlich das größte Thema, für uns das größte Problem.“

185

Zitat aus Interview 9:

„Die Bereiche, die uns derzeit unser Solidaritätssystem zu sprengen drohen, das sind diese hochpreisigen Arzneimittel und die sind vor allem in der Onkologie. Und die geraten zurzeit ein bisschen aus den Fugen. Das bedeutet auch immer, bei endlichen Mitteln bedeutet das immer, dass man dann in anderen Bereichen sparen muss.“

Am häufigsten (vier der acht Befragten) wurden in diesem Kontext – neben den hochpreisigen

Onkologika (Arzneimittel zur Krebsbehandlung) – die überhöhten Kosten für die neue,

angeblich hochwirksame und weitgehend nebenwirkungsfreie Hepatitis-C-Therapie genannt.

Aktuelle Studienergebnisse scheinen die Wirksamkeit (Heilungsraten zwischen 90-100 %),

Sicherheit und Verträglichkeit der neuen, dafür eingesetzten Arzneimittel zu bestätigen

(Zeuzem 2017). Allerdings wurde im Rahmen der geführten Interviews auch kritische Stellung

hierzu bezogen. Es lägen noch viel zu wenige Studiendaten vor, als dass man schon wirklich

etwas über die Wirksamkeit dieser neuen Therapie sagen könnte. Außerdem müsste man die

Studienergebnisse differenzierter betrachten, d.h. im Hinblick darauf, für welche Patienten-

gruppen tatsächlich Heilungsaussichten bestehen würden. Zudem wären die Arzneimittel viel

zu schnell zugelassen worden. Anfangs beliefen sich die Kosten für eine zwölfwöchige

Hepatitis-C-Therapie in Österreich auf ca. 80.000 Euro. Mittlerweile konnte der Preis dank

erneuten Preisverhandlungen auf ca. 20.000-30.000 Euro gesenkt werden, wobei er noch

immer viel zu hoch angesetzt ist, um alle Patienten damit behandeln zu können. Die

Kostenübernahme durch die österreichischen Krankenkassen für die Behandlung einer

Hepatitis C vom Genotyp 2 oder 3 hängt nach wie vor vom Stadium der Erkrankung ab (APA

2017b).

Zitat aus Interview 2:

„Diese Medikamente scheinen tatsächlich hochwirksam im Vergleich zu anderen Dingen, die auf dieser Welt auf dem Medizinmarkt purzeln, aber man muss da schon differenzierter hinschauen, wo es tatsächlich Beweise gibt, für welche Patientengruppe von Hepatitis-C-Erkrankten.“

Zitat aus Interview 8:

„Der Preis ist extrem hoch, der Preis ist unethisch hoch meiner Meinung nach, es ist sehr schnell zugelassen worden, es ist zugelassen worden mit Vergleichsdaten, die nicht ganz korrekt sind, und es läuft jetzt unter, die Patienten haben keine Alternative, also brauchen sie das. Und ich bin gespannt, wie man in zehn Jahren darüber redet, wenn bekannt ist, wie es wirklich funktioniert hat.“

186

Was die Auditierung pharmazeutischer Unternehmen durch Behörden (z.B. AGES) zur

Überprüfung bestimmter Qualitätsstandards angeht, gab ein Vertreter der Pharmaindustrie

deutlich zu verstehen, dass diese durchaus sehr gelenkt sein kann, indem eben sehr

unregelmäßig auditiert oder Einfluss auf den Auditor und das Auditergebnis genommen wird.

Auch das interne Qualitätsmanagementsystem ließe einen gewissen Spielraum zu, was

schlimmstenfalls zur Einschleusung minderwertiger Arzneimittel auf den Medizinmarkt führen

kann.

Zitat aus Interview 16:

„Pharmazeutische Unternehmen werden ja in regelmäßigen Abständen von den Behörden auditiert. […] Auch hier sehe ich in meinem Umfeld Unregelmäßigkeiten. […] Hier gibt es viel Spielraum, abhängig von welchem Auditor man auditiert wird und wie dann auch das Audit ausfällt. […] Was immer wieder Spielraum lässt, ist natürlich der individuelle Spielraum der einzelnen Produzierenden. D.h. eben abhängig von der sachkundigen Person, die gewisse Sachen zulässt wie das Qualitätsmanagement-system, das die haben können, bis hin zu illegalen Arzneimitteln, illegale Arzneimittel ist übertrieben, aber bis hin zu Arzneimitteln, die incompliant sind, die nicht auf den Markt dürften, aber trotzdem auf den Markt kommen – persönlich haftend. D.h. wenn die sachkundige Person unterschreibt, ist sie diejenige, die das an und für sich auch dann zu verantworten hat.“

2. Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen

Das zweitgrößte Einfallstor für Korruption wurde in der Vergabe von Terminen für

diagnostische/therapeutische Leistungen und elektive Operationen geortet. Insgesamt vier

Experten stuften diesen Bereich als den korruptionsanfälligsten ein. Aufgegriffen wurde die

Problematik von nahezu allen befragten Experten (16 von 18 Befragten). Die Ergebnisse lassen

insgesamt darauf schließen, dass nach wie vor eine Verkürzung der Wartezeit (im

Gemeindespital) durch eine private Krankenzusatzversicherung, über den Besuch einer

Privatordination oder eine private Zuzahlung („Kuvertmedizin“) möglich ist. Die Annahmen

decken sich somit weitgehend mit den Ergebnissen vorangegangener Untersuchungen, in

denen ein solcher vermuteter Zusammenhang bereits empirisch belegt werden konnte

(Czypionka et al. 2013; VKI 2010, 2016).

Zitat aus Interview 2:

„In der [Name der Klinik] gibt es eine Ärztin, die hat einen Tag in der Woche reserviert, damit sie die Leute, die sie vorreiht, mit Scheckbuchmedizin operieren kann. Das weiß man, das weiß man in der [Name der Klinik] an der klinischen Spitze bis hinunter. Jeder weiß es.“

187

Zitat aus Interview 3:

„Es gibt dann schon Fälle, wo man sagt, naja, ich hab Hüftschmerzen, ich warte auf eine Operation, es ist ein elektiver Eingriff, d.h. also ein planbarer Eingriff. Und ich will aber nicht warten und ich will nicht Schmerzen haben und ich bin nicht zusatzversichert – wobei man auch nicht Vorfahrt haben dürfte, wenn man zusatzversichert wäre, aber man könnte dann in ein Privatspital gehen. Aber ich will halt einfach jetzt nicht warten und dann offeriert einem jemand, na, das machen wir so, gehen sie zum Herrn Oberarzt in die Privatordination, dort bezahlen Sie eine Ordination oder dort bezahlen Sie schlicht und einfach im Kuvert und dann sind sie plötzlich auf der OP-Liste.“

Zitat aus Interview 8:

„Wartezeiten sind ein Thema, dass man in eine private Ordi geht, dort für die Beratung zahlt und früher einen Termin kriegt, natürlich gibt es das. […] Ich weiß konkret von einigen Häusern, dass es einfach zwei Listen gibt, es gibt eine offizielle Liste und es gibt eine Chefliste. Also ich glaube schon, dass die meisten Patienten, dass 90 % wahrscheinlich schon der Reihe nach drankommen, aber es gibt natürlich Möglichkeiten, das zu umgehen.“

Zitat aus Interview 13:

„Also ich glaube, was für mich, für mich persönlich schon dazu zählt und was aber in vielen Fällen auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so wahrgenommen wird oder einfach nicht so angenommen wird ist z.B. die Beschleunigung von Terminen bei ärztlichen Untersuchungen oder Leistungen. Also die Thematik, die es 100%ig gibt, dass durch Zuzahlungen Termine für diagnostische oder therapeutische Leistungen teilweise beschleunigt werden können.“

Zitat aus Interview 17:

„Das größte Problem wird wohl sein die Umgehung von Wartezeiten.“

An der Möglichkeit, Wartelisten zu umgehen, soll sich auch seit der Novellierung des

Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (§ 5a Abs. 2 KAKuG) im Juli 2011 nicht viel

geändert haben, obwohl dadurch öffentliche und privat-gemeinnützige Krankenanstalten zur

Einrichtung eines transparenten Wartelistenregimes für elektive Operationen sowie für Fälle

invasiver Diagnostik verpflichtet wurden und auch ein individuelles Auskunftsrecht für

Wartezeiten (§ 5a Abs. 3 KAKuG) eingeräumt wurde (vgl. Kapitel 4.2.1). Dieser Umstand wurde

insbesondere auf die mangelhafte Umsetzung auf Landesebene bzw. auf die leichte

Umgehung solcher Wartelistenregime und EDV-gestützter Anmeldesysteme (wie

beispielsweise „OPERA“) zurückgeführt. Letztlich bestehe stets die Möglichkeit, zu

argumentieren, dass eine Vorreihung aufgrund der medizinischen Indikation/Dringlichkeit

notwendig sei, was für nachgereihte Patienten nur schwer nachvollziehbar ist. Auf diese

Problematik wiesen bereits Czypionka et al. (2013, S. 12) in ihrer Untersuchung zu Wartezeiten

auf Elektivoperationen hin.

188

Zitat aus Interview 4:

„Das war ja auch so ein Versuch transparente Operationswartezeiten zu schaffen, da hör ich immer wieder vom Krankenanstaltenverbund wie toll das funktioniert und wie transparent dieses ganze System ist, und wenn man aber dann sozusagen zwischen zwei oder vier Ohren mit Ärzten redet, dann sagen die genau, das ist überhaupt kein Problem, das zu umgehen. Also man kann das relativ locker, wenn man es will, ohne auffliegen zu müssen, umgehen. Also es ist da schon auch ein gewisser Gap noch zwischen dem, was vl. an Strukturen vorhanden ist, und dem, wie es in der Praxis dann auch wirklich funktioniert.“

Zitat aus Interview 10:

„Es hat ja kein Träger von den einzelnen Abteilungen eine Warteliste, die stimmt. Also rufen Sie bei einem Träger an und fragen Sie, wie lange die Wartezeiten auf Staroperationen auf der Augenabteilung sind, dann kriegen Sie von ihnen die Meldung, die sich gemeldet haben, und dann rufen Sie die vom Sekretariat an. Das sind zwei Welten. Und warum ist das so? Weil der Arzt den Vorteil hat, immer sagen zu können, dass es abhängig ist von der medizinischen Indikation.“

Zitat aus Interview 12:

„Und ich meine, es gibt in Österreich, nach dem KAKuG muss es ein transparentes Wartelistensystem geben, das funktioniert aber nicht, das gibt es aber nicht. […] Da hat man versucht etwas vom Bund her Gescheites zu machen, man hat gesagt, das darf es nicht geben, das wollen wir nicht und dann hat man den neun Ländern gesagt ‚Und jetzt setzen Sie es um‘. Dann ist in jedem Bundesland lobbyiert worden und je nach Farbe und Zusammenstellung und Ärztekammer und weiß nicht was ist das jetzt so oder so formuliert und ist sowas von einem Gummischwamm, ja?“

Zitat aus Interview 18:

„Ob es jetzt wirklich diese Wartelisten formal gibt, weiß ich nicht, es ist nur gelebte Praxis und das wissen wir, dass die Wartezeiten für Privatversicherte auch in öffentlich-rechtlichen Spitälern kürzer sind für jede einzelne Untersuchung/Intervention, das ist Faktum.“

Zwei der 16 Befragten räumten allerdings auch ein, dass sich die Vorreihung von

zusatzversicherten Patienten im öffentlich-rechtlichen Spital oftmals nicht vermeiden ließe.

Es müssten allein schon deswegen zwei Wartelistenregime im Gemeindespital bestehen, da

man jemanden aus der allgemeinen Gebührenklasse nicht ohne Weiteres in ein Privatbett

legen dürfte und es wenig Sinn ergeben würde, Privatpatienten trotz freier Betten tagelang

im Spital auf ihren Eingriff warten zu lassen. Deswegen fassten die beiden Befragten es auch

nicht als korrupt auf, wenn Privatversicherte früher einen Termin bekämen, vielmehr

bezeichneten sie es als eine Schwäche im System. Dass kürzere Wartezeiten auf

Operationstermine nicht unabhängig von der Bettenstruktur betrachtet werden können,

wurde auch seitens Pruckner & Hummer (2013, S. 51) diskutiert. Allerdings wiesen Kraus et al.

(2010, S. 42) darauf hin, dass die Verteilung der Bettenkapazitäten so erfolgen müsse, dass es

189

zu keiner ungerechtfertigten Bevorzugung von zusatzversicherten Patienten gegenüber

Allgemeinklassepatienten komme.

Zitat aus Interview 15:

„Was die Geschwindigkeit betrifft, ins System zu kommen, gibt es eine Bevorzugung von Privatversicherten, aus dem Grund, den ich genannt habe, weil die kommen in die Sonderklasse und dort ist früher ein Bett frei. Und dass sie dann dort ein paar Wochen leben, entspricht nicht dem Sinn.“

Im Rahmen der geführten Interviews sprachen sich insbesondere Patientenanwälte ganz klar

dafür aus, dass es nicht zulässig sein kann, zusatzversicherte Patienten gegenüber Klasse-

patienten im öffentlich-rechtlichen Spital zu bevorzugen. Dies widerspreche nämlich der

gesetzlichen Regelung der Sonderklasse (§ 16 KAKuG), nach der man nur Vorteile hinsichtlich

der Verpflegung und Unterbringung haben darf, allerdings nicht hinsichtlich der medizinischen

Behandlung, worunter eine Vorreihung definitiv falle.

Zitat aus Interview 4:

„Da ist immer noch nicht klar, dass es aufgrund der gesetzlichen Regelung sehr detailliert geregelt ist, was unter Sonderklasse zu verstehen ist. Nämlich unter Sonderklasse ist zu verstehen, dass ein Patient, im Hinblick auf die Hotelkomponente, also Verpflegung und Unterbringung, Vorteile haben kann, also hat halt drei Menüs dann zur Auswahl oder ein Einzelzimmer oder kriegt fünf Zeitungen etc., aber nicht was Medizin betrifft. Und wenn man nämlich eine Umfrage in der Bevölkerung machen würde und das wird von den Privatversicherungen natürlich auch gepusht ‚Warum schließen sie eigentlich eine Privatversicherung ab?‘, da werden Ihnen wahrscheinlich 95 % nicht sagen, damit ich drei Zeitungen habe und damit ich ein schöneres Zimmer habe. Natürlich ist die Erwartung, ich gebe da jetzt 150 Euro im Monat aus, damit ich eine bessere Medizin habe, damit ich kürzere Wartezeiten habe.“

Angemerkt wurde allerdings auch, dass es wichtig sei, zu berücksichtigen, dass lediglich die

Umgehung von Wartezeiten in öffentlichen Spitälern strafbar sei, jedoch nicht eine

„Terminbeschleunigung“ durch die Behandlung in einem Privatspital. Schließlich stehe es

jedem frei, sich privat behandeln zu lassen, wodurch man automatisch schneller zu einem

Termin käme. Wenn man das abschaffen wollen würde, müsste man die

Krankenzusatzversicherungen in Österreich verbieten.

Zitat aus Interview 6:

„Aber das, worüber die Leute immer reden ist ‚Ja, der hat die Hüfte früher gekriegt‘. Dann fragst: ‚Wo ist denn der operiert worden?‘. Dann sagt er: ‚Ja, im Rudolfiner Haus‘. Sag ich: ‚Wunderbar, der hat das entweder bar gezahlt oder er hat eine Zusatzversicherung und damit darf er, weil er damit außerhalb des öffentlichen Systems steht‘. Und das müssen wir schon zulassen oder wir verbieten Zusatzversicherungen.“

190

Ein aktuelles Beispiel im Hinblick auf die Wartelistenproblematik, welches von mehreren

Interviewteilnehmern (6 der 16 Befragten) eingebracht wurde, stellen die österreichweiten

langen Wartezeiten auf eine Magnetresonanztomografie (MRT) und die Möglichkeit der

„Terminbeschleunigung“ im Falle des Vorliegens einer Zusatzversicherung oder der privaten

Kostenübernahme dar.

Zitat aus Interview 4:

„Und da gibt es ein ganz brutales Beispiel und da komm ich jetzt auch zu dem Thema Zweiklassenmedizin, weil das rennt eher unter dem Thema Zweiklassenmedizin, aber für mich ist es eigentlich auch Korruption. Werden Sie vielleicht auch mitgekriegt haben in den Medien, auch in Kärnten ist es ein Riesenproblem diese MR-Wartezeiten in den privaten Instituten.“

Zitat aus Interview 18:

„Ich habe einmal ein MR gebraucht für einen Patienten, war jetzt nicht per akut dringlich, aber doch in den nächsten Tagen sehr wünschenswert vom medizinischen Fortgang und erfahre ‚Nein, das geht nicht, ich habe nur mehr Termine für Sonderklassepatienten‘.“

Auch eine unlängst veröffentlichte Studie des Vereins für Konsumenteninformation bestätigte

die Bevorzugung von Privat- gegenüber Kassenpatienten bei MRT-Untersuchungen (VKI 2016).

Argumentiert wurde dieser Zustand seitens der befragten Experten wie folgt: Die seitens der

Krankenkassen fixierte Kostendeckelung für MRT-Untersuchungen, die eigentlich zur

Vermeidung medizinisch nicht indizierter radiologischer Aufnahmen gesetzt wurde, führe

dazu, dass sich Radiologie-Institute gezwungen sehen, Untersuchungen auf das ganze Jahr zu

verteilen oder Kosten für nicht gedeckelte Untersuchungen privat mit den Patienten

abzurechnen – wissentlich, dass dies eine Vertragsverletzung gegenüber den Kassen darstelle.

Allerdings lässt der mangelnde Wille seitens beider Vertragspartner (Radiologen und

Krankenkassen), dieser unschicklichen Situation entgegenzuwirken, laut der Aussage von

Patientenanwälten darauf schließen, dass letztlich beide davon zulasten der Patienten

profitieren. Während sich die Krankenkassen durch die Kostendeckelung viel Geld ersparen,

erwirtschaften Radiologen durch die private Abrechnung mit den Patienten zusätzliche

Einnahmen. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es zwischenzeitlich (im März 2017)

bereits zu einer Einigung zwischen der Sozialversicherung und Wirtschaftskammer gekommen

ist, die eine Aufhebung der Kostendeckelung ab 2018 zur Vermeidung langer Wartezeiten auf

MRTs und CTs (Computertomografien) vorsieht. Zudem sollen auch die Wartelisten künftig

über die Websites der jeweiligen Radiologie-Institute veröffentlicht werden (Die Presse 2017).

191

Ausgehend von den insgesamt gewonnenen empirischen Erkenntnissen wurde folgende

These abgeleitet:

E5 Wartezeiten können mittels einer Zusatzversicherung, über den Umweg der

Privatordination oder mittels einer privaten Zuzahlung verkürzt werden.

3. Korruption in der öffentlichen Beschaffung

Wie auf internationaler Ebene (vgl. Kapitel 3.3) wurde auch hierzulande das öffentliche

Beschaffungswesen als besonders korruptionsanfällig eingestuft – insbesondere was die

Vergabe von Aufträgen im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen (vor allem im

Spitalsbauwesen) sowie das Einkaufs- und Beschaffungswesen öffentlicher Spitäler betrifft.

Sogar dreimal wurde im öffentlichen Beschaffungswesen die höchste Korruptionsanfälligkeit

geortet. Insgesamt gingen neun der 18 Befragten auf die Thematik ein. Korruption in der

öffentlichen Beschaffung soll das österreichische Gesundheitssystem jährlich sehr viel Geld

kosten. Die hohe Korruptionsanfälligkeit des Vergabebereiches wurde unter anderem auf die

schwere Kontrollierbarkeit der Vergaberichtlinien aufgrund der Komplexität und Involviertheit

zahlreicher Firmen und Personen zurückgeführt. Ein Arzt merkte an, nicht wissen zu wollen,

was sich derzeit beim Bau des Krankenhauses Nord in Wien abspiele, obwohl er gleichzeitig

auch betonte, dass Korruption in diesem Bereich aufgrund der Verpflichtung zur

europaweiten Ausschreibung nicht mehr so einfach sein soll. Auch ein Gesundheitsjournalist

äußerte eine ähnliche Vermutung, indem er einen Kostenvergleich zwischen dem Bau des

Klinikums am Wörthersee (ca. 320 Mio. Euro) und dem Bau des Krankenhauses Nord in Wien

(ca. 1 Mrd. Euro) – bei ungefähr gleicher Größenordnung – zog.

Zitat aus Interview 6:

„Wir hauen uns gerade mit dieser depperten Korruptionsdiskussion, die in den großen Ebenen einen wirklichen Sinn macht, aber wie gesagt, wer schaut denn auf den Bau vom Krankenhaus Nord? Ich bin sicher, dass es dort so korrupt zugegangen ist wie ohne Ende.“

Zitat aus Interview 10:

„Sie haben das Klinikum am Wörthersee. Das hat 320 Mio. gekostet. Für die ungefähr gleiche Größenordnung von ambulanten stationären Feldern bauen die Wiener gerade das Neuspital. […] mehr als fast eine Milliarde, also mehr als das Dreifache. Was glauben Sie, wo das Geld hin ist?“

192

Zitat aus Interview 13:

„Also ich glaube, die größte Gefahr oder Einfallstore sehe ich in öffentlichen Vergaben, insbesondere im Bauwesen, also dort, aber das ist jetzt ein Glaube und kein Wissen. Dort ist meines Erachtens die größte Gefahr gegeben bzw. bei Ausschreibungen, deren Kriterien nicht sauber gemacht sind.“

Darauf, dass die öffentliche Auftragsvergabe einen besonders anfälligen Bereich für

Korruption darstellen kann, wurde bereits vor zehn Jahren im Grundsatzpapier von

Transparency International – Austrian Chapter (TI-AC 2010, S. 13f.) hingewiesen und die

Aussage durch mehrere Fallbeispiele untermauert. Inwiefern die damals geforderten

präventiven Ansätze (Wahrung des Vier-Augen-Prinzips, klare Provisionsregelungen,

Trennung von Beschaffer und Anwender) tatsächlich umgesetzt worden sind und heute noch

gelebt werden, kann angesichts der vermuteten Korruption beim Bau des Wiener

Krankenhauses Nord nicht genau gesagt werden.

4. Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen

Insgesamt zweimal wurde im Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher

(höherrangiger) Positionen, worunter Favoritismus/Nepotismus, die Drehtürkorruption und

mitunter auch Lobbyismus gezählt wurden, die höchste Korruptionsanfälligkeit geortet.

Thematisiert wurde die Problematik seitens mehrerer Personen (14 von 18 Befragten). Laut

mehrheitlicher Expertenansicht bergen persönliche Verbindungen eine hohe

Korruptionsanfälligkeit, da sie zumeist auf dem Grundsatz der Reziprozität – dem Prinzip des

Gebens und Nehmens laut der sozialen Austauschtheorie nach Homans (vgl. Kapitel 2.4) –

gründen und somit leicht zum eigenen bzw. wechselseitigen Vorteil zulasten unbeteiligter

Dritter missbraucht werden können. Beispielsweise wurde angeführt, dass bereits ein enger

persönlicher Kontakt zu einem Arzt einem dazu verhelfen kann, an die richtige Person zu

gelangen oder bevorzugt behandelt zu werden. Diese Art der Korruption, die im Rahmen der

geführten Interviews zur „dritten Klasse“ gezählt wurde, sei in einem kleinen Land wie

Österreich gang und gäbe und wäre nur schwer vermeidbar. Sie wurde auch als „moderne

Korruption“ bezeichnet.

Zitat aus Interview 10:

„Und die dritte Klasse ist die, die jemanden kennen. Also da läuft keine direkte Zahlung von Geld, aber man wird behandelt, weil sich der Behandler einen direkten oder indirekten, mittelbaren oder unmittelbaren Vorteil für seine Funktion oder Person erwartet.“

193

Zitat aus Interview 11:

„Aber natürlich ist es schon wichtig, ob ich von einem, dem ich besonders vertraue, von dem ich weiß, dass er viele Erfahrungen auf dem Sektor hat und viel Erfolg, wenn ich mir den aussuchen kann als ich werde von irgendjemanden operiert, der vielleicht nicht diese Erfahrung hat, diese Qualität.“

Zitat aus Interview 12:

„Ich habe im Freundeskreis 100.000 Ärzte, ja. Wenn ich in dieses Haus hineingehe und was brauche und vor allem den Richtigen anrufe, werde ich sicher dort bevorzugt behandelt. Und das ist eigentlich Korruption. Ja, weil ich nutze einen Kontakt, den ich habe, zu meinem persönlichen Vorteil. Und wenn ich früher dran komme, kommt wer anderes später dran.“

Zitat aus Interview 14:

„Und das, was ich in Österreich erlebe, ist die dritte Klasse, das sind die, die die richtigen Leute kennen.“

Weitaus „gefährlicher“ wurden Beziehungsverflechtungen (Favoritismus/Nepotismus) auf der

Makroebene eingestuft, da sie Interessenkonflikte bei wichtigen Beratungs- und

Entscheidungsträgern des Gesundheitssystems (z.B. Oberster Sanitätsrat, Impfausschuss,

Gesundheit Österreich Gmbh, Landessanitätsräte) hervorrufen und dadurch einer objektiven

Entscheidungsfindung zulasten der Allgemeinheit zuwiderlaufen können. Beispielsweise kann

sich ein enger persönlicher Kontakt zwischen einem Vertreter der Pharmaindustrie und einem

Entscheidungsträger der Gebietskrankenkasse negativ auf das System auswirken, indem zum

Beispiel überhöhte Medikamentenpreise vereinbart, Posten an die „falschen“ Personen oder

Aufträge an die „falschen“ Firmen auf Kosten der Allgemeinheit vergeben werden. Die

Aussagen lassen darauf schließen, dass zahlreiche solcher Beziehungsverflechtungen und

Interessenkonflikte im österreichischen Gesundheitssystem existieren und nicht immer

offengelegt werden. In diesem Kontext sei auch auf die seitens Kern-Homolka et al. (2011, S.

23f.) beschriebenen Verflechtungen der Pharmafirmen untereinander verwiesen, die auf

Dauer zu einer Wettbewerbsbeschränkung und überhöhten Medikamentenpreisen beitragen

können.

Zitat aus Interview 9:

„ […] also von Baxter bis Gesundheitsministerium, Hauptverband, akademische Einrichtungen, MedUni und so, da hast Personen, die sind miteinander zur Schule gegangen, die kennen sich super gut, ja. Und die, glaube ich, die sagen, für uns gilt das alles nicht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht erwischt werden. […] Und da war ein Professor und da haben Studierende gesagt, ja, aber warum kriegen wir nur das Cervarix, das Gardasil ist viel besser, das wirkt ja gegen vier Viren und das Cervarix nur gegen zwei. Dann hat der Professor gesagt, passt, ich rufe heute noch die andere Firma an, weil da kenne ich den und den, ich garantiere euch, dass es auch Gardasil gratis geben wird.“

194

Zitat aus Interview 10:

„Es ist ja kein einziger Minister Fachmann für das, was er tut. Also warum ist der [Name der Person] oder die [Name der Person] das geworden, was sie sind? Ja, Nepotismus, also Parteizugehörigkeit. Und was ist jetzt dabei, wenn ich meinen Abteilungsleiter so besetze, wenn es mich eh nichts kostet? Als Firma mache ich das eh nicht, weil es mich was kostet. Aber wenn die Kosten eh die Allgemeinheit trägt, dann ist ja wurscht, wen ich nehme. Dann schaue ich, dass ich mein eigenes Machtgefüge, mein Beziehungsnetz, pflege auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist sicherlich das teuerste in Österreich, was der Allgemeinheit am meisten Geld kostet.“

Auf Basis der vorliegenden empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:

E6 Im österreichischen Gesundheitssystem bestehen zahlreiche (höherrangige)

Beziehungsverflechtungen und (schwerwiegende) Interessenkonflikte, die nicht immer

offengelegt werden.

Im Kontext von Favoritismus/Nepotismus wurde auch auf das Problem der sogenannten

„Drehtürkorruption“ verwiesen. Ein Stellenwechsel aus dem öffentlichen in den privaten

Sektor oder umgekehrt stelle in Österreich keine Seltenheit dar und berge aufgrund damit

einhergehender schwerwiegender Interessenkonflikte eine besonders hohe Anfälligkeit für

Korruption.

Zitat aus Interview 1:

„Die Korruption geht ja nicht so, dass da Geld ausgetauscht wird, sondern der Schwiegersohn kriegt einen Posten bei der Firma Z oder man ist dann irgendwo und dann kriegt man einen Posten bei der Firma Y. […] Sowas gab es in den Sozialversicherungen, jetzt gibt es das woanders. Was soll man sich dabei denken? Wenn Leute sozusagen von so Funktionen dann zu so einem Lobbyisten wechseln und dort Geschäftsführer werden?“

Zitat aus Interview 9:

„Und auch von der EMA, von der European Medical Agency, sind Leute schon aus leitender, führender Position direkt quasi in die Gegenpartei gegangen.“

Laut Expertenansicht bewege sich auch Lobbyismus stark im Graubereich von Korruption, als

mehrmals der Verdacht geäußert wurde, dass „sauberes“ Lobbying selten vorkomme und

gerne zur persönlichen Nutzenmaximierung durch die manipulative Einflussnahme auf Politik

und Gesellschaft missbraucht werden würde. Zudem soll das aktuelle Verhältnis der

Interessenvertretungen im österreichischen Gesundheitssystem sehr unausgewogen sein. So

verfüge die Ärztekammer aktuell über eine der stärksten Interessenvertretungen, während

195

die Patienten bisweilen eine der schwächsten Lobbys aufwiesen und somit deren Interessen

kaum vertreten seien.

Zitat aus Interview 1:

„Das Hauptproblem sind z.B. Lobbyisten. […] und die Spitzen der Politik lassen sich von diesen Leuten einladen und vorführen. Ein in [Ortsbezeichnung] der Cheflobbyist, der oberste Lobbyist macht eine eigene, hat einen eigenen Auftritt in [Ortsbezeichnung]. Nennt sich [Name der Veranstaltung]. Also das, da wird signalisiert, man kommt weiter, wenn man mit ihm arbeitet, nach wie vor. […] Der kauft nach wie vor Spitzenleute ein, ehemalige hohe Beamte der [Institutsname].“

Zitat aus Interview 11:

„Ich habe Probleme, Lobbying und Korruption sehr stark zu differenzieren, weil ich finde, dass Lobbying sehr in die Nähe der Korruption geht. Wirklich sauberes Lobbying ist in der Minderzahl.“

Zitat aus Interview 12:

„Die Patienten lobbyieren bei uns in Österreich sehr wenig, die Industrie lobbyiert auch wenig, die Ärzte lobbyieren brutal, da ist es nicht sehr ausgeglichen.“

Zitat aus Interview 16:

„Schrecklich, schrecklich [das Lobbying]. Generell etwas zu verabscheuen.“

Andererseits wurde Lobbyismus seitens anderer Interviewteilnehmer als sehr wichtig und

unabdingbar für eine sachlich fundierte Entscheidungsfindung erachtet – vorausgesetzt

natürlich, er gründe auf einer korrekten Interessenvertretung und Informationsweitergabe.

Mehrmals betont wurde, dass Lobbying auf Vertrauen und Transparenz im Sinne der

Offenlegung von Interessenkonflikten beruhen müsse. Die verpflichtende Eintragung ins

Lobbyisten-Register im Jahr 2013 (§ 9 LobbyG) sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung

gewesen, jedoch müsse er auch ausreichend kontrolliert und ggf. sanktioniert werden.

Zitat aus Interview 10:

„Nein, das ist überhaupt kein Widerspruch. Also das würde gehen, das ist ja nicht Korruption. […] Dass für die Meinungsbildung beim Gesetzgeber Lobbyarbeit geleistet werden kann, das ist ganz wichtig.“

Zitat aus Interview 13:

„Ich stehe im Lobbying-Register. Und ich bin absolut dafür zu lobbyieren. […] Allerdings ist immer die Frage, was heißt Lobbying? Für mich ist Lobbying gleichzusetzen mit Information und man kann auch, und das ist auch meine Erfahrung, hervorragend informieren und auch den anderen positiv beeinflussen, wenn man fair informiert.“

196

Zitat aus Interview 14:

„Ein Ausschließen jedweder Interaktion zwischen diesen beiden Welten würde, glaube ich, beiden nur schaden, denn auch sozusagen dieser Austausch, diese Kommunikation, diese Informationsweitergabe, die soll ja zu besseren Entscheidungen führen, zu sachlich fundierten Entscheidungen.“

Zitat aus Interview 15:

„Lobbyieren wird dann korruptionsnahe, wenn dann Methoden kommen sollten, die dann echt das Entscheidungsverhalten so beeinflussen, korruptionsnahe nicht, also da muss man dann wissen, wo man Halt macht, um die Objektivität zu seiner eigenen Entscheidungsfindung zu wahren.“

Zitat aus Interview 17:

„Und dass Vertreter von Interessen natürlich versuchen, Lobbying dafür zu betreiben, um ihre Interessen möglichst gut vertreten zu können, glaube ich, das ist ja auch legitim. Und das hat ja überhaupt nichts mit Korruption oder mit Vorteilnahme oder mit Versprechen von Vorteilen oder mit was auch immer zu tun, sondern das ist einfach die normale tägliche Arbeit jeder Interessenvertretung.“

Zitat aus Interview 18:

„Das Ganze ist schwer in Ordnung, wenn das Ganze transparent geschieht.“

5. Überversorgung

Im Graubereich von Korruption bewegt sich nach mehrheitlicher Ansicht der Experten (10 von

18 Befragten) auch die gesamte Thematik rund um Überversorgung, Überdiagnostik,

Übertherapie bis hin zur Krankheitserfindung („Disease Mongering“) 49 . Ein Interview-

teilnehmer ortete darin sogar den korruptionsanfälligsten Bereich. Die Problematik sei

hierzulande aber bislang kaum erkannt worden, weswegen mehrmals von einem „neu

erkannten“ Korruptionsphänomen gesprochen wurde. Vielerorts soll noch das Motto gelten:

Mehr Medizin, mehr Gesundheit. Und dies, obwohl die Krankenbehandlung nach § 133 (2)

ASVG zweckmäßig und ausreichend zu sein hat und das Maß des Notwendigen nicht

überschreiten darf. Überversorgung kann nämlich nicht nur zulasten der

Krankenversicherungsträger, sondern auch der Patienten gehen – sowohl in finanzieller als

auch in gesundheitlicher Hinsicht. Beispielsweise wurde darauf hingewiesen, dass jede

Diagnostik mit falsch-positiven Befunden einhergehen und jedes Medikament auch

49 Unter „Disease Mongering“ wird das Erfinden und Verkaufen von Krankheiten verstanden. Dabei werden normale Körpererfahrungen und Befindlichkeitsstörungen (z.B. Menopause, niedriger Blutdruck, Haarausfall etc.) zu einer Krankheit hochstilisiert und unnötigerweise einer medikamentösen Behandlung unterzogen. Häufig handelt es sich hierbei um die Festlegung problematischer Grenzwerte (z.B. Bluthochdruck), was folglich zu mehr Patienten und damit zu einem erhöhten Medikamentenkonsum führt (Schönhöfer 2004, S. 200; Kiesl 2010, S. 14; Kern-Homolka et al. 2011, S. 22f.; Kern-Homolka 2013, S. 13f.).

197

Nebenwirkungen mit sich führen kann. Demnach können überflüssige Therapien durchaus

mehr Schaden als Nutzen stiften. Die Meinung der Experten deckt sich weitgehend mit den

Ergebnissen internationaler Untersuchungen (Morgan et al. 2015). Darüber hinaus wurden

auch Vorsorgeuntersuchungen im Bereich der Überversorgung angesiedelt, da sie ebenso

einen Rattenschwanz an teurer unnötiger Diagnostik und Therapie nach sich ziehen können.

Darin wurde sogar ein besonders hohes Einsparpotenzial vermutet.

Zitat aus Interview 2:

„Die Überversorgung ist gigantomanisch, unglaublich in Österreich, aber nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, und dass man ganz viele Leistungen einfach ersatzlos streichen könnte. […] Wir leiden am medizinischen Overkill, an der völligen Überversorgung.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich meine, letztendlich fällt unter diese ganze Thematik auch die Vorsorge darunter. Was mache ich an Vorsorge und was hat das dann einen Rattenschwanz an Diagnostik und Therapie hinter sich.“

Zitat aus Interview 9:

„Was ist das neue Phänomen gerade? Also das, also für mich z.B. ist ein starkes neues Phänomen dieser Fokus auf Personen, die eigentlich gesund sind. Dieser ganze Präventionsmarkt, ja. […] Diese ganzen Zusatzangebote, die eigentlich gar nicht gebraucht werden, ja, also irgendwelche Sondertests oder Sonderuntersuchungen, die es auch früher schon immer gegeben hat, aber ich glaube, das ist zurzeit ein Mega-Markt. […] Und wenn man bewusst sagt, dass Überversorgung Betrug ist, dann muss ich dir ehrlich sagen, dann passiert viel Betrug in unserem System. […] Inzwischen haben wir da quasi einen Rattenschwanz, ja, an unnötiger Diagnostik. Manche sagen, ein Drittel Diagnostik ist unnötig, manche sagen 50 % der Diagnostik ist unnötig, ja, weiß ich nicht. Aber das ist gigantisch. Und da würde ich auch sagen, da ist auch das Einsparungspotenzial enorm.“

Zitat aus Interview 12:

„[…] und ich glaube halt schon, dass die Ärztekammer da wirklich auch Bedarf hat, dass man ihr einmal sagen müsste, was macht denn Sinn, was wollen wir denn? Und eben weg von dem ‚Die beste Medizin für alle‘ und für alle alles zugänglich machen. Nein, wir brauchen nicht für alle alles, wir brauchen nur das Richtige für die richtigen Leute. Ja?“

Nach Einschätzung der Befragten sind zusatzversicherte Patienten und Privatpatienten am

meisten gefährdet, überversorgt und damit fehlversorgt zu werden, da sie sowohl für das

Individuum als auch für die Organisation sehr lukrativ sein können. Unter anderem soll es

vorkommen, dass sie bewusst unnötigen diagnostischen Untersuchungen (MRT, CT etc.) und

operativen Eingriffen unterzogen, sie von einer Station zur nächsten geschickt, ihnen zu viele

Pharmaka verabreicht oder sie länger im Spital gehalten werden. Dass ein Zusammenhang

198

zwischen zusatzversicherten Patienten und überflüssiger Medizin besteht, konnte auf

internationaler Ebene bereits mehrmals empirisch belegt werden (Shah et al. 2011; Koshy et

al. 2015). Beispielsweise konnte in der Studie von Koshy et al. (2015) aufgezeigt werden, dass

Patienten mit einem metastasierten Lungenkarzinom im Falle des Vorliegens einer

Zusatzversicherung einer längeren Strahlentherapie (RT) oder Chemo-Strahlentherapie (CRT)

im öffentlichen Spital ausgesetzt wurden als in Richtlinien empfohlen wird. Zahlen und Daten

zur Überversorgung auf nationaler Ebene liegen bislang nicht vor (Berger & Bayer 2015) –

zumindest sind der Autorin keine bekannt.

Zitat aus Interview 7:

„Ja, also wenn ich irgendwo in einem impliziten Einverständnis mit Kollegen Patienten immer wieder herumschicke und überweise und zurücküberweise und hin und her überweise, bleibt bei jedem was hängen, ja, es dient dem Patienten nicht, ganz im Gegenteil, es ist für den Patienten schädlich, die Ärzte wissen das und es wird halt trotzdem getan.“

Zitat aus Interview 9:

„Aber es gibt eine Mehrklassenmedizin, ja, wobei es gar nicht bedeutet, dass die, die die meiste Versorgung kriegen, unbedingt am besten aussteigen. Das ist halt die klassische Geschichte von den Zusatzversicherten, die eigentlich wegen Kopfweh ins Spital kommen oder wegen irgendwas anderes ins Spital kommen und dann quasi alle diagnostischen Tests über sich ergehen lassen müssen, die nur irgendwie rechtfertigbar sind. Ja? Und das passiert auch nach wie vor, das hat nicht gestoppt. […] Es ist evident, dass die weiterhin so alle möglichen Angebote gemacht kriegen.“

Zitat aus Interview 10:

„Eine Benachteiligung Klassenmedizin kommt permanent vor, jemand der gesagt hat, Sonderklasseversicherung kriegt noch die 23. diagnostische Maßnahme verordnet, weil sie verrechenbar ist. “

Zitat aus Interview 18:

„[…] obwohl man sagen muss, dass eine Zusatzversicherung oftmals auch ein Nachteil sein kann, weil wenn man so Sachen hört wie, das habe ich selbst gehört, deswegen kann ich es so sagen ‚Ich will haben, dass, wenn dieser Patient, der nur kommt für eine Darmspiegelung, nach Ende der drei Tage seines dreitätigen stationären Aufenthaltes von jeder Fachdisziplin gesehen wurde‘. Das habe ich selbst gehört und ich frage ‚Was soll ich denn draufschreiben auf die einzelnen Zuweisungen?‘ Dann hieß es ‚Musst dir selber was einfallen lassen, die anderen Kollegen wollen auch verdienen‘.“

Anhand der gewonnen empirischen Erkenntnisse lässt sich folgende These ableiten:

E7 Zusatzversicherte Patienten und Privatpatienten werden überversorgt.

199

6. Abrechnungsbetrug

Ein Interviewteilnehmer ortete in der ambulanten und stationären Leistungsabrechnung die

höchste Korruptionsanfälligkeit im österreichischen Gesundheitssystem. Allerdings deuten

die Expertenaussagen (10 von 18 Befragten) insgesamt darauf hin, dass es sich bei

Abrechnungsbetrug im Sinne der Verrechnung von Leistungen, die niemals oder nicht

vollständig erbracht worden sind, eher um einzelne schwarze Schafe als um Korruption im

großen Stil handelt. Der Einsatz spezieller Software, die Honorarabrechnungen nach

Auffälligkeiten screent (Plausibilitätsprüfungen), sowie jüngst eingeführte Abschreckungs-

maßnahmen wie das Mystery Shopping sollen Abrechnungsbetrug in den letzten Jahren

deutlich eingedämmt haben. Kritisiert wurde allerdings, dass einzelne schwarze Schafe nur

selten vor Gericht gebracht werden würden, da Abrechnungsbetrug vielerorts noch immer als

„Kavaliersdelikt“ durchgehe. Zumeist werden die betroffenen Personen im Rahmen amikaler

Gespräche auf ihr Vergehen „hingewiesen“ und gegebenenfalls zur Rückzahlung zu viel

ausgezahlter Gelder aufgefordert. Zudem hätten die betroffenen Personen immer die

Möglichkeit zu argumentieren, dass überhöhte Honorarabrechnungen aufgrund eines Irrtums

oder Programmfehlers zustande gekommen wären. Laut Kern-Homolka (2011, S. 17) sollen

sich die jährlichen auf „Abrechnungsfehlern“ basierenden Rückforderungen seitens der

OÖGKK auf Summen bis zu 500.000 Euro belaufen, wobei Zahlungsrückforderungen zwischen

30.000 und 70.000 Euro gegenüber einzelnen Ärzten keine Seltenheit darstellen.

Zitat aus Interview 8:

„Abrechnungsbetrug gibt es, ist ein Thema, wobei ich das jetzt gar nicht so sehr in diese Schiene hineintun würde, weil das sind einzelne schwarze Schafe, wie man sie in jedem Beruf hat.“

Zitat aus Interview 9:

„Ich glaube, dass das [der Abrechnungsbetrug] nicht im großen Stil passiert. Also ich glaube, es gibt Einzelfälle, die da aus irgendeinem Grund glauben, sie haben das Recht da in die Richtung irgendetwas zu machen.“

Weitaus mehr Abrechnungsbetrug wurde hingegen im Hinblick auf den Graubereich der

Maximierung/Optimierung von ambulanten und stationären Leistungsabrechnungen durch

die unangemessene Wahl von Diagnosecodes („Upcoding“) – auf den auch jener

Interviewteilnehmer, der in der Leistungsabrechnung die höchste Korruptionsanfälligkeit

vermutete, hinwies – geortet. Allerdings wird „Upcoding“ nach Expertenansicht bislang nicht

200

von jedermann als korrupt aufgefasst, sondern vielmehr als betriebswirtschaftlich klug und

legitim erachtet und obendrein durch das bestehende Abrechnungssystem (z.B. LKF-System)

begünstigt. So merkte auch ein Gesundheitswissenschaftler an, dass es wichtig sei, zwischen

der Optimierung von Leistungsabrechnungen, welche eine gängige Praxis darstelle, und

tatsächlichem Betrug zu unterscheiden. Ersteres würde er ebenso nicht als korrupt auffassen.

Entgegen der Meinung der Experten muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass

„Upcoding“ auf internationaler Ebene durchaus unter Abrechnungsbetrug subsumiert wird

(Europäische Kommission 2013, S. 87ff.).

Zitat aus Interview 2:

„Das ganze Gebiet der Maximierung von Leistungsabrechnungen, dazu gibt es ja ganze Software-Pakete, die das tun, um LKF-Punkte z.B. zu maximieren. Das ist genau in dem Graubereich, der für mich eindeutig bereits in die Korruption hineinfällt. Um mehr Geld zu lukrieren, rechne ich Patienten anders ab als sie tatsächlich im Schweregrad oder in der Leistung, Leistungsumfang, Leistungen empfangen haben. Andere Menschen, Betriebswirte, Spitalsmanager, würden das wahrscheinlich als betriebswirtschaftlich klug betrachten, ich betrachte es eben aus der Seite, von der Seite des Steuerzahlers, dass da Geld, öffentliches Geld, auf nicht statthafte Art und Weise abgerechnet wurde.“

Zitat aus Interview 7:

„Abrechnungsbetrug, das passiert im Krankenhaus zum Teil ganz offiziell, also wo das LKF massiert wird, dass andere Diagnosen formuliert werden, nur um eine höhere Rückerstattung zu bekommen, eine höhere Bezahlung zu bekommen in dem LKF.“

Ferner wurde auch mehrmals auf die Maximierung von Leistungsabrechnungen über die

Erbringung und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen (vgl. Punkt 5

„Überversorgung“) hingewiesen. Dies stelle hierzulande aber noch einen großen Graubereich

dar, obwohl offensichtlich gegen § 133 (2) ASVG, wonach eine Krankenbehandlung

zweckmäßig und ausreichend zu sein hat und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten

darf, verstoßen wird.

Zitat aus Interview 7:

„Wenn ein Arzt halbwegs etwas verdienen will, dann muss er ganz einfach auf Quantität arbeiten, ja, auf Kosten der Qualität, auf Kosten der Zeit für den Patienten, um möglichst viele Punkte einzuheimsen und möglichst unnützes Zeugs anbieten.“

Zitat aus Interview 8:

„Abrechnungsbetrug gibt es natürlich, das sind jetzt auch keine kleinen Summen, aber im Vergleich zu dem, was falsch und unnötig an Medikamenten oder an Diagnostik gemacht wird, ist das irrelevant.“

201

Zitat aus Interview 9:

„Wenn man es wirklich scharf sieht, müssten wir sagen, jede Form von Überdiagnostik und Übertherapie, wenn ich sie bewusst mache, also Beispiel Schilddrüsendiagnostik. Ich weiß, es reicht eigentlich, wenn ich einen Wert mache, wenn ich aber immer alle fünf Werte mache, obwohl es unnötig ist, der eine Wert reicht, dann ist das Betrug eigentlich. Es ist noch nicht so deklariert, weil es passiert nichts, weder die Krankenkasse haut mir das auf die Finger noch sonst irgendwer haut mir auf die Finger.“

7. Missbrauch von Nebenbeschäftigungen

Dass Nebenbeschäftigungen von Health Professionals ein Schlupfloch für Korruption aufgrund

hervorgerufener Interessenkonflikte bieten können – insbesondere dann, wenn sie in

kritischer Nähe zur Hauptbeschäftigung stehen –, wurde im Rahmen der geführten Interviews

mehrmals (17 von 18 Befragten) thematisiert. Neben diversen Beratungs- und

Vortragstätigkeiten für die Industrie wurden primär Nebenbeschäftigungen von Spitalsärzten

in Privatordinationen oder Privatkliniken diskutiert. Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass

Spitalsärzte Patienten in ihre Privatordination zur Vor- und/oder Nachbehandlung abwerben

oder diese gänzlich in den Privatbereich abziehen. Dies soll keine Seltenheit darstellen und

führe nicht nur zur finanziellen Schädigung des Dienstgebers durch den Wegfall der

Sonderklasseeinnahmen, sondern gegebenenfalls auch der Patienten im Falle des Nicht-

Vorliegens einer Zusatzversicherung und der privaten Kostenübernahme. Andererseits sollen

solche Nebenbeschäftigungen auch dazu führen, dass Ärzte zu wenig pausieren oder während

ihrer offiziellen Arbeitszeiten nicht anwesend sind („Absentismus“), weil sie „zwischenzeitlich“

in ihre Privatordinationen oder Privatkliniken „verschwinden“. Dies vermag sich negativ auf

die Gesundheit der Patienten ihres öffentlichen Dienstgebers auszuwirken. Vor allem soll es

durch die Reduktion der Dienstzeiten für Spitalsärzte im Rahmen der KA-AZG-Novelle im Jahr

2014 (Stärker 2014), die zum Wohle der Mediziner und Patienten im Sinne der Vermeidung

einer fachlichen und zeitlichen Überforderung der Ärzteschaft vorgenommen wurde und mit

einer Gehaltserhöhung einherging, zu einer Zunahme von Nebenbeschäftigungen gekommen

sein. Dies soll auch einen der Hauptgründe darstellen, warum sich die Ärzteschaft momentan

so gegen eine Dienstzeitenreduktion bei aktuell öffentlich geführter Debatte um ein mögliches

Nebenbeschäftigungsverbot wehrt (Salzburger Nachrichten 2016).

202

Zitat aus Interview 2:

„Ja, aber das ist der Wahnsinn des Images der Medizin, dass die meisten Leute, die bereit sind, viel Geld zu zahlen für irgendwelche Koryphäen, nicht wissen, dass diese Koryphäen schon längst diese Dinge nicht mehr selber tun, sondern alles delegieren. D.h., das, was man eigentlich erwartet von den Koryphäen, dass sie hoch frequentiert sind, d.h., dass sie pro Tag fünf Patientenoperationen machen und deswegen bei der 6., 7., 8. genau wissen, was sie tun, dass sie das alles schon längst nicht mehr tun, weil sie eben Koryphäen sind und stattdessen auf Konferenz reisen gegen 10.000 Euro Honorar für die Pharmaindustrie. Und irgendwelche Turnusärzte tun ihren Job.“

Zitat aus Interview 3:

„Ein nicht seltenes Phänomen ist das Abwerben aus dem öffentlichen Bereich in den Privatbereich, das würde in anderen Branchen zum Rauswurf führen. In Wien ist es zumindest üblich und letztlich offensichtlich, weiß jeder, machen viele. Da gibt es Fälle, das berichten mir Spitalsärzte, also ich denk jetzt an einen konkreten Fall, wo ein Oberarzt nicht nur Patienten abgeworben hat, sondern auch noch Implantate, die er dann gebraucht hat, aus dem Spital hat mitgehen lassen, um sie im Privatspital dann einzubauen.“

Zitat aus Interview 5:

„Es ist stellenweise das öffentliche Krankenhaus nichts anderes als eine Vermittlungsstelle für private Ordis und Privatkrankenanstalten gewesen, weil, Klammer auf, ein Drittel der Österreicher eine private Zusatzversicherung, Krankenversicherung haben, Klammer zu. D.h., das ist eine beachtliche Zahl, um die es da geht. […] Und diese Unsitten sind immer noch da.“

Zitat aus Interview 9:

„Wenn public, also öffentlich finanziertes System, auf privates trifft, diese Schnittstelle ist extrem gefährdet für Korruption.“

Zitat aus Interview 12:

„Man hat jetzt da die Arbeitszeit im Spital verkürzt, jetzt kann man sagen, jetzt ist fein, jetzt haben sie sogar mehr Zeit, dass sie ihre Privatkliniken machen oder Privatordinationen machen.“

Zitat aus Interview 13:

„Das zweite ist, dass sich auch im Zuge der gesamten Arbeitszeitthematik viele Ärzte auch über die Zeit dahingehend entschließen, eine Wahlarzt- oder Privatordination zu haben.“

Des Weiteren wurde auch auf das Problem hingewiesen, dass Patienten problemlos über den

Umweg der Privatordination zu einem früheren Termin für elektive Operationen im

öffentlichen Spital kommen können (vgl. Punkt 2 „Umgehung von Wartelisten“). Ein

Gesundheitsökonom merkte zusätzlich an, dass teure Diagnostiken häufig im Spitalsbereich

und operative Eingriffe im Privatbereich erfolgen würden und dies wiederum zulasten

203

öffentlicher Gesundheitsbudgets. Laut ihm sollen erste Untersuchungen im Uniklinikum in

Innsbruck einen solchen Zusammenhang bereits bestätigt haben.

Zitat aus Interview 2:

„Dann diese Beispiele von der Diagnostik im öffentlichen Bereich und die Operation im Privatbereich, das ist auch absoluter Usus.“

Angemerkt sei, dass Nebenbeschäftigungen nicht von jedermann als grundsätzlich

„verwerflich“ bezeichnet wurden, nur im Falle eines nachweislichen Missbrauchs. Schließlich

müsste es im Sinne der Erwerbsfreiheit jedem freistehen, seinen Beruf auszuüben, egal ob in

einem Dienstverhältnis oder privat. Zudem sollen die niedrigen Gehälter im Spitalsbereich die

Aufnahme einer Nebenbeschäftigung mehr denn je rechtfertigen. Außerdem soll es

Leistungen geben, die seitens der öffentlichen Hand nicht angeboten werden, weswegen man

diese nur privat erbringen könnte. Abgesehen davon können Spitalsärzte, die zusätzlich privat

ordinieren, ihrem Dienstgeber auch Sonderklassepatienten anwerben und ihm somit

Zusatzeinnahmen verschaffen.

Zitat aus Interview 6:

„Ich weiß nicht, was arg daran ist, weil Entschuldigung bitte, ich behandle halt den einen im Spital und

den anderen, der bereit ist, das zu zahlen, in der Privatordination. Deswegen bin ich genauso gut wie vorher. […] Es kann nur um die Vorreihung gehen und die Vorreihung ist aber jetzt schon unter Strafe.“

Zitat aus Interview 15:

„[…] aber nicht das Kind mit dem Bad ausschütten und jeden Arzt, der auch privat noch eine Ordination hat, als unanständigen Arzt, der dem Dienstgeber Schaden zufügt, bezeichnen. Das kann in beide Richtungen gehen. Lockt er dann die Patienten ins Privatspital, dann ist er eigentlich ein Konkurrent zu seinem Arbeitgeber, er kann aber mit der Privatordi auch dafür sorgen, dass seinem Arbeitgeber der eine oder andere Sonderklassepatient zukommt, und das sind Zusatzeinnahmen fürs Spital. Und das ist ein öffentliches Haus.“

Zitat aus Interview 17:

„Also grundsätzlich glaube ich, muss es in Österreich im Sinne der Erwerbsfreiheit jedem freistehen, seinen Beruf auszuüben, ganz egal, ob in einem Dienstverhältnis oder privat. […] Und ich gehe natürlich jetzt schon davon aus, dass diese Nebentätigkeit in keinem direkten Kontext, zum Beispiel was die Patientenakquise anbelangt, mit der Angestelltentätigkeit steht. Es sei denn, der Dienstgeber wünscht das. Das ist wieder eine andere Frage. Aber ich glaube, sonst kämen wir ja sehr rasch in die Nähe der Untreue, wenn ich die Privatpatienten abfange, also die potenziellen Privatpatienten eines Hauses abfange, um sie dann in meine Privatordination umzuleiten.“

204

8. Informelle Zahlungen/Kuvertmedizin

Die Existenz der sogenannten „Kuvertmedizin“ bzw. informeller Zahlungen für Leistungen, die

sozialversicherten Patienten eigentlich kostenlos zur Verfügung stehen sollten und die

zumeist auf den Erwerb einer „besseren“ oder „bevorzugten“ Behandlung abzielen, wurde

unter den befragten Experten (12 von 18 Befragten) kontrovers diskutiert. Einerseits wurden

informelle Zahlungen in Österreich (vor allem zur Beschleunigung von Terminen bei

diagnostischen oder therapeutischen Leistungen) als gängige Praxis eingestuft, andererseits

wurden schwere Fälle von Kuvertmedizin als rückgängig eingestuft bzw. waren den meisten

nur Einzelfälle aus Berichten oder Patientenbeschwerden bekannt. Vielmehr soll es sich bei

der heutigen Kuvertmedizin um feinere Arten handeln, die nur schwer durchschaubar wären

und sich zumeist im Graubereich von Korruption bewegen würden. Darunter falle

beispielsweise die Umleitung von Patienten, die im öffentlichen Spital vor einem operativen

Eingriff stehen, in die Privatordination von Spitalsärzten, in der dann die Vor- und

Nachbehandlung auf Kosten der Patienten über die Entrichtung einer Ordinationsgebühr

stattfindet. Insbesondere soll die Möglichkeit des sogenannten „Chefeinschubs“, d.h. über

den Umweg der Privatordination von Primar- und Oberärzten zu einem schnelleren

Behandlungstermin im öffentlichen Spital zu gelangen, hierzulande eine gängige Praxis

darstellen. Dies kann sich unter Umständen auf die Höhe der in Rechnung gestellten

Ordinationsgebühr auswirken. Solche indirekten Formen der Kuvertmedizin, auf die bereits

Transparency International – Austrian Chapter in seinem Grundsatzpapier (TI-AC 2010, S. 7)

vor knapp zehn Jahren hingewiesen hat, sollen auch laut Patientenvertretern nach wie vor

keine Ausnahmen darstellen. Die Annahmen decken sich auch weitgehend mit den

Ergebnissen einer jüngeren Studie der Europäischen Kommission, in der auch qualitative

Daten zur diesbezüglichen Thematik in Österreich erhoben wurden (2013, S. 190). Auch laut

den Befragungsergebnissen des Special Eurobarometers aus dem Jahr 2013 schneidet

Österreich im EU-Vergleich eher schlecht ab: Insgesamt gaben 28 % (EU: 12 %) aller Befragten

an, in die Privatordination der Spitalsärzte zitiert worden zu sein, um im öffentlichen Spital

behandelt zu werden (Europäische Kommission 2014, S. 93). Auf die aktuelle

Wartezeitenproblematik bei MRT-Untersuchungen und die daraus resultierende

„Kuvertmedizin“ zur „Terminbeschleunigung“ wurde bereits hingewiesen.

205

Zitat aus Interview 2:

„Ja, das eine Beispiel ist eben, dass bestimmte Ärzte sich den Operationsraum für sich quasi blocken, einmal in der Woche, um Patienten, die bereit sind, so und so viele hunderte Euro zu zahlen, dass sie vorgereiht werden zum Operieren, das ist total gang und gäbe, das ist absoluter Usus.“

Zitat aus Interview 3:

„Naja, die Patienten und Patientinnen wissen anekdotisch oder aus eigener Erfahrung, dass es Fälle gibt, wo man etwas bezahlen muss. […] Also manche legen 300, 400, 500 Euro hin, andere berichten, dass es auch bis zu 2000 Euro kostet, sich eine Vorfahrt zu verschaffen, indem man z.B. dann zur Behandlung nicht etwa ins öffentliche oder in das privatgemeinnützige Spital geht, sondern wieder in die Privatordination zum Fäden ziehen oder Wundkontrolle und dann zahlt man wieder.“

Zitat aus Interview 4:

„Diese brutale Art der Korruption wie es früher war, Kuvertmedizin, also geben Sie mir 3000 Euro, dann werden Sie halt nächste Woche operiert und nicht in drei Monaten. Also diese brutale Form der Kuvertmedizin, die es früher sehr stark gegeben hat, gibt es heute sicher auch noch, aber die ist schon sehr zurückgegangen. Es sind eher feinere Arten der Korruption und ein Beispiel ist eben dieses System, dass Oberärzte oder teilweise auch Primarärzte, aber vor allem bei den Oberärzten, glaube ich, ist das ein Problem, dass die Ordinationen haben, also außerhalb der Organisation auch. Vollkommen zulässig und oft nicht ausgedrückt, aber implizit dem Patienten vermittelt wird, wenn du sozusagen im Krankenhaus eine bessere Leistung oder eine ordentliche Leistung haben willst, dann musst du vorher in meine Ordination gehen, weil dann kann ich dich genauer untersuchen und dann kann man die Operationsindikation auch viel genauer feststellen.“

Zitat aus Interview 9:

„Das [die Kuvertmedizin] ist deutlich weniger geworden, so offensiv kannst du es nicht mehr machen. Aber man kann es weiterhin machen, man muss es nur anders machen. Es hat an Offensivität verloren. Aber, dass man natürlich versucht im Public-Bereich für den Private-Bereich Leute zu ziehen, das ist, glaube ich, das würde mich wundern, das ist ganz normal.“

Zitat aus Interview 13:

„Zum Beispiel die Beschleunigung von Terminen bei ärztlichen Untersuchungen oder Leistungen, also die Thematik, die es 100%ig gibt, dass durch Zuzahlungen Termine für diagnostische oder therapeutische Leistungen teilweise beschleunigt werden können.

Zitat aus Interview 14:

„Ja, also die Korruption in dem Sinne, ich weiß nicht, wie man es aus Filmen kennt, irgendwelche Kuverts hin und her fliegen, also das, glaube ich, bin ich nahezu überzeugt, das gibt es in Österreich nicht, ja? Ich glaube, es ist eher so diese, unter Anführungszeichen, ‚Korruption im Kleinen‘, wo wahrscheinlich vielfach gar nicht bewusst ist, dass das ein Verhalten ist, das als korrupt angesehen werden könnte.“

Zitat aus Interview 17:

„Also das kenne ich nicht, dass jemand dann ein Kuvert herlegt und sagt ‚Machen Sie das bitte‘. Das ist mir noch nicht passiert.“

206

Zitat aus Interview 18:

„Mir ist was anderes Skurriles passiert. Ich habe einer Patientin, die ich hier betreue, meine Termine und Wartezeiten gesagt – ich ordiniere nicht so oft und ich bin ausgebucht jetzt ein, zwei Monate im Vorhinein – und dann habe ich gesagt ‚Aber schauen Sie, ich bin sowieso auch im Spital, kommen Sie, bin morgen drinnen‘. Also sie hat mir geschrieben via Mail, nicht? Und sie war dann am nächsten Tag da, es war gerechtfertigt, sie hat auch gewartet wie jeder andere auch. Aber am Ende der Untersuchung schiebt sie mir ein Kuvert hin mit dem Geld, also ich weiß nicht, ob da Geld jetzt wirklich drinnen war. Ich habe sie gefragt: ‚Was ist das bitte für ein Kuvert?‘, sagt sie: ‚Na, das ist das Geld, was ich auch für die Ordination bei Ihnen bezahle‘. Sage ich: ‚Nein, nein, aber sicher nicht, nehmen sie das wieder zurück, ich schaue gar nicht nach, es interessiert mich nicht‘. Sagt sie: ‚Da sind Sie aber einer der wenigen‘.“

Mehrmals wurde im Rahmen der geführten Interviews angemerkt, dass es bei der ganzen

Debatte um die Kuvertmedizin und informelle Zahlungen wichtig sei, festzuhalten, dass wir

uns in Österreich noch lange in keinem Land aufhalten, wo der Erhalt einer lebens-

notwendigen medizinischen Leistung vom Versichertenstatus oder finanziellen Status einer

Person abhängig sei. Jeder, der hierzulande einen lebensnotwendigen medizinischen Eingriff

benötige, würde ihn auch erhalten.

Zitat aus Interview 11:

„Ja, ja, aber Ihr dürft nicht vergessen bitte, bleiben Sie am Boden, in Österreich bekommt jeder die Gesundheitsleistung, die er braucht. Da ist niemand altersmäßig, sozial oder so ausgeschlossen. Dass hier die Wartezeiten unterschiedlich sind, ist verständlich, weil, schauen Sie, ich leiste mir seit meinem 25. Lebensjahr eine Zusatzversicherung, also ein Teil meines Einkommens und ich würde sagen nicht wenig bezahle ich für die Zusatzversicherung, wo ich mir eben den Arzt auswählen kann usw.“

Zitat aus Interview 12:

„Also wir jammern wahrscheinlich schon auf einem relativ hohen Niveau, muss man sagen, ja. Und auch bei all der Kritik, die ich angebracht habe, unser System ist kein schlechtes Gesundheitssystem, im Großen und Ganzen kriegen die Patienten das, was sie brauchen. Es ist nicht so, dass da der Patient normalerweise zahlen muss, damit er irgendeine Leistung kriegt, ja, oder dass die Leistung vom Rang und Namen abhängt oder so, also da sind wir ja Gott sei Dank nicht.“

Zitat aus Interview 17:

„Ich bin ja selber niedergelassener Arzt und ich erlebe das ja, dass die Patienten die Behandlung bekommen, die sie brauchen, unabhängig von ihrem Versicherungsstatus, überhaupt keine Frage. Also im Krankenhaus, wenn jemand operiert werden muss, operiert der, der die Operation am besten beherrscht und der da ist.“

Zitat aus Interview 18:

„Nein, die Leistung, wenn man sie dann einmal hat, ist glaube ich, an sich gut, die ist sehr gut. Außer jetzt eben, dass unser Gesundheitssystem zu einer Durchschleuse-Maschinerie verkommt. Das ist aber ein anderes Problem, aber wenn es jemandem wirklich schlecht geht, dann kriegt er schon die beste Behandlung, die möglich ist, und egal wie viel er eingezahlt hat, das ist unsere Solidargesellschaft.“

207

9. Geringfügige Geschenke

Inwiefern Geschenke an die Grenze von Korruption stoßen, wurde seitens 9 von 18 Befragten

diskutiert. Einerseits wurden geringfügige, ortsübliche, angemessene Geschenkannahmen

(innerhalb bestimmter gesetzlich, vertraglich oder in Verhaltenskodizes festgelegter

Wertgrenzen) – wie beispielsweise die Annahme einer Pralinenschachtel, einer Weinflasche,

einer Kaffeepackung oder eines Blumenstraußes – seitens sieben der neun befragten Experten

als völlig legitim erachtet. Sie seien vielmehr ein Zeichen von Wertschätzung, Dankbarkeit und

Gastfreundschaft und in einem Land wie Österreich durchaus Sitte, als dass sie jemanden

beeinflussen könnten. Die öffentlich geführte Debatte um geringfügige Geschenkannahmen

war für einige Interviewteilnehmer absolut nicht nachvollziehbar. Selbige Ansicht traf auch auf

die Annahme geringfügiger Firmengeschenke (z.B. Büromaterialien wie Kugelschreiber,

Notizblöcke, Haftnotizen und Kalender; Literatur) zu.

Zitat aus Interview 5:

„Manche haben die Bagatell-Regel von 100 Euro noch mehr verschärft und in manchen Krankenhäusern ist es so, dass das Pflegepersonal nicht mal mehr eine Bonbonniere oder ein Sackerl mit Kaffeebohnen annehmen darf, eine Null-Toleranz-Politik, was insbesondere ältere Patienten eher verunsichert, weil die wollen ja niemanden bestechen, die wollen einfach nur Dankeschön sagen.“

Zitat aus Interview 6:

„Ich habe so viele Menschenleben gerettet in dem Schockraum und ich habe mir zu keinem Zeitpunkt überlegt, ob das korrupt ist oder nicht. Und ich habe mir auch nicht überlegt, ob die depperten Pralinen, der Whiskey und das irgendwas korrupt ist oder nicht. Und wenn das ein Hauptthema in meiner Denkweise wird, interessiert es mich einfach nicht mehr.“

Zitat aus Interview 11:

„Ja, mit Augenmaß das Ganze zu machen. Schauen Sie, es trauen sich viele Beamte nicht einmal, einen kleinen Kaffee zu trinken, weil wenn die von einer Firma irgendwo in ein Kaffeehaus zu einem Gespräch eingeladen werden, weil die sagen, es könnte sein, es ist Korruption. Also das, wie wichtig das ist, das richtige Augenmaß“.

Zitat aus Interview 13:

„Wobei manche Dinge für mich dann schon wieder fast skurril anmuten. Also ich sage, wenn es um die Tasse Kaffee oder irgendwas geht, das halte ich teilweise dann, ehrlich gesagt, für übertrieben. Also man darf den gesunden Menschenverstand, glaube ich, weiterhin benutzen.“

Im Gegensatz dazu wurde seitens zwei der neun befragten Experten ein flächendeckendes

Null-Toleranz-Prinzip bei Geschenkannahmen, wie es in vielen Organisationen bereits

208

vorgelebt wird, gefordert. Dies sei nötig, weil es durchaus auch Situationen gäbe, in denen

auch die Annahme einer 20-Euro-Weinflasche unethisch erscheine. Außerdem wäre ein Null-

Toleranz-Prinzip unerlässlich, um eine umfassende Bewusstseinsänderung in der

österreichischen Kultur zu verankern. Obwohl die Annahme geringfügiger Firmengeschenke

(z.B. Büromaterialien mit aufgedrucktem Firmenlogo) in Umfragen mit Medizinern als eher

unproblematisch eingestuft wird (Wazana 2000; Brett et al. 2003), muss an dieser Stelle auf

Studienergebnisse verwiesen werden, die die Wirkung geringfügiger Werbegeschenke durch

das tägliche unbewusste Wahrnehmen und Einprägen von Firmenlogos und Produktnamen

eindeutig bestätigen. Außerdem fühlen sich Empfänger von Werbeartikeln dem gebenden

Unternehmen stärker verbunden, was in einer höheren Loyalität des Kunden resultieren kann

(ASI 2008; GWW 2017).

Zitat aus Interview 8:

„ Das ist so wie man meiner Meinung nach keine Summen angeben kann und sagen kann, ab 30 Euro bist du korrupt, sondern, dass ich sagen muss, vielleicht sind manchmal 30 Euro okay und woanders soll ich aber überhaupt nichts annehmen, da sind schon 5 Euro zu viel. Also, dass das wirklich was ist, wo ich sage, da geht‘s um die Situation, um die Person, um das Angebot und nicht darum, diese Wertgrenzen, von denen halte ich gar nichts.“

Zitat aus Interview 14:

„Ich glaube, dass wir da eine Phase dieser Null-Toleranz wirklich brauchen, solange wir nicht diese umfassende Bewusstseinsänderung in unserer Kultur verankert haben.“

Die seitens der Pharmaindustrie (z.B. PHARMIG) selbst auferlegten Verhaltenskodizes und

Compliance-Regeln, in denen auch Geschenkannahmen geregelt sind, wurden von den

Experten begrüßt, deren Wertgrenzen müssten nur klarer ausgewiesen (Vermeidung unklarer

Formulierungen wie „angemessen“ oder „ortsüblich“) und deren Einhaltung strenger

kontrolliert werden.

10. E-Card-Missbrauch

Kein einziger der befragten Experten erwähnte bei der Frage nach möglichen Einfallstoren von

Korruption den E-Card-Missbrauch bzw. die Verwendung einer E-Card und die

Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen durch eine nichtberechtigte Person – im

Wissen oder Unwissen des rechtmäßigen Besitzers (Kern-Homolka et al. 2011, S. 29;

Meissnitzer 2015, S. 116). Auf Nachfrage hin (2 von 18 Befragten) stellte sich heraus, dass dies

209

im Hinblick auf Schadensfälle und -höhe scheinbar kein großes Problem in Österreich darstellt.

Dies geht auch aus einer jüngeren Stellungnahme der ehemaligen Gesundheitsministerin

(Sabine Oberhauser) betreffend einer ihr im Jahr 2015 gestellten parlamentarischen Anfrage

zum E-Card-Missbrauch hervor: „[…] nach den laufenden Erhebungen des Hauptverbandes der

österreichischen Sozialversicherungsträger [kann] die Zahl der Missbrauchsfälle hinsichtlich

der ungerechtfertigten Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe im Verhältnis zur Gesamtzahl der

Ordinationen tatsächlich als sehr gering – geringer als vor Einführung der e-card – bezeichnet

werden. Die Missbrauchsfälle stellen keine erhebliche Belastung der Krankenversicherungs-

träger dar und haben für die Finanzlage der Versicherungsträger keine reale Bedeutung.

‚Gestohlene und verlorengegangene‘ e-cards sind keine potenziell taugliche Grundlage für

Sozialmissbrauch. Solche Karten werden aufgrund der Meldungen gesperrt, sie können zur

Ermittlung von Versicherungsansprüchen nicht mehr verwendet werden“ (BMG 2015a, S. 1).

Eine aktuellere Anfragebeantwortung des Gesundheitsministeriums zum E-Card-Missbrauch

scheint selbiges zu bestätigen. Beispielsweise verzeichnete die Wiener Gebietskrankenkasse

lediglich 21 Fälle eines E-Card-Missbrauchs im Zeitraum 2014 bis 2016. Deren Gesamtschaden

soll sich auf ungefähr 7.000 Euro belaufen haben. Bei der Kärntner Gebietskrankenkasse lagen

im selbigen Zeitraum weitaus mehr Verdachtsfälle (305) vor, von denen sich insgesamt 154

erhärtet haben. Einige Fälle wurden bereits erfolgreich gerichtlich verfolgt und verurteilt

(BMG 2017, S. 4). Trotz des scheinbar geringen Schadensausmaßes wurden bereits präventive

Maßnahmen gegen einen allfälligen E-Card-Missbrauch in Österreich gesetzt (z.B.

Ausweispflicht der Leistungsempfänger auf Verlangen der behandelnden Stelle; im

Zweifelsfall verpflichtende Überprüfung der Identität der Patienten durch die

Vertragspartner; Fälschungssicherheit der E-Card) (BMG 2015a, S. 2ff.). Zudem sollen ab dem

Jahr 2019 nur noch E-Cards mit Fotos ausgestellt werden (Schaffer 2017).

Zitat aus Interview 8:

„[E-Card-Missbrauch] gibt es natürlich, ist aber eigentlich nicht so wirklich ein großes Problem muss ich sagen.“

Zitat aus Interview 17:

„Es gibt ja zwei parlamentarische Anfragen, zum Beispiel zum E-Card-Missbrauch, und da kommen ja kaum Schadensfälle heraus“.

210

5.7.4 Ursachen von Korruption

Anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 17) werden im Folgenden sämtliche

Korruptionsursachen, die auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen

Gesundheitssystems (Oberkategorien) von den befragten Experten identifiziert worden sind

und teilweise in einer weiteren Ebene (Subkategorien) ausdifferenziert wurden, nach ihrer

Häufigkeit der Nennungen aufgelistet und beschrieben. Die Aufarbeitung schließt auch bereits

im vorangegangenen Kapitel genannte Ursachen ein. Viele der dargelegten Korruptions-

ursachen decken sich weitgehend mit jenen, die auch in der internationalen Literatur (Kapitel

2.5 und 3.5) aufgezeigt werden konnten, bzw. finden sich in spezifischen Ansätzen zur

Erklärung von Korruption im Gesundheitssystem (Vian 2008, S. 86) wieder. Darunter fallen

beispielsweise mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen, gesetzliche Regelungs-

lücken, Intransparenz, Drittzahlerkonstruktion, niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeit,

niedrige Gehälter, mangelndes Problem- und Unrechtsbewusstsein, Habgier, mangelnde

Vorbildwirkung der Führung etc. Darüber hinaus wurden auch österreichspezifische

Korruptionsursachen aufgedeckt (spezifische fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen,

mangelnder politischer Wille zur Veränderung, schlechte Qualität des Aus- und

Fortbildungssystems und daraus resultierender fehlender Informationsstand und

Wissenslücken, finanzielle Abhängigkeit der Health Professionals von Dritten (Industrie) und

ihre mangelnde Wertschätzung sowie Anfälligkeit für Schmeicheleien, mangelnde

Meldebereitschaft der Patienten u.a.).

211

Ursachen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Oberkategorien Kategorien und Subkategorien Häufigkeit

Makroebene 18

Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

Fehlende unabhängige Finanzierungssysteme

Gehaltsniveau der Spitalsärzte

Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem

Zusatzversicherungssystem

17 9 7 6 2

Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen 13

Rechtliche Lage/gesetzliche Regelungslücken 13

Intransparenz 12

Mangelnde Antikorruptionskultur/öffentliche Tolerierung 10

Mangelnder politischer Wille/Mut zur Veränderung 7

Ressourcenverknappung 5

Schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems 5

Drittzahlerkonstruktion 4

Politisches System/Föderalismus 3

Sonstige Ursachen

Schwache Interessenvertretung des Allgemeinwohls

Schlechte Vorbildwirkung der Politik

3 2 1

Mesoebene 15

Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

Einnahmen aus Sonderklassegebühren

Gestattung von Nebenbeschäftigungen

12 7 6

Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen 10

Nutzenstiftung für die Organisation 6

Mangelnde Vorbildwirkung der Führung 5

Mikroebene 18

Mangelndes Unrechts-/Problembewusstsein 16

Individuelle Nutzen- und Einkommensmaximierung/Habgier 14

Reziprozität/Beziehungspflege 10

Mangelnde Meldebereitschaft/niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeit

8

Fehlender Informationsstand/Wissenslücken 7

Unterschiedliche Wertvorstellungen 6

Subjektiv empfundene Ungerechtigkeit/mangelnde Wertschätzung

5

Finanzielle Abhängigkeit 3

Anfälligkeit für Schmeicheleien 3

Tabelle 17: Kategoriensystem zu den Ursachen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien einschließlich ihrer Ober- und Subkategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Die Ursachen von

Korruption wurden in allen 18 Interviews erfragt.)

212

Ursachen auf der Makroebene

1. Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

Als häufigste Ursache für Korruption auf der Makroebene des nationalen Gesundheitssystems

wurden fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen genannt (17 von 18 Befragten), die

vielfach auch als „Systemfehler“ bezeichnet wurden und Akteure im Sinne von „Gelegenheit

macht Diebe“ zu korrupten Aktivitäten verleiten sollen. Ein besonders hohes Korruptionsrisiko

bestehe vor allem dann, wenn solche fehlgeleiteten Anreizstrukturen mit mangelnden

Kontroll- und Sanktionsmechanismen einhergehen.

Zitat aus Interview 8:

„Fehlgeleitete Anreizmechanismen, die es ermöglichen, dass dann auf der individuellen Ebene zum eigenen Nutzen gehandelt wird. Na, und dass das System das a.) toleriert und b.) auch fördert indirekt.“

Zitat aus Interview 9:

„Und bei uns gibt es ja ein System, das auf der einen Seite von der Anreizstruktur so ist, dass es das herausfordert, auf der anderen Seite von der Kontrollstruktur nicht präsent ist, um ganz einfach irgendwo eine Generalprävention da zu schaffen.“

Folgende fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen wurden thematisiert:

Fehlende unabhängige Finanzierungssysteme

Wie bereits schon einmal angemerkt wurde, führen laut mehrheitlicher Expertenansicht

(9 von 18 Befragten) fehlende unabhängige Finanzierungssysteme bzw. öffentliche Gelder,

wie beispielsweise jene zur medizinischen Forschungs- und Fortbildungsfinanzierung dazu,

dass Akteure (Mediziner, Selbsthilfegruppen, Forschungseinrichtungen etc.) in die

finanzielle Abhängigkeit der Pharmaindustrie gedrängt werden und somit ihrer

willkürlichen Einflussnahme unterlegen sind. Die ausgelegten Gelder soll sich die Industrie

vor allem über Preisverhandlungen zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets wieder

hereinholen.

Zitat aus Interview 2:

„Dass Ärztefortbildungen oder Patientengruppen von der Industrie gesponsert werden, hat damit zu tun, dass die öffentliche Hand dafür kein Geld in die Hand nimmt, aber gleichzeitig woanders sich das Geld hereinholt. […] Und ein erneut weiterer fehlgesteuerter Anreiz ist, dass wir die gesamte medizinische Forschung der Industrie überlassen haben. Dass wir keine öffentlichen Forschungsgelder haben, um die Dinge zu beforschen, wo wir Wissen bräuchten und nicht die Dinge zu beforschen, wo Produkte einen Markt suchen.“

213

Zitat aus Interview 11:

„Naja, es müsste die öffentliche Hand ärztliche Fort- und Weiterbildung ohne Einfluss der einzelnen Firmen machen, also themenorientiert und die Firmen werden eingeladen, können präsentieren. […] Aber wenn man die Firma A oder B einlädt zu einer Fort- und Weiterbildung, dann werden sie versuchen, ihre Produkte als einzigartig und die besten darzustellen und nachher kommen die Erfolge dann, weil dort bestellt wird. Aber das ist, da müsste die öffentliche Hand, sprich Länder, aber auch der Bund Geld in die Hand nehmen.

Zitat aus Interview 13:

„Auf der einen Seite will die öffentliche Hand in vielen Fällen die Gelder nicht zur Verfügung stellen, auf der anderen Seite gibt es die Beschwerde, dass die Industrie über diese Schiene Einfluss nimmt.“

Zitat aus Interview 18:

„Und in jeder anderen Berufssparte wird die Fortbildung auch bezahlt. Und das meine ich auch mit ‚in die wirtschaftliche Abhängigkeit treiben die Ärzte‘.“

Gehaltsniveau der Spitalsärzte

Für sieben der 18 befragten Experten stellt das niedrige Grundgehalt von Spitalsärzten

einen großen fehlgesteuerten Anreiz zur Einkommensmaximierung über die Aufnahme

einer Nebenbeschäftigung (z.B. Nebentätigkeiten in Privatordinationen oder

Privatkliniken; Vortrags- und Beratungstätigkeiten für die Industrie) oder die vermehrte

Behandlung von Sonderklassepatienten dar. Dieser sogenannte „Systemfehler“ soll in der

Vergangenheit (Zweite Republik) begründet liegen, als man den Spitalsärzten aufgrund

begrenzter Budgets lediglich ein niedriges Grundgehalt zugestehen konnte, ihnen

gleichzeitig aber die Möglichkeit einräumte, dieses über diverse Nebeneinkünfte

aufzustocken. Die kürzlich erfolgte Anhebung der Spitalsärztegehälter im Zuge der

Dienstzeitenreduktion wurde seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie als reine

„Publicity“ bezeichnet, da seines Erachtens lediglich die entgangenen Überstunden-

zahlungen und Nachtzulagen durch die Gehaltsanhebung abgefedert wurden.

Zitat aus Interview 4:

„Nein, aber ich muss jetzt noch was dazu sagen, auch als Verteidigung jetzt für die Ärzte. Es war schon teilweise nicht einmal unausgesprochen, sondern sehr klar ausgesprochen, auch immer früher, du kriegst eine Führungsposition als Primararzt, kriegst eigentlich relativ wenig Zulagen und Gehalt, aber dafür kannst du dir quasi auf andere, und wir machen da quasi alle Augen zu, auf andere Art und Weise kannst du dir zu einem ordentlichen Einkommen verhelfen. Also das System hat schon auch eine Verantwortlichkeit, ja.“

214

Zitat aus Interview 5:

„Aber das ist ein Strukturproblem, das keiner anpacken wollte, wenn man auch gemeint hat, wenn man den Ärzten das Augenzwinkern zugesteht, kann man die Gehälter im Spital niedrig halten, weil die holen sich dann die Butter aufs Brot woanders.“

Zitat aus Interview 6:

„Man hat gesagt, okay, du kriegst ein niedriges Grundgehalt, aber du kannst daneben deine Ordination haben, dort kannst du verdienen, das ist in den Verträgen drinnen gestanden, also heute in irgendeiner Weise zu sagen, dass das illegal ist, ist Wahnsinn. […] Die verdienen alle zu wenig. […] Glaube nicht, dass irgendjemand korrupt ist aus einem anderen Grund im Gesundheitswesen. If you pay peanuts, you get monkeys.”

Zitat aus Interview 7:

„Also wir bezahlen offenbar weniger, wir besteuern mehr und aus dem Grund wird es nur kompensiert durch eine Privatpraxis nebenbei“.

Zitat aus Interview 16:

„Nein, das [die Gehaltserhöhung] war nur Publicity. […] Das gute Gehalt von den Ärzten war meistens das, dass sie einfach die Bereitschaft gehabt haben und Nachtstunden gemacht haben, die ganzen Nachtdienste einfach wirklich lukrativ waren, aber das Grundgehalt von den Medizinern, das ist lächerlich.“

Zitat aus Interview 18:

„Also ich bin jetzt in Elternteilzeit 20 Stunden, habe meine Dienstjahre, musste mir ausrechnen, also auf jeden Fall mehr als zehn bei der Gemeinde [Name der Gemeinde], dann Oberarztfunktion, dann mehr als zehn Jahre Nachtdienste gemacht in einem gefahrengeneigten Beruf, habilitiert, anordnungsbefugt für viele Leute. Was glauben Sie kriege ich für 20 Stunden netto? […] Es sind 1745, ja?“

Anhand der zugrunde liegenden empirischen Erkenntnisse wurde folgende These

abgleitet:

U1 Die Korruptionsanfälligkeit von Spitalsärzten hängt von ihrem Gehaltsniveau ab.

Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem

Heftig kritisiert wurde seitens sechs der 18 Befragten auch das aktuelle, überwiegend

quantitätsorientierte Abrechnungssystem – sowohl im niedergelassenen Bereich

(Kombination aus Pauschal- und Einzelleistungsabrechnung) als auch im Spitalsbereich

(LKF-System). Es berge einen fehlgesteuerten finanziellen Anreiz zur Maximierung/

Optimierung von Leistungsabrechnungen über falsch abgerechnete oder überflüssig

erbrachte Leistungen. Auf dieses Problem wies bereits vor Jahren Transparency

215

International – Austrian Chapter hin (TI-AC 2010, S. 26). Während im niedergelassenen

Bereich vor allem die verschiedenen, einzelleistungsdominierten Honorarordnungen mit

ihren unterschiedlichen Tarifen beanstandet wurden, wurde im stationären Bereich

insbesondere die gewährte „Betriebsabgangsdeckung“50 beim LKF-System kritisiert. Dies

wird auch in der jüngst veröffentlichten Studie zur Effizienz im österreichischen

Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich bemängelt (LSE 2017a, S. 65ff.).

Zitat aus Interview 2:

„Die Einzelleistungsabrechnung, das ist ein Systemfehler, dass Ärzte Leistungen maximieren müssen, damit sie zu einem bestimmten Einkommen kommen, dadurch rechnen sie Dinge ab, die möglicherweise nicht gemacht worden sind oder in anderen Dimensionen gemacht worden sind.“

Zitat aus Interview 7:

„Das [der Abrechnungsbetrug] hat wirklich auch mit unserem idiotischen Abrechnungssystem zu tun, das es fast herausfordert, nicht. […] Ja, es ist nicht gut ein System zu haben, das auf Quantität ausgerichtet ist und die einzelnen Leistungen unglaublich billig vergütet. Also die einzelne Leistung ist lächerlich, ja, also der Arzt wird angehalten möglichst viel zu tun, um ein tragbares Gehalt herauszuwirtschaften, ja, das ist der Anreiz. […] Auch das leistungsorientierte Krankenhaus-finanzierungssystem, da gibt es einfach Möglichkeiten wiederum das System eben auszutricksen und gewisse Anreizstrukturen.“

Zitat aus Interview 10:

„[…] Aber so hat ja Österreich neun verschiedene Finanzierungssysteme in den Bundesländern bei Spitälern und egal wie ich wirtschafte, am Schluss kriege ich den Abgang gedeckt.“

Zitat aus Interview 12:

„Es ist das Honorierungssystem in Österreich völlig abstrus. […] Nehmen wir eine einfache Leistung her wie Blutdruckmessen. Blutdruckmessen kostet beim praktischen Arzt in Wien anders viel als beim Internisten in Wien. Die können das beide genau gleich gut. Das ist eine ganz einfache Leistung. Kostet unterschiedlich viel. […] D.h., durch den Föderalismus werden diese Honorare mit jeder Gebietskrankenkasse für jede Fachgruppe separat verhandelt.“

Zitat aus Interview 15:

„Also ich finde den Honorarkatalog bisweilen ein bisschen einfallslos. Das führt halt dazu, wenn er für das noch einmal eine Position und für das noch einmal eine Position und für das noch einmal eine Position, dann reizt das natürlich den, der abrechnet und der auch verdienen will, dass er lange nachdenkt, was könnte ich noch an Positionen erfinden?“

50 Wenn die über LKF-Punkte erwirtschafteten finanziellen Mittel zur Kostendeckung der Spitäler nicht ausreichen, wird der restliche Betrag über die sogenannte „Betriebsabgangsdeckung“ der Spitalseigentümer (Land, Gemeinde, Ordensgemeinschaft) beglichen (Czypionka et al. 2008, S. 2).

216

Auf Basis der gewonnenen empirischen Erkenntnisse wurde folgende These aufgestellt:

U2 Die Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen wird durch das bestehende

quantitätsorientierte Abrechnungssystem im ambulanten und stationären Bereich

forciert.

Zusatzversicherungssystem

Laut zwei der 18 Befragten soll in Österreich die gesetzliche Möglichkeit, eine

Krankenzusatzversicherung abzuschließen, zur Bevorzugung und übermäßigen

Versorgung zusatzversicherter Patienten als eine lukrative Einnahmequelle beigetragen

haben – und dies, obwohl man nach geltender Rechtslage (§ 16 KAKuG) weder Vor- noch

Nachteile in der medizinischen Behandlung durch den Abschluss einer Zusatzversicherung

haben dürfte.

Zitat aus Interview 10:

„Also ich halte Zusatzversicherte, die gesetzlichen Möglichkeiten, in Österreich eine Zusatzversicherung zu verkaufen einem Menschen, der nach dem österreichischen Gesetz keine Vorteile daraus haben darf in der medizinischen Behandlung, und das aber so zu verkaufen, dass er Angst haben muss, dass, wenn er sie nicht abschließt, schlechter behandelt wird. Das halte ich für flächendeckend eines der größten Probleme, weil sie mit den Sondergebühren und den anderen Vorteilen in der Verknüpfung von öffentlichem und privatem Gesundheitswesen unterstützend wirken. Da entgeht dem österreichischen Gesundheitswesen sehr, sehr viel Geld.“

2. Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Die zweithäufigste genannte Ursache für Korruption auf der Makroebene (13 von 18

Befragten) stellen mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen bestehender Regulative

durch die zuständigen Behörden dar. Dadurch könnten bislang gesetzte

Antikorruptionsmaßnahmen ihre volle Wirksamkeit nicht entfalten. Zwar wurden

Registrierungspflichten für nicht-interventionelle Studien, Meldepflichten für Neben-

beschäftigungen, Registrierungspflichten für Lobbyisten, die Einführung des transparenten

Wartelistenregimes, das Verbot von Naturalrabatten im niedergelassenen Bereich,

Verhaltenskodizes auf internationaler und nationaler Ebene (z.B. EFPIA- und PHARMIG-

Verhaltenskodex) etc. allesamt als wichtige Maßnahmen im Korruptionskampf erachtet,

allerdings würden sie nicht ausreichend durchgesetzt, kontrolliert und sanktioniert werden.

Dadurch könnten Individuen – in Übereinstimmung mit dem ökonomischen Erklärungsansatz

von Korruption (vgl. Kapitel 2.4) – zu missbräuchlichem Verhalten verleitet werden. Einen

217

großen blinden Fleck soll nach wie vor der niedergelassene Bereich –insbesondere der

Wahlarztbereich – darstellen, wo es bisweilen an adäquaten Monitoringstrukturen

(Compliance-Beauftragten, externen Kontrollorganen etc.) zur Überwachung der Einhaltung

aufgestellter Regeln und Vorschriften fehlt. Inwiefern die Einführung des Mystery Shoppings

– gemäß § 32a ASVG und die auf dessen Basis erlassene Durchführungsrichtlinie (RLVPK) –

zukünftig zur Aufhellung des Dunkelfeldes im Vertragspartnerbereich beitragen wird können,

bleibt abzuwarten. Inwiefern die Industrie Gesetze und Compliance-Vorschriften umgeht,

indem sie das „Rechts- und Regelbrechen“ an externe Dienstleister outsourct, müsste

ebenfalls zukünftig strenger kontrolliert und geahndet werden.

Zitat aus Interview 2:

„Die Verordnung z.B., dass jeder Arzt, der einen Nebenverdienst hat, ihn melden muss, egal was er tut, ob er als Pharmavertreter auftritt oder ob er, ich weiß nicht, eine Ordination hat, er muss es melden. Gut, aber nach der Verordnung kam dann keine Kontrolle der Verordnung, ob das jemals gemeldet worden ist. Dann hat eine Verordnung herausgegeben, dass Patienten, die im öffentlichen Bereich vor einer elektiven Operation stehen und Diagnostik machen, die müssen dann im öffentlichen Bereich operiert werden. Es können nicht die Diagnostik und der Eingriff an unterschiedlichen Orten stattfinden, wurde auch niemals kontrolliert. […] Man kann nicht Dinge regeln und sie dann nicht kontrollieren.“

Zitat aus Interview 4:

„Also da ist es für mich jetzt nicht nur eine Sache der Gesetze oder der Erlässe oder dieser Vorgaben, es ist auch eine Sache der Umsetzung und der Durchsetzung.“

Zitat aus Interview 5:

„Was in manchen Ländern auch gemacht wird, ist, dass die Pharmafirmen das nicht mehr selber tun, sondern Marketingagenturen beauftragen, diese Dinge vorzusetzen, die sie selber nicht mehr tun dürfen. Das kann ich nicht ausschließen, d.h. inwieweit sozusagen dann das Rechtsbrechen outgesourct wird an Marketingagenturen, müsste man sich anschauen.“

Zitat aus Interview 8:

„Im gesamten niedergelassenen Bereich gibt es so etwas ja eigentlich nicht. Also unsere über tausend Vertragsärzte, die haben keinen Compliance-Manager.“

Zitat aus Interview 17:

„Und was noch ein Systemfehler ist natürlich, das ist die Kontrolle durch die zuständige Behörde. Ich meine, es sind gerade die nicht-interventionellen Studien, die sind ja sehr behaftet mit dem Odem, sie würden eher Verkaufsförderungsprogramme sein als ein Studiencharakter. Da muss man sagen, gerade die nicht-interventionellen Studien, die haben genau die gleichen rechtlichen Grundlagen und Auflagen wie jede klinische Studie. Nur muss man sie halt kontrollieren.“

218

Im Speziellen wurden die mangelnden Kontroll- und Sanktionsmechanismen seitens der

Ärztekammer kritisiert. Vieles würde nach wie vor als Kavaliersdelikt durchgehen, wie

beispielsweise Abrechnungsbetrug, der – wie bereits erwähnt wurde – nur schwer

nachgewiesen werden kann und daher laut der Aussage eines Vertreters der

Gebietskrankenkasse nur selten strafrechtliche Konsequenzen (z.B. Entzug der Lizenz,

Haftstrafe) nach sich ziehen soll.

Zitat aus Interview 7:

„Also niemand wird bestraft, ja, ich habe nie gehört, dass ein Arzt wirklich ins Kittchen wandert, obwohl es genug gäbe, die das sollten wahrscheinlich, ich habe nie gehört, dass wirklich seriös jemand überprüft worden ist und dass wirklich einmal ein Fall daraus geworden ist, nie gehört. Also da wird mit Samtpfoten gearbeitet von der Kasse auch, und damit braucht man sich nicht wundern. Also es gehört immer ein System dazu, das anfällig dafür ist, und da liegt es natürlich am Individuum, das System auszunützen und das Gesetz zu übertreten, vor allen Dingen, wenn er damit rechnen kann, dass nichts passiert. […] dass man das Gefühl hat, ja, man wird eh beschützt von der Standesvertretung [der Ärztekammer] statt dass offen gelegt wird und Kontrollfunktionen willkommen sind.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich glaube, die meisten wissen nicht einmal, dass es den [Verhaltenskodex der Ärztekammer] gibt. Ja? Und selbst wenn, das ist einfach ein Graubereich, was jetzt der Doktor XY in Rohrbach oder in irgendwo tut, das, da schaut ja keiner hin. […] GKK überprüft dies, Rückforderungen durchzusetzen ist jedoch sehr schwierig, da GKK beweisen muss, dass falsch abgerechnet worden ist. Noch nie hat es die GKK geschafft, Ärzte, die bereits als schwarze Schafe gelten, zu verklagen und die Lizenz zu entziehen. Präzedenzfälle gibt es noch nicht.“

Zitat aus Interview 10:

„Aber die Ersten, die Mystery Shopping machen müssten, wäre die Ärztekammer.“

Ferner wies ein Gesundheitsökonom auch auf das Problem hin, dass die Wirtschafts- und

Korruptionsstaatsanwaltschaft aktuell sehr unterbesetzt sei und daher sehr überfordert wäre,

weswegen auch automatisch weniger Fälle strafrechtlich verfolgt werden könnten. Ferner

merkte ein Gesundheitswissenschaftler an, dass es auch wichtig sei, mehr Kontrolle und

Transparenz in bislang vollkommen intransparente Bereiche wie beispielsweise die

„Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen und Selbsthilfegruppen“ oder die

„Preisgestaltung von Arzneimitteln“ zu bringen. Österreichweit lägen hierzu nur die aktuellen

Untersuchungen des Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment vor (Wild

et al. 2015a; Wild et al. 2015b).

219

Zitat aus Interview 9:

„Aber haben wir jemals wirklich kontrolliert, also ich glaube Wild mit ihrer Studie zu den Fortbildungsveranstaltungen, das ist allein auf weiter Flur, das ist auch eine Art von Kontrolle, ja. Also sie hat einfach einmal nachgeschaut, wer finanziert denn da was. Das tun wir überhaupt nicht kontrollieren. Null, ja. Haben wir schon einmal kontrolliert, wie, ob der Preis von dem Rheumatologikum oder Onkologikum gerechtfertigt ist? Nein. Es wird nicht kontrolliert. Das ist auch eine Form von Kontrolle.“

3. Rechtliche Lage/gesetzliche Regelungslücken

Dem strafrechtlichen Erklärungsansatz folgend (vgl. Kapitel 2.4) wurde Korruption mehrmals

(13 von 18 Befragten) auf die aktuelle rechtliche Lage bzw. auf bestehende gesetzliche

Regelungslücken auf nationaler Ebene zurückgeführt. Zum einen sei nach wie vor unklar, ob

niedergelassene Vertragsärzte, die laut vorherrschender Juristenmeinung nicht unter den

Amtsträgerbegriff (§ 74 StGB) fallen, wenigstens als Beauftragte der gesetzlichen

Krankenkassen (§ 309 StGB) vom Korruptionsstrafrecht erfasst seien (vgl. Kapitel 4.2.1). Die

endgültige Klärung dieser Rechtsfrage steht noch aus (Schrank & Meier 2012, S. 16f.; Koukol

& Machan 2013, S. 126ff.). Ebenso wurde auf das Problem hingewiesen, dass niedergelassene

Ärzte, die über keinen Kassenvertrag verfügen, laut Juristen weder als Amtsträger noch als

Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen handeln und somit nicht unter das

Korruptionsstrafrecht fallen. Weiters wurde mehrmals Kritik an der Novellierung des

Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KA-AZG) aus dem Jahr 2014 geübt, da die Reduktion

der Dienstzeiten für Spitalsärzte nicht mit einer strengeren Regulierung von

Nebenbeschäftigungen einherging und daher zu deren Zunahme geführt haben soll. Laut

Expertenmeinung wären die geltenden gesetzlichen Bestimmungen (§ 7 AngG

Konkurrenzverbot) sogar ausreichend, um Nebenbeschäftigungen auf vertraglicher Ebene

strenger zu regulieren oder gänzlich zu unterbinden, nur müssten sie auch dementsprechend

Anwendung finden (vgl. Kapitel 4.2.1). Seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie wurde

angemerkt, dass das Arzneimittelgesetz im Hinblick auf die verbotene Laienwerbung (§ 51

Abs. 1 Z 1 AMG) Ausnahmen für von Gebietskörperschaften durchgeführte und unterstützte

Impfkampagnen enthalte und somit Pharmaindustrien ein „legales“ Tor zur direkten

Einflussnahme auf Patienten und Gesellschaft eröffne. Ferner übte ein Gesundheitsökonom

Kritik an der aktuellen Kronzeugenregelung im österreichischen Strafrecht (§§ 209a, 209b

StPO), da diese nicht ausreichend Schutz für Whistleblower (Hinweisgeber, die keine

Tatbeteiligten darstellen) gewähre. Des Weiteren wurde mehrmals auf die aus

220

datenschutzrechtlichen Gründen erforderliche Einverständniserklärung zur namentlichen

Offenlegung industrieller Zuwendungen hingewiesen, aufgrund deren die Offenlegung

überwiegend in aggregierter Form stattfinde und dadurch lediglich in einer „intransparenten

Transparenz“ münde. Ein Gesundheitspolitiker merkte diesbezüglich allerdings an, dass

Ausnahmen zum Datenschutz im nationalen Recht eine Änderung der europäischen

Datenschutzrichtlinie erforderlich machen würden. Eingebracht wurde seitens eines

Gesundheitswissenschaftlers auch, dass es österreichweit keine bundesweit einheitliche,

transparente Regelung zur Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren gäbe.

Schließlich wurden auch die strengen vergaberechtlichen Bestimmungen, durch welche

Akteure wortwörtlich in die Korruption „gedrängt“ werden würden, durch einen

Gesundheitsjournalisten missbilligt.

Zitat aus Interview 5:

„Whistleblowing ist auch bei uns strafrechtlich noch relativ schlecht abgesichert, weil unsere Kronzeugenregelung ein Schmarrn ist. […] Auch mit der Änderung im Spitalsärzte-, also im Spitalsarbeitszeitgesetz, ist es so, dass Ärzte zum Teil Gehaltserhöhungen von 30 % gekriegt haben bei verkürzter Arbeitszeit und bei unverminderter Möglichkeit der Anspruchnahme, dass man da privat daneben treiben kann, was man möchte. Also, das sind strukturelle, systemische Geschichten und da traut sich im Moment noch niemand drüber.“

Zitat aus Interview 8:

„Amtsträgerbegriff für niedergelassene Ärzte oder auch für Wahlärzte zum Beispiel. Die geben öffentliche Gelder aus indirekt, fallen aber überhaupt nicht unter diese Regelung.“

Zitat aus Interview 9:

„Ja, da gibt es kein einheitliches System für ganz Österreich. Also eine klare transparente Regelung wie das [die Verteilung von Sonderklassehonoraren] passieren soll, nein, da gibt es nach wie vor Riesenunterschiede zwischen den Häusern.“

Zitat aus Interview 10:

„Die Allianz zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern, die gesetzlichen Bedingungen zu umgehen, weil sie aus deren Sicht absolut wirtschaftsfeindlich und, ja, unrealistisch sind für Auftragsvergaben, da hat die strengere Gestaltung von Gesetzen erlaubt, den Akteuren eine Begründung für deren Umgehung moralisch zu rechtfertigen, leichter als vorher.“

221

4. Intransparenz

Dadurch, dass das österreichische Gesundheitssystem aufgrund seiner hohen Intransparenz

(Heterogenität und Involviertheit zahlreicher Akteure, Informationsasymmetrien etc.) ein

großes Einfallstor für Korruption bietet (Rupp 2010, S. 3f.; TI-AC 2010, S. 5), wurde in der

Vergangenheit der Ruf nach mehr „Transparenz“ immer lauter. Trotz einiger bereits gesetzter

Maßnahmen zur vermehrten Transparenzschaffung sollen bisherige Bemühungen laut

mehrheitlicher Expertensicht (12 von 18 Befragten) nicht ausreichend gewesen sein. Dies

betrifft vor allem die seit Juli 2016 freiwillige Selbstverpflichtung pharmazeutischer

Unternehmen zur Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen an Angehörige der

Fachkreise (Ärzte und andere Gesundheitsberufe) und medizinische Institutionen. Aufgrund

der aus datenschutzrechtlichen Gründen erforderlichen Einverständniserklärung und der

mangelnden freiwilligen Offenlegungsbereitschaft seitens der Empfängergruppen werden

diese bislang laut einer Studie des LBI-HTA (Mantsch et al. 2016) überwiegend in aggregierter

Form und nicht unter namentlicher Nennung der Empfängergruppen (Offenlegungsrate im

Jahr 2015 bei Ärzten: 21,9 % und Institutionen: 50,2 %) publiziert, was lediglich in einer

„intransparenten Transparenz“ mündet. Die namentliche Offenlegungsbereitschaft blieb auch

im Jahr 2016 weitgehend unverändert (Gartner & Hametner 2017). Folglich wurden

bestehende Verhaltenskodizes von einem Arzt als „Augenauswischerei“ bezeichnet. Zudem

hätten nicht alle PHARMIG-Mitgliedsunternehmen ihre Geldflüsse offengelegt oder wären auf

den jeweiligen Websites nur schwer auffindbar. An dieser Stelle sei auf die zwischenzeitlich

errichtete öffentliche, zentrale Datenbank zur Erfassung sämtlicher Zuwendungen der

pharmazeutischen Industrie an Mediziner und medizinische Institutionen verwiesen, die

hierbei zukünftig mehr Transparenz und Abhilfe verschaffen soll (Correctiv 2016). Im Hinblick

auf die finanzielle Unterstützung von Patientenorganisationen brachte ein Vertreter der

Pharmaindustrie ein, dass sich bislang nur die pharmazeutische Industrie, jedoch nicht die

Patientenverbände zur Offenlegung geldwerter Leistungen verpflichtet hätten. Im Rahmen

der geführten Interviews wurde auch mehrmals auf die bisweilen mangelhafte Umsetzung des

transparenten Wartelistenregimes auf Landesebene hingewiesen. Bislang seien die

Wartelisten lediglich in zwei Bundesländern (Oberösterreich und Niederösterreich) über die

Website der jeweiligen Spitalsträger öffentlich einsehbar, wobei ein direkter Vergleich

zwischen den Spitälern nach wie vor nur in Niederösterreich möglich sei. Allerdings wurde

auch bemängelt, dass die individuellen Wartezeiten bisweilen nicht einsehbar wären, sondern

222

lediglich die durchschnittliche Wartezeit der für einen Eingriff vorgemerkten Personen. Des

Weiteren wurde angemerkt, dass wichtige Funktions- und Entscheidungsträger im

Gesundheitssystem aufgrund finanzieller oder persönlicher Beziehungen ihre

Interessenkonflikte nicht immer offenlegen würden. Außerdem wurde beanstandet, dass

wichtige gesundheitsbezogene Entscheidungen auf der Makroebene selten transparent

gemacht werden würden. Nach Ansicht eines Vertreters der Pharmaindustrie mangele es auch

nach wie vor an Transparenz im Spitalsbereich im Hinblick auf die Offenlegung wichtiger

Spitalskompassdaten (Operationsraten etc.) und Outcome-Daten (Infektionsraten etc.), wobei

erstere aktuell nur in aggregierter Form offengelegt werden und letztere überhaupt nicht.

Darüber hinaus wurde auch auf die Zurückhaltung bzw. intransparente Veröffentlichung von

Studiendaten hingewiesen. Ein Gesundheitsökonom kritisierte ferner, dass Zahlen und Daten

zu Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren der österreichischen Ärztekammer nach wie

vor nicht öffentlich zugänglich wären. Außerdem wies er darauf hin, dass Medikamente ohne

Angabe der konkreten Diagnose verschrieben werden, was wiederum eine Erfolgskontrolle

seitens der Krankenkassen erschwere.

Zitat aus Interview 1:

„Das ist das Hauptproblem, die nicht offengelegten Interessenkonflikte. Interessenkonflikte gibt es immer und überall, ja. Auffällig ist, wenn jemand keine Interessenkonflikte angeblich hat.“

Zitat aus Interview 8:

„Und die Nichtbekanntgabe von Interessenkonflikten bei Entscheidungen. Das ist in Österreich auch ein Thema, wer in welchen Gremien sitzt und bekannt gibt, was er für Interessenkonflikte hat und das ist grundsätzlich ja nichts Negatives, wenn man für eine Beratungstätigkeit bezahlt wird oder für einen Vortrag, aber es muss transparent sein. Bei uns bis hin zum obersten Sanitätsrat gibt es Leute, die das nicht bekannt geben. […] Medikamente werden verschrieben ohne Angabe der konkreten Diagnose.“

Zitat aus Interview 12:

„Und es fängt halt damit an, dass einfach zu wenig Transparenz im System ist. […] Diese Spitalskompassdaten werden eben aggregiert, d.h., Sie können sich z.B. bei der Orthopädie die Hüftendoprothesen gemeinsam mit den Knieendoprothesen und den Sprunggelenkendoprothesen anschauen. Wie wir alle wissen, liegt zwischen Hüfte und Knie ca. 40 Zentimeter, zwischen Knie und Sprunggelenk noch einmal 40 Zentimeter, wer das eine einbauen kann, muss nicht unbedingt das andere einbauen können. Und ich kann als Laie nicht herauslesen, ob der so viel Sprunggelenke macht oder ist der eigentlich auf Hüften spezialisiert. Ja, warum? Politische Argumentation: ‚Ja, was glauben Sie, was passiert, wenn alle zum Besten gehen und manche in manche Spitäler nicht mehr gehen?‘“

223

Zitat aus Interview 14:

„Ich würde meinen, dass Österreich im Vergleich mit anderen europäischen Ländern im Bereich der Transparenz einen vorsichtig formulierten Nachholbedarf hat. Ich bringe da immer das Beispiel der skandinavischen Länder, der Nordics, Niederlande etc., wo solche Dinge wie Transparentmachen von Zahlungsflüssen der pharmazeutischen Industrie an einzelne Ärzte oder an Healthcare Organisationen seit Jahren überhaupt kein Problem ist. […] In Österreich ist es ein Riesenthema, ja?“

Zitat aus Interview 18:

„Mit anderen Worten: Die PHARMIG kommt daher mit der österreichischen Ärztekammer, klopfen sich beide selber auf ihre Schultern und sagen: Wir machen alles freiwillig, wir legen freiwillig offen und wir haben eine ‚intransparente Transparenz‘. Eine Offenlegungspflicht, die nicht Offenlegungspflicht mit sich bringt, wenn nicht einmal ein Drittel wirklich offenlegt.“

5. Mangelnde Antikorruptionskultur/öffentliche Tolerierung

Mehrfach (10 von 18 Befragten) wurde Korruption auch auf die mangelnde

Antikorruptionskultur bzw. öffentliche Tolerierung bestimmter korrupter Verhaltensweisen –

sowohl seitens der Gesellschaft als auch seitens wichtiger politischer Funktions- und

Entscheidungsträger – zurückgeführt. Dies zeige sich beispielsweise am Abrechnungsbetrug,

der vielerorts noch immer als Kavaliersdelikt durchgeht, oder auch an der öffentlich geführten

Debatte um die langen MRT-Wartezeiten, die erst kürzlich politische Steuerungsmaßnahmen

nach sich gezogen hat. In diesem Kontext sei auch auf das bereits angesprochene West-Ost-

bzw. Nord-Süd-Gefälle im Hinblick auf die unterschiedlich wahrgenommene innerstaatliche

Korruptionsanfälligkeit aufgrund verschiedener kultureller Prägungen verwiesen.

Zitat aus Interview 3:

„Also, es ist ja verboten. Es liegt eher daran, dass es [der Abrechnungsbetrug] sozusagen immer noch als Kavaliersdelikt gilt. […] Ich versteh nicht, warum man das hinnimmt?“

Zitat aus Interview 7:

„[…] diesen Abrechnungsbetrug, dass das nicht als Kavaliersdelikt irgendwo, na, da hat man mich halt erwischt, jetzt krieg ich halt ein bisschen was auf die Finger, aber sehr viel mehr passiert mir nicht.“

Zitat aus Interview 8:

„Na, und dass das System das a.) toleriert und b.) auch fördert indirekt.“

Zitat aus Interview 10:

„ […] in der allgemeinen Kultur, also, dass es üblich ist und gar nicht mehr als Korruption wahrgenommen wird.“

224

Zitat aus Interview 14:

„Also es gibt hier natürlich eine andere kulturelle Einbettung in diesem Thema und auch eine andere Sensibilität in Bezug auf die Wahrnehmung tatsächlicher oder vermeidlicher hypothetischer Korruptionsanfälligkeit.“

6. Mangelnder politischer Wille/Mut zur Veränderung

Dass bestimmte Einfallstore für Korruption im österreichischen Gesundheitssystem bestehen

würden, liege nach mehrheitlicher Expertenansicht (7 von 18 Befragten) vor allem am

mangelnden politischen Willen bzw. Mut zur Veränderung und der fehlenden

Durchsetzungsfähigkeit gegenüber einflussreichen Interessengruppen (z.B. Ärztekammer). Ob

es sich um die Umgestaltung des bisherigen Abrechnungssystems, die Einschränkung von

Nebenbeschäftigungen, die Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von

Sonderklassehonoraren, die Veröffentlichung von Spitals-Outcome-Daten, die Einrichtung

unabhängiger Finanzierungssysteme etc. handle – letztlich würden all solche Bestrebungen

am fehlenden politischen Willen zur Veränderung scheitern.

Zitat aus Interview 2:

„Es kann keine öffentliche Institution einen chirurgischen Saal stilllegen, nur weil der Herr Professor XY seine Privatpatienten durchschleusen will. Also in Wahrheit könnte man all diese Dinge sofort abschaffen, wenn man genauer hinschauen würde und wenn man bereit dazu wäre.“

Zitat aus Interview 10:

„Also früher hat der Kreisky, wenn er beim Interview war, versucht, was zu rechtfertigen, was er getan hat. Heute, wenn du ihnen zuhörst im Fernsehen, dann erzählen uns die, die was regeln sollten, dass die EU oder sogar die Regierung sagt, was Österreich tun müsste. Also die sagen uns permanent, was sie nicht getan haben als Forderung.“

Zitat aus Interview 11:

„Wir haben schon versucht den Ärzten, in den letzten Ärzteverhandlungen irgendwann nach 2000, haben wir versucht, das [die Nebenbeschäftigungen] zu reduzieren, was zum Teil gelungen ist, zum Teil hat hier der politische Wille gefehlt, das auch tatsächlich extrem einzuschränken.“

Zitat aus Interview 12:

„Aber das ist dann halt wieder der Mut der Politik, ja, oder die Macht auch der Ärztekammer, sag ich einmal, die dann gesagt haben, sie können uns doch nicht verbieten, was wir in unserer Freizeit machen. Nein, freilich kann ich. Ich hab einen Dienstvertrag, da steht drinnen, dass ich jegliche Nebentätigkeit melden und genehmigen lassen muss. […] Und das Problem auf der Systemebene ist der Mut. Es fehlt der Mut hier einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Und zwar der politische Mut.“

225

Zitat aus Interview 15:

„Also ich hätte ganz gerne, dass diesbezüglich [die Honorarkataloge] Kassen und Ärztekammern mehr Mut zu Veränderungen haben, aber nicht noch neue Subpositionen, sondern einfach verbunden mit Qualitätskontrolle.“

7. Ressourcenverknappung

Laut fünf von 18 befragten Personen besteht eine hohe Anfälligkeit für Korruption überall

dort, wo eine Ressourcenverknappung vorliegt, wie beispielsweise aktuell bei der Vergabe von

OP- oder MRT-Terminen. Demnach soll das Korruptionsrisiko zunehmen, wo Ressourcen

plötzlich knapp werden. Allerdings betonte ein Gesundheitsökonom, dass eine

Ressourcenverknappung auch infolge einer Überversorgung (Übertherapie, Überdiagnostik)

auftreten kann.

Zitat aus Interview 2:

„Die ganze MRT-Geschichte, ich weiß nicht, ob Sie das verfolgt haben, dass es so Wartelisten bei radiologischen Untersuchungen gibt. Das sind völlig künstliche Wartelisten, weil jeder, der sich etwas wünscht, ein MRT, wird auf eine Warteliste gestellt, statt einfach zu sagen, okay, das ist medizinisch indiziert, du kriegst es oder es ist medizinisch nicht-indiziert. Und nach Schätzungen sind 30 % der radiologischen Aufnahmen einfach nicht indiziert, aber wenn ich diese 30 % aussortiere, dann hat das nichts mit Rationierung zu tun, sondern einfach nur mit einer vernünftigen wirtschaftlichen Medizin.“

Zitat aus Interview 3:

„Die Patienten berichten, dass es dort vermehrt auftritt, wo Verknappung entsteht, Wartezeiten als Beispiel.“

Zitat aus Interview 4:

„Das zweite Problem, das anders gelagert ist und sehr förderlich wirkt für Korruption, sind Ressourcenprobleme im Gesundheitswesen, also eh wie Sie gesagt haben vorher, Wartezeiten.“

Auf Basis der gewonnenen empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:

U3 Die Ressourcenverknappung resultiert größtenteils aus der Überversorgung.

226

8. Schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems

Mehrmals (5 von 18 Befragten) beanstandet wurde auch die Qualität des bisherigen Aus- und

Fortbildungssystems im österreichischen Gesundheitssystem, welches sich indirekt positiv auf

das Korruptionsverhalten auszuwirken vermag. Insbesondere soll die wissenschaftliche

Ausbildung von Medizinern zu kurz geraten, wodurch diese weder selbstständig Forschung

betreiben noch Studienergebnisse richtig lesen könnten und daher von den „Mitmäulern“

(Meinungsbildnern, Pharmareferenten, Medizinproduktevertretern etc.) der Industrie

leichter zu beeinflussen wären. Außerdem mangele es in Österreich nach Ansicht eines

Vertreters von Transparency International an gut ausgebildeten Public Health-Experten,

Epidemiologen, Medizinstatistikern etc., worunter die medizinische Forschung in Österreich

stark leiden soll.

Zitat aus Interview 1:

„Naja, ich weiß aus inneren Quellen, die ich nicht nennen kann und will, dass Österreich am Abstellgleis ist. Österreich ist kein interessantes Forschungsland, wir sind zu schwach. Es gibt einfach keine Ausgebildeten wie mich, wie wir es machen wollten vor 25 Jahren, ordentliches Public Health. Keine Epidemiologen, keine gescheiten Medizinstatistiker. Man braucht ja Hunderte, damit es gut läuft in einem Land. 1000 oder so, ja. Und das haben wir nicht.“

Weiters soll auch ein großes Defizit im Hinblick auf die naturwissenschaftliche und

gesundheitsbezogene Ausbildung der Bevölkerung bestehen, wodurch diese auch leichter zu

beeinflussen wäre. In diesem Kontext wurde mehrmals auf das Thema „Health Literacy“51

verwiesen, bei welchem Österreich nach wie vor im internationalen Ländervergleich relativ

schlecht abschneidet (Sørensen et al. 2015).

Zitat aus Interview 6:

„Wo ich mich mit Patient Empowerment und Health Literacy sehr auseinandergesetzt habe, das prinzipiell, das Wissen und die Aufklärung der Patienten, also der befähigte Patient, das kannst vergessen, da sind wir in Österreich auch an letzter Stelle in Europa.“

Zitat aus Interview 12:

„Ich finde es einen Skandal, dass heutzutage dieses Wort ‚Health Literacy‘, das in aller Munde ist, noch nicht Eingang gefunden hat in unsere Lehrpläne, ja, geschweige denn in unsere Lehrbücher.“

51 Health Literacy wird im deutschsprachigen Raum häufig mit dem Begriff „Gesundheitskompetenz“ gleichgesetzt. Als gesundheitskompetent wird eine Person bezeichnet, die in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf ihre Gesundheit auswirken (Kickbusch et al. 2005, S. 10).

227

Zitat aus Interview 16:

„Generell muss man kritisieren, die Bevölkerung, die naturwissenschaftliche Ausbildung der Bevölkerung. Diese ganzen Globuli […] also das ist für mich etwas, wo ich einfach ganz ehrlich sage, also da wird die Bevölkerung aufgrund der schlechten Ausbildung wirklich hinter das Licht geführt. […] Das kostet Unmengen an Geld.“

Ausgehend von den erworbenen empirischen Erkenntnissen wurde folgende These

abgeleitet:

U4 Österreich hinkt in der gesundheitsbezogenen Ausbildung der Bevölkerung („Health

Literacy“) sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung der Mediziner hinterher.

9. Drittzahlerkonstruktion

Eine weitere genannte Ursache von Korruption im nationalen Gesundheitssystem (4 von 18

Befragten) bezieht sich auf die in der Literatur häufig angeführte Drittzahlerkonstruktion (vgl.

Kapitel 3.5). Die Trennung zwischen Leistungsempfängern (Patienten), Leistungserbringern

(Health Professionals) und Leistungszahlern (Krankenkassen und sonstige

Versicherungsträger) soll über die Schaffung vermehrter Intransparenz und

Informationsasymmetrien die Anfälligkeit des Gesundheitssystems für ineffizientes und

missbräuchliches Verhalten zulasten Dritter begünstigen.

Zitat aus Interview 2:

„Ich glaube, dass das österreichische Gesundheitswesen, aber so wie alle Gesundheitswesen, hoch korrupt ist, aufgrund dessen, dass große Mengen Geld, das sind 31 Mrd. Euro, das sind immerhin 11 % des BIP, da geht es um viel, viel Geld, von jenen ausgegeben wird und von jenen verfügt wird, die es nicht selbst erarbeitet haben. Weil eben der Markt dort nicht zusammenkommt zwischen Anbietern und Verkäufern.“

Zitat aus Interview 5:

„Generell ist die Schwachstelle im Gesundheitsbereich die Drittzahlerkonstruktion. Dass wir auf der einen Seite den Patienten haben, ihm gegenüber den Gesundheitsdienstleister, die Gesundheits-dienstleistungen und dann die Krankenkassa oder sonstige Krankenversicherungsträger als Dritten, also dieses Dreiecksverhältnis ist klarerweise ein Nährboden für undurchsichtige Machenschaften.“

Zitat aus Interview 14:

„Und diese Trias, der eine entscheidet, der andere zahlt, der Dritte nimmt, das noch sozusagen in einem Bereich, wo immer öffentliche Gelder im Spiel sind, das noch in einer Situation, wo sich der, der schlussendlich als Konsument auftritt und sich ja nicht aussucht, was er braucht, führt natürlich zu einer ganz besonderen Herausforderung.“

228

10. Politisches System/Föderalismus

Kritisiert wurde von einigen Experten (3 von 18 Befragten) auch das politische System bzw.

der Föderalismus in Österreich. In diesem Kontext wurde beispielsweise das transparente

Wartelistenregime (§ 5a Abs. 2 KAKuG) herangezogen, mit dem der Bund im Rahmen der

KAKuG-Novelle im Jahr 2011 der Umgehung von Wartelisten entgegenwirken wollte, dessen

organisatorische Umsetzung er den einzelnen Ländern und deren Gesetzgebung (Festlegung

von Kriterien für den Ablauf und die Organisation des Wartelistenregimes) überließ und die

nach wie vor zu wünschen übrig lässt. Generell wurde auf das Problem hingewiesen, dass

gesetzte Maßnahmen auf Bundesebene oftmals an der fehlenden oder mangelhaften

Umsetzung auf Landesebene scheitern würden. Zudem gäbe es viele Bereiche

(Honorarordnungen, Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren etc.), die in den

einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt seien und daher immer wieder

Intransparenz und Ineffizienzen hervorrufen würden. Ein Gesundheitsjournalist kritisierte das

politische System insofern, als dass die Sozialpartner eine viel zu starke Stellung in Österreich

hätten, wodurch sie die Kassen und Länder beherrschen würden.

Zitat aus Interview 10:

„Wir haben ja das System, dass jeder Gesetzesentwurf, egal wie das Parlament besetzt ist, immer durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter kontrolliert wird, also freigegeben wird, sprich SPÖ und ÖVP, Gewerkschaft und Arbeitgebervertreter, das gehört geändert. Die Sozialpartner haben eine viel zu starke Stellung in Österreich, dadurch beherrschen sie die Kassen und die Länder. Also ich würde den Parlamentarismus in Österreich stärken, weil sonst hat es keinen Sinn, den Nationalrat zu wählen. Und diese Sozialpartnerregelung hat eine zweite negative Erscheinung, dazu wird auch der gesamte Sozialversicherungsbereich zwischen diesen beiden Blöcken gedielt. […] Früher hat es ja wirklich Wahlen zur Vertretung der österreichischen Bürger in der Selbstverwaltung gegeben, nachdem dann die zweite Republik gekommen ist, ja, haben sie das nicht mehr wieder eingeführt, sondern haben das den Sozialpartnern gegeben, die Besetzung von Funktionären in der Sozialversicherung. Dadurch sind ja die immer 50/50 besetzt, das ist ein großes Korruptionsproblem. Du hast ja für jeden schwarzen Abteilungsleiter einen roten Stellvertreter und für jeden roten Direktor einen schwarzen Direktor-Stellvertreter. Und alle Abteilungsleiter werden kurz vor ihrer Pensionierung Direktor, damit sie eine höhere Pension haben. Wir haben 140 oder 200, ich glaube 140 Direktoren in der österreichischen Sozialversicherung mit mehr als 12.000 brutto oder 10.000 brutto im Monat. Das ist dämlich.“

Zitat aus Interview 12:

„Wir haben in Österreich ein großes Problem und das ist der Föderalismus. […] Und das ist eben das, was ich eben mit Föderalismus gemeint habe. Da hat man versucht etwas vom Bund her Gescheites zu machen [das transparente Wartelistenregime], man hat gesagt, das darf es nicht geben, das wollen wir nicht und dann hat man den neun Ländern gesagt ‚Und jetzt setzen Sie es um‘. Dann ist in jedem Bundesland lobbyiert worden und je nach Farbe und Zusammenstellung und Ärztekammer und weiß nicht was ist das jetzt so oder so formuliert und ist sowas von einem Gummischwamm, ja?“

229

Zitat aus Interview 14:

„Und diese Diskussionen, die wir haben, ich weiß nicht, sind das jetzt Bundeslehrer, sind das jetzt Landeslehrer, wer hat was, wie Ding? Naja, das ist ja von der Qualität dieselbe Diskussion wie zwischen dem niedergelassenen Bereich und dem Hospitalbereich und da die Landeshauptleute und der Finanzausgleich, und der Bund nimmt ein, aber das Land gibt aus, also es sind ja immer wieder dieselben root causes, also die Grundprobleme, auf die wir da treffen.“

11. Sonstige Ursachen

Weitere Korruptionsursachen, die zweimal bzw. einmal genannt worden sind, stellen die

mangelnde Interessenvertretung der Patienten bzw. des Allgemeinwohls sowie die schlechte

Vorbildwirkung der Politik dar. Einerseits kann eine mangelnde Interessenvertretung der

Patienten dazu beitragen, dass deren Interessen in einer pluralistischen Demokratie

zugunsten anderer Beteiligter im Gesundheitssystem zu wenig Berücksichtigung finden.

Andererseits können korrupte politische Vorbilder aufgrund des damit einhergehenden

Vertrauensverlustes selbiges Verhalten auf der Bevölkerungsebene hervorrufen.

Zitat aus Interview 10:

„Also Korruption heißt ja in der Politik Diplomatie. […] Die Menschen im System, ob das jetzt Gesundheitssystem oder öffentliches Politiksystem oder was ist, die haben nicht das Vertrauen, dass mit den Steuergeldern und mit den Sozialversicherungsbeiträgen sinnvoll umgegangen wird, ja? Weil die haben auch kein Problem, sich etwas abzuzweigen, weil neben der negativen Vorbildaktion mit dem

Geld sowieso überhaupt nur Blödsinn gemacht wird.“

Zitat aus Interview 12:

„Weil die größten Lobbyisten sind ja Ärztekammer und das Lobbying, das die machen, ist nicht zum Wohle des Patienten und auch nicht zum Wohle des Systems. […] Die Patienten lobbyieren bei uns in Österreich sehr wenig, die Industrie lobbyiert auch wenig, die Ärzte lobbyieren brutal, da ist es nicht sehr ausgeglichen.“

230

Ursachen auf der Mesoebene

1. Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

Als häufigste Ursache von Korruption auf der Mesoebene des nationalen Gesundheitssystems

wurden ebenso wie auf der Makroebene fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

genannt (12 von 18 Befragten), die nachfolgend näher erläutert werden.

Einnahmen aus Sonderklassegebühren

Die Möglichkeit, Einkünfte aus Sonderklassegebühren zu lukrieren, wurde seitens

mehrerer befragter Personen (7 von 18 Befragten) als ein großer fehlgeleiteter finanzieller

Anreiz bezeichnet, der insbesondere Primar- und Oberärzte dazu verleite, Privatpatienten

bevorzugt oder im Übermaße zu behandeln und dabei ihre Führungsaufgaben zu

vernachlässigen. Auf diese Problematik wird auch in der jüngst veröffentlichten Studie zur

Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich hingewiesen

(LSE 2017a, S. 67).

Zitat aus Interview 9:

„Aber das Krankenhaus hat den Incentive, bei dem macht ihr ja viel, weil dann gibt es viel Punkte, gibt es viel Geld, brauchen wir. Betten müssen voll sein, tut ihn ja nicht zu früh rauslassen. Wenn du zusatzversichert bist, hast eher die Gefahr, dass du länger liegst“.

Zitat aus Interview 10:

„Natürlich würde kein ärztlicher Leiter sagen, er nimmt sich zu wenig Zeit für Führung oder ein Primararzt, weil er jetzt Gebühren bekommt, auch wenn die Gebühren ein Mehrfaches seines Normalgehaltes ausmachen und er für jeden Patienten, den er privat operiert oder behandelt, zusätzlich Geld lukriert. Und diese Gelder gehen in die hunderttausende Euro an Zusatzverdienst im Jahr. Führt natürlich dazu, dass das System den ärztlichen Abteilungsleiter sozusagen dafür belohnt, nicht zu führen, sondern seine Privatpatienten oder seine Sonderklassepatienten zu behandeln. Das ist auch nicht Korruption, führt aber zu einer Fehlsteuerung des Systems und hat natürlich an seinen Geldbereichen auch wieder Korruptionseigenschaft, nicht? Also Vorreihung, Prioritätensetzung, ja.“

Zitat aus Interview 18:

„Und ich bin noch aus der sogenannten Sonderklasse von meinem Sonderklasseanspruch zurückgegangen, also ich habe ihn ruhend gestellt. Ich kriege keinen Cent Sonderklasse. […] Warum? Weil ich es zutiefst verabscheue.“

231

Gestattung von Nebenbeschäftigungen

Laut sechs der 18 Befragten können – wie bereits mehrmals angemerkt wurde –

Nebenbeschäftigungen, die im Zuge der Dienstzeitenreduktion für Spitalsärzte im Rahmen

der KA-AZG-Novelle im Jahr 2014 zugenommen haben sollen, Spitalsärzte aufgrund

fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen zur Korruption (Umgehung von Wartelisten

etc.) verleiten.

Zitat aus Interview 3:

„Ich habe es eh schon angedeutet, wenn man sozusagen durch die Prozesse in den Spitälern davon ausgeht, dass ohnehin man Zeit hat für die Privatmedizin, dass es klar ist, dass es dann einen Chefeinschub geben kann, also dass da noch welche kommen, die geschwind Vorfahrt kriegen.“

Zitat aus Interview 13:

„Allerdings sind wir jetzt in einer Situation, die fast paradox ist, weil die Ärzte arbeiten nur mehr eine begrenzte Zeit im Spital, was gut ist, allerdings rechtfertigen heute viele Ärzte, wenn sie weniger arbeiten, verdienen sie auch weniger und sie müssen ja in die Ordination gehen, um sich ihr Gehalt aufzubessern. Was ich teilweise paradox finde, weil die primäre Motivation, das Ärztearbeitszeitgesetz so streng zu kontrollieren und zu handhaben, war ja nicht nur das EU-Gesetz, sondern war eine gewerkschaftliche Forderung, die darauf abgezielt hat, eine fachliche und zeitliche Überforderung der Ärzte zu vermeiden. Und ich finde es wirklich als paradox bis zynisch zu sagen, ich bin zwar nicht fähig, so und so viele Überstunden im Spital zu leisten, allerdings habe ich kein Problem nach dem Nachtdienst nach Hause und in die Privatordi zu gehen.“

2. Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen bestehender Regulative durch die

zuständigen Dienstgeber stellen die zweithäufigste genannte Ursache für Korruption auf der

Mesoebene des nationalen Gesundheitssystems dar (10 von 18 Befragten). Darunter fällt

beispielsweise die mangelnde Kontrolle und Ahndung der Nichteinhaltung von

organisationsinternen Verhaltenskodizes, von ungerechtfertigten Vorreihungen

(„Chefeinschub“), von Nebenbeschäftigungen in Privatordinationen/Privatkliniken während

der Dienstzeiten im öffentlichen Spital sowie von überflüssigen medizinischen Leistungen und

Diagnostiken („Überversorgung“). Insbesondere wies ein Gesundheitspolitiker darauf hin,

dass die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Einschränkung bzw. Unterbindung

bestimmter Verhaltensweisen (z.B. Nebenbeschäftigungen) auf vertraglicher Ebene nur selten

ausgeschöpft werden würden.

232

Zitat aus Interview 3:

„Also vielleicht wäre er [der Patient] sowieso gestorben, aber jedenfalls, ich hab daraufhin, das ist belegt durch das entsprechende Gutachten und ich hab daraufhin den Dienstgeber verständigt und habe gefragt, was es für disziplinäre Konsequenzen gegeben hat, weil der Arzt im Dienst nicht da war. Ich habe keine Antwort gekriegt, dann habe ich urgiert und dann hatte ich ein persönliches Gespräch mit dem zuständigen Chef, dann hat er gesagt, wissen sie was Fr. [Name der Person], der ist definitiv gestellt, ich mach nichts, weil ich würde nichts erreichen.“

Zitat aus Interview 4:

„Also ich glaube, im Prinzip auf der Systemebene ist eigentlich sehr vieles ganz klar geregelt. Wenn es darum geht, das auch wirklich durchzusetzen, dann hapert es sehr oft. Also, ein Beispiel jetzt, ja, wir haben irrsinnige Probleme gehabt mit einem Primarius HNO in [Name der Klinik]. Da wussten wir auch aus vielen Patientengesprächen, dass der teilweise auch den Rechtsträger beschissen hat, muss ich jetzt so sagen, Entschuldigung, weil ich meine, wenn ich einen Patienten offiziell als Sonderklassepatienten aufnehme und ihm sage, ich operiere dich als Abteilungsleiter, dann muss ich ja zumindest einen Teil als Hausanteil abliefern. […] Und das hat, glaube ich, drei oder vier Jahre gedauert, obwohl das ganz klar war, dass der Rechtsträger auch da wirklich in betrügerischer Absicht um sein Geld gekommen ist, bis der dann weggekommen ist. Also da ist es für mich jetzt nicht nur eine Sache der Gesetze oder der Erlässe oder dieser Vorgaben, es ist auch eine Sache der Umsetzung und der Durchsetzung.“

Zitat aus Interview 9:

„Solange keiner zu einem sagt ‚Jetzt lasst das, aber sonst kriegt‘s, dann strafen wir euch‘ und da passiert nämlich verdammt viel. Aber da sind wir wieder in dieser Überversorgung.“

Zitat aus Interview 15:

"Schauen wir zuerst, was das geltende Recht schon hergibt, bevor man sofort aufschreit und sagt, weil irgendwas passiert ist, brauchen wir, muss ein neuer Paragraf her. Jetzt nicht nur Korruption, aber Politik neigt dazu, wenn irgendwas in den Zeitungen steht, was es jetzt nach Meinung der Journalisten und der Bevölkerung nicht geben darf, sofort nach einem Paragrafen zu schreien, man könnte auch fragen ‚Wer war bisher zu feige, Möglichkeiten, die es längst gibt, einzusetzen?‘."

3. Nutzenstiftung für die Organisation

Argumentiert wurde mehrmals (6 von 18 Befragten) auch, dass bestimmte unethische

Verhaltensweisen nicht nur der Industrie (pharmazeutische und medizintechnische Industrie),

sondern auch anderen Organisationen (Krankenanstalten, medizinischen Instituten etc.) mehr

Nutzen als Schaden stiften würden, weswegen sie nur ungern unterbunden werden. Bestes

Beispiel hierfür, welches bereits mehrmals erläutert wurde, stellen die langen Wartezeiten bei

MRT-Untersuchungen dar, von denen beide Vertragspartner (Krankenkassen und Radiologie-

Institute) jahrelang zulasten der Patienten profitiert haben sollen. Auch die Vorreihung und

übermäßige Versorgung von Privatpatienten nütze dem öffentlichen Spital mehr, als dass sie

ihr Schaden zufüge.

233

Zitat aus Interview 3:

„Ja, offensichtlich ist der Schaden für das Haus nicht groß genug. Wird halt ein anderer operiert als der, der auf der Liste wäre.“

Zitat aus Interview 4:

„[…] Und keiner von den zwei Vertragspartnern, die versuchen, das durchzutauchen, will ich das wirklich ändern, warum? Weil nämlich in Wirklichkeit beide profitieren und da bin ich jetzt beim Thema Korruption.“

4. Mangelhafte Vorbildwirkung der Führung

Gemäß der sozialkognitiven Lerntheorie nach Bandura (vgl. Kapitel 2.4) führten mehrere

Personen (5 von 18 Befragten) an, dass mangelnde ethische Führungsvorbilder die

Korruptionsanfälligkeit der eigenen Mitarbeiter zu heben vermögen. Wieso sollte sich auch

ein Mitarbeiter anders verhalten, als es ihm die eigene Führungskraft vorlebt? Solange sich

Vorgesetzte, die als Vorbilder für ihre eigenen Mitarbeiter fungieren sollten, selbst nicht an

geltende Verhaltensregeln halten, werden diese ihre volle Wirksamkeit niemals entfalten

können.

Zitat aus Interview 1:

„Das [die Einhaltung von Verhaltenskodizes] ist sicher auch, es ist abhängig, wie alle diese Managementinnovationen, vom zufälligen Commitment of Leadership, ob es stark oder weniger stark sozusagen vorangetrieben wird.“

Zitat aus Interview 6:

„In Wahrheit ist es eine Führungsfrage. Der Fisch stinkt immer vom Kopf.“

Zitat aus Interview 12:

„Und der Chef, der ihnen vorlebt, wie er da nimmt und dort nimmt und da nimmt und dort nimmt und von den Patienten auch noch direkt und ich weiß nicht was, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn sie so groß geworden sind, sie es später auch so machen, relativ hoch.“

Weiters kritisierte ein Gesundheitsjournalist das wechselnde Eigenbild der mittleren Führung.

Sobald Probleme auftreten, würden diese ihre Arbeitgeberfunktion ablegen und eine

Arbeitnehmerrolle einnehmen, wodurch es nicht mehr zu einem Interessensausgleich

zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern kommen könnte. Es fehle grundsätzlich die

Orientierung an gemeinsamen organisationalen Zielen.

234

Zitat aus Interview 10:

„Es hat der einzelne Chef, sobald es Probleme gibt, nicht mehr eine Arbeitgeberfunktion, sondern eine Arbeitnehmerfunktion, wie das berühmte ‚Leichentuchwachteln‘, ‚Wenn wir nicht bekommen, dann...‘, führt dazu, dass sie in den Organisationen betriebsrätlich denkende Personen in der mittleren Führung haben. Dazu kommt es aber nicht mehr zum Interessensausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern zu der Erfahrung, je mehr jemand jammert und Druck aufbaut, desto mehr erhält er an Ressourcen.“

Ursachen auf der Mikroebene

1. Mangelndes Problem- und Unrechtsbewusstsein

Laut mehrheitlicher Auffassung der Experten (16 von 18 Befragten) stellt mangelndes

Problem- und Unrechtsbewusstsein die Hauptursache für Korruption auf der Mikroebene des

nationalen Gesundheitssystems dar. Trotz einiger Aufklärungsarbeiten in den letzten zehn

Jahren sollen sich gewisse Praktiken derart in der österreichischen Kultur verfestigt haben,

dass sie nach wie vor als „normal und üblich“ und weniger als „korrupt“ angesehen werden.

Vor allem bestehe im Hinblick auf gewisse Graubereiche von Korruption (z.B.

pharmagesponserte Forschung und Fortbildung) ein besonders schwach ausgeprägtes

Problembewusstsein, weil man entweder keine Einflussnahme und Abhängigkeit erkennen

kann; nicht versteht, warum ein Problem daraus resultieren sollte; davon ausgeht, dass es

einem schlicht und einfach zusteht oder sogar glaubt, dass man etwas Gutes damit tue.

Schließlich würde man den Unterschied zwischen Werbung und Information kennen. Obwohl

die meisten Betroffenen selbst davon überzeugt sind, objektiv zu agieren, werden laut

vorliegenden Studienergebnissen Beeinflussungen bei anderen in vergleichbaren Situationen

durchaus wahrgenommen (Steinman et al. 2001; Morgan et al. 2006; Dana 2009, S. 365f.).

Beispielsweise konnte in der Studie von Steinman et al. (2001) aufgezeigt werden, dass 61 %

der befragten Assistenzärzte keine Einflussnahme auf ihre Verschreibungspraxis durch

Pharmasponsoring erkennen konnten, allerdings lediglich 16 % dasselbe von anderen

Medizinern annahmen. Dass Pharmasponsoring entgegen der Selbstwahrnehmung vieler

Ärzte Einfluss auf deren Einstellung und Verhalten nehmen kann, wurde auf internationaler

Ebene bereits mehrmals empirisch aufgezeigt (Bowman & Pearl 1988; Wazana 2000;

Schneider & Lückmann 2008; Grochowski Jones & Ornstein 2016).

235

Zitat aus Interview 8:

„Grundsätzlich glaube ich, dass eines der großen Themen auch die Bewusstseinsbildung ist, dass viele Dinge für normal und selbstverständlich gehalten werden, gerade unter Medizinern, weil es schon immer so war, dass vieles gar nicht bewusst oder bösartig ist, sondern dass es unterschätzt wird von den Herren dort, Ärzten, Verordnern, wer auch immer.“

Zitat aus Interview 9:

„Also da würde ich jetzt beinhart sagen, über 90 %, die noch nicht wissen, dass sie a.) beeinflusst werden können, ohne dass ihnen bewusst ist, dass sie beeinflusst worden wären. […] Ich glaube, dass der Großteil der Onkologen sagt, er ist überhaupt nie beeinflusst worden, er handelt nur im Interesse der Patienten. Und das schaffst du nicht, ja, wenn du ständig umworben wirst von irgendwelchen Produkten. Oder ich glaube auch, dass die Allgemeinmediziner glauben, dass der Kongress da in Graz, dass der vollkommen unbeeinflusst ist von der Industrie, die da unten in der Halle sitzen und ihre Expertenmeetings oben machen und so. […] Werbung wirkt 100%ig. Und das ist im Medizinbereich und im Gesundheitsbereich nicht anders. Und ich glaube, das Bewusstsein dafür ist minimal, minimal. […] Aber da gibt es keine Awareness, also gerade ganz wenig, jeder Zehnte würde ich sagen ungefähr.“

Zitat aus Interview 10:

„Ich glaube aber, dass eben sehr vielen, die daran beteiligt sind an solchen Themen, gar nicht bewusst ist, weil sie gar nichts anderes kennen. “

Zitat aus Interview 12:

„Ich habe einmal, wo ich noch in der Industrie war, ein Honorar für einen Vortrag ausgeschickt an zwei deutsche renommierte Ärzte und ein paar österreichische. […] Die Deutschen haben mir zurückgeschrieben ‚Das ist ein überdurchschnittlich hohes Honorar für so einen Vortrag, sie würden mich ersuchen, die Summe zu reduzieren‘. Und bei den Österreichern, bei den dreien oder vieren, denen ich es geschickt habe, haben sich zwei aufgeregt und haben gesagt ‚Was bilden Sie sich eigentlich ein, glauben Sie, dass ich um die Kohle komme?‘“

Zitat aus Interview 18:

„Na, es gibt so gut wie kein Bewusstsein, jetzt langsam, weil es jetzt immer wieder ins Gespräch kommt, kommt langsam auf. […] Das war immer so, das wird immer so sein: ‚Was ist dabei, wennst von einer Firma was annimmst, bist du korrupt, na, deswegen nehme ich eh von allen was an‘.“

Dass das Problem- und Unrechtsbewusstsein im Hinblick auf Korruption im österreichischen

Gesundheitssystem nach wie vor schwach ausgeprägt ist, lässt sich nach Ansicht eines

Gesundheitswissenschaftlers insbesondere an der spärlichen Mitgliederzahl von MEZIS

(„Mein Essen zahl ich selbst“), einer Initiative unbestechlicher Ärzte in Österreich, erkennen.

In Deutschland zählt die Initiative mittlerweile über 850 Mitglieder (MEZIS-DE 2016b, S. 2). Im

Vergleich zur älteren Generation soll aber bei der jüngeren bereits eine deutlich höhere

Sensibilität und Offenheit gegenüber der Thematik erkennbar sein.

236

Zitat aus Interview 4:

„Also teilweise spreche ich so mit alten Primarärzten und die finden überhaupt nichts dabei, wenn für Sonderklassepatienten irgendwelche Sonderleistungen da sind oder sonst was. Also das ist für die ganz normal, weil die einfach in diesem System auch aufgewachsen sind. Hingegen Jüngere sehen das durchaus als so hinführend auch in die Richtung Korruption.“

Zitat aus Interview 5:

„Und was wir hier haben ist, und dieses Einfallstor schließt sich schön langsam, dass bei den jüngeren Ärztinnen und Ärzten das Unrechtbewusstsein und das Erkennen von Gut und Böse, klingt fast biblisch, irgendwie höher ist. D.h., es hat sich hier auch in der Ausbildung und in der Sensibilität, was die forensischen Konsequenzen ihres Handelns betrifft, auch einiges getan.“

Zitat aus Interview 9:

„Also da würde ich jetzt beinhart sagen, über 90 %, die noch nicht wissen, dass sie a.) beeinflusst werden können, ohne dass ihnen bewusst ist, dass sie beeinflusst worden wären. Und dass, ich glaube, dass es noch viel zu wenig Verständnis gibt, ja. Also diese MEZIS-Geschichte in Deutschland von, ich glaube, Klaus Lieb heißt er, der durchaus einige Mitglieder gehabt hat und die alle aktiver waren. Inzwischen sind sie alle ruhiger geworden wieder, ich meine, das kostet ja viel ehrenamtliche Zeit, in Österreich ist das ja gar nie vom Boden abgehoben, ja, der Franz Piribauer hat, glaube ich, zwei, drei Mitglieder gehabt und das war es dann auch.“

Zitat aus Interview 12:

„Also ich glaube hier sehr an einen Generationswechsel, ich glaube, dass sich bei den jungen Ärzten hier schon einiges getan hat.“

Nicht nur Health Professionals sollen im Hinblick auf die Korruptionsthematik zu wenig

sensibilisiert sein, sondern auch die Patienten, denen nicht immer bewusst sei, dass sie sich

beispielsweise durch eine ungerechtfertigt erwirkte Vorreihung strafbar machen können.

Zitat aus Interview 3:

„Und auch die Patienten, wenn ich sage, auch sie machen sich strafbar, wenn sie das tun, das finden sie eigentlich eine freche Ansage. ‚Ja, wieso? Soll ich Schmerzen haben? Dann zahl ich lieber eine Privatordi‘. Also das Unrechtsbewusstsein ist da nicht gegeben.“

Ausgehend von den gewonnenen empirischen Erkenntnissen wurden folgende zwei Thesen

abgeleitet:

U5 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist im

nationalen Gesundheitssystem noch zu wenig ausgeprägt.

U6 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist bei der

jüngeren Generation von Health Professionals stärker ausgeprägt als bei der älteren.

237

2. Individuelle Nutzen- und Einkommensmaximierung/Habgier

Die zweithäufigste genannte Ursache für Korruption auf der Mikroebene (14 von 18

Befragten) wurde im nutzen- bzw. einkommensmaximierenden Verhalten einzelner

Individuen, welches aus ökonomischer Sicht durchaus als rational angesehen werden kann,

aus moralischer Sicht vielmehr unter Habgier subsumiert und somit als moralisch verwerflich

aufgefasst wird, geortet. Demnach sollen vor allem hohe Profitaussichten oder berufliches

Weiterkommen Individuen dazu verleiten, ihre persönlichen Interessen vor jene der

Allgemeinheit zu stellen und sich der Korruption zulasten Dritter bedienen.

Zitat aus Interview 2:

„Weil die Gier aller, die am Gesundheitswesen mitverdienen, das ist ein riesiger Markt, wo ganz viel Geld umgesetzt wird, inzwischen so groß geworden ist, dass die Steuerungsinstrumente nicht mehr so funktionieren wie wir uns das vorstellen.“

Zitat aus Interview 3:

„Wenn ein erkennbarer Nutzen für den Verschreiber, für den Behandler aus diesem System ableitbar und sichtbar ist, müssten alle heilig sein, wenn sie diesen Nutzen nicht für sich lukrieren wollten.“

Zitat aus Interview 4:

„Es ist auch Korruption, weil eben diese persönliche Abhängigkeit des Patienten ausgenutzt wird, um eben das eigene Einkommen zu steigern. […] Aber ich will nur sagen, das ist für mich sehr auffällig, dass auf der einen Seite, so dieses Ethische, der Hippokratische Eid, und dieses ethische Bild und ich mach alles nur für den Patienten, ist, auf der einen Seite, also dieses Altruistische ist, und auf der anderen Seite aber in der Praxis geht es immer wieder auf das Finanzielle.“

Zitat aus Interview 5:

„Es ist einfach ein pauschales Misstrauen und eine Ellbogengesellschaft da und der Homo Oeconomicus ist wirklich so die Figur, die sich durchgesetzt hat. Das absolute, hemmungslose Nutzenmaximieren.“

Zitat aus Interview 6:

„Der Mensch ist nicht gut und er wird auch nie gut werden. Und er wird auch nie gut veränderbar sein, sondern der Mensch strebt um alle Mitteln um Macht, Reichtum, mehr Geld, mehr anhäufen, das ist nun einmal so.“

Zitat aus Interview 10:

„Ökonomisches Prinzip heißt für mich, jeder schaut, dass er in der kürzesten Zeit mit wenigstem Aufwand am meisten Geld aus dem System zieht. Und jeder gibt vor, etwas für die Allgemeinheit oder für den Patienten zu tun. Also wir haben da ganz eine schlimme Kultur, die dadurch entstanden ist, dass wir in Österreich so eine Vermischung haben zwischen Marktwirtschaft und Sozialbereich.“

238

3. Reziprozität/Beziehungspflege

Gemäß der sozialen Austauschtheorie nach Homans (vgl. Kapitel 2.4) attestierten mehrere

Personen (10 von 18 Befragten), dass Korruption aufgrund der Reziprozitätsregel aus dem

Prinzip „eine Hand wäscht die andere“ resultiert. Insbesondere soll die Entgegennahme von

Einladungen oder Geschenken in der Regel mit einem „Quidproquo“ einhergehen, ohne dass

sich die Betroffenen dessen bewusst sein müssen. In Kombination mit einem mangelnden

Unrechts- und Problembewusstsein könnte sich beispielsweise die Entgegennahme einer

Einladung zu einer Fortbildungsveranstaltung oder einem Abendessen sogar unbewusst in der

späteren Verschreibungspraxis niederschlagen. Die Annahmen der Experten laufen konform

mit den Ergebnissen internationaler Studien, die von Klemperer (2008, S. 2099f.) wie folgt

zusammengefasst werden: Die Reziprozitätsregel funktioniert unabhängig von der Größe der

Gabe und somit auch unterhalb festgesetzter Schwellenwerte, ist unabhängig von

Sympathie/Antipathie und wirkt sogar bei Personen, die sich der Regel bewusst sind und sich

selbst als unbeeinflussbar wahrnehmen.

Zitat aus Interview 6:

„Weil du kannst es ja schon in Kindergärten beobachten. Ich borge dir mein Spielzeug, dafür kriegst du das. Ich mache das, dafür kriegst du das.“

Zitat aus Interview 7:

„Das Zweite ist, da wird es schon sehr persönlich und schwieriger, nicht, wenn sozusagen ein Quidproquo impliziert ist, also ich gebe was und ich erwarte was. Noch dazu, wenn das irgendwo illegitim ist, also wenn man durch dieses Quidproquo bestehendes Regulativ oder bestehende Gesetze oder bestehende, auch jetzt irgendwo ungeschriebene Gesetze umgeht, ja, dann würde ich argumentieren, das ist Korruption.“

Zitat aus Interview 8:

„Die Taktiken sind, dass man mit kleinen Geschenken sich die Leute einfach ins Boot holt. Das weiß man, kleine Dinge machen Freude. Der Name, den ich immer wieder sehe, die Firma, die mich einlädt, der bin ich einfach gesonnen, das ist das Prinzip der Reziprozität. Ich kriege was und ich habe das Gefühl, ich schulde etwas. Ich glaube, dass das einfach nach wie vor total gut funktioniert. Beispiel eine gute Kollegin von mir, die sagt, sie war nicht am Kongress XY, sondern sie sagt, sie war mit Novartis in Chicago.“

4. Mangelnde Meldebereitschaft/niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeit

Weiters wurde Korruption mehrfach (8 von 18 Befragten) auf die mangelnde Bereitschaft,

Korruptionsfälle zu melden, zurückgeführt. Dies reduziere die ohnehin schon niedrige

239

Aufdeckungswahrscheinlichkeit solcher Machenschaften (aufgrund der zumeist vorliegenden

Win-Win-Situation) und schaffe damit erst recht einen vermehrten Anreiz zu solchen

Straftaten. Die mangelnde Meldebereitschaft treffe sowohl auf Health Professionals als auch

auf Patienten zu. Seitens der Patienten liege dies vor allem an der Furcht vor möglichen

strafrechtlichen Konsequenzen oder davor, kein weiteres Mal vom selben Arzt, der als Experte

auf seinem Gebiet gilt, behandelt zu werden. Was Health Professionals betrifft, wurde

vermutet, dass diese häufig selbst in Korruptionsfälle verwickelt seien und somit auch

strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten hätten. Dadurch bliebe vieles im Verborgenen und

könne nicht strafrechtlich verfolgt und sanktioniert werden. Jene Fälle, die ans Tageslicht

treten, stellen laut Patientenanwälten zumeist Zufallsbefunde bzw. das Nebenprodukt einer

Beschwerde im Falle einer Fehlbehandlung dar.

Zitat aus Interview 2:

„Aber das ist sowieso so ein schwieriges Gebiet, weil es gibt ja keine Korruptionsverfahren im Gesundheitswesen, zumindest ich weiß keine, weil bei vielen korrupten Aktivitäten die Täter und die Opfer gleichzeitig Opfer und Täter sind, also beide davon profitieren, das ist eben das, was die Korruptionsgeschichte so schwierig macht, zu ahnden. […] Jeder von den beiden hat was. Das ist der Hund dabei. Jeder hat was davon. Und dadurch wird es auch nicht so nach außen, kommt es nicht nach außen an die Öffentlichkeit.“

Zitat aus Interview 3:

„Sie wenden sich interessanterweise dann an mich, wenn dann vielleicht die Leistung trotzdem nicht gestimmt hat. ‚Ich habe sogar bei ihm bezahlt und habe dann nichts bekommen‘.“

Zitat aus Interview 5:

„Diese Abhängigkeit hat dazu geführt, dass sehr, sehr häufig PatientInnen dann gekniffen haben und nicht bereit waren als Zeugen auszusagen. Das heißt, das war eine sehr unselige Situation, die sich auch nicht wirklich geändert hat, die Abhängigkeit der PatientInnen von ihren ÄrztInnen ist nach wie vor gegeben.“

Zitat aus Interview 6:

„Die Bereitschaft der Patienten, es zu melden, war damals nicht und heute nicht. […] D.h., dieser dritte Teil von Korruption im Gesundheitswesen, wo es direkt um den Patienten geht, schließe ich nicht aus, dass es etwas gibt oder immer wieder gibt. Nehme an, dass es eine extrem hohe Dunkelziffer gibt, aber nicht aufgrund der Behörden oder des Nichtverfolgtwerdens, sondern des Patienten, der es nicht meldet.“

Auf Basis der erworbenen empirischen Erkenntnisse wurde folgende These abgeleitet:

U7 Die Bereitschaft der Patienten, bestimmte Korruptionsfälle zu melden, ist gering.

240

5. Fehlender Informationsstand/Wissenslücken

Als Ursache von Korruption auf der Mikroebene wurden auch mehrmals (7 von 18 Befragten)

fehlende Informationen und Wissenslücken genannt, die wiederum mit der mangelnden

Qualität des Aus- und Fortbildungssystems auf der Makroebene zusammenhängen. Aufgrund

dessen sollen Health Professionals (Mediziner) und Patienten leichter zu manipulieren und

anfälliger für Korruption sein. Sowohl das Unwissen der Ärzte, beispielsweise über die

tatsächliche Wirkung bestimmter Arzneimittel (aufgrund ihrer Unfähigkeit, Studienergebnisse

eigenständig zu lesen und zu interpretieren), als auch das Unwissen bzw. die mangelnde

Gesundheitskompetenz der Patienten („Health Literacy“), könnte sehr leicht zum eigenen

Vorteil missbraucht werden.

Zitat aus Interview 4:

„Also da wird auch teilweise das Unwissen der Patienten oder die Unfähigkeit, auf einem Expertenstatus jetzt mit jemandem zu reden, sehr stark ausgenützt.“

Zitat aus Interview 12:

„Wo ich glaube, wo wir nach wie vor ein ganz großes Defizit haben, ist beim Wissen der Patienten.“

Zitat aus Interview 16:

„Und man sieht, die Pharmaindustrie macht nichts anderes als diese Schwäche der Ärzte auszunutzen, dieses Nichtwissen der Ärzte auszunutzen und einfach die Ärzte mit eigenen Theorien zu überrollen. […] Die Ärzte im Prinzip können das glauben oder nicht glauben. D.h., Korruption in Österreich mit der Pharmaindustrie gibt es definitiv in Form von dass man die Ärzte manipuliert, sind die Ärzte aber selber schuld, weil sie sich korrumpieren lassen.“

6. Unterschiedliche Wertvorstellungen

In Anlehnung an die Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen (vgl. Kapitel 2.4) führten

mehrere Experten (6 von 18 Befragten) Korruption auf unterschiedliche Wertvorstellungen

zurück, die Einfluss auf die jeweilige Einstellung nehmen und sich letztlich positiv oder negativ

auf das individuelle Verhalten auszuwirken vermögen. Dabei seien die subjektiven

Wertvorstellungen nicht nur von der jeweiligen kulturellen Prägung abhängig, sondern auch

vom Zeitgeist ihrer jeweiligen Epoche (generationsunterschiedliche Wertvorstellungen). Nach

Ansicht einiger Experten litte die gegenwärtige Gesellschaft auch unter einem Werteverfall

(Maßlosigkeit, Abgehobenheit, Zynismus, Habgier etc.), welcher sich in der mangelnden

Antikorruptionseinstellung und dem damit einhergehenden unethischen Verhalten

241

niederschlage. Demnach wurde Korruption auch auf einen Verfall der öffentlichen Moral

zurückgeführt.

Zitat aus Interview 2:

„[…] dass Patienten gar nichts komisch daran finden, dass sie, wenn sie dem Arzt 200 Euro zustecken, dafür einen früheren Termin kriegen für eine Operation, dann ist das ein Verfall der öffentlichen Moral, dass das schon als normal angesehen wird. Das ist ein offener Verfall der Moral.“

Zitat aus Interview 5:

„Das ist eine völlig verlogene Gesellschaft, eine korrupte Gesellschaft geworden. Warum soll im Gesundheitsbereich was funktionieren, wo der Rest der Menschheit völlig korrupt ist? […] Es ist ein absoluter Werteverfall und ich hab auch nicht vor, dass ich da die kaputte Klospülung auf der sinkenden Titanic repariere, das ist völlig sinnlos. […] Was ich sehr häufig erfahren habe ist, dass auf der einen Seite insbesondere bei den Gesundheitsdienstanbietern, bei den Medizinern, sowas wie Habgier, Maßlosigkeit und sozusagen eine völlige Abgehobenheit entsteht, gewisser Zynismus.“

Zitat aus Interview 6:

„Es gibt die philosophische Ansicht, dass der Mensch eben nicht gut ist und daher niemals aufhören wird, es zu tun und sich zu bereichern. […] Und daher glaube ich, wie gesagt, Korruption existent, schwer definierbar, die Kombination aus Kultur, Ethik, Moral, Erziehung, Vorbildfunktion und natürlichem Verständnis für Gut und Schlecht, weil auch das die Frage ist, woher komme ich? Weil ich meine, im Islam ist es gut, wenn einer stiehlt, dass man ihm die Hand abschneidet.[…] Jeder hat eine andere Wertevorstellung und daher, Generationen haben eine andere Wertevorstellung, ich habe eine andere Wertevorstellung als meine Eltern und meine Eltern hatten eine andere Wertevorstellung als meine Großeltern. […] Aber das ist etwas, wo wir eine völlige Veränderung der Wertevorstellungen haben, ohne jetzt moralisch irgendwelche veränderte Situationen zu haben.“

Zitat aus Interview 14:

„Wir alle haben unsere Werte und irgendwo unsere kulturelle Prägung, die beeinflusst unsere Einstellungen und die Einstellungen wiederum beeinflussen unser Verhalten.“

7. Subjektiv empfundene Ungerechtigkeit/mangelnde Wertschätzung

Argumentiert wurde seitens mehrerer Personen (5 von 18 Befragten), dass Korruption auch

Ungerechtigkeit schaffe und ihr dadurch einen guten Nährboden biete. Demnach könne

beispielsweise eine subjektiv empfundene ungerechte Entlohnung und die damit

einhergehende wahrgenommene mangelnde Wertschätzung der eigenen Leistung die eigene

Korruptionsanfälligkeit heben. Insbesondere soll die intransparente Verteilung von

Sonderklassehonoraren im Spitalsbereich als Ungerechtigkeit wahrgenommen werden, da

hier gewisse Berufsgruppen (Unfallchirurgen, Labormediziner) im Vergleich zu anderen

(Psychiater, Kindermediziner etc.) bevorzugt werden.

242

Zitat aus Interview 3:

„Also es gibt Fächer, da kann man Geld scheffeln Ende nie und andere sind die arme Verwandtschaft, die Psychiater, die Kindermediziner, die Geriater haben keinen Zugang zu Privatpatienten, Sonderklasse. Die müssen für das, was sie einnehmen, halt viel Zuwendungsmedizin machen und andere, z.B. die technischen Fächer, kriegen von jedem Sonderklasse-Patienten halt einfach was ab und den sehen sie nie. Da sehen sie nur die Laborprobe oder das Röntgenbild, das macht Ungerechtigkeit. Ungleiche Entlohnung gibt Legitimation für ‚Gut, wenn das so ist, dann schaue ich, wie ich zu etwas komme‘.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich glaube, dass es bei vielen dieser Dinge darum geht, dass jemand das, wenn man auf der individuellen Ebene schaut, dass jemand das Gefühl hat, er kommt zu kurz oder es steht ihm was zu. Und das hat nichts mit Einzelabrechnung oder Pauschalabrechnung zu tun, sondern das hat auch viel mit Anerkennung und Wertschätzung zu tun.“

Zitat aus Interview 9:

„Aber ich glaube, dass das eher so aus dem Ding heraus entsteht, die zahlen mir so wenig für das, was ich tu und jetzt hole ich es mir woanders zurück, weil es steht mir zu. Ja? Aber in Wirklichkeit ist es Betrug.“

Zitat aus Interview 18:

„Es ist auf jeden Fall mehr als viele andere Berufssparten verdienen, das weiß ich, aber insgesamt, glaube ich, dass es nicht so viel ist, wie viele glauben in der Bevölkerung und vor allem viele Ärzte von sich glauben, dass sie in Wirklichkeit verdienen sollten. Und genau dieses Gefühl macht sie extrem anfällig für Korruption. Extrem anfällig.“

8. Finanzielle Abhängigkeit

Wie bereits mehrmals angemerkt wurde, führt laut Expertenmeinung (3 von 18 Befragten) die

Tatsache, dass Mediziner zur Fortbildung gesetzlich verpflichtet sind, die Kosten hierfür

seitens der öffentlichen Hand aber nicht übernommen werden und die Teilnahme an

Kongressen immer teurer wird, dazu, dass Ärzte regelrecht in die wirtschaftliche Abhängigkeit

und somit willkürliche Einflussnahme der Pharmaindustrie gedrängt werden.

Zitat aus Interview 18:

„Und in jeder anderen Berufssparte wird die Fortbildung auch bezahlt. Und das meine ich auch mit ‚in die wirtschaftliche Abhängigkeit treiben die Ärzte‘. […] Und weil man das Ganze der Industrie überlassen hat, sind die Kongresse, und da können Sie sich die Zahlen egal von wo raussuchen, egal von welchem Kongressveranstalter, sind immer teurer geworden. Das ist die Kostenspirale. Und damit wird man extrem abhängig.“

243

9. Anfälligkeit für Schmeicheleien

Die Anfälligkeit des Menschen für Schmeicheleien wurde auch als eine Ursache von Korruption

auf der Mikroebene genannt (3 von 18 Befragten). Über Schmeicheleien sollen vor allem die

sogenannten Meinungsbildner von der Pharmaindustrie eingefangen und für

Marketingzwecke instrumentalisiert werden. Insofern wurden pharmagesponserte

Fortbildungen auch als „Jahrmarkt der Eitelkeiten ohne großen Mehrwert“ bezeichnet.

Zitat aus Interview 9:

„Also ich glaube, dass das, etwas das mir aufgefallen ist, ist, dass wir einfach als soziale Wesen extrem anfällig sind für Schmeicheleien. Also wenn uns einer Honig ums Maul schmiert und sagt ‚Herr Prof., Sie sind aber wirklich der Allerbeste und Sie sind so toll und Ihr Vortrag, der war eine Wucht und nein, was Sie alles leisten und wie Sie das alles schaffen und nein und unglaublich und jemanden wie Sie gibt es nicht noch einmal in ganz Österreich‘. […] Also diese opinion leader werden genauso eingefangen.“

Zitat aus Interview 18:

„Das war eine Verkaufsveranstaltung. Ich war dort und habe wenigstens meine wissenschaftlichen Ergebnisse präsentiert. Und dafür war es gut. Aber ansonsten ist das ein Jahrmarkt der Eitelkeiten ohne großen Mehrwert.“

Hauptursache von Korruption

Wie im nachstehenden (zusätzlich erstellten) Kategoriensystem (Tabelle 18) ersichtlich, wurde

die Hauptursache für Korruption, die im Rahmen der geführten Interviews zusätzlich erfragt

wurde, mehrheitlich (9 von 18 Befragten) auf der Makroebene, von der wesentliche Impulse

zur Ausrichtung des Gesundheitssystems ausgehen, geortet. Vier von 18 Befragten orteten

diese auf der Mikroebene, die restlichen fünf Befragten sahen die Hauptursache auf mehreren

Ebenen liegen. Keine der befragten Personen vermutete die Hauptursache für Korruption auf

der Mesoebene.

Hauptursache von Korruption

Kategorien Häufigkeiten

Makroebene 9

Auf mehreren Ebenen 5

Mikroebene 4

Mesoebene 0

Tabelle 18: Kategoriensystem zu der Hauptursache von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht berücksichtigt. Die Hauptursache von Korruption wurde in allen 18 Interviews erfragt.)

244

Zitat aus Interview 1:

„Naja, auf der Makroebene ist sicher einmal das Hauptproblem, ja. Weil Österreich hat ein Problem mit Transparenz.“

Zitat aus Interview 2:

„Nein, ich glaube, jeder Mensch ist auf gewisse Art und Weise habgierig, wenn man ihnen diese Schlupflöcher lässt, deswegen setzt ja Transparency genau dort an, dass sie sagen, wo sind die Schlupflöcher, stopfen wir doch die Schlupflöcher, statt einzelnen Individuen hinterherzurennen und zu schauen, was sie alles Böses gemacht haben.“

Zitat aus Interview 5:

„Die Hauptursache für Korruption liegt auf der Systemebene begründet. Kuvertmedizin ist Pipifax. Die Dinge, die publiziert werden, sind pipifax. Systemkorruption ist das größte Problem.“

Zitat aus Interview 8:

„Ja, es ist ein Systemfehler, weil eben, wie schon gesagt, Fortbildungen vom Arbeitgeber nicht bezahlt werden, das ist ein klassisches Beispiel. Natürlich ist es letztendlich immer ein individuelles Thema, auf was ich anspreche und ob ich persönlich jetzt mitmache oder nicht, da sind wir beim Thema Bewusstseinsbildung. Aber ich glaube, es ist ein Systemfehler, dass einfach ganz, ganz viel, ob es jetzt der Einkauf von den Apotheken im Krankenhaus ist, wo noch immer irgendwie Deals und Packages und irgendwas gemacht werden, ob es das Wahlarztsystem ist, die Wartelisten im System. Es bringt dem System einen Vorteil, so zu handeln. Und das ist noch immer der große Fehler.“

5.7.5 Auswirkungen von Korruption

Auf Basis des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 19) werden im Folgenden die

Auswirkungen von Korruption auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen

Gesundheitssystems (Oberkategorien) nach ihrer Häufigkeit der Nennungen aufgelistet und

beschrieben. Die dargelegten Auswirkungen decken sich weitgehend mit jenen, die auch aus

der internationalen Literatur (Kapitel 2.6 und 3.4) hervorgehen (Kostenanstieg,

Qualitätsverlust, Vertrauensverlust, gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten,

Diskriminierung, Armutsanstieg etc.). Eine der wichtigsten, neu erworbenen Erkenntnisse

stellt jene dar, dass die Zwei-/Mehrklassenmedizin bereits Eingang in das österreichische

Gesundheitssystem gefunden haben soll.

245

Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Oberkategorien Kategorien Häufigkeit

Makroebene 17

Ökonomische Auswirkungen/Kostenanstieg 12

Qualitätsverlust/Fehlsteuerung des Systems 10

Vertrauensverlust/Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems

7

Innovationsbarriere/Entwicklungsbremse 4

Mesoebene 13

Industriegetriebene Forschung, Fortbildung, Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)

11

Finanzielle Schädigung des Dienstgebers 2

Reputationsschädigung des Dienstgebers 2

Zersetzung organisationaler Wertesysteme 1

Mikroebene 16

Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten 13

Diskriminierung/Zwei-, Mehrklassenmedizin 10

Demoralisierung/Entsolidarisierung 7

Reputationsschädigung/Glaubwürdigkeitsverlust 2

Tabelle 19: Kategoriensystem zu den Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien einschließlich ihrer Oberkategorien.

Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Die Auswirkungen von Korruption

wurden in allen 18 Interviews erfragt.)

Auswirkungen auf der Makroebene

1. Ökonomische Auswirkungen/Kostenanstieg

Am häufigsten (12 von 18 Befragten) wurde angemerkt, dass Korruption zu einer

Vermögensverschiebung, Wettbewerbsbeschränkung und einem Kostenanstieg zulasten

öffentlicher Gesundheitsbudgets beitrage und letztlich zulasten der Steuer- und

Beitragszahler gehe, was wiederum das solidarische Gesundheitssystem unterminieren kann.

Solche Ineffizienzen im Gesundheitssystem wurden nicht nur als ökonomischer Unfug

bezeichnet, sondern würden auch einen vermehrten Spardruck auslösen, der langfristig einer

optimalen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zuwiderlaufen kann.

Zitat aus Interview 2:

„Na, die Wirkung ist, dass das einfach, wenn wir wirklich davon ausgehen, dass zwischen 3 % und 10 %, das sind nummerische Werte, die groß sind, ein großer Brocken, verloren gehen, aus dem Topf des Gesundheitswesens, dann ist das ein Geld, das woanders nicht eingesetzt werden kann. Das ist eine eindeutige Auswirkung.“

246

Zitat aus Interview 4:

„Ja, auf der Systemebene die Auswirkung, dass eigentlich sehr vieles an notwendigen Ressourcen, auch ökonomisch gesehen, die wir im Gesundheitswesen eigentlich an vielen Stellen brauchen, um wirksame Interventionen für Patienten treffen zu können, dass die dann nicht vorhanden sind, sondern eben irgendwo in dunklen Kanälen versickern.“

Zitat aus Interview 14:

„Also Korruption ist ja deswegen so schädlich, weil Korruption negativ auf die Produktivität, auf die Effektivität, auf die Effizienz von Systemen wirkt. […] Und diese Ineffizienzen werden finanziert durch Steuer- und Beitragszahlungen. Und Ineffizienzen im Gesundheitswesen aufrecht zu erhalten, ist nicht nur ökonomischer Unfug, sondern ist auch unethisch, weil ja damit Geld, das über öffentliche, sozusagen Kostenträger hereingenommen wird, es ist ja wurscht, ob es jetzt meine Steuerleistung ist oder mein Sozialversicherungsbeitrag, nicht möglichst zweckentsprechend eingesetzt wird.“

Zitat aus Interview 15:

„Korruption kostet der öffentlichen Hand unnötig Geld, führt zu ungerechtfertigter Vermögens-verschiebung, weil Menschen Einkommen lukrieren, das ihnen nicht zusteht.“

2. Qualitätsverlust/Fehlsteuerung des Systems

Nach mehrheitlicher Expertenansicht (10 von 18 Befragten) können auf Korruption gründende

Fehlentscheidungen zur Fehlsteuerung des gesamten Systems beitragen, was wiederum mit

einem deutlichen Qualitätsverlust (Unter-, Fehl- und Überversorgung, Prozessverlangsamung

etc.) einhergehen kann. Wie bereits unter Punkt 1 („Ökonomische Auswirkungen/

Kostenanstieg“) angemerkt wurde, kann sich vor allem der durch Korruption hervorgerufene

Kostenanstieg langfristig auf die Qualität der Leistungen und deren Outcome auswirken,

wofür es auf internationaler Ebene bereits empirische Belege gibt (vgl. Kapitel 3.4).

Zitat aus Interview 5:

„Nur aus meiner Sicht das Wichtigere ist Zynismus, Menschenverachtung auf der einen Seite und Hilflosigkeit und das Verlassen des Gesetzlichen und des Anspruchhaften in der Gesundheitsversorgung auf der anderen Seite, und das führt letztlich zur völligen Erosion eines an sich guten Systems.“

Zitat aus Interview 10:

„Ich habe eine Fehlsteuerung. D.h., es werden für die falschen Menschen die falschen Leistungen am falschen Ort mit der falschen Qualität erbracht, die Katastrophe.“

Zitat aus Interview 13:

„Systemisch gesehen glaube ich oder bin ich der Überzeugung, dass Korruption die Qualität eindeutig reduziert im Gesundheitswesen, Prozesse verlangsamt.“

247

Zitat aus Interview 15:

„Korruption kann im System dazu führen, dass Fehlentscheidungen getroffen werden“.

3. Vertrauensverlust/Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems

Sieben von 18 befragten Personen räumten ein, dass Korruption mit einem Vertrauensverlust

in die moralische Integrität der Heilberufe und deren Leistungsfähigkeit einhergehe, was

letztlich auch das solidarische Gesundheitssystem unterminieren kann. Dies soll vor allem

dann zutreffen, wenn in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, man bekomme bestimmte

Gesundheitsleistungen nur gegen Bezahlung. Das dadurch hervorgerufene Misstrauen könnte

Korruption und Gesetzesbruch erneut Tür und Tor öffnen.

Zitat aus Interview 4:

„Ganz allgemein gesagt ist aus meiner Sicht eigentlich Korruption Gift für das Vertrauen in das öffentliche Gesundheitswesen. […] Die Korruption ist so die Todsünde in einem öffentlichen Gesundheitswesen, wenn das Grundvertrauen der Patienten dann eigentlich nicht mehr da ist, dass man die notwendigen und zweckmäßigen Leistungen deswegen bekommt, weil man eine bestimmte Krankheit oder Gesundheitssituation hat, sondern nur deswegen, wenn extra was bezahlt wird. Das unterminiert aus meiner Sicht den gesamten Grundkonsens der Bevölkerung für das Gesundheitswesen.“

Zitat aus Interview 5:

„Man hat halt das Gefühl, wenn ich nicht wirklich viel Geld hinlege, kriege ich nichts mehr. D.h., es wird das System verludert und kommt in Verruf und verliert an Ansehen und die Leute werden unsicher und verzweifelt.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich glaube, dass es das System unterminiert. Dass es eigentlich ein soziales, öffentlich-finanziertes System unterminiert, dass es Geld kostet, dass es Vertrauen kaputt macht und dass es letztendlich zulasten der Patienten geht oder der Versicherten.“

Zitat aus Interview 10:

„Die Menschen im System, ob das jetzt Gesundheitssystem oder öffentliches Politiksystem oder was ist, die haben nicht das Vertrauen, dass mit den Steuergeldern und mit den Sozialversicherungsbeiträgen sinnvoll umgegangen wird, ja? Weil die haben auch kein Problem, sich etwas abzuzweigen, weil neben der negativen Vorbildaktion mit dem Geld sowieso überhaupt nur Blödsinn gemacht wird.“

248

4. Innovationsbarriere/Entwicklungsbremse

Dadurch, dass korrupte Akteure gegen besseres Wissen und Gewissen dazu neigen, am alten,

lukrativen System festzuhalten, wurde Korruption von mehreren Experten (4 von 18

Befragten) auch als eine Innovations- und Entwicklungsbremse bezeichnet. Sie behindere

notwendige Entwicklungen, was letztlich zulasten des Gesundheitssystems und der gesamten

Gesellschaft gehen kann.

Zitat aus Interview 7:

„Es ist sicherlich auch gegen Innovation gerichtet, weil natürlich eingefahrene Praktiken, da will man ja nichts Neues, sondern beharrt auf alten Strukturen, weil man weiß, diese alten Strukturen passen mir gut, weil ich mit denen gut umgehen kann.“

Zitat aus Interview 13:

„Systemisch gesehen, glaube ich oder bin ich der Überzeugung, dass Korruption […] notwendige Entwicklungen behindert und der Gesellschaft schadet, also für mich ist das ganz klar. “

Zitat aus Interview 16:

„Und auf der anderen Seite stockt dann auch irgendwann die Innovationskurve, weil gewisse Junge einfach sagen ‚Ich mache das nicht mehr. Kann ich eh nicht machen, komme ich eh nicht dazu. Schaffe ich eh nicht, weil kann ich nicht registrieren, kann ich nicht machen.‘ Also wenn das publik ist, dann gehen viele junge Ideen gar nicht mehr in die Konzeptphase.“

Auswirkungen auf der Mesoebene

1. Industriegetriebene Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis von Health

Professionals (Medizinern)

Als häufigste Auswirkung von Korruption auf der Mesoebene des nationalen

Gesundheitssystems (11 von 18 Befragten) wurde die Manipulation von Forschungs- und

Fortbildungsinhalten genannt, was sich in weiterer Folge – nebst anderen unethischen

Marketingpraktiken – verzerrend auf die spätere Verschreibungspraxis von Health

Professionals auszuwirken vermag. Auf diese Problematik/Auswirkung wurde in Kapitel 5.7.3

unter dem erstgenannten Punkt („Einflussnahme auf Forschung, Fortbildung,

Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)“) bereits ausführlich

eingegangen. An dieser Stelle sei auch auf die dort angeführten Zitate und empirischen

Studienergebnisse auf internationaler Ebene verwiesen.

249

2. Finanzielle Schädigung des Dienstgebers

Die finanzielle Schädigung des Dienstgebers stellt eine weitere genannte Auswirkung von

Korruption dar (2 von 18 Befragten). Dazu komme es beispielsweise dann, wenn Patienten aus

dem öffentlichen Spital in die Privatordinationen oder Privatkliniken abgeworben werden,

wobei neben den entgangenen Einnahmen aus der Sonderklasse, auch zuvor getätigte teure

Diagnostiken im Spital berücksichtigt werden müssen.

Zitat aus Interview 2:

„Und es ist ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Privatordination und teurer Diagnostik im öffentlichen Bereich.“

Zitat aus Interview 3:

„Da wird der Dienstgeber geschädigt und die Patienten unterzeichnen dann eine Patientenwunscherklärung, dass nämlich sie den Wunsch geäußert hätten, das im Privatspital zu machen.“

3. Reputationsschädigung des Dienstgebers

Langfristig vermag sich Korruption nach Expertenansicht (2 von 18 Befragten) auch auf die

Reputation des Dienstgebers (Krankenanstalt, Unternehmen etc.) auszuwirken, insbesondere

dann, wenn gewisse Missbrauchsfälle (ungerechtfertigte Vorreihungen, unethische

Marketingstrategien etc.) in gehäufter Zahl an die Öffentlichkeit treten sollten. Laut einem

Arzt schade Korruption dem Image internationaler, arrivierter Firmen mehr als den kleineren,

weshalb sie auch mehr um ihre Reputation und die Einhaltung gewisser Spielregeln bemüht

sein sollen.

Zitat aus Interview 7:

„Also das ist so ein Erfahrungswert, denn ich weiß von Kollegen, dass, wenn Dinge auftreten, sind es meistens nicht die arrivierten Firmen, die trauen sich gewisse Dinge nicht mehr, die sind da sehr, sehr vorsichtig geworden, zum Glück. Ja, ganz einfach, weil es gibt internationale Reputation, die sind börsennotiert, die sind zu gewisser Transparenz gezwungen, während viele der kleineren, ich meine, das ist irgendwo in der Mitte Westen oder Osten oder was auch immer, da gibt es kein, also wenig Spielregeln, die da irgendwo hinzukommen.“

250

4. Zersetzung organisationaler Wertesysteme

Ein Vertreter der Pharmaindustrie räumte ein, dass sich Korruption zersetzend auf das

organisationale Wertesystem auszuwirken vermag, indem ein solches Verhalten

organisationsintern zugelassen, akzeptiert oder sogar (indirekt) gefördert wird.

Zitat aus Interview 14:

„Und auf eine Organisation, die ein solches Verhalten zulässt, akzeptiert oder vielleicht sogar fördert, wirkt es in letzter Konsequenz natürlich auch völlig wertezersetzend. “

Auswirkungen auf der Mikroebene

1. Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten

Die meistgenannte Auswirkung von Korruption auf der Mikroebene des nationalen

Gesundheitssystems (13 von 18 Befragten) umfasst die gesundheitliche und/oder finanzielle

Schädigung der Patienten. Dies kann sowohl auf normalversicherte als auch auf

zusatzversicherte/private Patienten zutreffen. Beispielsweise können normalversicherte

Patienten über eine ungerechtfertigte Nachreihung auf Wartelisten gesundheitliche

Folgeschäden erleiden oder durch die private Kostenübernahme für Leistungen, die ihnen

eigentlich kostenlos zur Verfügung stehen sollten, in finanzieller Hinsicht geschädigt werden.

Zudem kann auch die private Nebenbetätigung von Ärzten während ihrer offiziellen

Dienstzeiten im öffentlichen Spital eine große gesundheitliche Bedrohung für

normalversicherte Patienten darstellen, falls der Arzt im Falle eines Notfalls nicht anwesend

sein sollte. Ebenso können unethische, verdeckte Marketingpraktiken der Pharmaindustrie

über die Beeinflussung der Verschreibungspraxis der Ärzte oder die Schaffung unnötiger,

falscher oder teurer Patientenbegehrlichkeiten zur gesundheitlichen und/oder finanziellen

Schädigung der Patienten beitragen. Andererseits können auch zusatzversicherte oder private

Patienten, die sowohl für das Individuum als auch für die Organisation eine lukrative

Einkommensquelle darstellen, Gefahr laufen, überversorgt und damit fehlversorgt zu werden

– wie auf internationaler Ebene bereits mehrmals empirisch aufgezeigt werden konnte (Shah

et al. 2011; Koshy et al. 2015). Nach Expertenmeinung kann Überdiagnostik nicht nur zu einer

unnötigen Strahlenbelastung führen, sondern auch das Risiko des Vorliegens eines falsch-

positiven Befundes bergen. Darüber hinaus muss es nicht unbedingt von Vorteil sein, als

251

Privatpatient vom Primararzt operiert zu werden, da dieser angeblich weitaus weniger

operative Eingriffe vornimmt als der Oberarzt.

Zitat aus Interview 3:

„Als Beispiel, ein leitender Arzt in [Name der Krankenanstalt] hätte im Dienst sein sollen, ist von einem Mitarbeiter, einem Arzt in Ausbildung, gesucht worden, weil ein Patient dringend intensivpflichtig war. Der leitende diensthabende Arzt war nicht aufzufinden, weder telefonisch, noch mit Pipserl noch persönlich, man vermutet, er hat irgendwo privat gerade operiert. Der Arzt in Ausbildung konnte dann das Intensivbett nicht durchsetzen, hätte den Chef gebraucht, dass er das macht, der Patient ist gestorben.“

Zitat aus Interview 6:

„Deswegen habe ich z.B. keine Zusatzversicherung, weil ich nicht vom Primarius operiert werden will, weil der kann es nicht. Und ein Zusatzversicherter wird immer vom Primarius operiert.“

Zitat aus Interview 10:

„Eine Benachteiligung Klassenmedizin kommt permanent vor, jemand der gesagt hat, Sonderklasseversicherung, kriegt noch die 23. diagnostische Maßnahme verordnet, weil sie verrechenbar ist.“

Zitat aus Interview 17:

„Wenn man Korruption im Gesundheitssystem ortet, dass jemand eine Leistung erhält, die ihm entweder nicht zusteht oder sie früher erhält als ein anderer, d.h. also, es wird eine Ressource verbraucht, die andere bezahlen und die ein Dritter notwendiger brauchen könnte.“

2. Diskriminierung/Zwei-, Mehrklassenmedizin

Am zweithäufigsten (10 von 18 Befragten) wurde angemerkt, dass Korruption durch die

Bevorteilung einzelner Personen und gleichzeitige Benachteiligung unbeteiligter Dritter die

Gleichheit vor dem System untergrabe, die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter

aufgehen lasse und letztlich in einer Zwei- oder Mehrklassenmedizin münde. Wie unter Punkt

1 („Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten“) bereits angemerkt wurde, müssen

nicht immer Kassenpatienten die Benachteiligten im System sein, sondern können es

durchaus auch zusatzversicherte bzw. private Patienten sein. Insofern wurde die

Zweiklassenmedizin auch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.

252

Zitat aus Interview 2:

„Also zur Zweiklassenmedizin habe ich eine sehr konkrete Meinung und die heißt, dass die Leute, die eine Privatversicherung haben, kriegen ein unglaubliches Ausmaß an unnützer Medizin verpasst. Und da gibt es gute Zahlen dafür, dass Privatversicherte fünfmal so häufig operiert werden oder fünfmal so häufig was auch immer kriegen, die sie nicht brauchen. Das heißt, die Zweiklassenmedizin bewegt sich auch in Richtung unsinniger Medizin.“

Zitat aus Interview 7:

„Auf der individuellen, auf der Haushaltsebene, wird es dann sehr rasch eine Equity-Frage, nicht also die Gleichheit vor dem System wird dann massiv untergraben, wenn sich ganz einfach gewisse Bevölkerungsschichten ein korruptes Verhalten leisten können, andere werden es sich nicht leisten oder weniger leisten, das ist das Erste.“

Zitat aus Interview 10:

„Also Bevorzugung, Zweiklassenmedizin, kommt permanent vor. Eine Benachteiligung Klassenmedizin kommt permanent vor.“

Zitat aus Interview 12:

„Was mich immer nur aufregt, ist, wenn es dann heißt, die beste, bei uns ist eh alles super und alle kriegen das Beste und für alle gleich. Wir wissen alle, dass das nicht stimmt.“

Zitat aus Interview 14:

„Also, was wir immer wieder hören, dass wir einen freien, gleichen Zugang, alle Patientinnen und Patienten zu jeder Form der Therapie haben. Da muss ich sagen, das stelle ich einmal in Zweifel, denn wir erleben zum Teil mit offenen, zum Teil mit versteckten Rationierungen, der Umstand, dass ich im November keinen MR-Termin bekomme, ist ein klares Indiz dafür.“

Auf Nachfrage hin besteht nach mehrheitlicher Ansicht der Experten (16 von insgesamt 17

Befragten im Hinblick auf die Zwei-/Mehrklassenmedizin) kein Zweifel, dass es in Österreich

bereits eine Zweiklassenmedizin gibt. Dies soll sich aktuell vor allem an der Zunahme der

Wahlärzte sowie an den bisherigen langen MRT-Wartezeiten und der Möglichkeit einer

Terminbeschleunigung im Falle des Vorliegens einer Zusatzversicherung oder der privaten

Kostenübernahme zeigen. Vier der 17 Befragten sprachen bereits von einer Drei-

Klassenmedizin (1. Klasse: sozialversicherte Patienten; 2. Klasse: zusatzversicherte/private

Patienten; 3. Klasse: Patienten, die über die richtigen Kontakte/Beziehungen verfügen).

Weitere vier der 17 Befragten gingen sogar von einer Mehrklassenmedizin aus. Dabei wurden

bis zu sechs und mehr Klassen unterschieden, die hinsichtlich der Güte der medizinischen

Behandlung „variieren“ können. Im Folgenden erfolgt eine Auflistung häufig genannter

Klassen nach zunehmender Behandlungsqualität:

253

1. Sozialversicherte Patienten mit Migrationshintergrund oder psychischen Problemen;

2. Sozialversicherte Patienten;

3. Leistungsunterschiede innerhalb der verschiedenen Krankenkassen (GKK, BVA, SVB etc.)

ganz nach dem Motto „Jede Kasse eine eigene Klasse“ im Sinne einer „solidarischen“

Mehrklassenmedizin (Korosec 2007, S. 2);

4. Patienten, die über eine private Krankenzusatzversicherung verfügen;

5. Patienten, die über die richtigen Kontakte/Beziehungen verfügen;

6. Patienten, die über eine private Krankenzusatzversicherung und über die richtigen

Kontakte/Beziehungen verfügen;

7. Patienten, die zusätzlich noch etwas privat zahlen („Kuvertmedizin“);

8. Patienten, die berühmte Persönlichkeiten (Spitzensportler, Politiker etc.) sind

(Premiumklasse).

Zitat aus Interview 3:

„Dafür [die Zweiklassenmedizin] gibt es ja auch im legalen Sektor Beweise und Beispiele, dass die Zunahme der Wahlärzte. Ja, also, ich kann nicht fächern, wo man lange Wartezeiten hat, Augen, Orthopädie, dann gehen die Leute halt dann zum Privatarzt, wenn sie irgendwie warten müssen und halt nur die, die es sich nicht leisten können, die müssen das hinnehmen. Also das ist nicht illegal.“

Zitat aus Interview 8:

„Also als Vertreter der GKK ist unsere Linie ‚Es gibt keine Zweiklassenmedizin‘, inoffiziell natürlich, der Wahlarztbereich wird immer größer, Wartezeiten sind ein Thema, dass man in eine private Ordi geht, dort für die Beratung zahlt und früher einen Termin kriegt, natürlich gibt es das.“

Zitat aus Interview 9:

„Aber es gibt eine Mehrklassenmedizin ja, wobei es gar nicht bedeutet, dass die, die die meiste Versorgung kriegen, unbedingt am besten aussteigen. […] Aber ich glaube auf vier Klassen kommt man relativ leicht. Das sind sozusagen die, die schlechter behandelt werden, die, die normal behandelt werden und die, die quasi zusatzversichert sind und da gibt es quasi noch die Premiumklasse, ja, die absoluten High-Spitzenväter.“

Zitat aus Interview 10:

„Eigentlich haben wir drei Klassen. […] Die, die versichert sind, das ist die allgemeine Klasse. Die, die zusätzliche Zahlungen weißer, schwarzer und dunkler Natur tätigen, ist eh zweite Klasse oder Sonderklasse. Und die dritte Klasse ist die, die jemanden kennen.“

254

Zitat aus Interview 12:

„Und wie gesagt, es fängt damit an, dass ich die richtigen Leute kenne und das ist jetzt einmal wahrscheinlich die wichtigste Klasse, dann geht es weiter, ob Sie privatversichert sind oder nicht, dann geht es auch innerhalb der Krankenkassen weiter, ja? Sind Sie SVA versichert oder GKK?“

Zitat aus Interview 14:

„Ich glaube, dass es nicht eine Zwei-, sondern eine Drei-Klassenmedizin in Österreich gibt. Es gibt die Patienten, die sich aus finanziellen Gründen keine private Gesundheitsvorsorge oder Versicherung leisten können und niemanden kennen. Dann gibt es diejenigen, das ist die zweite Klasse, das sind diejenigen, die es sich privat aus finanziellen Gründen leisten können hier eine besondere Form der Gesundheitsvorsorge und Behandlung zu finanzieren, die aber auch niemanden kennen. Und das, was ich in Österreich erlebe, ist die dritte Klasse, das sind die, die die richtigen Leute kennen.“

Zitat aus Interview 18:

„Wir haben sogar die Drei-Klassenmedizin.“

Ausgehend von den gewonnenen empirischen Erkenntnissen lässt sich folgende These

aufstellen:

A1 Die Zwei-/Mehrklassenmedizin hat bereits Eingang in das österreichische

Gesundheitssystem gefunden.

3. Demoralisierung/Entsolidarisierung

Mehrere Interviewteilnehmer (7 von 18 Befragten) brachten ein, dass Korruption langfristig

zu einer Demoralisierung und Entsolidarisierung beitragen kann, insbesondere dann, wenn

sich der generelle Eindruck in der Bevölkerung verfestigt, dass man nur über ein korruptes

Verhalten etwas erreichen könnte. Dies kann schließlich Demotivation, Frustration bis hin zur

Wut bei den nicht korrupten, ehrlichen Personen auslösen, was langfristig auch bei ihnen mit

einer bestimmten Verhaltensänderung einhergehen kann bzw. sich auf ihre eigene

Korruptionsanfälligkeit auszuwirken vermag. Ein solches gesellschaftlich verbreitetes

Verhalten kann letztlich zum völligen Verfall der öffentlichen Moral beitragen, indem niemand

mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden wird können und gewisse Verhaltensweisen als

„normal“ bzw. „üblich“ angesehen werden.

255

Zitat aus Interview 2:

„Auf der Mikroebene ist die Auswirkung, dass die Moral langsam verfällt. Das klingt irgendwie sehr katholisch, aber so ist das gar nicht gemeint, sondern allein, dass Patienten gar nichts komisch daran finden, dass sie, wenn sie dem Arzt 200 Euro zustecken, dafür einen früheren Termin kriegen für eine Operation, dann ist das ein Verfall der öffentlichen Moral, dass das schon als normal angesehen wird.“

Zitat aus Interview 3:

„Die Korruption ist ein Gift, es muss gar kein Massenphänomen sein, dass sie demoralisiert und entsolidarisiert, wenn man weiß, das geht so und man wäre der Blöde oder ist der Blöde oder vermutet nur, da kriegen manche Vorfahrt oder wenn man als Arzt irgendwo arbeitet und meint, der hat sich das irgendwo organisiert, es geht um das Gift.“

Zitat aus Interview 14:

„Auf den Einzelnen, der sozusagen Korruption sieht und daran nicht teilnimmt und dann sieht, dass dieses korrupte Verhalten zum Erfolg führt, Erfolg unter Anführungszeichen, ist natürlich demotivierend und wirkt frustrierend und ist so quasi ein Anti-Vorbildverhalten. Auf denjenigen, der vermeintlich davon profitiert, wirkt es natürlich moralzersetzend. “

Zitat aus Interview 15:

„Korruption korrumpiert“.

4. Reputationsschädigung

Aus Sicht der befragten Experten (2 von 18 Befragten) kann Korruption nicht nur auf der

Mesoebene, sondern auch auf der Mikroebene im Falle ihrer Aufdeckung und

Veröffentlichung zur Reputationsschädigung und einem langfristigen Glaubwürdigkeitsverlust

beitragen.

Zitat aus Interview 1:

„Und ein paar Ärzte, Kameraden sehen das auch, dass es ein Problem ist, weil sie natürlich das Image verlieren.“

Zitat aus Interview 2:

„Dadurch ist das dann verlorenes Geld, also die Firma steckt das Geld ein, ich nehme logischerweise keines, weil das meine Reputation schädigen würde, und das finde ich hochirritierend, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass eine Firma mein Honorar nicht irgendjemand anderem spenden kann.“

256

5.7.6 Zukünftiger Handlungsbedarf

Anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 20) werden im Folgenden von den

Experten vorgeschlagene Verbesserungsmaßnahmen bzw. der zukünftige Handlungsbedarf,

die teilweise in einer weiteren Ebene ausdifferenziert wurden (Subkategorien), auf den

unterschiedlichen Ebenen des österreichischen Gesundheitssystems (Oberkategorien) nach

ihrer Häufigkeit der Nennungen aufgelistet und beschrieben. Viele der genannten Punkte

decken sich weitgehend mit jenen, die sowohl auf internationaler Ebene (Kapitel 3.6) als auch

auf nationaler Ebene (TI-AC 2010, S. 29) zur nachhaltigen Korruptionseindämmung im

Gesundheitssystem empfohlen werden. Darunter fallen beispielsweise die

Bewusstseinsschaffung, Antikorruptionsgesetzgebung, Verschärfung der Kontroll- und

Sanktionsmechanismen, Transparenzschaffung, Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller

Anreizmechanismen, Errichtung einer anonymen Korruptionsmelde- und weisungsfreien,

unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem, Stärkung der Vorbildwirkung der

Führung etc. Darüber hinaus wurden weitaus konkretere bzw. neue Vorschläge mit Blick auf

den zukünftigen Handlungsbedarf zur Bekämpfung von Korruption im österreichischen

Gesundheitssystem geliefert (Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme, Optimierung

des Abrechnungssystems, strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Neuregelung

der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren, Schließung spezifischer

rechtlicher Regelungslücken, Verbesserung der gesundheitsbezogenen Ausbildung der

Bevölkerung und der wissenschaftlichen Ausbildung von Medizinern u.a.).

257

Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Oberkategorien Kategorien und Subkategorien Häufigkeit

Makroebene 18

Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen

Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme

Strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen

Optimierung des Abrechnungssystems

Anhebung der Spitalsärztegehälter

Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren

17 11 10 6 4 3

Vermehrte Transparenzschaffung 13

Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen 10

Erforderliche Änderungen auf juristischer Ebene 10

Fundamentaler System- und Strukturwandel 6

Errichtung einer anonymen Korruptionsmeldestelle und einer weisungsfreien, unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem

4

Weitere Verbesserungsvorschläge

Forcierung von Generika

Einrichtung einer zentralen Stelle für die Freigabe gesundheitsbezogener Kampagnen und für die Durchführung des Mystery Shoppings

Einführung der Patientenquittung

3 1 1

1

Mesoebene 12

Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen 9

Stärkung der Vorbildfunktion der Führung 3

Aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion von Überversorgung 2

Mikroebene 15

Forcierung der öffentlichen Bewusstseinsbildung, Aufklärung und Sensibilisierung

14

Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung („Health Literacy“) bzw. der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals (Medizinern)

7

Tabelle 20: Kategoriensystem zum zukünftigen Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien einschließlich ihrer Ober- und Subkategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Der zukünftige

Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption wurde in allen 18 Interviews erfragt.)

Zukünftiger Handlungsbedarf auf der Makroebene

1. Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen

Der wichtigste Stellhebel zur Eindämmung von Korruption wurde von den

Interviewteilnehmern (17 von 18 Befragten) auf der Makroebene in der Beseitigung

fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen geortet.

258

Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme

Um die Einflussnahme der Industrie auf das Agieren von Health Professionals

(Medizinern), Forschungseinrichtungen, Selbsthilfegruppen etc. zu unterbinden, schlugen

elf der 18 Befragten eine Finanzierungstrennung von privatem und öffentlichem Bereich

vor. Einerseits biete sich hierfür ein unabhängiger Finanzierungstopf an, der aus Mitteln

der Industrie gespeist und dessen Gelder anschließend von einer unabhängigen Stelle auf

die einzelnen Zielgruppen (Health Professionals, Forschungseinrichtungen, Selbst-

hilfegruppen etc.) verteilt werden könnten. Andererseits besteht laut Expertensicht auch

die Möglichkeit, dass die Finanzierung über die öffentliche Hand erfolgt, welche die Gelder

z.B. über Arzneimittelpreisverhandlungen mit der Industrie wieder hereinholen könnte.

Zitat aus Interview 2:

„Ich würde versuchen, zu berechnen, wieviel Geld die Industrie, wie viel Geld in Ärztefortbildung hineinfließt, dieses Geld dann, also öffentliche Hand, in die Hand nehmen und ausgeben, aber dann muss ich es mir wieder von irgendwo holen und dieses Geld dann von den Arzneimittelpreisen runterstreichen.“

Zitat aus Interview 3:

„Die Pharmaindustrie sollte in einen Topf einzahlen und daraus kriegen dann die einzelnen Gruppen Geld.“

Zitat aus Interview 8:

„Ja, neutrale Töpfe, wo wer auch immer das einzahlt, Industrie oder auch öffentliche Hand. Ist aber was, was eigentlich bei allen Beteiligten nicht auf Gegenliebe stößt, weder bei denen, die es finanzieren sollen noch bei den Ärzten selber, weil natürlich auch der persönliche Benefit verloren geht. Also es gibt Länder, die das machen wie die skandinavischen Länder, wo es auch gut funktioniert, bei uns ist es, glaube ich, derzeit kein Thema.“

Zitat aus Interview 17:

„Also ich würde als Erstes einmal, würde ich die Universitäten besser finanziell ausstatten, damit sie nicht angewiesen sind auf die Subventionen der pharmazeutischen Industrie.“

Zitat aus Interview 18:

„Wie kann man es finanzieren? Na, über die öffentliche Hand. 40.000 Ärzte gibt es in der Standesliste, ich sehe sogar mehr, das Ganze mal 6000 [Fortbildungskonto pro Kopf], sind wir bei 240 Mio., hauen wir noch einmal 10 drauf, 250 Mio. Das ist ein Zehntel von den gesamten Gesundheitsausgaben. Das wäre zu finanzieren, auch wenn man die Preispolitik von den Pharmaka etc. anders gestalten könnte bzw. es nicht so deklariert und nicht die Industrie aufzubringen, aber diesen Topf quasi finanziert. […] Das wäre die erste, wesentliche und extrem wirkungsvolle Maßnahme, die würde sehr viel Einfluss der Industrie auf die Verschreibenden wegbringen.“

259

Strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen

Mehrere Experten (10 von 18 Befragten) sprachen sich für eine strengere (bundesweit

einheitliche) Regulierung von Nebenbeschäftigungen (beispielsweise in Form von

Genehmigungspflichten) aus. Manche forderten sogar ein gänzliches Nebenbe-

schäftigungsverbot, was aktuell auf vertraglicher Ebene nach geltender Rechtslage

möglich erscheint. Letzterer Vorschlag müsste laut Expertensicht allerdings mit einer

Gehaltserhöhung einhergehen, damit die öffentliche Hand weiterhin als Arbeitgeber

attraktiv bleibe und einer Abwanderung der Spitalsärzte langfristig entgegengewirkt

werden kann.

Zitat aus Interview 2:

„Es ist so einfach, es ist so einfach. Einfach jemandem zu sagen, du bist Chef von einer öffentlichen Klinik, du hast hier von 7:00 bis 17:00 Uhr Arbeitszeit. Punkt, Schnitt. Du gehst jetzt nicht noch einmal, du hast ein volles Gehalt, du kannst nicht zu 40 Stunden noch einmal 40 Stunden woanders arbeiten.“

Zitat aus Interview 9:

„Und auch diese Nebenbeschäftigungen sind, es gibt keine klare Regelung für ganz Österreich, ja, wo man sagt, so machen wir es.“

Zitat aus Interview 10:

„Man müsste das öffentliche Gesundheitswesen und Menschen, die dort tätig sind, und private Betätigung komplett trennen. Da gehört eine Firewall her.“

Zitat aus Interview 15:

„Würde ich auf der Stelle untersagen als Arbeitgeber, wenn der Arzt Patienten, die in meinem öffentlichen Haus Geld bringen könnten, weil sie nämlich Sonderklassepatienten werden könnten, er um vielleicht noch eine bessere Entlohnung in ein Privatspital lockt. Also das fällt für mich eigentlich unter Nebenbeschäftigungsverbot, was man dienstrechtlich nach Angestelltengesetz "Konkurrenzschutz" meiner Meinung nach auch unterbinden könnte.“

Optimierung des Abrechnungssystems

Laut Expertenansicht (6 von 18 Befragten) sei auch eine grundlegende Optimierung des

Abrechnungssystems sowohl im niedergelassenen Bereich (Kombination aus Pauschal-

und Einzelleistungsabrechnung) als auch im Spitalsbereich (LKF-System) längst ausständig

und dringend erforderlich, um fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen zur

260

Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen zu beseitigen. Die Fort-

entwicklung müsste sich in eine solche Richtung bewegen, dass man von quantitäts- zu

qualitätsinduzierten Anreizen gelange. Ein neues System, welches seit 2013 existiert und

an dem man sich laut einem Patientenanwalt anlehnen könnte, stellt A-IQI (Austrian

Inpatient Quality Indicators) (BMG 2015b) dar. Dass die Vergütung mit der Qualität

erbrachter Leistungen verknüpft werden sollte, wird auch in der kürzlich veröffentlichten

Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich

empfohlen (LSE 2017a, S. 36f.). Weiters wurde seitens der Interviewten angemerkt, dass

die unterschiedlichen Honorarordnungen im niedergelassenen Bereich vereinheitlicht und

die bisherige Betriebsabgangsdeckung im Spitalsbereich neu geregelt gehören, um einer

Misswirtschaft nachhaltig entgegenzuwirken. An dieser Stelle sei erwähnt, dass aktuell

über eine Neugestaltung der Honorarsysteme für Ärzte und die Harmonisierung der

Leistungskataloge der Krankenkassen debattiert wird (APA 2017c).

Zitat aus Interview 4:

„Also ich glaube, dass eine Fortentwicklung, aber eigentlich eine revolutionäre Fortentwicklung des LKF ganz wesentlich wäre und zwar in die Richtung, dass man von diesen quantitätsinduzierten Anreizen weggeht und zu qualitätsinduzierten Anreizen kommt. Also so mit dem Stichwort ‘Pay for Performance‘ oder ‘Pay for quality‘. […] Möglichkeiten dazu wäre aufbauend auf dem LKF-System jetzt mit einem neuen System, das seit zwei, drei Jahren besteht, haben Sie sicher auch schon gehört, das A-IQI.“

Zitat aus Interview 7:

„Aus dem Grund glaube ich, also man müsste wirklich ganz fundamental das Abrechnungssystem ändern, ich meine, unser Abrechnungssystem fordert das geradezu heraus zu betrügen.“

Zitat aus Interview 10:

„Der dritte Bereich, wo ein gewaltiges Verbesserungspotenzial wäre, wäre die Novellierung des LKF-Systems, das seit mehr als 16 oder 17 Jahren oder was besteht, und wir keine Abgangsdeckung gewähren würden oder allen die gleiche Abgangsdeckung.“

Zitat aus Interview 15:

„Man könnte auch Honorarsysteme einführen, wo mehr pauschal und dann gibt es eine Fallpauschale und nicht für ‚noch linkes Ohrwascherl ausspülen ist noch einmal mehr als wenn er nur rechtes gespült hätte‘. Also ich finde den Honorarkatalog bisweilen ein bisschen einfallslos.“

261

Anhebung der Spitalsärztegehälter

Um die Korruptionsanfälligkeit von Spitalsärzten zukünftig zu reduzieren, müssten laut vier

der 18 Befragten deren niedrigen Gehälter angehoben werden. Insbesondere wäre dies

im Falle eines Nebenbeschäftigungsverbots, der Streichung von Sonderklassehonoraren

oder einer gesetzlichen Untersagung der Entgegennahme jeglicher materieller

Zuwendungen seitens der Industrie unabdingbar, um hochqualifizierte Ärzte weder an die

Privatwirtschaft (z.B. Privatkliniken) noch ans Ausland, wo sie besser bezahlt und somit

auch für ihre Leistung mehr wertgeschätzt werden, zu verlieren. Laut Riedler (2013, S. 32)

könnte es nämlich dadurch insofern zu einer Zweiklassenmedizin kommen, als die aus

öffentlichen Spitälern abgewanderten, hochqualifizierten Ärzte für sozial Schwächere

ohne Zusatzversicherung nicht mehr zugänglich wären. Da sich eine subjektiv empfundene

gerechtere Entlohnung leistungssteigernd auszuwirken vermag, könnte eine

Gehaltserhöhung einem Arzt zufolge gleichzeitig mit weniger Folgekosten im

Gesamtsystem einhergehen und somit auch weniger Ärzte erforderlich machen. Auf diese

Weise wäre die Gehaltserhöhung auch langfristig finanzierbar.

Zitat aus Interview 5:

„Ja, mein Ansatz wäre der, die Leute im niedergelassenen Bereich und im Krankenhaus anständig zu zahlen, aber ihnen dann jede Nebenbeschäftigung zu verbieten.“

Zitat aus Interview 12:

„Wenn Sie mich jetzt fragen würden, was würde ich tun, wenn der kleine Maxi am Reißbrett das Gesundheitssystem neu aufsetzen würde, dann würde ich sagen, wir zahlen ihnen angemessene Gehälter und verbieten jegliche Nebeneinkünfte.“

Zitat aus Interview 18:

„Wenn man jetzt sagt, die Nebenbeschäftigungen sind generell zu verbieten, dann sage ich ‚Ja, ist kein Problem‘, dann muss man halt den Ärzten adäquate Gehälter zahlen. […] Ich glaube auch, es wäre effizienter, es wäre insgesamt, wenn nicht billiger, gleich teuer, und die Ärzte, die drinnen arbeiten, und Gesundheitsberufe wären zufriedener, weil sie mehr Geld bekommen für ihre Arbeit. Weil Geld ist auch eine Wertschätzung, nicht? Für die Leistung.“

Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren

Drei von 18 Befragten forderten eine transparentere (bundesweit einheitliche)

Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren im öffentlichen

Spitalsbereich, um auch hier fehlgeleitete finanzielle Anreize zur Korruption abzuschaffen.

262

Laut einem Patientenanwalt müsste die Entwicklung dahin gehen, dass die direkte

vertragliche Beziehung zwischen Primararzt und Patient aufgehoben wird und eine

Beziehung zwischen Patient und Rechtsträger – wie bei jedem allgemein

sozialversicherten Patienten auch – geschaffen wird. Außerdem sei es wichtig, dass die

Verteilung der Sonderklassegebühren zukünftig leistungsorientiert erfolgt, damit alle

Fachdisziplinen und nicht nur einzelne davon profitieren. Eine weitere Möglichkeit wäre

die komplette Streichung von Sonderklassehonoraren für Spitalsärzte und ihre

vollständige Abführung an die Krankenanstalt, was im Gegenzug mit einer Aufstockung der

Gehälter einhergehen müsste.

Zitat aus Interview 4:

„Aus meiner Sicht sollte das System der Sonderklasse, es gibt zwei Bundesländer, die es so geregelt haben, aber sieben Bundesländer haben es nicht, sollten eigentlich ganz anders geregelt sein so wie eben diese zwei Bundesländer, nämlich Kärnten und Steiermark. Dass nämlich diese direkte vertragliche Beziehung im öffentlichen Krankenhausbereich zwischen Primararzt und Patient weggeht. […] dass es eine andere Beziehung gibt, nämlich eine Beziehung zwischen Patient und Rechtsträger, so wie es üblicherweise bei jedem allgemeinen sozialversicherten Patienten auch da ist, damit dieser persönliche finanzielle Anreiz auch weg ist. Intern sollen die Sonderklassegelder durchaus auch den Ärzten noch zur Verfügung stehen und aufgeteilt werden. […] das Geld soll von mir aus, weiß ich nicht, leistungsgerecht aufgeteilt werden.“

2. Vermehrte Transparenzschaffung

Zukünftiger Handlungsbedarf wurde auch in der vermehrten Transparenzschaffung geortet

(13 von 18 Befragten). Transparenz wurde als das vornehmliche Mittel der Wahl bzw. das

billigste Mittel zur Qualitätssicherung bezeichnet. Um den anhaltenden Schleier der

Intransparenz zukünftig zu lüften und von einer „intransparenten Transparenz“ zu einer

„transparenten Transparenz“ zu gelangen, dürften Offenlegungspflichten nicht länger auf

einer freiwilligen Basis beruhen. Neben einer gesetzlichen Offenlegungspflicht für sämtliche

finanzielle Zuwendungen auf Geber- und Nehmerseite (Industrie, Health Professionals,

Selbsthilfegruppen, medizinische Organisationen etc.), wurde auch eine zentrale, öffentliche

Datenbank zur Erfassung sämtlicher finanzieller Zuwendungen an Angehörige der Fachkreise

und medizinische Institutionen vorgeschlagen, welche zwischenzeitlich bereits eingerichtet

wurde (vgl. Kapitel 4.2.2). Überhaupt wurde die verpflichtende Offenlegung von Interessen-

konflikten aufgrund persönlicher oder finanzieller Beziehungen für wichtige Player im

Gesundheitssystem (z.B. Mitglieder von Beratungs- und Entscheidungsgremien) gefordert, um

für mehr Transparenz zu sorgen und somit das Vertrauen in öffentliche Entscheidungsträger,

263

Health Professionals (Mediziner) und Wissenschaft zu stärken. Was Fachgesellschaften

betrifft, wurde die Einführung einheitlicher Entgelttarife und Offenlegungspflichten als

notwendig erachtet, um deren pharmaunabhängiges Agieren zukünftig sicherzustellen. Im

Sinne der vermehrten Transparenzschaffung wurde auch die strengere Durchsetzung des

transparenten Wartelistenregimes gefordert. Eine gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung

zur Angabe der konkreten Diagnose bei Arzneimittelverschreibungen wurde ebenfalls

vorgeschlagen. Ferner wurde auch eine transparente Preisgestaltung bei Arzneimitteln

gefordert, die auch seitens Aboulenein (2016, S. 199) vorgeschlagen wird und ein Eingreifen

des Staates in marktwirtschaftliche Mechanismen erforderlich machen würde. Zudem wurde

angemerkt, dass Zahlen und Daten zu Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren der

österreichischen Ärztekammer, Spitalskompass- und Outcome-Daten sowie sämtliche

Studienergebnisse der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht gehören – beispielsweise

über die Websites der jeweiligen Organisationen. An dieser Stelle sei auch auf die seitens

Glaeske (2010, S. 10) und Kern-Homolka et al. (2011, S. 16) geforderte Publikationspflicht für

sämtliche klinische Studien auf nationaler oder europäischer Ebene verwiesen. Weiters seien

in diesem Kontext auch die Forderungen von Wild et al. (2015a, S. 55) erwähnt, die eine

Regelung der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen für alle Selbsthilfegruppen

enthalten.

Zitat aus Interview 2:

„[…] im Bereich der Forschung, eine totale Transparenz einfordern, dass man weiß, wer, was, welche Gelder fließen und wofür diese Gelder ausgegeben werden. Und jedes einzelne Honorar, das ein Arzt kriegt, muss offengelegt werden. Wofür, was für eine Gegenleistung er erbracht hat. Also, Transparenz ist das Mittel der Wahl, das vornehme Mittel der Wahl, ohne dass ich jetzt viele Gesetze einführen muss, um den sozialen Druck zu erhöhen, dass diese endlosen Geldflüsse beseitigt werden.“

Zitat aus Interview 3:

„Und man müsste alles tun, um Transparenzstrukturen zu schaffen.“

Zitat aus Interview 9:

„Alle Studien müssen, sollten transparent ins Netz gestellt werden, dass man wirklich schauen kann, wie gut ist denn das wirklich. Ich bin auch dafür, dass die Pharmafirmen ganz transparent machen sollten, was sie für Entwicklungskosten hatten bei diesen Medikamenten, damit auch transparenter wird, wie man zu diesen Fantasiepreisen kommt. […] Ich glaube, also wenn wir es [die Umgehung von Wartelisten] wirklich auf fast Null reduzieren wollen, […] dann müssten wir die maximale Transparenz wie z.B. in England herstellen. Wo es ganz klar ist, wer ist auf der Warteliste, wer hat welchen Score, wer hat sich in der Warteliste wohin bewegt und warum? “

264

Zitat aus Interview 17:

„Also deswegen glaube ich, das Um und Auf im Gesamten ist die Transparenz. […] Transparent ist es nur, wenn ich es auf die Person zurückführen kann. Und dasselbe gilt natürlich auch bei allen Veranstaltungen, bei Fortbildungsveranstaltungen, dass jemand eben, bevor er seinen Vortrag beginnt, wirklich seine Interessen offenlegt.“

Zitat aus Interview 18:

„Fachgesellschaften, die wirklich unabhängig agieren und die dann den Verantwortlichen im öffentlichen System die Expertise liefern, können gegen das Entgelt, das kostet ja, das kann nicht alles ehrenamtlich sein, das ist sehr viel Zeit, die da investiert wird. Und das, was sie dann bekommen, gehört auch ausgewiesen von beiden Seiten zu ganz klaren Tarifen und völlig transparent.“

3. Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Mit dem Verdacht, dass bestehende Regulative und gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen

durch die zuständigen Behörden nicht ausreichend durchgesetzt, überwacht, strafrechtlich

verfolgt und sanktioniert werden, wurde auch der Wunsch nach schärferen Kontroll- und

Sanktionsmechanismen auf der Makroebene mehrmals geäußert (10 von 18 Befragten).

Schließlich sei die abschreckende Wirkung systematischer Überwachung evident (Frank &

Schulze 2003; Olken 2007). Insbesondere gilt es Dinge, die bislang als Kavaliersdelikt

durchgingen, wie beispielsweise Abrechnungsbetrug, konsequenter zu ahnden. Schärfere

Kontrollen und Sanktionen durch die zuständigen Behörden wurden nicht nur in Bezug auf

Abrechnungsbetrug, sondern generell mit Blick auf das Antikorruptionsgesetz, das

Naturalrabatteverbot, die Registrierungspflichten von nicht-interventionellen Studien und

Lobbying-Tätigkeiten, die Umsetzung des transparenten Wartelistenregimes sowie

Meldepflichten von Nebenbeschäftigungen gefordert. Adäquate Monitoringstrukturen sollten

zukünftig vor allem im niedergelassenen Bereich – insbesondere im Wahlarztbereich –

installiert werden. Dabei wurden neuartige Kontrollinstrumente in diesem Bereich, wie

beispielsweise das Mystery Shopping, von der Mehrheit der Interviewteilnehmer (10 von 13

Befragten) begrüßt, allerdings sollten sie nach Ansicht eines Gesundheitswissenschaftlers

leidglich im Verdachtsfall und nicht zusätzlich stichprobenweise eingesetzt werden, um das

Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis nicht unnötig zu zerrütten. Ferner wurde angemerkt,

dass jegliche Kontroll- und Sanktionsmechanismen seitens der Ärztekammer (wie

beispielsweise die Qualitätsüberprüfung durch die ÖQMed52) zukünftig an eine unabhängige

52 Die ÖQMed (Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Medizin GmbH) ist ein Tochterunternehmen der Österreichischen Ärztekammer, die für die Qualitätsüberprüfung von österreichischen Arztpraxen zuständig ist (BMGF 2017c).

265

Behörde ausgelagert gehören. Dies geht auch aus der jüngst veröffentlichten Studie zur

Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich hervor, in der die

Errichtung eines zusätzlichen unabhängigen Ausschusses zur Qualitätssicherung als letzte

Instanz oder die Auslagerung der ÖQMed an das BMGF vorgeschlagen wird (LSE 2017a, S. 36).

Zudem wurde auch der Ausbau der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur

effektiveren Verfolgung aufgedeckter Korruptionsfälle als notwendig erachtet.

Zitat aus Interview 5:

„Also, Abschreckung und Detektion, aber wie gesagt, das ist das Primitive, Angst erzeugen und hohe Wahrscheinlichkeiten erzeugen, dass man erwischt wird, wenn man was macht, das ist nicht gerade das Tolle.“

Zitat aus Interview 7:

„[…] na blöd, jetzt hat mich die Kassa erwischt, aber passiert nicht viel, da kriege ich einen Brief, den schmeiß ich weg und dann ist die Sache erledigt. Sehr viel mehr passiert häufig nicht, also ich glaube, da muss man wirklich härter durchgreifen, Präzedenzfälle starten. Ich finde dieses Mystery Shopping absolut indiziert, das sollte man, sollte viel mehr verbreitet werden, damit die Ärzte auch wissen, gewisse Dinge werden kontrolliert.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich glaube, dass eine Verschärfung mancher strafrechtlicher Dinge sinnvoll wäre, also, eben, man weiß, es gibt das Korruptionsstrafgesetz, es gibt Kuvertmedizin-Themen, das wird aber de facto nicht wirklich, also es hat keine Konsequenzen, das ist ein bisschen das Problem meiner Meinung nach. Es geht noch immer als Kavaliersdelikt durch.“

Zitat aus Interview 12:

„Und ich meine, so sehr die Ärztekammer mich für diese Aussage wieder hassen wird, aber es geht nicht, dass sich die Kammer selber kontrolliert. ÖQMed-Qualität, ja. Ich kann mich nicht selber kontrollieren. Das muss es schon auch geben, auch wir haben interne Audits. Aber warum rückt die Behörde bei uns an und kontrolliert uns auch?“

4. Erforderliche Änderungen auf juristischer Ebene

Zukünftiger Handlungsbedarf wurde auch auf juristischer Ebene geortet (10 von 18

Befragten). Abgesehen von dem notwendigen Novellierungsbedarf, der sich aufgrund der

aktuellen rechtlichen Lage bzw. bestehender gesetzlicher Regelungslücken (vgl. Punkt 3 in

Kapitel 5.7.4) erschließt (u.a. im Hinblick auf die Laienwerbung (§ 51 Abs. 1 Z 1 AMG),

Kronzeugenregelung (§§ 209a, 209b StPO), Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von

Sonderklassehonoraren), wurden noch weitere Änderungsvorschläge eingebracht. Unter

266

anderem fiel der Vorschlag – wie auch aktuell seitens Transparency International – Austrian

Chapter (2016b) – die bislang auf Basis der Verhaltenskodizes geforderte Transparenz in

Gesetzesrang zu erheben, damit zukünftig u.a. eine gesetzliche Verpflichtung zur

namentlichen Offenlegung sämtlicher geldwerter Zuwendungen auf Geber- und Nehmerseite

zum Schutze und im Interesse der Patienten bestehe. Nach Kern-Homolka (2011, S. 18)

gehören Tätigkeiten im Falle schwerwiegender Interessenkonflikte aufgrund finanzieller oder

persönlicher Beziehungen sogar gänzlich verboten. Darüber hinaus sprach sich ein Arzt für ein

gänzliches Verbot jeglicher Zuwendungen an Mediziner aus, um die sachfremde

Einflussnahme auf die medizinische Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis gänzlich

zu unterbinden. Des Weiteren wurde insgesamt dreimal ein gesetzliches Verbot von

Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern gefordert, um auch hier jegliche

Einflussnahme über zielgerichtetes Marketing auszuschließen. In diesem Kontext sei auch auf

die grundsätzlichen Empfehlungen von Lieb (2008, S. 32f.) hinsichtlich des richtigen Umgangs

mit Pharmavertretern verwiesen (keine Vertreter auf Stationen, nur Kontakt bei relevanten

Neuigkeiten, Vorstellung in der Ärztekonferenz, keine Geschenkannahmen etc.), der überdies

auch ein Verbot von Anwendungsbeobachtungen befürwortete. Ein Vertreter von

Transparency International plädierte für ein eigenes Korruptionsstrafrecht im

Gesundheitssystem nach deutschem Vorbild. Seitens eines Arztes wurde auch ein Lobby-

Verbot befürwortet, um auch hier jeglichen Missbrauch über einen solchen Kanal

auszuschließen. Im Hinblick auf das Vergaberecht, welches aufgrund seiner vermeintlich zu

strengen Reglementierung kritisiert wurde, sei an dieser Stelle auch auf die von Transparency

International – Austrian Chapter geforderte gesetzliche Regelung zur Offenlegung der Vergabe

und Beschaffung von Medizinprodukten und diagnostischen Großgeräten hingewiesen (TI-AC

2017a). Um einer Fehlsteuerung im Gesundheitssystem zukünftig effektiver

entgegenzuwirken, schlug ein Gesundheitsjournalist vor, den privaten und öffentlichen

Bereich über die gesetzliche Abschaffung von Zusatzversicherungen gänzlich zu trennen.

Dadurch könnten dem Gesundheitssystem jährlich 500 Mio. bis 1 Mrd. Euro über die Erhöhung

der Sozialversicherungsbeiträge bzw. Steuern im Ausmaß der privaten Finanzierungsströme

zugeführt werden. Eine solche gesundheitspolitische Option wurde auch seitens Pruckner &

Hummer (2013, S. 61) diskutiert. Weiters sei an dieser Stelle auch die Forderung seitens

Aboulenein (2016, S. 203), (Pharma-)Unternehmen jeglichen Zugang zu Patienten (z.B. durch

Datenflüsse oder Maßnahmen im Bereich der Einschulungen) zu verbieten, genannt.

267

Zitat aus Interview 1:

„Wir bräuchten ein eigenes Korruptionsgesetz im Gesundheitswesen.“

Zitat aus Interview 2:

„Ich würde keinem Industrievertreter mehr erlauben, ein Spital zu betreten.“

Zitat aus Interview 10:

„Deswegen glaube ich, dass eine rigorose Trennung von Privatwirtschaft und öffentlichem Gesundheitsbereich sehr viel gut machen würde. Dass eine Abschaffung von Zusatzversicherungen sehr viel gut machen würde an Fehlsteuerung. Weil wenn wir wissen, dass wir heute ungefähr eine Milliarde Gewinn haben bei den Zusatzversicherungen, 500 Mio. bis 1 Mrd., und ich gehe davon aus, dass sich ein Teil der Bevölkerung mehr Zusatzversicherungen leisten kann und ich darf niemanden bevorzugen, kann ich mit einem Strich das abschaffen und kann sagen, ich führe dem Gesundheitswesen 500 Mio. bis 1 Mrd. im Jahr zu, dadurch dass ich die Höchstbemessungsgrundsätze erhöhe.“

Zitat aus Interview 14:

„Ich würde die derzeit auf Basis des Verhaltenskodex geforderte Transparenz in Gesetzesrang erheben.“

Zitat aus Interview 16:

„Ich bin eigentlich dagegen. […] Für was brauche ich einen Pharmareferenten? Pharmareferent ist nichts anderes als ein Vertriebler.“

Zitat aus Interview 18:

„Mein Wunsch und mein Traum wäre eben, dass ein ganz smartes Gesetz, ein einfaches Gesetz da ist, dass Ärzte nichts annehmen dürfen. NICHTS, damit meine ich auch wirklich NICHTS.“

5. Fundamentaler System- und Strukturwandel

Als notwendig, aber politisch schwierig durchzusetzen, wurde auch ein radikaler System- bzw.

Strukturwandel (z.B. am Vorbild der skandinavischen Länder) erachtet, der sich indirekt

korruptionsmindernd auszuwirken vermag. Sechs von 18 befragten Personen schlugen in

diesem Zusammenhang u.a. die Aushebelung des Föderalismus, die Zusammenlegung

unterschiedlicher Finanzierungsströme im Gesundheitssystem („Finanzierung aus einer

Hand“), die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger bis hin zur Zusammenführung der

Ministerien, einen Abbau des stationären Bereichs zugunsten des Ausbaus des ambulanten

Bereichs, die Forcierung von Primärversorgungszentren sowie ein Angestelltensystem

niedergelassener Ärzte vor. Einige der genannten Vorschläge, wie beispielsweise die

Zusammenlegung der österreichischen Sozialversicherungsträger oder die Forcierung von

268

Primärversorgungszentren, werden auch in der kürzlich veröffentlichten Studie zur Effizienz

im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich diskutiert (LSE 2017a, S. 28

und S. 35). Zur Durchsetzung eines gesamtheitlichen System- bzw. Strukturwandels bedürfe

es allerdings – einem Vertreter der Pharmaindustrie zufolge – eines Gesundheitsdiktators.

Zitat aus Interview 2:

„Ich wäre für ein Angestelltensystem von Ärzten mit bestimmten Stunden, mit in die Richtung, wo es geht, Primary-Health-Care-Zentren, wo viele Ärzte zusammenarbeiten und angestellt sind. Die kriegen ein Gehalt, so wie Sie und ich ein Gehalt kriegen, wenn wir arbeiten gehen und dann gehen wir nach 40 Stunden nach Hause. […] Wir müssen uns nicht darüber den Kopf zerbrechen. Das Werkl, dieser Incentive, noch mehr und noch mehr zu kriegen, ist ganz tief in unserem System verankert.“

Zitat aus Interview 10:

„Da gibt es ja einfache Lösungen, nur die sind, wie ich höre, auf das Jahr 2024 verschoben und noch das Lustigere, es gibt da irgendwas, ja genau, die Zusammenlegung der österreichischen Sozialver-sicherungsträger haben sie glaube ich auf 2048 verschoben, also da sind alle Politiker schon lange tot.“

Zitat aus Interview 12:

„Also ich glaube, das ist auch etwas, natürlich man kann das Ministeriengesetz ändern, man könnte Ministerien anders gestalten, aber ich glaube, zu diesem großen Wurf wird sich niemand trauen. Also wenn ich ein Reißbrett hätte, dann täte ich sowas machen. Dann würde ich sagen, Föderalismus aushebeln, Geld folgt Leistung. […] Aber eine liebe Freundin von mir sagt dann immer ‚Da bräuchten wir einen Gesundheitsdiktator‘.“

Zitat aus Interview 13:

„Wir leben im 21. Jahrhundert, es haben sich die Anforderungen geändert. Sie haben viele Zivilisationserkrankungen, die Sie behandeln müssen, Sie haben heute in vielen Regionen einen Pflegeaufwand, betreutes Wohnen etc., also abgestufte Versorgung. D.h., Sie werden nicht, ein Krankenhaus der alten Struktur mit interner Chirurgie, Gynäkologie, Anästhesie brauchen. Sie werden aber ein Gebäude brauchen, wo Sie einen kleinen stationären Bereich haben und wo Sie im Gebäude aber auch ambulante Strukturen drinnen haben, um die Bevölkerung zu versorgen.“

Zitat aus Interview 14:

„Und die Verringerung von Zahlungsströmen wäre auch korruptionshemmend, wenn wir nicht diese berühmten 2500 Zahlungsströme im Gesundheitswesen hätten und wir wirklich eine Finanzierung aus einer Hand hätten, sprich den ambulanten/stationären Sektor und nicht in jedem Bundesland andere Leistungen und andere Finanziers. […] Wenn wir beide plus ein paar ausgesuchter Experten uns da in das Kammerl setzen würden und sagen würden, so, jetzt zeichnen wir vom Scratch das ideale öster-reichische Gesundheitswesen. Wie weit wäre das entfernt vom dem System, das wir heute haben?“

269

6. Errichtung einer anonymen Korruptionsmeldestelle und einer weisungsfreien,

unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem

Mehrere Interviewpartner (4 von 18 Befragten) wiesen auf die notwendige Etablierung eines

eigenen anonymen Meldesystems für Korruptionsfälle im Gesundheitssystem hin. Auf diesen

Bedarf machte bereits Transparency International – Austrian Chapter vor knapp zehn Jahren

in seinem Grundsatzpapier (TI-AC 2010, S. 29) aufmerksam, allerdings wurde bis heute kein

vergleichbares System aufgesetzt. In Frage käme entweder ein telefonbasiertes

(Whistleblower-Hotline) oder internetbasiertes (Whistleblower-Website) Hinweisgeber-

system, wie beispielsweise nach Vorbild der NHS Protect in Großbritannien (NHS Protect

2015). Der Aufbau eines anonymen Meldesystems müsste jedenfalls mit einem

entsprechenden Zeugenschutzprogramm einhergehen, um ausreichend Schutz für

sogenannte „Whistleblower“ bzw. Hinweisgeber zu gewährleisten. Diesbezüglich bestehe in

Österreich insbesondere aus juristischer Sicht noch erheblicher Handlungsbedarf (§§ 209a,

209b StPO Kronzeugenregelung). Weiters wurde vorgeschlagen, anonyme Hinweisgeber-

systeme nicht nur auf der Makroebene, sondern insbesondere auch auf der Mesoebene

(Spitäler, Industrie etc.) zu verankern. Als sinnvoll erachtet wurde indes auch die Errichtung

einer weisungsfreien, unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem zur

Prävention und Kontrolle. In diesem Kontext wurde auch eine sogenannte „Watchdog-

Organisation“ zur Überwachung des Korruptionslevels, wie beispielsweise die Verbraucher-

schutzorganisation „Public Citizen“ in Amerika (Public Citizen 2016), empfohlen.

Zitat aus Interview 1:

„Solange man keine Schutzmöglichkeiten für die Whistleblower hat, haben die ihre Karriere verwirkt. Und wie gesagt, das muss man ganz offen sagen, jungen Ärzten, die bei uns mitgearbeitet haben, haben wir müssen raten ‚Halte den Mund und tu lieber nix‘.“

Zitat aus Interview 2:

„Also ich glaube, es wäre ganz wichtig und ich vertrete auch dieselbe Meinung wie die Grünen, die fordern das schon seit Jahren, eine Korruptionsstelle im Gesundheitswesen, wenn so offensichtlich ist, wie viel Geld da versickert, wo man sich hinwenden könnte.“

Zitat aus Interview 5:

„Das Thema Erwischen, Whistleblower-Hotlines einrichten, von den Deutschen zu lernen, wie es ihnen geht mit dieser Rechtslage, die sie da haben mit telefonischen und internetbasierten Whistleblower-Hotlines. Auch das Thema Kronzeugenregelung sich einmal anzuschauen, die Patienten würden sich dann leichter tun, wenn es Möglichkeiten gäbe, nicht auftreten zu müssen, d.h. auch Zeugenaussagen.“

270

7. Weitere Verbesserungsvorschläge

Neben den bereits geschilderten Verbesserungsvorschlägen wurden vereinzelt noch weitere

unterbreitet, die im Folgenden aber nur kurz angeschnitten und nicht näher ausgeführt

werden. Beispielsweise räumte ein Vertreter der Pharmaindustrie ein, dass die Forcierung von

Generika zur Eindämmung von Korruption und zu erheblichen Kosteneinsparungen beitragen

könnte. Health Professionals (Mediziner) zur vermehrten Verschreibung von Generika

anzuregen, wird auch in der aktuellen Studie zur Effizienz im österreichischen

Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich empfohlen (LSE 2017a, S. 39).

Zitat aus Interview 16:

„Generika sollte man, also sind wirklich kostengünstiger und sind auch nicht Medizin zweiter Art, sondern sind einfach nachgeahmte Wirkstoffe, sind im Prinzip genau das Gleiche. […] Das müssten die Krankenkassen im Prinzip einmal pushen und auch da ist es vielleicht auch ein Phänomen, was auch prekär ist. Das wäre etwas, wo Korruption auch stattfinden könnte.“

Ferner wurde seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie vorgeschlagen,

gesundheitsbezogene Kampagnen einer Freigabemodalität zu unterziehen und nur im Falle

des Vorliegens eines tatsächlichen öffentlichen Interesses genehmigen zu lassen. Ebenso

gehöre eine zentrale Stelle für das Mystery Shopping eingerichtet, damit solche Tests von

einer spezialisierten Institution mit einem gewissen Validitätsanspruch durchgeführt und nicht

von jeder Krankenkasse selbst vollzogen werden. Eine zentrale spezialisierte Einrichtung zur

Betrugsbekämpfung wird auch den Sozialversicherungsträgern in der jüngst veröffentlichten

Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich

vorgeschlagen (LSE 2017a, S. 580).

Zitat aus Interview 12:

„Ich würde es sinnvoll finden, dass diese Kampagnen einer Freigabemodalität unterzogen werden müssten. D.h., dass man sagt, man könnte ja genauso im Rahmen des BMG irgendwo eine Freigabestelle einrichten für solche Sachen, dass gesundheitsbezogene Kampagnen durch eine Freigabe gehen müssen und nur wenn sie sozusagen im Interesse der öffentlichen Gesundheit sind, dürfen sie auch stattfinden. […] Ich hätte es eigentlich spannend gefunden, dass man sagt, man macht es österreichweit, eine Institution, die diese Tests macht mit einem gewissen Validitätsanspruch auch, jetzt ist es halt so, dass jede Kasse das selber halt so macht und sich auf das spezialisiert, wo sie halt etwas sieht.“

271

Aufgegriffen wurde von einem Gesundheitsökonom auch die Idee der Patientenquittung

(Rupp 2010, S. 5; Kern-Homolka et al. 2011, S. 28), die bereits 2008 zur Erhöhung sozialer

Kontrolle im Gespräch war, jedoch letztlich nicht eingeführt wurde. Auf Nachfrage hin wurde

sie allerdings nur von wenigen Experten befürwortet.

Zitat aus Interview 5:

„Wie auch die Patientenquittung, so eine Rechnung halte ich nicht für schlecht, auch wenn Patienten unter Druck sind, haben sie doch möglicherweise eine moralische Beißhemmung, dass mir jemand eine Rechnung gibt, auf der draufsteht, eine Gulaschsuppe und 57 Semmeln, auch wenn ich es nicht zahlen muss […] D.h., auf soziale Kontrolle zu setzen, hätte schon was.“

Zitat aus Interview 11:

„Ich glaube, dass nicht alle Patienten und ich würde sagen, nur ein bescheidener Teil der Patienten in der Lage ist, wirklich diese Quittung auch zu überprüfen und unterschrieben wird vieles dann. Also ist, glaube ich, auch eine Illusion dabei.“

Zukünftiger Handlungsbedarf auf der Mesoebene

1. Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Der Wunsch nach schärferen Kontroll- und Sanktionsmechanismen wurde nicht nur auf der

Makroebene, sondern auch auf der Mesoebene mehrmals (9 von 18 Befragten) geäußert.

Insbesondere gehören die Einhaltung von organisationsinternen Verhaltenskodizes,

ungerechtfertigte Vorreihungen auf Wartelisten („Chefeinschub“), unangemessene

Nebenbeschäftigungen und die Erbringung überflüssiger medizinischer Leistungen und

Diagnostiken („Überversorgung“) seitens zuständiger Dienstgeber besser überwacht und

konsequenter geahndet.

Zitat aus Interview 2:

„Und jetzt müssen diese Verhaltenskodizes auch kontrolliert werden, es ist sowas wie die Verordnungen von dem Herrn [Name der Person] im [Name der Organisation], wenn man eine Verordnung herausgibt, wenn man einen Verhaltenskodex herausgibt, muss man nachher kontrollieren, ob sich einer daran hält, sonst ist es sinnlos.“

Zitat aus Interview 5:

„Und so kann man eigentlich sinnvollerweise nur daran arbeiten, die Probleme zu mildern und die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, zu erhöhen.“

272

Zitat aus Interview 17:

„Also ich glaube, da gibt es an sich ein recht gutes Regelwerk. Man muss schauen, dass es eingehalten wird, muss das transparent halten.“

2. Stärkung der Vorbildfunktion der Führung

Zukünftiger Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptionseindämmung wurde auch auf der

Führungsebene geortet (3 von 18 Befragten). Demnach dürfen Antikorruption und

Compliance nicht nur auf dem Papier geschrieben stehen, sondern müssen seitens der

Führungskräfte den eigenen Mitarbeitern auch aktiv vorgelebt werden, damit sie ihre

Wirksamkeit überhaupt entfalten können.

Zitat aus Interview 8:

„Das braucht nicht nur die Regeln, sondern Compliance ist irgendwie ein, das ist ein kultureller Wert in einem Unternehmen, wie ich damit umgehe. Das ist etwas, was gelebt werden muss, was von einer Führung vorgelebt werden muss, das ist etwas, wo man immer wieder erinnern muss, wo man nachhacken muss, wo so quasi das soziale Gefüge in der Organisation mitziehen muss.“

Zitat aus Interview 12:

„Das funktioniert im Spital auch nicht anders, es ist halt der Primar und nicht der Papa, ja. Aber das wird halt schon vorgelebt auch.“

3. Aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion von Überversorgung

Angeregt wurde auch (2 von 18 Befragten), dass zukünftig – angesichts des enormen

Einsparungspotenzials – vor allem effektive Maßnahmen zur Reduktion von Überversorgung

(Überdiagnostik, Übertherapie) notwendig seien. Beispielsweise könnte die Schaffung

einheitlicher, klarer Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT etc.) zur

Reduktion überflüssig erbrachter Gesundheitsleistungen beitragen, wodurch sich gleichzeitig

auch „künstlich erzeugte“ Ressourcenverknappungen (z.B. MRT-Wartezeiten) vermeiden

ließen. Zudem brachte ein Gesundheitsökonom ein, dass bestimmte Gesundheitsleistungen

auch ersatzlos gestrichen werden könnten.

Zitat aus Interview 2:

„Also die Überversorgung ist gigantomanisch, unglaublich in Österreich, aber nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, und dass man ganz viele Leistungen einfach ersatzlos streichen könnte, also insofern hab ich einen doch anderen Blick auf die Zweiklassenmedizin als die Leute, die etwas nicht kriegen.“

273

Zitat aus Interview 9:

„Überversorgung reduzieren, vor allem Überdiagnostik und Übertherapie reduzieren.“

Zukünftiger Handlungsbedarf auf der Mikroebene

1. Forcierung der öffentlichen Bewusstseinsbildung, Aufklärung und Sensibilisierung

Nach mehrheitlicher Ansicht der Experten (14 von 18 Befragten) liegt der wichtigste Schlüssel

zur nachhaltigen Korruptionseindämmung auf der Mikroebene in der vermehrten Aufklärung,

Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit und medizinischen Fachwelt, um

das vielerorts noch wenig ausgeprägte Problem- und Unrechtsbewusstsein zu heben. Denn

nur, wer die Probleme, deren Ursachen und Auswirkungen, mögliche Sanktionen und

Gegenmaßnahmen kennt, ist in der Lage, sein Verhalten darauf abzustimmen (Gruber et al.

2013, S. 128f.). Demnach sollte der Fokus vorrangig auf die Schaffung einer

Antikorruptionskultur und Prävention und nicht in erster Linie auf Repressionsmaßnahmen

gelegt werden.

Zitat aus Interview 4:

„Also ich glaube, dass auf der individuellen Ebene der Schlüssel zum Erfolg liegt, dass das Unrechtsbewusstsein wirklich so stark ist, dass der Einzelne ganz klar sagt, nein, das mach ich nicht.“

Zitat aus Interview 6:

„Und daher glaube ich, kann man auch Korruption nicht einfach nur von einem Blickwinkel sehen, sondern muss sie von mehreren Blickwinkeln sehen. Und ganz neutral ohne irgendein Moralisieren, ohne Schuldzuweisung den Ist-Stand erheben, ohne Moralisierung, den Wunsch-Zustand definieren und dann diesen Prozess definieren, wie komme ich dorthin, was sehr, sehr stark mit Aufklärung, mit Kommunikation zu tun hat und nicht mit Verurteilen und Strafen.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich würde vor allem beim Thema Bewusstseinsbildung ansetzen.“

Zitat aus Interview 14:

„Und es gibt vor allem viel an Aufklärungsarbeit und an Sensibilisierungsarbeit zu leisten. Also das ist ein Prozess, der auch und gerade in einem Land wie Österreich vielleicht um ein Stück noch herausfordernder ist als in anderen Märkten.“

274

Um das mangelnde Problembewusstsein nachhaltig zu heben, müsste neben diversen

Awareness-Kampagnen und Aufklärungsarbeiten auch bei der Werteerziehung und

Grundeinstellung der Bevölkerung – insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen –

angesetzt werden. Zum einen wurde die verpflichtende Einführung eines Ethikunterrichts an

Schulen als notwendig erachtet, genauso wie ein solcher in die Curricula medizinischer

Universitäten Eingang finden sollte. Nur auf diese Weise könnte ein gesellschaftlicher Werte-

und Kulturwandel initiiert werden, der sich positiv auf die gesellschaftliche Moral und

Korruptionsanfälligkeit auszuwirken vermag. Schließlich bedarf es der eigenen Überzeugung,

um etwaigen Verlockungen dauerhaft zu widerstehen. Dass bewusstseinsbildende

Maßnahmen zur Erhöhung der Sensibilität und Kompetenz von Ärzten im Umgang mit der

pharmazeutischen Industrie bereits während der Ausbildung von Medizinern stattfinden

sollten, darauf wiesen u.a. auch Schneider & Lückman (2008, S. 516) hin.

Zitat aus Interview 5:

„Und auf der anderen Seite und damit könnte man wahrscheinlich viele Fliegen mit einer Klappe erschlagen, ist das Thema Ethikunterricht in den Schulen. Dass wir wirklich auf der individuellen Ebene, auf der untersystemischen Ebene, wie wir es über Schulen organisieren, anbieten, weg mit dem Religionsunterricht und her mit dem Ethikunterricht. Wir brauchen wirklich eine saubere Trennung zwischen Staat und Religion und was wir brauchen sind wirklich Grundwerte.“

Zitat aus Interview 6:

„Aber in Wahrheit musst du bei den Kindern und Jugendlichen anfangen, ihr Gefühl für Fairness, für Transparenz, für Controlling, das nicht Kontrolle ist, für letztendlich auch eine Eigenverantwortung, die bis zu einem gewissen Grad den anderen leben lässt. Um die Win-Win-Win-Situation herzustellen.“

Zitat aus Interview 9:

„Ich würde mir von der MedUni schon sehr wünschen, dass also Medizinstudenten immer wieder mit dem Thema konfrontiert sind.“

Zitat aus Interview 11:

„Ich muss Ihnen sagen, wir haben schon viele Gesetze, aber man kann alles nicht nur gesetzlich regeln, sondern hier ist eine Frage, die Mentalität, den Charakter da heranzubilden, dass die Menschen ganz einfach hier mehr Widerstand gegenüber Korruption leisten.“

275

2. Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung („Health Literacy“) bzw. der

wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals (Medizinern)

Neben der ethischen Werteerziehung wurden mehrmals (7 von 18 Befragten) auch andere

Bildungsmaßnahmen vorgeschlagen. Zum einen gehöre die naturwissenschaftliche bzw.

gesundheitsbezogene Ausbildung der Bevölkerung forciert, um deren Gesundheitskompetenz

(„Health Literacy“) und damit Urteilsfähigkeit und Selbstbestimmung zu stärken und sie

folglich vor verdeckten Marketingpraktiken und manipulativer Einflussnahme durch Dritte

(Industrie, Health Professionals etc.) zu schützen. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz

der Bevölkerung wird auch in der aktuellen Studie zur Effizienz im österreichischen

Sozialversicherungs- und Gesundheitsbereich empfohlen (LSE 2017a, S. 40). Zum anderen

müsste laut Expertenansicht auch die wissenschaftliche Ausbildung von Medizinern gestärkt

werden, damit diese befähigt werden, Studienergebnisse eigenständig zu interpretieren, um

nicht länger von fremden Meinungsbildnern und Pharmareferenten abhängig und

beeinflussbar zu sein. Um solche Bildungsmaßnahmen zu ermöglichen, müsste vor allem das

gegenwärtige Aus- und Fortbildungssystem auf der Makroebene verbessert werden. Zudem

wurde seitens eines Vertreters der Pharmaindustrie vorgeschlagen, die Zusammenarbeit und

den fachlichen Diskurs zwischen Ärzten und Pharmazeuten bzw. Apothekern nach

amerikanischem Vorbild voranzutreiben, um das für die richtige Medikation relevante

pharmazeutische Wissen mehr in die Entscheidungen der Ärzte im Interesse der Patienten

miteinfließen zu lassen. Dass die Rolle des Apothekers zukünftig gestärkt gehört, wird auch in

der jüngst veröffentlichten Studie zur Effizienz im österreichischen Sozialversicherungs- und

Gesundheitsbereich im Hinblick auf die Forcierung der Verschreibung von Generika

empfohlen (LSE 2017a, S. 39). Ferner gehöre laut einem Vertreter von Transparency

International auch der Bedarf an gut ausgebildeten Public Health-, Korruptions- und

Compliance-Experten im österreichischen Gesundheitssystem gedeckt. Solche

Qualitätsdefizite gehören zukünftig ausgeräumt.

Zitat aus Interview 3:

„Um Zugang zu kriegen zu guter Medizin in heiklen Fällen, ist es gut, wenn man gesundheitskompetent ist. Korrupt muss man nicht sein, aber wenn man gesundheitskompetent ist als Patient, kann man auch bohren und hartnäckig sein und schauen, wo gibt es das Richtige, was braucht man und drauf bleiben. Und gesundheitskompetente Patienten sind auch ein gutes Mittel gegen Korruption, allein die Frage ‚Warum verschreiben Sie mir das?‘.“

276

Zitat aus Interview 16:

„Bei uns ist es auch so, der Arzt ist der Entscheider, gibt den Zettel raus und das war es dann. Der Apotheker ist nichts anderes als ein Verkäufer. Und das Wissen des Apothekers ist aber absolut zentral für die richtige Medikation und der Apotheker ist auch derjenige, der dementsprechend gebildet ist, der auch dementsprechend die Informationen haben sollte, welche Medikation, welches Arzneimittel, welcher Wirkstoff für den Patienten das Beste ist.“

Zitat aus Interview 18:

„Wäre eine andere Qualität von vornherein da, würde mehr Augenmerk auf die Ausbildung der Jungen gelenkt werden, auf die unabhängige Ausbildung, also Ausbildung auf Unabhängigkeit. Das machen jetzt Gott sei Dank die Unis eh schon mehr, dass die Leute die Studien besser lesen können, auch wenn sie nicht wissenschaftlich tätig sind, dass sie sich selbst ein Bild machen können.“

5.7.7 Zukünftiger Forschungsbedarf

Nachfolgend wird der im Rahmen der geführten Interviews identifizierte zukünftige

Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem

anhand des vorliegenden Kategoriensystems (Tabelle 21) erläutert. Die Reihung und

Abhandlung der einzelnen Punkte (Kategorien und deren Subkategorien) erfolgt nach der

Häufigkeit ihrer Nennungen. Viele der genannten zukünftigen Forschungsfelder decken sich

weitgehend mit jenen, die auch auf internationaler Ebene (Kapitel 2.9 und 3.8) und nationaler

Ebene (Kapitel 4.2.4) diskutiert werden (wie beispielsweise die Wirksamkeitsüberprüfung und

(Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen; Erforschung neuer Wege zur

verbesserten Aufdeckung und Kontrolle von Korruption; quantitative Erhebung des

Korruptionsausmaßes; gründlichere Ursachenforschung). Darüber hinaus wurden auch neue

österreichspezifische Forschungslücken und -felder im Hinblick auf die Thematik identifiziert

(genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption im

nationalen Gesundheitssystem, Erhebung des nationalen Problembewusstseins, Unter-

suchung des Ausmaßes von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das Agieren

von Health Professionals, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen, Untersuchung des

wahrgenommenen West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälles u.a.), die es zukünftig auf nationaler

Ebene zu erforschen gilt.

277

Zukünftiger Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem

Kategorien und Subkategorien Häufigkeit

Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen

7

Wissenschaftlich fundierte Klärung des Korruptionsbegriffes 5

Quantitative Erhebung des Korruptionsausmaßes/Untersuchung des West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälles

5

Untersuchung des Ausmaßes von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das Agieren von Health Professionals, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen

4

Erhebung des Problembewusstseins/Ursachenforschung 3

Genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption im Gesundheitssystem

3

Weitere zukünftige Forschungsfelder:

Untersuchung des Einflusses finanzieller Anreizmechanismen auf das Korruptionsverhalten

Darstellung sämtlicher (höherrangiger) Beziehungsverflechtungen im nationalen Gesundheitssystem

Durchführung eines internationalen Vergleichs/Benchmarking

Erforschung der Auswirkungen soziodemografischer Faktoren auf die Korruptionsanfälligkeit

Monitoring der Performance und der Korruption im niedergelassenen Bereich

Vergleich der Korruptionsanfälligkeit großer und kleiner (Pharma-)Firmen

Darlegung der Entwicklung des Pharmaimages

7 1

1

1 1

1 1 1

Tabelle 21: Kategoriensystem zum zukünftigen Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem

(Kategoriensystem bestehend aus Name und Häufigkeit der Kategorien und deren Subkategorien. Mehrfachnennungen innerhalb eines Interviews wurden nicht gezählt. Der zukünftige Forschungsbedarf

wurde in allen 18 Interviews erfragt, wobei zwei Experten hierzu keine Stellung bezogen.)

1. Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen

Der größte Forschungsbedarf (7 von 18 Befragten) wurde in der Wirksamkeitsüberprüfung

und (Weiter-)Entwicklung von Antikorruptionsmaßnahmen geortet. Einerseits gehören

bislang gesetzte oder vorgeschlagene Antikorruptionsmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit

überprüft und erforderlichenfalls weiterentwickelt. Dies betreffe insbesondere eingeführte

Verhaltenskodizes und Compliance-Management-Systeme, bisherige Bemühungen zur

vermehrten Transparenzschaffung (z.B. Offenlegungspflichten, transparente

Wartelistenregime) sowie vorgeschlagene Maßnahmen zur Sensibilisierung (z.B.

Ethikunterricht). Ein Gesundheitsökonom sprach sich speziell für die Weiterentwicklung

bislang eingesetzter Detektionssysteme (softwaregestützter Plausibilitätsprüfungen) im

278

niedergelassenen Bereich aus – beispielsweise in Richtung der Nicht-Mustererkennung, um

auch besonders trickreichen Personen auf die Spur zu kommen. Andererseits gehöre laut

Expertenmeinung nach neuen effektiven Lösungsansätzen bzw. Antikorruptionsmaßnahmen

geforscht. Dabei sollte der Schwerpunkt insbesondere auf die Erforschung effektiver

Kommunikationsmittel zur vermehrten Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung gelegt

werden.

Zitat aus Interview 1:

„Da hat jetzt die pharmazeutische Industrie, da gibt es Regeln, wie weit die allerdings umgesetzt werden, ist eine andere Geschichte. Auch das wird nicht beobachtet. Das müssten wir beobachten, wie jede Qualitätsverbesserung muss auditiert werden, man muss sich das anschauen, weil niemand, sozusagen mir sind die Informationen zugänglich, dass ich weiß, dass das noch immer stattfindet.“

Zitat aus Interview 5:

„Dass man sich einerseits anschaut, wie müssen Abschreckungsmaßnahmen beschaffen sein und wie müssen wir technisch Tracking und Detektionssysteme entwickeln, um Übeltätern auch auf die Spur zu kommen. D.h., was bräuchte es an Software, an Unterstützung. Da gibt‘s an sich smarte Ansätze, wobei ich nicht weiß, es gibt eine internationale Softwarefirma, die sich auf Nicht-Mustererkennung spezialisiert hat […], weil sozusagen bestimmte Betrugsmuster kann man relativ geschwind erkennen, das schaffen sogar sehr einfältige Personen, aber trickreiche Nicht-Muster zu erkennen, was da für eine Gesetzmäßigkeit dahintersteht. […] Dann die Frage, wie wirkt sozusagen, wir haben ja keine Evidenz, dass Ethikunterricht wirkt, d.h., ist das Einpflanzen von Normen, von Gut und Böse etwas, was nachhaltig wirkt, oder wirft man das bald über Bord? Gibt's Ansätze, dass Normen, auch wenn man selber darunter Nachteile erleidet, dass das durchaus halten könnte? […] Also das zu beforschen, ob das was bringt, Menschen Normen ans Herz zu legen oder nicht, das wäre ein großer Wunsch.“

Zitat aus Interview 6:

„Und ich brauche wahrscheinlich eine wissenschaftliche Beforschung, was ist die richtige Kommunikation.“

Zitat aus Interview 8:

„Ich glaube, die Ursachen und was passiert, das ist hinreichend bekannt, aber nicht, was man dagegen tun kann und wie man die Betroffenen ins Boot holen kann und Bewusstseinsbildung betreiben kann, da fehlt meiner Meinung nach noch ganz viel.“

Zitat aus Interview 18:

„[…] die verpflichten sich ja jetzt auch offenzulegen, was sie insgesamt investieren, dann sieht man gleich eine Diskrepanz, wie viele legen wirklich offen, wer legt was offen. Dann weiß man ganz genau, dass die ganzen Verhaltenskodizes ‚Wischiwaschi‘, ‚Augenauswischerei‘ sind und dass ein anderer Bedarf sein muss.“

279

2. Wissenschaftlich fundierte Klärung des Korruptionsbegriffs

Mehrere Personen (5 von 18 Befragten) führten an, dass zukünftig eine wissenschaftlich

fundierte Klärung des Korruptionsbegriffes notwendig sei, um zumindest innerstaatlich zu

einem gesellschaftlich einheitlichen Begriffsverständnis zu gelangen. Bisherige Definitionen

wären nicht präzise genug und würden viel Interpretationsspielraum zulassen. Insbesondere

gehören die Grenzen von Korruption klarer festgelegt, damit auch jeder weiß, was unter das

theoretischen Konstrukt von Korruption fällt und was nicht (z.B. Wo hört Trinkgeld auf und ab

wann fängt Schmiergeld an?). Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Begriffsdefinition von

Korruption im Kontext des Gesundheitssystems (Kapitel 5.7.1) kann als erster

Entwicklungsschritt in diese Richtung betrachtet werden.

Zitat aus Interview 6:

„Was ich mir wünschen würde ist, dass man einmal nicht zu gutmenschartig, sondern wissenschaftlich fundiert Korruption definiert. Nicht über die eigenen Emotionen Einzelner, sondern ganz klar über die wissenschaftlichen Grundbegriffe, weil dort muss man einmal ansetzen. Und da gibt es dann auch kein Links und Rechts, sondern da gibt es eben genau diesen Begriff. Und dann sich anschaut, wo sind die Graubereiche und warum werden die gemacht?“

Zitat aus Interview 7:

„Das ist jetzt erneut die Frage ‚Was ist Korruption?‘ oder was ist jetzt gegen das Gesetz oder was ist ganz einfach geschmacklos oder Ausbeutung des Systems? Also die Terminologie ist da fließend.“

Zitat aus Interview 10:

„Was spannend wäre, wären die klassischen Begriffe, die in der österreichischen Seele schwingen, weil es weiß ja kein Österreicher, was Nepotismus ist, diese Freunderlwirtschaft und so, was man so verwendet, dass deren Überdeckung mit dem theoretischen Konstrukt der Korruption in einer Arbeit einmal festgelegt werden müssten. […] Die Umgangssprache hat ganz verschiedene Begriffe für Details von Korruption? Und manche sind gar nicht Korruption, die Leute glauben aber, es ist Korruption.“

3. Quantitative Erhebung des Korruptionsausmaßes/Untersuchung des West-Ost- bzw.

Nord-Süd-Gefälles

Fünf von 18 Befragten räumten ein, dass das bislang lediglich subjektiv geschätzte

Korruptionsausmaß zukünftig quantitativ erhoben werden müsste, um anhand vorliegender

Zahlen und Fakten die Relevanz der Thematik zu veranschaulichen. Die insgesamt dreimal

geäußerte Annahme, dass es innerstaatlich im Hinblick auf das Korruptionsausmaß ein West-

Ost-Gefälle gäbe, gehöre zukünftig ebenfalls wissenschaftlich fundiert untersucht.

280

Zitat aus Interview 3:

„Ja, die Schwierigkeit, die wir haben, ist, dass die Korruption ganz schwer zu belegen ist, man müsste sozusagen die Quantitäten erheben.“

Zitat aus Interview 4:

„Was eigentlich wissenschaftlich nicht sehr sauber ist, wenn ich sage, 3 % bis 10 % gehen in den Bereich Korruption, also da müsste man aus meiner Sicht eigentlich wirklich einmal schauen und eine Studie machen, eine ordentliche, wie schaut es wirklich aus, also so eine Art Ist-Aufnahme von dem Ganzen, um auch weiterreden zu können.“

Zitat aus Interview 6:

„Natürlich brauchst du einmal wirkliche Zahlen, was ist eigentlich los in dem Land, weil alles, das ist Bauchgefühl.“

Zitat aus Interview 7:

„Das wäre auch interessant in Ihrer Arbeit, ob man das nachweisen kann, d.h. nicht irgendwo, dass man nur Zahlen hat für ganz Österreich, sondern ob es auch innerhalb von Österreich ein Gefälle gibt, das wäre eigentlich sehr spannend zu wissen. Also im Prinzip sagt man das immer, man glaubt zu wissen, dass es der Fall ist, ich gebe auch persönlich Anekdoten, wo ich persönlich also weiß, dass gewisse Dinge da im Osten anders gehandhabt werden wie im Westen. Aber wiederum, das ist nicht wissenschaftlich fundiert, ich meine, das sind einfach persönliche Impressionen.“

4. Untersuchung des Ausmaßes von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das

Agieren von Health Professionals, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen

Als ebenso wichtig erachtet und dringend empfohlen wurde seitens mehrerer Personen (4 von

18 Befragten), das Ausmaß von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das

Agieren von Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen sowie auf die Forschung, Fortbildung und

Verschreibungspraxis von Health Professionals wissenschaftlich zu untersuchen. Zum einen

wurde vorgeschlagen, die Einnahmen- und Ausgabenseite von Fachgesellschaften und

Selbsthilfegruppen im Hinblick auf Industriesponsoring und industriegetriebene Ausgaben

näher zu beleuchten. Es gilt zahlenmäßig zu erheben, in welchem Ausmaß sich

Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen über Mittel der Industrie finanzieren (ähnlich wie

in der Studie von Wild et al. 2015a) und wofür die Gelder ausgegeben werden. Zum anderen

gehöre auch ermittelt, wie viele in Leitlinien-Therapie-Empfehlungen eingebundene Experten

in welcher Höhe von der Industrie gesponsert werden. Letztlich könnten über solche Zahlen

Rückschlüsse auf die verdeckte Einflussnahme der Industrie auf wichtige Akteure und

Entscheidungsträger im Gesundheitssystem gezogen werden. Ein wichtiger Forschungsinput

281

wäre auch, den Einfluss von Industriesponsoring auf das Entscheidungs- und Verschreibungs-

verhalten von Health Professionals (Medizinern) zu erforschen. Hierfür müsste man einerseits

beobachten, wer, was, von welcher Firma, in welcher Höhe finanziert bekommt und

andererseits welche Arzneimittel, von welcher Firma, in welcher Menge verschrieben werden.

Über die Korrelation dieser beiden Größen ließe sich folglich ein Zusammenhang ermitteln.

Ein Vertreter der Pharmaindustrie zeigte sich insbesondere am Einfluss der „kleinen

Korruption“ (sprich: geringfügige Geschenke, Essenseinladungen etc.) auf das Entscheidungs-

verhalten von Health Professionals interessiert. Zudem gehöre auch die seitens eines

Gesundheitsökonomen geäußerte Vermutung, dass pharmagesponserte Forschungsprojekte

zu 80 % nur produktgetriebene Forschung darstellen und ohne jegliche Relevanz seien, ebenso

wissenschaftlich erforscht.

Zitat aus Interview 2:

„Dass ich mir dann anschaue, was eigentlich in Österreich geforscht wird, bei welcher Patienten-Klientel, ob es eine relevante Krankheit oder irrelevante Krankheit ist, also ob das irgendein Wohlstands-Klimbim ist, eine Warze auf der kleinen Zehe oder ob das eine relevante Erkrankung ist, ob relevante Forschung betrieben wird. Weil ich behaupte, dass 80 % der Dinge, die von der Industrie gesponsert sind, nur produktgetriebene Forschung ist und von unjeglicher Relevanz, also das behaupte nicht nur ich, da gibt es viele Menschen, die das behaupten.“

Zitat aus Interview 14:

„Was mich wirklich interessieren würde, wäre, ob es tatsächlich, wirklich, also nachweislich, eine Korrelation gibt zwischen dieser kleinen Korruption und einem entsprechenden Entscheidungsverhalten. […] da kriegen wir eine Kiste Ärztemuster, da kriegen wir Kugelschreiber, da kriegen wir, weiß ich nicht, eine Einladung. Da kriegen wir all diese Dinge, fokussiert auf den Gesundheitsbereich.“

Zitat aus Interview 18:

„Erstens, man muss rauskriegen, ganz konkret, wie viele Ärzte in Österreich Zahlungen bekommen bzw. irgendwelche materiellen Zuwendungen bekommen. Alle. Und zwar auf Personen, nicht in aggregierter Form. Dann das Ganze vice versa auf die einzelnen Firmen und Fachdisziplinen, lange Rede, kurzer Sinn: Firma X in der [Fachdisziplin], fünf Ärzte in Wien, zwei Ärzte dort oder sind es vielleicht doch mehr, nämlich in Wirklichkeit knapp fünfzig in Wien, wenn man auch die ganzen Kongresse etc. hernimmt. Nicht? Wirklich alle materiellen Zuwendungen und diese noch aufgeschlüsselt auf Personen. […] Dann nehmen wir die Fachgesellschaften einmal vor. Da wird Ihnen schlecht, wie die sich nämlich finanzieren und wofür sie Gelder ausgeben, also Einnahmen-Ausgaben. Und damit eng verbunden, wie viele Experten, die in Leitlinien-Therapie-Empfehlungen etc. Geld bekommen von der Pharmaindustrie. […] Und der große Punkt C wären dann die Patientengruppen, Patienten-Selbsthilfegruppen. Da haben sie viel zu tun. Das wäre aber wichtig und das wären brandheiße Zahlen, wenn man es gescheit macht.“

282

5. Erhebung des Problembewusstseins/Ursachenforschung

Zukünftiger Forschungsbedarf wurde auch von einigen Experten (3 von 18 Befragten) im

Hinblick auf die Erhebung des vorherrschenden Problembewusstseins geortet, was mitunter

in die Ursachenforschung hineinfällt. Beispielsweise wurde seitens eines Vertreters der

Pharmaindustrie eine systematische Befragung der Spitalsärzte zur Erhebung ihres

Problembewusstseins vorgeschlagen; sprich, ob, von wem und in welchem Ausmaß sie sich

beeinflusst fühlen würden. Ein Gesundheitswissenschaftler empfahl, insbesondere die

Ansichten und das Bewusstsein der jüngeren Generation von Health Professionals im Hinblick

auf die Korruptionsthematik zu erheben.

Zitat aus Interview 9:

„Also ich würde, also wenn man mich jetzt fragt, dann die junge Generation. Also man hofft ja immer, dass es von Generation zu Generation besser ist, also ich würde mir wünschen, dass man die junge Generation von Health Professionals, dass man sich da mehr darum kümmert, ja, wie die das sehen. Also wie sehen sie Interessenkonflikte, wie sehen sie Korruption, wie sehen sie quasi den Umgang mit Macht. […] Also junge Generation, das ist für mich ein Forschungsfeld, ja.“

Zitat aus Interview 12:

„Also wahnsinnig spannend wäre wirklich, Ärzte einmal zu befragen, systematisch zu befragen ‚Wie sehen Sie das?‘, ‚Fühlen Sie sich beeinflusst?‘, ‚Von wem fühlen Sie sich beeinflusst?‘. Und eben nicht über die Ärztekammer, sondern eben nach irgendeiner Stichprobe, keine Ahnung, ja, wobei hier wahrscheinlich die Spitalsärzte am ehesten noch die sind, die die spannendsten sind, weil die halt in einem System arbeiten. Viele von den Einzelärzten schwimmen in ihrem eigenen Sumpf.“

Zitat aus Interview 14:

„Und dann wirklich eine Analyse, nämlich auf beiden Seiten, auf der gebenden und nehmenden Seite in Bezug auf die Frage des Bewusstseins. Also ein bisschen in die Motivforschung hineingehen, ja, also, wo beginnt, wo endet dieser Bereich, wo man den eigenen red-face-test nicht mehr besteht.“

6. Genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption

Drei von 18 Befragten orteten weiteren Forschungsbedarf im Hinblick auf die

Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem. Diese gehören besser

voneinander abgegrenzt und jede Form für sich erforscht. Als ein möglicher methodischer

Ansatz wurden seitens eines Gesundheitsjournalisten narrative Interviews vorgeschlagen, die

auf der Erzählung tatsächlicher Erlebnisse gründen.

283

Zitat aus Interview 9:

„Und dann Überdiagnostik, hab ich eh schon gesagt, Überdiagnostik ist für mich ein Forschungsfeld, weil es einfach derzeit so boomt in vielen Ländern, in vielen Bereichen. Das ist Überdiagnostik, Übertherapie.“

Zitat aus Interview 10:

„Also, das würde ich als interessanten Forschungsbereich nehmen, nämlich das vorhandene Wissen aus der Praxis des Gesundheitssystems in Form von Storytelling, von narrativer Erforschung, aufzubereiten. Weil, was wir versuchen ist ja permanent in Zahlen und Diagrammen darzustellen, was jeder Österreicher eh weiß. Warum sparen wir uns das nicht und fragen die, was sie wissen, konkret?“

Zitat aus Interview 13:

„Also was mich persönlich interessieren würde ist, einmal auch wirklich wissenschaftlich aufzubereiten, wo findet welche Form der Korruption, in welchen Bereichen des Gesundheitswesens statt?“

7. Weitere zukünftige Forschungsfelder

Weitere Forschungslücken, die im Rahmen der geführten Interviews vereinzelt genannt

worden sind, werden nachfolgend zusammengefasst wiedergegeben.

Als notwendig erachtet wurde seitens eines Patientenvertreters die wissenschaftliche

Erforschung des Einflusses bestimmter finanzieller Anreizmechanismen auf das Korruptions-

verhalten (z.B. Einkünfte aus Nebenbeschäftigungen oder Sonderklassegebühren).

Zitat aus Interview 4:

„Dann, glaube ich, wär‘s in den Organisationen, also bei großen Krankenhausträgern, eigentlich sehr interessant, bestimmte finanzielle Anreize, die durchaus mit einem anderen Hintergrund gekommen sind, einmal abzuklappern, welche Auswirkungen die haben, ob die nicht in Richtung Korruption wirken und diese Bereiche auch besondere finanzielle Trigger sind.“

Laut der Aussage eines Gesundheitswissenschaftlers wäre es ebenfalls interessant, sämtliche

(höherrangige) Beziehungsverflechtungen im österreichischen Gesundheitssystem zu

erfassen und gegebenenfalls wie in der Arbeit von Wild et al. (2015b, S. 40) grafisch

darzustellen.

Zitat aus Interview 9:

„Also wenn man das wirklich zeichnen könnte, wie es teilweise für andere Konglomerate wie Raiffeisen oder ganz klare Geflechte gibt, wer da mit wem und so. Also wenn man das mit, also von Baxter bis Gesundheitsministerium, Hauptverband, akademische Einrichtungen, MedUni und so, da hast

284

Personen, die sind miteinander Schule gegangen, die kennen sich super gut, ja. Und die, glaube ich, die sagen, für uns gilt das alles nicht. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht erwischt werden.“

Weiters regte ein Arzt an, dass es von zentraler Bedeutung wäre, das nationale

Korruptionsphänomen im internationalen Kontext (EU, OECD etc.) zu untersuchen. Über den

dadurch ausgelösten Reflexionsprozess könnte – insbesondere im Falle eines sehr schlechten

Abschneidens im Ländervergleich – ein höherer Veränderungsdruck auf die Politik ausgeübt

werden.

Zitat aus Interview 7:

„Ich glaube, es ist auch wichtig, immer wieder so ein internationales Benchmarking zu machen. […] Wenn man sagt, also, Transparenz im Gesundheitssystem und wie stehen wir da international – also im Kontext der OECD, im Kontext der EU. Ich glaube dieses Ranking, das ist noch ganz interessant, das führt dann immer zu so einem gewissen Reflexionsprozess und vielleicht auch zu einem gewissen Druck, Dinge zu ändern, Dinge anzugehen.“

Laut einem Gesundheitsökonomen gehört der Einfluss soziodemografischer Faktoren (Alter,

Geschlecht etc.) auf die Korruptionsanfälligkeit von Health Professionals zukünftig beforscht.

Die vermutete Annahme, dass Frauen und jüngere Personen weniger korrupt seien als Männer

und ältere Personen, konnte auf internationaler Ebene bislang nicht eindeutig bestätigt

werden (TI 2014, S. 2). Zwar liegen bereits mehrere Studien (Swamy et al. 2001; Frank et al.

2011; Rivas 2012) vor, die bestätigen, dass Frauen weniger korrupt seien als Männer,

allerdings ist diese Befundlage kritisch zu betrachten, da nicht eindeutig hervorgeht, was

durch wen beeinflusst wird (vgl. Kapitel 2.5).

Zitat aus Interview 5:

„Die Frage wird auch sein, was haben wir für eine Population auch bei den Medizinern. Sind alte Leute weniger korrupt, sind Frauen weniger korrupt, d.h. sozusagen Gender. […] Wir wissen eigentlich nicht, was wir uns einhandeln, entweder unterstellen wir, dass Menschen, wurscht welchen Geschlechts und welchen Alters oder, gleich anfällig sind oder gibt es Unterschiede, man weiß es einfach nicht.“

Des Weiteren wies ein Vertreter von Transparency International darauf hin, dass der gesamte,

schwer einsehbare niedergelassene Bereich – insbesondere der Wahlarztbereich – im Hinblick

auf Performance und Korruption einer objektiven Untersuchung unterzogen gehört, und zwar

von einer unabhängigen Stelle, d.h. weder von der Ärztekammer noch von der

Sozialversicherung.

285

Zitat aus Interview 1:

„In anderen zivilisierten Ländern gibt es Fokusgruppen, da wird beobachtet, wie handeln die praktischen Ärzte, das wollte man vor 30 Jahren hier einführen, niemand hat einen Strich getan, niemand. Keine, es gibt kein Monitoring der Performance, des Geschehens im niedergelassenen Bereich. Das geht nicht über Datenbanken, das geht wie die Holländer das vorexerziert haben, d.h., weil wir hier keine Transparenz haben, werden nur Geschichten erzählt. Und das ist ein Job, den braucht man. Weil ein System ohne Messung, von dem was vorgeht, geht daneben, kann explodieren und es kann unten ganz was anderes passieren als die Leute, die glauben. Das dauert dann recht lange bis dann so ein Feedback-Zyklus kommt.“

Schließlich gehöre auch die seitens eines Arztes geäußerte Annahme, dass größere Firmen

aufgrund vorliegender internationaler Spielregeln und der Furcht vor Imageverlusten eine

geringere Korruptionsanfälligkeit aufweisen würden als kleinere, wissenschaftlich beforscht.

Im näheren Zusammenhang sprach sich ein Vertreter der Pharmaindustrie auch dafür aus, die

Entwicklung des Pharmaimages über die letzten Jahre näher zu untersuchen.

Zitat aus Interview 13:

„Was man, glaube ich, wissenschaftlich auch sehr, sehr schön machen kann, ist, über die Jahre zu zeigen, wie jetzt das, was wir in der Industrie machen, nämlich Transparenz und Compliance, zu versuchen, wirklich hochzuhalten und vorzuleben, wie das nämlich auch den Nimbus der Industrie über die Jahre wieder verändert. Ja, unser Ziel ist, unser Ziel ist auch von diesem negativen Image natürlich wegzukommen und wieder als verlässlicher Partner im Gesundheitswesen anerkannt zu werden. Klar, ich sage das auch überall so. Und die Leute, die glauben, dass da hier auch mit Halbinformationen gearbeitet werden kann, die fallen meines Erachtens auf die Schnauze.“

Zuletzt sei noch angemerkt, dass nach Ansicht eines Arztes die Auseinandersetzung mit der

Korruptionsthematik grundsätzlich wertneutral zu erfolgen habe und idealerweise in

folgenden Schritten verlaufen sollte: Wissenschaftliche Begriffsdefinition Ist-Stand-

Erhebung ohne Schuldzuweisung Definition des Soll-Zustandes (Zielentwicklung) ohne

Moralisierung und in Abstimmung mit der Europäischen Union Prozessentwicklung

(Kommunikation, Aufklärung, Information etc.).

Zitat aus Interview 6:

„Und daher glaube ich, kann man auch Korruption nicht einfach nur von einem Blickwinkel sehen, sondern muss sie von mehreren Blickwinkeln sehen und ganz neutral ohne irgendein Moralisieren, ohne Schuldzuweisung den Ist-Stand erheben, ohne Moralisierung, den Wunsch-Zustand definieren und dann diesen Prozess definieren, wie komme ich dorthin, was sehr, sehr stark mit Aufklärung, mit Kommunikation zu tun hat und nicht mit Verurteilen und Strafen.“

286

5.7.8 Ebenenübergreifende Untersuchung ausgewählter Studienergebnisse

Ausgehend von den vorliegenden Studienergebnissen werden im folgenden Kapitel

ausgewählte, mitunter korruptionsanfälligste Bereiche im österreichischen

Gesundheitssystem einer ebenenübergreifenden Untersuchung unterzogen. Konkret

ausgedrückt: Die Ursachen und Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von

Korruption werden auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen

Gesundheitssystems (vgl. Kapitel 4.1.2) näher beleuchtet und ausgehend von den bisher

gesetzten Gegenmaßnahmen der zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen

abgeleitet. Ziel einer solchen ebenenübergreifenden Darstellung, die sich vor allem zur

Veranschaulichung komplexer Problemstellungen eignet, ist es, die potenziellen

gegenseitigen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Ebenen zu veranschaulichen. Dabei

weisen die Ergebnisse insgesamt darauf hin, dass insbesondere jene Maßnahmen, die auf der

Makroebene gesetzt werden, auf die unteren Ebenen einwirken. Von dort gehen nämlich

wesentliche Impulse zur idealen Ausrichtung der Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem

aus, die wiederum Einfluss auf das Verhalten auf der Meso- und Mikroebene nehmen. Die

ebenenübergreifende Untersuchung erfolgt anhand nachstehender Struktur (Tabelle 22).

Ebene Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf

Mak

ro

Me

so

Mik

ro

Tabelle 22: Bezugsrahmen zur ebenenübergreifenden Untersuchung ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption

Quelle: Verfasserin

287

1. Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner)

Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf

Mak

ro

Gesetzliche Fortbildungsverpflichtung

Fehlende unabhängige (öffentliche) Forschungs- und Fortbildungsfinanzierung

Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen bisher gesetzter Gegenmaßnahmen

Schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems

Kostenanstieg aufgrund hoher Arzneimittelausgaben

Qualitätsverlust durch die Fehlsteuerung des Systems

Verbot von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte

(§ 55b AMG)

Registrierungspflicht für nicht-interventionelle

Studien

Internationale und nationale Verhaltenskodizes (EFPIA, PHARMIG)

Unabhängiger Finanzierungstopf ODER öffentliche Finanzierung

Strengere Regulierung von Pharmareferenten/

Medizinproduktevertretern

Verbot jeglicher materieller Zuwendungen an Ärzte

Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang

Schärfere Kontrollen und Sanktionen

Vermehrte Transparenzschaffung (Verpflichtung zur namentlichen

Offenlegung finanzieller Zuwendungen, Veröffentlichung aller Studiendaten etc.)

Mes

o

Hoher Finanzierungsbedarf

Industriegesponserte Forschung, Fortbildung, Meinungsbildner, Fachgesellschaften etc.

Einsatz von Pharmareferenten/ Medizinproduktevertretern zur Produktvermarktung

Übermäßige Gewährung von Naturalrabatten an niedergelassene Ärzte

Mangelnde Kontrolle und Sanktionen

Industriegetriebene Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis

Reputationsschädigung

Organisationsinterne Verhaltenskodizes,

Compliance-Management-Systeme

Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen

seitens der Industrie (aktuell v.a. in aggregierter Form)

„Pharmaunabhängige Fortbildung“ (z.B. OÖGKK)

Schärfere Kontrollen und Sanktionen

Pharmaunabhängige Meinungs-bildner und Fachgesellschaften

(Einheitliche Entgeltsätze; Offenlegungspflichten)

Mik

ro

Mangelndes Problembewusstsein

Einkommensmaximierung/Habgier

Reziprozität

Fehlende Information/Wissenslücken

Finanzielle Abhängigkeit

Gesundheitliche oder finanzielle Schädigung der Patienten

Reputationsschädigung

Aufklärung, Bewusstseinsbildung

Offenlegung von Interessenkonflikten

Aufklärung, Bewusstseinsbildung

Forcierung der wissenschaftlichen Ausbildung von Medizinern

Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte

Tabelle 23: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner) Quelle: Verfasserin

288

Die Hauptursache für einen der korruptionsanfälligsten Bereiche im Gesundheitssystem – der

Zusammenarbeit zwischen der (Pharma-)Industrie und Medizinern – liegt vor allem auf der

Makroebene begründet. Dadurch, dass Ärzte der gesetzlichen Fortbildungsverpflichtung bei

gleichzeitiger fehlender öffentlicher Fortbildungsfinanzierung unterliegen, werden sie

regelrecht in die finanzielle Abhängigkeit der Industrie gedrängt – nicht zuletzt aufgrund stetig

steigender Fortbildungskosten (u.a. Kongressgebühren). Auf diese Weise geraten sie oft

unmerklich und unbewusst unter den Einfluss der Industrie. Ähnlich sieht es im Hinblick auf

die Finanzierung medizinischer Forschung (insbesondere der angewandten medizinischen

Forschung) aus. Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen geltender Regulative

seitens zuständiger Behörden begünstigen die Situation für die Industrie. Dies betrifft

insbesondere die Registrierungspflicht für nicht-interventionelle Studien sowie das

Naturalrabatteverbot (§ 55b AMG) an niedergelassene Ärzte, wodurch eine erhöhte Gefahr

besteht, dass diese auf der Meso- und Mikroebene aus nutzen- und einkommens-

maximierenden Gründen umgangen werden. Neben der industriellen Finanzierung von

Forschung und Fortbildung können auch der zielgerichtete Einsatz von Pharmareferenten/

Medizinproduktevertretern sowie industriegesponserte Meinungsbildner und Fach-

gesellschaften indirekt Einfluss auf das Verschreibungsverhalten von Medizinern nehmen.

Dies ist vorrangig auf das überwiegend noch wenig ausgeprägte Problem- und

Unrechtsbewusstsein auf der Mikroebene, die allseits bekannte Reziprozitätsregel

(„Quidproquo“) sowie auch auf den mangelnden Informations- und Wissensstand von

Medizinern im Hinblick auf die tatsächlichen Wirkungen und Nebenwirkungen von

Arzneimitteln/Medizinprodukten zurückführbar. Letzteres hängt wiederum mit der

mangelnden wissenschaftlichen Ausbildungsqualität und der dadurch ausbleibenden

Befähigung zum eigenständigen Lesen und unbeeinflussten Interpretieren von Studiendaten

zusammen.

Die Einflussnahme der Industrie auf Mediziner kann auf der Makroebene nicht nur zu einem

erheblichen Kostenanstieg aufgrund erhöhter Arzneimittelverschreibungen und -ausgaben

beitragen, sondern auch mit einem Qualitätsverlust über die Fehlsteuerung des Systems

einhergehen. Insbesondere kann industriegesponserte medizinische Forschung dazu führen,

dass Forschungsinhalte auf der Mesoebene in eine falsche (produktgetriebene) Richtung

gelenkt werden. Zudem kann es vorkommen, dass Studienergebnisse zwar nicht unbedingt

289

gefälscht, aber intransparent dargestellt („beschönigt“, „korrigiert“) oder gar nicht erst

publiziert werden („Publikationsbias“). Dadurch können hochpreisige, aber in Wahrheit

„wenig innovative“ Arzneimittel auf den Markt gelangen, die letztlich zulasten öffentlicher

Gesundheitsbudgets gehen. Industriesponsoring vermag sich auch im Bereich der Fortbildung

kontraproduktiv auszuwirken, indem nur selektiv in bestimmten (lukrativen) Bereichen

weitergebildet wird. Häufig werden die investierten Gelder seitens der Industrie über

Arzneimittelpreisverhandlungen zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets wieder

hereingeholt. Schließlich kann die übermäßige Einflussnahme der Industrie auf das

Verschreibungsverhalten von Medizinern auf der Mikroebene zur gesundheitlichen und/oder

finanziellen Schädigung der Patienten beitragen. Dies kann letztlich nicht nur die Reputation

und Glaubwürdigkeit der Industrie, sondern auch jene von Medizinern negativ beeinflussen.

Bislang gesetzte Maßnahmen zur Vorbeugung von Korruption an der Schnittstelle zwischen

Industrie und Ärzteschaft schließen auf der Makroebene das Naturalrabatteverbot (§ 55b

AMG), die Registrierungspflicht für nicht-interventionelle Studien sowie die Einführung und

Verschärfung von Verhaltenskodizes auf internationaler und nationaler Ebene (EFPIA-Kodex,

PHARMIG-Verhaltenskodex) ein. Organisationsinterne, teilweise noch strenger geregelte

Verhaltenskodizes sowie die Einführung umfassender Compliance-Management-Systeme auf

der Mesoebene ergänzen die Antikorruptionsbemühungen. Zudem hat sich die

pharmazeutische Industrie seit 2016 selbst zur Offenlegung sämtlicher finanzieller

Zuwendungen an Angehörige der Fachkreise und medizinische Institutionen verpflichtet.

Allerdings erfolgte dies bislang überwiegend in aggregierter Form, was lediglich bisweilen in

einer „intransparenten Transparenz“ gemündet hat. Vereinzelte Aktionen wie die

pharmaunabhängige Fortbildung seitens der OÖGKK stellen weitere Maßnahmen zur

Unterbindung industrieller Einflussnahme dar. Dank mehreren Aufklärungsarbeiten kam es

auf der Mikroebene bereits zu einer allmählichen Bewusstseinsschärfung und Sensibilisierung

sowie zur zunehmenden Praxis der Offenlegung von Interessenkonflikten.

Um die verdeckte Einflussnahme der Industrie auf Health Professionals zukünftig zu

unterbinden, bedarf es auf der Makroebene vor allem der Errichtung neuer unabhängiger

Finanzierungssysteme. In Frage käme einerseits ein unabhängiger Finanzierungstopf, der

mittels Geldern der Industrie gespeist werden könnte, die anschließend seitens einer

290

unabhängigen Stelle an die jeweiligen Zielgruppen verteilt werden könnten. Andererseits

besteht auch die Möglichkeit, dass die Forschungs- und Fortbildungsfinanzierung zukünftig

von der öffentlichen Hand übernommen wird, welche die Ausgaben über erneute

Preisverhandlungen mit der Industrie hereinzuholen vermag. Auf rechtlicher Ebene kämen die

strengere Regulierung von Pharmareferenten/Medizinproduktevertretern wie auch ein

gänzliches Verbot jeglicher materieller Zuwendungen an Ärzte in Betracht. Erstrebenswert

wäre auch die Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang, was wiederum mit schärferen

Kontroll- und Sanktionsmechanismen sowohl auf der Makro- als auch auf der Mesoebene

einhergehen müsste. Zudem bedarf es zukünftig vor allem der vermehrten

Transparenzschaffung, wie beispielsweise über die stärkere (gesetzliche oder vertragliche)

Verpflichtung der Ärzteschaft zur namentlichen Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte

aufgrund finanzieller oder persönlicher Beziehungen. Empfehlenswert wäre auch eine

(gesetzliche oder vertragliche) Verpflichtung zur Offenlegung sämtlicher Studiendaten, um

dem besagten „Publikationsbias“ zukünftig entgegenzuwirken. Einheitliche Entgeltsätze sowie

Offenlegungspflichten für pharmagesponserte Meinungsbildner und Fachgesellschaften

könnten ebenso dazu beitragen, deren Unabhängigkeit zukünftig sicherzustellen. Aufgrund

des vielerorts noch mangelnden Problem- und Unrechtsbewusstseins bedarf es auf der

Mikroebene nach wie vor der vermehrten Aufklärung und Bewusstseinsbildung sowie der

Stärkung der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals, um deren Abhängigkeit

und Beeinflussbarkeit durch die Industrie nachhaltig zu reduzieren.

291

2. Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen

Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf

Mak

ro

Ressourcenverknappung (Überversorgung)

Bereitgestellte Ressourcen im Gesundheitssystem

Gehaltsniveau der Spitalsärzte

Vertrauensverlust

Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems

KAKuG-Novelle 2011 (§ 5a Abs. 2 KAKuG)

Transparentes Wartelistenregime

Schärfere Kontrolle und Durchsetzung des transparenten

Wartelistenregimes

Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von

Sonderklassehonoraren

(Gehaltsanhebung)

Vermehrte Transparenzschaffung

Mes

o

Mangelhafte Umsetzung der KAKuG-Novelle

Umgehungsmöglichkeiten EDV-gestützter Anmeldesysteme („OPERA“)

Einkommensmaximierung

Mangelnde Kontrolle und Sanktionen

Mangelnde Vorbildwirkung der Führung

Versorgungsprobleme

Rationierungsgefahr

Veröffentlichung der Wartelisten auf der

Website (bislang nur in NÖ und OÖ)

Schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Einheitliche Kriterien für den

Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT)

Mik

ro

Mangelndes Unrechts- und Problembewusstsein

Einkommensmaximierung/Habgier

Mangelnde Meldebereitschaft der Patienten/Abhängigkeit vom Health Professional

Gesundheitliche und/oder finanzielle Schädigung der Patienten

Diskriminierung

Zwei-/Mehrklassenmedizin

Bisher wenige Maßnahmen

Aufklärung Bewusstseinsbildung

Health Literacy

Tabelle 24: Ebenenübergreifende Untersuchung – Umgehung von Wartelisten Quelle: Verfasserin

292

Die Umgehung von Wartelisten bzw. ungerechtfertigte Vorreihungen sind in erster Linie auf

eine Ressourcenverknappung auf der Makroebene zurückführbar, welche sich letztlich negativ

auf die Wartezeiten auszuwirken vermag. Eine solche Ressourcenverknappung kann aber

auch infolge einer Überversorgung (Überdiagnostik, Übertherapie) auftreten. Abgesehen

davon kann auch das aktuelle Gehaltsniveau der Spitalsärzte zur Einkommensmaximierung

auf der Meso- und Mikroebene über die bevorzugte Behandlung von zusatzversicherten oder

privaten Patienten (Einnahmen aus Sonderklassegebühren oder privaten Zuzahlungen)

verleiten. Ursachen auf der Mesoebene lassen sich hingegen vor allem in der mangelhaften

Umsetzung der KAKuG-Novelle auf der Landesebene sowie in der leichten Umgehung EDV-

gestützter Anmeldesysteme wie „OPERA“ verorten. Schließlich kann immer argumentiert

werden, dass eine Vorreihung medizinisch indiziert sei, was für die meisten Patienten

aufgrund ihrer mangelnden Gesundheitskompetenz nur schwer nachvollziehbar ist. Fehlende

Kontroll- und Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Dienstgeber sowie schlechte

(korrupte) Führungsvorbilder, die sich selbst an keinerlei Regeln und Vorschriften halten,

können zum vermehrten Auftreten ungerechtfertigter Vorreihungen beitragen. Auf der

Mikroebene wird die Problematik einerseits durch das mangelnde Unrechts- und

Problembewusstsein – sowohl seitens der Patienten als auch seitens Medizinern – forciert und

andererseits durch die mangelnde Meldebereitschaft der Patienten aufgrund ihrer

Abhängigkeit vom jeweiligen Gesundheitsdienstleister (Mediziner).

Die Umgehung von Wartelisten kann auf der Makroebene mit einem Vertrauensverlust

einhergehen, was letztlich das gesamte solidarische Gesundheitssystem unterminieren kann.

Auswirkungen auf der Mesoebene schließen mögliche Versorgungsprobleme und die damit

einhergehende Rationierungsgefahr ein. Auf der Mikroebene kann eine ungerechtfertigt

erwirkte Vorreihung zur folgenschweren gesundheitlichen Beeinträchtigung nachgereihter

Patienten führen. Zudem können auch Patienten durch eine „erkaufte“ Vorreihung in

finanzieller Hinsicht geschädigt werden. Jedenfalls schließt die Umgehung von Wartelisten

eine Diskriminierung normalversicherter Patienten gegenüber zusatzversicherter bzw.

privater Patienten ein, was langfristig in einer Zwei-/Mehrklassenmedizin münden kann.

293

Zu den bisherigen Maßnahmen, sogenannten „Terminbeschleunigern“ entgegenzuwirken,

zählt die Einführung des transparenten Wartelistenregimes im Rahmen der KAKuG-Novelle im

Jahr 2011, die auf der Mesoebene allerdings bislang nur in zwei Bundesländern (Nieder- und

Oberösterreich) gänzlich umgesetzt worden ist. Während in Oberösterreich die Wartezeiten

über die Homepages der jeweiligen Spitäler öffentlich einsehbar sind, können diese in

Niederösterreich sogar zwischen den einzelnen Spitälern über die Website des

Krankenanstaltenträgers (Niederösterreichische Landeskliniken-Holding) verglichen werden.

Maßnahmen auf der Mikroebene sind kaum bekannt, die Thematik wird lediglich immer

wieder in den Medien diskutiert.

Auf der Makroebene bedarf es zukünftig vor allem der verschärften Durchsetzung und

Kontrolle des transparenten Wartelistenregimes. Eine Neuregelung der Abrechnung und

Verteilung von Sonderklassehonoraren könnte dabei helfen, den fehlgeleiteten finanziellen

Anreiz zur Bevorzugung von zusatzversicherten bzw. privaten Patienten zu beseitigen. In

diesem Kontext käme evtl. auch eine (erneute) Anhebung der Spitalsärztegehälter in Frage.

Zudem muss zukünftig für mehr Transparenz gesorgt werden, insbesondere was die

Veröffentlichung von Wartelisten auf den Websites der jeweiligen Krankenanstalten und -

träger betrifft. Dies muss erforderlichenfalls mit schärferen Kontroll- und

Sanktionsmechanismen auf der Mesoebene einhergehen. Durch die Schaffung einheitlicher

Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT etc.) könnte einer Überversorgung

und der damit einhergehenden Gefahr der Ressourcenverknappung zusätzlich

entgegengewirkt werden. Um das individuelle Problem- und Unrechtsbewusstsein zu heben,

bedarf es auf der Mikroebene zukünftig insbesondere der vermehrten Aufklärung,

Bewusstseinsbildung sowie einer Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung

(Health Literacy).

294

3. Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen (SHG)

Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf

Mak

ro Mangelnde öffentliche

Finanzierung von Selbsthilfegruppen

Kostenanstieg durch die Schaffung falscher, unnötiger oder teurer Patientenbegehrlichkeiten

Internationale und nationale Verhaltenskodizes (EFPIA, PHARMIG)

Unabhängiger Finanzierungstopf ODER öffentliche Finanzierung

Vermehrte Transparenzschaffung

(Verpflichtung der SHG zur Offenlegung sämtlicher Zuwendungen etc.)

Mes

o Finanzierungsbedarf

Finanzielle Abhängigkeit von der Industrie

Industriegetriebene Information/Hilfestellung

Reputationsschädigung

Glaubwürdigkeitsverlust

Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen

seitens der Industrie

Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen

ARGE Selbsthilfe und Sponsoren

Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen einzelnen SHG und

Sponsoren (inkl. Zuwendungsgrenzen)

Schärfere Kontrollen und Sanktionen

Mik

ro Mangelndes

Problembewusstsein

Mangelnder Informations-stand/Wissenslücken

Gesundheitliche oder finanzielle Schädigung der Patienten

Bisher wenige Maßnahmen

Aufklärung Bewusstseinsbildung

Health Literacy

Tabelle 25: Ebenenübergreifende Untersuchung – Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen Quelle: Verfasserin

295

Aufgrund fehlender öffentlicher Finanzierungsmittel auf der Makroebene sind

Selbsthilfegruppen häufig auf das Sponsoring durch die (Pharma-)Industrie angewiesen.

Dadurch geraten sie oftmals unbewusst und unmerklich in die Abhängigkeit der Industrie und

laufen mitunter Gefahr, zur Direktvermarktung missbraucht zu werden. Dies wird durch das

mangelnde Problembewusstsein der Patienten auf der Mikroebene forciert, welche nur selten

in der Lage sind, die versteckten Marketingpraktiken der Industrie zu durchschauen. Hinzu

kommt ihre mangelnde Gesundheitskompetenz zur Beurteilung der medizinischen

Notwendigkeit, was ihre Empfänglichkeit für jedes noch so propagierte Arzneimittel etc.

zusätzlich erhöht.

Die Schaffung falscher, unnötiger oder teurer Patientenbegehrlichkeiten kann auf der

Makroebene zu einem hohen Kostenanstieg zulasten öffentlicher Gesundheitsbudgets

beitragen. Auf der Mesoebene kann die finanzielle Abhängigkeit von der (Pharma-)Industrie

ab einem gewissen Grad Einfluss auf das Agieren der Selbsthilfegruppe nehmen, wodurch eine

unabhängige Information und Hilfestellung nicht mehr sichergestellt sind. Langfristig

betrachtet, kann dies mit einem Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust der

Selbsthilfegruppe einhergehen. Vor allem aber besteht auf der Mikroebene die Gefahr, dass

Patienten in gesundheitlicher oder finanzieller Hinsicht geschädigt werden, sobald

kommerzielle Interessen vor ihr gesundheitliches Wohl gestellt und ihnen falsche, unnötige

oder überteuerte Therapien „aufgeschwatzt“ werden.

Im Hinblick auf bisherige Gegenmaßnahmen sieht die österreichische Situation wie folgt aus:

Auf Basis internationaler und nationaler Verhaltenskodizes (EFPIA-Kodex, PHARMIG-

Verhaltenskodex) hat sich die Industrie zur Offenlegung sämtlicher finanzieller Zuwendungen

an Selbsthilfegruppen verpflichtet. Zudem wurden Leitlinien für die Zusammenarbeit

zwischen der ARGE Selbsthilfe (Dachverband der Selbsthilfegruppen) und ihren jeweiligen

Sponsoren vereinbart, wobei bislang keine Zuwendungsgrenzen wie in Deutschland festgelegt

worden sind. Wenige bis gar keine Maßnahmen wurden bislang auf der Mikroebene gesetzt.

Zukünftig erscheint es notwendig, sich auf der Makroebene Gedanken über neue unabhängige

Finanzierungssysteme (unabhängiger Finanzierungstopf oder öffentliche Finanzierung) zu

machen. Zudem gehören im Sinne der vermehrten Transparenzschaffung auch

Selbsthilfegruppen zur Offenlegung sämtlicher Zuwendungen (per Gesetz oder Vertrag)

296

verpflichtet. Additiv sollten auf der Mesoebene auch Leitsätze für die Zusammenarbeit

zwischen den einzelnen Selbsthilfegruppen und ihren Sponsoren unter Festlegung bestimmter

Zuwendungsgrenzen vereinbart werden. Die Einhaltung solcher Leitsätze muss

dementsprechend kontrolliert und deren Missachtung sanktioniert werden. Ferner steht eine

kritische Auseinandersetzung mit den möglichen Interessenkonflikten, die in der

Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfegruppen und der Industrie entstehen können, noch aus,

wodurch es vor allem auf der Mikroebene der vermehrten Aufklärung, Bewusstseinsbildung

sowie Health Literacy bedarf.

297

4. Überversorgung (Übertherapie, Überdiagnostik, Krankheitserfindung)

Ursachen Auswirkungen Bisherige Maßnahmen Zukünftiger Handlungsbedarf

Mak

ro

Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

Gehaltsniveau der Spitalsärzte

Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem

Zusatzversicherungssystem

Kostenanstieg

Qualitätsverlust durch die Fehlsteuerung des Systems

Ressourcenverknappung

Bisher wenige Maßnahmen

Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen

Optimierung des Abrechnungssystems

Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren

(Gehaltsanhebung)

Mes

o Einkommensmaximierung

Mangelnde Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Reputationsschädigung

Glaubwürdigkeitsverlust

Bisher wenige Maßnahmen

Einheitliche Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT …)

Schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Mik

ro

Mangelndes Problembewusstsein

Einkommensmaximierung/ Habgier

Mangelnder Informationsstand/ Wissenslücken

Gesundheitliche oder finanzielle Schädigung der Patienten

Diskriminierung

Zwei-/Mehrklassenmedizin

Bisher wenige Maßnahmen

(Medienberichte)

Aufklärung Bewusstseinsbildung

Health Literacy

Tabelle 26: Ebenenübergreifende Untersuchung – Überversorgung Quelle: Verfasserin

298

Die Hauptursache für Überversorgung (Überdiagnostik, Übertherapie, Krankheitserfindung)

liegt vor allem auf der Makroebene begründet. Sowohl das Zusatzversicherungssystem als

auch das derzeitige Gehaltsniveau der Spitalsärzte sowie das bisherige, eher

quantitätsorientierte Abrechnungssystem (im stationären wie im ambulanten Bereich) stellen

fehlgeleitete finanzielle Anreize zur Leistungs- und Einkommensmaximierung auf der Meso-

und Mikroebene dar. Dadurch, dass die einzelnen Organisationen (z.B. Krankenanstalten)

selbst in finanzieller Hinsicht von einer vermeintlichen Überversorgung profitieren (z.B. über

die Einnahmen aus Sonderklassehonoraren), sind überflüssig erbrachte Gesundheits-

leistungen bislang wenig bis kaum kontrolliert und sanktioniert worden. Vor allem aber wird

Überversorgung durch das nach wie vor wenig ausgeprägte Problembewusstsein auf der

Mikroebene forciert. Vielerorts gilt noch das Motto: Mehr Medizin, mehr Gesundheit. Hinzu

kommt die mangelnde Gesundheitskompetenz der Patienten bzw. deren mangelnde

Urteilsfähigkeit hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit einer bestimmten Leistung.

Überversorgung kann auf der Makroebene zu einem deutlichen Kostenanstieg zulasten

öffentlicher Gesundheitsbudgets beitragen und mit einem erheblichen Qualitätsverlust über

die Fehlsteuerung des Systems einhergehen. Beispielsweise können überflüssig erbrachte

Gesundheitsleistungen eine Ressourcenverknappung hervorrufen, die sich wiederum auf die

Wartezeiten etc. auszuwirken vermag. Zudem laufen die einzelnen Organisationen auf der

Mesoebene Gefahr, ihre Reputation bzw. Glaubwürdigkeit zu verlieren, sobald vermehrt Fälle

von medizinisch überflüssiger Leistungserbringung an die Öffentlichkeit gelangen. Auf der

Mikroebene vermag sich Überversorgung negativ auf die Patientengesundheit auszuwirken,

da beispielsweise jede Diagnostik auch mit falschen Befunden einhergehen und jedes

Medikament auch Nebenwirkungen verursachen kann. Zudem ist – im Falle der privaten

Kostenübernahme für nicht kassenfinanzierte, unnötig erbrachte Gesundheitsleistungen –

auch eine finanzielle Schädigung der Patienten nicht ausgeschlossen. Dadurch, dass

überwiegend Privatpatienten bzw. zusatzversicherte Patienten (laut Berger & Bayer (2015) ca.

ein Drittel aller Österreicher) von der Überversorgung betroffen sind, kann eine solche

Diskriminierung langfristig in einer Zwei-/Mehrklassenmedizin münden.

Bislang wurden kaum Maßnahmen gegen die Überversorgung auf nationaler Ebene gesetzt –

zumindest sind der Autorin keine bekannt. Die Thematik wird nur gelegentlich in den Medien

diskutiert.

299

Um Überversorgung zukünftig einzudämmen, ist es unbedingt erforderlich, fehlgeleitete

finanzielle Anreizmechanismen auf der Makroebene, die zur Leistungs- und

Einkommensmaximierung auf der Meso- und Mikroebene verleiten, zu beseitigen. An

oberster Stelle stehen hierbei die Optimierung des Abrechnungssystems und die Neuregelung

der Verteilung und Abrechnung von Sonderklassehonoraren. In diesem Kontext könnte auch

über eine (erneute) Anhebung der Spitalsärztegehälter diskutiert werden. Auf der Mesoebene

gehören vor allem einheitliche Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT etc.)

festgelegt, was schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen nach sich ziehen müsste.

Angesichts des vielerorts noch fehlenden Problembewusstseins bedarf es zusätzlich auf der

Mikroebene der vermehrten Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Health Literacy.

300

5.8 Zusammenfassung der Ergebnisse

Ausgehend vom zugrunde liegenden Erkenntnisinteresse bzw. von den zu beantwortenden

Forschungsfragen werden nachstehend die zentralen Ergebnisse der empirischen

Untersuchung einschließlich daraus abgeleiteter Thesen, die es zukünftig empirisch

(quantitativ) zu überprüfen gilt, zusammengefasst. Viele der genannten Punkte finden sich

auch in der internationalen Literatur (vgl. Kapitel 2 und 3) bzw. in der spärlich vorliegenden

nationalen Literatur (vgl. Kapitel 4.2.3) wieder. Allerdings lieferten die Studienergebnisse

weitaus tiefere, detailliertere Einblicke in die Korruptionsthematik auf nationaler Ebene und

förderten mitunter auch neue Erkenntnisse zutage.

Bezugnehmend auf die erste Forschungsfrage („Wie wird der Begriff Korruption im Kontext

des Gesundheitssystems auf nationaler Ebene definiert?“) lässt sich Korruption im nationalen

Gesundheitssystem aus Expertensicht und in Anlehnung an vorherrschende Definitionen als

die „sachfremde Beeinflussung von Entscheidungen und Handlungen, die im Interesse des

öffentlichen Gesundheitssystems stehen, zum Vorteil einer Person oder Organisation, jedoch

zulasten unbeteiligter Dritter (u.a. Patienten, Health Professionals) bzw. der Allgemeinheit

(u.a. Steuerzahler, Versicherungsgemeinschaft)“ definieren.

Die zweite Forschungsfrage („In welcher Form findet Korruption in das nationale

Gesundheitssystem Eingang?“) kann wie folgt beantwortet werden: Insgesamt wurden acht

Einfallstore für Korruption im nationalen Gesundheitssystem eruiert, die allesamt auch auf

internationaler Ebene diskutiert werden. In der nachstehenden Tabelle (Tabelle 27) erfolgt

eine Zusammenfassung aller aufgedeckten Erscheinungsformen, die vorrangig nach ihrer

wahrgenommenen möglichen Korruptionsanfälligkeit aufgelistet werden. Die höchste

Korruptionsanfälligkeit wurde in der Zusammenarbeit der (pharmazeutischen) Industrie mit

Health Professionals geortet (Einflussnahme auf Forschung, Weiterbildung und

Verschreibungspraxis von Medizinern). Eine besonders hohe Korruptionsanfälligkeit wurde

auch in der Vergabe von Terminen für elektive Operationen und diagnostische Tests

(Umgehung von Wartelisten), in der öffentlichen Beschaffung, in (höherrangigen)

Beziehungsverflechtungen und daraus resultierenden Interessenkonflikten (Favoritismus,

Drehtürkorruption u.a.), in der Überversorgung sowie in der Leistungsabrechnung (vor allem

301

„Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssig erbrachter Leistungen) geortet. Darüber

hinaus wurden auch die Einflussnahme der pharmazeutischen Industrie auf Regulatoren

(Arzneimittelzulassung und -preise, Behördenaudits) und Patienten (Selbsthilfegruppen etc.),

der Missbrauch von Nebenbeschäftigungen (Umleitung von Patienten in die

Privatordination/Privatklinik, Nutzung öffentlicher Einrichtungen zur Behandlung privater

Patienten, Ausübung einer Nebenbeschäftigung während der Dienstzeiten) sowie auch

informelle Zahlungen (vor allem indirekte Zahlungen, wie z.B. die Erhebung einer

„überhöhten“ Ordinationsgebühr) mehrfach diskutiert. Hingegen wurden der E-Card-

Missbrauch und geringfügige Geschenke aufgrund der scheinbar geringen Relevanz kaum

bzw. nur auf Nachfrage hin thematisiert. Angemerkt sei, dass in der Überversorgung

(Überdiagnostik, Übertherapie, Krankheitserfindung) sowie in der Leistungsabrechnung (vor

allem „Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen) „neu erkannte“

Korruptionsphänomene identifiziert wurden, die allerdings bislang vielerorts nicht als solche

erkannt werden. Ausgehend von den gewonnenen empirischen Erkenntnissen wurden

nachstehende Thesen (theoriegestützt) abgeleitet:

E1 Pharmagesponserte medizinische Forschung und Fortbildung werden in eine

produktgetriebene Richtung gelenkt.

E2 Health Professionals (Mediziner), die finanzielle Zuwendungen seitens der Industrie

erhalten, verschreiben vermehrt deren Produkte.

E3 Trotz des gesetzlichen Verbotes werden Naturalrabatte an niedergelassene Ärzte nach wie

vor im Übermaß gewährt.

E4 Selbsthilfegruppen können von der Industrie zur Direktvermarktung missbraucht werden.

E5 Wartezeiten können mittels einer Zusatzversicherung, über den Umweg der

Privatordination oder mittels einer privaten Zuzahlung verkürzt werden.

E6 Im österreichischen Gesundheitssystem bestehen zahlreiche (höherrangige)

Beziehungsverflechtungen und (schwerwiegende) Interessenkonflikte, die nicht immer

offengelegt werden.

E7 Zusatzversicherte Patienten und Privatpatienten werden überversorgt.

302

Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

1. Interaktionen zwischen der (Pharma-)Industrie und Health Professionals, Patienten oder Regulatoren

Einflussnahme auf Forschung, Fortbildung, Verschreibungspraxis von Health Professionals (Medizinern)

Einflussnahme auf Patienten und Öffentlichkeit (Selbsthilfegruppen etc.)

Einflussnahme auf Arzneimittelzulassung, Arzneimittelpreise und Behördenaudits

2. Umgehung von Wartelisten/ungerechtfertigte Vorreihungen

über eine private Krankenzusatzversicherung, den Besuch einer Privatordination oder eine private Zuzahlung („Kuvertmedizin“)

3. Korruption in der öffentlichen Beschaffung

vor allem im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe (insbesondere Spitalsbauwesen) und im Einkaufs- und Beschaffungswesen öffentlicher Spitäler

4. Missbrauch persönlicher Verbindungen und einflussreicher (höherrangiger) Positionen

Favoritismus (ungerechtfertigte Vorteilsbeschaffung für Verwandte, Freunde etc.)

Drehtürkorruption (Korruption als Resultat schwerwiegender Interessenkonflikte, die

durch den Wechsel von einem privaten zu einem öffentlichen Arbeitgeber – und

umgekehrt – hervorgerufen werden)

(Lobbyismus)

5. Überversorgung

Übertherapie und Überdiagnostik

„Disease Mongering“ (Krankheitserfindung)

6. Abrechnungsbetrug

vor allem die Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen im ambulanten oder stationären Bereich über „Upcoding“ oder die Erbringung und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen

7. Missbrauch von Nebenbeschäftigungen

Umleitung von Patienten in die eigene Privatordination/Privatklinik

Nutzung öffentlicher Einrichtungen zur Behandlung privater Patienten

Ausübung einer Nebenbeschäftigung während der Dienstzeiten („Absentismus“)

8. Informelle Zahlungen/Kuvertmedizin

Zahlungen für Leistungen, die Patienten kostenlos zur Verfügung stehen sollten, oder für den Erwerb einer „besseren“ bzw. „bevorzugten“ Behandlung

vor allem indirekte Zahlungen, wie beispielsweise die Erhebung einer „überhöhten“ Ordinationsgebühr

Tabelle 27: Erscheinungsformen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin

Im Hinblick auf die dritte Forschungsfrage („Welche Ursachen lassen sich für die identifizierten

Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?“) lässt sich

Folgendes festhalten: Die Hauptursache für Korruption wurde mehrheitlich auf der

Makroebene, von der wesentliche Impulse zur Ausrichtung des Gesundheitssystems

ausgehen, geortet, wodurch diese wiederum Einfluss auf die Meso- und Mikroebene nimmt.

303

Laut Expertenansicht stellen fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen (fehlende

unabhängige Finanzierungssysteme – vor allem im Bereich der medizinischen Forschung und

Fortbildung –, unangemessene Gehälter der Spitalsärzte, quantitätsorientierte

Abrechnungssysteme, das Zusatzversicherungssystem), mangelnde Kontroll- und

Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Behörden (vor allem im Hinblick auf bislang

gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen) sowie bestehende gesetzliche Regelungslücken (u.a.

fehlender gesetzlicher Schutz für Whistleblower, Ausschluss niedergelassener Ärzte vom

Korruptionsstrafrecht, fehlende einheitliche Regelung zur Abrechnung und Verteilung von

Sonderklassehonoraren) die größten Ursachen von Korruption auf der Makroebene dar.

Vielfach beanstandet wurden auch die anhaltende Intransparenz (u.a. mangelnde

(namentliche) Offenlegungsbereitschaft von Interessenkonflikten aufgrund finanzieller oder

persönlicher Beziehungen, intransparente Veröffentlichung von Studiendaten sowie

Spitalskompass- und Outcome-Daten, intransparente Entscheidungsprozesse) sowie die

mangelnde Antikorruptionskultur und der fehlende politische Wille/Mut zur Veränderung.

Knappe Ressourcen sowie die schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems im Hinblick

auf die gesundheitsbezogene Ausbildung der Bevölkerung („Health Literacy“) sowie die

wissenschaftliche Ausbildung von Health Professionals (insbesondere von Medizinern)

wurden ebenfalls mehrmals genannt. Als korruptionsförderlich wurden auch die in der

Literatur häufig angeführte Drittzahlerkonstruktion sowie der Föderalismus im nationalen

Gesundheitssystem geheißen. Die meistgenannten Ursachen auf der Mesoebene schließen

ebenfalls fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen (Einnahmen aus Sonderklasse-

gebühren, Gestattung von Nebenbeschäftigungen) sowie mangelnde Kontroll- und

Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Dienstgeber (vor allem im Hinblick auf die

Einhaltung von Verhaltenskodizes und unangemessene Nebenbeschäftigungen) ein. Weitere

mehrfach angeführte Ursachen umfassen die organisationale Nutzenmaximierung über die

„Tolerierung“ bestimmter Verhaltensweisen sowie schlechte (korrupte) Führungsvorbilder,

die sich letztlich negativ auf das Verhalten der eigenen Mitarbeiter auszuwirken vermögen. Zu

den meistgenannten Korruptionsursachen auf der Mikroebene zählen mangelndes Problem-

und Unrechtsbewusstsein der Health Professionals (Mediziner) und Patienten im Hinblick auf

die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem sowie die individuelle Neigung zur

Nutzen-/Einkommensmaximierung bzw. Habgier. Weiters wurde Korruption auf der

Mikroebene mehrmals auf den Grundsatz der Reziprozität („eine Hand wäscht die andere“),

304

die mangelnde Meldebereitschaft der Patienten, unterschiedliche Wertvorstellungen sowie

fehlende Informationen bzw. Wissenslücken der Patienten und Health Professionals

(Mediziner) zurückgeführt. Weitere Ursachen wurden in der empfundenen Ungerechtigkeit

bzw. mangelnden Wertschätzung von Health Professionals (Medizinern), in ihrer finanziellen

Abhängigkeit von Dritten (Industrie) sowie erhöhten Anfälligkeit für Schmeicheleien geortet.

Die dargelegten Ursachen decken sich weitgehend mit jenen in der Literatur (vgl. Kapitel 2.5

und 3.5). Neu erworbene (österreichspezifische) Erkenntnisse schließen vor allem genannte

fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen im nationalen Gesundheitssystem, spezifische

rechtliche Regelungslücken, die schlechte Qualität des Aus- und Fortbildungssystems und

daraus resultierende fehlende Informationen und Wissenslücken der Patienten und Health

Professionals (Mediziner) sowie den mangelnden politischen Willen/Mut zur Veränderung

ein. Weiters genannt seien die mangelnde Meldebereitschaft der Patienten sowie die

mangelnde Wertschätzung von Health Professionals, ihre finanzielle Abhängigkeit von Dritten

und erhöhte Anfälligkeit für Schmeicheleien. Ausgehend von den gewonnenen empirischen

Erkenntnissen wurden nachstehende Thesen theoriegestützt abgeleitet:

U1 Die Korruptionsanfälligkeit von Spitalsärzten hängt von ihrem Gehaltsniveau ab.

U2 Die Maximierung/Optimierung von Leistungsabrechnungen wird durch das bestehende

quantitätsorientierte Abrechnungssystem im ambulanten und stationären Bereich forciert.

U3 Die Ressourcenverknappung resultiert größtenteils aus der Überversorgung.

U4 Österreich hinkt in der gesundheitsbezogenen Ausbildung der Bevölkerung („Health

Literacy“) sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung der Mediziner hinterher.

U5 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist im

nationalen Gesundheitssystem noch zu wenig ausgeprägt.

U6 Das Unrechts- und Problembewusstsein in Bezug auf die Korruptionsthematik ist bei der

jüngeren Generation von Health Professionals stärker ausgeprägt als bei der älteren.

U7 Die Bereitschaft der Patienten, bestimmte Korruptionsfälle zu melden, ist gering.

305

Was die vierte Forschungsfrage („Welche Auswirkungen lassen sich für die identifizierten

Erscheinungsformen von Korruption auf den einzelnen Systemebenen erschließen?“) betrifft,

so kann diese – in weitgehender Übereinstimmung mit der vorliegenden Literatur (vgl. Kapitel

2.6 und 3.4) – wie folgt beantwortet werden: Die meistgenannten Auswirkungen von

Korruption auf der Makroebene reichen von einem Kostenanstieg über einen Qualitätsverlust

durch die Fehlsteuerung des Systems bis zu einem Vertrauensverlust und der damit

einhergehenden Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems. Des Weiteren wurde

auch auf einen möglichen Innovationsrückgang, der sich letztlich negativ auf die zukünftige

notwendige Entwicklung des Gesundheitssystems auszuwirken vermag, hingewiesen. Die

wesentlichste Auswirkung auf der Mesoebene, die in diesem Kontext am häufigsten diskutiert

worden ist, schließt die industriegetriebene Forschung, Fortbildung und Verschreibungspraxis

von Health Professionals (Medizinern) ein. Ferner wurden auch die finanzielle Schädigung des

Dienstgebers und dessen Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust sowie die Zersetzung

organisationaler Wertesysteme genannt. Zu den meistgenannten Auswirkungen von

Korruption auf der Mikroebene zählen die gesundheitliche und/oder finanzielle Schädigung

der Patienten, deren Ungleichbehandlung/Diskriminierung und die damit einhergehende

Entwicklung in Richtung Zwei-/Mehrklassenmedizin sowie die Entsolidarisierung/

Demoralisierung der Gesellschaft. Ferner wurde auch ein individueller Glaubwürdigkeits- und

Reputationsverlust erwähnt. Die wichtigste Erkenntnis bzw. Annahme, die in diesem Kontext

mehrmals geäußert wurde und auf Basis derer folgende These abgeleitet wurde, lautet:

A1 Die Zwei-/Mehrklassenmedizin hat bereits Eingang in das österreichische

Gesundheitssystem gefunden.

Zur besseren Übersicht werden in der nachstehenden Tabelle (Tabelle 28) die zentralen

Ergebnisse der empirischen Untersuchung zu den Ursachen und Auswirkungen von Korruption

auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen Gesundheitssystems

zusammengefasst. Die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Ebenen sind durch Pfeile

gekennzeichnet.

306

Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Ursachen Auswirkungen

Mak

roe

be

ne

• Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

Fehlende unabhängige Finanzierungssysteme

Gehaltsniveau der Spitalsärzte

Quantitätsorientiertes Abrechnungssystem

Zusatzversicherungssystem • Mangelnde Kontroll-/Sanktionsmechanismen • Gesetzliche Regelungslücken • Intransparenz • Mangelnde Antikorruptionskultur • Mangelnder politischer Wille zur Veränderung • Ressourcenverknappung • Schlechte Qualität des Aus-/Fortbildungssystems • Drittzahlerkonstruktion • Politisches System/Föderalismus

• Kostenanstieg • Qualitätsverlust Fehlsteuerung

des Systems • Vertrauensverlust

Unterminierung des solidarischen Gesundheitssystems

• Innovationsbarriere Entwicklungsbremse

Mes

oeb

ene

• Fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen

Einnahmen aus Sonderklassegebühren

Gestattung von Nebenbeschäftigungen • Mangelnde Kontroll-/Sanktionsmechanismen • Nutzenstiftung für die Organisation • Mangelnde Vorbildwirkung der Führung

• Industriegetriebene Fortbildung, Forschung, Verschreibungspraxis von Health Professionals

• Schädigung der Finanzen und Reputation des Dienstgebers

• Zerstörung organisationaler Wertesysteme

Mik

roe

be

ne

• Mangelndes Unrechts-/Problembewusstsein • Nutzen-/Einkommensmaximierung/Habgier • Reziprozität/Beziehungspflege • Mangelnde Meldebereitschaft der Patienten • Fehlender Informationsstand/Wissenslücken • Unterschiedliche Wertvorstellungen • Empfundene Ungerechtigkeit/mangelnde

Wertschätzung • Finanzielle Abhängigkeit • Anfälligkeit für Schmeicheleien

• Gesundheitliche/finanzielle Schädigung der Patienten

• Diskriminierung Zwei-/Mehrklassenmedizin

• Demoralisierung/ Entsolidarisierung

• Reputationsschädigung

Tabelle 28: Ursachen und Auswirkungen von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem Quelle: Verfasserin

Im Hinblick auf die fünfte und mitunter wichtigste Forschungsfrage („Welcher zukünftige

Handlungsbedarf kann ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen für

eine nachhaltige Korruptionsprävention und -eindämmung auf den einzelnen Systemebenen

abgeleitet werden?“) lieferte die empirische Untersuchung folgende Ergebnisse: Trotz bislang

gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen besteht auf allen drei Ebenen des Gesundheitssystems

– insbesondere auf der Makro- und Mikroebene – noch genügend Handlungsbedarf. Laut

Expertensicht liegt einer der wichtigsten Stellhebel zur nachhaltigen Korruptionseindämmung

307

auf der Makroebene in der Beseitigung fehlgeleiteter, finanzieller Anreizmechanismen

(Einrichtung unabhängiger Finanzierungssysteme – vor allem im Bereich der medizinischen

Forschung und Fortbildung –, strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Optimierung

des Abrechnungssystems, Anhebung der Spitalsärztegehälter, Neuregelung der Verteilung

und Abrechnung von Sonderklassehonoraren). Weitere vielfach genannte Handlungsfelder

umfassen die vermehrte Transparenzschaffung (u.a. Verpflichtung zur namentlichen

Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte aufgrund persönlicher oder finanzieller

Beziehungen, „transparentere“ Wartelistenregime, Veröffentlichung sämtlicher

Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren, Veröffentlichung aller Studien- und

Spitalskompass- und Outcome-Daten) sowie die Verschärfung von Kontroll- und

Sanktionsmechanismen seitens zuständiger Behörden (vor allem im Hinblick auf bislang

gesetzte Antikorruptionsmaßnahmen). Mitunter wurden auch die (Weiter-)Entwicklung

geeigneter Monitoringstrukturen im niedergelassenen Bereich (vor allem im Wahlarztbereich)

sowie der Ausbau der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur effektiveren

Verfolgung und Ahndung aufgedeckter Korruptionsfälle im nationalen Gesundheitssystem als

notwendig erachtet. Weitere Änderungsvorschläge auf der Makroebene beziehen sich auf die

aktuelle rechtliche Situation (u.a. Schaffung eines eigenständigen Antikorruptionsgesetzes im

Gesundheitssystem, Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang, Verbot jeglicher

Zuwendungen an Mediziner, Neuregelung und teilweise Einschränkung von

Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern, Schaffung eines eigenständigen

Whistleblower-Schutzgesetzes). Ferner wurden auch ein fundamentaler System- und

Strukturwandel (Aushebelung des Föderalismus, Angestelltensystem niedergelassener Ärzte,

Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger und unterschiedlicher Finanzierungsströme

im Gesundheitssystem („Finanzierung aus einer Hand“) u.a.) sowie die Errichtung einer

eigenen anonymen Korruptionsmelde- und Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem zur

Prävention und Kontrolle empfohlen. Vereinzelt genannte Verbesserungsvorschläge schließen

die Forcierung von Generika sowie die Einrichtung einer zentralen Stelle für die Freigabe

gesundheitsbezogener Kampagnen und für die Durchführung des Mystery Shoppings ein. Auf

der Mesoebene wurden ebenfalls vorrangig schärfere Kontroll- und Sanktionsmechanismen

seitens zuständiger Dienstgeber zur effektiveren Korruptionseindämmung empfohlen. Als

notwendig erachtet wurden auch die Stärkung der Vorbildfunktion der Führung sowie die

aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion vermeintlicher Überversorgung. Auf der

308

Mikroebene liegt der zukünftige Handlungsbedarf vor allem in der vermehrten Aufklärung,

Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung gegenüber der Korruptionsthematik (vor allem

mit Blick auf neu erkannte Korruptionsphänomene wie Überversorgung und „Upcoding“). Dies

stellt – neben der Beseitigung fehlgeleiteter Anreizmechanismen auf der Makroebene –

überhaupt einen der wichtigsten Schlüssel zur nachhaltigen Korruptionseindämmung dar.

Mehrfach genannt wurde auch die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Patienten (Health

Literacy) und der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals (insbesondere von

Medizinern), um deren Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit von Dritten (Leistungserbringern,

Meinungsbildnern, Industrie etc.) und somit deren Korruptionsanfälligkeit zu reduzieren. Der

aufgedeckte Verbesserungs- und Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptionseindämmung

im österreichischen Gesundheitssystem deckt sich größtenteils mit den Empfehlungen, die

auch aus der internationalen und nationalen Literatur (vgl. Kapitel 3.6 und TI-AC 2010, S. 29)

hervorgehen. Allerdings wurden weitaus konkretere bzw. auch neue Vorschläge im Hinblick

auf die Thematik auf nationaler Ebene unterbreitet. Nachfolgende Tabelle (Tabelle 29) liefert

einen detaillierten Überblick über die wichtigsten Studienergebnisse im Hinblick auf den

zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen Korruptionseindämmung auf den

unterschiedlichen Systemebenen des österreichischen Gesundheitssystems.

Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen

Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme (unabhängiger Finanzierungstopf, öffentliche Finanzierung etc.)

Strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen (Einführung von Genehmigungspflichten, Nebenbeschäftigungsverbot etc.)

Optimierung des Abrechnungssystems im ambulanten und stationären Bereich (Entwicklung qualitätsorientierter Abrechnungssysteme, Vereinheitlichung unterschiedlicher Honorarordnungen, Neuregelung der Betriebsabgangsdeckung)

Anhebung der Spitalsärztegehälter

Neuregelung der Abrechnung und Verteilung von Sonderklassehonoraren • Vermehrte Transparenzschaffung

Verpflichtung zur namentlichen Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte aufgrund persönlicher oder finanzieller Beziehungen

„Transparentere“ Wartelistenregime

Veröffentlichung sämtlicher Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren (insbesondere seitens der österreichischen Ärztekammer)

Veröffentlichung aller Studiendaten sowie Spitalskompass- und Outcome-Daten

Transparente Preisgestaltung bei Arzneimitteln

Angabe der konkreten Diagnose bei Arzneimittelverschreibungen

Regelung der Zusammenarbeit von Wirtschaftsunternehmen und Selbsthilfegruppen, Festsetzung prozentualer Zuwendungsgrenzen

Mak

roe

be

ne

309

• Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Schärfere Sanktionierung von Abrechnungsbetrug

Schärfere Kontrolle und Sanktionierung der Umgehung des Antikorruptionsgesetzes, des Naturalrabatteverbots, des transparenten Wartelistenregimes, der Registrierungspflichten nicht-interventioneller Studien und Lobbying-Tätigkeiten

(Weiter-)Entwicklung und Forcierung geeigneter Monitoringstrukturen im niedergelassenen Bereich (vor allem im Wahlarztbereich)

Einsatz des Mystery Shoppings im Verdachtsfall

Auslagerung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen der Ärztekammer an eine unabhängige Behörde

Ausbau der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft für eine effektivere Verfolgung und Ahndung aufgedeckter Korruptionsfälle

• Erforderliche Änderungen auf juristischer Ebene

Schaffung eines eigenständigen Antikorruptionsgesetzes im Gesundheitssystem

Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang

Verbot jeglicher Zuwendungen an Mediziner

Schaffung eines eigenständigen Whistleblower-Schutzgesetzes

Neuregelung/Einschränkung von Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern

Gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung der Vergabe und Beschaffung von Medizinprodukten und diagnostischen Großgeräten

• Fundamentaler System- und Strukturwandel

Aushebelung des Föderalismus

Angestelltensystem niedergelassener Ärzte

Zusammenlegung unterschiedlicher Finanzierungsströme im Gesundheitssystem („Finanzierung aus einer Hand“) und der Sozialversicherungsträger

• Errichtung einer anonymen Korruptionsmeldestelle und einer weisungsfreien, unabhängigen Antikorruptionsstelle im Gesundheitssystem

• Weitere Verbesserungsvorschläge

Forcierung von Generika

Einrichtung einer zentralen Stelle für die Freigabe gesundheitsbezogener Kampagnen und für die Durchführung des Mystery Shoppings

Mes

oeb

ene

• Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen

Schärfere Kontrolle und Sanktionierung der Umgehung von Verhaltenskodizes und Wartelisten, des Nachgehens unangemessener Nebenbeschäftigungen sowie einer vermeintlichen Überversorgung

• Stärkung der Vorbildfunktion der Führung • Aktive Maßnahmenergreifung zur Reduktion von Überversorgung

Schaffung einheitlicher Kriterien für den Einsatz bestimmter Diagnostika (MRT, CT)

Ersatzlose Streichung bestimmter Gesundheitsleistungen

Mik

roe

be

ne

• Forcierung der öffentlichen Bewusstseinsbildung, Aufklärung und Sensibilisierung

Awareness-Kampagnen, Aufklärungsarbeiten

Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts an Schulen und medizinischen Universitäten

• Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung („Health Literacy“) bzw. der wissenschaftlichen Kompetenz von Health Professionals

Förderung der gesundheitsbezogenen Ausbildung der Bevölkerung

Förderung der wissenschaftlichen Ausbildung der Health Professionals (Mediziner)

Tabelle 29: Zukünftiger Handlungsbedarf zur Eindämmung von Korruption im österreichischen Gesundheitssystem

Quelle: Verfasserin

310

Was den zukünftigen Forschungsbedarf in Bezug auf die sechste Forschungsfrage („Wie sieht

der zukünftige Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen

Gesundheitssystem aus?“) betrifft, so deckt sich dieser in vielen Punkten mit der

internationalen Literatur (vgl. Kapitel 2.9 und 3.8). Laut mehrheitlicher Expertenansicht bedarf

es vor allem der Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung bislang gesetzter

Antikorruptionsmaßnahmen (z.B. im Hinblick auf eingeführte Verhaltenskodizes, Compliance-

Management-Systeme). Mehrmals wurden auch die wissenschaftlich fundierte Klärung des

Korruptionsbegriffes und seine Abgrenzung gegenüber verwandteren Konstrukten genannt,

um zumindest auf nationaler Ebene zu einem gesellschaftlich einheitlichen

Begriffsverständnis zu gelangen. Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Begriffsdefinition von

Korruption im Kontext des Gesundheitssystems kann als erster Entwicklungsschritt in diese

Richtung betrachtet werden. Des Weiteren wurde auch mehrfach die quantitative Erhebung

des Korruptionsausmaßes im Gesundheitssystem (einschließlich der Untersuchung des

wahrgenommenen West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälles) als notwendig erachtet, um anhand

realer Zahlen und Daten die Relevanz der Thematik auf nationaler Ebene zu veranschaulichen.

Mehrere Experten schlugen auch die Untersuchung des Ausmaßes von Industriesponsoring

und dessen Einflussnahme auf das Agieren von Health Professionals, Fachgesellschaften und

Selbsthilfegruppen sowie die Erhebung des nationalen Problembewusstseins im Hinblick auf

die Thematik vor. Eine genauere Erforschung und Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen

von Korruption im nationalen Gesundheitssystem wurde ebenfalls empfohlen. Weitere

vereinzelt genannte Forschungsfelder schließen u.a. die Untersuchung des Einflusses

finanzieller Anreizmechanismen auf das Korruptionsverhalten (z.B. Einkünfte aus

Sonderklassehonoraren und Nebenbeschäftigungen), die Erfassung und Darstellung

sämtlicher (höherrangiger) Beziehungsverflechtungen im nationalen Gesundheitssystem

sowie das Monitoring der Performance und der Korruption im niedergelassenen Bereich (vor

allem im Wahlarztbereich) ein.

Was die siebte und letzte Forschungsfrage („Wie sehen die spezifischen potenziellen

ebenenübergreifenden Ursachen-Wirkungszusammenhänge ausgewählter Erscheinungs-

formen von Korruption aus und welcher konkrete zukünftige Handlungsbedarf lässt sich

ausgehend von den bislang gesetzten Gegenmaßnahmen auf den einzelnen Ebenen

ableiten?“) betrifft, so sei an dieser Stelle auf die jeweiligen Tabellen (vgl. Tabelle 23 bis 26) in

311

Kapitel 5.7.8 verwiesen. Angemerkt sei Folgendes: Im Rahmen der ebenenübergreifenden

Untersuchung ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption (Einflussnahme der

(Pharma-)Industrie auf Health Professionals (Mediziner), Umgehung von Wartelisten,

Einflussnahme der (Pharma-)Industrie auf Selbsthilfegruppen, Überversorgung) hat sich

gezeigt, dass die einzelnen Systemebenen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden

können, da sie in potenzieller Wechselwirkung zueinander stehen. Den Ergebnissen zufolge

wirken insbesondere Maßnahmen, die auf der Makroebene gesetzt werden, auf die unteren

Ebenen ein. Von dort gehen nämlich wesentliche Impulse zur idealen Ausrichtung der

Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem aus, die wiederum Einfluss auf das Verhalten auf

der Meso- und Mikroebene nehmen.

Zusätzlich wurde im Rahmen der geführten Interviews das wahrgenommene Ausmaß von

Korruption erhoben, welches allerdings nicht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses stand

und daher auch keine eigenständige Forschungsfrage darstellte. Dies ist in erster Linie auf die

Schwierigkeit der subjektiven Einschätzung der Korruptionsverbreitung und ihre geringe

Aussagekraft aufgrund des hohen Dunkelfeldes zurückzuführen. Folglich ließen die Aussagen

nur eine grobe Einschätzung des Korruptionsausmaßes in Österreich zu: Die Minorität der

Befragten ging im Ländervergleich von keinem ernsthaften Korruptionsproblem aus bzw. von

einem allmählichen Rückgang dank bisher gesetzter Antikorruptionsbemühungen in den

letzten zehn Jahren. Im Gegensatz dazu schätzte die Majorität der Befragten das Ausmaß mit

dem Hinweis auf bestehende „Schlupflöcher“ und gewisse Graubereiche von Korruption

weitaus höher ein bzw. zwischen 3 % und 10 % der österreichischen Gesundheitsausgaben.

Zudem wurde mehrmals der Verdacht geäußert, dass es in Österreich ein starkes West-Ost-

bzw. Nord-Süd-Gefälle gäbe, d.h., dass die Korruptionsanfälligkeit bzw. das Korruptions-

ausmaß innerstaatlich aufgrund unterschiedlicher kultureller Prägungen variiere. Ausgehend

von dieser Erkenntnis wurde folgende These abgeleitet:

V1 In Österreich besteht im Hinblick auf das innerstaatliche Korruptionsausmaß bzw. die

innerstaatliche Korruptionsanfälligkeit ein starkes West-Ost- bzw. Nord-Süd-Gefälle.

312

5.9 Diskussion der Ergebnisse

Im Rahmen der Diskussion der Forschungsergebnisse werden zunächst deren zentralen

Inhalte und anschließend ihre wissenschaftliche und praktische Relevanz diskutiert. Es folgt

eine kritische Reflexion der angewandten Methodik bzw. die Beurteilung der Qualität der

Studie anhand wichtiger Gütekriterien. Abschließend werden einige wichtige Limitationen der

Studie aufgezeigt. Angemerkt sei, dass die diskutierten Punkte hauptsächlich die Meinung der

Autorin widerspiegeln.

Im Zuge der explorativen, qualitativen Untersuchung hat sich gezeigt, dass Korruption im

nationalen Gesundheitssystem nach wie vor ein Thema darstellt, das die Menschen bewegt.

Obwohl von einem wahrgenommenen Korruptionsrückgang im Gesundheitssystem dank

bisher gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen ausgegangen wird, fiel gleichzeitig der Hinweis

auf bestehende „Schlupflöcher“ und neu erkannte Korruptionsphänomene (Überversorgung,

„Upcoding“), bei denen es noch massiv an Transparenz und Problembewusstsein in der

öffentlichen Diskussion mangelt. Unter Einbeziehung aller Graubereiche von Korruption

könnten laut mehrheitlicher Expertenansicht die international geschätzten 3 % bis 10 % der

Gesundheitsausgaben, die jährlich durch Korruption verloren gehen, durchaus in Frage

kommen. Allerdings bleibt das wahre Ausmaß von Korruption aufgrund fehlender Daten und

Zahlen nach wie vor im Verborgenen. Angesichts stetig steigender Gesundheitsausgaben,

zunehmender Ressourcenknappheit und der Frage nach Effektivitäts- und Effizienz-

steigerungspotenzialen im nationalen Gesundheitssystem kann aber davon ausgegangen

werden, dass die Korruptionsproblematik die österreichische Politik und Gesellschaft

zukünftig noch stärker beschäftigen wird. Dabei sollte laut Expertenansicht der zukünftige

Handlungsschwerpunkt vor allem auf die öffentliche Bewusstseinsbildung und die damit

einhergehende Schaffung einer Antikorruptionskultur, die Beseitigung fehlgeleiteter

finanzieller Anreizmechanismen (z.B. Errichtung unabhängiger Finanzierungssysteme,

strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Optimierung des Abrechnungssystems,

Neuregelung der Verteilung und Abrechnung von Sonderklassehonoraren) sowie die

Forcierung von Transparenz und Unabhängigkeit gelegt werden. Damit einhergehen sollten

geeignete Repressionsmaßnahmen (Schließung gesetzlicher Regelungslücken; Verschärfung

der Kontroll- und Sanktionsmechanismen, wofür mitunter auch ein Ausbau der Wirtschafts-

und Korruptionsstaatsanwaltschaft notwendig wäre). Folglich schließt der zukünftige

313

Handlungsbedarf Maßnahmen auf allen drei Ebenen des österreichischen Gesundheits-

systems (Makro-, Meso- und Mikroebene), die in Wechselwirkung zueinander stehen, ein,

wobei insbesondere jene auf der Makro- und Mikroebene fokussiert werden sollten. Bei der

Maßnahmenergreifung sollte besonderes Augenmerk auf all jene Bereiche gerichtet werden,

in denen primäre Interessen (Patientenwohl) mit sekundären Interessen (finanzielle

Interessen) kollidieren bzw. wo sich öffentlicher und privater Bereich kreuzen – somit auf alle

genannten Handlungsfelder (Erscheinungsformen) von Korruption, vor allem aber auf die

Zusammenarbeit zwischen der Industrie und Akteuren des öffentlichen Gesundheitssystems.

Damit sich Entscheidungen seitens Health Professionals, Patienten, wichtigen politischen

Entscheidungsträgern und Non-Profit-Organisationen ausschließlich am Patientenwohl

orientieren und nicht von sekundären Interessen geleitet werden, darf der Pharmaindustrie

als unverzichtbarer Partner im Gesundheitssystem (Forschung und Entwicklung, Herstellung

von Arzneimitteln und medizinischen Großgeräten etc.) zukünftig lediglich eine

unterstützende und keine tragende Rolle (z.B. was die Finanzierung medizinischer Forschung

und Fortbildung betrifft) zukommen. Dabei gilt es, allfällige Schlupflöcher zur Umgehung

vorherrschender Regulative, wie beispielsweise das Outsourcing unethischer

Marketingpraktiken an externe Dienstleister, frühzeitig aufzudecken und zu unterbinden.

Eine wichtige Annahme, die im Kontext der geführten Interviews mehrmals geäußert wurde,

stellt jene dar, dass die Zwei-/Mehrklassenmedizin längst Eingang ins österreichische

Gesundheitssystem gefunden hätte. Angesichts der zunehmenden Anzahl von Wahlärzten

und der Möglichkeit der Umgehung von Wartelisten scheint sich diese Behauptung durchaus

zu bestätigen. Andererseits muss an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass grundsätzlich

niemandem der Zugang zu einer medizinisch notwendigen Leistung in Österreich verwehrt

bleibt. Ein gewisser Rationierungsgrad lässt sich allerdings nicht leugnen, wie sich

beispielsweise aktuell daran erkennen lässt, dass die Kostenübernahme durch die

österreichischen Krankenkassen für die (nachweislich hochwirksame) Behandlung einer

Hepatitis C vom Genotyp 2 oder 3 nach wie vor vom Stadium der Erkrankung abhängig ist. Dies

ist wiederum auf gesundheitsökonomische Überlegungen bzw. die hohen Kosten der

Behandlung (die u.a. öffentlich stark kritisiert werden) und ihre eingeschränkte öffentliche

Finanzierbarkeit zurückzuführen. Weiters manifestiert sich Rationierung auch vielerorts in den

langen Wartezeiten auf diagnostische Tests (MRT, CT), wobei diese auch einer vermeintlichen

314

Überversorgung geschuldet sein können. Inwiefern aktuelle Gegenmaßnahmen, wie die

Aufhebung der Kostendeckelung, langen Wartezeiten zukünftig entgegenwirken werden

können, bleibt abzuwarten. Damit aber Rationierungsmaßnahmen in Anbetracht steigender

Gesundheitsausgaben und knapper werdender Gesundheitsbudgets zukünftig nicht

intensiviert werden müssen, gehört das nationale Gesundheitssystem dringend nach

Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenzialen durchforstet. Vor allem bietet es sich an,

dem Thema Korruption im Gesundheitssystem mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Würde

man nämlich nur einen Teil der geschätzten 1 bis 3,7 Mrd. Euro, die jährlich durch Korruption

verloren gehen, dem öffentlichen Gesundheitssystem zurückführen, könnten solche

Rationierungsmaßnahmen abgewendet bzw. zurückgedrängt werden.

Geschieht zukünftig zu wenig in Richtung einer verbesserten Prozess- und

Ressourcensteuerung, so könnte Österreich auf Dauer die Unterminierung seines

solidarischen Gesundheitssystems drohen. Finanzielle Mittel würden schließlich über die

Lebenserwartung und Lebensqualität der Bevölkerung maßgeblich entscheiden; ein

gerechter, fairer Zugang zur Gesundheitsversorgung wäre quasi nicht mehr gegeben

(Offermanns 2011, S. 64).

5.9.1 Wissenschaftliche und praktische Relevanz

„Korruption im Gesundheitssystem“ stellt in Österreich ein Forschungsthema dar, welches

trotz seiner hohen praktischen Relevanz bislang empirisch kaum untersucht wurde. Dies ist

vor allem der langjährigen Tabuisierung der Thematik geschuldet. Die vorliegende explorative

qualitative Studie zielte daher vorrangig auf die Anforschung des zugrunde liegenden

Forschungsgegenstandes unter Einbeziehung unterschiedlicher Expertensichtweisen und

-perspektiven ab. Dabei konnten neue bzw. vertiefende Erkenntnisse hinsichtlich der

Korruptionsproblematik im nationalen Gesundheitssystem, ihren Erscheinungsformen (vgl.

Tabelle 27), Ursachen und Auswirkungen (vgl. Tabelle 28) einschließlich dem zukünftigen

Handlungsbedarf (vgl. Tabelle 29) generiert werden. Zudem wurde auch der zukünftige

Forschungsbedarf erhoben, wobei vor allem die (Weiter-)Entwicklung bislang gesetzter

Antikorruptionsmaßnahmen und ihre Wirksamkeitsüberprüfung mehrmals geäußert wurden.

Aufgrund dessen, dass eine vergleichbare Untersuchung im österreichischen

Gesundheitssystem noch nicht vorliegt, leistet die durchgeführte Studie als wichtige

315

Voraussetzung für die (Weiter-)Entwicklung effektiver und effizienter Antikorruptions-

maßnahmen und die Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung einen wichtigen

Beitrag zur Korruptionsforschung im nationalen Gesundheitssystem bei. Dabei kann sie als

notwendige Voruntersuchung (zur erstmaligen Erschließung des Forschungsfeldes und

Erfassung der Ausgangssituation) für weiterfolgende Studien und Vergleichsstudien

betrachtet werden. Sofern möglich, sollten zukünftig vor allem quantitative Studien angeregt

werden, um die Ergebnisse (Thesen) der vorliegenden qualitativen Untersuchung zu

bestätigen oder zu widerlegen. An dieser Stelle sei erneut angemerkt, dass die vorliegende

Untersuchung nicht auf die Beschreibung bestimmter Einzelfälle zum Zwecke der

Diskreditierung einzelner Berufsgruppen abgezielt hat. Vielmehr stand eine wertneutrale,

wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik im Vordergrund.

Angesichts der großen Tragweite der Problematik – sowohl in gesundheitsökonomischer als

auch in gesellschaftlicher Hinsicht – kann die Eindämmung von Korruption einen wichtigen

Stellhebel zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung bzw. einer verbesserten Prozess- und

Ressourcensteuerung im nationalen Gesundheitssystem darstellen und somit zur langfristigen

Sicherstellung seiner solidarischen Finanzierung beitragen. Schließlich sollen auch künftige

Generationen von einem Gesundheitssystem profitieren, welches sich in erster Linie durch

seinen freien, gerechten Zugang und sein qualitativ hohes Leistungsspektrum auszeichnet. Die

vorliegende Untersuchung trägt somit nicht nur zur Korruptionsforschung im nationalen

Gesundheitssystem bei, sondern birgt auch eine hohe praktische Relevanz. Denn sie liefert

politischen Entscheidungsträgern und Akteuren im Gesundheitssystem neue Impulse und

Ansatzpunkte zur nachhaltigen Korruptionsprävention und -eindämmung sowie zur

Optimierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Allerdings reichen Wissen und Wille

nicht aus: Worten müssen auch Taten folgen.

„Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden.

Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“

(Johann Wolfgang von Goethe)

316

5.9.2 Methodische Reflexion/Gütekriterien

Für die Beurteilung der Qualität der vorliegenden qualitativen Untersuchung wurden keine

klassischen Gütekriterien quantitativer Forschung (Validität, Reliabilität, Objektivität)

herangezogen, da deren Anwendung auf qualitative Studien in der Methodenliteratur häufig

kritisiert wird. Stattdessen wurde auf die empfohlenen, eigens entwickelten Gütekriterien für

qualitative Forschung zurückgegriffen. Dabei wurden sowohl allgemeine als auch spezifische

inhaltsanalytische Gütekriterien (Mayring 2016, S. 140ff.) angewendet, wobei nicht zu allen

gültige Aussagen getroffen werden konnten. Im Hinblick auf die allgemeinen Gütekriterien in

Anlehnung an Mayring – Verfahrensdokumentation, Regelgeleitetheit, Argumentative

Interpretationsabsicherung, Kommunikative Validierung, Nähe zum Gegenstand,

Triangulation (Mayring 2016, S. 144ff.) – fällt die Beurteilung der Studie wie folgt aus:

Verfahrensdokumentation

Ein wichtiges Gütekriterium qualitativer Forschung stellt die Verfahrensdokumentation

zur Sicherstellung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit dar (Mayring 2016, S. 144f.).

Diesem Gütekriterium wurde in der vorliegenden qualitativen Studie insofern Rechnung

getragen, als die genaue methodische Vorgehensweise im Forschungsprozess – von der

Auswahl des Forschungsdesigns (Kapitel 5.3) über die Datenerhebung (Kapitel 5.4) und

Datenaufbereitung (Kapitel 5.5) bis hin zur Datenauswertung (Kapitel 5.6) – im Detail

dokumentiert und begründet wurde. Somit sind der Forschungsprozess und die

Forschungsergebnisse intersubjektiv nachvollziehbar.

Regelgeleitetheit

Damit qualitative Forschung in der Wissenschaftsszene ernst genommen wird, darf sie

weder willkürlich noch unsystematisch erfolgen (Mayring 2016, S. 145f.). Im vorliegenden

Fall richtete sich der Forschungsprozess nach bestimmten aufgestellten Verfahrensregeln

und wurde systematisch durchgeführt. Das systematische Vorgehen zeigt sich

insbesondere darin, dass der gesamte Forschungsprozess in mehrere Einzelschritte zerlegt

wurde, welche schrittweise bearbeitet wurden (vgl. Kapitel 5.3). Insbesondere stellt die

Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse als systematisches, regel- und

theoriegeleitetes Verfahren (vgl. Kapitel 5.6) die Berücksichtigung des Gütekriteriums der

„Regelgeleitetheit“ sicher.

317

Argumentative Interpretationsabsicherung

Um die Qualität von Interpretationen einschätzen zu können, dürfen diese nicht einfach

gesetzt, sondern müssen argumentativ begründet werden. Entscheidend dabei ist, dass

die Deutungen sinnvoll theoriegleitet werden, was wiederum ein adäquates

Vorverständnis voraussetzt (Mayring 2016, S. 145). In der zugrunde liegenden

Untersuchung erfolgte die Interpretation des Datenmaterials unter argumentativer

Begründung (Aussagen der Interviewten wurden mit der bislang vorliegenden Literatur

verglichen) und ist durch die Offenlegung der einzelnen methodischen Schritte, des

Kategoriensystems und der Originalzitate aus den transkribierten Interviews intersubjektiv

überprüfbar.

Kommunikative Validierung

Indem die Forschungsergebnisse den Probanden vorgelegt und gemeinsam mit ihnen

diskutiert werden, kann deren Interpretation und Gültigkeit nochmals überprüft werden

(Mayring 2016, S. 147). Aus zeitlichen Gründen musste in der vorliegenden Arbeit darauf

verzichtet werden. Allerdings wurden während der Interviews immer wieder Rück- und

Verständnisfragen gestellt und das Geäußerte paraphrasiert, um die kommunikativen

Inhalte abzugleichen und Falschinterpretationen zu vermeiden.

Im Hinblick auf die seitens Mayring vorgeschlagenen spezifischen inhaltsanalytischen

Gütekriterien nach Krippendorff (Krippendorf 1980, zitiert nach Mayring 2015, S. 126), die

mehrere Validitätskriterien im engeren Sinne (Semantische Gültigkeit, Stichprobengültigkeit,

Korrelative Gültigkeit, Vorhersagegültigkeit, Konstruktgültigkeit) und Reliabilitätskriterien

(Stabilität, Reproduzierbarkeit, Exaktheit) einschließen, fällt die Einschätzung der Studie wie

folgt aus:

Semantische Gültigkeit

Die Semantische Gültigkeit, die sich auf die „Richtigkeit der Bedeutungsrekonstruktion des

Materials“ bezieht und sich in der „Angemessenheit der Kategoriendefinitionen“

(Definitionen, Codierregeln) widerspiegelt, konnte durch einfache „Checks“ teilweise

sichergestellt werden. Dabei wurden alle innerhalb einer Kategorie zugewiesenen

Textstellen mit dem Konstrukt der Kategorie und auch untereinander auf Homogenität

verglichen (Mayring 2015, S. 126). Mangels Expertenurteilen konnte die Semantische

Gültigkeit aber nicht gänzlich nachgewiesen werden.

318

Stichprobengültigkeit

Um die Stichprobengültigkeit („Qualität der Stichprobe“) zu bestimmen, verweist Mayring

(2015, S. 126) auf die üblichen Kriterien exakter Stichprobenziehung. In der vorliegenden

Arbeit erfolgte die Stichprobenziehung bewusst und sorgfältig nach zuvor festgelegten

Kriterien mit dem Ziel der Generierung einer heterogenen Stichprobe, um eine breite

Sichtweise auf die Thematik zu erhalten und die inhaltliche Repräsentativität

sicherzustellen. Gefundene Gemeinsamkeiten in den Aussagen der aus unterschiedlichen

Feldern des Gesundheitssystems stammenden Probanden lassen auf eine gewisse

Generalisierbarkeit schließen. Damit scheint die Stichprobengültigkeit im Verständnis der

qualitativen Forschung als gegeben. Dagegen spricht allerdings – wie in vielen anderen

qualitativen Forschungsarbeiten auch – der geringe Stichprobenumfang, der allerdings auf

die beschränkte Verfügbarkeit repräsentativer Experten zurückführbar ist.

Stabilität (Intracoderreliabilität)

Die Stabilität der Analyse (Intracoderreliabilität) lässt sich überprüfen, indem das

Analyseinstrument nochmals auf das Material angewendet wird (Mayring 2015, S. 127). In

der zugrunde liegenden Untersuchung wurde das Gütekriterium der „Stabilität“ durch die

erneute Durchcodierung bzw. die nochmalige Anwendung des Analyseinstrumentes auf

das Material und den anschließenden Abgleich der Analyseergebnisse aus den

verschiedenen Durchgängen sichergestellt.

Reproduzierbarkeit (Intercoderreliabilität)

Unter der Reproduzierbarkeit versteht man den Grad, in dem die Codierungen

verschiedener Personen übereinstimmen (Mayring 2015, S. 127f.). Das zugrunde liegende

Datenmaterial wurde durch einen weiteren unabhängigen Experten ausschnittsweise

analysiert und die Ergebnisse anschließend miteinander verglichen. Die vielen

Übereinstimmungen lassen auf die Objektivität des Verfahrens schließen; etwaige Codier-

Unstimmigkeiten wurden solange kritisch diskutiert und interpretiert bis eine Einigung

erzielt werden konnte.

319

5.9.3 Limitationen

Wenngleich die vorliegende explorative qualitative Untersuchung neue bzw. vertiefende

Einblicke in die Korruptionsthematik auf Ebene des Gesundheitssystems liefert, unterliegt sie

einigen Limitationen, die es nachfolgend darzulegen gilt. Zum einen beschränkt sich die

empirische Analyse rein auf den Untersuchungsort Österreich unter Einbeziehung nationaler

Gesundheits- und Antikorruptionsexperten und enthält auch keine große Stichprobengröße,

wodurch eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Länder schwierig erscheint. Zum

anderen wurden die vorliegenden Studienergebnisse rein mittels Experteninterviews

erhoben. Somit basieren viele von den Experten getätigte Äußerungen nicht nur auf

objektiven Wissensbeständen, sondern spiegeln mitunter auch subjektive Meinungen,

Wahrnehmungen und Erfahrungen wider, weshalb sie nur bedingt (über gefundene

Gemeinsamkeiten in den Aussagen) generalisierbar sind. Zudem wurden aus dem Kreis der

Health Professionals ausschließlich Mediziner befragt. Zukünftig wäre es ratsam, auch die

Meinung anderer Health Professionals (Pflegepersonal, Radiologen etc.) zu erfassen, um eine

noch breitere Sichtweise auf die Thematik zu erhalten. Dadurch könnten evtl. neue, bislang

verborgen gebliebene Einfallstore, Ursachen und Auswirkungen von Korruption aufgedeckt

werden. Obwohl die Intra- und Intercoderreliabilität während der Auswertungsphase

sichergestellt werden konnten, können etwaige Ergebnisverzerrungen bzw.

Interpretationsfehler nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Ferner beschränkt sich die

empirische Analyse auf ein Querschnittsdesign und beinhaltet somit nur eine

Erhebungsphase.

320

6 Zusammenfassung und Ausblick

„Die Monetik darf niemals die Überhand über die Ethik im Gesundheitswesen gewinnen.“ (Guido Offermanns)

Die vorliegende Dissertation liefert erstmalig einen umfassenden Einblick aus theoretischer

und empirischer Sicht in den Forschungsgegenstand „Korruption im österreichischen

Gesundheitssystem“. Dabei zielte die Arbeit primär darauf ab, neue bzw. vertiefende

empirische Erkenntnisse hinsichtlich den Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen

von Korruption auf den unterschiedlichen Systemebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene)

des österreichischen Gesundheitssystems zu generieren und ausgehend von den bislang

gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen den zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen

Korruptionsprävention und -eindämmung auf den jeweiligen Ebenen aufzudecken. Dem

empirischen Teil der Arbeit ging eine umfassende theoretische Aufarbeitung zur Erhebung der

IST-Situation und des aktuellen Forschungsstandes zu Korruption auf internationaler und

nationaler Ebene – mit besonderer Schwerpunktsetzung auf das Gesundheitssystem – voraus.

Dies stellte eine notwendige Voraussetzung für das (Folge-)Verständnis (mit Blick auf zentrale

Begrifflichkeiten, wissenschaftliche Erklärungsansätze, spezifische Messinstrumente,

internationale und nationale rechtliche Lage etc.) im weiteren Verlauf der Arbeit dar und

diente letztlich als wichtige Ausgangsbasis für die anschließende empirische Untersuchung zur

Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen (vgl. Tabelle 10) mit Blick auf das primäre

Forschungsinteresse.

Nach dem einleitenden ersten Kapitel zeigte sich im zweiten Kapitel, dass Korruption ein

weltweit verbreitetes, komplexes Phänomen darstellt, das unterschiedliche Formen

(Bestechung, Vorteilszuwendung, Veruntreuung, Betrug, Erpressung, Kollusion, Favoritismus

etc.) annehmen kann und dabei keinen gesellschaftlichen Bereich (Wirtschaft, Politik,

Gesundheits- und Bildungswesen etc.) auslässt. Laut aktuellen Schätzungen des

Internationalen Währungsfonds soll sich der weltweite volkswirtschaftliche Schaden durch

Korruption im Jahr 2015 auf 1,5 bis zwei Billionen USD belaufen haben (IMF 2016, S. 5).

Aufgrund der großen Relevanz der Thematik wurde die Korruptionsbekämpfung Anfang der

90er-Jahre auf die politische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler Organisationen

(UN, OECD, Europarat, Transparency International u.a.) gesetzt und fand zeitgleich auch

321

Eingang in die internationale Forschung (Shleifer & Vishny 1993; Klitgaard 1988; Mauro 1995,

1996, 1998; Rose-Ackerman 1996, 1999; Treisman 2000; Wei 2000; Zurawicki & Habib 2002,

2010). Das Phänomen wurde nicht nur seitens der Ökonomie, sondern auch seitens anderer

wissenschaftlicher Disziplinen (Psychologie, Soziologie, Politik, Kriminologie, Geschichts- und

Rechtswissenschaften u.a.) aufgegriffen und erforscht, weshalb auch unterschiedliche

wissenschaftliche Erklärungsansätze vorliegen (Grieger 2012, S. 4ff.). Dabei stellt Korruption

aus vielerlei Hinsicht (Heimlichkeitsdelikt bzw. hohe Dunkelziffer, fehlende global einheitliche

Korruptionsdefinition, fehlende umfassende Korruptionstheorie, kultur- und kontext-

spezifisches Phänomen) keinen einfachen Untersuchungsgegenstand dar (Kliche & Thiel 2011,

S. 412f.). Trotzdem ist es der Wissenschaft gelungen, Korruption insbesondere mittels

quantitativer Erhebungsmethoden (Stakeholderbefragungen, Kompositindizes, Deliktregister,

Erhebungen zur Rückverfolgung öffentlicher Ausgaben, Labor-/Feldexperimente etc.), aber

auch mittels qualitativer (Interviews, Fallstudien, Beobachtungen etc.) empirisch zu

untersuchen. Mittlerweile liegen zahlreiche empirische Studien zu den Ursachen und

Auswirkungen von Korruption vor; erstere stellen letztlich eine wichtige Ausgangsbasis für die

Ableitung von Antikorruptionsmaßnahmen dar. Hingegen kann die Datenlage zu der

Verbreitung von Korruption als vergleichsweise dürr eingestuft werden. Unzuverlässige oder

fehlende Messindikatoren gelten hierfür als Hauptursache, worin auch der zukünftige

Forschungsbedarf besteht. Gleiches gilt für die Erhebung der Effektivität und Effizienz bislang

gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen (Europäische Kommission 2007, S. 571). Die

theoretischen und wissenschaftlichen Grundlagen des zweiten Kapitels bildeten eine wichtige

Ausgangsbasis für das nachfolgende dritte Kapitel, in dem der inhaltliche Schwerpunkt auf den

Gesundheitssektor gelegt wurde.

Alsbald zeigte sich im dritten Kapitel, dass der Gesundheitssektor aufgrund seiner

Besonderheiten (enormer Geldmittelfluss, Ungewissheit, Informationsasymmetrien,

Komplexität, Drittzahlerkonstruktion) einen besonders anfälligen Bereich für Korruption

darstellt (Savedoff & Hussmann 2006, S. 4ff.; Kiesl 2010, S. 12; Petkov & Cohen 2016, S. 3).

Dies bekräftigen nicht zuletzt jüngste Erhebungen auf europäischer und internationaler Ebene

(Europäische Kommission 2013; Hardoon & Heinrich 2013; Europäische Kommission 2014;

Pring 2016). Mögliche Korruptionsformen in diesem Sektor schließen u.a. Bestechungs- und

Kickbackzahlungen, informelle Zahlungen („Kuvertmedizin“), Abrechnungsbetrug, Kollusion,

322

Favoritismus, Absentismus, Diebstahl von Arzneimitteln/Medizinprodukten, Veruntreuung

öffentlicher Gesundheitsbudgets, Versicherungsbetrug, Wissenschaftsbetrug und unethische

Marketingpraktiken ein (Vian 2008, S. 85; Europäische Kommission 2013; S. 47ff.; Petkov &

Cohen 2016, S. 4ff.; Nair et al. 2017, S. 16ff.). Internationale Experten schätzen, dass weltweit

zwischen 3 % und 10 % der Gesundheitsbudgets (im Durchschnitt zwischen 5 % und 6 %) durch

Korruption verloren gehen (TI-DE 2004; Aldrich & Crowder 2015; Gee & Button 2015, S. 12;

LSE 2017a, S. 557). Dies kann sich letztlich negativ auf die Finanzierung des gesamten Systems

auswirken, den freien Zugang zur Gesundheitsversorgung unterminieren und schließlich mit

negativen Folgewirkungen auf die Qualität und den Outcome von Gesundheitsleistungen

einhergehen. Internationale Studien bestätigen, dass sich Korruption negativ auf die

Gesundheit und den Wohlstand der Bevölkerung auszuwirken vermag (Anstieg der Kinder-,

Säuglings- und Müttersterblichkeitsraten, Reduktion der Immunisierungsraten und Lebens-

erwartung, Verlängerung der Wartezeiten etc.) (Gupta et al. 2000; Azfar & Gurgur 2005; Lewis

2006; Hanf et al. 2011; Factor & Kang 2015; Nadpara 2015; Lio & Lee 2016). Gesundheitliche

Ungleichheit zwischen verschiedenen sozioökonomischen Bevölkerungsgruppen, ein

Armutsanstieg sowie ein Vertrauensverlust in das öffentliche Gesundheitssystem sind die

unmittelbaren Folgen (Hussmann 2010, S. 2f.; Europäische Kommission 2013, S. 29; Petkov &

Cohen 2016, S. 3). Angesichts ihrer großen Tragweite und darin verborgener beträchtlicher

Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenziale rückte die Bekämpfung von Korruption im

Gesundheitssystem in den letzten zehn bis 15 Jahren zunehmend auf die

gesundheitspolitische Agenda zahlreicher Nationen und internationaler Organisationen

(Weltbank, WHO, UNDP, EHFCN, TI etc.). Zeitgleich fand sie auch Eingang in die internationale

Forschung. Mittlerweile liegen einige internationale Studien zu den Erscheinungsformen,

Ursachen und Auswirkungen von Korruption im Gesundheitssystem samt Empfehlungen zu

ihrer wirksamen Bekämpfung vor (Ensor 2004; TI 2006; Vian 2008; Barr et al. 2009; Kohler et

al. 2011; Bussmann 2012; Europäische Kommission 2013; Nikoloski & Mossialos 2013). An

dieser Stelle sei auf den theoretischen Bezugsrahmen zur Bekämpfung von Korruption im

Gesundheitssystem (vgl. Abbildung 5) mit seinen vier Handlungsfeldern (Bewusstseins-

schaffung, Prävention, Kontrolle/Detektion, Strafverfolgung/Sanktionen) verwiesen. Wie im

zweiten Kapitel zeigte sich auch im Hinblick auf die Korruptionsthematik im Gesundheits-

system, dass der zukünftige Forschungsbedarf vor allem in der (Weiter-) Entwicklung von

Messinstrumenten zur besseren Quantifizierung dieses Phänomens sowie in der (Weiter-)

323

Entwicklung und Evaluierung der Wirksamkeit von Antikorruptionsmaßnahmen liegt (Mackey

et al. 2016, S. 3; Gaitonde et al. 2016, S. 2; Nair et al. 2017, S. 19).

Ausgehend von den bisherigen erworbenen theoretischen Erkenntnissen wurde im vierten

Kapitel die Korruptionsthematik im österreichischen Gesundheitssystem, das

Schwerpunktthema der vorliegenden Dissertation, fokussiert. Hierfür wurde das

österreichische Gesundheitssystem zuerst im Hinblick auf zentrale Systemparameter

(Organisation, Steuerung, Finanzierung, zentrale Kennzahlen) und unter Einbeziehung des

Konzeptes der ebenenübergreifenden Systemsteuerung kurz beschrieben. Anschließend

wurde der zukünftige Verbesserungs- und Handlungsbedarf aufgezeigt. Dabei zeigte sich, dass

das nationale Gesundheitssystem trotz hoher Gesundheitsausgaben lediglich

durchschnittliche Leistungsergebnisse im internationalen Vergleich erzielt und auch langsam

an seine finanziellen Grenzen stößt, weshalb es vermehrt nach Effektivitäts- und

Effizienzsteigerungspotenzialen durchforstet gehört. Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde

auf die Korruptionsthematik im nationalen Gesundheitssystem als potenzieller Stellhebel für

eine verbesserte Prozess- und Ressourcensteuerung angesichts des international geschätzten

enormen Einsparpotenzials (3-10 % der Gesundheitsbudgets = 1 bis 3,7 Mrd. Euro der

österreichischen Gesundheitsausgaben) näher eingegangen. Nach der erforderlichen

Aufarbeitung der korruptionsrelevanten rechtlichen Lage in Österreich und bislang gesetzter

Antikorruptionsmaßnahmen im nationalen Gesundheitssystem, die vor allem seitens

Transparency International – Austrian Chapter angeregt worden sind und in der vorliegenden

Arbeit in den theoretischen Bezugsrahmen zur Korruptionsbekämpfung im

Gesundheitssystem eingebettet wurden (vgl. Abbildung 6), wurde alsbald klar, dass der

Thematik hierzulande noch vergleichsweise zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies

lässt sich nicht zuletzt an der spärlichen Anzahl vorhandener empirischer Studien –

insbesondere zum Ausmaß, den spezifischen Erscheinungsformen, Ursachen und

Auswirkungen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem – erkennen. Solche Daten

stellen aber eine notwendige Voraussetzung für die (Weiter-)Entwicklung effektiver und

effizienter Antikorruptionsmaßnahmen und die Optimierung der öffentlichen

Gesundheitsversorgung dar (TI-AC 2010, S. 5; Sickinger 2011, S. 194; Gruber et al. 2013, S. 131;

LSE 2017a, S. 42). Weiters bleibt auch die Frage im Hinblick auf die Effektivität und Effizienz

bislang gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen und -bemühungen bisweilen ungeklärt (Gruber

324

et al. 2013, S. 131). Der mangelnde Grundlagen- und Forschungsstand ist nicht zuletzt auf eine

nach wie vor österreichweit fehlende professionelle bzw. universitäre Forschungs- und

Ausbildungseinrichtung mit besonderer Schwerpunktsetzung auf die Thematik zurückführbar

(Rupp 2011, S. 91f.).

Auf Basis der insgesamt erworbenen theoretischen Erkenntnisse und des identifizierten

nationalen Forschungsbedarfs wendete sich das fünfte Kapitel dem empirischen Teil der

Dissertation zur Beantwortung der aufgeworfenen Forschungsfragen (vgl. Tabelle 10) mit Blick

auf das primäre Erkenntnisinteresse (Forschungsziel) zu. Im Zuge dessen wurde auch das

wahrgenommene Ausmaß von Korruption im nationalen Gesundheitssystem erhoben,

welches allerdings aufgrund der geringen Aussagekraft einer solchen subjektiven

Einschätzung nicht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses stand bzw. keine eigenständige

Forschungsfrage darstellte. Bei der empirischen Untersuchung handelte es sich um eine

explorative qualitative Studie, die sich auf die Durchführung und Auswertung von

Experteninterviews (n = 18) mit ausgewählten Gesundheits- und Antikorruptionsexperten aus

dem österreichischen Gesundheitssystem (darunter u.a. Vertreter von Transparency

International, der Gebietskrankenkassen, des Krankenanstaltenwesens sowie der ärztlichen

Selbstverwaltung (Ärztekammer), Gesundheitspolitiker, aktiv tätige Health Professionals

(Mediziner), Gesundheitsökonomen, Patientenanwälte, Pharmazeuten und

Gesundheitsjournalisten) stützte. Den Experteninterviews lag ein halbstrukturierter

Interviewleitfaden zugrunde, ihre Auswertung erfolgte mittels computerunterstützter

qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring. Eine vergleichbare Untersuchung liegt

österreichweit bislang nicht vor. Ihre Ergebnisse weisen klar daraufhin hin, dass Korruption im

nationalen Gesundheitssystem nach wie vor ein Thema darstellt. Dabei kann Korruption im

nationalen Gesundheitssystem aus Expertensicht und in Anlehnung an vorherrschende

Definitionen als die „sachfremde Beeinflussung von Entscheidungen und Handlungen, die im

Interesse des öffentlichen Gesundheitssystems stehen, zum Vorteil einer Person oder

Organisation, jedoch zulasten unbeteiligter Dritter (u.a. Patienten, Health Professionals) bzw.

der Allgemeinheit (u.a. Steuerzahler, Versicherungsgemeinschaft)“ definiert werden (vgl.

Forschungsfrage 1). Zwar ging die Minorität der Befragten von einem allmählichen Rückgang

von Korruption im nationalen Gesundheitssystem dank bislang gesetzter

Antikorruptionsmaßnahmen aus, allerdings schätzte die Majorität der Befragten das Ausmaß

325

mit dem Hinweis auf bestehende „Schlupflöcher“ und Graubereiche von Korruption bzw. neu

erkannte Korruptionsphänomene (z.B. Überversorgung, „Upcoding“) weitaus höher ein bzw.

zwischen 3 % und 10 % der österreichischen Gesundheitsausgaben. Insgesamt konnten acht

Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem (vgl. Tabelle 27)

aufgezeigt werden (vgl. Forschungsfrage 2). Die höchste Korruptionsanfälligkeit wurde in der

Zusammenarbeit der (pharmazeutischen) Industrie mit Health Professionals geortet

(Einflussnahme auf Forschung, Weiterbildung und Verschreibungspraxis von Medizinern).

Eine besonders hohe Korruptionsanfälligkeit wurde auch in der Vergabe von Terminen für

elektive Operationen und diagnostische Tests (Umgehung von Wartelisten), in der

öffentlichen Beschaffung, in (höherrangigen) Beziehungsverflechtungen und daraus

resultierenden Interessenkonflikten (Favoritismus, Drehtürkorruption u.a.), in der

Überversorgung sowie in der Leistungsabrechnung („Upcoding“, Abrechnung medizinisch

überflüssig erbrachter Leistungen) geortet. Dabei wurden in der Überversorgung

(Überdiagnostik, Übertherapie, Krankheitserfindung) sowie in der Leistungsabrechnung

(„Upcoding“ und Abrechnung medizinisch überflüssiger Leistungen) „neu erkannte“

Korruptionsphänomene identifiziert, die allerdings bislang vielerorts nicht als solche erkannt

werden. Im Rahmen der geführten Interviews konnten mehrere Ursachen und Auswirkungen

von Korruption auf der Makro-, Meso- und Mikroebene des österreichischen Gesundheits-

systems (vgl. Tabelle 28) eruiert werden (vgl. Forschungsfrage 3 und 4). Die Hauptursache von

Korruption wurde mehrheitlich auf der Makroebene geortet, von der wesentliche Impulse zur

Ausrichtung des Gesundheitssystems ausgehen und die wiederum Einfluss auf die Meso- und

Mikroebene nimmt. Eine der wichtigsten Erkenntnisse im Zuge der erhobenen Auswirkungen

von Korruption bezieht sich auf die mehrmals geäußerte Annahme, dass die Zwei-

/Mehrklassenmedizin bereits Eingang ins österreichische Gesundheitssystem gefunden hätte.

Angesichts der zunehmenden Anzahl von Wahlärzten und der Möglichkeit der Umgehung von

Wartelisten scheint sich diese Behauptung durchaus zu bestätigen, wobei gleichzeitig betont

werden muss, dass grundsätzlich niemandem der Zugang zu einer medizinisch notwendigen

Leistung in Österreich verwehrt bleibt (mit Ausnahme einiger bislang gesetzter

Rationierungsmaßnahmen). Im Hinblick auf die fünfte und zentrale Forschungsfrage – dem

zukünftigen Handlungsbedarf zur nachhaltigen Bekämpfung von Korruption im nationalen

Gesundheitssystem – lieferte die empirische Untersuchung folgende Ergebnisse: Trotz bislang

gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen besteht auf allen drei Ebenen des Gesundheitssystems

326

– insbesondere auf der Makro- und Mikroebene – noch genügend Handlungsbedarf (vgl.

Tabelle 29). Dabei liegen die wichtigsten Stellhebel zur nachhaltigen Korruptionseindämmung

laut Expertenansicht in der Beseitigung fehlgeleiteter, finanzieller Anreizmechanismen

(Einrichtung unabhängiger Finanzierungssysteme – vor allem im Bereich der medizinischen

Forschung und Fortbildung –, strengere Regulierung von Nebenbeschäftigungen, Optimierung

des Abrechnungssystems, Anhebung der Spitalsärztegehälter, Neuregelung der Verteilung

und Abrechnung von Sonderklassehonoraren) sowie in der vermehrten Aufklärung,

Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung gegenüber der Korruptionsthematik. Weitere

vielfach genannte Handlungsfelder umfassen die vermehrte Transparenzschaffung (u.a.

Verpflichtung zur namentlichen Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte aufgrund

persönlicher oder finanzieller Beziehungen, „transparentere“ Wartelistenregime,

Veröffentlichung sämtlicher Verurteilungsquoten und Disziplinarverfahren, Veröffentlichung

aller Studien- und Spitalskompass- und Outcome-Daten) sowie die Verschärfung von Kontroll-

und Sanktionsmechanismen (vor allem im Hinblick auf bislang gesetzte

Antikorruptionsmaßnahmen). Mitunter wurden auch die (Weiter-)Entwicklung geeigneter

Monitoringstrukturen im niedergelassenen Bereich sowie der Ausbau der Wirtschafts- und

Korruptionsstaatsanwaltschaft zur effektiveren Verfolgung und Ahndung aufgedeckter

Korruptionsfälle im nationalen Gesundheitssystem als notwendig erachtet. Änderungen auf

juristischer Ebene könnten ebenfalls für den Erfolg zukünftiger Antikorruptionsbemühungen

ausschlaggebend sein (u.a. Schaffung eines eigenständigen Antikorruptionsgesetzes im

Gesundheitssystem, Erhebung der Verhaltenskodizes in Gesetzesrang, Verbot jeglicher

Zuwendungen an Mediziner, Neuregelung und teilweise Einschränkung von

Pharmareferenten und Medizinproduktevertretern, Schaffung eines eigenständigen

Whistleblower-Schutzgesetzes). Darüber hinaus könnte auch die Forcierung der

Gesundheitskompetenz der Patienten (Health Literacy) sowie der wissenschaftlichen

Kompetenz von Health Professionals (insbesondere von Medizinern) dabei helfen, deren

Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit von Dritten (Leistungserbringern, Meinungsbildnern,

Industrie etc.) und somit deren Korruptionsanfälligkeit zu reduzieren. Ferner wurde auch die

Errichtung einer eigenen anonymen Korruptionsmelde- und Antikorruptionsstelle im

Gesundheitssystem zur Prävention und Kontrolle, die bereits vor zehn Jahren seitens

Transparency International – Austrian Chapter empfohlen wurde, vorgeschlagen. Was den

zukünftigen Forschungsbedarf im Hinblick auf die Korruptionsthematik im nationalen

327

Gesundheitssystem (vgl. Forschungsfrage 6) betrifft, so bedarf es laut mehrheitlicher

Expertensicht vor allem der Wirksamkeitsüberprüfung und (Weiter-)Entwicklung bislang

gesetzter Antikorruptionsmaßnahmen (z.B. im Hinblick auf eingeführte Verhaltenskodizes,

Compliance-Management-Systeme). Mehrfach genannt wurden auch die wissenschaftlich

fundierte Klärung des Korruptionsbegriffes, die quantitative Erhebung des

Korruptionsausmaßes im nationalen Gesundheitssystem, die Untersuchung des Ausmaßes

von Industriesponsoring und dessen Einflussnahme auf das Agieren von Health Professionals,

Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen sowie die Erhebung des nationalen

Problembewusstseins im Hinblick auf die Thematik. Eine genauere Erforschung und

Abgrenzung einzelner Erscheinungsformen von Korruption im nationalen Gesundheitssystem

wurde ebenfalls empfohlen. Auf Basis der vorliegenden Forschungsergebnisse wurden

anschließend mehrere Thesen theoriegestützt abgeleitet (vgl. Kapitel 5.7 und 5.8).

Basierend auf dem Konzept der ebenenübergreifenden Systemsteuerung wurden

abschließend zur Beantwortung der siebten und letzten Forschungsfrage die Ursachen und

Auswirkungen ausgewählter Erscheinungsformen von Korruption auf der Makro-, Meso- und

Mikroebene des nationalen Gesundheitssystems auf ihre potenziellen Wechselwirkungen hin

untersucht und ausgehend von den bislang gesetzten Antikorruptionsmaßnahmen der

zukünftige Handlungsbedarf auf den jeweiligen Ebenen abgeleitet (vgl. Tabelle 23 bis 26).

Dabei zeigte sich, dass die einzelnen Systemebenen nicht unabhängig voneinander betrachtet

werden können, da sie in potenzieller Wechselwirkung zueinander stehen. Den Ergebnissen

zufolge wirken insbesondere Maßnahmen, die auf der Makroebene gesetzt werden, auf die

unteren Ebenen ein. Von dort gehen nämlich wesentliche Impulse zur idealen Ausrichtung der

Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem aus, die wiederum Einfluss auf das Verhalten auf

der Meso- und Mikroebene nehmen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Korruptionsthematik im nationalen

Gesundheitssystem die österreichische Politik und Gesellschaft zukünftig noch stärker

beschäftigen wird. Angesichts steigender Gesundheitsausgaben und zunehmender

Ressourcenknappheit sieht man sich mit dem steigenden Druck konfrontiert, das heimische

Gesundheitssystem verstärkt nach Effektivitäts- und Effizienzsteigerungspotenzialen zu

durchforsten, damit bislang gesetzte Rationierungsmaßnahmen zukünftig nicht verschärft

328

werden müssen. Dabei kann vor allem die Eindämmung von Korruption in Anbetracht ihres

geschätzten Einsparpotenzials (1 bis 3,7 Mrd. Euro) einen wichtigen Stellhebel zur

Verbesserung der Prozess- und Ressourcensteuerung im nationalen Gesundheitssystem und

zur Sicherstellung seiner solidarischen Finanzierung darstellen. Im Rahmen der empirischen

Untersuchung wurden wichtige Impulse bzw. Ansatzpunkte für die zukünftige Entwicklung in

diese Richtung geliefert. Was jetzt noch fehlt, ist ein starker Wille zur Veränderung (vor allem

seitens politischer Entscheidungsträger), dem auch Taten folgen müssen. Demnach kann die

vorliegende Arbeit als ein Plädoyer für die nachhaltige Korruptionseindämmung im

österreichischen Gesundheitssystem betrachtet werden, damit der zunehmende Handel mit

Gesundheit vor dem Hintergrund des Einzuges der sich bereits abzeichnenden Zwei-

/Mehrklassenmedizin und der damit einhergehenden Gefährdung der gesundheitlichen

Grundversorgung der Bevölkerung zurückgedrängt werden kann. Um auch langfristig einen

fairen, gerechten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung auf

nationaler Ebene sicherzustellen, darf die Monetik niemals die Überhand über die Ethik im

Gesundheitswesen gewinnen. Im Kampf gegen Korruption im nationalen Gesundheitssystem

sollte die Wissenschaft stets ein konstruktiver und kritischer Begleiter sein.

329

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