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Der Genesiskommentar des Samaritaners Sadaqa b. Munagga (gest. nach 1223) Einleitung, Ubersetzung, Anmerkungen zu Gen 1- 3 Frank Weigelt Avhandling for graden philosophiae doctor (ph.d.) University of Bergen, Norw ay 2015

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Der Genesiskommentar des Samaritaners

Sadaqa b. Munagga (gest. nach 1223)

Einleitung, Ubersetzung, Anmerkungen zu Gen 1- 3

Frank Weigelt Avhandling for graden philosophiae doctor (ph.d.)

University of Bergen, Norway 2015

Der Genesiskommentar des Samaritaners ~adaqa b. Munagga

(gest. nach 1223)

Einleitung, Obersetzung, Anmerkungen zu Gen 1-3

Frank Weigelt

Dissertation for the degree of philosophiae doctor (PhD)

at the University of Bergen

2015

Dissertation date: 20.08.2015

Inhaltsverzeichnis

A. Einführung ............................................................................................................... 1

B. Ṣadaqas Genesiskommentar als Text des Kalām .......................................... 7 1. Einleitung 7 2. Die Muʿtazila 10 3. Grundzüge muʿtazilitischen Denkens 12 3.1 Verstand (ʿaql) 12 3.2 Gottes Einsheit (tauḥīd) 16 3.3 Attributenlehre 19 3.4 Ablehnung des Anthropomorphismus (taǧsīm) 23 3.5 Gottes Gerechtigkeit (ʿadl) 25 3.6 Gottes Weisheit (ḥikma) 28 3.7 Die fünf Prinzipien der Muʿtazila (al-uṣūl al-ḫamsa) 30 3.8 Atomismus 32 4. Rezeption muʿtazilitischen Denkens außerhalb des Islams 36 4.1 Religionsübergreifende Diskussionen in den Maǧālis 37 4.2 Kalām bei Rabbaniten, Karäern und Samaritanern 40

C. Die jüdisch-arabische exegetische Literatur ............................................... 45 1. Einleitung 45 2. Bibelauslegung in rabbinischer Tradition (dĕrash) 48 3. Kontextbezogene Bibelauslegung (pĕshaṭ) 51 4. Die Rolle der Karäer 56 5. Bibelkommentare als Werke individueller Verfasser 58 6. Tora-Exegese bei den Samaritanern 61

D. Ṣadaqas Genesiskommentar im Lichte der Hexaemeronliteratur ....... 65 1. Einleitung 65 2. Die Hexaemeronliteratur 70 2.1 Zum Verhältnis von Offenbarung und Naturphilosophie 73 2.2 Teleologische Sicht auf die Schöpfung 78 2.3 Warum ist das Hexaemeron für die Kirchenväter so wichtig? 82 3. Textvergleich 84 3.1 Philo von Alexandrien 87 3.2 Ṣadaqa b. Munaǧǧā und Moses bar Kepha 89 4. Wege der Vermittlung 95

VI Inhaltsverzeichnis

4.1 David al-Muqammaṣ 95 4.2 Yaʿqūb al-Qiriqisānī 99

E. Leben und Werk von Ṣadaqa b. Munaǧǧā ................................................ 101 1. Biographie 101 2. Die Stadt Ḥarrān 105 3. Historische Umstände und Zeitgenossen 107 4. Werke 108 5. Zuschreibung des Genesiskommentars 111

F. Thematischer Überblick: Kosmologie ............................................................ 113 1. Die Elemente 114 2. Sublunare und translunare Welt – maḫlūq und mubdaʿ 120 3. Bewegung 124 4. Astronomie 128 4.1 Erster und zweiter Himmel 131 4.2 Bewegung des Himmels 133 4.3 Einflüsse und Wirkungen der Himmelskörper 137

G. Thematischer Überblick: Seele und Verstand ............................................ 141 1. Seele (nafs) und Geist (rūḥ) 143 2. Eigenschaften der Seele 147 3. Die Seele als erste Erfüllung (Entelechie) des Körpers 153

3.1 Art und Gattung 158 3.2 Organe 159 3.3 Die Teile der Seele 161 3.4 Die Vermögen der Seele 162 3.5 Der Erkenntnisprozess 167 3.6 Ausgeglichenheit der Temperamente 172

4. Eschatologie 174

H. Text ...................................................................................................................... 177 1. Hinweise zur Übersetzung 177 2. Übersetzung des Bibeltextes Genesis 1–3 180 3. Themenverzeichnis 193 4. Der Genesiskommentar von Ṣadaqa b. Munaǧǧā 197

I. Anmerkungen ...................................................................................................... 301

Anhang: Einige wichtige Exegeten .................................................................... 389 Bibliographie .............................................................................................................. 413

A. Einführung

Der Genesiskommentar von Ṣadaqa b. Munaǧǧā aus dem 13. Jahrhundert ist der erste erhaltene Tora-Kommentar der Samaritaner. Er ist Teil der samari-tanisch-arabischen Literatur, die, soweit sie uns überliefert ist, Mitte des 11. Jahrhunderts beginnt und halachische, exegetische, theologische und grammatische Werke sowie Chroniken umfasst. Im Vergleich zu Rabbaniten und Karäern ist das überlieferte Textkorpus sehr klein: von den Anfängen der samaritanisch-arabischen Literatur bis zum 18. Jahrhundert sind etwa 15 Gelehrte bekannt, von denen jeweils nur ein bis zwei umfangreichere Werke überliefert sind. So unbedeutend diese Literatur vor dem Hintergrund der zahlreichen rabbanitischen und karäischen Werke erscheinen mag, so wich-tig ist ihre Erschließung für die Rekonstruktion der Geschichte der samarita-nischen Gemeinschaft und ihrer Glaubenslehre. Hierfür ist der vorliegende Genesiskommentar eine wichtiger Baustein, denn es sind bisher nur wenige Texte vergleichbaren Umfangs herausgegeben oder übersetzt worden: das K. al-Kāfī von Yūsuf al-ʿAskarī, das K. aṭ-Ṭabbāḫ von Abū l-Ḥasan aṣ-Ṣūrī, das K. al-Mīrāṯ von Abū Isḥāq Ibrāhīm al-Muṣannif (alle 11. Jh.), das K. at-Tārīḫ von Abū l-Fatḥ (14. Jh.) sowie ein Teil des Ausschnittes aus dem Tora-Kommentar von Mĕshalma b. Murǧān (18. Jh.).

Ein Teil von Ṣadaqas Genesiskommentar wurde 2008 als Faksimile der Handschrift Oxford Bodleian 301 veröffentlicht. Der arabische Text wird durch eine Übersetzung ins moderne Hebräisch ergänzt, die Ayala Loewen-stamm in den 1970er Jahren angefertigt hatte. Loewenstamms Arbeit blieb jedoch unvollendet, so dass die Übersetzung nur in einer Rohfassung und ohne Kommentierung und Analyse vorliegt. Der Text der Handschrift steht seit kurzem auch in einer Ausgabe von Haseeb Shehade bis fol. 90a (Gen 20) auf der Webseite www.thesamaritanupdate.com zu Verfügung, doch eben-falls ohne Erklärungen oder weitere Hilfen zur Erschließung, ohne die er zu einem großen Teil unverständlich bleibt.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Kommentar durch eine Überset-zung verständlich zu machen und den geistesgeschichtlichen Hintergrund zu erhellen, der den Verfasser prägte. Der Text soll unter drei verschiedenen Aspekten betrachtet werden: Zum einen handelt es sich hier um ein typi-sches Werk des Kalām, also der aus im Islam entstandenen, von Rabbaniten, Karäern und Samaritanern adaptierten „rationalen“ Theologie. Zum anderen ist er ein durchlaufender Bibelkommentar und gehört damit einer Textgat-tung an, die sich bei den Juden erst unter Einfluss der islamisch-arabischen

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Kultur entwickelt hat, und die auch für die Samaritaner eine grundlegende Neuerung darstellte. Drittens ist ein großer Teil des Textes von der Tradition der Hexaemeronliteratur geprägt, also der Kommentarliteratur zur Schöp-fungsgeschichte (Sechstagewerk), die bereits bei den frühen Kirchenvätern zu voller Blüte gelangte. Diese drei Aspekte werden je in einem eigenen Kapitel behandelt, und jeder von ihnen ist unabdingbar, um den Text ideen-geschichtlich einordnen und ihn verstehen zu können. Ṣadaqas Werk steht dabei nicht allein, sondern ist zusammen mit den Genesiskommentaren der jüdisch-arabischen Literatur zu sehen, so dass die hier dargestellten Zusam-menhänge nicht nur den vorliegenden Text erklären, sondern auch eine allgemeine Einführung in die jüdisch-arabische Genesisexegese darstellen.

Wie schon bei flüchtiger Lektüre deutlich wird, liegt hier ein typisches Werk des Kalām vor, was sich an der Terminologie, der Argumentationswei-se und den theologischen Ansichten zeigt. Da diese das Grundgerüst des gesamten Werkes bilden, ist es angebracht, die Hintergründe des Kalām ausführlich zu beleuchten. Dies geschieht im Kapitel B „Ṣadaqas Genesis-kommentar als Text des Kalām“. Es wird darin allerdings, wie auch im fol-genden Kapitel, kaum von den Samaritanern die Rede sein, sondern zu-nächst das arabisch-islamische Umfeld erläutert und dann der Blick auf die Rabbaniten und Karäer gerichtet werden. Wo möglich wurden aber auch Beispiele aus Texten von Abū l-Ḥasan aṣ-Ṣūrī und Ṣadaqa b. Munaǧǧā ge-bracht, um zu zeigen, wie sich diese hier einfügen. Dass die Samaritaner nur an Rande vorkommen, liegt daran, dass von ihnen nur wenige Kalām-Texte gibt, die wiederum nur zum Teil ediert sind. Nach jetzigem Kenntnisstand sind es nur vier Autoren, die hier in Frage kommen: Abū l-Ḥasan aṣ-Ṣūrī (11. Jh.), Ṣadaqa b. Munaǧǧā (gest. nach 1223) und dessen Vater Munaǧǧā b. Ṣadaqa (12. Jh.) sowie ein sehr später Vertreter, Mĕshalma b. Murǧān (18. Jh.). Die von ihnen erhaltenen umfangreicheren Werke lassen sich an einer Hand abzählen: das K. aṭ-Ṭabbāḫ von Abū l-Ḥasan aṣ-Ṣūrī, Genesiskommentar und K. at-Tauḥīd von Ṣadaqa b. Munaǧǧā, das K. Masāʾil al-Ḫilāf von Munaǧǧā b. Ṣadaqa und der Torakommentar von Mĕshalma b. Murǧān. Bei den übrigen samaritanisch-arabischen Autoren lassen sich in den bisher gesichteten Werken keine Spuren des Kalām erkennen. Angesichts dieser wenigen Zeugnisse ist zu fragen, wie weit dieser bei den samaritanischen Gelehrten tatsächlich verbreitet war. Da er bei den meisten überhaupt nicht vor-kommt, muss nach derzeitigem Kenntnisstand davon ausgegangen werden, dass zwar einzelne Gelehrte gründlich im Kalām bewandert waren und ihn für die samaritanische Religion adaptierten, er aber nicht allgemein verbrei-tet war. Auf der Grundlage der Schriften von nur vier Gelehrten lässt sich nicht von einem eigenständigen „samaritanischen Kalām“ sprechen. Festge-

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stellt werden kann aber, dass einige samaritanische Texte, wie auch der vor-liegende, dem Kalām zuzurechnen sind und Zeugnis von der Rezeption die-ser bedeutenden theologischen Richtung ablegen. Es wäre eine interessante Aufgabe, auch andere samaritanische Texte auf Spuren des Kalām hin zu untersuchen.

Im Kapitel C „Die jüdisch-arabische exegetische Literatur“ wird nach-vollzogen, wie sich die Gattung des kursorischen Bibelkommentars entwi-ckelt hat und welche Bedeutung ihr innerhalb des Kalām zukommt. Wie die Kapitelüberschrift andeutet, wird es auch hier kaum um die Samaritaner gehen, da auch im Bereich Schriftauslegung vor Beginn der arabischsprachi-gen Epoche außer den in Tībåt Mårqe überlieferten midraschartigen Stü-cken fast nichts bekannt ist. Die Darstellung widmet sich daher in erster Linie dem Unterschied zwischen der herkömmlichen jüdischen dĕrash-Exegese und dem mit dem Kalām neu entstehenden systematischen kursori-schen Kommentar. Es soll damit die grundsätzliche Neuartigkeit dieser Kommentarform, sowohl formal als auch hinsichtlich ihres Verhältnisses zur herkömmlichen Auslegungstradition, herausgestellt werden, die für die Sa-maritaner nicht minder revolutionär gewesen sein dürfte als für die Juden.

Da es anzunehmen ist, dass die Samaritaner diese Textgattung samt ihrer spezifischen Methodik und Thematik von den Rabbaniten oder, vielleicht wahrscheinlicher, von den Karäern übernommen haben, liegt die Frage auf der Hand, ob sich in der rabbanitischen oder karäischen Literatur konkrete Vorlagen für Ṣadaqas Arbeit finden lassen. Ein Anliegen war es daher auch, alle in Frage kommenden Genesiskommentare, die Ṣadaqa gekannt haben könnte, zu sichten und auf Parallelen zu prüfen. Das Ergebnis dieser Sich-tung ist im Anhang „Einige wichtige Exegeten“ zu finden, und als Ergebnis der Prüfung kann zusammengefasst werden, dass zwar zahlreiche themati-sche Parallelen, aber keine direkten Übernahmen gefunden werden konn-ten.

Die dritte Perspektive, aus der der Text betrachtet werden soll, betrifft die Schöpfungsgeschichte, deren Kommentar sich in der vorliegenden Handschrift von fol. 1a–22b erstreckt, also über die Hälfte des von uns bear-beiteten Textes. Dieser Teil von Ṣadaqas Werk steht zweifelsfrei in der Tradi-tion der christlichen Kommentare zum sogenannten Sechstagewerk, der Hexaemeronliteratur. Vorgehensweise, Themenkanon und sogar Einzelar-gumente lassen sich bis in frühchristliche Kommentare, ja sogar bis zum jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien zurückverfolgen. Viele Zu-sammenhänge, die in Ṣadaqas Text rätselhaft erscheinen, werden klar, wenn man nachforscht, wie das betreffende Thema von den christlichen Auslegern behandelt wurde. Im Kapitel D „Ṣadaqas Genesiskommentar im Lichte der

4 A. Einführung

Hexaemeronliteratur“ werden deshalb die Beziehungen der Hexaemeron-Literatur zur judäo-arabischen Exegese erörtert und anhand von Beispielen aus christlichen Kommentaren sowie aus Ṣadaqas Werk illustriert.

Nachdem damit ein Überblick über die historische Entwicklung der vom Kalām geprägten Bibelexegese gewonnen ist, werden im Kapitel E „Leben und Werk von Ṣadaqa b. Munaǧǧā“ dargestellt.

Bevor zur eigentlichen Lektüre des Textes übergegangen wird, ist es hilf-reich, die beiden wichtigsten Themenkomplexe, die durchgehend die Grundlage von Ṣadaqas Argumentation bilden, im Zusammenhang zu be-trachten: Kapitel F „Kosmologie“ und Kapitel G „Seele und Verstand“. Bei Ṣadaqa sind die Aussagen hierzu lückenhaft und über viele Stellen verstreut. Ziel der beiden Kapitel ist es, in die Themen so weit einzuführen, dass es möglich wird, die betreffenden Stellen in Ṣadaqas Kommentar zu verstehen. Dabei stellte sich ganz besonders deutlich die Frage, welche Stellen – von welchen Autoren, aus welchen Werken – zur Illustration und Ergänzung angeführt werden sollten, denn viele der Sachverhalte, die Ṣadaqa voraus-setzt, waren unter den Gelehrten seiner Zeit Allgemeingut und gehen größ-tenteils schon auf griechische Philosophen, meist Aristoteles zurück. Pas-sende „Belege“ für die einzelnen Ansichten sind daher sowohl direkt bei den Griechen als auch bei den verschiedenen arabischen Philosophen und Mu-takallimūn zu finden. Bei der Darstellung der Kosmologie wurden so weit möglich Stellen aus dem Werk des Aristoteles angeführt, da auf ihn die meis-ten von Ṣadaqas Grundannahmen in diesem Bereich zurückgehen. Auch in Ṣadaqas Seelenlehre liegen die Grundlagen bei Aristoteles. Es wurden hier aber auch die Schriften von Ibn Sīnā hinzugezogen, mit denen Ṣadaqa in vielen Details der Seelenlehre übereinstimmt.

Hauptziel der Arbeit ist es, Ṣadaqas Genesiskommentar durch eine Über-setzung zu erschließen und seinen Kontext so weit zu erhellen, dass der Gedankengang verständlich wird. Viele Aspekte, die jeweils eine eigene Ab-handlung verdienten, mussten unberücksichtigt bleiben, da der zu behan-delnde Stoff so vielfältig war, dass nicht auf alles in gleicher Ausführlichkeit eingegangen werden konnte. Auch war eine Begrenzung des bearbeiteten Textes notwendig. Der Einschnitt wurde nach dem dritten Kapitel der Gene-sis gemacht. Hier ist die Erschaffung der Welt abgeschlossen und das Ver-hältnis zwischen Gott und dem Menschen grundsätzlich bestimmt. In der christlichen Theologie hatte dieser Abschnitt stets besonderen Stellenwert, da an „Schöpfung“ und „Sündenfall“ die grundlegenden christlichen Dogmen geknüpft sind. Für den Glauben von Juden und Samaritanern ist die Bedeu-tung dieser Thematik geringer, doch dürfte der Einfluss der Hexaemeronlite-ratur dazu geführt haben, dass auch von ihnen der Abschnitt besonders

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detailliert kommentiert wurde.1 Dass für eine Gesamtbewertung des Werkes eine vollständige Durcharbeitung notwendig ist, versteht sich von selbst. Dann erst kann gesagt werden, ob die vom Kalām geprägte Vorgehensweise die für den Anfang des Werkes charakteristisch ist, auch den sehr viel knap-per kommentierten Rest betrifft.

Ein Desideratum der judäo-arabischen Forschung im Allgemeinen ist ei-ne noch genauere Untersuchung der verschiedenen Einflussfaktoren, die auf die rabbanitischen, karäischen und samaritanischen Exegeten gewirkt ha-ben, und vor allem eine systematische Zusammenstellung der Ergebnisse. Hierfür stellt der vorliegende Text einen wichtigen, bisher unberücksichtig-ten Baustein dar. Die Situation ist äußerst unübersichtlich, da die Texte von „Parallelstellen“ wimmeln und sich viele Ideen und auch Detailargumente von den griechischen Philosophen über die Kirchenväter bis zu den rabbani-tischen, karäischen und schließlich samaritanischen Gelehrten durchziehen. Das Problem ist nur durch das vergleichende Studium einer möglichst brei-ten Basis an jüdischen und samaritanischen Bibelkommentaren zu lösen. Hierzu wurde ein Anfang gemacht, indem alle in Frage kommenden Gene-siskommentare zusammengestellt und auszugsweise verglichen wurden. Durch die deutlichen Verbindungen zur Hexaemeronliteratur sind insbe-sondere die Kommentare zur Genesis auf das engste mit den verschiedenen Zweigen der griechischen Naturwissenschaften und der Philosophie ver-knüpft. Dieser Zusammenhang ist lange bekannt und wurde von Georges Vajda, Haggai Ben-Shammai, Sarah Stroumsa und Bruno Chiesa herausge-stellt, doch eine umfassende, klare Darstellung der sehr verwickelten Bezie-hungen auf diesem Gebiet steht noch aus.

Die vorliegende Arbeit versucht einen Einstieg in das Thema zu geben, indem vor allem das geistige Umfeld des Verfassers dargestellt wird, ohne das sein Werk nicht zu verstehen ist. Auf die samaritanischen Gelehrten wird in den einzelnen Kapiteln als eine unter mehreren Gruppen eingegan-gen, die in diesem Umfeld wirkten und unter dessen Einfluss ihre eigenen Werke schafften. Für einen mehr auf die Samaritaner konzentrierten Über-blick sei auf meinen Artikel „Die exegetische Literatur der Samaritaner“ ver-wiesen, dessen Inhalte aber auch hier in den entsprechenden Kapiteln ein-gearbeitet sind.

Kern und Zielpunkt der Arbeit ist das Kapitel H, die Übersetzung von Ṣadaqas Genesiskommentar. Von diesem Text ausgehend wurden alle übri-gen Kapitel erarbeitet, und seiner Erhellung sollen sie dienen.

1 Siehe hierzu Bruno Chiesas für uns sehr wichtiges Werk Creazione e caduto dell’uomo

nell’esegesi giudeo-arabe medievale (1989).

Themenverzeichnis

1. Am Anfang schuf Gott (Gen 1,1) .................................................................................. 197

Erschaffung der Elemente 197 Das Feuerelement 197 Erschaffung des Lichtkörpers 198 Gegen den Anthropomorphismus bei Und Gott sah 198 Zur Bewegung des Himmels I 199 Ein Tag, nicht „der erste“ Tag 199

2. Und Gott sprach: Es sei ein Firmament (Gen, 1,6) ............................................ 200

Das Firmament ist unmittelbar erschaffen (mubdaʿ) 200 Das Feuerelement bewirkt nicht die Bewegung des Himmels 201 Die Bewegung des zweiten Himmels (falak) ist erzwungen 202 Und so wurde es 203 Der erste Himmel umschließt alles 203

3. Und Gott sprach: Es soll sich sammlen (Gen 1,9) ................................................ 204

Grammatisches 204 Beziehung zwischen Wasser und Trockenland 205 Verschiedene Arten von Erde und Wasser 206 Unterschied zwischen Salzwasser und Süßwasser 206 Klassen von Pflanzen 207 Die Organe der Pflanzen 208 Die Erhaltung der Arten aus sich heraus 210 Zweck der Früchte und Körner 211 Zweck der giftigen Pflanzen und der Heilmittel 212 Taklīf / Gottes Gerechtigkeit 212 Ausgeglichenheit (iʿtidāl) des Menschen 213 Die Pflanzen als Bild für den Gehorsam des Menschen 213

193

194 Text

4. Und Gott sprach: Es seien Lichtgeber (Gen 1,14) .................................................. 214

Grammatisches 214 Zur Natur des Lichts 215 Der erste Himmel und die Firmament-Ebene (רקיע השמים) 216 Die Bewegung der Sterne innerhalb des zweiten Himmels (falak) 218 Die Bewegung des ersten Himmels 222 Die Bewegung der Sphären 223 Die Positionsbewegung (ḥaraka waḍʿīya) von Sonne und Mond 223 Sonne und Mond bestimmen die Zeiten 224 Darlegung der Methode: ʿāmm und ḫāṣṣ 224 Die Bestimmung des Neumondes durch Berechnung 227 Die Erkenntnis der Schöpfung lässt auf den Schöpfer schließen 229 Die Konjunktion ist kein Sonderzustand 229 Widerlegung der Rabbaniten 230 Widerlegung der Karäer 230 Schaltmonat 232 Widerlegung von Qirqisānī 233 Die Methode der Samaritaner – Zusammenfassung 234 Einflüsse und Wirkungen der Planetenbewegungen 235

5. Und Gott sprach: Das Wasser wimmelt (Gen 1,20) .............................................. 238

Verschiedene Gattungen von Tieren 238 Die Reproduktion der lebenden Wesen 239

6. Und Gott sprach: Die Erde soll hervorbringen (Gen 1,24) .................................. 241

Art und Gattung 241 Grammatisches: Pluralform bei Lasst uns machen 241 Der Mensch als Ebenbild Gottes 242 Die Seelenvermögen 242 Die Sinne 243 Die Organe 244 Reihenfolge der Erschaffung der verschiedenen Vermögen 245 Die Seele ist die erste Erfüllung des Körpers 246 Die anorganischen Verbindungen 248 Engel im Vergleich zum Menschen 248 Mensch im Vergleich zu den anderen lebenden Wesen 249 Vermehrung des Menschen 249 Verhältnis des Menschen zur übrigen Schöpfung 250

Themenverzeichnis 195

7. So wurde der Himmel vollendet (Gen 2,1) .............................................................. 251

Die Vollendung der Schöpfung 251

8. Diese sind die Generationen (תולדת) des Himmels (Gen 2,4) ........................... 254

Grammatisches 254 Zweiter Schöpfungsbericht 256 Schöpfungsreihenfolge: Pflanze – Tier –Mensch 256 Gegen Anthropomorphismus 256 Eigenschaften der Seele 257 Zusammenfassung zur Seele I 259 Zur Meteorologie: Niederschläge 259

9. Und JHWH Gott pflanzte (Gen 2,8) .......................................................................... 261

Der Garten Eden 261 Der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis 262 Warum wurde der Baum der Erkenntnis verboten? 263 Die allegorische Deutung der beiden Bäume wird abgelehnt 264 Die Flüsse des Paradieses 265

10. Da nahm JHWH Gott Adam (Gen 2,15) ................................................................. 267

Adam wird in den Garten Eden gesetzt 267 Sinn des Verbotes, vom Baum zu essen, ist die Gotteserkenntnis 267 Verpflichtung zum Spekulieren über die Gebote 268 Prinzipielle und begründete Verpflichtungen 269 Der Ungehorsam Adams ist freie Entscheidung 271 Zweck und „Funktion“ des Baumes der Erkenntnis 273

11. JHWH Gott sprach: Es ist nicht gut (Gen 2,18) ...................................................... 274

Erklärung des Anthropomorphismus 274 Zweck der Erschaffung der Frau 274 Benennung der Tiere / Prophetenschaft 275 Die Erschaffung der Frau 275

12. JHWH Gott legte einen Schlaf (Gen 2,21) ................................................................ 275

Zusammensetzung des Samens 277 Gott formt den Fötus im Mutterleib 279 Eigenschaften des Samens 280 Wird der Same ein Teil des Fötus? 281 Ähnlichkeit zwischen Eltern und Kindern 282 Beerdigung ohne Kleider 283

196 Text

13. Die Schlange war das listigste (Gen 3,1) ............................................................... 283

Der Mensch hat Verstand und ist für sein Handeln verantwortlich 283 Die Kunstfertigkeiten der Tiere 284 Die List der Schlange 285 Verleihung des Begehrvermögens an den Menschen 286 Das Vernunftvermögen unterschiedet Mensch und Tier 286 Grammatisches 287 Der Erkenntnisprozess beim Menschen 287

14. Da rief JHWH Gott (Gen 3,9) .................................................................................... 289

Adam wird zur Rechenschaft gezogen 289 Eva wird zur Rechenschaft gezogen 290

15. Da sprach JHWH Gott zu der Schlage (Gen 3,14) ................................................ 291

Bestrafung der Schlange 291 Erläuterung der Strafen für die Schlange und den Menschen I 292

16. Und zu Adam sprach er: Weil du gehört hast (Gen 3,17) .................................. 293

Erschaffung der Sprache für den Menschen 293 Erläuterung der Strafen für die Schlange und den Menschen II 294 Wiederherstellung des menschlichen Körpers nach dem Tod 296 Sowohl Körper als auch Seele machen den Menschen aus 296 Gegen die Seelenwanderung 296 Hebräische Etymologien: 297 חוה , חי, חיה

17. Da sprach JHWH Gott: Siehe, der Mensch (Gen 3,22) ....................................... 297

Der Mensch verliert das ewige Leben 297 Die Kerubim weisen den Weg zurück zum Paradies 298

Abstract

The Commentary on Genesis by the Samaritan Ṣadaqa b. Munaǧǧā – Introduction, Translation, and Annotations to Chapters 1–3

The thesis sheds light on the hitherto nearly unexplored field of Samaritan Arabic literature. The work to be translated and analysed is the Commentary on the book of Genesis by Ṣadaqa b. Munaǧǧā, also called Ṣadaqa al-Ḥakīm (died after 1223). The work is preserved in a manuscript which is presumably dating back the fifteenth or sixteenth century. It is kept at the Bodleian li-brary in Oxford (shelf mark: Huntington 301) and contains 404 densely writ-ten pages. In the present thesis the first 80 pages, which contain the com-mentary on Genesis 1–3, are translated into German and annotated. One of the main concerns was to trace back the different traditions the text is built upon. Therefore an extensive introduction contains chapters on Judaeo-Arabic exegetical literature, the theology of kalām, the Hexaemeron tradi-tion, and the principles of cosmology and psychology according to the Greek philosophical tradition. The commentary text itself, although written by a scholar of the tiny community of the Samaritans, displays a large array of intertextual relations with Judaeo-Arabic, Muslim and Christian texts, while being rather loosely linked with the Samaritan tradition. The text shows that its author was well acquainted with the major theological, scientific, and philosophical concepts that have been shared by the majority of scholars of his time, regardless of their religious affiliation. The thesis traces back the different traditions the text is based on and anal-yses how the author incorporates them in the framework of Samaritan litera-ture. For the first time a Samaritan Arabic text that is so complexly linked with the extra-Samaritan environment is being analyzed and put in relation with the general intellectual environment of its time.

*** The Samaritans are a religious community that separated itself from the common Israelite heritage in the time of the formative period of Judaism. At the time when our text was written they were comprised of an estimated 10–20.000 people located mainly in Nablus and Damascus with minor commu-nities also in other cities of the Levant and in Cairo. Their language of daily use was Arabic. Aramaic and a specific variety of Hebrew continued to serve as a literary language, but the main share of texts that have been preserved from that time are in Arabic. The overall literary production of the Samari-tans was limited, certainly due to their small population. We know the names of about 10–15 authors that have written in Arabic between around

450 Abstract

1000 and 1300. The commentary on Genesis by Ṣadaqa b. Munaǧǧā is one of the longest texts within this tradition, and it is the earliest Samaritan Bible commentary that has come down to us.

A closer look at the author’s background can help us to understand some of the major peculiarities of the text. Ṣadaqa b. Munajjā, probably originating from Damascus, was a physician who served at the court of the Ayyubid ruler al-Malik al-Ashraf Mūsā (d. 1237) in the Upper Mesopotamian city of Ḥarrān. We are well informed about his biography from the famous encyclo-paedia of physicians by Ibn Abī Uṣaybiʿa (1203–1270). We can assume that as a physician he had been trained according to the classical Alexandrian scien-tific tradition. Large parts of the commentary are dealing with scientific issues, such as cosmology, astronomy, psychology, and also medicine; in each of those fields the author appears to be skilled. This is not strange if we consider his scientific-philosophical background. What is striking, however, is how smoothly this knowledge is combined with the exegesis of the biblical text.

Ṣadaqa’s commentary on Gen. 1–3 is profoundly influenced by two great intellectual traditions: the theology of Kalām and the Hexaemeron literature. They both emphasize the predominant role of the human intellect for the knowledge of God. As a matter of fact, both approaches hold that man to a large extent can recognize God only through reasoning, and without any divine revelation. The authority of the revealed scriptures is not rejected, as they are confirming the results of the human intellectual activity and adding additional knowledge in the realm of worship that cannot be known by rea-soning alone. Nonetheless, the primary concern of both Kalām and Hexaem-eron literature is to recognize god through reasoning about his creation. This common principle provides the basis for the combination of both traditions as it is the case in the present text. Moreover, putting the focus on the intel-lect as a common good to all humans, rather than on scriptures restricted to a certain religious community, allowed scholars to easily adapt texts by col-leagues that held religious convictions different from their owns.

In terms of style, terminology and concepts Ṣadaqa’s commentary is a typical piece of Kalām literature. Kalām is a rationalist theology that origi-nates in Islam and has been adopted by Rabbanite and Karaite Jews, the most influential Jewish mutakallim being Saʿadia Gaon (ca. 882–942). The adoption was made possible by the fact that the main principles of Kalām could easily be accepted by scholars of any of the three monotheistic reli-gions including their various denominations. Among those principles are: the predominant role of the human intellect, God’s unity, and God’s perfect justice. Not least was it the common Arabic language that enabled a far-

Abstract 451

reaching intellectual exchange. In the present thesis an introductory chapter is dedicated to the development of Kalām and its principles. It includes ref-erences to the respective passages of Ṣadaqa’s commentary which illustrate that the text is deeply rooted in Judeo-Arabic Kalām.

In addition, the commentary on chapters 1–3 continues discussions known from the Hexaemeron literature. This is a very widespread exegetical tradition that aims to harmonize the scientific-philosophical world view that had developed in the Hellenistic world with the Biblical account. While its first exponent was the Jewish philosopher Philo of Alexandria (ca. 15 BC–40 CE), the most important developments have been made by the fathers of the church during the first centuries CE. The tradition ultimately found its way to medieval Europe where, among others, the Danish archbishop of Lund, Anders Suneson (c. 1167–1228, a contemporary of Ṣadaqa) wrote his long Hexaemeron poem. The main philosophical reference of the early Hexaem-eron commentators was Plato, especially his dialogue Timaios, in accordance with which they hold that the creation was strictly teleologically arranged and that God was nothing than good, thus he only could create the good. The commentaries were enriched by detailed scientific arguments, which are often based on Aristotelian principles. All Judeo-Arabic commentaries on the book of Genesis that have been consulted in the thesis, i. e. the commen-taries by David al-Muqammaṣ, Saʿadia Gaon, Yaʿqūb al-Qirqisānī, Yefet b. Eli, and ʿAlī b. Sulaimān, reflect the Hexaemeron tradition in a similar manner. In terms of structure, argumentation and topics discussed also Ṣadaqa’s commentary displays so tight connections with this tradition that we can speak of Ṣadaqa’s work as a Samaritan Hexaemeron commentary. The au-thor frequently summarizes discussions citing the views of different scholars, yet he never mentions any names, which makes it difficult to find out about his sources. Every one of the aforementioned Judeo-Arabic commentaries as well as several Christian Hexaemeron works have been compared, but none of them appears to be a direct Vorlage for Ṣadaqa’s work.

Considering the multiple external influences on the text, the question that poses itself is if there is anything in it that underscores its Samaritan character. A frequent reminder of its Samaritan provenance are the citations from the Pentateuch which are written in Samaritan Hebrew script. In addi-tion, in the context of the creation of the heavenly bodies the author dis-cusses the specifically Samaritan method of determination of the new moon and defends it against the views of the Rabbanites and Karaites. Apart from this, specifically Samaritan traces are scarce. The text appears as a typical example of Kalām literature, with a slight Samaritan tendency. Its author Ṣadaqa b. Munaǧǧā can without doubt be called a mutakallim, a scholar of

452 Abstract

Kalām, particularly as his second work, the K. ʿAqīdat ad-dīn, represents a common genre of Kalām as well. Given those obvious examples of Samaritan Kalām texts, we have to investigate the question if is justified to speak of a specific, independent Samaritan type of Kalām – in analogy to Rabbanite, Karaite and Christian Kalām? So far, evidence is too little to confirm this. Apart from Ṣadaqa b. Munaǧǧā we know two other Samaritan mutakallimūn, Sadaqa’s father Munaǧǧā, and Abū l-Ḥasan aṣ-Ṣūrī, who lived in the middle of the eleventh century, but it is unknown how this approach was received by the general scholarly community of the Samaritans. None of the other Samaritan Arabic authors seems to have received any of the Kalām texts, as far as is known.

The thesis provides an analysis of the work of Ṣadaqa b. Munaǧǧā and highlights its relations with its intellectual environment. It gives an introduc-tion into the basic concepts of Kalām and Hexaemeron literature and demonstrates how they have been combined by the Samaritan scholar. The core of the thesis is the translation of the Arabic text into German together with extensive annotations. Only very few Samaritan Arabic texts have been made accessible in this manner so far; thus the thesis is an important contri-bution to the field of Samaritan Arabic literature. It also contributes to the study of Judeo-Arabic commentaries on the Creation. Some of them have been analyzed more or less extensively, but a comprehensive study of this field is still missing. The present study can be regarded as a first step in this direction.