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Das Finanzausgleichsproblem in der deutschen Finanzwissenschaft der Vorkriegszeit Author(s): Johannes Popitz Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 1, H. 3 (1932), pp. 395-438 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40907392 . Accessed: 17/06/2014 20:38 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.78.108.20 on Tue, 17 Jun 2014 20:38:39 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Page 1: Das Finanzausgleichsproblem in der deutschen Finanzwissenschaft der Vorkriegszeit

Das Finanzausgleichsproblem in der deutschen Finanzwissenschaft der VorkriegszeitAuthor(s): Johannes PopitzSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 1, H. 3 (1932), pp. 395-438Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40907392 .

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Das Finanzausgleichsproblem in der deutschen Finanzwissenschaft der Vorkriegszeit

von

Johannes Popitz

I. Die wissenschaftliche Durchforschung eines Sachgebiets wird immer solange Not leiden, als es nicht gelingen will, das Sachgebiet einer ganz bestimmten wissenschaftlichen Disziplin derart zuzugesel- len, daß es allgemein bei der Pflege dieser Disziplin als ihr notwendiger Bestandteil angesehen wird. Liegt ein bestimmtes Sachgebiet gleich- sam zwischen den Fugen der akademischen Disziplinen, so werden es immer nur Außenseiter sein, die sich ihm widmen. So liegt es bei der Lehre des Finanzausgleichs. Man hat nicht mit Unrecht davon ge- sprochen, daß der Finanzausgleich an „theoretischer Heimat- losigkeit41 leide *). Der Problemkreis des Finanzausgleichs wird von einer Disziplin zur andern gleichsam hin- und hergeschoben, ohne in einer von ihnen zur vollen Anerkennung als wichtiges Glied im Auf- bau des Systems der Disziplin zu kommen. Es handelt sich vielmehr nur um Teilausschnitte des Problems, die in einer oder der andern Diszi- plin behandelt zu werden pflegen, während eine Zusammenfassung an einem bestimmten fachlichen Standort nicht glücken will.

Sieht man im Finanzausgleich das finanzielle Spiegelbild der Ver- fassungsverhältnisse im Bundesstaate, so wird sich das Staats- recht insoweit mit ihm beschäftigen : das ist schon vor dem Kriege geschehen, indem etwa L a b a n d die Frage behandelt hat, ob direkte Eeichssteuern zulässig sind und wie es mit Matrikularbeiträgen und Steuerüberweisungen steht, und das ist auch nach dem Kriege fest- zustellen, schon weil der Staatsrechtler nicht an der Auslegung der Art. 8 und 11 der Eeichsverfassung vorbeigehen kann. Zieht man in den Begriff des Finanzausgleichs auch die Auseinandersetzung zwi-

2) Vgl. H. Sultan, Die Staatseinnahmen (1932) 8.93.

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sehen Ländern und Gemeinden ein, so wird das Verwaltungs- recht dieses Teilgebiets behandelt, indem es etwa die finanzielle Autonomie der Gemeinden oder die entsprechenden Aufsichtsrechte des Staats - damit zugleich in das Selbstverwaltungsrecht schlecht- hin einmündend - untersucht und weiter das Kommunalabgaben- recht darstellt. In beiden Fällen tritt der Umstand hervor, daß gerade Eechtsdisziplinen sich sehr stark davon abhängig fühlen, ob eine ge- setzgeberische Regelung einer Materie vorliegt und dieEechtssprechung Gelegenheit hat, sich mit den entstehenden Fragen zu beschäftigen. So hat sich vor dem Kriege im Anschluß an die große gesetzgeberische Leistung des Kommunalabgabengesetzes und an die Eechtssprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts eine lebhafte Beschäftigung mit dem Kommunalabgabenrecht entwickelt, wobei freilich die Träger der wissenschaftlichen Behandlung weniger Gelehrte als wissenschaft- lich interessierte Praktiker x) waren. Jedenfalls zeigt sich bereits auf dem Gebiete der Eechtswissenschaft, daß dem Finanzausgleichspro- blem die einheitliche Behandlung fehlt und eine Zerreißung in die bundesstaatlichen Fragen einerseits und die mehr verwaltungsrecht- lich orientierten Fragen des Gemeindesteuerrechts und seiner Abgren- zung zum Staatssteuerrecht andererseits stattfindet. Erst nachdem sich nach dem Kriege das Steuerrecht als selbständiges rechtswissen- schaftliches Fach entwickelt hat, ergab sich eine Möglichkeit, diese Fragen zusammenzufassen, freilich vollständig erst, soweit man sich dazu entschlossen hat, das Steuerrecht zum Finanzrecht zu erweitern.

Nun kann es aber niemals gelingen, das Problem des Finanz- ausgleichs lediglich durch Behandlung vom juristischen Standpunkt aus zu erschöpfen. Schon aus dem Vorhandensein mehrerer öffent- licher Haushaltungen, die nebeneinander ihren Anspruch auf Beteili- gung am Sozialprodukt erheben, ergibt sich, daß dabei wirtschafts- wissenschaftliche Fragen auftreten, denn erst jenes Nebeneinander be- stimmt die Gesamtheit des öffentlichen Bedarfs und der ihr ent- sprechenden Steuerlast. Es läßt sich auch erst durch Zusammenfügen der Steuern der verschiedenen öffentlichen Verbände die Frage nach der Gestaltung des Steuersystems beantworten. Damit kann die Finanz Wissenschaft an dem Problem des Finanzausgleichs nicht vorbeigehen. Aber für sie entstehen wieder besondere Schwierig- keiten, die einem vollen Einbau in ihr System entgegenstehen. Das Pro-

^SoO. Schwarz, G. Strutz, F. Freund, W.Moll.

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blem ist nun einmal dem überlieferten System der Finanzwissenschaft fremd. Die Finanzwissenschaft hat sich daran gewöhnt, eine Identität des Staatsfinanzwesens mit dem öffentlichen F inanzwesen schlechthin anzunehmen. Die Steuerlehre hat sich wenig darum gekümmert, ob die einzelnen Steuertypen, deren geschichtliches Vorhandensein, finanz- technische Gestaltung, fiskalische Ergiebigkeit und volkswirtschaftliche Wirkung sie untersucht, dazu bestimmt waren, dem Staate oder den Gemeinden oder beiden von ihnen Einnahmen zu sichern. Dazu kommt, daß die Finanzwissenschaft eine klare Stellung zu der Frage, wie das Eingreifen der öffentlichen Hand in den Kreislauf der Wirtschaft durch Auferlegung und Verwendung der Steuern theoretisch zu meistern wäre, noch nicht gefunden hat. Die Eigenschaft der Finanzwissen- schaft als einer Teildisziplin der Nationalökonomie hat dazu geführt, in erster Linie eine Antwort mit den Mitteln der reinen Wirtschafts- theorie zu suchen. Es entscheiden aber über Umfang und Art des staatlichen Eingriffs in die Wirtschaft im Wege der Besteuerung und über die Art der Verwendung der öffentlichen Mittel ganz andere Ge- sichtspunkte als nur wirtschaftliche. Es entsteht vielmehr die Frage nach den Ursachen und Bedingtheiten des öffentlichen Bedarfs, und diese Überlegung führt wieder zu der Betrachtung, wie in der öffent- lichen Wirtschaft die Willensbildung über Aufgabensetzung und Aus- gabeleistung gestaltet ist. Hier wieder hebt sich die Frage hervor, welche Eolle dabei der Vielheit der Kräfte zuzuschreiben ist, die dabei mitwirken. Man mag in diesem Zusammenhang an soziologische Be- trachtung, angewendet auf finanzwirtschaftliche Beziehungen, den- ken, und die Frage aufwerfen, wieweit die Untersuchung der außer- wirtschaftlichen Kräfte die an der Festsetzung der Ausgaben und dem Zustandekommen der Steuern mitwirken, mit wissenschaftlichen Mit- teln möglich ist. Der Einblick in diese gesellschaftlichen Vorgänge kompliziert sich außerordentlich, wenn man sich darüber klar wird, daß diese Kräfte ja nicht nur beim Staate einen Ansatzpunkt haben, sondern daß auch die Gemeinden selbstständige Träger einer außer- wirtschaftlich bedingten Macht sind und daß schließlich Machtkämpfe ganz besonderer Art ausgelöst werden, wenn der Staat zweigespalten ist, so daß Bundesstaat und Gliedstaaten je als Finanzwirtschaftler und Steuergläubiger einander gegenüberstehen. Nun können freilich die Fragen der Abgrenzung der Finanzgewalt im Bundesstaat und zwi- schen Staat und Gemeinden weder nach ihrer wirtschaftlichen Wir- kung noch nach ihrem soziologischen Elementen behandelt werden,

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ohne gründliche Kenntnis der rechtlichen Vorschriften und ohne Staats- und verwaltungswissenschaftliche Einsicht in ihre Bedeutung für Staat, Verfassung und Verwaltung. Daraus entsteht für die Finanz- wissenschaft eine neue Schwierigkeit, nicht nur deswegen, weil ihre Vertreter häufig juristischer und vor allem staatsrechtlicher Durch- bildung entbehren, sondern weil sie auch vielfach ängstlich bestrebt sind, ihr Sachgebiet gegenüber der Rechtswissenschaft autonom zu erhalten. Wie dem aber auch sei: rechtliche Erwägungen genügen überhaupt nicht, die Erscheinungen des öffentlichen Lebens zu klären, sondern dabei muß auf alle die Wechselbeziehungen abgestellt werden, die - gewiß wesentlich durch die rechtliche Ordnung beeinflußt - im öffentlichen Leben und insbesondere auch im Verwaltungsleben das Geschehen mitgestalten. Es bedarf der Untersuchung, welche Vorgänge den Erfolg einer bestimmten gewollten Ordnung beeinflussen, welches denn der zureichende Grund sei für einen im Geschehen festzustellen- den finanzwirtschaftlichen Tatbestand, um zu erkennen, warum eine bestimmte Regelung das geeignete Mittel für die Erreichung eines an- gestrebten Ziels ist oder nicht ist.

Jedenfalls sehen wir, daß der, der sich mit dem Gesamtproblem des Finanzausgleichs befassen will, mühsam die membra disjecta zu- sammensuchen muß, die er im Staats- und Verwaltungsrecht, im Finanzrecht, also bei der Rechtswissenschaft auf der einen Seite, und in der Finanzwissenschaft und der Soziologie, also bei den Staats- und Sozialwissenschaften auf der andern Seite, vorfindet, wobei, wenn ihm diese Sammlung gelingt, die membra durchaus nicht etwa zu- sammenpassen, weil sie mit verschiedenen wissenschaftlichen Metho- den und Zielsetzungen erfolgte Bearbeitungen aufweisen. Es wird für die Zukunft der Lehre vom Finanzausgleich von entscheidender Be- deutung sein, ob es gelingt, wenigstens für diese Zusammenfassung dem Finanzausgleich eine Heimstätte in einer der anerkannten Wissen- schaftsdisziplinen zu sichern. Daß Teilgebiete aus dem Gesamtkomplex der Fragen, die zum Finanzausgleich gehören, in verschiedenen Fach- wissenschaften mitbehandelt werden, ist an sich kein Nachteil, sondern müßte eine Bereicherung darstellen. Notwendig ist nur, daß im Rah- men einer Fachwissenschaft der Gesamtüberblick über die Ergeb- nisse aller die Teile betreffenden Untersuchungen stattfindet, damit durch ihre systematische Zusammenfügung eine Theorie des Finanz- ausgleichs möglich wird.

Man könnte einwenden, welche Gründe denn dafür sprächen, ge-

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rade für die Lehre vom Finanzausgleich den Standort für eine theore- tische Durcharbeitung so nachdrücklich zu fördern und zu suchen. Aber diese Frage könnte nur der aufwerfen, dem die Erkenntnis verschlossen geblieben ist, daß es sich hier um ein Problem nicht nur von ent- scheidender, praktischer Wichtigkeit, sondern auch von maßgebender Bedeutung für die grundsätzliche theoretische Einstellung zu den Fragen der Finanzwirtschaft handelt. Wer freilich noch immer glaubt , an jener Anschauung des Liberalismus festhalten zu sollen, als ob der Staat und die ihm eingegliederten Gebilde gleichsam nur leider nicht ganz vermeidbare Annexe des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens seien, der mag es für eine untergeordnete Frage halten, ob sich innerhalb des Staates noch gewisse Verrechnungsschwierigkeiten er- geben und bürokratische Auseinandersetzungen vollziehen. Die Wirk- lichkeit aber zeigt ein völlig anderes Bild. Die Wissenschaft muß der Tatsache Rechnung tragen, daß der Staat immer mehr zum wichtig- sten Teilhaber des Sozialprodukts geworden ist und einen immer mehr zunehmenden Ausschnitt der gesamten Volkswirtschaft, wie man sich wohl ausgedrückt hat, kontrolliert. Ist dem aber so, dann bedürfen alle die Tatbestände, die Umfang und Art der staatlichen Tätigkeit bestimmen und für die Gestaltung des staatlichen Gebildes und seiner standsmäßigen Glieder von Bedeutung sind, aufmerksamster Betrach- tung, und es muß versucht werden, für ihre Behandlung ein geeignetes System zu finden. Hier aber liegt die Aufgabe des Finanzausgleichs, und es ist für die Lehre vom Finanzausgleich sowohl wie vom Stand- punkt richtiger Aufgabestellung für die Wissenschaft ein Unglück, wenn diese Lehre eine Art Niemandesland darstellt oder gar als nicht recht arrivierte Geheimwissenschaft der Bürokratie angesehen wird.

Sucht man nun nach einer theoretischen Heimstätte für das Finanzausgleichsproblem, so entsteht zunächst die Frage, ob sie bei den Rechtswissenschaften oder bei den Staats- und Sozialwissenschaften gefunden werden könnte. Auf dem Gebiete der Rechtswissenschaften werden weder Staatsrecht noch Verwaltungsrecht die Gesamtbehandlung der entstehenden Fragen auf- nehmen können. Das Staatsrecht nicht, weil es seine Zuständigkeit nicht wohl über die Finanzausgleichsfragen ausdehnen kann, die sich aus der Gestaltung des Bundesstaats ergeben, das Verwaltungsrecht nicht, weil zu seiner Zuständigkeit lediglich Fragen, wie die der Or- ganisation der Lokalverwaltung und der Eingliederung der Gemeinden in das Staatsganze gehören. Es handelt sich aber beim Finanzausgleich

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gerade darum, die Schichtungen des Staates nicht auseinanderzu- reißen, sondern alle dem Gesamtstaat eingegliederten Gebietskörper- schaften unter der Fragestellung zusammenzufassen, wie sich zwischen ihnen Aufgaben und Einnahmen verteilen sollen und sich in dieser Verteilung wieder wirkungskräftig zusammenfügen. Es würde also für eine zusammenfassende Betrachtung vom juristischen Standpunkt aus nur das Finanzrecht übrigbleiben. Das Finanzrecht hat sowieso das Schicksal (und den Reiz), daß sich in ihm Fragen vereinigen, die den verschiedensten Rechtsdisziplinen angehören: wir finden dort völker- rechtliche Fragen, wenn wir etwa an Zollverträge oder Doppelversteue- rungsverträge oder auch Reparationsfragen denken, staatsrechtliche, wenn es sich um die Abgrenzung der Finanzgewalt zwischen Reich und Ländern handelt, und verwaltungsrechtliche, sowohl, wenn die Steuer- befugnisse der Gemeinden darzustellen sind, als auch, in gewaltiger Stoffülle, soweit es sich um das materielle und formelle Steuerrecht handelt, wobei denn wieder auch Fragen des bürgerlichen und des Handelsrechts auftauchen, weil zahlreiche Steuergesetze an Verkehrs- akte und Wirtschaftsvorgänge anknüpfen, die sich zunächst auf diesen Rechtsgebieten auswirken. Dem Finanzrecht wird denn in der Tat auch die Aufgabe zufallen müssen, den vorhandenen Rechtszustand, in dem sich das Finanzausgleichsproblem ausprägt, und seine rechts- geschichtliche Entwicklung darzustellen. Zweifellos ist hier auch zu- nächst die erste gleichsam provisorische Heimstätte für das Problem des Finanzausgleichs gewesen, und es wird auch stets Aufgabe des Finanzrechts sein müssen, am Finanzausgleich diejenige wissenschaft- liche Arbeit zu leisten, die mit rechtlichen Methoden geleistet werden kann. Diese Aufgabe ist keinesfalls zu unterschätzen, denn die Rechts- quellen sind überaus zerstreut, es fehlt ihnen vielfach jeder systema- tische Zusammenhang, und die Einfügung zu einem klaren System, das nicht nur rechtliche Tatbestandsaufnahme ist, sondern auch die staatspolitischen Grundsätze herausarbeitet, wird eine wesentliche Vor- aussetzung für eine Lehre vom Finanzausgleich sein. Aber an diese selbst sind noch weit andere Anforderungen zu stellen. Es wurde schon ausgeführt, daß die rechtliche Lösung des Finanzausgleichsproblems wirtschaftliche Wirkungen auslöst, in die Fragen der Finanzwirtschaft der öffentlichen Verbände auf der Ausgaben- und Einnahmenseite ent- scheidend eingreift und daß gerade die Verflechtung der Finanzwirt- schaften der nebeneinander bestehenden öffentlichen Verbände die Frage immer dringender macht, wie die Gesamtheit der finanzwirt-

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schaftlichen Vorgänge eine theoretische Behandlung finden soll. Es muß deswegen von der Finanzwissenschaft erwartet werden, daß sie die Lehre vom Finanzausgleich zur entscheidenden Gesamtschau in sich aufnimmt u n d ihr in ihrem System den geeigneten Standort an- weist.

II. Es soll nun diese Forderung nicht weiter vom systematischen Standpunkte aus beleuchtet werden, vielmehr wird es der Vorbe- reitung einer Lösung dieser der Finanzwissen- schaft gestellten Aufgabe dienen, zunächst einmal näher festzustellen, wie sich denn die Finanzwissenschaft zu dem Problem des Finanzausgleichs bisher verhalten hat. Die deutsche Finanzwissen- schaft hat in der Vorkriegszeit, insbesondere in den 90er Jahren, eine Blütezeit erlebt. Es muß von Interesse sein, zu untersuchen, wie- weit damals die Bedeutung der Finanzausgleichsfragen für die Durch- dringung der Aufgabe der Finanzwissenschaft erkannt worden ist. Eine solche Untersuchung wird dadurch erschwert, daß die Bezeich- nung Finanzausgleich zum mindesten in Deutschland erst der Nach- kriegszeit angehört. Es ist bekanntlich das Verdienst A. Hensels1), für den Problemkreis den Namen eingebürgert zu haben. Sein 1922 erschienenes Buch über den Finanzausgleich hat den Begriff heraus- gearbeitet und, wenn sich dieses Buch auch auf den Finanzaus- gleich im Bundesstaat beschränkt, so zeigt doch schon der Titel, daß die Bezeichnung als solche einen weitergreifenden Begriff deckt. Indem das Reich sein die Verteilung der Steuern zwischen Reich und Ländern behandelndes Gesetz, das bei seinem Erlaß im Jahre 1920 den farblosen Namen Landessteuergesetz erhielt, in Finanzausgleichs- gesetz im Jahre 1923 umbenannt hat und indem die Länder sich daran gewöhnt haben, die Gesetze über ihre finanzielle Auseinandersetzung mit den Gemeinden und Gemeindeverbänden als Ausführungsgesetze zum Finanzausgleichsgesetz zu bezeichnen, hat sich Ausdruck und Begriff des Finanzausgleichs in Deutschland voll eingebürgert. Vor- her freilich, insbesondere in der Zeit vor dem Kriege, war der Aus- druck unbekannt oder bezeichnete nur gewisse Teilprobleme, wie sie etwa in Österreich-Ungarn hervortraten 2). Wir können also in der

*) A. H e n s e 1 , Der Finanzausgleich im Bundesstaat in seiner staatsrecht- lichen Bedeutung (1922).

2) In Österreich-Ungarn sprach man vom „Ausgleich", um die finanzielle Auseinandersetzung zwischen den beiden Teilen der Donaumonarchie zu bezeich- nen. Einen völlig anderen Sinn hat es, wenn man mit Ausgleich den Vergleich

Finanzarchiv. N. F. 1. Heft 3. 27

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Finanzwissenschaft der Vorkriegszeit keine Behandlung des Problems unter diesem Namen erwarten. Damit ist aber nicht gesagt, daß das Problem als solches nicht auch schon vor dem Kriege sowohl selbst- verständlich vorhanden gewesen wäre, als auch wissenschaftliche Be- handlung hätte finden müssen. Freilich zeigt sich zugleich, daß diese wissenschaftliche Behandlung jedenfalls bis zu einer einheitlichen Be- griffsbildung oder gar Namengebung nicht vorgedrungen ist. Wollen wir die ältere Literatur darauf untersuchen, wieweit sie entweder Teil- gebiete dessen, was wir heute Finanzausgleich nennen, behandelt oder gar wieweit sie sich des Gesamtproblems bewußt gewesen ist, so wird es erforderlich sein, kurz zu umreißen, die Behandlung welchen Pro- blemkreises wir denn erwarten. Eine anerkannte Definition dessen, was wir unter Finanzausgleich verstehen, fehlt auch heute noch. Eine gewisse "Übereinstimmung wird man annehmen können, wenn zu der Frage des Finanzausgleichs jedenfalls das gerechnet wird, was E. Stuk- k e n in einer Abhandlung über die Neuordnung des Finanzausgleichs *) wie folgt zusammengefaßt hat: Verteilung der Eechte und Pflichten, Einnahmen bestimmter Art zu erheben und Ausgaben für bestimmte Zwecke zu bestreiten, auf die öffentlichen Gebietskörperschaften. Frei- lich diese Begriffsbestimmung ist farblos und, wie die Verwendung der Worte Eechten und Pflichten zeigt, auch zu stark auf einen juristi- schen Tatbestand abgestellt. In dem Beitrag Finanzausgleich, den ich 1927 im Handbuch der Finanzwissenschaft veröffentlicht habe 2), habe ich als Finanzausgleich die Gesamtheit der Tatbestände und Eege- lungen bezeichnet, die die finanziellen Beziehungen unter den in einem Einheitsstaat oder in einer Staatenverbindung vorhandenen Gebiets- körperschaften zum Inhalt haben. Gleichzeitig habe ich aber insoweit den Eahmen noch etwas weiter gespannt, als ich die Problematik des Finanzausgleichs herausgestellt habe. Ich habe sie darin gefunden, daß die finanziellen Bedürfnisse mehrerer Gebietskörperschaften, von denen eine die Gesamtheit einer nationalen Wirtschaft, die andere Teile da- von umfassen, so mit finanzwirtschaftlichen Mitteln zu befriedigen, daß einerseits die Gebietskörperschaften sämtlich ohne Verlust an Leistungsfähigkeit und Einfluß auf ihre Kosten kommen und daß

und schließlich die AusbaLancierung des öffentlichen Bedarfs und der Deckungs- mittel meint, wie es in der Schweiz gebräuchlich ist.

*) Conrads Jahrb. Bd. 127 (1927) S. 721 f.

2) Handbuch der Finanz Wissenschaft, herausgegeben von Uerloff und Me i sei. Bd. IT (1927) S. 370 f .

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andererseits die Einzelwirtschaften dabei nicht Schaden leiden, sei es, daß sie unter der Vielheit der Zuständigkeiten oder gar durch negative Kompetenzkonflikte nicht die Leistung der öffentlichen Wirtschaft er- halten, auf die sie Anspruch erheben können, sei es, daß sie als Steuer- pflichtige durch den Gesamt zugriff von mehreren Steuergläubigern überlastet werden. Es ist hier nicht die Aufgabe zu stellen, zu einer scharfen Abgrenzung des Finanzausgleichsproblems zu kommen. Viel- mehr wird es gerade, wenn man die Beschäftigung der Finanz Wissen- schaft in der Zeit vor der Prägung des Begriffs mit den hierher ge- hörenden Fragen untersuchen will, notwendig sein, den Eahmen sehr weit zu fassen und lediglich von den Tatbeständen auszugehen, die jedenfalls für die Entstehung des Finanzausgleichsproblems konstitu- tiv sind, um zu untersuchen, ob und inwieweit diese Tatbestände in der finanzwissenschaftlichen Literatur erkannt, behandelt und in ihren Wirkungen nach der einen oder andern Eichtung hin untersucht wor- den sind. In meinem Buche „Der künftige Finanzausgleich zwischen Eeich, Ländern und Gemeinden' *

*), habe ich diese Tatbestände wie folgt charakterisiert; es handelt sich um drei Tatbestände:

1. Der erste Tatbestand geht dahin, daß es in keinem größeren Staate nur einen öffentlichen Willensträger gibt, sondern immer mehrere. Der Staat ist ein geschichtetes Gebilde. Neben dem Staat im engeren Sinne stehen die Gemeinden und Gemeindeverbände, ferner die öffentlichen Versicherungsträger, sowie zahlreiche juristisch selb- ständige öffentliche Unternehmungen und Anstalten. Liegt, wie in Deutschland, ein Bundesstaat vor, so ist der Staat zweigespalten, neben dem Eeich stehen die Länder.

2. Jeder dieser Willensträger hat Zuständigkeiten, also Aufgaben, und damit notwendigerweise Ausgaben, zu deren Deckung er der Ein- nahmen bedarf. Wir haben also in diesen Willens trägern verschiedene Wirtschaftseinheiten vor uns. Es handelt sich um Haushaltungen, für die je für sich das Problem von Bedarf und Deckung besteht.

3. Jeder dieser Willensträger hat einen bestimmten Grad von Selbständigkeit, bildet mit eigenen Organen seinen Willen und zwar, da es sich um öffentliche Angelegenheiten handelt und Selbständig- keit den Trieb zur Selbstbehauptung auslöst, einen politischen W7illen. Es ist damit jeder der Willensträger zwiefach Gegenstand eines poli- tisch-ökonomischen Machtkampfes, nämlich eines Kampfes der inter-

*) Gutachten, erstattet der Studiengesellschaft für den Finanzausgleich (1932). 27*

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essierten Kräfte um die Willensbildung selbst und zugleich eines Kamp- fes mit den andern Willensträgern um den Grad der Selbständigkeit.

Die Aufgabe des Finanzausgleichs würde es nun sein, diese drei Tatbestände, vom Gesichtspunkt des Finanzwesens aus, nach ihrem Inhalt, ihren Wirkungen und der zu ihrer Ordnung entstehenden Auf- gabe zu untersuchen, und zwar so, daß dadurch den Bedürfnissen des Staates wie der Wirtschaft Eechnung getragen wird. In der Umgren- zung des dritten Tatbestandes sind bereits Probleme angedeutet, die auf soziologisch-politischem Gebiete liegen. Wir werden bei der ver- hältnismäßig kurzen Entwicklung wissenschaftlicher Beschäftigung mit solchen Problemen nicht wohl erwarten können, daß uns die ältere Literatur der Finanzwissenschaft hierüber mehr als gelegentliche An- sätze darbietet. Es wird sich daher zunächst darum handeln müssen, festzustellen, wieweit die Finanzwissenschaft zu den ersten beiden Tatbeständen und der Notwendigkeit der Ordnung der daraus ent- stehenden Beziehungen zum mindesten vom Standpunkt wirtschafts- wissenschaftlicher Erwägung aus Stellung nimmt. •

III. Die Untersuchung wird auszugehen haben von denjenigen Werken der Finanzwissenschaft, die für den Vorkriegsstand richtung- gebend gewesen sind. Es wird darüber Übereinstimmung herrschen, daß die stärksten Leistungen deutscher Finanzwissenschaft sich an die drei Namen Lorenz v. Stein, Adolph Wagner und Albert Schäffle knüpfen. Es sei mit Adolph Wagner begonnen, obgleich er der jüngste dieser drei ist. Das erscheint aber ge- rechtfertigt deswegen, weil sein umfassendes Lehrbuch stets als das Standardwerk deutscher Finanzwissenschaft angesehen worden ist.

1. Adolph Wagner hat das Verdienst, die Aufmerksamkeit der Nationalökonomie auf den Umstand gelenkt zu haben, daß volks- wirtschaftliche Betrachtung nicht allein das Vorhandensein privater Haushaltungen und Unternehmer vorauszusetzen hat, sondern daß es daneben auch Wirtschaftseinheiten gibt, die er als Gemeinwirt- schaften bezeichnet, und bei deren Gliederung er selbstverständlich nicht unterläßt, hervorzuheben, daß es sich dabei nicht nur um den Staat, sondern auch um die Gemeinden und Gemeindeverbände, sowie um die Sozialversicherungsträger usw. handelt. In seinem Handbuch der Finanzwissenschaft zieht er daraus auch die Folgerung, daß die Finanzwissenschaft nicht nur mit der Finanzwirtschaft des Staates zu tun habe und mit den Beziehungen zwischen dieser Finanzwirtschaft einerseits und der Volkswirtschaft des privatwirtschaftlichen Systems

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andererseits. „Der Staat ist zwar der vornehmste Eepräsentant, die höchste Form der Zwangsgemeinwirtschaften, von welchem alle andern Arten derselben in letzter Linie ihre Zwangsbefugnisse ableiten, aber er ist doch immer nur eine dieser Formen, er hat in Gemein- schaft mit den übrigen die Aufgabe zu erfüllen, die notwendigen Gemeingüter des gemeinwirtschaftlichen Systems der Produktion und Bedürfnisbefriedigung in der Volkswirtschaft herzustellen und dem- entsprechend statt des privatwirtschaftlichen Systems einzutreten. Die aus der Funktion des Staates entspringende Aufgabe der staat- lichen Finanzwirtschaft läßt sich deshalb wissenschaftlich nicht voll- ständig getrennt erörtern von der verwandten Aufgabe der Gemeinde, des Kreises, der Provinz, so wenig als diese Aufgaben in der Praxis zu trennen sind" x). Die von AdolphWagner gesperrten Worte „in Gemeinschaft" zeigen, daß hier das Problem angerührt wird, des- sen Lösung in einer Ordnung über diese gemeinschaftliche Tätigkeit der verschiedenen Gemeinwirtschaften zu bestehen hätte; die Worte im zweiten Satz „nicht vollständig getrennt", zeigen freilich eine ge- wisse Eesignation. AdolphWagner weist denn auch darauf hin, daß die bisherige Finanzwissenschaft zu einer Erweiterung auf das Finanzwesen der Selbstverwaltungskörper noch nicht in hinreichen- dem Maße gekommen sei. Die Finanzwissenschaft entspräche auch in ihrer neuesten Literatur - dieses, d. h. das eigene Werk noch mit ein- geschlossen - dieser Forderung gegenwärtig noch nicht so vollständig nach allen Seiten, wie es prinzipiell zu verlangen wäre; der Grund läge nicht in einer Bestreitung der Eichtigkeit des Zieles oder in fehlen- der Erkenntnis desselben, sondern in äußeren Verhältnissen, zum Teil in dem Mangel an genügenden Vorarbeiten über das Finanzwesen der Selbstverwaltungskörper. Es wird dann auch noch darauf hingewiesen, daß diese Vorarbeit nicht nur durch die Lehre vom gemeinwirtschaft- lichen System geleistet werden müsse, sondern auch von der Staats- wissenschaft, besonders der inneren Verwaltungslehre. Durchforscht man die vier Bände des Werkes AdolphWagners,so muß man nun freilich feststellen, daß es eigentlich bei diesen Andeutungen sein Bewenden hat. Bereits im ersten Buch findet sich zwar ein Abschnitt über das Finanzwesen der Selbstverwaltungskörper 2). Er gibt aber nur einen Überblick über die Organisation der Kommunalverbände, die Einschränkung ihrer finanziellen Autonomie als Grenze ihres (eigenen)

*) Finanzwissenschaft Bd. I (3. Aufl. 1883) S. 18; vgl. auch S. 92 f . 2) Bd. I S. 87 f.

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Wirkungskreises und über die Einnahmewirtschaft. Dabei ist wichtig, daß Adolph Wagner die Beiträge aus Staatsmitteln als eben- bürtige Art der kommunalen Deckungsmittel neben die selbständigen Einnahmen stellt. Im übrigen werden die Gemeinden und Gemeinde- verbände in den einzelnen Abschnitten mehr gelegentlich erwähnt, nur in sehr dürftiger Weise bei Behandlung der privatwirtschaftlichen Ein- nahmen, wo zwar von Domänen und Porsten und vor allem von den Eisenbahnen eingehend gehandelt wird, aber der Entwicklung der wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden nur sehr nebenbei gedacht wird. Man wird freilich bedenken müssen, daß die letzte Auf- lage des ersten Bandes von Wagners Finanzwissenschaft bereits 1883 erschienen ist und damals jene gewaltige Entwicklung in der Unternehmertätigkeit der Gemeinden sich doch erst in den Anfängen befand. Größeres Interesse wendet Adolph Wagner den Fragen der Kommunalbesteuerung zu. Hier findet sich die wichtige (und be- strittene) Lehre, daß im Kommunalsteuerwesen der Selbstverwaltungs- körper der Anwendung des Prinzips von Leistung und Gegenleistung ein umfangreiches Anwendungsgebiet bliebe1). Hier steht der Satz, der so recht die bei Wagner übliche abwägende Wortfügung auf- weist : ,, Unter Erwägung aller solcher Umstände ist es oft zweckmäßig, nicht selten statthaft und selbst notwendig, wie zugleich hier auch im größeren Umfange möglich, bei der Deckung der Kosten der Kom- munaltätigkeit, mithin bei der Besteuerung diesen Einfluß des Be- stehens, Waltens und Wirkens der Kommune und Verbände auf die ökonomische Lage des einzelnen zu berücksichtigen" 2). Die umfang- reichen historischen Betrachtungen über die Besteuerung berücksich- tigen freilich die Gemeindebesteuerung immer nur mehr oder weniger anhangsweise. Daß der englischen Lokalbesteuerung, also den Fragen der rates etwas mehr Aufmerksamkeit zugewendet wird, erklärt sich leicht daraus, daß diese Fragen ja durch die Untersuchungen von K i c a r d o über die Überwälzung der rates in die Finanzwissenschaft eingeführt worden sind. Die grundsätzliche Frage einer Ordnung zwi- schen dem Finanzwesen des Staates und demjenigen der Gemeinden wird im übrigen als solche nicht aufgeworfen. Nur von der Normierung der Kommunalbesteuerung durch den Staat und der Beschränkung der kommunalen Autonomie ist in der Form historischer Darstellung die Rede. Zu einer eingehenden Behandlung der Kommunalbesteue-

») Bd. IT (2. Aufl. 1890) S. 438 f. 2) S. 440 a. a. O.

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rung, die Wagner in Aussicht genommen hatte, ist er nicht ge- kommen. Es liegt neben seinem großen Werke nur ein älteres Eeferat von ihm vor, das die Kommunalsteuerfrage zum Gegenstand hat. Es handelt sich dabei um die Beratungen des Vereins für Sozialpolitik, der sich im Anschluß an die damals in Preußen geplante Reform bei seiner Tagung im Jahre 1877 mit den Kommunalsteuerfragen be- schäftigt hat. Der Tagung lagen eine größere Zahl von Gutachten und Berichten vor. Will man diese Arbeiten würdigen, so ist es erforder- lich, sich über den damaligen Stand der Kommunalsteuerfragen klar zu werden. In Preußen hatte sich nach der Steuerreform von 1820 ein recht ungeregelter Zustand des Gemeindesteuerwesens entwickelt. Die von der Regierung geplante Reform war erschwert dadurch, daß auch das Staatssteuerwesen noch keineswegs zu befriedigender Regelung gekommen war. Es fehlte neben den Realsteuern an einer voll aus- gebauten Personalsteuer, wenn auch die Klassensteuer durch die Ge- setzgebung von 1851 und 1875 einen einkommensteuerähnlichen Cha- rakter allmählich erhalten hatte. Für die Gemeinden lag das Problem in gewissem Sinne ähnlich wie heute. Es handelte sich um die Frage, welche allgemein belastende Steuer neben den Realsteuern stehen sollte. Diese Frage hatte besondere Schwierigkeiten, weil die Gemein- den einerseits immer mehr von der allgemeinen Verzehrsteuer, die in der Form der Mahl- und Schlachtsteuer bestand, zurückgedrängt wur- den, und weil andererseits die Klassensteuer und die klassifizierte Ein- kommensteuer sich nicht ohne weiteres für Zuschläge eignete und klare Regelung über die Behandlung der Forensen und der juristischen Personen fehlte, jedenfalls die technische Radizierung der Einkom- mensteile auf die Gemeinden sich noch nicht herausgebildet hatte. Dazu kam der Streit über das Wesen der Gemeinden. Von liberaler Seite, insbesondere von den radikalen Vertretern der Manchester- schule, war die These aufgestellt worden, daß die Gemeinden vor- wiegend ökonomische Verbände seien und daß deswegen ihre Ein- nahmewirtschaft unter dem Gesichtspunkt von Leistung und Gegen- leistung sich zu regeln hätte. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1863 hatte F a u e h e r x) den Satz aufgestellt, daß es sich bei den Gemein- den um volkswirtschaftliche Gruppierungen von Menschen handle, die den Vorteil hätten, in größerer Anzahl zusammenzuwohnen und in- folgedessen die Arbeit unter sich teilen könnten, ohne sich mit Trans-

*) Vierteljahrsschrift für Volkswirtschaft und Kulturgeschichte, Bd. 2 (1863) S. 207 f.

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portkosten zu belasten. Der einzelne müsse daher einfach für den Vorteil des bewußten Zusammenwohnens zahlen, genau so, wie sich der Preis im privatwirtschaftlichen Zusammenleben regele. Daraus hatte sich die Auffassung entwickelt, daß die Einnahmen der Gemein- den nur in Gebühren und - soweit diese nicht reichten - in einer Wohnsteuer zu bestehen hätten, die lediglich das Entgelt für den Vor- teil gemeinsamer Hauseinrichtungen wäre. Gegen diese zugespitzte Lehre, für die ein anderer Anhänger der Manchesterschule, K. Braun1), den Satz gefunden hatte „der Staat herrscht und die Gemeinde wirtschaftet", wandte sich sowohl die Schule des Katheder- sozialismus als auch die Auffassung der kommunalen Praxis. Unter den zehn Gutachten, die in Band 12 der Schriften des Vereins für Sozialpolitik zusammengefaßt sind, ragt durch klare Erfassung des Wesens der Gemeindeverwaltung das Gutachten des großen Verwal- tungsrechtlers Ernst Meier2) hervor. Er wendet sich dagegen, daß die liberale Schule in der Gemeinde nur eine ökonomische Grup- pierung sehe und ihr jede politische Seite abspreche. Die Gemeinde sei zwar kein Staat im kleinen, aber auf dem Gebiete der inneren Ver- waltung bestehe Gleichartigkeit der Aufgaben mit den staatlichen Aufgaben und insoweit Wesensgleichheit von Staat und Gemeinde. Man komme deswegen mit der Besteuerung nach dem Interesse nicht aus. Auf der andern Seite müsse Anschluß an das Staatssteuersystem gesucht werden, weil sich ein kommunales Steuersystem, welches dem Begriffe der Gemeinde im Unterschied von Staatsbegriff vollständig entsprechen würde, nicht finden ließe. So müsse man also neben den Gebühren den Gemeinden ein Steuersystem geben, das sich durch Zu- schläge an die Staatssteuern anschlösse. Zu diesen Fragen hat nun W a g n e r in einem Eeferat, das im 14. Band der Schriften des Ver- eins für Sozialpolitik abgedruckt ist, Stellung genommen. Er zeigt, daß der Versuch, die Volkswirtschaft auf die freie Verkehrs Wirtschaft zu beschränken und auch die Gemeinde künstlich in ein solches Sy- stem einzubeziehen, fehlschlagen müsse und gibt einen Abriß seiner in der Grundlegung näher ausgebreiteten Lehre, daß Volkswirtschaft auch da vorhanden sei, wo mit Zwang vorgegangen würde und wo in- folgedessen Gemeinwirtschaft vorliege. Vertreter dieses gemeinwirt- schaftlichen System seien in erster Linie Staat und Gemeinden, die beiden großen territorialen Zwangsgemeinschaften. Gewiß seien die

*) Ebenda Bd. 5 (1866). 2) S. 77 f.

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Gemeinden auch wirtschaftliche Verbände. Aber es sei nicht möglich, ein Gemeindeeinnahmesystem durch Übertragung des dem privat- wirtschaftlichen System entnommenen Prinzips von Leistung und Gegenleistung zu lösen, vielmehr müsse man der Entwicklung Kech- nung tragen, die der Volkswirtschaft, wie Wagner es ausdrückt, einen mehr kommunistischen Charakter gebe. Gewiß gehöre ein großer Teil der Kommunalleistungen unmittelbar der eigentlichen materiellen Wirtschaftssphäre an und insoweit müsse die Konsequenz gezogen werden, daß im Gemeindesteuersystem das Prinzip des Interesses einen relativ größeren Baum einzunehmen hätte, als beim Staat. Es sei in- soweit am Platze, als nachweislich eine Eeihe kommunaler Leistungen speziell einzelnen Sondervorteile gewähren oder Kostenersparnisse ver- ursachten; insoweit sei die Besteuerung nach dem Interesse in den Gemeinden viel leichter zu verwirklichen als im Staat. Gebühren, Bei- träge und Ertragsteuern seien hier am Platze; es fehlt selbstverständ- lich auch nicht der Vorschlag einer Besteuerung des vom Eigentümer nicht durch eigene Leistungen verdienten Wertzuwachses des Grund- und Gebäudeeigentums. Auf der andern Seite sei zu berücksichtigen, daß die Gemeinden allgemein öffentliche Zwecke wahrnehmen und ihnen durch Gesetzgebung und Einrichtungen eigentliche Staats- leistungen überwälzt worden wären. Insoweit müßten für die Gemein- den entsprechende Besteuerungsprinzipien gelten, wie sie für jede Be- steuerung aufzustellen wäre. Es müsse sich also das Prinzip der Be- steuerung nach der Leistungsfähigkeit durchsetzen. Wagner hebt dann scharf hervor, daß neben dieser prinzipiellen Klärung die praktische und staatspolitisch wichtige Frage des Verhältnisses der Gemeinden zum Staat zu beachten wäre und damit die Abgrenzung der Gemeinde- steuern zu den Staatssteuern von hervorragender Bedeutung würde. Wagner hat dann eine Beihe sehr ausführlich gehaltener Thesen aufgestellt, in denen versucht wird, durch eine Gliederung des Aus- gabeetats der Gemeinden die Frage des Grades zu entscheiden, in dem auf der einen Seite die Besteuerung nach dem Interesse und auf der andern Seite die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit anzuwen- den sei. Er kommt dann zu praktischen Vorschlägen, in denen unter Ablehnung der Mietssteuer neben Gebühren, Beiträgen und der Zu- wachssteuer indirekte Verbrauchsbesteuerung, Bealsteuern und auch Zuschläge zur staatlichen Einkommensteuer, wenn auch mit dem Recht der Abweichung im Umfang und im Steuerfuß, eine Bolle spielen.

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So ergibt sich also, daß Adolph Wagner von seinen grund- sätzlichen finanzwissenschaftlichen Auffassungen aus durchaus kon- kret zu den damals behandelten praktischen Fragen des Kommunal- steuerwesens Stellung genommen hat, und auch, wenn auch nur in allgemeinen Wendungen und im Überblick, sich um eine Kommunal- steuertheorie bemüht hat.

Es fragt sich nun, wieweit er auch die andere große Frage des Finanzausgleichsproblems, nämlich die Frage des Finanzaus- gleichs im Bundesstaat, gesehen hat. Seine lebhafte Be- teiligung an den öffentlichen Aussprachen über die verschiedenen Keichsfinanzreformen ist ja bekannt genug. Die Frage muß aber dahin gehen, wieweit er das grundsätzliche Problem, das sich bei einem Nebeneinanderbestehen von Bundesstaat und Gliedstaaten ergibt, er- kannt hat. In Teil III, 1 x) seiner Finanzwissenschaft, der die Ge- schichte der Besteuerung vom Altertum bis zur Gegenwart enthält, findet sich in der Tat ein allgemeiner Abschnitt über die Besteuerung in Bundesstaaten. Dabei werden zwei Eigentümlichkeiten der Bundes- staatsfinanzen, die auch heute noch durchaus zutreffen, scharf heraus- gestellt. Einmal handelt es sich darum, daß unter den Einnahmen des Bundesstaats zu fehlen pflegen oder im Verhältnis zu ihrer Bedeutung bei den Gliedstaaten zurücktreten die privatwirtschaftlichen Einkünfte, soweit nicht etwa ein bundesstaatliches Eisenbahnnetz besteht, und ebenso zurücktreten die Gebühren. Ferner zeigt sich die Beschränkung der Besteuerung des Bundesstaats auf die sogenannten indirekten Steuern, also auf Zölle, Verbrauchs- und Verkehrssteuern. Wagner hebt hervor, daß sich das Verbleiben der direkten Steuern bei den Einzelstaaten schon aus der nahen Verbindung der Einrichtung, Ver- waltung, Veranlagung und Erhebung der direkten Steuern mit der gesamten inneren Landesverwaltung erkläre. Es ist nun aber inter- essant, daß Wagner in doppelter Beziehung durch diese historisch überkommene Trennung im Wesen der Finanzwirtschaft der Bundes- staaten auf der einen Seite und der Gliedstaaten auf der andern Seite hindurchsieht. Einmal erblickt er in den Matrikularbeiträgen eine Kor- rektur jener beiden Tatbestände. Sie seien nicht sowohl eine Zahlung an das Eeich, welches speziell aus den direkten Steuern der Glied- staaten herrühren, vielmehr könne man, da die Eeineinnahmen der Gliedstaaten annähernd zur Hälfte aus Steuern herrührten, auch nur

l) 2. Aufl. 1910 S. 290 f. Vgl. auch Bd. I S. 80 f.

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die Hälfte der Matrikularbeiträge als aus Steuern fließend ansehen, und dadurch sei der deutsche Reichshaushalt in seinen ordentlichen Einnahmen eher etwas weniger steuerwirtschaftlich, als es ohne Ein- beziehung der Matrikularbeiträge erscheine. Weiter aber ergebe sich aus der Trennung der indirekten und der direkten Besteuerung ein unverkennbarer innerer Mangel des Gesamtsteuersystems im Bundes- staate. Zwischen der indirekten Besteuerung des Bundesstaats und der direkten seiner Einzelstaaten bestehe keine direkte Verbindung, durch welche die Wirkungen beider Steuerarten auf die Belasteten zu einer ordentlichen Ausgleichung kämen. Namentlich drohe infolge der stärkeren Entwicklung der indirekten Besteuerung im Bundesstaat selbst, eine Wirkung des besonders starken Wachstums auch der ordentlichen Bundesausgaben für das Heerwesen, eine Überlastung der von der indirekten Besteuerung betroffenen Volkskreise. Die Be- steuerungstheorie und wirklich rationelle Steuerpraxis machten eine Ausgleichung auf dem Gebiet der direkten Besteuerung erforderlich. Daß das nur schwierig im Bundesstaat zu erreichen sei, führe dazu, vom finanzwissenschaftlichen Standpunkt den Vorzug des Einheits- staats als solchen vor dem des Bundesstaats als solchen anzuerkennen. Diese Ausführungen werden durch eine interessante Fußnote *) er- gänzt. In dieser führt Wagner aus, daß für das Deutsche Keich sicher die historische Entwicklung zugunsten des Bundesstaatscha- rakters stark ins Gewicht fiele, dagegen keineswegs, wie so oft fälsch- lich behauptet werde, die Verschiedenheit des Stammescharakters des deutschen Volkes. Denn diese sei gewiß nicht größer als in den Ein- heitsstaaten Frankreich, Italien, Spanien, auch Großbritannien und Irland, auch speziell selbst England und Schottland, von Kußland ganz zu schweigen. Zuctem seien die heutigen deutschen Einzelstaaten nichts weniger als geschichtliche Entwicklungsprodukte der Volks- stämme, sondern außerhalb Preußens, das glücklicherweise einen großen Teil in manchem recht verschiedener deutscher Stämme in sich vereinige, Produkte napoleonischer Staatspolitik, wie vor allem die süddeutschen, Bayern voran. Diese Ausführungen lassen erkennen, daß AdolphWagnerdie Kernfrage deutscher bundesstaatlicher Finanzpolitik durchaus erkannt hat und zugleich gerade an dieser Stelle die starke Verbundenheit der Steuerpolitik mit verwaltungs- rechtlichen und staatsrechtlichen Fragen sieht. Von der Erkenntnis,

») S. 300.

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daß die Trennung zwischen Bundesfinanzen und Gliedstaatfinanzen der Aufstellung eines finanzwissenschaftlichen Anforderungen genügen- den Gesamtsteuersystems entgegensteht bis zu der Schlußfolgerung, daß damit auch der Aufbau einer geeigneten Gemeindeeinnahmewirt- schaft grundsätzlich erschwert wird, ist Wagner allerdings nicht hindurchgedrungen. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man berücksichtigt, daß der letzte Anlaß fehlte, der eine solche Gesamt- schau zwingend macht, nämlich das Mißverhältnis zwischen den ge- samten öffentlichen Ausgaben auf der einen Seite und den Besteue- rungsmöglichkeiten auf der andern Seite. Noch war ja von einer steuer- lichen Überlastung in Deutschland durchaus nicht die Eede. Man emp- fand zwar, daß das bundesstaatliche System zu einem einseitigen An- steigen der indirekten Steuern führte, aber unerträglich war diese in- direkte Steuerlast noch keineswegs und auf dem Gebiete der direkten Besteuerung waren noch Ausdehnungsmöglichkeiten im weitesten Um- fange vorhanden.

2. Wenden wir uns von Adolph Wagner zu Albert Schäffle^so werden wir eine Ergänzung der volkswirtschaftlichen und finanzpolitischen Betrachtungen Adolph Wagners durch Betonung soziologischer Gesichtspunkte 2) erwarten können, und es fragt sich, inwieweit die Einsicht in Bau und Leben des sozialen Kör- pers und zugleich die Erfahrungen des praktisch tätigen Staatsmanns bei S c h ä f f 1 e zu einer tieferen Erkenntnis des Problems geführt haben, das wir heute Finanzausgleichsproblem nennen. Staat und Kommunalkörperschaften machen, wie S c h ä f f 1 e lehrt, das Ge- meinwesen aus. S c h ä f f 1 e betont nun scharf, daß die Aufgabe der Steuerlehre nicht schon dadurch erledigt sei, daß der Staat als Zwangs- gemeinwirtschaft innerhalb der Volkswirtschaftslehre erkannt wird. Der Staat sei zwar nach der Seite seines materiellen Unterhalts auch ein Glied der Volkswirtschaft, namentlich im Steuerwesen, aber damit höre er nicht auf, in erster Linie mehr zu sein als Zwangswirtschaft. Er ist zusammen mit den Kommunalkörpern das Gemeinwesen, und diese seine Grundeigenschaft bleibt in erster Linie bestimmend auch für seine Wirtschaftsführung. Das Steuerwesen ist daher keineswegs

*) Es kommen in erster Linie zwei Werke in Betracht: Die Grundsätze der Steuerpolitik und die schwebenden Finanzfragen Deutschlands und Österreichs (1880) und Die Steuern, 2 Bde. (1895 und 1897).

2) Vgl. F. K. M a n n , Albert Schäffle als Wirtschafts- und Finanzsoziologo in Sozialwissenschaftliche Bausteine Bd. IV (1932).

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ein bloß volkswirtschaftlicher Vorgang x). Schäffle kommt danach zu einer Dreiteilung der allgemeinen Steuerlehre. Die Steuerstaats- lehre behandelt das Steuerwesen im Zusammenhang mit dem Wesen des Staats und des Staatslebens. Die Steuervolkswirtschaftslehre weist die nationalökonomischen Grundverhältnisse des Steuerwesens auf. Die Steuerfinanzlehre beschäftigt sich mit der Steuer als Deckungs- mittel des öffentlichen Bedarfs. Die Fragen des Finanzausgleichs spie- len danach in Schäffles System eine Eolle sowohl in der Steuer- staatslehre als auch in der Steuerfinanzlehre. In der Steuerstaats- lehre 2) erscheinen Staat und Gemeinde zusammen als die gegliederte Erscheinung der Willens- und Machteinheit der Volksgemeinschaft; wir finden also hier die Erkenntnis einer der Grundtatsachen des Finanzausgleichsystems, das eine Vielheit von Willensträgern erst in ihrem Zusammenwirken den Staat ausmacht. Es wird hervorgehoben, daß dem Staate wie der Gemeinde die einheitliche Willens- und Macht- integration verschiedenartigster, aber - dort territorial, hier lokal - vereinigter Anstalten, Familien und Individuen zur Universalgemein- schaft eigen ist. Beide haben danach einen Anspruch auf Anteil an der Gesamtsteuerleistung eines Volkes. Es wird geschildert, wie das Kom- munalwesen nur langsam in ein festes Verhältnis zum Staatswesen tritt und dieses Verhältnis zugleich das Ergebnis fortgeschrittener Differenzierung und höherer Eeintegration sei, indem sich nicht bloß selbständige Wirkungskreise der engeren Gemeinwesen mit staatlich erkannter Autonomie ausbilden, sondern die engeren Verbände, namentlich der Ortsgemeinden, einerseits als Organe eigentlich staat- licher Funktionen im sogenannten übertragenen Wirkungskreis auf- treten, andererseits der Oberaufsicht und dem Einfluß des Staats sich unterstellt zeigen. „So wird das Kommunalwesen nie aufhören, mit einer seiner zwei Grundfunktionen staatliche Erscheinung zu sein, und der Staat wird nicht aufhören, in seiner Zentralfunktion dem Kom- munalwesen sich angelegentlich zuzuwenden* *

3). Für das Verhältnis der Gemeindesteuergewalt zur Staatssteuergewalt werden dann in der Steuerfinanzlehre 4) bestimmte Grundsätze zu gewinnen versucht, wo- bei allerdings im wesentlichen ein Überblick über die praktischen Lö- sungen in den hauptsächlichsten Staaten gegeben wird. Interessant ist es, daß als eine der Hauptursachen kommunaler Finanznotstände die Abwälzung des Staatsaufwands auf die Kommunalverbände her-

>) Die Steuern Bd. I S. 4. 3) a. a. O. S. 79/80.

2) a. a. 0. S. 74 f. 4) a. a. 0. S. 173 f., bes. S. 245 f.

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vorgehoben wird x) und daraus die Notwendigkeit einer Vergütung durch fortlaufende Staatsbeiträge - hier hätten wir also das Problem der Staatszuschüsse oder sonstigen staatlichen Zuwendungen als Deckungsmittel für den Gemeindebedarf - gefolgert wird.

Schon früh hat S c h ä f f 1 e sich mit dem bundesstaat- lichen Problem beschäftigt. Eine Abhandlung in der Deut- schen Vierteljahrsschrift von 1863 2) beschäftigt sich mit der Frage, wie das Zentral Verhältnis des Bundesstaats zu den Partikulargewalten gestaltet werden solle. Der wahre Zweck und die eigenste Aufgabe, also das Wesen des Bundesstaates ist die kräftige Vertretung der in- niger und vielseitiger gewordenen gemeinsamen Lebensbeziehungen der Nation. S c h ä f f 1 e wendet sich dagegen, daß diesem Zwecke eine völlig getrennte Nebeneinanderstellung von zwei ganz getrennten Organen dienen könne, sondern findet in der unmittelbaren Beteiligung der Partikulargewalten am Eeichsleben die geeignetere Lösung. Es ist aber interessant, daß er zu dieser These deswegen kommt, weil der deutsche Bundesstaat ein Monarchienbundesstaat sei. Sowohl in den 1880 erschienenen Grundsätzen der Steuerpolitik 3) wie in dem Werke über die Steuern 4) finden sich eingehendere Darlegungen über die Verteilung der Steuerzuständigkeit in den Staatenverbindungen. Der Bundesstaat könne selbständiger Einnahmen nicht entraten, und seinem ganzen Wesen und Wirken entspricht es, daß er eine für die Voll- deckung des Eeichsbedarfs zureichende Steuerzuständigkeit besitze. Schaff le bezeichnet es an sich als sachgemäß, daß der Eeichsgewalt die großen indirekten Steuern zugewiesen werden, weil sie schon steuer- technisch und administrativ der Zentralisation der Besteuerung bedür- fen 5). Das hindere aber nicht, daß der gute Stand direkter Besteuerung in allen Gliedstaaten ein Interesse ersten Ranges auch für die Zentral- gewalt sei. Für die Deckung des Normalbedarfs des Reiches seien zwar die direkten Steuern - so wie die Dinge zu Schäffles Zeiten lagen - nicht unbedingt nötig. Aber Schaff le weist darauf hin, daß in- direkte Steuern in Krisen zurückschlagen und daß kein Gemeinwesen nur auf sie die Finanzen aufbauen könne, wenn es vor Verschwendung in guter Zeit, vor Überschuldung in der Staatskrise und vor Finanz- nöten bewahrt bleiben wolle. So habe das Reich an der Vervollkomm-

l) a. a. O. S. 246. s) Wieder abgcdiuckt in den Gesammelten Aufsätzen 2. Bd. (1886) S. 132 f. 3) S. 559 f. 4) Bd. I S. 81 f. und S. 255 f . 5) Die Steuern Bd. I S. 82.

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nung der direkten Steuern ein großes Interesse x), denn für besondere Fälle bliebe sonst nur die Form der Matrikularbeiträge, die Schaff le als Staatenbundsüberlieferung bezeichnet und die ehetunlichst als mit dem Wesen des entwickelten Bundesstaates nicht vereinbar zu beseiti- gen seien 2). So stellt er als das Ziel für die Anteilnahme des Eeichs an den direkten Steuern eine Eeichseinkommensteuer auf, die er sich auf der Basis der gleichmäßig reformierten direkten Landessteuern denkt 3). Sie wäre geeignet als Generalzuschlag zu diesen gleichmäßigen Landes- steuern zur Deckung etwaiger Keichsdefizits und zur Fundierung etwaiger Eeichsschulden in außerordentlichen Fällen. S c h ä f f 1 e er- wähnt als solchen außerordentlichen Fall nicht unmittelbar den Krieg. Aber es verdient doch nachdrücklich hervorgehoben zu werden, daß hier schon lange, bevor die Weltkriegsgefahr akut war, ein Gelehrter, der gleichzeitig die Staatspraxis kannte, auf die Notwendigkeit hin- gewiesen hat, das Eeich mit einer leicht zu handhabenden direkten Besteuerungsmöglichkeit auszustatten, die „in außerordentlichen Fäl- len" genutzt werden kann. „Denn allgemeine Interessen der ganzen Nation werden von der Zentralgewalt gewahrt, dem Eeiche gebührt daher ein Prozentsatz der Gesamtsteuer von der Durchschnittssteuer- kraft der Nation" 4). Interessant ist nun ferner, daß S c h ä f f 1 e die- sen Weg zur direkten Besteuerung nicht nur eröffnet sehen will, um dem Eeich die Deckung seines Bedarfs in solchen außerordentlichen Fällen zu sichern. Er begründet vielmehr daneben auch noch ein andres allgemeines Interesse des Eeichs an der finanziellen Ordnung in jedem Gliedstaate. Das Eeich habe die Pflicht, den Eeichsbürger, wo er sich aufhalte, vor der Überbürdung durch übertriebene Ertragssteuerzu- schläge zu schützen. Die Gliedstaaten würden zwar selbst für die rechte Ordnung sorgen. Eine reichsrechtliche Maximalgrenze für die Ertrags- und Einkommensteuerzuschläge würde gleichwohl nicht scha- den 5). Hier findet sich also ein Ansatz für die Zuständigkeit des Eeichs zur normativen Eegelung auch der Landes- und Gemeindesteuern. In den Grundsätzen der Steuerpolitik G) steigert sich dieser Gesichtspunkt bis zu einem Vorschlag, der den Eingriff des Eeichs durch Aufstellung von Grundsätzen in noch viel größerem Umfange fordert. Es wird dort näher entwickelt, welche Grundsätze für den Anteil der Gemein- den und Gemeindeverbände an den direkten Steuern zu gelten hät-

l) a. a. O. S. 257, vgl. auch Steuerpolitik S. 563. 2) Die Steuern Bd. 1 S. 82. 3) a. a. O. S. 257. 4) a. a. 0. S. 257/58. 6) a. a. 0. S. 257 Absatz 4. 6) S. 566.

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ten. Die Gemeinden müßten innerhalb gewisser Maximalgrenzen einen beweglichen Spielraum direkter Besteuerung besitzen. Es heißt dann weiter: „Diese Grundsätze könnten sehr wohl durch ein Eeichsgesetz reguliert werden.*4 „Der örtliche Besitz- und Bevölkerungswechsel ist ein so starker und zieht die Personen so sehr aus dem ganzen Eeich in seinen Wirbel, daß eine allgemeine Ortsklassenbegrenzung für die Belastungsverhältnisse der verschiedenen Steuerquellen sehr wün- schenswert wäre; Besitzsicherheit und Aufenthaltsfreiheit aller Eeichs- angehörigen sind hierbei beteiligt.* * Wir finden also hier als Pro- gramm das, was sich erst auf Grund des Art. 11 der Weimarer Eeichs- verf assung allmählich in der Nachkriegszeit verwirklicht hat und gerade jetzt im Vordergrund des Interesses steht: die Aufstellung von Grund- sätzen für das Kommunalfinanzwesen unmittelbar durch das Eeich. S c h ä f f 1 e dringt damit bis zur organischen Verbindung der beiden Teile des Finanzausgleichs vor : er sieht das Eeich nicht nur in seinem finanziellen Verhältnis zu den Gliedstaaten (den Ländern), sondern setzt es auch - über die Länder hinweg - in Verbindung mit den Gemeinden.

3. Bei Adolph Wagner und Albert Schäffle haben wir wichtige Ansätze für die Herausarbeitung unseres Themas gefun- den. Mit noch stärkerer Erwartung wenden wir uns Lorenz von Stein zu. Er vereinigte ja in glücklicher Synthese den National- ökonomen und Finanzwissenschaftler mit dem Staats- und Verwal- tungswissenschaftler. Damit liegen gerade bei ihm die Voraussetzungen für die Erkenntnis der Problematik vor, um die es sich beim Finanz- ausgleich handelt.

Die bundesstaatliche Frage erörtert S t e i n in der Einleitung zu seinem Lehrbuch der Finanzwissenschaft x) unter der Überschrift: Das Bundesfinanzwesen und seine Formen 2). Die entscheidende Frage ist in folgendem Satze klar herausgestellt: „Alles Bundesfinanzwesen wird gerade wie jeder andere Teil der Verwaltung der Bundesstaaten darauf beruhen, daß sich vermöge des Bundes, und bestimmt nach dem Bundesrechte, innerhalb des an sich selbständigen Finanzwesens jedes einzelnen Bundesstaates (gleich Gliedstaat, Land) eine Linie zieht, bis zu welcher die Finanzgesetzgebung und Verwaltung der einzelnen Staaten noch der vollen Souveränität der letzteren angehört, jenseits deren aber die Bundesgesetzgebung und die Bundesverwaltung zu einem

>) 5. Aufl. I (1885), II, 1 (1885), II, 2 (1886), II, 3 (1886). 2) I S. 62 f. (bes. S. 66).

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selbständigen Bundesfinanzwesen mit eigener Einnahme, Ausgabe und Bundesbudget wird" *). Es entspricht der besonderen Bedeutung, die Stein überhaupt der Verwaltung, als dem Bestimmungsgrund des Bedarfs und des Steuerwesens, einräumt, daß er in dem Umfang dieser Verwaltung als Bundesangelegenheit die Ursache für den „un- ausbleiblichen Kampf*

* zwischen Bundesstaat und Gliedstaaten sieht. Er stellt die Entwicklung vollkommen zutreffend dar2): ,, Jedes Bundesfinanzwesen beginnt mit der Vorstellung, daß dasselbe nur Leistungen der einzelnen Staaten an den Bund enthalte, und erst langsam kommt es den letzteren (? gemeint ist: den ersteren, den Staaten) zum Bewußtsein, daß sie auch mit ihrem Finanzwesen unter der, in dieser oder jener Weise organisierten, aber immer gleichfalls souveränen Finanzgewalt des Bundes stehen. Erst wo diese Erkennt- nis klar wird, fängt auch die höhere Bedeutung des Bundesfinanz- wesens an, als Gegensatz und Kampf zwischen der Einzel- und der Bundessouveränität zum Ausdruck zu gelangen" 3). Den Ansatzpunkt sieht Stein im Dasein, der Art und dem Umfang des Bundesver- mögens, weil dieses in demjenigen Besitze zur Geltung gelangt, der dem Heerwesen des Bundes und damit seiner selbständigen staatlichen Kraft angehört. Entscheidend ist aber schließlich das Bundessteuer- wesen 4). An sich sind die Zölle die gegebenen Bundessteuern, bereits der Übergang vom Zolle zu den Verbrauchssteuern ist ein hochwich- tiger, politischer Akt. Die entscheidende Wendung tritt nun ein, wenn neben den Zöllen auch die Verbrauchssteuern nicht mehr genügen. Denn an sich erscheinen die direkten Steuern als die Grund- lage und die Gewähr der souveränen Existenz eines Staates, wäh- rend die indirekten Steuern, in Art und Ertrag mit dem vom Besitz abgetrennten Leben und der Entwicklung des Individuums innig ver- bunden und ständig wechselnd, beweglich und fortschreitend wie die letzteren im Finanzwesen der finanzielle Ausdruck und zugleich die finanzielle Bedingung der staatlichen Entwicklung jedes Staa- tes sind. Dem Staatsfinanzwesen in Verfassung und Verwaltung muß daher stets das direkte Steuerwesen angehören, während das Bundes- finanzwesen seiner Natur nach auf das indirekte Steuerwesen an- gewiesen erscheint. Solange nun das Bundesfinanzwesen zu seinem

M I S. 66/67. 2) I S. 69. 3) Stein geht mit W a i t z von der bundesstaatlichen Theorie aus, die

eine Teilung der Souveränität zwischen Bund und Gliedstaaten annimmt. 4) I S. 70 f. Finalizarei» v. N. F. 1. Heft 3. 28

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Inhalt nur das indirekte Steuerwesen hat, erhält sich der Charakter des Bundesstaates auch finanziell als ein unzweifelhafter, sowie da- gegen die Bundesverfassung die Bundesgewalt auf die direkte Steuer- gewalt überträgt, beginnt das Aufgehen der einzelnen Staatssouve- ränität in der Bildung eines einheitlichen Staatswesens mit seiner alleinigen Souveränität" 1). Eeichen also die indirekten Steuern nicht aus, so sind für die weitere Entwicklung nur zwei Wege möglich. Ein- mal der des Matrikularbeitrags, mit dem noch immer die direkte Be- steuerung bei den Gliedstaaten bleibt und die Bundesgewalt noch keinen Einfluß auf die finanziellen Besteuerungsmaßnahmen hat, ver- möge deren der Einzelstaat diese Summe aufbringt. Der Matrikular- beitrag erscheint daher noch als ein Teil der der Einzelsouveränität ausschließlich überlassenen eigenen Besteuerung. Nun sei aber der Weg der Matrikularbeiträge einer großen Eeihe von Bedenken unter- worfen, und vom Standpunkt der Finanzwissenschaft bestehe kaum ein Zweifel, daß die Form einer direkten Bundessteuer derjenigen der Matrikularbeiträge bei weitem vorzuziehen sei. So ergibt sich der zweite Weg, der gegangen werden kann, wenn die indirekten Steuern nicht ausreichen, nämlich der Schritt zur eigentlichen direkten Bundes- steuer, die nur eine Einkommensteuer sein kann 2). Wird dieser Schritt getan, so wird es „zur Lebensfrage des Bundes und seiner Entwick- lung, wer dieselbe zuerst bewilligt, dann, wer sie bemißt und endlich wer sie erhebt". Nicht daß man zur Bundeseinkommensteuer über- geht, ist entscheidend. Das steht an sich mit der Souveränität der einzelnen Bundesstaaten noch nicht in Widerspruch. Dieser Wider- spruch tritt erst da ein, „wo das Einkommensteuer g e s e t z und nicht mehr bloß der Beitrag, den jeder Bundesstaat vermöge eines sol- chen zu zahlen hat, von den Bundesorganen allein ausgeht" 3). „Ist dabei auch die Erhebung derselben Aufgabe der Organe des Bundes- finanzwesens, so ist die Bundeseinheit bei derjenigen Grenze angelangt, welche überhaupt noch einen Begriff des Bundesstaates zuläßt; jen- seits dieser Linie beginnt die Auflösung aller Einzelsouveränität" 4). Man muß mit Bewunderung feststellen, wie Lorenz von Stein bereits 1885 aus seinem tiefen Einblick in die Bedeutung der Verwal- tung und in die staatenbildende Kraft des Steuerwesens den Weg vor-

ausgesehen hat, der seitdem, wenn auch erheblich später als er das vielleicht annahm, beschritten wurde und zwar, wie er es selbst sagt,

l) I S. 70/7I. 2) I S. 72. 3) I S. 73. 4) I S. 72.

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aus der Natur der Dinge heraus, ohne auf die Untersuchungen der Wissenschaft zu warten 1). Sehr interessant ist es auch, wie er schon der damaligen staatsrechtlichen Literatur den Vorwurf macht, daß sie in juristischer Betrachtung stecken bliebe und die großen Kräfte nur sehr wenig beachte, die in der Entwicklung des Finanzwesens liegen. Es wird, so sagt er, „gerade das Bundesstaatswesen ohne das Bundesfinanzwesen nicht bloß in seiner positiven Form, wie bei L a - band, sondern auch theoretisch nicht zu Ende gedacht werden kön- nen'* 2). Wir müssen freilich hier anmerken, daß, auch nachdem die Voraussage Steins über die Bedeutung nicht nur der Verwaltung, sondern gerade des Finanzwesens als eines Teils dieser Verwaltung für die Entwicklung des Bundesstaats als eines werdenden Staates sich bewahrheitet hat, „das Finanzwesen das Stiefkind des Staats- rechts geblieben ist" 3). Es sei endlich noch eine andere Betrachtung, die Stein über die Bundesfinanzen anstellt, hier angefügt 4). Er be- tont, daß es für das deutsche Finanzwesen drei Formen der Finanz- verfassung ihrer großen Fragen gäbe: die des Deutschen Eeichs, die der Staatsverfassung gar nicht angehöre, diejenige Preußens, die sachlich aber nicht rechtlich maßgebend geworden sei, und die der Einzelverfassungen (der andern Gliedstaaten), die die erklärliche Nei- gung besitze, sich den Prinzipien des deutschen Finanzverfassungs- rechtes unterzuordnen. Unter diesen Einzelverfassungen scheidet er aus die Finanzverfassung der kleinen Gliedstaaten: „Ein staatliches Gebilde, das nicht groß genug ist, um die fünf Gebiete der Verwal- tung 5) zu selbständigen Ministerien auszubilden, wird stets zwar das örtliche Eecht und die örtliche Ordnung eines größeren oder kleineren

*) I S. 73. *) I S. 76. 8) I S. 75; vgl. auch II, 3 im Vorwort S. IX über L a b a n d s Staatslehre:

Der Labandsche Staat sei ein juristischer Begriff und das, was bei ihm der Ver- waltung angehört, sei die sich von der allgemeinen Auffassung ablösende, selb- ständig auf Grund des gegebenen positiven Rechts sich juristisch hinstellende öffentliche Jurisprudenz des Verwaltungsrechts. Damit vollzieht sich die Schei- dung zwischen der staatswissenschaftlichen und der rein juristischen Behandlung des Verwaltungsrechts im allgemeinen und des Finanzwesens im besonderen, und die künftige Wissenschaft sei vor die Frage gestellt, wieweit denn nun eine solche Scheidung überhaupt gehen darf, wenn sie nicht den Blick auf den nie ruhenden Prozeß der weiteren Entwicklung begrenzen und die Vorstellung erwecken soll, als könne man in juristischen Definitionen dem wirklichen Leben seine endgültige Gestalt ablauschen oder gar vorschreiben.

*) I S. 356. 6) Gemeint sind (s. I S. 18): Äußeres, Heer, Justiz, Inneres und Finanzen.

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Selbstverwaltungskörpers, aber nie die einer selbständigen Finanz- verfassung in sich entwickeln können.44

Finden wir bezüglich des Verhältnisses von Eeich und Ländern auf dem Gebiete der Finanzen bei Stein die Problematik und die tatsächliche Entwicklung des Finanzausgleichs in erstaunlicher Weise vorgezeichnet, so fragt sich nun, wie sich Stein zu dem Problem der Kommunalfinanzen und ihrem Verhältnis zu den Staatsfinanzen stellt. Auch hier finden wir wieder die vollkommene Erfassung dessen, worauf es ankommt. Stein hebt selbst hervor, daß er von der früheren Auffassung von dem Finanzwesen der Selbst- verwaltung als eines immanenten Teils der Staatsfinanzen, die sich noch in den früheren Auf lagen seines Werkes finde, abgekommen sei1). Er kommt an den verschiedensten Stellen seines Buches 2) immer wie- der auf die Erkenntnis zurück, daß die Finanzwissenschaft keine dring- lichere Aufgabe hätte, als die Bedeutung des Finanzwesens der Selbst- verwaltung herauszuarbeiten. Im Vorwort zum letzten Bande 3) findet sich das Wort, daß aller Fortschritt und alle Eeform der Verwaltung überhaupt und speziell der Finanzverwaltung zwar von der zentralen Gesetzgebung ausgehen und begründet werden muß, daß dieselbe aber ihre wahre Verwirklichung doch nur durch die Selbstverwaltung, ihre rationelle Ordnung und ihre volle Verwirklichung empfangen kann. „Sowie daher die Idee der einheitlichen Gesetzgebung und Verwaltung als einer Staatsaufgabe in höherem Sinne des Wortes zur Anerkennung gelangte, brach sich das Bewußtsein Bahn, daß Wissenschaft und Praxis vor allem die großen Fragen der Selbstverwaltung in Land- schaft und Gemeinde erfassen und ihnen ihre feste Gestalt geben müs- sen. Das gilt für die Selbstverwaltung im allgemeinen, aber auch für das Finanzwesen der Selbstverwaltungskörper im besonderen.44 Wie bei Wagner, so finden wir auch bei Stein das Versprechen, das beide zum großen Schaden der Entwicklung der deutschen Finanzwissen- schaft nicht eingelöst haben, nämlich eine ausführliche Darstellung des Gemeindefinanzwesens zu geben 4). Wir müssen uns danach mit dem be- gnügen, was Stein im Rahmen seines Lehrbuches über das Finanz- wesen der Selbstverwaltung und seinem Verhältnis zum Staatsfinanz- wesen sagt. Er geht aus von der Feststellung5), daß Selbstverwaltungs-

*) I S. 55; auch I S. 392. 2) I S. 55 f., 62 usw. 3) II, 3 Vorwort S. XIII. 4) Vgl. die wiederholten Hinweise auf eine spätere ausführliche Behandlung

I S. 55, II, 2 S. 15, II, 3 Vorwort S. XV, II, 3 S. 111.

6) I S. 56.

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körper ebensogut wie der Staat öffentliche Persönlichkeiten sind „und daher so gut wie der letztere zuerst ihren selbständigen Organismus für Finanzverfassung und Finanzverwaltung, mit den Grundsätzen von Ein- nahme und AusgabejWirtschaftlichem Plan und wirtschaftlichem Fort- schritt ebensogut und in ganz ähnlichen Formen wie der Staat*' haben, und es folge demnach, „daß die Organisation ihres Finanzwesens um so vollkommener ist, je mehr dieselbe die Ordnungen und Kechtsverhält- nisse des Staatsfinanzwesens in sich aufnimmt". Es besteht zwischen dem Finanzwesen des Staates und dem der Selbstverwaltung daher zu- nächst eine formale Scheidung. „Die Selbstverwaltung steht auf einem wesentlich andern Standpunkt, als der Begriff des Staats, obgleich sie demselben zugleich angehört. Daher hat ihr Finanzwesen einen spezi- fisch anderen Charakter als das des Staats. Zugleich aber greifen beide wiederum vielfach und tief ineinander." Diese Scheidung wird zu einer materiellen durch folgende Erwägung1). Der Staat als „höchste Ein- heit aller Lebenskräfte und Lebensaufgaben" nimmt „in seiner Finanz- verfassung alle Persönlichkeiten, Kräfte und Leistungen auf". Seine Aufgabe ist unbegrenzt. Aber soweit er sie auch zieht, alle von ihm übernommenen Aufgaben sind für alle seine Angehörigen gleich, ob- gleich sie ihrem Maße nach verschieden sein mögen. „Aus demselben Grunde ist dagegen auch das, was die einzelnen an den Staat leisten, im Prinzip gleich, wenn auch das Maß für die einzelnen sehr ungleich wird." Bei der Selbstverwaltung dagegen ist die Aufgabe eine be- grenzte „und diese Begrenzung der Aufgabe der Selbstverwaltung ist es, welche unter allem am meisten gerade in ihrem Finanzwesen in Erscheinung kommt". Während bei den Provinzen und den (öster- reichischen) Ländern Aufgabe und Finanzwesen im wesentlichen noch denen des Staates gleichartig sind und sich nur durch ihre regionale Beschränkung unterscheiden, tritt der materielle Unterschied bei den Gemeinden entscheidend hervor. Die Gemeinden2) haben zwei Arten von grundsätzlich verschieden gerichteten Aufgaben, einmal örtlich verteilte mit verschiedenem Wert für ihre Angehörigen, wie Bauten, Straßen, Beleuchtung, Sicherheitsdienst usw. Die andere Art von Auf- gaben dagegen ist wie beim Staat eine für alle Angehörigen grund- sätzlich gleiche, so im Unterrichts- und Gesundheitswesen. Dieser Unterschied wird nun von Stein auch auf das Einnahmewesen der Gemeinden angewandt. Während im Staat (und auch bei den Pro-

*) I S. 55/56. 2) I S. 58.

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vinzen) die Steuern die Grundlage der ganzen Finanz Wirtschaft bil- den, wird bei den Gemeinden die Beschaffung der Mittel durch Be- steuerung nur begründet erscheinen, soweit es sich um den Aufgaben- kreis handelt, den Stein die staatsbürgerlichen Leistungen der Ge- meindeverwaltung nennt. Im übrigen sei das Gebührenwesen - S t ei n bezieht hier offenbar auch die Beiträge in den Begriff der Gebühren ein - die eigentliche Basis des Finanzwesens. Es sei daher nicht tun- lich, dieses Gemeindefinanzwesen mit seinem doppelten Inhalt ein- fach an das Staatsfinanzwesen anzuschließen. Ein solcher Anschluß sei nur in einem Punkte gegeben, wo das Staatsfinanzwesen die Ge- meinde direkt in sich aufnimmt, nämlich da, wo die Gemeinde als Finanzkörper dem exekutiven Organismus des staatlichen Steuer- wesens als Steuermessungs- und Steuererhebungsorgan angehört, was aber mit dem selbständigen Gemeindefinanzwesen nichts zu tun hat, weil hier die Gemeinde lediglich die Funktion der Finanz- behörde des Staates hat.1). Auch im Handbuch der Verwaltungs- lehre 2) kommt Stein auf den grundsätzlichen Unterschied zwi- schen Staat und Selbstverwaltung zurück. Beide seien zwei Organis- men mit sehr verschiedenem Lebensprinzip. Beide seien Erschei- nungen und Diener der großen Idee der Verwaltung, aber die innere Einheit in Grundlage und Ziel der Organismen bedürfe äußerer selb- ständiger Organisation3). Die Bedeutung der Selbstverwaltung für die gesamte staatspolitische Entwicklung wird in dem Satz heraus- gestellt, daß der Staat jedem einzelnen gegenüber allmächtig bleibe und erst in der Selbstverwaltung eine ihm gleichartige Macht finde, durch deren Arbeit der einzelne auch noch durch etwas anderes für alle seinen Wert empfängt, als durch seinen Gehorsam gegen die Ge- meinschaft. „Kein Volk ohne ein festes Gemeindewesen war jemals dauernd frei" 4). Die wesensnotwendigen Gegensätze zwischen Staat und Gemeinde werden erkannt, ein Kampf zwischen beiden ist un- vermeidbar, es ist der Kampf zwischen der Einheit der tätigen Staats- idee und den individuellen Elementen seines Organismus. Hier liegt die Aufgabe der staatlichen Aufsicht über die Gemeinden. Sie ist die- jenige Tätigkeit der Staatsverwaltung, deren Inhalt Aufrechterhal- tung der Einheit der Verwaltung innerhalb der Selbständigkeit der Selbstverwaltung bildet 5). Nehmen wir noch hinzu, daß Stein auch die großen Verschiedenheiten unter den Gemeindetypen hervorhebt,

*) I S. 59, vgl. auch I S. 388. 2) 3. Aufl. (1887) S. 63 f., 93 f., 234. s) a. a. 0. S. 93. 4) a. a. 0. 8. 70. 6) a. a. O. S. 234.

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Verschiedenheiten nicht nach Begriff und Recht, sondern abhängig von Umfang und Dichtigkeit der Bevölkerung x), so wird anerkannt werden müssen, daß wir auch die Problematik des Finanzausgleichs zwischen Staat und Gemeinden bei Lorenz von Stein klar erkannt und aufgewiesen finden. Wohl fehlt die nähere Ausführung. Aber die Ansatzpunkte sind fast lückenlos gegeben. Die Vorstellung von der Identität des Staatsfinanzwesens mit dem Finanzwesen über- haupt ist grundsätzlich aufgegeben. Die Notwendigkeit einer voll- kommenen Ordnung des Finanzwesens der Gemeinden für die Ge- samtfinanzwirtschaft ist erkannt, der Aufsicht des Staates über die Gemeinden ihr Inhalt gegeben. Gleichzeitig wird herausgearbeitet, daß eine Übertragung der Grundsätze der Besteuerung vom Staate auf die Gemeinden nicht möglich ist. Stein sagt ausdrücklich 2), daß es sich um zwei Steuersysteme handele, für welche zwar die Prinzipien der Steuer, aber nicht die der Besteuerung die gleichen sein können. Er sieht in der verschiedenartigen Struktur des Aufgaben- kreises die Begründung für die notwendige Verschiedenheit des Steuer- systems im Staat und in den Gemeinden. Besonders bedeutsam ist auch die klare Unterscheidung zwischen demjenigen Teil des Gemeinde- bedarfs, bei dem eine Gleichheit der Leistungen von den Gemeinden erwartet wird, und demjenigen Teil des Staatsbedarfs, der individuell verschieden ist. Wohl mag es nicht vollständig richtig sein, den einen Teil auf Steuern und den andern auf Gebühren und Beiträge zu ver- weisen. Aber jener Unterschied kann fruchtbar gemacht werden für die Frage, ob nicht aus der Pflicht gleichartiger Leistungen ein An- recht der Gemeinden folgt auf Beteiligung des Staats an der Finan- zierung in Form der Zuschüsse. Jedenfalls ergibt sich aus den Aus- führungen Steins, daß hier der Punkt ist, wo Staatsfinanzen und Gemeindefinanzwesen sich miteinander verflechten. Wieder ist zu be- wundern, wie Stein aus theoretischen Erwägungen freilich gleich- zeitig als der große Kenner der Verwaltung, zur Aufstellung von Grund- sätzen kommt, in einer Zeit, in der zwar vor allem in Preußen eine Reform des kommunalen Finanzwesens dringend geworden war, aber es doch großen Weitblicks bedurfte, um zur Erkenntnis der ent- scheidenden Bedeutung des Gemeindefinanzwesens für die Entwick- lung des gesamten Finanzwesens zu kommen. Es sei noch hinzugefügt, daß Stein die Aufgabe der Finanzwissenschaft noch weiter spannt.

*) Lehrbuch der Finanzwissenschaft I S. 388. 2) II, 2 S. 15; vgl. auch über die Zuschläge II, 2 S. 104.

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Er sieht, daß es neben den Gemeinden und Provinzen auch noch andere öffentliche Körperschaften und Vereinigungen gibt und hebt hervor, daß auch auf sie die Aufmerksamkeit der Finanzwissenschaft gelenkt werden müsse *). Das geschieht in einer Zeit, in der die Sozial- versicherungsträger nur eben in der Entstehung begriffen waren. Um so bedeutsamer ist es, daß wir bei Stein bereits den Ansatzpunkt für die Einbeziehung auch dieser Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Eechts in den gesamten Umkreis der öffentlichen Finanz- wirtschaft finden.

IV. Wir können hiernach feststellen, daß die drei Meister der deutschen Finanzwissenschaft übereinstimmend es ablehnen, die Auf- gabe der Finanzwissenschaft auf die Durchdringung des Staatsfinanz- wesens zu beschränken. Alle drei beschäftigen sich nicht nur mit den besonderen Fragen des Bundesfinanzwesens, sondern betonen vor allem auch die große Bedeutung der kommunalen Finanzprobleme für die Erkenntnis staatswirtschaftlicher Zusammenhänge. Zwei von ihnen, Adolph Wagner und Lorenz von Stein, sind durch die Einsicht der besonderen Wichtigkeit der kommunalwirtschaftlichen Fragen zu dem Entschluß gekommen, das Kommunalfinanzwesen in besonderen Werken eingehend zu behandeln. Sie haben aber beide diesen Entschluß nicht verwirklichen können. Es ist das zweifellos ein großer Schaden für die weitere Entwicklung der deutschen Finanz- wissenschaft gewesen. Denn wir müssen feststellen, daß die Bedeu- tung der Erforschung des Wesens der Kommunalfinanzen und ihrer Beziehung zum Staatsfinanzwesens bei den Epigonen jener drei gro- ßen Meister verlorengegangen ist, obgleich an sich die fortschreitende Entwicklung in zunehmendem Maße zur Lösung der von den Meistern erkannten Aufgabe gedrängt hätte. Es scheint so, als ob, wie das ja auch bei andern Disziplinen nicht selten festzustellen ist, die unüber- sehbare Fülle des Materials abschreckend gewirkt hätte. Heckel2), der ja in seinem Lehrbuch im wesentlichen in Adolph Wagners Bahnen wandelt, nimmt zwar an dessen Erkenntnis von der Wichtig- keit der kommunalen Besteuerung teil, aber er teilt gleichzeitig auch insoweit Adolph Wagners Schicksal, als er zwar zusagt, den beiden Bänden seiner Finanzwissenschaft einen dritten über die Kom- munalfinanzen anzuschließen, aber nicht dazu gekommen ist, dieses

l) I S. 59 f. 2) M. v. Heckel, Lehrbuch der Finanzwissenschaft JBd. 1 (1907), Bd. 2

(1911).

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Versprechen einzulösen. G. C o h n *) geht zwar in seinem Lehrbuch der Finanzwissenschaft in geistvoller Weise auf das Wesen der Selbst- verwaltung ein und gibt auch einen Überblick über die Gemeinde- steuergesetzgebung; wesentlich neue Gesichtspunkte finden sich aber nicht. Mit den Finanzen des Eeichs hat sich C o h n in einer Samm- lung von Abhandlungen 2), die im letzten Vorkriegsjahr erschienen sind, beschäftigt, es handelt sich dabei aber im wesentlichen um Bei- träge zu den Spezialfragen der verschiedenen Steuerreformversuche. Auch Eoschers System der Finanzwissenschaft 3) enthält zwar in großer Fülle geschichtliches und tatsächliches Material, ein Bei- trag zu dem, was wir heute das Problem des Finanzausgleichs nennen, finden wir nicht. E h e b e r g gibt im Anhang ( !) zu seiner Finanzwissenschaft 4) nicht mehr als einen Überblick über Entwick- lung und Stand der Gesetzgebung auf dem Gebiete der Kommunal- finanzen. G. Schanz hat ein System der Finanzwissenschaft nie vorgelegt. Seine zahlreichen Einzeluntersuchungen bieten freilich manches auch für unsere Frage Bedeutsames. Das fünfbändige Werk über die Steuern in der Schweiz 6) ist wichtig als eine Sammlung der zahlreichen Lösungsversuche, die sich in den Schweizer Kantonen für die Ausbildung eines lokalen Steuersystems finden. Wenn Schanz in seinem Aufsatz im Finanzarchiv zur Frage des Steuerprinzips 6) der Gemeindesteuern im Gegensatz zu Adolph Wagner jede Heranziehung des Grundsatzes der Besteuerung nach Leistung und Gegenleistung ablehnt, so hat das nur Bedeutung für den Streit um die Prinzipien der Besteuerung. Denn praktisch kommt auch er zu dem Ergebnis, daß Grundbesitz und Gewerbe in besonderem Maße belastungsfähig wären, wenn er das auch nicht auf die Vorteile be- gründen will, die Grundbesitz und Gewerbe durch die Tätigkeit der Gemeinden erfahren, sondern aus dem Prinzip der Leistungsfähigkeit

*) System der Finanzwissenschaft (1889), vgl. bes. S. 170 f. und S. 641 f. - Vgl. auch G. C o h n , Gemeindebedürfnis und Gemeindewirtschaft, Ztschr. f. d. ges. Staatswiss. 1881 S. 464 f.

*) Betrachtungen über die Finanzreform des Reiches (1913). ») W. Röscher, System der Finanzwissenschaft, 1. Aufl. 1886, 4. Aufl.

1890, 5. Aufl., bearbeitet von 0. Ger lach, 1901. 4) K. Th. v. Eheberg, Finanzwissenschaft (18. und 19. Aufl. 1922, dazu

Grundriß, 2. Aufl. 1926). Wissenschaftlich wertvoller als das Lehrbuch sind die Art. Finanzen und Gemeindefinanzen im Handwörterbuch der Staatswissen- schaften, 4. Aufl., Bd. 4 (1927) S. Iff. und S. 783 ff .

*) 1890. •) Fin.-Arch. Bd. 32 (1915) S. 64 f .

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ableitet mit Eücksicht auf die Fundierung des Einkommens von Grundbesitz und Gewerbe im Gegensatz zur arbeitenden Bevölkerung.

In dem 'Werke von R. v. Kaufmann über die Kommunal- finanzen x) wird man nicht wohl einen Ersatz für das erblicken kön- nen, was Adolph Wagner und Lorenz von Stein uns in ihrer geplanten Darstellung der kommunalen Finanzprobleme hätten geben können. Denn dieses Buch gibt wenig Grundsätzliches. Kauf- mann sagt selbst 2), daß er im Rahmen des Sammelwerks, in dem sein Buch erschienen ist, mit dem Vortrag seiner Grundanschauungen sich zurückhalte und „in voller Absichtlichkeit sich im wesentlichen auf die Schilderung der tatsächlichen Verhältnisse beschränke, wie sich dieselben, das Kommunalwesen und dessen Finanzgebarung an- gehend, hier und dort ausgebildet hätten". Die wesentliche Bedeutung seines Werks scheint mir darin zu liegen, daß es in einem Punkte Klarheit über die Besonderheit der Bedarfsdeckung in den Gemeinden gibt. Es beschränkt sich nämlich, wie es nicht anders sein kann, nicht auf die Darstellung der verschiedenen Arten von Gemeindeabgaben, sondern zeigt die große Bedeutung auf, die staatliche Zuweisungen für den Gemeindeetat haben. Er arbeitet dabei 3) auch den Unter- schied von Zuschüssen nach allgemeinen Merkmalen der Leistungs- fähigkeit ohne direkte Beziehung zu einem Aufwand und der Zuschüsse nach dem Beteiligungsprinzip heraus. Die Darstellung im einzelnen behandelt für Preußen die Dotationsgesetzgebung zugunsten der Pro- vinzen und die wichtige Frage des Volksschullastenausgleichs. Für Großbritannien wird die große Bedeutung der Grants-in-Aid für die Finanzgebarung der Lokalverwaltung hervorgehoben; freilich bietet hier das berühmte Werk von Redlich weitaus tiefere Erkennt- nisse 4).

V. Nun darf aber nicht übersehen werden, daß wir in der Lite- ratur der Vorkriegszeit noch eine größere Zahl von Einzelunter- suchungen besitzen, die für das Problem des Finanzausgleichs bedeutsam sind, freilich in weitem Umfange der Vergessenheit anheim- gefallen sind. Es handelt sich dabei vor allem um Abhandlungen, die sich um die M i q u e 1 s c h e Steuerreform gruppieren. Diese große preußische Finanzreform hatte ja den unhaltbaren Zustand des Kom-

*) Die Kommunalfinanzen, 2 Bde. (1906) als V. Bd. der II. Abt. des Hand- und Lehrbuchs der Staatswissenschaften.

2) Bd. I, Vorwort S. V. 3) Bd. II S. 381 f. i « l * / i á~'s' i v

*) J. Jttedlicn, .Ungasene imitai Verwaltung {ivvi).

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munalsteuerwesens geradezu als Ausgangspunkt und man kann wohl sagen, daß das Kommunalabgabengesetz und das Gesetz über die Außerhebungsetzung der staatlichen Bealsteuern die erste systema- tische Finanzausgleichsregelung in Deutschland darstellen, wenn auch beschränkt auf das Verhältnis eines Gliedstaates zu seinen Gemein- den, jedoch keineswegs unbeeinflußt durch das damalige - insbeson- dere durch die sog. Prankensteinsche Klausel heibeigeführte - finanzielle Verhältnis des Keiches zu den Gliedstaaten. Es ist hier nicht am Platze, auf die Sonderfragen einzugehen, die damals Gegen- stand der Erörterung waren und in zahlreichen Abhandlungen sowie vor allem auch in den Materialien der Begierungsvorlagen behandelt wurden. Wohl die beste Übersicht über diese Fragen gibt die aus- gezeichnete Einleitung, die F. A d i e k e s *) seiner Ausgabe des Kom- munalabgabengesetzes vorausgeschickt hatte. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf diese Einleitung, die vor allem den Finanzwissen- schaftlern kaum allzu bekannt sein dürfte, nachdrücklich hinweisen. Sie enthält keineswegs nur einen Abriß der Entstehungsgeschichte und des rechtlichen Inhalts des Gesetzes, das A d i e k e s im An- schluß daran im einzelnen erläutert. Vielmehr haben wir in dieser Einleitung gleichzeitig eine Geschichte des wissenschaftlichen Mei- nungsstreites über die Kommunalfinanzen vor uns, ausgehend von den Theorien der Freihandelsschule 2) bis zu den staatspolitischen Einsichten, die schließlich in den Gesetzen ihren Niederschlag gefun- den haben. Von den Einzelabhandlungen, die dieser Beform voraus- gegangen sind, hat eine ein etwas weiterreichendes Fortleben gehabt mit Bücksicht auf seinen Verfasser. Es ist die Abhandlung von B u - dolf von Gneist über „Die Preußische Finanzreform durch Be- gulierung der Gemeindesteuern' *

3). Wesentlich in dieser Abhandlung ist neben der geschichtlichen Darstellung und der Fülle der feinsinnigen Bemerkungen über das Wesen der Selbstverwaltung die Herausar- beitung der Bückwirkung, die von der Steuerregulierung in den Ge- meinden auf die Staatswirtschaft ausgeht. Die Auffassung G n e i s t s über das Gemeindefinanzwesen wird in folgendem Satze zusammen-

x) Das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893, für den praktischen Gebrauch, mit einer geschichtlichen Einleitung und Erläuterungen versehen (1894). Die Einleitung umfaßt 180 eng gedruckte Seiten. Nur einen viel kürzeren Über- blick gibt die Abhandlung in der Ztschr. f. d. ges. Staatswiss. Bd. 50 (1894) S. 410 f. und S. 583 f.

*) Vgl. oben S. 407 Anm. 1 und 408 Anm. 1. 3) 1881.

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gefaßt: „Die Kommunalsteuerpflicht beruht nicht auf einer Inter- essenerwägung, sondern sie beruht auf dem kategorischen Imperativ, daß der Staat ohne Kommunalverbände, der Kommunalverband ohne Realbesteuerung nicht sein kann'* *). Beide Thesen haben zweifellos auch heute noch ihre Bedeutung. Wichtig ist auch die Feststellung 2), daß die Einkommensteuer sich als Gemeindesteuer nicht eignet. Hier finden sich ausgezeichnete Ausführungen über den Widerspruch, der darin liegt, eine Subjektsteuer, wie die Einkommensteuer durch „Mo- deration** mit juristischen Fiktionen in eine Objekts teuer umzuwan- deln, wie das nun einmal notwendig ist, wenn man die Einkommen- steuer, die sich ihrem Wesen nach örtlicher Radisierung entzieht, für die örtliche Besteuerung verwendbar machen will. Dies sei die „schiefe Ebene**, das Ergebnis sei ein grundsatzloses Steuersystem und die Widersprüche eines solchen Systems würden sich so lange steigern, bis die herrschenden Vorstellungen sich endlich überzeugten, daß das Einkommensteuersystem mit dem W7esen und Zweck des Gemeinde- verbandes in unleugbarem Widerspruch stehe. Hiermit wendet sich G n e i s t mit Gründen, die noch heute so durchschlagend sind, wie sie es damals waren, gegen diejenigen, die, wie K. Walcker3) und R. F r i e d b e r g 4) in der progressiven Einkommensteuer eine ge- eignete Gemeindesteuer sahen.

Finanzwissenschaftlich bedeutsamer, als alle die Abhandlungen, die sich um die Miquelsche Steuerreform gruppieren, sind die Werke zweier Finanzwissenschaftler, auf die die Aufmerksamkeit auch un- serer Zeit noch einmal gelenkt werden mag. Es ist das einmal L. v. B i - 1 i n s k i , der ein Buch über die Gemeindebesteuerung schrieb 5), und weiter Freiher v. Reitzenstein, der das kommunale Finanzwesen in Schönbergs Handbuch behandelt hat und sich vor allem in sechs Artikeln in Schmollers Jahrbuch mit der finanziellen Konkurrenz von Gemeinden, Kommunalverbänden und Staat be- schäftigt.

B i 1 i n s k i versucht nach einem geschichtlichen Überblick eine

*) a. a. O. S. 129. 2) a. a. O. S. 127, bes. S. 149.

3) Die Selbstverwaltung des Steuerwesens im allgemeinen und die russische Steuerreform (1869). - Die russischen Verhältnisse auf dem Gebiete des Kom- munalfinanzwesens haben übrigens auch bei L. v. Stein besonderes Interesse

hervorgerufen: vgl. a. a. O. II 3 im Vorwort S. XII f.

4) Die Besteuerung der Gemeinden (1877). 5) L. v. B i 1 i n s k i , Die Gemeindcbesteiierung und deren Keform (1878).

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Theorie der Gemeindesteuer oder eine Lehre der kommunalen Finanz- gewalt zu geben. Er sieht in den Gemeinden selbständige Gebilde, die weder schlechthin in ihrer Summe den Staat bilden noch auch reine Staatsanstalten seien. Sie seien vielmehr dem Staate ebenbürtig und zwar auch für die Fragen der Besteuerung. Finanzwissenschaft- lich bedeutsam scheint mir, daß er Folgerungen aus dem Unterschied zwischen einem eigenen und übertragenen Wirtschaftskreis ablehnt. Alles, was Gemeinden billiger und besser versehen können, als staat- liche Behörden, sei den Gemeinden übertragen, wobei je nach Art der Geschäfte ein größeres oder geringeres Maß von Steueraufsicht notwendig sei 1). Hier kommt also B i 1 i n s k i zu der auch von mir 2) als entscheidend angesehenen Gleichstellung von Selbstverwaltung und Lokalverwaltung. Es soll natürlich der juristische Unterschied zwischen eigenem und übertragenem Wirkungskreis durchaus nicht geleugnet werden, aber für die Ordnung der Finanzwirtschaft ist schlechthin von dem Grundsatz auszugehen, daß die Gemeinden die Träger der gesamten Lokalverwaltung und ihrer Kosten sind. Bilinski macht dann Vorschläge für ein Gemeindesteuersystem 3). Er lehnt so- wohl Zuschläge zu Staatssteuern als auch Dotationssteuern - wir würden heute sagen Überweisungssteuern - ab. Beide seien nicht ge- eignet, eine wirksame Selbstverwaltung zu fördern. Zuschläge seien ein Anreiz zur Verschwendung, denn nichts sei ja leichter, „als einige Kreuzer Zuschläge zu beschließen". Überweisungssteuern aber wür- den einfach als „Geschenk des Staates" empfunden. Eine Förderung des klaren Bewußtseins der kommunalen Eechte und Pflichten können nur bei selbständigen Gemeindesteuern entstehen. Als solche lehnt er die Gemeindeeinkommensteuer ab. Nicht nur deswegen, weil Forensen und juristische Personen schwer einzugliedern seien, son- dern vor allem, weil die Einkommensteuer der verschiedenartigen Struktur der Gemeinden nicht entspräche. Er weist darauf hin, daß die Fülle der Gemeinden aus kleinen Leuten bestände. Der Staat könne bei einer Einkommensteuer diese kleinen Leute, die für eine Einkommensbesteuerung nicht die nötige Leistungsfähigkeit hätten, freilassen. Wäre die Gemeinde auf die Einkommensteuer angewiesen, so würde sie das nicht können, weil sie eben überwiegend aus diesen kleinen Leuten bestehen kann. Damit würde aber eine Steuer, die

*) a. a. O. S. 109. 2) Der künftige Finanzausgleich usw. (1932) S. 14 f. 3) a. a. O. S. 197 f.

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durch das Prinzip der Erfassung der Leistungsfähigkeit getragen wäre, ihre Eechtfertigung verlieren. Die Eealsteuern seien die geeigneten Gemeindesteuern, auch auf die Gefahr hin, daß damit, wie es in Eng- land geschehen sei, der Staat von dieser Steuerquelle abgedrängt würde. Es ist nun sehr interessant, wie B i 1 i n s k i daneben die Forderung nach einer Gemeindepersonalsteuer aufstellt und damit un- mittelbar vor dem Problem steht, das meiner Ansicht nach gerade heute das Kernproblem des kommunalen Steuerwesens bildet. Neben den Eealsteuern bedarf es einer Gemeindepersonalsteuer x). Soll und kann das nicht die Einkommensteuer sein, so fragt sich, welche sonst. Hier kommt nun B i 1 i n s k i zu Vorschlägen, die in bemerkenswerter Weise denen ähneln, die u. a. auch ich 2) für den Aufbau des heutigen Gemeindesteuersystems gemacht habe. Er schlägt nämlich eine Wohn- und Mietsteuer vor. Sie solle nicht dazu dienen, den Grundbesitz zu belasten, das sei Sache der Eealsteuer, vielmehr wirke sie teils als Konsum-, teils als Aufwandsteuer und in der Größe der Wohnung (der Höhe der Miete) liege der Maßstab für die Erfassung der Lei- stungsfähigkeit. Das Moment der politischen Kräfteverteilung, das heute eine besondere Begründung für den Vorschlag der Wohnsteuer abgibt, spielt beiBilinski naturgemäß noch keine Eolle. Er weist dann aber weiter vollständig zutreffend darauf hin, daß diese Wohn- steuer sich nicht für Landgemeinden eigne und schlägt für diese eine klassifizierte Kopfsteuer vor: nicht ohne Erstaunen sehen wir also, daß er auch hier zu einem ähnlichen Vorschlag kommt, wie wir ihn heute für zutreffend halten. Diese Kopfsteuer ist ja nichts anderes als die Bürgersteuer. B i 1 i n s k i kennt auch bereits das Problem der Eelation, die zwischen den Eealsteuern einerseits und der Personal- steuer andererseits zu bestehen habe. Er macht den interessanten Vorschlag, dabei nach Gemeindegrößenklassen zu differenzieren, in- dem etwa in Großstädten einem Drittel Eealsteuern zwei Drittel Per- sonalsteuern zu entsprechen habe, und dieses Verhältnis in Mittel- städten zwei Drittel zu ein Drittel und in Landgemeinden drei Viertel zu ein Viertel sein solle. - Ich glaube, daß es sich bei dem Hinweis auf das Buch von B i 1 i n s k i um eine Ausgrabung handelt, die sich immerhin lohnt. Die Ergebnisse, zu denen er kommt, erscheinen durchaus nicht zeitbedingt, sondern nicht ohne Bedeutung auch für die heutige Problemstellung.

J) a. a. O. S. 275 f. 2) a. a. 0. (vgl. Anm. 1 S. 403) S. 89 f., bes. S. 155 f.

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Ähnliches nun gilt auch für die Aufsatzreihe des Freiherrn von Reitzenstein1). Schon der Titel, den er seiner Abhand- lung gibt, ist ja gleichsam frontal auf das Finanzausgleichsproblem abgestellt. Was wir heute Finanzausgleich nennen, ist wenigstens zum wesentlichsten Teile eben nichts anderes als der Ausgleich der „finan- ziellen Konkurrenz von Gemeinden, Kommunalverbänden und Staat", „die Regelung des Verhältnisses, in welchen Gemeinden, kommunale Verbände und Staat an dem Aufwände der örtlichen Verwaltung sich zu beteiligen haben". Die Ungleichheit in der Verteilung der Steuer- kraft auf die einzelnen Gemeinden wird als die Schwierigkeit erkannt, die der Regelung des Gemeindefinanzwesens entgegensteht. Damit kommt Reitzenstein zu der ausgleichenden Aufgabe des Staa- tes. Er erkennt die Bedeutung, die staatliche Zuschüsse für das Kom- munalfinanzwesen haben, er unterscheidet dabei das Dotations- und das Subventionsprinzip. Bei Dotationen handelt es sich um das, was ich Finanzzuweisungen genannt habe 2). Sie werden gegeben, um die Gemeinden für die Erfüllung ihrer Aufgaben leistungsfähig zu gestal- ten, aber ohne daß dabei eine Beziehung zu den Ursachen der Be- dürftigkeit bestehe oder die Bemessung nach dem Maß der Anforde- rungen erfolge. Man wird dem nicht voll zustimmen können. Eine Be-

ziehung zu den Ursachen der Bedürftigkeit können und sollen die Staatszuweisungen haben, es fehlt bei ihnen nur die Abstellung auf bestimmte Ausgaben. Beim Subventionsprinzip handelt es sich um eine Beteiligung des Staates an bestimmten Ausgaben, die gerade durch staatliche Anforderungen reguliert und gesteigert werden. Reitzenstein gibt eine ausführliche Übersicht über die Dotatio- nen und Subventionen in Preußen und in anderen Bundesstaaten. Mit Recht gibt er den Subventionen, weil sie mit der Aufgabenver- teilung in Zusammenhang stehen, den Vorzug vor den Dotationen, wobei freilich gesagt werden muß, daß heute Finanzzuweisungen un-

*) Über finanzielle Konkurrenz von Gemeinden, Kommunalverbänden und Staat, Schmollers Jahrb. Bd. 11 (1887) S. 123 f., 499 f., 885 f., Bd. 12 (1888) S. 85 f., 529 f. Wir verdanken Reitzenstein auch gute Darstellungen des französischen und amerikanischen Kommunalfinanzwesens, ersteres in den Schrif- ten des Vereins für Sozialpolitik Bd. 12 (1877) S. 111 f., letzteres in Fin.-Arch. Bd. 3 (1886) S. 591 f.

2) a. a. O. S. 187 f. Vgl. auch A. J e s s e n , Der deutsche Finanzausgleich in Theorie und Praxis, Vierteljahrsschrift für Steuer- und Finanzrecht Bd. 6 (1932) S. 579 f.

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entbehrlich sind, solange die allgemeine Finanznot besteht. Er be- tont nachdrücklich die Bedeutung geordneter Kommunalfinanzen für den Staat. Gerade in den Gemeinden vollziehe sich eine Anpassung der öffentlichen Ausgaben an die örtlichen Verhältnisse, es besteht in ihnen die Möglichkeit, besondere Hilfsquellen dienstbar zu machen, und es ist ganz richtig erkannt, daß in der Übertragung von Aufgaben an die Gemeinden der Staat ein Mittel dafür hat, um den Aufwand niedriger zu halten, als er bei unmittelbarer staatlicher Tätigkeit sein würde, - freilich nur, wenn der Staat die Finanzgebarung der Ge- meinden beaufsichtigt, und wenn nicht dieser an sich dem Wesen der Gemeinde entsprechende Grundsatz durch die Besonderheit der politischen Kräfteverteilung völlig paralysiert wird.

VI. Damit wäre etwa das wiedergegeben, wTas zur Klärung des Finanzausgleichproblems aus dem finanzwissenschaftlichen Schrifttum der Vorkriegszeit zu gewinnen ist. Gewiß sind nicht alle Einzelfor- schungen und alle Materialquellen damit angegeben; Wichtiges ent- halten z. B., abgesehen von den Arbeiten Staats- und verwaltungs- rechtlicher Natur, die Artikel des Handwörterbuchs der Kommunal- wissenschaften, die Veröffentlichungen des Vereins für Sozialpolitik und die kommunalwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Aber alles das hat mit finanzwissenschaftlicher Forschung in der Eichtung auf die Entwicklung einer Theorie des Finanzausgleichs nichts zu tun. Im Gegenteil : diese - an sich überaus wertvollen - Spezialarbeiten und Materialsammlungen fördern eine Spezialisierung; der allgemeinen finanzwissenschaftlichen Betrachtung wirken sie solange entgegen, als der wissenschaftliche Standort für die Eingliederung der Ergeb- nisse in ein theoretisches Gesamtbild fehlt.

Nun haben wir aber feststellen können, daß die Finanzwissen- schaft in ihrer Blütezeit durchaus nicht die Aufgabe, die sich für sie aus dem Tatbestand der Vielheit der Finanzkörper ergibt, verkannt hat. Die Meister der Wissenschaft gingen vielmehr übereinstimmend davon aus, daß die Finanzwissenschaft nicht auf die Lehre vom Finanzwesen eines als Einheit fingierten Staates isoliert werden dürfe und trugen den soziologischen Gesichtspunkten, wie sie sich aus der vielfältigen Spaltung der Willensbildung im Gesamtstaatswesen er- geben, durchaus Eechnung. Wir müssen aber weiter feststellen, daß inzwischen eine bemerkenswerte Spannung zwischen der Entwicklung des Geschehens und dem Fortschrift der Wissenschaft eingetreten ist. In der Wirklichkeit des staatlichen Lebens - nicht nur in Deutschland,

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sondern in allen großen Staaten x) - hat die Bedeutung der Frage nach dem Ausgleich zwischen der Vielheit der Finanzkörper zugenom- men. Ja, die Gesetzgebung hat sogar im Finanzausgleichsgesetz ihr einen festen Standort im Bechtssystem geschaffen, die Finanzwissen- schaft hat aber trotzdem insoweit keine Fortentwicklung erfahren, vielmehr ist ein wesentlicher Rückschritt festzustellen. Man hat sich in der Finanzwissenschaft der Nachkriegszeit offenbar eher zu einer allgemeinen Vernachlässigung der Finanzausgleichsfragen entschlos- sen. Dabei ist unter Finanzwissenschaft die Wissenschaft als an- erkannte Disziplin, getragen von ihren gelehrten Vertretern an den Universitäten, verstanden. Denn, wie schon in der Einleitung hervor- gehoben, die Arbeiten einzelner Außenseiter oder wissenschaftlich in- teressierter Praktiker 2) vermögen nicht ein einzelnes Sachgebiet zu einem als unentbehrlich empfundenen Glied einer Fachwissenschaft zu machen. Nehmen wir etwa die neuesten Lehrbücher der Finanz- wissenschaft zur Hand. Das flüssig geschriebene, für Studierende be- sonders geeignete kleine Lehrbuch von R ö p k e 3) enthält keine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Problem; soweit das Wort Finanzausgleich vorkommt, handelt es sich um die Erwähnung gesetzlicher Bestimmungen. R ö p k e folgt eben offenbar, wie Ritschi4) es einmal ausgedrückt hat, „dem allgemeinüblichen und berechtigten (?) Brauch, die Staatswirtschaft als pars pro toto statt der Summe der Zwangsgemeinwirtschaften zu behandeln* '. Bei Moll5) kommt, soweit ich sehe, nicht einmal das Wort vor. Ter- halle6) und L o t z 7) widmen dem Finanzausgleich je einen Ab- schnitt ihrer Lehrbücher, bei beiden steht er am Schluß der Werke,

*) In England ist der Finanzausgleich zwischen dem Staat und den Kom- munalverbänden durch das große Gesetzgebungswerk der Rating and Valuation Act von 1928 und der Local Government Act von 1929 neu gestaltet woiden. Tn Italien erging der umfassende Testo unico per la finanza locale vom 14. Sept. 1931. In Frankreich wurde 1931 der Kammer ein Projet de loi portant Réforme des Finances Départementales et Communales mit eingehender Begründung vorgelegt.

2) Vgl. etwa die Arbeiten von W. M a r k u 1 1 , v. P i s t o r i u s , A.Jessen, W. Mu lert, F. Kaufmann, v.Leyden, F. Elsas, Suren.

3) W. Röpke, Finanzwissenschaft (1929). 4) H. Ritschi, Theorie der Staatswirtschaft und Besteuerung (1928)

S. 15 Anra. 1. 5) B. Moll, Lehrbuch der Finanzwissenschaft (1930). 6) F. Terhalle, Finanzwissenschaft (1930) S. 544 f. 7) W. Lotz, Finanzwissenschaft, 2. Aufl. (1931) S. 938 f. Finnnznrchiv. N. F. 1. Heft '.*,. 29

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gleichsam (bei L o t z sogar ausdrücklich so bezeichnet) als Anhang. Gewiß weiß vor allem Ï erhalle Beachtliches dazu zu sagen, aber doch fehlt die volle Einsicht in das Problem. Terhalle schreibt *) : Das Nebeneinander mehrerer Finanzwirtschaften „interessiert uns nun freilich nur insoweit näher, als es eine Auseinandersetzung zwischen den Gebietskörperschaften mit sich bringt, und zwar eine solche, die ihrerseits die Struktur der beteiligten Finanzwirtschaften entschei- dend beeinflußt". Das ist nicht richtig gesehen. Die Auseinanderset- zung ist ja erst eine Folge des wichtigen Tatbestands der Vielheit, und nicht sowohl die Wirkungen der Auseinandersetzung auf die Struktur der beteiligten Finanz wirtschaften interessiert, als die Aufgabe, die sich aus dem Tatbestand selbst ergibt und die für die Erfassung der Aufgabe entscheidende Deutung des Tatbestandes, also zunächst ein- mal die Untersuchung der Besonderheiten der Struktur der beteilig- ten Finanzwirtschaften und die Erforschung der soziologischen Vor- gänge, die aus diesen Besonderheiten den Tatbestand gestalten. Ohne Untersuchung dieser Besonderheiten unter dem Gesichtspunkt der Kausation, d. h. der Erklärung des daraus hervorgehenden Gesche- hens, ist nicht weiter zu kommen. Der Gegensatz von Einheit und der Summe einer Vielheit muß doch wohl tiefer erfaßt werden. Terhalle macht auch selbst, trotz jener unvollkommenen Fragestellung, be- achtliche Ausführungen hierüber. Aber man wird mit dem Problem in einer anhangsweisen Betrachtung überhaupt nicht fertig werden können. Vielmehr durchzieht es in seinen Folgerungen, wie mir scheint, das gesamte Lehrsystem. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Kann man von der Einkommensteuer handeln, ohne auf die Frage der Ge- meindezuschläge zu ihr einzugehen und dabei zu untersuchen, nicht nur, ob sie mit dem einer örtlichen Kadizierung schwer zugänglichen Begriff des Einkommens zu vereinbaren wären, sondern auch wie das Recht der Zuschlagserhebung auf die Willensbildung über die Höhe des Finanzbedarfs der Gemeinden nach der besonderen Artung dieser Willensbildung wirkt. Genügt es, das Problem der Ertragsteuern in seinem überlieferten Lehrbestand aufzurollen, ohne auf die Frage einzugehen, ob diese Steuern, auch wenn im Staate der Schritt zur Einkommensteuer vollzogen ist, sich etwa als Gemeindesteuern eignen und ob sie als solche ohne eine relationsmäßig gebundene ergänzende direkte Steuer eine solide Finanzwirtschaft tragen können? Läßt sich

>) a. a, O. S. 544.

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über Steuerprinzipien sprechen, ohne des Satzes L orenz v. Steins zu gedenken, daß zwar für das Staats- wie für das Gemeindesteuer- system die Prinzipien der Steuern aber nicht die der Besteuerung die gleichen sein können? Daß G e r 1 o f f dem Problem des Finanzaus- gleichs besondere Aufmerksamkeit zuwendet, ist bekannt. Er ist ja gleichsam der Geschichtsschreiber dieses Problems, denn seine Ge- schichte der Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Eeichs *) bezieht sich ja auch auf deren Beziehungen zu den Landes- und Gemeinde- finanzen und stellt im Grunde das Eingen des Deutschen Eeiches in der Vorkriegszeit um die finanzielle Auseinandersetzung zwischen Eeich, Ländern und Gemeinden dar. G e r 1 o f f hat sich auch in der Nachkriegszeit der Frage einer richtigen Gestaltung der Kommunal- besteuerung 2) zugewendet. Da aber, wo er von Theorie und System der Finanzwissenschaft handelt, wie in seinen wertvollen Beiträgen zum Handbuch der Finanzwissenschaft 3), geht er an der Aufgabe vorüber, dem Finanzausgleich einen Standort im System der Finanzwissen- wissenschaft zu geben, und, wenn in dem Handbuch Sonderaufsätze über den Finanzausgleich 4) und über das Kommunalfinanzwesen 5) folgen, so sind sie nur ein Zeichen für die Erkenntnis der Heraus- geber darüber, daß diese Fragen irgendwie in eine finanzwissenschaft- liche Gesamtbetrachtung hineingehören, die Frage der systematischen Eingliederung ist damit nicht gelöst. Mann6) hat das Verdienst, auf die Wichtigkeit einer Gesamtbetrachtung aller öffentlichen Willens- träger nachdrücklich hingewiesen zu haben, und zwar fügt er Eeich und Ländern nicht nur die Gemeinden und Gemeindeverbände hinzu, sondern auch die Sozialversicherungsträger, die er als intermediäre Finanzgewalten oder als Hilfsfisci bezeichnet. Freilich geht es ihm

*) W. G e r 1 o f f , Die Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Reiches nebst ihren Beziehungen zu Landes- und Gemeindefinanzen von der Gründung des Norddeutschen Bundes bis zur Gegenwart (1913); vgl. auch Ger lo ff , Der Staatshaushalt und das Finanzsystem Deutschlands im Handbuch der Finanz- wissenschaft Bd. 3 (1929) S. 1 ff.

2) W. G e r 1 o f f , Bedarfsordnung und Bedarfsdeckung in Reich, Landern und Gemeinden, Schriftenreihe des Deutschen Stadtetages (1928).

3) Bd. I (1926) S. lf., 436 f. 4) J. Popitz, Der Finanzausgleich, Bd. II (1927) S. 338 f. ò) H. Bleicher, Kommunale Finanzwirtschaftslehre, Bd. II (1927)

S. 376 f. •) F. K. Mann, Die intermediären Finanzgewalten und ihr Einfluß, Con-

rads Jahrb. Bd. 129 (1928) S. 219 f. Derselbe, Deutsche Finanzwirtschaft (1929).

29*

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mehr darum, herauszustellen, daß der Bedarf der öffentlichen Wirt- schaft und der von ihnen ausgehende Lastendruck erst durch voll- ständige Sammlung und Zusammenrechnung aller öffentlicher Haus- haltungen und ihrer Zwangsanforderungen ermittelt werden kann. Auch Teschemacher, dessen frühere Forschungen ja bereits Teilen einer Geschichte des Finanzausgleichs galten 1), geht bei seinem Über- blick über die Finanzgeschichte der Nachkriegszeit 2) nicht an den Ländern und Gemeinden und ihrer Verflechtung mit den Eeichs- finanzen vorüber. Aber bei all dem handelt es sich nicht um eine Er- kenntnis des Problems in seinem Zusammenhang mit der wissenschaft- lichen Behandlung des öffentlichen Finanzwesens überhaupt. Richtige Bemerkungen hierüber finden sich, freilich nur nebenbei, bei Sul- tan3). Er bezeichnet das Finanzausgleichsproblem als ein Problem von politisch-soziologischer fundamentaler Bedeutung und sucht ihm seinen „theoretischen Ort" anzuweisen. Nicht lediglich das Nebenein- ander als solches ist zu untersuchen, nicht um eine Zusammenrech- nungsfrage handelt es sich, auch nicht um die gesonderte Untersu- chung der Teile, sondern um die Erfassung der Art, wie durch jene Vielheit von öffentlichen Wirtschaften und Verwaltungen die Ge- samtgestaltung des Bedarfs in seiner Höhe und seiner Zusammen- setzung und damit auch die Art der Deckung beeinflußt wird. Hier ist anzuknüpfen. Es ist doch nicht richtig, daß wir, indem wir alle Beträge, die bei den verschiedenen Finanzkörpern als Ausgaben erscheinen, zusammenrechnen, nun vor einer Frage nach einem geschlossenen Deckungssystem ständen. Vielmehr ist eben zu beachten, daß die in der Vielheit der öffentlichen Gebilde zum Ausdruck kommende Differenzie- rung des Staatszwecks (hier das Wrort als Zusammenfassung aller öffentlichen Zwecke gebraucht) einen ganz anderen Gesamtbedarf nach Höhe und Zusammensetzung entstehen läßt, als es der Fall sein würde, wenn wir im Staat ein völlig einheitliches Gebilde vor uns hätten und die Setzung des Staatszweckes nur von einer Stelle aus erfolgte. Es ist ferner zu beachten, daß sich aus der Vielheit der Willens- träger nicht nur die Notwendigkeit einer Verteilung der Deckungs-

l) Vgl. H.Tcschemacher, Die Einkommensteuer und die Revolution in Preußen (1912). Derselbe, Reichsfinanzreform und innere Reichspolitik 1906-1913 (1915).

2) H. Teschemacher, Finanzwissenschaft in Die Beamten-Hochschule. Lieferung 61, 66, 72 (1930).

3) H. Sultan. Dio Staatseinnahmen (1932) S. 93.

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mittel unter sie ergibt, sondern daß die besondere Eignung bestimm- ter Deckungsmittel für jeden Finanzkörper geprüft werden muß, insbesondere von dem Gesichtspunkt der Eückwirkungen aus, die von der Art der zugewiesenen Deckungsmittel wiederum auf die Ge- staltung des Bedarfs ausgehen. Was wir brauchen, ist eine Lehre, die uns erklärt - rein erkenntnismäßig oder anschaulich - wie unter allgemeinen oder durch die Zeitverhältnisse gegebenen Voraussetzungen jener Tatbestand von der Vielheit mehr oder weniger selbständiger Verbände und bestimmte diesen Tatbestand ordnende Maßnahmen zu einer Gesamtgestaltung der öffentlichen Wirtschaft führen oder bei- tragen. Es ist, wie schon erwähnt wurde, die Frage nach dem zureichen- den Grunde, die zu stellen ist und damit nach den Mitteln, wie ein bestimmter Erfolg zu erzielen ist. Mit einer solchen Untersuchung gleiten wir keinesfalls schon in das Gesinnungsmäßige, Politische ab. Das wäre nur insoweit der Fall, als der Erfolg, den wir als Ziel setzen, für dessen Erreichung wir auf Grund von Erkenntnis und Erfahrung Vorschläge machen, gesinnungsmäßig bedingt wäre, nicht jedoch, so- weit der Erfolg, unabhängig von einer bestimmten Gesinnung, als ein notwendiges Glied der Gesamtfrage gesehen wird, wie ein politischer Körper, ein staatliches Gebilde mit seiner vielfältigen Gliederung, schließlich als finanzwirtschaftliche Einheit gesehen und für sie das wirtschaftliche Grundproblem vom Bedarf und seiner Deckung zu lösen ist. Insoweit handelt es sich zu einem Teile um die Frage nach richtiger Staats- und verwaltungsmäßiger Organisation, d. h. um Vorkehrungen zur Erzielung des gewollten Erfolges. Insoweit handelt es sich aber, da der Erfolg auch ein finanzwirtschaftlicher sein soll, auch um eine Frage nach der richtigen Wirtschaft. Diese aber setzt - und damit bewährt sich G o 1 1 1 s *) Begriffsbestimmung gerade auch für die öffentliche Wirtschaft - eine Gestaltung menschlichen Zu- sammenlebens voraus, die auf dauernden Einklang von Bedarf und Deckung sinnvoll ausgerichtet ist. Wir müssen also die Bestimmungs- gründe für das Handeln der dem Gesamtgebilde angehörenden Glieder, also hier von öffentlichen Körperschaften und ihren Angehörigen kennen, um die Mittel aufweisen zu können, wie sie so beeinflußt und eingeschaltet werden können, daß jener Einklang zu Dauer und Be- stand erreicht werden kann.

Mit diesen Betrachtungen erhellt schließlich auch der letzte Grund >) F. v. Gottl-Ottlilienfeld, Wirtschaft und Wissenschaft, 2 Bde.

(1931).

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für das Versagen der Finanzwissenschaft der Nachkriegszeit bei der Lösung einer Aufgabe, deren Wichtigkeit doch, wie wir sahen, von vielen ihrer Vertreter nachdrücklichst betont wird. Hier handelt es sich nicht um rein volkswirtschaftliche Gesichtspunkte. Die deutsche Finanzwissenschaft hat in der Zeit, die ihren drei großen Meistern folgte, geglaubt, in deren den Staat, seine Gliederung und seine Or- ganisation so stark betonenden Darstellungen eine Vernachlässigung der wirtschaftlichen Erscheinungen erblicken zu müssen 1). Mit Eecht, soweit sie sich damit gegen die Verflachung bei den Epigonen wendete, mit Unrecht, wenn sie nunmehr unter der (gewiß auch nicht so über- aus erfolgreich gewesenen) Bemühung um die ökonomische Seite die staatswissenschaftlichen und soziologischen Ansätze der Meister völ- lig verdorren läßt. Gerade die Finanzwissenschaft ist aber nicht nur ein Teil der Volkswirtschaftslehre, sie hat es noch viel weniger als diese mit dem sagenhaften homo oeconomicus zu tun, vielmehr mit einem in eine Vielheit gegliederten Wirtschafter, dessen Willensbildung durch ganz andere als volkswirtschaftliche Erwägungen mitbestimmt ist. Kann man diese Erwägungen durch gezwungene Festhaltung an einer „autonomen" Betrachtung wirklich ausschalten, ohne schließlich in Gefahr zu geraten, den Gegenstand zu verlieren, den man erforschen will? Die Aufgabe kann doch nur sein, die „Lebenserscheinungen der öffentlichen Finanz Wirtschaft allseitig zu begreifen*

' 2). In einem sol-

chen System muß aber der Finanzausgleich seinen Platz haben; im

System, dieses ständig beeinflussend, und nicht im Anhang. Vielleicht verhilft die Besinnung auf die Leistungen, die schon einmal im Besitz unserer Finanzwissenschaft waren, dazu, den Weg, den die Finanz- wissenschaft hiernach antreten muß, zu ebnen.

*) Vgl. H. Teschemacher, Die geistesgeschichtliche Linie in der Ent- wicklung finanzwirtschaftlichen Denkens (1931); ferner Derselbe im ein- leitenden Aufsatz zur Neuen Folge des Finanzarchivs ( 1932) S. 1 f.

2) H. Teschemacher, Über den traditionellen Problemkreis der deut- schen Finanzwissenschaft, Festgabe für G. v. Schanz, Bd. II (1928) S. 441.

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