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Besuch in Sombor Partnerstadt von Gemeinden Gemeinsam Bodensee-Rhein Teilnehmer: Ruedi Rinderknecht zur Ranch 8580 Hefenhofen 071/411 32 31 [email protected] Christoph Zweili Bahnhofstrasse 30 8590 Romanshorn 071/463 12 52 [email protected] [email protected] Pia Zweili Bahnhofstrasse 30 8590 Romanshorn 071/463 12 52 [email protected] Claudia Stutz Föhrenstrasse 4 9320 Arbon 071/446 04 58 078/846 68 06 1 Sombor im Sommer 2001 5.8. bis 12.8.2001 Teilnehmer Einleitung Bilder/Text Ergänzungen zum Bericht: - Unsere Partner in Sombor Arne Engeli - Ergänzungen zum Waisenhaus Magdalena Wüst/Michaela Müller - Kapitel Jugendcamp Magdalena Wüst/Michaela Müller - Bericht über Buspartu Michael Fischer und Franziska Meyer - Besuch von Rosmarie Mik in Romanshorn Christoph Zweili - «How to explore myself and our future» Sybille Marseiler

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Page 1: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Besuch in SomborPartnerstadt von Gemeinden Gemeinsam Bodensee-Rhein

Teilnehmer:

Ruedi Rinderknechtzur Ranch8580 Hefenhofen071/411 32 [email protected]

Christoph Zweili

Bahnhofstrasse 308590 Romanshorn071/463 12 [email protected]@smile.ch

Pia Zweili

Bahnhofstrasse 308590 Romanshorn071/463 12 [email protected]

Claudia Stutz

Föhrenstrasse 49320 Arbon071/446 04 58078/846 68 06

1 Sombor im Sommer 20015.8. bis 12.8.2001

Teilnehmer

Einleitung

Bilder/Text

Ergänzungen zum Bericht:

- Unsere Partner in Sombor Arne Engeli

- Ergänzungen zum Waisenhaus Magdalena Wüst/Michaela Müller

- Kapitel Jugendcamp Magdalena Wüst/Michaela Müller

- Bericht über Buspartu Michael Fischer und Franziska Meyer

- Besuch von Rosmarie Mik in Romanshorn Christoph Zweili

- «How to explore myself and our future» Sybille Marseiler

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Unsere Partner in Sombor (Stand September 2001)

1. StadtpräsidiumJovan Vujicic (Stv. Marta Ódry), Rathaus,T:E: [email protected]

2. Rotes KreuzGordana Savin (Präs. Milan Sobenica)Apatinski put 19T/F: 22-737T priv. 28 536E: [email protected]: Saatgut, Humanitäre Apotheke, Jugendrotkreuz, Jugendcamp

3. NGO-CenterTijana Gnjidic (Initiantin: Slavica PeriskicT priv. 23 909E: [email protected])Trg Svetog Trojstva 1/1T: 459 030E: [email protected]: Intertheka, Diakonische Freiwilligenorganisation «Susret» (Irina Periskic),Frauen-Alternative mit SOS-Telefon (Jasmina Kovacevic)

4. RavangradManda Prising (und Ivan)Trg Oslobodenja 4T/F: 23 873,T priv. 460 067E: [email protected]: Open Club, Offener Marktplatz für Kinder

2 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Unsere Partner

Page 3: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

5. Iuventus CantatSilvester Hajnal, ChorleiterT priv. 23 788)und Eva Josic (Präsidentin)Trg Oslobodenja 4T/F: 34 940ein wenig deutschProjekte: 5. Konzerttournée im Juni 2002

6. Katholisches PfarramtPfr. Josip Pekanovic und Katechetin Rosmarie MikCara Lazara 2T/F: 33 564E: [email protected]: Ökumene, Religionsunterricht, Weihnachtspäckli

7. Waisenhaus «Miroslav Antic»Vesna VorkapicRadoja Domahovica 98T: 22 743Projekte: Sommercamp

8. Behindertenheim «Otthon» in Stara MoravicaGyöngyi Budaj (Stv. Andor Nagy T priv. 024 741 177)T: 024 741 005F: 741 504mit Andor: deutschProjekte: Saatgut, Bettwäsche, Praktikantenaustausch?

9. Lehrerseminar und Übungsschulein BearbeitungProjekte: Schüleraustausch mit dem Lehrerseminar Rorschach im November 2001,Schulmaterial

3 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Unsere Partner

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Weitere wichtige Kontakte

1. Kalman Fischer, unser Übersetzer und GewährsmannCara Dusana 27T: 37 157deutsch

2. Csaba und Ruth MeröschweizerdeutschMilena Rakica 20T/F: 22 311Csaba wohnt während der Woche in Baja (Ungarn)E: [email protected] wohnt z.Zeit. in 8032 ZürichFreie Str. 190T: 01/380 23 13G: 01/221 25 [email protected]

3. Slavica und Fabijan PeriskicKursleiterin in der Organisation «Community Revitalization through Democratic Action»Juristischer Mitarbeiter von Norwegian Refugee Council, Novi SadS. Radosavljevica 24T: 23 909E: [email protected]

4. Goran Bulajic, ehem. Stadtpräsident, jetzt Bezirksstatthalter und PostdirektorT: 22 696F: 25 325Mobil: 063 504 845englisch

5. Bora Nenic, Schauspieler (S.O.S.-Theatergruppe)englisch

4 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Unsere Partner

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6. Behindertenschule «Vuk Karadcic»

7. Pfr. Antal und Maria Kiss (und Tochter Tünde, Übersetzerin)T: 024 741 143)Omladinska 724340 Stara MoravicaT: 024 741 822deutsch

8. Familie Kaich in Miletic

5 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Unsere Partner

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Bisherige Delegationsreisen

16. – 24.4.1993 (Dokumentation)

Teilnehmer: Arne Engeli, Vreni Schawalder, Walter Schawalder, Christa Kamm-Sager,Hansjörg Wahrenberger, Peter Osterwalder, Hannes Reiser

14. – 20.10. 1995 (Dokumentation)

Teilnehmer: Vreni Schawalder, Arne Engeli, Walter Schawalder, Christian Spirig,Katharina Schnöring, Stephan Brügel, Jürg Noser, Hansjörg Angst, Christoph Zweili

24. – 29.2. 1996

Teilnehmer: Christian Spirig, Ruedi Rinderknecht, Claudia Berger, Christoph Zweili

5. – 12.12. 1997 (Dokumentation)

Teilnehmer: Christian Spirig, Ruedi Rinderknecht, Magdalena Wüst, Claudia Berger,Christoph Zweili

5. – 12.8. 2001 (Dokumentation)

Teilnehmer: Ruedi Rinderknecht, Claudia Stutz, Pia Zweili, Christoph Zweili

Individuelle Reisen nach Sombor: Arne Engeli, Dorothee Lemke, Ruedi Rinderknecht,Harald Greve, Theresa Engeli, Christian Spirig, Magdalena Wüst, Katharina Schnöring,Michaela Müller, Michael Boller, Michael Vetsch

6 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Bisherige Delegationsreisen

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Inhaltsverzeichnis

Unsere Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12-15

Bisherige Delegationsreisen . . . . . . . . . . . . . . 12-16

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12-17

Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12-18

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19-11

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12-14

Unsere Ansprechpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . 15-16

Im Waisenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17-19

Bei Familie Kaich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20-21

Im Jugendcamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22-24

Bei der Stadtregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25-29

Saatgut für Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12-30

Buspartu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31-35

Im Behindertenheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36-38

Im Roten Kreuz Sombor . . . . . . . . . . . . . . . . . 39-41

Auf Safari . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12-42

Rosmarie Mik in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . 43-44

«How to explore myself and our future» . . . . 45-48

7 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Inhaltsverzeichnis

Page 8: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Unser Programm

- Abfahrt in Romanshorn, Nachtzug Feldkirch-Graz,öster-reichisch-ungarische Grenze in Heiligenkreuz, Shékesfehervár,Baja, ungarisch-jugoslawische Grenze in Backi Breg, Sombor,Zimmerbezug im Jaghaus Strbac der Regierung in der Nähedes Donaucamps in Backi Monostor (rund 1100 Kilometer,davon 600 im Nachtzug)

- Besuch im Waisenhaus bei Mirjana Majstorovic, die nachnur einem Jahr durch Vesna Vorkapic abgelöst wird.

- Besuch bei Vize-Bürgermeisterin Márta Ódry und dem23-jährigen Vize-Bürgermeister Daniel Koril

- Besuch von zwei Flüchtlingsfamilien, die von uns Saatgutbezogen haben

- Besuch in Feketic bei Michael und Franziska

- Gemütlicher Abend bei Kalman Fischer und Familie

- Besuch im Behindertenheim «Otthon» in Stara Moravica

- Besuch bei Familie Kaich (Kajc) in Miletic

- Besuch auf dem Markt, einige Stunden mit Gordana Savin,Mittagessen in Apatin

- Drei Stunden Safari entlang dem Donaufer im staatlichenJagdbetrieb Srbija-sume

- Rückfahrt Sombor, jugoslawisch-ungarische Grenze in BackiBreg, Mohacs, Pecs, Kaposvar, Balatonlelle (am Plattensee),Zalaegerszeg, Körmend, ungarisch-österreichische Grenzein Heiligenkreuz, Fürstenfeld, Nachtzug Graz–Feldkirch,Schweiz (rund 1100 Kilometer, davon 600 im Nachtzug)

8 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Sonntag, 5. undMontag, 6. August

Dienstag, 7. August

Mittwoch, 8. August

Donnerstag, 9. August

Freitag, 10. August

Samstag, 11. undSonntag, 12. August

Programm

Page 9: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Ich bin zum ersten Mal nach Serbien gereist und wollte michauf irgendeine Weise auf dieses Land und die Menschen ein-stellen. Mit einem Reisewörterbuch im Gepäck, offenenOhren und viel gutem Willen machte ich mich auf und ver-suchte, ein Stück dieser Balkansprache zu entdecken. Meineganz persönlichen Reisenotizen verbinde ich deshalb mitWörtern und Ausdrücken, die mir in dieser Woche begegnetsind.

Das ist eines der ersten Wörter, die mir auf serbischem Bodenbegegnen. Ist das der Name der schönen Zöllnerin, von derunsere männlichen Begleiter seit Graz geschwärmt haben?Nein, es ist ganz einfach das serbische Wort für Zoll. Was ichnun nach der Rückreise weiss: dass das Wort in dem Masseeinfach ist, wie die Zollformalitäten schwierig, verzwickt,andauernd und nicht einschätzbar sind.

So begrüsste uns die Crew vom Rotkreuz-Jugend-Camp inBacki Monostor jeden Morgen freundlich, nahm sich Zeit mituns «Kaffu» zu trinken und Gedanken auszutauschen. DieLagerleute hatten schon das Frühturnen hinter sich undbegannen meistens mit ihren Technik-Kursen, wenn wir um 9Uhr kamen.

Das wollte ich schnell lernen, weil es für mich, zum erstenMal Gast in Serbien, die einzige Möglichkeit war, mit Interes-se und gutem Willen auf die grosse, selbstverständliche Gast-freundschaft Echo zu geben. Hvala lepo dafür, dass Gordana,Bijliana, Angy, Kalman, Jutka und Zsuzsi, gospodi, gospodaund Nicola Kaich, Nadg Andor und Gyöngyi Budaj ein Stückihres Alltags mit mir, uns geteilt haben und viel Verständnisfür viele Fragen hatten, wo doch die Realität für sich spricht.

Das wünschten wir uns jeden abend im Gang zum Zimmerim Jagdhotel. Hinter uns viele Eindrücke vom Tag, Gesprächeund Plänen für morgen, vor uns die Aussicht auf ein wenigbequemes Badwannenbett. Nachdem wir den Glanzprospektstudiert hatten, der für das Jagdgebiet an der Donau wirbt,dämmerte uns, dass in dieser Residenz eigentlich nur guteNächte hat, wer 150 DM pro Tag investieren kann.

9 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Dobar dan, Jugoslavija!

Einleitung

Carina

Dobro jutro

Hvala lepo

Laku noc

Page 10: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Übrigens: auf laku noc hören weder serbische Hunde nochWildschweine…

Ob Wein aus dem Keller des Jagdhotels, Verspätung bei einerAbmachung, ein schlechtes Gewissen für eine dicke Einla-dung, Kartoffelkäfer im Gemüse, der ausstehende Lohn, derbünzlig-schweizerische Wunsch nach Butter und Gonfi zumFrühstück, eine Fahrt mehr zu machen, mit Mark zu zahlen:die serbische Art das Leben zu meistern, heisst Nema proble-ma…

Wir sind gekommen, weil wir wirklich spüren möchten, wiees den Menschen in und um Sombor geht. Sie erzählen uns,was sie erleben, wie sie dieses und jenes angepackt undgelöst haben, wer ihnen dabei geholfen hat, wos schwierigwurde, wie es der Reihe nach abgelaufen ist, was als Näch-stes zu tun ist, aber wie es ihnen dabei wirklich geht, dashabe ich nicht so recht herausgefunden. Überlebt der amBesten, der seine Rolle am Besten kennt und sie gut spielt? Inder Partei? im Beruf? auf dem Markt? im Büro von Frau Vize-Stadtpräsidentin?

Bitteschön! Das würden alle 20 Helferinnen und Helfer in derSuppenküche auch weiterhin gerne zur Antwort geben,wenn sie den 1400 Bezügern eine Mahlzeit überreichen. UndGordana würde gerne mit Da, Da (ja) antworten, wenn Leutevon der Strasse sie fragen, ob die Suppenküche weiterhingeöffnet hat. Aber die Situation sieht ganz nach Endstationaus … Tuszan, tuszan (traurig )

Weiss jemand, wie man den gewieften, taffen Journalistenund Somborkenner Zweili in Serbien verblüffen kann: manmuss mit ihm verheiratet sein, das erste Mal in seiner Wahl-heimat auftauchen und am zweiten Tag einen ganzen Satzauf serbisch sprechen: «Die Katze schleckt Milch».

10 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Einleitung

Nema problema

Kako ste?

Molim

Maze miam mleka

Page 11: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Auf Wiedersehen! Diesen Satz nehme ich als persönlichenWunsch mit nach Hause. Und hoffe damit auch, dass Kalmangeistig rege bleibt, dass Gordana sich Sorge trägt, dass dieFlüchtlingsfrau ihren grünen Daumen weiter pflegen kann,dass in Stara Moravica im Winter keine Behinderten zu erfrie-ren brauchen, dass Srjan seine Ausbildung abschliessen kannund dass die Schakale trotz Stankos Flinte eine Chancehaben.

Meinen Reisegefährten Claudia, Ruedi und Stöff gewidmetPia Zweili

11 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Einleitung

Do videnja!

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Zusammenfassung

Es wird noch lange dauern, bis das hohe serbische Reform-tempo nach 13 Jahren Milosevic-Regime auch in Sombor inder Vojvodina spürbar werden wird. Zuviele Kräfte habenwährend der Kriegsjahre an den Reserven der einstigen Korn-kammer Jugoslawiens genagt. Die Lebenskosten sind hoch,die Strompreise seit Januar 2001 um das Dreifache gestiegen,die Medikamente unerschwinglich, dafür das Benzin billigerals in Ungarn. Der Durchschnittsverdienst dürfte bei rund120 DM liegen; 600 DM monatlich braucht eine Familie fürihren Monatsunterhalt. Die Renten sind nicht gesichert. DieBevölkerung ist verunsichert, auch wenn sie in der Traditionder Balkanländer auf jedes Problem mit «nema problema»reagiert.

Der Dayton-Effektvon 1995 ist einzweites Mal zu beo-bachten: Die grossenHilfswerke ziehensich zurück. Die Fol-gen: Die Suppen-küche in Sombor mitheute 1400 Es-sens-bezügern mussschliessen, da dieStadt mit einem Bud-get von 240 Mio.Dinar (8 Mio. DM) nur gerade 70 DM pro Einwohner und Jahraufwenden kann. Das World Food Programm, an der Suppen-küche ebenfalls beteiligt, zieht sich zurück, nachdem dasjugoslawische Rote Kreuz wegen der Veruntreuung von Spen-denlieferungen unter massiven öffentlichen Beschuss geriet.Die Situation rund um die Suppenküche ist vergleichbar mitdem Besuch im Dezember 1997. Auch die Humanitäre Apo-theke des Roten Kreuzes muss mit der Gratisabgabe der teu-ren Medikamente an Bedürftige aufhören, nachdem die Liefe-rungen ausbleiben. Im Behindertenheim Stara Moravica liefertdas UNHCR kein lebenswichtiges Heizöl mehr – harte Winterdrohen.

Der Schein trügt: Das Leben auf dem Markt und den Stras-sen der serbischen Partnerstadt des Gemeinden Gemeinsam-

12 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Zusammenfassung

Fremdenfeindliche Judenparole

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Regionalkomitées Bodensee-Rhein pulsiert, Wohnblöcke wer-den erstellt und die Werftarbeiter in der Nähe des Jugend-camps in Backi Monostor bauen an einem Donau-Schlepp-kahn. Dem gegenüber stehen über 10 000 gemeldete Arbeits-lose und eine grosse Dunkelziffer. In der Beschlägefabrik BaneSekulic, die in ihren Glanzzeiten 3000 Arbeiter beschäftigte,finden heute gerade noch 800 Arbeit und Verdienst. BeiHrane, der fleischverarbeitenden Fabrik, steht es noch schlim-mer: 1200 Angestellte waren es einst, heute sind es noch 80.

Nicht nur im Umfeld des NGO-Zentrums (non-govern-mental organizations, Zentrum für Nichtregierungs-Organisa-tionen) gibt es Okkupierungsversuche durch örtliche Politiker,die sich mit einzelnen Programmen profilieren wollen. MirjanaMajstorovic hat ein Jahr lang das Waisenhaus geleitet. MitteAugust wurde die parteilose ausgebildete Sozialarbeiterindurch eine Frau abgelöst, die keine berufliche Erfahrung imUmgang mit Kindern hat. Das gleiche Los blühte dem partei-losen Milan Zobenica, dem Präsidenten des Roten Kreuzes inSombor, bisher Leiter aller drei Krankenhaus-Abteilungen; erist heute nur noch Chef der neuropsychiatrischen Abteilung.Abgelöst wurde nach 20 Jahren verdienstvoller Arbeit auch derLeiter des Somborer Stadttheaters. Die Nachfolgerin verfügtüber keinerlei Erfahrung im kulturellen Bereich. In Stara Mora-vica gibt es keine Heilpädagogin und keine Psychologin mehr.«Jede Partei will wichtige Kaderstellen mit ihren Leutenbestücken», lautet die Begründung. «Das fachliche Know-howaber fehlt.»

In den letzten zehn Jahren ist die Einwohnerzahl in Somborum einen Viertel von 100 000 auf rund 125 000 Einwohnergestiegen. Das bedeutet, dass jedes vierte Gesicht in der «Stadtdes Friedens und des gegenseitigen Respekts» inzwischenfremd ist. Statistisch werden ein Grossteil der neuen Bewohnerinzwischen als Somborer geführt, Klarheit über die Zahl derFlüchtlinge gibt es nicht. Die Dunkelziffer ist gross, die für die-ses Jahr angekündigte Volkszählung wurde auf das nächsteJahr verschoben. «Es wäre besser, wenn sich alle als Vojvodi-ner fühlen würden», wurde uns unter Verweis auf die ortho-doxen Kirchen erklärt, die in der Vojvodina einen eigenen Bau-stil aufweisen. Die Vojvodina müsse etwas von ihrer Autono-mie zurückbekommen, sonst habe sie keine Zukunft, wurdeverschiedentlich gefordert.

13 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Zusammenfassung

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Allgemeine Lage in Serbien

(Aus Mitteilungsblatt von Gemeinden Gemeinsam SchweizGGS vom September 2001)

Eine grosse Zahl von Privatpersonen und Unternehmenmachten während der Milosevic-Ära enorme Profite, indemsie dank ihrer Nähe zum Machtzentrum illegale oder halble-gale Finanztransaktionen durchführen konnten. Eine Kom-mission hat nun in mehrmonatiger Arbeit die Summe dieserExtraprofite ermittelt: 6,5 Mrd Franken. Die Profiteure müs-sen nun auf diesem Betrag eine Extrasteuer zahlen. Auf demPapier winkt dem Staat eine schöne Summe Geld, die er drin-gend benötigt. Das Problem liegt nur darin, wie er diesesGeld eintreiben will. Etliche der Unternehmen, die angeblichprofitiert haben, sind pleite. Und bei Privatpersonen, die die-se Steuer nicht zahlen wollen, können zwar die Verwandtenzur Kasse gebeten werden, doch muss ihnen zuerst bewiesenwerden, dass sie ebenfalls profitiert haben.

Die Region Vojvodina war ein wichtiger Pfeiler der Oppo-sition gegen Milosevic. Doch nun könnte diese Region erneutin Opposition gegen die Regierung in Belgrad gehen. Diemeisten Parteien beklagen sich nämlich, dass heutzutage dieZentralisierung grösser sei als unter Milosevic. Sie verlangeneine erweiterte Autonomie und drohen Belgrad unverblümt:«Falls ihr uns keine Autonomie gebt, werdet ihr uns eineRepublik geben.»

Politiker und Bevölkerung der Vojvodina befürchten insbe-sondere, dass ihre Stimme innerhalb Serbiens zu wenigGewicht hat, dass sie im Parlament ständig überstimmt wür-den und dass ein zu kleiner Anteil aus dem Privatisierungser-lös und den Steuern in der Vojvodina bleibt.

14 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Zusammenfassung

Page 15: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Unsere Ansprechpartner

Waisenhaus, Sombor

Mirjana Majstorovic,

Leiterin bis Mitte August 2001

Landwirt

Ivan Kaich, Miletic

Rotes Kreuz, Sombor

Gordana Savin, Leiterin

Milan Zobenica, Präsident

Stadtparlament

Vizepräsidentin Márta Ódry

Vizepräsident Daniel Koril

Rhythmusprojekt Buspartu, Feketic

Michael Fischer

Franziska Meyer

15 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Ansprechpartner

Page 16: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Behindertenheim, Stara Moravica

Direktorin Gyöngyi Budaj

Krankenpfleger Nadg Torma Andor

Jagdaufseher

Stanko Kosovac

Übersetzer

Kalman Fischer

Alt Gymnasiallehrer

16 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Ansprechpartner

Page 17: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Im Waisenhaus

Arne Engelis Meinung nach seiner Somborreise im Mai 2001lässt sich nur bestätigen: Auch wir haben einen ausgezeichne-ten Eindruck von Mirjana Majstorovic, seit 5.Juli 2000 Nach-folgerin von Sophia Olbina. Mirjana Majstorovic war 28 Jahrein der Nachbargemeinde Apatin als Sozialarbeiterin tätig undhat ein Jahr lang frischen Wind ins Waisenhaus gebracht:Unter anderem suchte sie die Zusammenarbeit mit der benach-barten Behindertenschule Vuk Karadzic, in der ohnehin rund50 Prozent der Waisenkinder zur Schule gehen, aber auch zuanderen Institutionen.

Zu unserem Leidwesen erfahren wir bei unserem Besuch,dass Mirjana Majstorovic nicht wie erhofft am 1. September2001 von Belgrad definitiv für das Amt der Waisenhaus-Direk-torin gewählt wird, weil sie keiner Partei angehört. Sie standdem Waisenhaus nur bis zum 15. August vor. Nachfolgerinwird Vesna Vorkapic aus Sombor. Die neue Direktorin war fürdie Betreuung von Kindern in einer Fabrik in Paracin, Südser-bien, zuständig und zuletzt zwei Jahre arbeitslos. Zuständig fürdie Ernennung ist das Ministerium für Sozialarbeit, da das Wai-senhaus der Federal Republic of Yugoslavia (FRY) gehört. DieBehindertenschule Vuk Karadzic hingegen gehört der Stadt.

Mirjana Majstorovic kehrt ins Sozialzentrum in Apatinzurück, wo man mit offenen Händen auf sie wartet. Ohne Par-teizugehörigkeit sei es schwer, eine führende Stellung in derGesellschaft zu erhalten, sagt sie. Diese Aussage hören wirnoch oft im Verlauf der Reise. «Jede Partei will ihre eigenenLeute einsetzen, ob sie qualifiziert sind oder nicht», erzähltMirjana Majstorovic. Später hören wir, dass der Direktor desSomborer Theaters, der 20 Jahre kulturelle Anlässe in der Stadtorganisiert hat, ebenfalls abgelöst wurde. «Das ist unsere Artvon Demokratie», lautet die kurze Begründung.

Mirjana hätte noch viele Pläne gehabt. Unter anderem woll-te sie die Erzieher besser ausbilden, «weil es an vielem mangeltund die Ausbildung ungenügend ist», und sich mit anderenInstitutionen vernetzen. Sie habe schon früher (noch in Apa-tin) mit der Behindertenschule Vuk Karadzic und einer in Bajazusammengearbeitet, die das Waisenhaus im Juli 2001 besuchthat.

17 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Waisenhaus

Page 18: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Im Waisenhaus fehlen auch Räume für Workshops undWerkstätten. Das Waisenhaus sei ursprünglich nicht für eineInstitution wie das Waisenhaus erbaut worden.

Im Waisenhaus sind Kinder ohne Eltern, oft verwahrlost undbehindert, aus ganz verschiedenen Regionen aus dem ehema-ligen Jugoslawien untergebracht. Bei unserem Besuch sind es52 im Alter von 7 bis 18 Jahren. Schon im Dezember 1997 wardas Waisenhaus mit 83 Kindern an der Kapazitätsgrenze. Heu-te sind 86 Kinder hier untergebracht. Kinder, die aus dem Heimherauswachsen, kehren in ihre angestammten Regionen zu-rück und werden dort weiter betreut.

Laut Reglement dürften dem Waisenhaus nur 30 Prozentbehinderte Kinder zugewiesen werden. «In Tat und Wahrheitsind es aber über 50 Prozent, was die Arbeit der Erziehererschwert», erklärt Mirjana Majstorovic. Im Waisenhaus gibtes sieben Gruppen: Auf zwölf Kinder kommt ein Erzieher. Dazukommen zwei Nachtablösungen.

Michael Fischer, Heilpädagoge und Rhythmiklehrer, undFranziska Meyer, Tanzpädagogin und Rhythmiklehrerin, die –vom HEKS und Gemeinden Gemeinsam-RegionalkomitéeBodensee/Rhein eingeladen – im EHO-Zentrum in Feketic(Ökumenisches Hilfswerk) eine Woche lang mit Jugendlichenrhytmisch gearbeitet haben, kamen am 13. August 2001 mitihrem Buspartu für zehn Tage ins Waisenhaus.

18 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Waisenhaus

Page 19: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Ergänzungen von Magdalena Wüst und Michaela Müller

Es ist etwa der zweite Tag, nachdem Vesna Vorkapic ihre neueStelle als Direktorin des Waisenhauses angetreten hat, als wir– Magdalena, Michaela und Csaba Merö – ihr bereits einenBesuch abstatten. Sie ist uns sympathisch und macht einenoffenen Eindruck. Sie hat viele, zum Teil sehr ambitionierteVorhaben fürs Waisenhaus. Sie möchte:

- eine Turnhalle bauen für den Winter (auch zur Vermietung,damit das Waisenhaus zu Geld kommt für spezielle Ausgaben,die über das Nötigste hinausgehen). Eventuell könnten wir ausder Schweiz mit Sportmaterial etwas dazu beitragen?

- Freiwillige Arbeit der Waisenkinder: Sie sollen hilfsbedürftigealte Leute betreuen (Einkaufen, Kochen, …). Die Kinder sollendadurch lernen, ihre eigene Arbeit und diejenige der anderenwertzuschätzen (emotionaler Lohn). Diese Einsätze sollen mitPsychologen gut vorbereitet werden.

- Das Waisenhaus soll in der Öffentlichkeit stärker präsent sein:Diese soll wahrnehmen, was im Heim passiert. Aufführungen,Konzerte, Sport, … (Vesna Vorkapic oberstes Ziel ist es, dieKinder als vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft einzu-führen.)

- langfristig: Ausflüge in die Berge, ans Meer, damit die Kinderüber Sombor hinaussehen können (Problem: Finanzierung,eventuell mit dem Erlös aus der Vermietung der Turnhalle)

- bessere Ernährung (Gemüse und Früchte)

- Die neue Direktorin betont, dass sie an einer Zusammenar-beit mit uns sehr interessiert ist und dass ihre Türe für unsimmer offen ist. Wir machen mit ihr ab, dass wir im Sommerkommen werden (ins Camp können wir allerdings nicht mehr,weil Gordana das nicht will). Für diesen Winter halten wir esnicht für wahrscheinlich, dass eine Gruppe zusammenkommenkönnte. Für nächsten Sommer planen wir, eine Gruppe zusam-menzustellen, welche sich ( mit unserer Hilfe) möglichst selberorganisiert. Wir könnten dann mit zwei Gruppen gleichzeitignach Sombor reisen: eine Gruppe geht ins Camp und eine insWaisenhaus – Magdalena könnte eine Zwischenfunktion ein-nehmen; Michaela ginge ins Camp; wer geht ins Waisen-haus?).

19 Sombor im Sommer 20014.8. bis 12.8.2001

Waisenhaus

Page 20: Besuch in  · PDF fileWaisenhaus «Miroslav Antic

Bei Familie Kaich in Miletic

Die ungarnstämmige Familie Kajc (sie selber schreibt sichKaich, darf den Namen unter dem kyrillischen Diktat aber nichtführen) ist 300 Jahre alt, wie ein Freiheitsbrief von Leopold,«König von Deutschland, Österreich, Ungarn, Tschechoslowa-kei, Serbien und Dalmatien» beweist.

Die Familie war selbständig, bis Tito 1945/46 die Bauernenteignete und sie Staatsangestellte wurden. Unter Zwang hatsie 35 Hektaren (rund 100 Joch) Land in eine der grossen staat-lichen Kooperativen eingebracht. 1954 hat die Familie 10 Hek-taren «eigenes Land» zurückkaufen können – ein Glücksfall,denn Versprechen, konfisziertes Land zurückzugeben, wurdenselten eingelöst. Inzwischen hat der Staat weiteres Landzurückgegeben. Im Dezember 1997 hat die Betriebsgrössenoch 45 Hektaren betragen, unterdessen bewirtschaftet IvanKaich 60 Hektaren: 80 Prozent davon sind Mais, Weizen undKorn. 1998 wurde ein grosses Fest gefeiert: 300 Jahre FamilieKaich und 100 Jahre auf dem Bauernhof in Miletic. Wir seheneine Karte von 1888, als der Hof der Familie Kaich noch nichtstand.

Ivan Kaich, den wir mit seiner Frau und dem behindertenSohn Nicolas besuchen, ist ein findiger Kopf. Schon 1997bemühte er sich, zusammen mit andern Landwirten, Zwi-schenverdiener auszuschalten. Er arbeitete mit einem Privat-metzger zusammen, dem er direkt Mastschweine und -bullenliefert. Auf dieser Schiene will er weiterfahren: Mit dem deut-schen Futtermittel-Hersteller Sano soll nun die Zusammenar-beit gesucht werden.

Für eine Tonne Weizen erhält Ivan Kaich 250 DM. «Das istder beste Preis in den letzten zwölf bis 15 Jahren», sagt er. Aberganz zufrieden ist er damit nicht. Zum Vergleich: In derSchweiz werden für eine Tonne Erstklass-Weizen 600 DMbezahlt (hohe Produktionskosten); im Herbst werden 70 Pro-zent des Verkaufspreises ausbezahlt, der Rest im Juni 2002,wenn sich der Posten verkaufen lässt.

Der Landwirtschaftsbetrieb der Familie Kaich ist nach wievor ein Musterbetrieb, wie der Rundgang zeigt. Die Stallhal-tung der Tiere entspricht in grossen Teilen dem in der Schweiz.Ivan baut derzeit ein eigenes Schlachthaus mit Kühlhaus.

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Familie Kaich

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Ivan korrigiert den Eindruck, dass in der Vojvodina mehrMais als früher angebaut wird (Monokultur). Es gebe wenigerSonnenblumen, was er mit Unkraut-Problemen (Hirse undAmarant) erklärt. Der Markt für Mastsauen und -rinder ist gut.

«Die Vojvodina muss etwas von ihrer Autonomie zurückbe-kommen, sonst hat sie keine Zukunft», sagt er. Auch andereteilen diese Ansicht. Die Vojvodina, die bis zum Ende des erstenWeltkrieges zu Ungarn gehört hatte, wurde mit dem Vertragvon Trianon, Teil des Versailler Vertrages von 1920, vonUngarn abgetrennt und dem Königreich Serbien zugeschla-gen.

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Im Jugendcamp an der Donau

Vom 5. bis 16.August fand in Backi Monostor das zweite Jugend-camp in diesem Sommer statt, organisiert vom Roten Kreuz Som-bor. Für uns sollte das Sommercamp anders werden als in den ver-gangenen Jahren. Wir sind nur vier Personen aus der Schweiz(Magdalena Wüst, Michaela Müller, Michael Boller und MichaelVetsch), statt wie geplant sieben bis zehn. Im Camp erwarten unsnicht die Waisenhauskinder, sondern Jugendliche vom RotenKreuz und anderen Organisationen aus dem Gesundheits- undÖkologiebereich. Die Jugendlichen sind zwischen 16 und 23 Jah-re alt und kommen vorwiegend aus der Vojvodina, einige sind ausBelgrad, Nis, Pancevo, Kragujevac.

Wir sind gespannt, ob wir den Zugang zu den Jugendlichen fin-den. Dieses Camp ist für uns die Gelegenheit, herauszufinden, obes möglich ist, im nächsten Jahr in einem grösseren Rahmen, miteiner zusätzlichen Gruppe von Jugendlichen aus der Schweiz dar-an teilzunehmen. So war unsere Funktion im Camp etwas ambi-valent. Wir konnten an allen Programmen teilnehmen und unszwischen Leitern und Jugendlichen gleichgestellt bewegen.

Das Programm ist vielseitig. Der Tag beginnt um 7 Uhr. NachMorgengymnastik und Frühstück treffen sich die Jugendlichen(und wir auch) in den Sektionen. Dort erhalten sie bis zum Mittag-essen eine Ausbildung in Themenbereichen wie Aids, Drogen,Amateurfunk, Ökologie und Aikido. Im Kurs über Aids werden 15Jugendliche zu zukünftigen Leitern des Programms gegen Aidsausgebildet. Der Kurs wird von vier Lehrern aus Belgrad nach demProgramm des «Jazas» (Jugoslovenska asocijacija za borbu protivside) durchgeführt und mit einer Prüfung abgeschlossen. Der Kursüber Drogen wird von Frau Dr. Zobenica geleitet. Den Jugendli-chen werden die Gefahren und Auswirkungen des Drogenkon-sums nahegebracht. In Rollenspielen lernen sie, Symptome derSucht früh zu erkennen und mit potenziell Gefährdeten umzuge-hen.

Für das Programm in Ökologie sind zwei Personen der Gesell-schaft für Ökountersuchungen (GID) aus Belgrad zuständig. Die-se Gesellschaft machte vier Jahre lang Untersuchungen im Rietvon Backi Monostor. Sie bringen den Jugendlichen bei, mit Kom-pass und Karte umzugehen, machen Terrain-Rundgänge, eineRegatta und eine Safari durchs Jagdgebiet von «srbija sume».

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Jugendcamp

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Der Meister Maric Ljubo aus Sombor, der den schwarzen Gür-tel besitzt, leitet den Aikidokurs. Zusammen mit drei Clubmitglie-dern führt er die TeilnehmerInnen in die Technik dieser Kampf-sportart ein. Im gleichen Kurs werden auch Grundkenntnisse desTai Chi Chuan vermittelt und Meditationsübungen durchgeführt.

Die Amateurfunkgruppe spielte während des Krieges einewichtige Rolle. Aus diesem Grunde wurde diese Sektion ins Campaufgenommen. Anhand von Spielen und OL wurden den Teil-nehmern die Grundlagen der Funktechnik vermittelt.

Die Zeit zwischen Mittag- und Abendessen steht den Teilneh-merInnen zur freien Verfügung. Sie können baden, schachspielen,malen und an verschiedenen Sportturnieren teilnehmen. Ein Teildieses Nachmittagsprogrammes wird von uns organisiert. DieAbende verlaufen alle recht ähnlich: Es ist jeweils immer eine ande-re Gruppe fürs Programm zuständig. Meist machen wir Spiele, sit-zen am Feuer, singen. Wir finden, dass man die Abende und dieNachmittage etwas vielseitiger gestalten könnte.

Das Rote Kreuz hat vor ein paar Jahren mit dem Bau einesBadeplatzes begonnen, der jetzt fertiggestellt ist. Es gibt eine Gras-fläche, wo man spielen kann und einen hölzernen Steg, der denEinstieg ins Wasser erleichtern soll. Der Badeplatz ist unsererAnsicht nach immer noch nicht sehr sicher. Der Steg ist hochgebaut, es gibt nur zwei Leitern, wo man aus dem Wasser kletternkann. Viele Kinder springen vom Steg aus ins trübe Wasser, eineÜbersicht ist schwer zu haben. Die Jugendlichen vom Camp dür-fen nicht alleine baden gehen. Es ist immer ein ausgebildeter Ret-tungsschwimmer dabei, der aufpasst.

Den Zugang zu den Jugendlichen haben wir recht gut gefun-den. Es war auf beiden Seiten viel Neugierde vorhanden. Zum Bei-spiel wurden wir gefragt: «Stimmt es, dass Ihr in der Schweizdenkt, alle Serben seien Monster?». – Und wir stellen fest: «Ihrhabt viel mehr Kontakt untereinander.»

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Jugendcamp

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Im Gespräch mit Gordana Savin im Anschluss ans Camp habenwir besprochen, dass wir im nächsten Sommer mit einer Gruppevon zehn Jugendlichen im Alter von ca. 20 Jahren am Rot-KreuzCamp teilnehmen möchten und auch eine eigene Sektion anbie-ten werden. Dies könnte zum Beispiel ein Deutschkurs oder einSprachaustausch sein. Die Ausarbeitung des Inhalts dieser Sek-tion, sowie die gesamte Vorbereitung und Finanzierung diesesnächsten Camps erfordert viel Arbeit und hat zum Teil schonbegonnen. Wir hoffen, dass durch ein gemeinsames Sommer-camp von Schweizer Jugendlichen mit Jugendlichen der Vojvodi-na ein Austausch entstehen wird, der für beide Seiten bereicherndist. Wir sind mit vielen Ideen und Vorhaben zurückgekehrt undhoffen, dass sich einige davon realisieren lassen werden.

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Jugendcamp

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Offizieller Besuch bei der Stadt

Jovan Vujicic, Präsident des Somborer Stadtparlaments, derGoran Bulajic abgelöst hat, hat keine Zeit für uns, da eine Pres-sekonferenz bevorsteht. Dafür sprechen die ungarischstämmi-ge Vizepräsidentin Márta Ódry, ehemalige Schülerin von Über-setzer Kalman Fischer, und der 23-jährige Vizepräsident Da-niel Koril über zwei Stunden mit uns. Die eigentliche Stadt-behörde aus sechs bis sieben Mitgliedern besitzt in Somborweniger Exekutivbefugnisse als das Parlament. Unsere beidenGesprächspartner wissen wenig von Gemeinden Gemeinsam,worauf wir die Organisation vorstellen. Wir kommen mit derfesten Absicht, eine Lanze für die Suppenküche zu brechen, dienun endgültig von der Schliessung bedroht ist.

Der Somborer Budgethaushalt sei knapp, betrage nur gera-de 240 Mio Dinar (8 Millionen DM), was 15 Prozent der Ein-nahmen entspreche, erklärt Márta Ódry. Der Rest fliesse nachBelgrad. «Uns stehen pro Einwohner und Jahr rund 70 DM zurVerfügung», sagt Márta Ódry. Ein Grossteil des Geldes seizweckgebunden, daher bleibe für Kultur, Sport und Schulenwenig übrig. Auch die Suppenküche mit derzeit 1400 Bezü-gern, davon 700 in Sombor und 700 in Backi Monostor (dar-unter 500 Roma), könne nicht unterstützt werden.

Am Verständnis für die Armen fehle es nicht, erklärt MártaÓdry. Die Stadtregierung wisse aufgrund der «offenen Schal-ter» jeden Mittwoch um die Not der Sozialbedürftigen, derPensionäre und die Probleme der Finanzierung der teurenMedikamente. «Wir haben eine Grenze definiert: Wer wenigerals 80 DM pro Monat hat, der wird unterstützt. Aber es sindzuviele und die meisten melden sich nicht einmal.» Wir rech-nen vor, dass mit der Suppenküche täglich 1400 Personen (1,1Prozent der Bevölkerung) verpflegt werden. Gordana Savin,die Leiterin des Roten Kreuzes, benötigt 5000 DM im Monat(60 000 im Jahr), um den Betrieb sicherzustellen und ihre Leu-te, sowie das Kochen und Verteilen, zu bezahlen. Nahrungs-mittel sind bis Ende Jahr vorhanden; vom IKRK sind Nah-rungsmittel für mindestens weitere drei Monate angekündigt,die bei sparsamem Gebrauch auch etwas länger reichen. Wirrechnen vor, dass sich mit 0,75 Prozent des Somborer Gemein-debudgets 1,1 Prozent der Bevölkerung ernähren lassen.

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Bei der Stadtregierung

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Obwohl Gordana Savin an der Jahresversammlung desRoten Kreuzes Sombor ausführlich über die Zahl der Bezügerreferiert hat und ein ausführlicher Jahresbericht abgegebenwurde, scheint nichts davon im Stadthaus bekannt zu sein.Weder, dass es 1400 Essensbezüger gibt, die nach einerSchliessung keine einzige warme Mahlzeit mehr pro Taghaben, noch dass es insgesamt vier Kochstellen gibt, und auchnicht, dass die Hälfte der Bezüger aus dem Roma-Dorf BackiMonostor stammt. Márta Ódry bleibt bei der Aussage, dass dieStadt Sombor nicht helfen könne. Auch Sozialwohnungengebe es keine, die Stadtregierung sei auf die UnterstützungPrivater angewiesen.

Über die Zahl der Flüchtlinge in der Gemeinde Sombor gebees keine Statistik, begegnet Márta Ódry Gerüchten, dass dieEinwohnerzahl von Sombor seit 1993 um netto 20 000 Perso-nen zugenommen hat. Die von uns gehörte Zahl von 120 000Einwohnern, davon 50 000 in der Stadt Sombor, wird abernicht korrigiert. Rund 14 Prozent davon sind laut früherenAngaben über 65 Jahre alt, haben eine ungenügende Rente,sind oft vereinsamt und ohne zwischenmenschlichen Kontakt.Schon im Dezember 1997 klagte eine Journalistin des Sombo-rer Pressezentrums über fehlende offizielle Angaben. Auchdamals wusste niemand, wieviele Einwohner in Sombor lebten.Rund 15 000 hatten den offiziellen Flüchtlingsstatus undschon die Journalistin berichtete von «über 120 000 Personenin der Gemeinde Sombor».

Die für 2001 vorgesehene Volkszählung hätte Klarheit brin-gen können, sei aber aufgrund der Situation im Kosovo und inSüdserbien auf 2002 verschoben worden. «Wir hoffen, dasseinige Flüchtlinge zurückkehren, wenn sich die Situation inKroatien verbessert», spielt Márta Ódry wohl auf die 1995nach Sombor geflüchteten Krajina-Serben an. Diese Einschät-zung erscheint uns weltfremd. Zum einen ist die Zahl derFlüchtlinge mit offiziellem Status bestens bekannt. Zum andernsind diese Flüchtlinge längst in Sombor sesshaft, haben eineUnterkunft bei Verwandten gefunden und gehen ihre Kinderhier zur Schule, während ihre Häuser in der Heimat längstbesetzt sind. Eine Rückkehr ist demnach mehr als unwahr-scheinlich.

Márta Ódry spricht offen über die Situation der ungarischenMinderheit, die sie im Parlament vertritt. 1991 (letzte Volks-

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zählung) seien rund 17 Prozent Ungarn registriert worden.«Wenn es heute noch zwölf Prozent sind, so ist das gut gerech-net», sagt sie. In einem fast rein ungarischen Dorf 25 bis 30Kilometer von Sombor entfernt, seien die jungen Leute weg-gezogen und nur die Alten geblieben. In der ungarischenGrundschule habe es noch rund fünf Kinder in der ersten Klas-se, während die serbische zehn Kinder und mehr zähle. Überdie Situation der Kroaten (1991 weniger als zehn Prozent)kann Márta Ódry keine aktuellen Angaben machen. Donau-schwaben gebe es nur noch eine Handvoll. Vor dem ZweitenWeltkrieg hatten Ungarn, Donauschwaben (Österreicher undandere Deutschsprechende), Kroaten und Serben je rund 25Prozent Bevölkerungsanteil ausgemacht. Die Vojvodina hatte1991 zwei Millionen Einwohner gezählt; der Anteil der Serbenlag bei 55 Prozent, jener der Ungarn bei 19 und der derjenigeder Kroaten bei fünf Prozent. Hinzu kamen mehr als zwei Dut-zend andere Volksgruppen.

«Die Flüchtlinge haben eine ganz andere Mentalität als dieangestammte Bevölkerung», sagt Márta Ódry. «Es wäre amBesten, wenn sie sich als Vojvodiner fühlen würden.» Als Bei-spiel wird der Bau von orthodoxen Kirchen angeführt, der inder Vojvodina anders sei als etwa in Zentral- oder Südserbien.

Die Angaben der Vizepräsidentin – Daniel Koril hält sichganz zurück – sind erstaunlich vage. Im Gegensatz dazu hatuns Goran Bulajic, alt Parlamentspräsident von Sombor, heutePostdirektor und Statthalter der Gemeinden Sombor, Apatin,Odzaci und Kula, im Dezember 1997 offen über seine Politikder Schuldensanierung, den Ausbau der Kanalisation sowieeine restriktive Budgetpolitik im Sinne der Oppositionsbünd-nisses Zajedno Auskunft gegeben. Damals waren auch Proble-me rund um den angestrebten Flächenausgleich, die Rückga-be der während der sozialistischen Regierung konfisziertenGrundstücke, angesprochen worden.

Ähnlich unbestimmt sind die Aussagen zur wirtschaftlichenLage: Eine Statistik fehle, über 10 000 Personen seien arbeits-los gemeldet – Aleksandra Platisa von der Ende 2000 gegrün-deten Freiwilligengruppe «Susret», eine Aktion des NGO-Cen-ters in Sombor, meldete im April 2001 10 152 registrierteArbeitslose. Viele melden sich laut Márta Ódry gar nicht. EineJournalistin sprach im Dezember 1997 von zehn Prozentarbeitslos Gemeldeten. Tatsächlich liege die Zahl aber erheb-

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lich höher, bei 35 bis 40 Prozent. Obwohl es auch Anzeichenfür eine anziehende Wirtschaft gibt und die Zeichen des Bom-bardements von 1999 fast verschwunden sind, Wohnblöckeerstellt werden, eine Werft in der Nähe des Donaucamps inBacki Monostor an einem riesigen Donau-Schleppkahn bautund dem Vernehmen nach auch die grösseren Werftbetriebe inBeszdan und Apatin Arbeit haben, funktionieren die grossenFabriken in Sombor nicht.

«Die Situation ist katastrophal», erklärt Márta Ódry. Bei derBeschläge fabrizierenden Bane Sekulic, die einst 3000 Arbeiterbeschäftigte, arbeiten heute noch rund 800, der Rest erhälteine minimale Rente. Beträgt sie 300 Dinar (10 DM), so ist dasviel, wird uns gesagt. Aus der Traum für Joint Ventures mit demWesten also, wie der frühere Bürgermeister Vasa Relic inErwartung der Wirtschaftshilfe Anfang der 90-er Jahre nochträumte. Die fleischverarbeitende Fabrik Hrane beschäftigte inihren Glanzzeiten 1200 Mitarbeiter – «heute arbeiten noch80», erklärt Márta Ódry. Einigermassen gut geht es der Ölfa-brik Sunce, der Akkumulatorenfabrik sowie der Milch- und Eisverarbeitenden Fabrik Somboled.

In der um rund 50 000 Einwohner grösseren Ortschaft Su-botica sei das Einkommen der Stadt viel grösser, sagt MártaÓdry. Hier würden Einnahmen von 700 Mio. Dinar verzeich-net, was dreimal mehr als in Sombor ist. Subotica habe mehrFabriken und die Wirtschaft funktioniere besser.

Das durchschnittliche Monatseinkommen in Somborbeträgt schätzungsweise 120 DM (600 DM monatlich sindzum Leben nötig). Das entspricht in etwa den Zahlen, wie wirsie bereits Ende Dezember 1997 hörten. Verschiedene Lebens-mittel sind aber teurer geworden, auch der Strom, der zwi-schen Januar und Juli dreimal aufgeschlagen hat. Krankenpfle-ger Nadg Torma Andor verdient in Stara Moravica 120 DM,dazu kommen Zuschläge für Nacht- und Sonntagsdienst vonweiteren 100 DM. Davon müsste er sich selbst, seine Frau, sei-ne 18-jährige Tochter und seinen 14-jährigen Sohn ernähren.Gordana Savin, die Leiterin des Roten Kreuzes, kann derzeitmit ihrem Verdienst gerade die Stromrechnung und diejenigefür die Medikamente für sich und für ihre Mutter bezahlen.Ohne die Unterstützung ihren zwei Schwestern und ihres Bru-ders in Deutschland könnte sie nicht leben. Andor arbeitetnebenher freiberuflich als Maurer. Ein Preisvergleich: Der Ein-

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tritt für das moderne Schwimmbad in Stara Moravica (von unszum erstenmal entdeckt) kostet für die Sommermonate 20 DMfür Kinder und 30 DM für Erwachsene. Andor hat zwei Billetefür seine Kinder gekauft, er selber vermag den Eintritt nicht.

600 Gramm Brot kosten im August 2001 20 Dinar (0.65DM). Das ist gleichviel, wie eine Stunde Internetbenutzung imNGO-Center im Somborer Rathaus kostet.

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Besuch bei zwei Flüchtlingsfamilien

Wir besuchen zwei Flüchtlingsfamilien, die eine wohnt ineinem Somborer Aussenquartier, die andere ist auf dem Wegzum Jugendcamp in Backi Monostor zu finden.

Die Familie Dragan, ein Vater mit seinen drei Töchtern, hatdie Mutter 1999 bei einem Verkehrsunfall verloren. Der Mannhält sich mit Maurerarbeiten über Wasser und von dem, wasdas Feld bringt – offenbar verkauft er einen Teil dessen, was ervon unserem Saatgut erntet. Der serbische Bosnier, der inGefangenschaft war und teilinvalide ist, hat in seiner Heimatein eigenes Haus gehabt. Stadt und Umgebung seien heutevon Moslems besetzt; er könne nicht zurück. Er ist mit derersten Flüchtlingswelle im Oktober 1995 nach Sombor gekom-men und seither arbeitslos. Die Familie und die betagte Mut-ter leben von der Unterstützung des Roten Kreuzes. Er hat rea-giert, wie die meisten Flüchtlinge: Er ging dorthin, wo es Ver-wandte oder Bekannte gibt. Das renovationsbedürftige Hausund das Feld gehören seiner Schwester.

Er hat ein Saatgut-Paket vom Roten Kreuz erhalten, wasihm ein wenig hilft. «Im letzten Jahr war alles gut», sagt er. «Indiesem Jahr haben Hagel und Gewitter grossen Schaden ange-richtet.» Die Familie Dragan bearbeitet rund ein Hektar Landund hat zehn Mastschweine und eine Muttersau sowie rundein Dutzend Hühner. Wir besichtigen das Feld, wo Kartoffelnund Tomaten reifen und finden jede Menge Kartoffelkäfer. DiePflanzen sind voll davon, die Familie, die gegen Lohn auchandere Felder bewirtschaftet, hat sie noch nicht einmalbemerkt und von einer biologischen Brennessel-Gülle noch nieetwas gehört.

Die zweite Familie wohnt an der Somborer Stadtgrenze, einEhepaar und eine Grossmutter, die sich nach einem Schlagan-fall gänzlich wieder erholt hat. Sie sind 1995 mit dem Traktorund 20 Personen von Dalmatien nach Sombor geflohen undwaren neun Tage ununterbrochen auf der Flucht. Hier reifenunter einem Folientunnel Tomaten und Peperoni. Auf einemFeld der Stadtgärtnerei über der Strasse dürfen sie Bohnenanbauen. Alle Pflanzen sind gesund, gross und völlig ohneSchädlinge.

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Saatgut für Flüchtlinge

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Besuch bei Michael Fischer und Franziska Meyer

Wir besuchen Michael Fischer und Franziska Meyer in Feketic,wo sie im EHO-Zentrum (Ökumenisches Hilfswerk) währenddrei Wochen mit Jugendlichen im Alter von 12 bis 16 Jahrenrhythmisch arbeiten. Das HEKS finanziert zwei Drittel des Pro-jekts Buspartu, das auch von unserem Regionalkomitée unter-stützt wird. Das EHO-Zentrum ist kirchlich organisiert: Jugend-liche, die sich in ihren Kirchgemeinden besonders organisieren,sind in das Lager eingeladen worden. Anschliessend an Feke-tic sind Michael und Franziska zwei Wochen im Waisenhaus inSombor und geben in «Otthon» in Stara Moravica ein Konzert.«Wir besuchen im Rahmen unserer Balkanreise vor allem Insti-tutionen, die vom HEKS betreut werden», erklärt Michael beiunserem Besuch, wo wir spontan bei einer Rhythmus-Impro-visation mitmachen. Den ganzen Tag zu Besuch ist auch derlutheranische Bischof, der uns noch die Hand schüttelt.

Abends sitzen wir gemütlich bei Kalman Fischer, seiner FrauJuttka und Tochter Susi, eine gute Gelegenheit jeweils für ver-tiefende Gespräche.

Bericht von Michael Fischer und Franziska Meyer

Wir kamen am 13. August an, nachdem wir zwei Wochenzuvor mit Gordona bereits einen Besuch im der Institutiongemacht hatten. An diesem Montag fuhren wir alleine insHeim, trafen aber auf Michaela, Mägi, Michael und Michael.Für uns war ein Zimmer vorbereitet, wir wurden also erwartet.Als wir versuchten, unsere Arbeit hier zu organisieren, stiessenwir auf Verständigungsprobleme. Wir beschlossen, am Diens-tag ein Treffen mit Kalmann Fischer, der Direktorin und demHauswart zu arrangieren. Um etwas mehr über unsere Arbeit,über uns zu erzählen. Und etwas mehr über diese Institutionzu erfahren.

Zum Glück war für die Kinder die Sprache kein so grosses Pro-blem. Wir konnten sie am Abend zusammenrufen und uns vor-stellen. Wir spielten etwas vor mit den Trommeln und anderenInstrumenten und erklärten danach, wie wir unseren Unter-richt organisieren wollten. Vom nächsten Tag an machten wirimmer am Morgen vier Gruppen, nach Alter aufgeteilt. DieZettel mit den genauen Zeiten hängten wir an der Türe auf.

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Buspartu

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Am Dienstag waren wir überrascht, wie gut es klappte. Ob-wohl es keine institutionalisierten Gesamttreffen gibt (wederbeim Essen noch bei einer zum Beispiel gemeinsamen Mor-geneinstimmung) erschienen bereits am ersten Tag viele Kin-der. Die Informationswege scheinen hier gut eingespielt.

1. Gruppe: 9.45 – 10.30 Uhr, Kinder von 10 – 12 Jahren2. Gruppe: 10.30 – 11.15 Uhr, Kinder von 13 – 15 Jahren3. Gruppe: 11.15 – 12.00 Uhr, Kinder von 16 – 20 Jahren4. Gruppe; 12.00 – 12.45 Uhr, Kinder von 6 – 9 Jahren

• Rhythmikspiele mit Klötzen, Reifen, Tüchern, Ballonen, demFallschirm.• Dirigieren mit Farben. Laut und leise, schnell und langsam• Trommeln: Chef-Spiel, Geräusche erfinden, Rhythmen wei-tergeben• Eigene Stücke entwickeln: Fatio mit Vorspiel der Trommeln,Gaxixi und Glocken. Bewegungsabfolge (kleiner Tanz)

Die Gruppen waren von der Zusammensetzung her sehr unter-schiedlich. Die Kinder sind von ihren motorischen, visuellenund sozialen Entwicklung und Fähigkeiten sehr heterogen.Trotzdem konnten wir mit ihnen immer gut arbeiten, sie warensehr begeistert bei den Spielen und Übungen dabei.Eine gute Entscheidung war es, mit den Kinder auf ein kleinesKonzert hin zu arbeiten. Diese Idee wurde von der neuenHeimleiterin begeistert aufgenommen. Sie setzte auf Donners-tagmorgen ein Konzert in einem Altersheim an und für denAbend lud sie Fernsehen, Presse und PolitikerInnen ein. Siewollte die Gelegenheit nutzen, sich und ihre Ideen einer brei-teren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Obwohl wir diesesEngagement durchaus begrüssten, sorgte das ganze Drum undDran für einige Missstimmung zwischen uns und der Heimlei-terin. Wir kamen uns ein wenig instrumentalisiert vor, zumalwir den alten Menschen und den BetreuerInnen als Studentinund Student aus der Schweiz vorgestellt wurden (immerhinhaben wir beide mehrere Berufs- und Studienabschlüsse undbrachten mehrere Jahre an Berufspraxis mit) und die ganzeOrganisation und Durchführung (Transport der Kinder insAlterheim, Einrichten der Räumlichkeiten) in letzter Minuteohne Absprache an uns delegiert wurde. In einem Gesprächkonnten wir diese Probleme klären

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Das Arbeiten in diesem Kinderheim war wie ein Eintauchen ineine andere Welt. Eine Welt mit ihren eigenen Regeln undStrukturen. Es war spannend und sehr intensiv, weil wir nebstdem Arbeiten auch im gleichen Gebäude wohnten, sozusagenTür an Tür mit den Kindern. Wir erhielten einen Einblick in dieAbläufe, in die Beziehungsnetze zwischen den Kindern.

Nach unseren «offiziellen» Rhythmikstunden spielten wir mitden Kindern draussen Volleyball, Fussball, Fangis… . Manch-mal haben wir Bändeli geknüpft oder gebastelt. Und oft habenwir geredet; so gut es eben ging. Mit der Zeit entwickelte sicheine gute Hände-Füsse-serbische-englisch-deutsche Sprache.Einmal sassen wir lange zusammen unter dem Sternenhimmelund sprachen über unsere Erde, über das Weltall und auch dar-über, ob es einen Gott gibt. Jelena fragte, ob ich auch schonZug gefahren sei oder ob man, wenn man im Flugzeug sitzt,die Sterne auch viel grösser sehen würde. Sie wissen wenigüber die weite Welt, und es war sehr spannend, mit ihnenunseren Kinderatlas anzusehen. In solchen Situationen zeigtensich die riesigen Unterschiede zwischen den Kindern hier undden Kindern mit denen wir in der Schweiz gearbeitet hatten.Ein riesiges und auch gefährliches Gefälle zwischen Kinderninnerhalb Europa. Wo bleibt da die Chancengleichheit?

Im Weiteren möchten wir über einige wenige Eindrückeberichten. Es sind dies Bereiche, die uns beim Arbeiten und imAlltag mit den Kindern aufgefallen sind.

Als erstes ist wichtig zu wissen ist, dass während unserer erstenWoche die Heimleitung gewechselt hat. Ein für uns eindrück-licher Vorgang. Die neue Direktorin trat die Leitung an einemMittwoch an. Es war ein «nahtloser» Übergang ohne Ab-schiedsanlass und ohne Antrittsrede. Auch für uns ging es imgleichen Arbeitsrhythmus weiter.

Entscheidend war auch, dass wir während der Sommerferien inSombor waren, der Tag der Kinder deshalb von wenigen Fix-punkten geprägt war: 8.00 Uhr Aufstehen, 9.00 Uhr Morgen-essen, 13.00 Uhr Mittagessen, 19.00 Uhr Nachtessen. Zwi-schendurch mussten kleine Arbeiten verrichtet werden: «Fet-zeln», Küchendienst, Boden wischen, Zimmer in Ordnung hal-ten. Während des Tages war meistens eine Erzieherin/ein

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Erzieher und der Hauswart und in der Nacht ein Betreueranwesend. Wir können nicht beurteilen, wie die Betreuungssi-tuation aussieht, wenn der Alltag von der Schule mitgeprägtist.

Die Kinder haben sich untereinander gut organisiert. Es herr-schen viele ungeschriebene Regeln, eine Hierarchie, die bessernicht angetastet werden sollte. Aber einige Kinder versuchenimmer wieder, sich einen besseren Platz zu erkämpfen, was oftin heftigen Streitereien und Schlägereien endete. Eine Folgedavon ist, dass jeder/jede ihren Stress, ihre Frustration oderihre Aggression weiter nach «unten» weiterleitet. Zuunterststand dann der kleine Heimhund, der oft am Schluss dieserKette stand und manchmal Schläge einstecken musste oder ineiner Pfütze landete. Manchmal diente er den Kinder aberauch als Schosshündchen, das die Klagen der Kinder unwider-sprochen entgegen nahm und Streicheleinheiten empfing.

Nebst dem zum Teil recht groben Umgang der Kinder unter-einander, geben sie sich aber auch viel Nähe. Auch unsgegenüber zeigten sie kaum Berührungsängste. Sie sehnensich auf der einen Seite nach Körperkontakt, sind aber auchgrosszügig im Verteilen von Zärtlichkeiten. Auch dies: eigeneUmgangsformen, die von aussen betrachtet zum Teil befremd-lich wirken. Wir machten uns oft Gedanken über die Möglich-keit, dass diese Offenheit, hervorgerufen durch diesen offen-sichtlichen Mangel an (körperlicher) Zuneigung eine Gefähr-dung der Kinder darstelle. Wie leicht könnte jemand dies aus-nützen. Und dann stellten wir uns die Frage, wie wir am Bestendarauf reagieren können.

Kinder, insbesondere auch die Kleinen oder Kinder mit Behin-derungen, die keine Bedrohung für die Hierarchie darstellengeniessen besonderen Schutz und Zuneigung. Auch haben sieeine gewisse Narrenfreiheit, dürfen sich Dinge herausnehmen,die sich andere nie erlauben dürfen.

In den Ferien wählen die Kinder selber, wann sie zu Bett gehenwollen. Das bedeutet für die Kleineren, dass sie oft zu spät undganz alleine schlafen gehen. Diese Tatsache hat uns oft trauriggestimmt. Keine Gutenachtgeschichte, jemand der schöneTräume wünscht… .

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Anders als wir uns dies aus der Schweiz gewohnt sind, ist auchdas Verhältnis zwischen den Kindern und den BetreuerInnen.Wir konnten nur wenig Nähe entdecken. Die Kinder scheinenüber weite Strecken sich selber überlassen. Die Erwachsenensorgen dafür, dass die Arbeiten gemacht werden. Selten sahenwir (abgesehen von Küchendienst und den Reinigungsfrauen),dass jemand von den BetreuerInnen beim Erledigen einerArbeit mithalf. Ebenfalls beim Spielen (Fussball, Volleyball,Brettspiele) waren die Kinder mit wenigen Ausnahmen untersich.

Wir haben festgestellt, dass dies allgemein hier so gehandhabtwird. Die Erwachsenen nehmen wenig teil an den Bereichender Kinder. Ist das Thema «Respekt – Respaktlosigkeit» des-halb hier weniger präsent? Weil die Distanz zwischen den Kin-dern und den Erwachsenen grösser ist? Weil den Kindern auchmehr Freiheit gegeben wird, ihre Konflikte selber zu lösen?Weil Erwachsene weniger eingreifen in die Strukturen, die sichdie Kinder geben? Könnten wir daraus etwas lernen? Es istspannend unser Verhalten den Kindern gegenüber zu über-denken.

So wird uns mit jeder dieser Fragen bewusst, dass wir nicht nurhier sind um zu geben. Wir sind im Austausch mit den Men-schen und ihren Lebensgewohnheiten hier. Wir lernen viel,nehmen viel mit.

Die Arbeit in Sombor war für uns sehr intensiv. Manchmalmussten wir uns für ein paar Stunden in die Stadt zurückziehenum bei der Rückkehr wieder mit ganzer Aufmerksamkeit dortzu sein. Es entstanden intensive Beziehungen, Freundschaften.Entsprechend schwierig und traurig war der Abschied. Es bleibtdie Hoffnung, sich wieder zu sehen.

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Im Behindertenheim «Otthon» in Stara Moravica

Der Besuch im Behindertenheim «Otthon» in Stara Moravicaist ein Besuch unter Freunden. Direktorin Gyöngyi Budaj undKrankenpfleger Nadg Torma Andor – was übersetzt die «Zun-ge» heisst –, heissen uns willkommen. Wir erfahren Neues,bevor wir uns auf einen Rundgang machen und anschliessendim Schwimmbad von Stara Moravica essen. Da es im Behin-dertenheim im Sommer etwas lockerer zu und her geht habenGyöngyi und Andor mehr Zeit für uns als bei früheren Besu-chen.

Das frühere Altersheim wird seit 20 Jahren als Behinderten-heim genutzt. Seit 1946 wird das Heim staatlich unterstützt(vorher durch Spenden und Bettelaktionen getragen), seit1968 sind hier geistig Behinderte untergebracht. Auch hierwandern die Fachleute ab: In Stara Moravica gibt es keine Heil-pädagogin mehr, wie schon Arne berichtete. Auch die Psycho-login, die uns jeweils auf dem Rundgang begleitete, ist nachUngarn weggezogen.

Mit derzeit 345 Patienten ab dem 18.Altersjahr – darunter20 Flüchtlingen zwischen 20 und 40 Jahren, die allerdingsschon vor dem Krieg hier waren – ist das Heim, das über eineKapazität von 330 verfügt, noch immer überbelegt. Es ist diegleiche Belegungsdichte wie Ende 1997. Die «Schützlinge» ausganz Serbien, wie sie hier liebevoll genannt werden, werdenvon 133 Mitarbeitern betreut. Der älteste Bewohner ist 90, derjüngste 18. Das Durchschnittsalter beträgt 43 Jahre, früher wares unter 40. Die Sterblichkeitsrate im Behindertenheim beträgtvier bis sechs Prozent (20 Tote pro Jahr). Es existiert eine War-teliste: Wird ein Bett frei, wird wieder jemand aufgenommen.«Der Druck von privater Seite ist derart gross, dass wir keinePatienten von andern Anstalten übernehmen können», erklärtAndor. Zusätzlicher Druck entstehe, weil der Staat nicht an dieKinder gedacht habe und auch nicht daran, dass sie älter wer-den.

Seit dem ersten Besuch im Winter 1993/94 als hier Behin-derte in ihren Betten erfroren, haben sich die Bedingungendeutlich verbessert: In den Zimmern stehen überall Bettgestel-le und seit dem Frühjahr 2001 sind die Betten mit abwaschba-ren Überzügen bezogen.

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Wünsche:

- Kissen- Bettenbezüge- Wolldecken- Schuhe (über Gordana

Savin erledigt)- Gipfeliroller (Pia Zweili)- Teigauswall-Maschine

(Pia Zweili)- Gefrierschrank

(Pia Zweili)- Backformen (Blech

40x60/40x120, Blech rund,Springformen(Pia Zweili)

- Röntgenfilme, 35x35 cm(Ruedi Rinderknecht)

Behindertenheim

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Gyöngyi Budaj war im Mai an einer Tagung in Belgrad: Pro-pagiert wird eine offenere Form der Behindertenbetreuung.Ziel sind Wohngruppen, wo ein bis zwei Leichtbehinderte dreibis fünf Mittel- oder ein bis zwei Schwerbehinderte betreuen.«In Otthon machen wir das schon seit 15 Jahren so», erklärtAndor am Beispiel der Pseudofamilien. Da der «Neubau» wohlnie fertig wird, da die Mittel fehlen, will man in «Otthon» fürleichtere Fälle eine Art «Terrassenhäuser» bauen. Land dazuwäre vorhanden, «und das Ganze kommt uns mit 850 000 DMbilliger zu stehen, als auf eine 3 Mio. DM teure Fertigstellungdes Neubaus zu warten», sagt Andor.

Die halbjährige Buchhaltung ist gerade abgeschlossen: Dasvom Staat geführte Behindertenheim lebt zu 30 Prozent vomStaat und zu 70 Prozent von humanitärer Hilfe, wie Gyöngyierklärt. «Der Staat sorgt für die Löhne (was seit Januar 2001regelmässig klappt), Fleisch und Frischprodukte, der Restkommt von Hilfsorganisationen wie Care, Handicap Interna-tional, Echo und der UNO-Organisation FAO (noch bis EndeAugust 2001). Von der italienischen Regierung werden imAustausch gegen die alten Geräte Küchenmaschinen, PC,Waschmaschine, Kühltruhe und ein neuer Traktor sowie etwasMedikamente zur Verfügung gestellt.

Die Distanz zwischen Altbau (Küche) und dem 2,5 Kilome-ter entfernten immer noch nicht fertig gestellten Neubau(Pavillonsystem, Wäscherei mit 1200 Kilo Leistung pro Tag),für dessen Fertigstellung noch drei Mio. DM nötig wären, istnoch immer ein grosses Hindernis. Dringend zu ersetzen sindTeile im alten Heimteil, da sich Boden und Gebäude senken.Für eine grössere Reparatur fehlen nach wie vor die Mittel.«Wir haben auf der Basis von Kompensationsgeschäften imvergangenen Jahr Baumaterial angeschafft. Der Deal war:«Der Staat war uns die Unterstützung für ein Jahr schuldig unddie Firma musste ein Jahr lang keine Steuern zahlen, wenn sieuns Baumaterial zur Verfügung stellte», erklärt Andor. «Das istbei uns immer so», fügt er an, «wir arbeiten von einer leerenTasche in die andere». In diesem Jahr sei der Staat nur zweiMonate im Rückstand, die Schulden bis Januar sind beglichen.«Die humanitäre Hilfe bis Ende August ist zugesichert, ab Sep-tember müssen wir wieder schauen.» Sorgen macht die ölbe-triebene Heizung, die über 300 000 Liter Heizöl pro Jahr ver-schlingt. Im Dezember wird die letzte Öllieferung des UNHCR

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Behindertenheim

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erwartet, die vier Monate reichen wird. Dann ist Schluss. Beiunserem Besuch ist der grosse Dampfkessel kaputt. Die Repa-ratur dauert drei Wochen, was die Wäscherei gleich zu 50 Pro-zent lahmlegt – gut, dass das nicht im Winter passiert.

Gyöngyi ist in der dritten Amtsperiode «Otthon»-Direkto-rin. Auch sie ist parteilos, «aber niemand wollte bei der letztenVergabe den Posten haben». Sie hat Krankenschwester gelerntund von 1978 bis 1990 gearbeitet, wurde 1987 als Ober-schwester mit einem Preis ausgezeichnet und hat 1989 dasSozialarbeiter-Diplom gemacht. Auch eine vierte Amtsperiodeals Direktorin wäre möglich.

Sie berichtet von ihrem 28-jährigen Sohn und der 27-jähri-gen Tochter. Der Sohn hat ein Nationalökonomie-Studiumnach einem Jahr abgebrochen und einen Laden mit Elektronik-und Elektrobedarfs-Artikeln eröffnet, wo er mehr verdient, alswenn er das Studium durchgezogen hätte. Die Tochter hättenoch drei letzte Prüfungen durchzustehen, um das Studium ander medizinischen Fakultät abzuschliessen. Stattdessen arbei-tet sie bei ihrem Bruder im Geschäft: Warum mit einem nor-malen Lohn leben, wenn man mit Handel das Vierfache ver-dienen kann?

In Stara Moravica ist man dankbar für das erhaltene Saat-gut. Gemeinden Gemeinsam hat immer wieder auch Bettwä-sche liefern können. Über 2,5 Hektaren Weizen wurden beimNeubauteil angebaut, was nach einem schlechten Winter undviel Regen zehn Tonnen Ertrag ergab. Zwiebeln lassen sichschlecht anbauen, da sie gar nie in die Küche gelangen, weil siedie Schützlinge vom Feld weg essen.

In «Otthon» gibt es eine eigene Kegelmannschaft, diegegen das übrige Dutzend Mannschaften in Stara Moravicaantritt (Turnieridee für den nächsten Besuch). Jeweils vonNovember bis Februar finden Kegelturniere statt.

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Behindertenheim

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Beim Roten Kreuz

Bei der Suppenküche sind wir am gleichen Punkt wie EndeDezember 1997: Erneut steht die Schliessung bevor und dies-mal können und wollen wir sie nicht aufhalten. Das IKRK hatzwar Lebensmittel geliefert, will aber für den Betrieb nichts tunund die Stadtregierung hat angeblich kein Geld. Auch hier istein Rückzug der grossen Hilfswerke festzustellen, vergleichbarmit dem ersten Rückzug nach dem Dayton-Abkommen: DasIKRK begründet ihn diesmal mit dem Kriegsende. Das bisherfür das Kochen zuständige World Food-Programm (WFP) willnicht mehr mit dem Roten Kreuz zusammen arbeiten, da die-ses sich nach dem Missbrauch von Spendengeldern undLebensmittel-Lieferungen in Jugoslawien mit harscher öffent-licher Kritik konfrontiert sieht. Das Rote Kreuz in Sombor istdavon aber nicht betroffen, wie uns von mehreren Seiten ver-sichert wird.

Unsere Intervention im Stadthaus hat wenig genützt, einfrustrierendes Erlebnis. Die Situation ist an sich paradox:Lebensmittel sind bis Ende Jahr vorhanden, eine weitere Liefe-rung ist angekündigt, die den Betrieb der Suppenküche bisEnde Mai 2002 sichern würde, aber die Betriebsmittel vonmonatlich 5000 DM für die 20 Angestellten fehlen. Vielleichtmuss etwas zu Ende gehen, damit es neu beginnen kann…?

Gordana Savin, die Leiterin des Roten Kreuzes, fragt sich,wo und was die 1400 Essensbezüger – 700 in Sombor und 700in Backi Monostor (davon 500 Roma) ab 1.September 2001essen werden und sie macht sich Sorgen um die Angestellten,die keine Arbeit mehr haben werden. Die Zahl der Armen musszugenommen haben: Ende 1997 wurden hier 350 Bedürftigeverpflegt, inzwischen sind es 1400.

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Rotes Kreuz

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Gordana Savin hat der Stadtregierung einen Brief geschrie-ben. Auch die Humanitäre Apotheke, wo das Gemeinden Ge-meinsam-Regionalkomitée Bodensee/Rhein im Mai noch10 000 Franken überbracht hat, wird vom IKRK nicht mehrunterstützt. «Ende Jahr wird sie geschlossen», sagt die Leiterindes Roten Kreuzes, die unsicher ist, wie die Aktivitäten ihrerOrganisation künftig aussehen werden. Sie möchte sich ver-mehrt an den Ideen von Rotkreuz-Gründer Henri Dunantorientieren. Rund um die Arbeit mit Jugendlichen bestehengewisse Freiräume. Sind die Ziele der Organisation nichtbetroffen, wie das etwa beim Jugendcamp in Backi Monostorder Fall ist, muss sie sich nicht mit Belgrad absprechen.

Das neue Rotkreuz-Gebäude in Sombor, zu dem wir 20 000Franken, Fenster und Stühle der Hydrel-Maschinenfabrik inRomanshorn beigetragen haben, ist ein Bijou. Gordana Savinist zu Recht stolz darauf. Sie führt uns durch Eingang, Empfang, Büro, Schulungsräume, Computerraum, Raum fürKinder und Versammlungsraum. Jeder Raum ist in einer ande-ren Farbe gehalten. In der Garage will sie Ergotherapie abhal-ten.

Im Jahresbericht 2000 «100 Jahre Rotes Kreuz in Sombor»ist die Zahl der registrierten Flüchtlinge (mit Status) mit 14 967angegeben. Von den 14 967 waren 7024 Männer und 7943Frauen. Die Altersverteilung: 0 bis 1 Jahr alt waren 25 Männerund 23 Frauen (total 48); 2 bis 3: 70, 52 (total 122); 4 bis 7:161, 148 (total 309); 8 bis 11: 239, 225 (total 464); 12 bis 15:162, 169 (total 331); 16 bis 18: 316, 335 (total 651); 19 bis60: 5032, 5843 (total 10875); über 60: 1019, 1148 (total2167). Die Dunkelziffer wird auf 2500 bis 3000 Personengeschätzt. «Dazu kommen mindestens 10 000 Personen, dieseit 1991 als Flüchtlinge gekommen und statistisch inzwischenals Somborer aufgeführt sind», sagt sie. «Vor zehn Jahrenbetrug die Bevölkerung 100 000 Personen, inzwischen dürftenes 125 000 sein. Das bedeutet, dass jeder Vierte neu dazuge-kommen ist.»

1997 besassen laut Gordana Savins Schätzung rund 13 000Flüchtlinge den offiziellen Status. 1000 bis 1500 waren nir-gendwo registriert. Über einen lokalen Ausweis (nicht offiziell)verfügten rund 2000 bis 3000 Flüchtlinge.

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Wünsche:

- Sport- und Trimmgerätefür Ergotherapie im RotenKreuz

Rotes Kreuz

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Gordana Savin hat in den vergangenen zehn Jahren Aus-serordentliches für das Rote Kreuz und die Situation der Flücht-linge in Sombor geleistet, was die Stadt mit der Vergabe des«Oktoberpreises», der höchsten Auszeichnung, die Sombor zuvergeben hat, im Oktober 1995 zum Ausdruck brachte.

Ihre Arbeit mit Jugendlichen trägt reiche Früchte, wie ver-schiedene Preise der «Rotkreuz-Jugend» an Meisterschaftenzeigen. Für Gordana Savin, die mit gesundheitlichen Schwie-rigkeiten zu kämpfen hat, stellt sich zunehmend die Sinnfrage.«Wofür die vielen 18-Stunden-Tage?», meint sie müde, als dasRote Kreuz unter massiven Beschuss gerät, auch wenn sieselbst und das untadelig geführte Rote Kreuz in Sombor nichtbetroffen sind. Die bevorstehende Schliessung von Suppen-küche und Humanitärer Apotheke machen ihr schwer zuschaffen.

«Was das Schweizer, das Deutsche und das InternationaleRote Kreuz sowie Gemeinden Gemeinsam an Medikamentenlieferten, war zwar nicht genug, aber immerhin soviel, dass dieHumanitäre Apotheke in Sombor funktionierte», sagt Gorda-na. Auch mit den «Apothekern ohne Grenzen» wurde zusam-mengearbeitet. «Was wir von der letzten IKRK-Lieferung nochan Lager haben, reicht bis Ende Jahr. Dann ist Schluss.» 150 bis200 Personen beziehen hier pro Tag ihre Medikamente. DieLeiterin des Roten Kreuzes ist strikt: In der Humanitären Apo-theke bezieht gratis die teuren Medikamente nur, wer übereinen Bezugsschein, ausgestellt vom Roten Kreuz in Sombor,verfügt. Dafür muss nebst dem ärztlich verschriebenen Rezeptauch ein Lohnnachweis erbracht werden.

Steht Bargeld zur Verfügung, werden die Medikamentewenn immer möglich in Serbien bezogen – Gordana hat vierOfferten eingeholt und mit zwei Fabriken Geschäftsbeziehun-gen aufgenommen. Die Medikamentenliste wird von MilanZobenica, Präsident des Roten Kreuzes Sombor, einem weite-ren Arzt und der Leiterin der Apotheke erstellt. Geführt wirdnur das Meistverlangte, unter anderem tierisches Insulin.

Laut Jahresbericht des Roten Kreuzes wurden im Jahr 2000in der Humanitären Apotheke 88510 Rezepte vorgelegt und2,6 Mio. Tabletten von 21 Spendenlieferungen gratis aus-gehändigt.

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Rotes Kreuz

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Im Jagdgebiet auf Safari

Drei Stunden lang begleiten wir Stanko Kosovac, Jagdaufseherund Hausherr des luxuriösen Jagdhauses Strbac in der Nähedes Donaucamps in Backi Monostor, wo wir diesmal unterge-bracht sind, und das der Regierung gehört. Für 150 DM proTag werden hier Jagdgesellschaften aus ganz Europa unterge-bracht, die von September bis Februar ihrem Hobby frönenund gegen Kopfgeld «Medaillenwild» schiessen. «Damit erzie-len wir jedes Jahr einen Umsatz von 1,2 Mio. DM», erklärtStanko und weist auf die Zierde des Hauses, ein Hirschgeweihmit 19 Enden, das 17 Jahre lang den Weltrekord bedeutete undheute im klimatisierten Wohnraum hängt.

Die Jagdgebiete Kozara, Apatinski rit, Subotica sume undKamariste gehören zum staatlichen Betrieb Srbija-sume, des-sen grösster Teil sich am linken Donauufer befindet, wo wir unsebenfalls mit dem Jeep auf die Wildsuche machen, und an denSandgebieten von Subotica. Die gesamte Jagdfläche von rund25 000 Hektaren ist reich an verschiedenen Wildarten.

Uns lacht das Glück des tüchtigen Anfängers: Wir sehenHasen, Hirsch, Schakale und Wildschweine mit Frischlingen.Das mit den Schakalen ist für Stanko eine Sensation, die er mituns in der Zigeunerbeiz in Backi Monostor begiesst: Seit 30Jahren ist er für dieses Jagdrevier zuständig. Er habe zwargewusst, dass es hier Schakale gebe, aber weder er noch seineKollegen hätten sie je gesehen. «You are a lucky guy», sagt erund schüttelt den Kopf obder sechs fuchsartigen Tie-re, die uns da offen aufdem Weg entgegentreten.Die Entdeckung hat ihrenPreis: Am andern Tag gehter auf die Jagd und weistim Jugendcamp stolz einenPlastiksack mit dem Kada-ver eines der Tiere vor.Angeblich schädigen dieSchakale den Wildbe-stand. Wir sind froh, dasswir am Vortag statt derFlinte nur die Kameradabei hatten…

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Safari

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Rosmarie Mik zu Besuch

Die katholische Katechetin Rosmarie Mik aus Sombor besuchte im September 2001 im Rah-men einer religionspädagogischen Weiterbildung die Schweiz. Sie hatte in Romanshorn undRorschach Einblick in die Pfarrei und die Katechese. An einem «Begegnungsabend» imRomanshorner Pfarreiheim berichtete sie über ihre Eindrücke rund um die (Wieder-)Ein-führung des konfessionellen Religionsunterrichts im neuen Schuljahr 2001. Was heisst dasfür die Verantwortlichen der serbisch-orthodoxen Kirche, was für die katholische, was fürdie reformierte Kirche? Sie berichtete, unterstützt von Frau Kardosch aus Romanshorn, dieübersetzte, aus erster Hand, welche Herausforderungen durch diese von der Regierung ver-ordnete Massnahme auf sie und ihre Pfarrei zukommen. Im «Bodensee Tagblatt» vom15.9.2001 erschien ein Bericht mit dem Titel «Mit positivem Lebensgefühl».

Rosmarie Mik hat deutsche Vorfah-ren (Donauschwaben). Die ehemaligeKindergärtnerin ist als Katechetin tätigund damit für den Religionsunterricht inihrer Pfarrei zuständig. Sie hat in ZagrebTheologie studiert und wohnt seit 1995in Sombor. «Unter dem Kommunismuswar die kirchliche Arbeit nicht aner-kannt», berichtet sie. Das ist heutenoch so: Ihr abgeschlossenes Studiumist nur in Kirchenkreisen etwas wert.Der Beruf der Katechetin ist nicht aner-kannt; eine «Katechetin» verfügt wederüber ein eigenes Gehalt, noch über eineSozialversicherung. Im ganzen Bistumsind nur vier Frauen tätig.

Rosmarie Mik arbeitet in ihrer Pfarrei in einem ehemaligen Franziskanerkloster. Die Klo-sterschwestern sind vor drei Jahren gegangen. Heute gibt es zwei katholische Pfarreien,fünf Pfarrer, einen Kaplan und rund 350 Kinder, die hier unterrichtet, religiös erzogen wer-den wollen. Mik arbeitet zusammen mit zwei Pfarrern, unter anderem Josip Pekanovic,den wir bereits seit 1993 kennen. Sie arbeitet mit Kindern von der ersten bis achten Klas-se, aber auch mit Mittelschülern und Studenten. Mit Freude berichtet sie von Ausstellun-gen zu biblischen Geschichten, die sie beispielsweise zu Ostern organisiert. 30 bis 60 Per-sonen aus der Gemeinde treffen sich jeden Sonntag nach dem Gottesdienst im Pfarrhauszu freiem und ungezwungenem Gespräch – es ist Raum da für Gespräche, für Austausch,Zusammenhalt und Kommunikation. Die Pfarrei verfügt auch über ein kleines Orchester,für Sombor etwas ganz Besonderes.

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Rosmarie Mik zu Besuch

Rosmarie Mik im Kirchgemeindehaus

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Breiten kirchlichen Unterricht gab es nur bis zum Zweiten Weltkrieg, seither nicht mehr.Die Katholiken haben weiter Religionsunterricht in der Pfarrei erteilt, die orthodoxe Kirchenicht. Jetzt hat die Regierung bestimmt, dass wieder Religion unterrichtet wird. Das istnicht ganz einfach, da vor allem in der orthodoxen Kirche ausgebildete Leute fehlen.Schwer haben es vor allem die Frauen in der orthodoxen Kirche: In der ganzen Vojvodinagibt es nur zwei weibliche Katechetinnen. Patriarch Pavle lege aber grossen Wert darauf,dass auch in der orthodoxen Kirche wieder Religion unterrichtet wird. Er sei bereit, diePriester dafür zusätzlich auszubilden. Vieles ist aufgeweicht: Rosmarie Mik beruft sich aufdie letzte Volkszählung von 1991. Damals hat sich die Hälfte der Somborer Stadtbewoh-ner als religiös bezeichnet – davon war die Hälfte orthodox und ein Viertel katholisch.Rosmarie Mik bezeichnet den Glauben auch als gesellschaftliches Phänomen: OrthodoxePriester dürften heiraten und Kinder haben.

Die Kirche stehe vor grossen Aufgaben, meint Rosmarie Mik: Sie hat Verantwortung zuübernehmen, müsse zu ihrer inneren Stärke zurückfinden. Auch für die Menschen, diefrüher Angst vor Repressionen hatten und jetzt wieder in den Schoss der Kirche zurück-kehren wollen, schlage die Stunde der Wahrheit. Jeder müsse Farbe bekennen, wohin ergehöre und was er glaube. Eltern und Kinder sollen ab 2001 wählen können zwischenUnterweisung in religiösen Belangen und Erziehung zur Demokratie (Wahlpflichtfach).«Wie viele zu uns kommen ist noch völlig offen», sagt Rosmarie Mik. Viele haben auchheute noch Angst und seien unsicher.

«Wir werden uns mit Atheisten und denorthodoxen Kirchenvertretern zusammenset-zen und besprechen, wie Religion unterrich-tet werden soll», meint Rosmarie Mik unddeutet gleichzeitig an, dass sie sich von die-sem Dialog des Miteinander auch eine offe-nere Haltung der verschiedenen ethnischenGruppen und ihrer Denkweise verspricht.«Wir wollen mit allen den Dialog suchen»,fasst sie zusammen.

Ob es denn Fragen gebe, die jemand ausSombor uns Schweizern stellen möchte, wirdRosmarie Mik gefragt. Sie erinnert sich an

einen Landwirt in der Pfarrei: «Er möchte wis-sen, wie man den flüssigen Käse macht, den die Delegation aus Sombor bei Ruedi Rinder-knecht im Stall gegessen hat.» Die Katechetin selber hat eine grosse Bitte. Sie habe denKontakt zu Romanshorn stets als «Fenster zur Welt» erlebt: «Wenn sich jemand mit unsund unseren Verhältnissen auseinandersetzen möchte, so soll er nicht nur Hilfe bringen. Ersoll uns Ideen aufzeigen, wie wir eine funktionierende zivile Gesellschaft aufbauen kön-nen. Wer von aussen kommt, sieht die Dinge ganz anders als wir, die wir mittendrin sind.»

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Rosmarie Mik zu Besuch

Frau Kardosch übersetzt

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Workshop Sybille Marseiller

«How to explore myself and our future»

Workshop mit Sybille Marseiler und Roman Cantieni in Sombor, Vojvodina, Serbien vom 27.August bis 30. August 2001

Wie es zu diesem Workshop gekommen ist

Der viertägige Workshop «How to explore myself and our future» Ende August in Somborentstand aus meiner Initiative und stand unter dem Patronat von «Gemeinden Gemeinsam»,für deren Regionalkomitee Bodensee-Rhein ich bisher dreimal im Somborer Waisenheimeine zweiwöchige Ferienaktion durchzuführen geholfen hatte. Im Kontakt mit einer initiati-ven Englischprofessorin aus Sombor, Slavica Periskic, die im NGO-Bereich sehr aktiv ist, hatsich nach einigen vergeblichen Bemühungen um mehr MitarbeiterInnen die Idee zu einemWorkshop zum Thema Selbstkompetenz und Kommunikation herauskristallisiert, den ichgemeinsam mit Roman Cantieni leitete, der gerade sein Jus-Studium abgeschlossen hat.

Ziele und Motivation

Ich wollte mein Know-how als Lehrerin, Dimitri-Schülerin und Theaterpädagogin, undRoman seine vielfältigen Erfahrungen als Vorsitzender in Sport-, Zivilschutz- und Parteiver-einen an junge Leute in Sombor, die sich für Sozial- und Gemeindearbeit interessieren, wei-tergeben, so dass diese als MultiplikatorInnen fungieren können. Roman eignete sich her-vorragend als Partner, weiler durch seine serbischeMutter Land, Leute undSprache von innen kennt.

Aufbauend auf dieser Ein-sicht in die momentane Lagewollten wir bewusst einereher passiven Haltung beivielen (nicht nur) jungenSomborerInnen ein Angebotan Impulsen entgegenhal-ten, das aus Lethargie undPessimismus hervorlockensollte. Die Arbeit wargedacht als Austausch unteruns jungen Leuten aus zweiverschiedenen europäischenLändern, denn dass wir aus

Zur Person

Sybille Marseiler (1969), Primar-lehrerin, 2000 Absolventin derDimitri-Schule, seitdem freischaf-fend als Theaterpädagogin undSchauspielerin mit einem eigenenTischfigurentheater «Geschichtevon Alice», das sie in Sombor inenglischer Sprache zeigte undeinem Frauentheaterstück zu 30

Jahren Gleichstellung der Frau in der Schweiz «Frisch,frech, fröhlich, frei – auch die Damen sind dabei» mitdem Ensemble «Nixnixen». Fragen und Informationenan Sybille Marseiler, Telefon 01/371 21 50.

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Workshop Sybille Marseiller

der Schweiz von einem Besuch in Ex-Jugoslawien auf der menschlichen Ebene genausovielmitnehmen wie wir den Erwachsenen und Kindern dort bringen, sei es Materielles wie zumBeispiel dringend benötigte Medikamente, oder Zeit und Zuwendung, war mir schon nachder Rückkehr von meinem ersten Besuch 1996 bewusst geworden.

Ziel dieser vier Tage war also das Anzapfen von eigenen Ressourcen und unentdecktenMöglichkeiten, die Verbesserung der persönlichen Ausdrucks- und Kommunikationsfähig-keiten, womöglich mit Ausblick auf ein verstärktes Sich-Einbringen in die demokratischeGemeinschaft – ein Stück Boden für basisdemokratisches Handeln.

Durchführung und Mittel

Wir arbeiteten jeden Tag fünf Stunden lang in Halbgruppen, die sich nach der Mittags-pause abwechselten, zuerst nach Geschlechtern getrennt und dann fifty-fifty gemischt.

Bei Roman haben die jungen Leute eine Einführung in die Transaktionsanalyse (TA) erfah-ren, die ein Modell des menschlichen Denkens und Handelns vorstellt, und in einer zweitenPhase erklärt, welche Phänomene zu beobachten sind, wenn wir Menschen miteinanderkommunizieren. Unter anderem konnten sie bei einem Vortrag zu einem freien Thema Grun-dregeln zur Rethorik anwenden und lernen, positive Kritik zu geben und zu empfangen.

Ich habe meine eigene Mischung angewen-det aus Theaterpädagogik, Schauspieltraining,gruppendynamischen Übungen und Meditati-on. Es war sehr motivierend zu sehen, wieoffen und bereitwillig sich die jungen Leute aufdiese ungewohnten Spiele und Übungen ein-liessen: «So verrückte Sachen habe ich nochnie getan, aber es ist eine grossartige Erfah-rung!» war der Tenor. Am Anfang einer Ar-beitseinheit machte ich stets Spiele im Kreis,weil der Kreis die «demokratischste» Form ist,da sich alle sehen und einbringen können under Verbindung und Verbindlichkeit schafft.

Dann haben wir Körper und Stimme aufge-wärmt, unter anderem mit Spielen, die die

Koordination, Reaktion und Wahrnehmung fördern, Spiele zur Phantasie und nonverbalenKommunikation kamen dazu wie zum Beispiel der Partnerin über blossen Handflächenkon-takt Eigenschaften und Gefühle mitteilen oder den Partner über Körperimpulse führen undformen.

Sybille Marseiler in derKantonsschule Romanshorn

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Workshop Sybille Marseiller

Wir haben auch Hilfsmittel eingesetzt wie :- Clownnasen, um die eigenen Ängste besser kennenzulernen,- Masken, um mit eigenen dunklen Seiten in Berührung zu kommen,- Tücher und Hüte zum Verkleiden und sich damit in andere Wesen einzufühlen,- Zündhölzchen, um das Geschichtenerzählen zu entwickeln,- Tierfiguren als Helfersymbole und Malmaterialien, um innere Bilder, die bei Entspannungund Meditation hochkamen, festzuhalten und zu vertiefen. Durch diese breite Erfahrungs-palette erlebten wir sehr intensive, aber auch feine und berührende Momente zusammen.

Der Bogen über die vier Tage war so gedacht, dass wir zuerst durch geeignete Spiele unddie Arbeit am «Kind-Ich» in der TA das Kind in uns wecken mit seinen Wünschen undSehnsüchten, aber auch mit seiner Vitalität und unschuldigen Spontanität. Ausgehend vondieser Spiel- und Lebensfreude haben wir uns am zweiten Tag mit Hindernissen und Block-aden beschäftigt, die uns daran hindern, unsere Lebensträume und Herzenswünsche zuerfüllen. Am dritten Tag wollten wir neue Möglichkeiten, Hilfen, eigene Stärken und Res-sourcen zur Geltung bringen, und diese am letzten Tag auch nach aussen bringen in dieBewährung und die direkte Kommunikation mit der Gruppe. Zum Beispiel hat jede und jederihr/sein grösstes Problem auf einen Zettel geschrieben und reihum haben alle ihre (sehrbrauchbaren!) Tipps und Anregungen dazugeschrieben, sodass auch niemand im wahrstenSinne des Wortes mit leeren Händen nach Hause ging.

Abends haben wir uns mit den TeilnehmerInnen einmal zusätzlich bei einem kleinen Festunter uns getroffen, wo sie begeistert weiterspielten und -tanzten, und Kontakte mit denEinzelnen entstehen konnten: da erzählte zum Beispiel ein Teilnehmer von seinen Schwie-rigkeiten nach dem traumatischen Kriegsdienst-Einsatz in Kosovo. Durch den individuellenKontakt wurden die Lebensumstände und Probleme der jungen Leute für uns Leitende nochgreifbarer und wir konnten in der Arbeit besser und gezielter darauf eingehen.

Auswertung

In diesen vier Tagen ist viel passiert: die Mitorganisatorin auf Somborer Seite liess uns spä-ter wissen, dass sich die TeilnehmerInnen noch weiterhin in der Stadt treffen würden unddass sie «wie Blumen aufgeblüht sind». Es lässt sich also auch in wenigen Tagen etwas bewe-gen und verändern!

Bei mir hat diese kurze Zeit tiefe Eindrücke hinterlassen: trotz der Anstrengung und derVerantwortung, der ich mir bewusst war, habe ich selber mein ganzes Potenzial anzapfenkönnen und hatte grossen Spass daran, diese jungen Menschen, die sich zu einer wunder-baren Gruppe entwickelten, zu leiten und zu begleiten.

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Workshop Sybille Marseiller

Schon auf der Heimfahrt spürte ich den dringenden Wunsch, diese Arbeit mit dieserGruppe fortzusetzen, wenn möglich einen zweiten Workshop hier in der Schweiz zu orga-nisieren, wo sie demokratische Strukturen erleben und sich kritisch mit einer anderen Leben-sumwelt auseinandersetzten könnten. Eine Teilnehmerin schrieb mir, sie merke jetzt, wie iso-liert sie in Jugoslawien gewesen seien und «wie wichtig es für sie selbst und die Gesellschaftsei, sich zu öffnen und Neues, Anderes zuzulassen». Ich bin sicher, dass Frieden und Gewalt-losigkeit bei jedem Mensch selber, bei seinem Verhältnis zu Körper und Seele, und … – imKleinen anfängt.