versuch einer cardiazolbehandlung der epilepsie

7

Click here to load reader

Upload: artur-erb

Post on 24-Aug-2016

217 views

Category:

Documents


3 download

TRANSCRIPT

Page 1: Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie

(Aus der Abteilung fiir Nerven- und Geisteskrankheiten des Allgemeinen Staats- krankenhauses LwSw [Prim~rarzt Dr. A. Domaszewicz].)

Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie. Von

Dr. Artur Erb und Dr. Janina Poiniak.

(Eingeqangen am 2. April 1939.)

Ausgangspunkt unserer Versuehe fiber die Wirkung des Cardiazols in der Epilepsie waren die Beobachtungen, die im Laufe der Behandlung der Schizophrenen naeh der Methode v. Med u nas gemacht wurden. Diese Methode beruht auf Injektionen hoher Dosen von Cardiazol. Wie bekannt, rufen hohe, intravenSs verabreichte Cardiazoldosen einige oder einige 10 Sekunden nach der Injektion einen Krampfanfall hervor, der der Epi]epsie ~hnlich sieht. Die kleinste Dosis von Cardiazol, die einen Krampfanfall bei Schizophrenen hervorruft, ist 0,4 bzw. 0,5 Cardiazol. Die Injektionen werden zweimal wSchentlich gemaeht. Wenn die Be- handlung 1/inger dauert, wird die Krampferregbarkeit der Kranken all- m~hlieh schw~cher, und deshalb mfissen wir, um einen Krampfanfall hervorzurufen, immer hShere Cardiazoldosen verabreiehen. Die Cardiazol- dosis, die einige Tage friiher geniigte, um einen Anfall hervorzurufen, ist bei der n~ehsten Injektion zu klein und ruft keinen Krampfanfall hervor. Infolge der Notwendigkeit der fortw~hrenden ErhShung der Cardiazoldosen muir man oft am Ende der Behandlung 2--3 g Cardiazol intraven6s verab- reichen, um einen Krampfanfall beim Kranken hervorzurufen, v. M e d u n a hat in einem Falle etwa 5 g Cardiazol im Lauie von 6 Min. verabreicht.

Auf Grund dieser Eigenschaft des Cardiazols, dal~ es die F/~higkeit der Verminderung der Krampferregbarkeit besitzt, machten wir eine Reihe von Cardiazolinjektionsversuehen bei Epileptikern. Es handelte sieh uns haupts~ehlieh um die Fruge, ob die Cardiazolinjektionen irgend- welchen EinfluB auf spontane epileptische Anf~lle haben. Im Laufe un- serer Versuche trachteten wir, die Antwort auf folgende Fragen zu linden :

1. Tritt die Eigenschaft der Verminderung der Krampferregbarkeit, die die Cardiazolinjektionen bei Schizophrenen zeigt, auch bei Epi- leptikern auf ?

2. Geh6rt der hohe Grad der Krampferregbarkeit, den wit bei Epi- leptikern sehen, zu derselben Erregbarkeit wie die Krampferregbarkeit der Schizophrenen, die im Laufe der Cardiazolbehandlung Ver~nderungen unterliegt ?

3. Werden bei Epileptikern nach Schw~ehung der Krampferregbar- keit, die durch Cardiazol verursaeht wurde, die spontanen Krampf- anf~lle nicht mehr auftreten ?

Wir verffigen bei unseren Versuchen fiber wenig Material, da wir die Cardiazolinjektionen nur in besonders schweren Fallen der Epilepsie

Page 2: Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie

582 Artur Erb und Janina Pozniak:

verabreichten, und zwar in solchen, bei denen die Anfiille trotz Verab- reiehung hoher Dosen yon Brom und Luminal die Zahl yon einigen bzw. einigen 10 t~glieh erreichten. Bisher hatten ~4r 19 solcher FMle. Es hat noeh niemand bisher in Epilepsief~llen vielmalige Cardiazol- injektionen zu Heilzwecken verabreieht. In der Literatur sind ausschlieB- lich Versuche von einmaliger Cardiazolverabreichung in der Epilepsie zwecks Feststellung der Diagnose beschrieben. Langeli~ddecke warnt sogar vor mehr als einmaliger Verabreichung von Cardiazol, da er eine VergrSBerung der Zahl der Krampfanf~lle bei Kranken befiirchtet. Auf Grund unserer Versuche lautet die Antwort auf die von uns formu- lierten Fragen folgendermai3en:

Zu 1. Indem wir das Cardiazol den Epileptikern in denselben Zeit- abst~nden verubreiehten, wie ~ r es bei den Schizophrenen maehten, stellten ~ r in vielen F~llen die Verminderung der Krampferregbarkeit auf Cardiazol lest. ti-hnlich wie wires bei den Schizophrenen machten, mul3ten wir auch sehr oft bei den Epileptikern die Cardiazoldosen bei jeder folgenden Injektion um 0,05--0,1 erhShen, um eine Wirkung zu erreiehen. Wenn wir als Krampfreizschwelle bei einem gewissen Kranken, in einer gewissen Zeit die Zahl annehmen, die die kleinste Cardiazoldosis, die, intravenSs verabreicht, noch einen Krampfanfall hervorrufen kann, in Gramm ausdriickt, dann erhSht sich bei vielen Epileptikern diese Krampfreizschwelle nach jeder neuen Cardiazolinjektion um 0,05--0,1.

Wir miissen jedoch bemerken, dal3 in manchen Fiillen das Tempo der ErhShung der Krampfreizschwelle ziemlieh langsam war. In 4 F~llen erhielt sich ein und dieselbe Krampfreizschwelle im Laufe yon 4--8 nach- einanderfolgenden Injektionen; in 3 F~llen erhShte sieh die Krampfreiz- schwelle um 0,1 erst nach 2 oder 3 naeheinander folgenden Cardiazol- injektionen. In 4 F~llen achteten wir nicht auf das Verhalten der Krampf- reizsehwelle, sondern verabreiehten bei jeder folgenden Injektion um 0,1 Cardiazol mehr. Man kSnnte allgemein behaupten, dab das Verhalten der Epileptiker gegeniiber der Eigensehaft des Cardiazols, die auf Ver- minderung der Krampferregbarkeit beruht, im Grunde dem Verhalten der Schizophrenen ~hnlich sieht. Das Tempo der Schw~chung der Krampf- erregbarkeit ist jedoeh langsamer, wobei F~lle vorkommen, in denen die Krampfreizsehwelle nach dem Erreichen einer gewissen H6he schon keinen weiteren Ver~nderungen unterliegt trotz des weiteren Verabreichens von Cardiazol.

Zu 2. Auf diese Fragen finden wir u. a. die Antwoxt in den Arbeiten yon Schoenmeht. Und zwar war Schoenmehl der erste, welcher Epilepti- kern Cardiazol zu diagnostischen Zwecken verabreichte. Er wies nach, daft die Krampferregbarkeit auf Cardiazol bei Epileptikern st/~rker ist als bei Gesunden. In den Versuchen Schoenmehts war die Cardiazol- krampfreizschwelle bei Epileptikern yon 0,05--0,3. Die Versuche Lan- steiners, Stie/lers und ~ Langeliiddekes best/itigten im allgemeinen diese Ergebnisse. In unseren F/~llen betrug die Cardiazolkrampfreizschwelle

Page 3: Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie

Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie. 583

bei Schizophrenen 0,4--0,9, bei Epiteptikern jedoch 0,05--0,6; aber durchschnittlich am 5ftesten 0,3. Im Lichte dieser Forschungen unter- liegt es keinem Zwcifel, dab die Krampferregbarkeit auf Cardiazol bei Epileptikern meistens stiirker ist als bei Nichtepileptikern. In Anbetracht der oben angegebenen Tatsachen besteht ein hoher Wahrscheinlichkeits- grad, dab die starke Krampferregbarkeit bei Epileptikern identisch ist (d. h. einen /~hnlichen Mechanismus bzw. Anhaltspunkt besitzt) mit der starken Cardiazolkrampferregbarkeit, die wir in unseren Versuchen schw/~chen wollen.

Es ist noch eine Tatsache, die darauf hinzuweisen scheint, da~ die Cardiazolanf~lle einen i~hnlichen Mechanismus wie die epileptischen An- f~llehaben. Es gelang n~mlich amerikanischenAutoren, festzustellen, dal~ manche Farbstoffe eine hemmende Wirkung auf Cardiazolkrampfanf~lle ausfiben. In weiteren Versuchen zeigte es sich, dal~ dieselben Farbstoffe hemmend auch auf epileptische Anf~lle mrken. Jedoch, was in dem Augen- blick fiir uns das Wichtigste ist, wirken diese Farbstoffe iiberhaupt nicht auf Krampfanfiille anderer Art, z. B. auf Krampfanf~lle, hervorgerufen durch Pikrotoxin 1.

Zu 3. Unter vielen, iibrigens nicht n~her bekannten Ver~nderungen, die im Organismus des Epileptikers vorgehen und die das Entstehen der Krampfanf~,lle bedingen, ist wahrscheinlich die grunds~tzliche und notwendige Bedingung die erhShte Krampferregbarkeit. Man kann also den Kranken vor Anf~llen bewahren, indem man diese grunds~tzliche Bedingung beseitigt, w~hrend man alle anderen Bedingungen in un- ver~ndertem Zustande l~Bt. Ohne Schw~chung der Krampferregbarkeit auf Caxdiazol gelingt es nicht, spontane Krampfanf~lle zu beseitigen. In einem Falle (F. B.), in dem die Krampferregbarkeit auf Cardiazol sich l~ngere Zeit hindurch auf der HShe 0,4 erhielt und es trotz weiterer Cardiazolinjektionen nicht gelang, diese Krampferregbarkeit zu schw~tchen, traten spontane Anf~lle trotz weiterem Verabreichen yon Cardiazol auf.

Bei unserem Material: a) In allen Fi~llen yon Epilepsie, in denen wir den Zustand ge-

schwi~chter Krampferregbarkeit auf Cardiazol erreichten, traten spontane Krampfanf~lle nicht mehr auf.

b) Die Krampfreizschwelle, bei welcher die Krampfanf/ille nicht mehr auftraten, betrug in unseren F/illen yon 0,8--1,2. Indem wir n~mlich Cardiazol in immer gr6Beren Dosen verabreichten, gelangten wir am Ende zu einer solchen Dosis, bei der die spontanen Krampf- anf/~lle verschwanden. Diese Dosis bezeichnet die Krampfreizschwelle, die wir im Gegensatz zu der Cardiazolschwelle Epilepsieschwelle nannten 3.

1 Cobb, S., M. Cohen u. J. Ney: Arch. of Neur. 40 (1938). -- Osgood, R. u. L. Robinson: Arch. of Neur. 4{) (1938).

Die Cardiazolschwelle ist die ]deinste Cardiazoldosis, die den ersten Cardiazol- krampfanfall hervorrief.

Page 4: Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie

584 Artur Erb und Janina Pozniak:

Unter 19 FAllen gelang es uns in 15 die Epilepsieschwelle zu erreichen und das Verschwinden der epileptischen Anf~lle fiir eine gewisse Zeit nach Beenden der Injektionen, zu erzielen. In 4 FAllen erhShte sich die Krampfreizschwelle trotz mehrmaliger Cardiazolinjektionen kaum merkbar, und trotz l~ngerer Behandlung (4 Wochen) gelang es uns nicht, die Epilepsieschwelle zu erreichen; die spontanen KrampfanfiLlle traten weiter auf. In einigen (4) FAllen achteten wir nicht auf das Verhalten der Krampfreizschwelle, sondern erhShten automatisch bei jeder folgenden Injektion die Cardiazoldosis u m 0 , 1 . In allen diesen FAllen erreichten wir die Epilepsieschwelle um vieles schneller als in anderen FAllen.

Wie lange dieser Zust~nd der verminderten Krampferregbarkeit sich erhalten l~Bt, ist bisher unbekannt. Unser Material ist zu jung, die Injektionen wurden vor nieht langer Zeit beendet und einstweilen traten in 14 Fi~llen keine Krampfanf~lle auf. Aber die Beobachtungszeit ist einstweilen sehr kurz. Die l~ngste yon uns beobachtete Remission betr~gt 3 Monate, die kiirzeste 2 Wochen. In einem Falle traten die Krampfanf~lle nach fast 3 Monaten Remission wieder auf, aber seltener und schw~eher als vor der Cardiazolinjektion. Die Kranke wurde wieder in die Abteilung aufgenommen, und nach einigen Cardiazolinjektionen erreichten wir wieder die Epilepsieschwelle. Gegenw~rtig hat die Kranke keine Anf~lle. Von der Dauer der verminderten Krampferregbarkeit bei Epileptikern kSnnen wit einstweilen nichts Bestimmtes sagen. Etwas Licht werfen auf dieses Problem die F~lle der Schizophrenen, die mit Cardiazol behandelt wurden. Viele von diesen ~:ehrten auf die Abteilung mit Rezidiven zurfick und wurden wieder mit Cardiazol behandelt.

Bei dieser Gelegenheit konnten wir feststellen, da~ Kranke, die z. B. vor einem Jahre Cardiazolinjektionen erhielten, nunmehr (d. i. nach Ablauf dieses Jahres) noch eine verminderte Krampferregbarkeit zeigen. Um das zu illustrieren, zeichneten wir eine Tabelle, in der wir den Zu- stand der Cardiazolerregbarkeit bei Schizophrenen w~hrend der ersten Behandlung mit dem Zustand der Krampferregbarkeit bei wiederholter Behandlung in der Zeit des Riickfalls vergleichen.

Wie man daraus ersehen kann, erhs sich die verminderte Krampf- rcizbarkeit auf Cardiazol bei Schizophrenen ziemlich lange; nach einer

Fall Ausgangs-

reiz- schwelle

0,8 0,8 0,5

0,5--0,6 0,4

Datum d e r

1. Injektion

25. 4. 38 15. 6. 38 6. 11.37 5. 7.38

30. 5. 37

Z. Jo L.B. L.M. S.B. P.E.

Tabelle 1.

Remission~zeit In �9 .. ~ ~eizschwelle bls zur nachstenl -- - ha wanren(L Be ndlung) .. in Mon. des Ruckfalls

etwa 6 1,3 ,, 2 1,2--1,31 ,, 9 0,5--0,6 ,, 3 0,9 , , 15 0,8--0,9

Datum der 1. Injektion

w~hrend desRiickfalls

15. 10. 38 17. 8.38 1. 7.38 1. 9.38 2. 8.38

Reizschwelle am Ende der

1. Behandlung

1,8 2,2 0,6 1,1 1,2

1 Wenn die erste ]njektion keinen Krampfanfall hervorruft, dann machen wir vor Ablauf yon 2 Min. eine zweite Cardiazolinjektion in einer um 0,1 gr6Beren Dosis.

Page 5: Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie

Versuch einer Cardiazotbehandlung der Epilepsie. 585

gewissen Zeit s te igt sie, aber sehr langsam, dabe i scheint das Tempo des Fa l l ens der Reizschwelle v o n d e r HShe der le tz ten Cardiozoldosis ab- h/~ngig zu sein. Das kSnnte fiir uns ein Hinweis sein, auf welche Weise m a n die Dauer dieses Zus tandes ve rminde r t e r K r a m p f e r r e g b a r k e i t mSgl ichst ver l~ngern kann .

Die bisher igen Ergebnisse ges ta t t en kein genaues Schema aufzustel len, da das P rob lem noch im Versuchss tad ium ist. E ins twei len is t das Ver- fahren folgendes: W i r verabre ichen den K r a n k e n je 3 Tage eine LSsung Cardiazol in t ravenSs in s te igenden Dosen (entspreehend der Vermin- derung der Reizbarke i t ) , indem wir von 0,3 Cardiazol anfangen. Alle anderen Mit te l werden selbstverst/~ndlieh weggestel l t . Nach Erre ichen der Epi lepsieschwelle un te rb rechen wir die Behand lung nicht , sondern t r ach ten , dureh weitere Cardiazol in jekt ionen die Krampffe izschwel le 2 zu erreichen. Nach Verlassen der Kl in ik haben sieh die K r a n k e n jeden zweiten Monat zur Kont ro l l e des Sinkens ihrer Krampfre izsehwel le zu melden. W e n n n/~mlich diese Schwelle um 0,1 oder 0,2 h5her als die Epi lepsieschwelle sein sollte, dann wiirden wir eine neue Cardiazol- behandlung durchfi ihren, um die Krampfre izsehwel le 2 zu erreichen. Zur I l l u s t r a t i on geben wir einige F/~lle an :

Fall 1. Die Kranke L. K., 21 Jahre alt, rSm.-kath., ZSgling einer Wohlt~tig- keitsanstalt, aufgenommen auf die Abteilung am 26.9.38. Erblich nicht belastet. In der Kindheit Abdominaltyphus. Beendete 5 Klassen der Volkssehule, angeblieh eine ziemlich gute Schiilerin. Erste Menses im 17. Lebensjahre, folgende regelm~Big. Vor einem Jahr, angeblich nach einem grol~en Erschrecken, trat der erste Krampf- anfall, verbunden mit BewuBtlosigkeit auf. Sp/~ter wiederholten sich /ihnliehe Anfalle einige- und manehmal einige 10mal t~glich. W/~hrend des Anfalls zerbeiBt sie oft die Zunge. Verliert keinen Urin.

Die neurologische Untersuchung ergab keine Ver/inderungen. Die inneren Organe ohne Ver~nderungen. Wa.R. im Blute und im Liquor cerebrospinalis negativ. Es ist oft schwer mit der Kranken ein Gespriich zu fiihren, da sie w/threnddessen viel weint und dann zu antworten aufhSrt. In Zeit und Raum orientiert, yon Haus- und Familienangelegenheiten erz~hlt sie in geordneter Weise. Leiehte Rechen- aufgaben bereiten ihr Schwierigkeiten, sie 10st sie oft fehlerhaft. Wei6, da6 die t tauptstadt Polens Warszawa ist, gibt aber an, dal3 sie am Dniestr liegt.

Am Tage ihrer Ankunft auf die Abteilung, erlitt die Kranke 6 typische, epi- leptische Anf~lle. 27.9. Es wurde der Kranken 0,4 Cardiazol intravenSs verab- reicht. Der Krampfanfall trat nicht ein. Wahreud der 3 folgenden Tage hatte die Kranke ungefithr 10 epileptische Alffalle t~glich; erhi~lt weder Brom noch andere Barbiturmittel.

1.10. Die Kranke erhielt 0,6 Cardiazol. Einige Sekunden nach der Injektion trat ein Krampfanfall ein, der 2 Min. dauerte. W/~hrend des Krampfanfalls verlor die Kranke Urin. Nach dem Anfall ein 30 Min. dauernder Schlaf.

28.10. Die Kranke erh/~lt jeden 3. Tag Cardiazol, in um 0,1 steigenden Dosen. Die Injektionen rufen gegenw~rtig immer einen epileptischen Anfall hervor, der manchmal einige Minuten dauert. Nach dem Anfall folgt Schlaf, der 1/2--1 Stunde dauert. Nach dem Erreichen der Dosis 0,7 Cardiazol, fiel die Zahl der spontanen Anf/~lle bis zu 3 bzw. 2 Anf~llen titglich. Nach dem Erreichen der Dosis 0,8 Cardiazol hSrten die spontanen Anf~lle auf. Die Kranke erh/~lt jeden 3. Tag Cardiazol bis zum Erreichen der Dosis 1,5. 16. l l . Die Kranke verla6t die Abteilung.

Page 6: Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie

586 Artur Erb und Janina Pozniak:

Anfang M/~rz meldet sich die Kranke wieder auf die Abteilung. Im Laufe der letzten 3 Monate frei yon Anf/illen. Seit einer Woche treten Anf/ille ein, jedoch seltener (2 Anf/~lle w6chentlich). Durch neue Cardiazolinjektionen erreichte man die Epilepsieschwelle, und die Kranke ist gegenwi~rtig frei yon Anf/illen.

Fall 2. A.P., 25 Jab_re alt, griech.-kath., Handelsgehilfe. Aufgenommen auf die Abteilung am 24. 11.38. Der Kranke gibt an: Sehwester geisteskrank. Weitere Familienangaben ohne Bedeutung. Von Geburt an Prose des rechten Augenlides. Vom 5. Lebensjahre an treten beim Kranken epileptische Anf/~lle auf. W/~hrend dieser Anf~lle verletzte sich der Kranke manchmal empfindlich, zerbiB sich Zunge, gab Urin und Stuhl unter sich ab. Die Anf~lle wiederholten sich einige- oder einige 10mal t~glich. Nach Beginn der Behandlung (der Kranke erhielt Luminal, Prominal usw.) verminderte sich die Zahl der Anf/ille abh/~ngig yon der Dosis der erhaltenen Mittel, bis sie 5 bzw. 6 AnfMle wSchentlich betrug. Die l~ngste, anfallfreie Zeit dauerte 1 Woche. Das geschah jedoch sehr selten. Periodische Depressionszust/inde, verbunden mit Selbstmordgedanken.

Die objektive Untersuchung ergab auger der Prose des rechten Augenlides, sehr lebhaften Sehnenreflexen und bilateralem Oppenheimschem Ph~tnomen keine Ver- /indernngen. Wa.R. im Blute negativ. Das Verhalten des Kranken auf der Abtei- lung ist zudringlich, er ist gereizt, oft agressiv und boshaft. Am Tage der Auf- nahme auf die Abteilung hatte der Kranke 2 typische, epileptische Anf~lle. Er erhitlt einstweilen 3real t~glieh zu 0,1 Luminal auger den Tagen, an denen er Cardi- azol bekommt. Cardiazolinjektionen, die jeden 3. Tag in yon 0,3--0,7 steigenden Dosen verabreicht wurden, riefen keinen epileptischen Anfall hervor. Bei einer 0,8 Cardiazoldosis trat ein epileptischer Anfall auf. Von diesem Tage an erhielt der Kranke kein Gardenal. Der Kranke reagiert jetzt nach jeder Cardiazolinjektion mit einem epileptischen Anfall. In der Zwischenzeit hat er 1--2 spontane Anf~lle t/iglich. Diese Anf/ille dauern jedoeh nieht so lange wie die vorherlgen, manchmal haben sie den Charakter eines petit real. Nach dem Erreichen der 1,2 betragenden Cardiazoldosis wiederholten sich die spontanen Anf~lle nicht mehr. Der Kranke ist weiter unter unserer Beobachtung, und bis zum heutigen Tage (13. 1.39) wieder- holten sich die Anf/~lle nicht.

Fall 3. Die Kranke M.D., 29 Jahre alt, auf die Abteilung am 6.4. 38 auf- genommen, mit epileptischem D~mmerzustand. Ihr Mann gibt an: Erblich nicht belastet. Von Kindheit an hatte sie Konvulsionen. Beendete die 4. Gymnasial- klasse, war eine ziemlich gute Schfiierin. War zerstreut, leichtsinnig, log oft, geriet leicht in Zorn. Menses regelm~gig, im 28. Lebensjahre verheiratet, gebar niemals, abortierte nie. Im 16. Lebensjahre der erste epileptische Anfall. Die Anf/tlle wiederholten sich manchmal 2mal t/iglich: letztens hatte sie 2--4 Anf/~lle t/iglich. Manchmal trugen die Anf~lle den Charakter ,,petit mal". Vor einer Woche betrat die Kranke plftzlich im Hemd die Wohnung der Nachbarn, gab sich dartiber keine Rechenschaft ab, was mit ihr geschah. Nach Hause gefiihrt, fing sie zusammen- hanglos zu sprechen an. Von dem Augenblicke an will die Kranke das Bett nieht verlassen, ist oft unruhig, springt auf, schreit, sprieht sehr undeutlich. Igt nur jeweils, wenn man sie fiittert. Schl/ift schlecht. Auf der Abteilung liegt die Kranke immer mit halbgesehlossenen Augen im Bett, 1/ichelt von Zeit zu Zeit, etwas un- deutlieh murmelnd. Fragen beantwortet sie ohne Zusammenhang. Vollst~ndig unorientiert in Zeit und Raum. Bei der Untersuchung erffillt sie manehe einfache Auftr/ige. Erweist im allgemeinen groge Unbest~ndigkeit der Stimmungen, zeit- weise apathisch, dann sehr unruhig, springt aus dem Bett, will ,,nach Kanada" weglaufen, ruft ,,das Schiff wartet", schimpft auf ~rzte und Pflegerinnen. Ein l~ngeres Gespr~ch kann man mit ihr nicht ankniipfen. Man mug sie immer fiittern. Sie erh~lt Glueoseinjektionen und Luminal per os und in Injektionen.

Am 13.4. wurde eine Lendenpunktion gemacht, eine wasserhelle Flfissigkeit flog unter bedeutendem Druck heraus, in der Fliissigkeit Pandy negativ 14/3 Lympho. eyten, Wa.R. im Blute und im Liquor cerebrospinalis negativ. 18.4. Der Zustand der

Page 7: Versuch einer Cardiazolbehandlung der Epilepsie

Versuch einer Cardiazolbehandlung 4er Epilepsie. 587

Kranken verschlimmert sich, sie ist weiter benommen, psychomotorisch unruhig, manehmal heftig und aggressiv. 23.4. Apathischer, ohne Kontakt. 26.4. Erhielt 0,4 Cardiazol intravenSs. Der Krampfanfall trat nicht auf. Nachmittag verli~Bt die Kranke das Bert, vollst/~ndig orientiert, bei BewuBtsein, verr/it Amnesie, die die ganze Zeit der Benommenheit umfaBt. 27.4. Der psychische Zustand ist weiter zufriedenstellend. Spricht lebhaft mit Kranken und .~rzten. Freundlich, taktvoll, dankbar ffir die Behandlung. 28.4. Zweite intravenSse Cardiazolinjektion (0,5), einige 10 Sek. nachher Krampfanfall. 2.5. Cardiazol 0,6 intravenSs. Krampfanfall. 5.5. Spontaner epileptischer Anfall. 6. 5. Cardiazol 0,6. Ohne Anfall. 13.5. Er- h/tlt seit 8 Tagen weder Cardiazol noch andere Mitteh Verl~llt die Abteilung ohne Symptome. Soll im Falle irgendwelcher Symptome an uns sehreiben. Bisher erhielten wir keine Nachricht.

Fall 4. S. Ludwik, 29 Jahre alt, Protestant. Erblich nicht belastet. Vom 10. Lebensjahre epileptische Anf/tlle. Am h~ufigsten 3 4 Anf/ille t~glieh. Nach der Aufnahme auf die Abteilung wurde die Cardiazolbehandlung begonnen. Die Cardiazolschwelle betrug 0,5, die Epilepsieschwelle 0,9. Seit 2 Monaten ohne Anfi~lle. Erh/ilt weder Brom, noch Luminal.

Fall 5. Pawel, B., 14 Jahre alt, griech.-kath., erblieh nieht belastet. Naeh der Aufnahme auf die Abteilung wurde Cardiazol angewendet. Die Cardiazol- schwelle 0,2, die Epilepsiesehwelle 0,6. Seit 1 Monat frei yon Anfiillen. Erh~lt keine anderen Mittel.

I ch werde die ni~chsten Fa l l e n ich t anfi ihren, da sie im al lgemeinen e inander /~hnlieh sind. Wi r werden nur noch einen Fa l l beschreiben, in welchem es n icht gelang, die epi lept isehen Anf/~lle zu beseit igen.

Der Fall betraf einen 15ji~hr. Jungen (I. F.) immer gesund. Erblieh nieht be- lastet. Seit 3 Jahren epileptische Anfiille (3--4real taglich). Nach der Aufnahme auf die Abteilung wurden die Cardiazolinjektionen begonnen. Die Cardiazolschwelle 0,1, die Epilepsiesehwelle wurde nieht erreieht. Wi~hrend der Injektionen steigt die Reizsehwelle langsam und erreicht die HShe 0,7. Trotz weiterer Injektionen gelang es uns nicht, die Reizschwelle zu erhShen. Die spontanen Anfitlle traten weiter auf. Die Injektionen wurden unterbrochen, da der Kranke yon der Familie naeh Hause genommen wurde.

Das, was wir angaben, is t nat i i r l ieh noeh keine Hei lmethode . Unser Mater ia l is t noch zu klein, u m daraus ka tegor isehe Sehltisse zu ziehen. Unsere Angaben haben einen provisor ischen Charakter .

Zusammenfassung. 1. I n der Mehrzahl der Epilepsief/ i l le s te l l ten wir w/ihrend mehr-

mal igen Cardiozol in jek t ionen eine Verminderung der K r a m p f e r r e g b a r k e i t auf Cardiazol les t .

2. Iri den Epilepsief/ i l len, in denen eine Verminderung der K r a m p f - e r regbarke i t auf Cardiazol vo rkam, s te l l ten wir das Versehwinden der spon tanen Anf/~lle sowohl wiihrend der (weiteren) Cardiazol in jekt ionen, wie auch w/~hrend einer bisher unbes t immten Zeit naeh Unte rb reehen der In j ek t ionen lest .

Bibliographie. Langeliiddecke, A.: Z. Neur. 161 (1938). - - Dtseh. med. Wsehr. 62 (1936). - -

Lansteiner u. Stie/ler: Z. Neut. 161 (1938). - - Meduna, v.: Z. Neur. 152 (1935). - - Schoenmehl: Mtinch. med. Wschr. 1936 I.