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ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 11 -617- Öffentliches Recht Standort: Grundrechte Problem: LPartG - Legislatives Unterlassen BVERFG, BESCHLUSS VOM 09.08.2001 1 BVR 1262/01 (NJW 2001, 3323) Problemdarstellung: Das BVerfG hatte in der vorliegenden Entscheidung die Frage zu beantworten, ob und wann ein gesetzge- berisches Unterlassen (hier: die verspätete Umsetzung des neuen Lebenspartnerschaftsgesetzes in Bayern) einen Grundrechtsverstoß beinhaltet. Das Gericht stellt zunächst klar, dass eine Verfassungsbeschwerde (Vb.) grds. nur gegen einen schon vorhandenen Akt der öffentlichen Gewalt erhoben werden kann, aus Gründen der Gewaltenteilung jedoch nicht gegen ein legislatives Unterlassen. Deshalb begegne bereits die Zulässigkeit der Vb. Bedenken. Von vornherein ausgeschlossen ist eine Vb. gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers jedoch nicht, wie bereits §§ 92, 95 BVerfGG zeigen, die explizit von “Handeln oder Unterlassen” sprechen. Das BVerfG lässt die Zulässigkeit daher i.E. offen und prüft weiter, ob die Vb. begründet wäre, d.h. Grundrechte verletzt sind. Hierzu bedürfe es über die klassische Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte hinaus einer positiven “Schutzpflicht des Staates” aus den Grundrechten, welche diesen zum Tätigwerden zwänge. Das BVerfG hat solche Schutzpflichten in Einzelfällen bejaht (vgl. die Vertiefungshinweise sowie Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rz. 88 ff.). Vorliegend lässt das Gericht jedoch offen, ob zum Schutz der Homosexuellen aus Art. 2 I GG eine solche Pflicht zur Umsetzung des LPartG für den bayerischen Landesgesetzgeber folgt, da solche Schutzpflichten jedenfalls nur auf evidente Verstöße hin kontrollierbar seien, und ein solcher wegen der relativ kurzen Verzögerung hier jedenfalls nicht vorliege. Prüfungsrelevanz: Das LPartG hat gesellschaftlich wie juristisch bereits viel Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur die zahllosen Aufsätze (vgl. Vertiefungshinweise) belegen die Brisanz des Themas. Wie in der vorliegenden Entscheidung angesprochen, hatte sich auch das BVerfG bereits im Rahmen eines Eilantrages gem. § 32 BVerfGG auf die Initiative Bayerns hin mit der Verfassungsmäßigkeit des LPartG im Hinblick auf das Leitbild der Ehe aus Art. 6 GG zu befassen. Das Gericht hat bekanntlich den Eilantrag mit Beschluss vom 17.07.2001 abgelehnt, jedoch nicht unter Vorwegnahme der Hauptsacheprüfung, sondern nach Abwägung der Folgen allein wegen des fehlenden Eil- interesses. Die Schutzpflichten des Staates haben besonders bei der ebenfalls gesellschaftspolitisch wie juristisch hitzig geführten Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche eine Rolle gespielt. Dabei war zunächst zu klären, ob dem Staat überhaupt eine positive Pflicht zum Schutz des nasciturus hat, und wenn ja, in welchem Umfang diese - unter Abwägung mit den Grundrechten der werdenden Mutter - besteht (E 39, 42 und E 88, 203). Ebenfalls vom BVerfG bejaht worden ist i.Ü. eine Schutzpflicht des Staates vor terroristischer Bedrohung (E 46, 160), ein Thema, welches angesichts der aktuellen Entwicklung in den USA seit den Attentaten vom 11. September 2001 und entsprechender Überlegungen des Bundesinnenministers zur Ausweitung von Überwachungs- und Kontrollbefugnissen staatlicher Organe wieder Bedeutung erlangt hat. Vertiefungshinweise: Grundrechtsverletzung durch gesetzgeberisches Unterlassen: BVerfGE 6, 257, 264; 8, 1, 9; 11, 255, 261; 12, 139, 142; 23, 242, 249 Schutzpflichten des Staates aus Grundrechten: BVerfGE 33, 303, 333; 36, 321, 330; 56, 54, 80 Zur "eingetragenen Lebenspartnerschaft" vgl. die Sonderbeilage zur RA 08/2001 sowie Scholz/Uhle, NJW 2001, 393; Beck , NJW 2001, 1894; Diederichsen, NJW 2000, 1841; Krings, ZRP 2000, 409; Schwab, FamRZ 2001, 385; Griwotz, DNotZ 2001, 280 Leitsatz (der Redaktion): Der bayerische Landesgesetzgeber hat durch die verzögerte Umsetzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes keine Grundrechte von homosexuellen Paaren verletzt. Sachverhalt: Die Verfassungsbeschwerde betraf die bis dahin im Freistaat Bayern nicht erfolgte Ausführung des

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ÖFFENTLICHES RECHT RA 2001, HEFT 11

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Öffentliches Recht

Standort: Grundrechte Problem: LPartG - Legislatives Unterlassen

BVERFG, BESCHLUSS VOM 09.08.2001

1 BVR 1262/01 (NJW 2001, 3323)

Problemdarstellung:Das BVerfG hatte in der vorliegenden Entscheidungdie Frage zu beantworten, ob und wann ein gesetzge-berisches Unterlassen (hier: die verspätete Umsetzungdes neuen Lebenspartnerschaftsgesetzes in Bayern)einen Grundrechtsverstoß beinhaltet.Das Gericht stel l t zunächst klar , dass eineVerfassungsbeschwerde (Vb.) grds. nur gegen einenschon vorhandenen Akt der öffentlichen Gewalte r h o b e n w e r d e n k a n n , a u s G r ü n d e n d e rGewaltenteilung jedoch nicht gegen ein legislativesUnterlassen. Deshalb begegne bereits die Zulässigkeitder Vb. Bedenken.Von vornherein ausgeschlossen ist eine Vb. gegen einUnterlassen des Gesetzgebers jedoch nicht, wie bereits§§ 92, 95 BVerfGG zeigen, die explizit von “Handelnoder Unterlassen” sprechen. Das BVerfG lässt dieZulässigkeit daher i.E. offen und prüft weiter, ob dieVb. begründet wäre, d.h. Grundrechte verletzt sind.Hierzu bedürfe es über die klassische Funktion derGrundrechte als Abwehrrechte hinaus einer positiven“Schutzpflicht des Staates” aus den Grundrechten,welche diesen zum Tätigwerden zwänge. Das BVerfGhat solche Schutzpflichten in Einzelfällen bejaht (vgl.die Vertiefungshinweise sowie Pieroth/Schlink,Grundrechte, Rz. 88 ff.). Vorliegend lässt das Gerichtjedoch offen, ob zum Schutz der Homosexuellen ausArt. 2 I GG eine solche Pflicht zur Umsetzung desLPartG für den bayerischen Landesgesetzgeber folgt,da solche Schutzpflichten jedenfalls nur auf evidenteVerstöße hin kontrollierbar seien, und ein solcherwegen der relativ kurzen Verzögerung hier jedenfallsnicht vorliege.

Prüfungsrelevanz:Das LPartG hat gesellschaftlich wie juristisch bereitsviel Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur die zahllosenAufsätze (vgl. Vertiefungshinweise) belegen dieBrisanz des Themas. Wie in der vorliegendenEntscheidung angesprochen, hatte sich auch dasBVerfG bereits im Rahmen eines Eilantrages gem. §32 BVerfGG auf die Initiative Bayerns hin mit derVerfassungsmäßigkeit des LPartG im Hinblick auf das

Leitbild der Ehe aus Art. 6 GG zu befassen. DasGericht hat bekanntlich den Eilantrag mit Beschlussvom 17.07.2001 abgelehnt, jedoch nicht unterVorwegnahme der Hauptsacheprüfung, sondern nachAbwägung der Folgen allein wegen des fehlenden Eil-interesses.Die Schutzpflichten des Staates haben besonders beider ebenfalls gesellschaftspolitisch wie juristisch hitziggeführten Diskussion über Schwangerschaftsabbrücheeine Rolle gespielt. Dabei war zunächst zu klären, obdem Staat überhaupt eine positive Pflicht zum Schutzdes nasciturus hat, und wenn ja, in welchem Umfangdiese - unter Abwägung mit den Grundrechten derwerdenden Mutter - besteht (E 39, 42 und E 88, 203). Ebenfalls vom BVerfG bejaht worden ist i.Ü. eineSchutzpflicht des Staates vor terroristischer Bedrohung(E 46, 160), ein Thema, welches angesichts deraktuellen Entwicklung in den USA seit den Attentatenvom 11. September 2001 und entsprechenderÜberlegungen des Bundesinnenministers zurA u s w e i t u n g v o n Ü b e r w a c h u n g s - u n dKontrollbefugnissen staatlicher Organe wiederBedeutung erlangt hat.

Vertiefungshinweise:“ Grundrechtsverletzung durch gesetzgeberischesUnterlassen: BVerfGE 6, 257, 264; 8, 1, 9; 11, 255,261; 12, 139, 142; 23, 242, 249“ Schutzpflichten des Staates aus Grundrechten:BVerfGE 33, 303, 333; 36, 321, 330; 56, 54, 80“ Zur "eingetragenen Lebenspartnerschaft" vgl. dieSonderbeilage zur RA 08/2001 sowie Scholz/Uhle,NJW 2001 , 393 ; Beck , NJW 2001 , 1894 ;Diederichsen, NJW 2000, 1841; Krings, ZRP 2000,409; Schwab, FamRZ 2001, 385; Griwotz, DNotZ2001, 280

Leitsatz (der Redaktion):Der bayerische Landesgesetzgeber hat durch diev e r z ö g e r t e U m s e t z u n g d e sLebenspartnerschaftsgesetzes keine Grundrechtevon homosexuellen Paaren verletzt.

Sachverhalt: Die Verfassungsbeschwerde betraf die bis dahin imFreistaat Bayern nicht erfolgte Ausführung des

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Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierungg l e i c h g e s c h l e c h t l i c h e r G e m e i n s c h a f t e n :Lebenspartnerschaften (LPartG) vom 16. 2. 2001(BGBl I, 266), das am 1.8.2001 in Kraft getreten ist.Die Bf., die ihren Wohnsitz in Bayern haben, wolltennach diesem Gesetz Lebenspartnerschaften begründen,sahen sich aber daran gehindert, weil im FreistaatBayern noch keine Ausführungsvorschriften für dasBundesgesetz erlassen worden waren. Mit ihrerVerfassungsbeschwerde begehrten sie zum einen dieFeststellung, dass das Unterlassen des FreistaatsBayern ihre Grundrechte aus Art. 1 I, 2 I und Art. 3 IGG verletze, zum anderen beantragten sie, denFreistaat Bayern zu verpflichten, umgehend durchgeeignete Maßnahmen sicher zu stellen, dass sie ihreLebenspartnerschaften schnellstmöglich, wenn nichtschon zum 1.8.2001, eintragen lassen können, undstel l ten hierzu den Antrag auf Erlass einereinstweiligen Anordnung.Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zurEntscheidung angenommen.

Aus den Gründen: Die Voraussetzungen für die Annahme derVerfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Die Ver-fassungsbeschwerde begegnet schon Bedenkenhinsichtlich ihrer Zulässigkeit. Das kann jedochdahinstehen. Der Verfassungsbeschwerde kommtweder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutungzu (§ 93a II lit. a BVerfGG), noch ist ihre Annahmezur Durchsetzung von Grundrechten der Bf. angezeigt(§ 93a II lit. b BVerfGG). Denn die Verfassungsbe-schwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

A. Tauglicher BeschwerdegegenstandDie mit ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fra-gen zur Zulässigkeit und Begründetheit vonVerfassungsbeschwerden, mit denen ein Unterlassengesetzgeberischen Handelns gerügt wird, sind in derRechtsprechung des BVerfG hinreichend geklärt.Danach kann grundsätzlich nur ein erlassenes Gesetz,nicht aber ein Unterlassen des GesetzgebersGegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein(BVerfGE 1, 97, 100). Ausnahmen hiervon bilden dieFälle, in denen sich ein Bf. auf einen ausdrücklichenAuftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhaltund Umfang de r Gese tzgebungspf l i ch t imWesentlichen bestimmt (vgl. BVerfGE 23, 242, 249).

B. Verletzung von Art. 2 I GGDas Verfahren gibt auch keine Veranlassung, dieFrage zu erörtern, ob mit der Verfassungsbeschwerdeein Unterlassen des Gesetzgebers unter Hinweis aufdie im Wege der Verfassungsinterpretation aus denGrundrechten herzuleitenden Schutzpflichten gerügtwerden kann. Auch wenn man einen Anspruch des

Einzelnen auf Tätigwerden des Landesgesetzgeberszur Realisierung der ihm vom Bundesgesetzgeberdurch Gesetz eingeräumten Rechte annehmen wollte,wäre die Verfassungsbeschwerde im Ergebniserfolglos.

I. Prüfungsumfang: Nur EvidenzkontrolleDas BVerfG kann im Rahmen einer Verfassungs-beschwerde, die auf eine aus Art. 2 I GG hergeleiteteSchutzpflicht gestützt wird, jedenfalls erst danneingreifen, wenn der Gesetzgeber diese Pflicht evidentverletzt hat (vgl. BVerfGE 56, 54, 80). Dies folgt ausdem Grundsatz der Gewaltenteilung und demDemokratieprinzip.

II . Kein evidenter Verstoß des bayerischenGesetzgebersEs ist jedoch weder ausreichend dargetan noch ersicht-lich, dass der Bayerische Gesetzgeber eine solchePflicht - ihre rechtliche Existenz unterstellt - innachhaltiger und damit evidenter Weise verletzt habenkönnte.

1. Keine gänzliche UntätigkeitSowohl die Bayerische Staatsregierung als auch derBayerische Landtag sind nicht gänzlich untätiggeblieben. So liegt dem Bayerischen Landtag schonein Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion vor, überden noch nicht abschließend beraten worden ist. Nachder vom Gericht e ingehol ten Auskunft derBayerischen Staatsregierung hat der Bayerische Mi-nisterrat am 31. 7. 2001 den Entwurf eines Gesetzeszur Ausführung des Lebenspartnerschaftsgesetzesbeschlossen. Am selben Tag ist dieser Entwurf demBayerischen Landtag zugeleitet worden. Diesbegründet die Annahme, dass der BayerischeGesetzgeber ein Ausführungsgesetz zum Lebens-partnerschaftsgesetz erlassen wird.

2. Nur kurze, unbeabsichtigte VerzögerungD a s s i m F r e i s t a a t B a y e r n d a sLebenspartnerschaftsgesetz wegen des noch nicht vomBayerischen Landtag abgeschlossenen Gesetzgebungs-verfahrens später als in den meisten anderenBundesländern zur Ausführung gelangt, begründet -eine Pflicht des Landesgesetzgebers zum Handelnu n t e r s t e l l t - a l l e i n n o c h k e i n e e v i d e n t ePflichtverletzung. Eine solche könnte sich erst danna b z e i c h n e n , w e n n d i e d u r c h d a s L e -b e n s p a r t n e r s c h a f t s g e s e t z e i n g e r ä u m t e nRechtspositionen den Betroffenen über einen längerenZeitraum verschlossen blieben und diese Dauer aufeine erkennbare Absicht schließen ließe, derGesetzgeber wolle seine etwaige Handlungspflichtun te r l au fen . Hie r fü r g ib t e s j edoch ke ineAnhaltspunkte.

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Die Bayerische Staatsregierung hat zunächst daraufgehofft, das In-Kraft-Treten des von ihr fürverfassungswidrig erachteten Gesetzes durch ihrenzulässigen Antrag auf Erlass einer einstweiligenAnordnung vor dem BVerfG hinausschieben zukönnen, womit ein landesgesetzgeberisches Handelnvorläufig nicht erforderlich gewesen wäre. NachErfolglosigkeit dieses Antrags verhindert derzeit dieEnde Juli eingetretene Sommerpause des Landes-parlaments die Beratung der bereits in den Landtageingebrachten Ausführungsgesetzentwürfe. Von derEinberufung des Landtags zu einer Sondersitzung, wiesie die Bf. fordern, konnte abgesehen werden, zumaleine Sitzung ohnehin nicht ausreichte, um ein Gesetz-gebungsverfahren ordnungsgemäß durchfuhren zukönnen. Nach Einschätzung der Bayerischen

Staatsregierung erscheint überdies eine zeitlichePerspektive für den Abschluss des Gesetzgebungs-verfahrens und das In-Kraft-Treten des Gesetzes gegenEnde Oktober 2001 durchaus realistisch. Erfolgte dasGesetzgebungsverfahren in einem solchen zeitlichenAblauf, entspräche dies unter den gegebenenUmständen sogar dem Begehren der Bf. nach einemschnellstmöglichen Handeln, das ihnen die Eintragungihrer Lebenspartnerschaft ermöglicht.

C. Verletzung von Art. 3 I GGEin Verstoß gegen Art. 3 I GG liegt ebenfalls nichtvor. Die Träger hoheitlicher Gewalt sind zurGleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte nur inihrem Zuständigkeitsbereich verpflichtet (vgl.BVerfGE 21, 54, 68; 76, 1, 73; 79, 127, 158).

Standort: § 41 VwVfG Problem: “Drei-Tages-Fiktion”

OVG MÜNSTER, BESCHLUSS VOM 07.03.2001

19 A 4216/99 (NVWZ 2001, 1171 = NWVBL 2001,429)

Problemdarstellung:Das OVG Münster hatte sich mit der Fragea u s e i n a n d e r z u s e t z e n , w a n n g e n a u d i eWiderspruchsfrist beginnt, wenn der belastendeVerwaltungsakt per Post an ein Postfach desWiderspruchsführers (bzw. im Fall: seines Rechts-anwalts) geschickt worden ist. Nach der “Drei-Tages-Fiktion” des § 41 II VwVfGNW (insoweit identisch mit § 41 II VwVfG desBundes) ist der gem. § 70 I VwGO für den Fristbeginnmaßgebliche Zeitpunkt der Bekanntgabe der dritte Tagnach Aufgabe des Bescheids zur Post, wenn derBescheid nicht tatsächlich später oder gar nichtzugegangen ist.Voliegend stellten sich die Besonderheiten, dass zumeinen der Bescheid an eine Postfach-Adresse geschicktwurde, zum anderen der nach der “Drei-Tages-Fiktion” ermittelte Bekanntgabetag auf einen Samstagfiel.Das Ger icht s te l l t zunächst k lar , dass d ieWiderspruchsfrist über § 41 II VwVfG auch auf einemSamstag, Sonn- oder Feiertag beginnen kann. DerGesetzgeber hat lediglich vielfach geregelt, dass eineFrist auf einem solchen Tag nicht enden kann (§§ 31III VwVfG, 222 II ZPO und 193 BGB). Das OVGprüft kurz eine Analogie, lehnt diese jedoch mangelsplanwidriger Regelungslücke ab, wobei die hierfürgegebene Begründung eher gegen die Analogievoraus-setzung der vergleichbaren Interessenlage spricht.Sodann wird ausgeführt, dass es auch bei einem

Postfach nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahmeankomme, sondern die Möglichkeit derselben genüge.Da ein Postfach auch an einem Samstag geleertwerden könne, komme es für den Fristbeginn nichtdarauf an, dass die tatsächliche Kenntnisnahme erst amfolgenden Montag (nach dem über die “Drei-Tages-Fiktion” ermittelten Bekanntgabezeitpunkt) erfolgt sei.Ob dies nur gelte, wenn nach der Verkehrsauffassungtatsächlich noch mit einer Leerung am selben Tag zurechnen sei (was streitig ist), konnte im vorliegendenFall offen bleiben.

Prüfungsrelevanz:Fristprobleme sind im Examen beliebt, weil sie sichleicht in die Zulässigkeitsprüfung eines Rechtsbehelfseinbauen lassen. Die hier relevante “Drei-Tages-Fiktion” findet sich i.Ü. nicht nur in dem für die“Bekanntgabe” relevanten § 41 II VwVfG, sondernauch in § 4 VwZG, wenn es - wie etwa bei derKlagefrist des § 74 I 1 VwGO - auf die “Zustellung”eines Bescheids ankommt. § 56 II VwGO enthält einenentsprechenden Verweis.Zu den vom OVG ausführ l ich dargeleg tenVoraussetzungen an die Rüge eines tatsächlichspäteren oder ganz ausgebliebenen Zugangs desBescheids i.S.d. § 41 II, 2. Hs VwVfG sei daraufhingewiesen, dass mit dem OVG Münster sauberzwischen verspätetem und ausgebliebenem Zugang zuunterscheiden ist: Bei verspätetem Zugang könne undmüsse der Betroffene darlegen, wann und unterwelchen Umständen er den Bescheid tatsächlicherhalten habe, um in den Genuss des späterenFristbeginns zu kommen. Dies sei ihm zumutbar undmöglich. Die bloße Behauptung, er habe den Bescheidspäter erhalten, genüge also nicht den Anforderungen

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an die Darlegungslast. Habe er hingegen den Bescheidüberhaupt nicht erhalten, könne er regelmäßig garnicht darlegen, warum dies geschehen sei, da sich dienäheren Umstände seiner Kenntnis entziehen. Hiermüsse die bloße Angabe des potenziellen Empfängersgenügen, dass der Zugang ausgeblieben sei (OVGMünster, NWVBl 1996, 233, allerdings unter demausdrücklichen Hinweis, dass dies nur für denEmpfänger gelte).

Vertiefungshinweise:“ Zur “Drei-Tages-Fiktion” bei Übermittlung viaPostfach: FG Saarbrücken, NVwZ 2001, 1199 Kursprogramm:“ Examenskurs: “Waffenbesitzkarte”“ Examenskurs: “Ausgespielt”

Leitsätze:1. Die Vermutung des § 41 II VwVfG NW, dass eindurch die Post übermittelter schriftlicherVerwaltungsakt mit dem dritten Tage nach derAufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, greiftauch dann ein, wenn der dritte Tag auf einenSamstag, Sonntag oder Feiertag fällt.2. Die Vermutung des § 41 II VwVfG NW wirdnicht durch die bloße Behauptung widerlegt, denVerwaltungsakt erst nach dem vermutetenZeitpunkt erhalten zu haben.3. Bei Rechtsanwälten kann erwartet werden, dasssie ihr Postfach auch an Samstagen leeren, soferneine Abholmöglichkeit besteht. Sachverhalt: Der Bekl. zog den Kl. mit Bescheid vom 24.6.1997 zuden Kosten für die Bestattung seiner verstorbenenS c h w e s t e r h e r a n . D e r B e s c h e i d i s t d e nProzessbevollmächtigten des Kl. mit einfachem Briefübersandt worden und in deren Kanzlei mit demEingangsstempel 30. 6. 1997, einem Montag,abgestempelt worden. Samstags wird in der Kanzleinicht gearbeitet . Mit Schreiben seiner Pro-zessbevollmächtigten vom 28. 7. 1997, beim Bekl.e ingegangen am 29 .7 .1997 , e rhob der Kl .Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 20.11. 1997 als unzulässig zurückgewiesen wurde. DasVG gab der Klage des Kl. statt. Auf die zugelasseneBerufung des Bekl. wies das OVG die Klage alsunzulässig ab.

Aus den Gründen: Der Kl. hat gegen den mit einer ordnungsgemäßenRechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid desBekl. vom 24. 6. 1997 nicht innerhalb derWiderspruchsfrist, die gem. § 70 I VwGO einen

Monat beträgt, Widerspruch erhoben. Der Kl. hat auchkeinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigenStand und der Bekl. hat sich nicht in der Weise auf dieKlage eingelassen, dass die Versäumung derWiderspruchsfrist unerheblich wäre.

A. FristversäumnisDer Widerspruch des Kl. vom 28. 7. 1997 ist am 29. 7.1997 beim Bekl. eingegangen, er hätte jedochspätestens am 28. 7. 1997 eingehen müssen, weil dieWiderspruchsfrist gem. § 41 II VwVfG NW am 28. 6.1997 zu laufen begann. Nach dieser Vorschrift gilt einschriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post imGeltungsbereich dieses Gesetzes übermittelt wird, mitdem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späterenZeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behördeden Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunktdes Zugangs nachzuweisen.

I. Aufgabe zur PostDer Bescheid vom 24. 6. 1997 ist zur Überzeugungdes Senats am 25. 6. 1997 zur Post gegeben worden.Dabei kann dahinstehen, ob die Aufgabe zur Post etwadurch das Datum "25.06.97", das der zuständigeSachbearbeiter neben seiner Unterschrift unter dem inden Verwaltungsvorgängen enthaltenen Bescheidhinzugefügt hat und für ihn nach seiner Versicherungvom 13. 11. 1997 das Absendedatum bedeutet, ord-nungsgemäß und hinreichend in den Verwaltungsvor-gängen vermerkt worden ist. Bei der hier erfolgten undentgegen der nicht näher begründeten Auffassung desKl. rechtlich zulässigen Übersendung des Bescheidesvom 24. 6. 1997 mit einfachem Brief ist anders als beider Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenenBriefes (§ 4 II VwZG) ein Vermerk in den Akten überden Tag der Aufgabe zur Post nicht vorgeschrieben(vgl. zu den Anforderungen des Aktenvermerks gem. §4 II VwZG und den Folgen des Fehlens eines solchenV e r m e r k s B V e r w G , N V w Z 1 9 8 5 , 9 0 0 ;Engelhardt/App, VwVG/VwZG, 4. Aufl. [1996], § 4VwZG Anm. 8, S. 182). Es genügt, dass die Behördeauf andere Weise - nachträglich - den ihr obliegendenNachweis über den Tag der Aufgabe zur Post führt.Dieser Nachweis ist hier geführt. Zur Überzeugungdes Senats folgt aus der Versicherung des zuständigenSachbearbeiters vom 13. 11. 1997, dass der Bescheidvom 24. 6. 1997 tatsächlich am 25. 6. 1997 zur Postgegeben worden ist [wird ausgeführt].

II. Drei-Tages-FiktionNach § 41 II Halbs. 1 VwVfG NW gilt damit derBescheid vom 24. 6. 1997 als mit dem dritten Tagnach der Aufgabe zur Post und damit am 28. 6. 1997als bekannt gegeben. Dem steht nicht entgegen, dass der 28. 6. 1997 ein

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Samstag war. Die Vermutung der Bekanntgabe gem. §41 II VwVfG NW greift ebenso wie die Vermutungder Zustellung gem. § 4 II Halbs. 1 VwZG auch dannein, wenn der für die Bekanntgabe bzw. Zustellungmaßgebende dritte Tag nach der Aufgabe zur Post aufeinen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt (BFH, NJW2000, 1742 und BayVBl 1986, 413, 414; VGHMannheim, NVwZ 1992, 799, 800; VGH München,NJW 1991, 1250; OVG Münster, NVwZ 1982, 564;Engelbardt/App, § 4 VwZG Anm. 4, S. 180;Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 56 Rdnr.44, jew. m.w.N.; offen gelassen für den Fristbeginn aneinem Sonntag BVerwG, NJW 1983, 2344, 2345).Eine analoge Anwendung der auf das Ende einer Fristabstellenden Regelungen in § 31 III 1 VwVfG NWund § 193 BGB kommt nicht in Betracht (so aberStelkens/Bonk, VwVfG, 5. Aufl. [1998], § 41 Rdnr.66; Knack/Hennecke, VwVfG, 4. Aufl. [1994], § 41Rdnr. 5.5.2; Obermayer, VwVfG, 2. Aufl. [1990], § 41Rdnr. 38, jew. m.w.N.). Nach diesen Vorschriftenendet eine Frist mit dem Ablauf des nächstfolgendenWerktages, wenn die Frist an einem Samstag, Sonntagoder Feiertag abläuft. Für eine analoge Anwendungder §§ 31 III 1 VwVfG NW, 193 BGB wäre aber nurdann Raum, wenn der Wortlaut des § 41 II VwVfGNW, gemessen an dem Sinn und Zweck dieserVorschrift, zu eng geraten wäre und damit eineplanwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vorläge(vgl. zu dieser Anforderung BGH, NJW 1988, 2109,2110 und BGHZ 65, 300, 302). Das ist nicht der Fall.Mit den Regelungen in §§ 31 III 1 VwVfG NW, 193BGB wird dem Umstand Rechnung getragen, dass esregelmäßig Schwierigkeiten bereitet, eine Fristeinzuhalten, deren Ende nicht auf einen Werktag fällt.Demgegenüber hat der Gesetzgeber, obwohl der nach§ 41 II VwVfG NW vermutete Tag der Bekanntgabenicht selten ein Samstag, Sonntag oder Feiertag ist, zuRecht keinen Anlass gesehen, eine ohne weiteresmögliche Einschränkung dieser Vermutung in dasGesetz aufzunehmen. Die Vorschrift des § 41 IIVwVfG NW ist deshalb nicht zu eng geraten, weil esden Adressaten eines Verwaltungsaktes nicht inunverhältnismäßiger Weise belastet, wenn dieVermutung der Bekanntgabe auf einen Samstag,Sonntag oder Feiertag fällt. Abgesehen davon, dass dieVermutung des § 41 II VwVfG NW auch dann zuGunsten des Adressaten eines Bescheides eingreift,wenn die Bekanntgabe tatsächlich bereits vor demvermuteten Tag der Bekanntgabe erfolgte, wird nach §41 VwVfG NW lediglich der Bekanntgabetag unddamit der Tag des Beginns einer Frist vermutet, andem keine Handlung vorzunehmen ist, während es inden Fällen der §§ 31 II [sic!] VwVfG NW, 193 BGBum die Frage geht, ob an einem Samstag, Sonntag oderFeiertag eine bestimmte Handlung vorzunehmen odereine Willenserklärung abzugeben ist, was an diesen

Tagen typischerweise Schwierigkeiten bereitet.Speziell für den Samstag, um den es hier geht, kommthinzu, dass die Post ebenso wie an anderen WerktagenBriefe austrägt. Die Vermutung des § 41 II VwVfGNW belastet den Adressaten des Verwaltungsaktesauch deshalb nicht unverhältnismäßig, weil er dieVermutung nach § 41 II Halbs. 2 VwVfG NWwiderlegen kann und in diesem Fall der Tag destatsächlichen - späteren - Zugangs für den Beginn derFrist maßgeblich ist. Dadurch ist sichergestellt, dassdem Adressaten des Verwaltungsaktes keine Nachteileerwachsen, wenn eine Bekanntgabe innerhalb derDrei-Tages-Frist des § 41 II VwVfG NW tatsächlichunmöglich war.

III. Kein späterer ZugangEs liegen auch nicht im Sinne des § 41 II Halbs. 2VwVfG NW Zweifel daran vor, dass der Bescheidvom 24. 6. 1997 den Prozessbevollmächtigten des Kl.spätestens am 28. 6. 1997 zugegangen ist.

1. Anforderungen an das Bestreiten des fiktivenBekanntgabezeitpunktsDas Bestreiten des nach § 41 II Halbs. 1 VwVfG NWvermuteten Zeitpunkts der Bekanntgabe erfordert diesubstanziierte Darlegung von Tatsachen, aus denenschlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeithervorgeht, dass ein Zugang des Bescheides erst nachdem von § 41 II Halbs. 1 VwVfG NW vermutetenZeitpunkt erfolgte (vgl. nur BFH, NJW 2000, 1742und NVwZ-RR 1999, 104, 105; OVG Münster,NVwZ-RR 1995, 550). Das bloße Bestreiten, denBescheid zu dem vermuteten Zeitpunkt erhalten zuhaben, genügt nicht (vgl. aber für den Fall, dass derEmpfänger den Zugang als solchen überhauptbestreitet, OVG Münster, NVwZ 1995, 1228, 1229).Mit dem Verlangen nach einer substanziiertenDarlegung von Tatsachen, aus denen sich schlüssig dienicht entfernt liegende Möglichkeit ergibt, dass einZugang erst nach dem gem. § 41 II VwVfG NW ver-muteten Zeitpunkt erfolgt ist, wird dem Adressaten desVerwaltungsaktes nichts Unmögliches zugemutet(darauf abstellend OVG Münster, NVwZ 1995, 1228).Von dem Adressaten kann die substanziierteDarlegung erwartet werden, welche konkretenVorkehrungen er getroffen hat, um einen zuverlässigenEingang der an ihn gerichteten Post und einehinreichende Kontrolle der eingehenden Post zu ge-währleisten. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen,die in seinem Kenntnis- und Einflussbereich liegen.Soweit er sich auf außerhalb seines Kenntnis- undEinflussbereichs liegende Tatsachen beruft, die denNichtzugang oder einen von der Vermutung des § 41II VwVfG NW abweichenden späteren Zugang ver-ursacht haben sollen, ist der Adressat allerdings in derRegel nicht in der Lage, konkrete Einzelheiten

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darzutun. Dem ist dadurch Rechnung zu tragen, dasses in solchen Fällen zwar genügt, die geltendgemachten Tatsachen insoweit substanziiertdarzulegen, als sie dem Adressaten bekannt sind oderbekannt sein müssen, dass andererseits aber aus diesenTatsachen schlüssig die nicht entfernt liegendeMöglichkeit des Nichtzugangs oder eines von derVermutung des § 41 II VwVfG NW abweichendenspäteren Zugangszeitpunktes hervorgehen muss. Fehltes an letzterem, liegen keine Zweifel i. S. des § 41 IIHalbs. 2 VwVfG NW vor. Denn der Zweck dieserRegelung, der Behörde nur bei Zweifeln an derVermutung des § 41 II Halbs. l VwVfG NW denNachweis über den Zugang und den Zeitpunkt desZugangs aufzuerlegen, würde leer laufen, wenn jedeauch noch so entfernt liegende Möglichkeit dieBeweispflicht der Behörde begründen würde.

2. Keine hinreichende Darlegung durch den Kl.Der Kl. ist im vorliegenden Verfahren seinenDarlegungspflichten nicht nachgekommen. Er hatnicht substanziiert Tatsachen vorgetragen, aus denenschlüssig hervorginge, dass der Bescheid vom 24. 6.1997 seinen Prozessbevollmächtigten erst am 30. 6.1997 bekannt gegeben worden ist.

a. Tatsächliche Kenntnisnahme irrelevantR e c h t l i c h u n e r h e b l i c h i s t , d a s s s e i n eProzessbevollmächtigten den Bescheid erst am 30. 6.1997 tatsächlich zur Kenntnis genommen haben. Einespätere tatsächliche Kenntnisnahme begründet alssolche keine Zweifel an dem von § 41 II Halbs. 1VwVfG NW vermuteten Tag der Bekanntgabe. Für dieBekanntgabe eines Verwaltungsaktes kommt esnämlich entsprechend § 130 BGB auf den Zugang unddamit auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme, nichtaber auf die tatsächliche Kenntnisnahme desVerwaltungsaktes an (vgl. nur BVerwG, Buchholz316, § 41 VwVfG, Nr. 2, S. 1). Dem entsprechendwird nach § 41 II Halbs. 1 VwVfG NW der Tag desZugangs vermutet, nicht aber der Tag der tatsächlichenKenntnisnahme des Bescheides, und müssen nach demeindeutigen Wortlaut des § 41 II Halbs. 2 VwVfG NWZweifel am Zugang oder an dem Zeitpunkt desZugangs vorliegen.

b. Zugang über ein PostfachZweifel an der nach § 41 II Halbs. 1 VwVfG NWvermuteten Bekanntgabe am 28. 6. 1997 ergeben sichauch nicht aus dem Vortrag des Kl., der über dasPostfach seiner Prozessbevollmächtigten übermittelteBescheid vom 24. 6. 1997 sei in deren Kanzlei, in derSamstags nicht gearbeitet werde, mit dem Eingangs-stempel vom 30. 6. 1997 abgestempelt worden.

aa. Bekanntgabezeitpunkt bei Einlegung ins Postfach

Dabei kann dahinstehen, ob bei der hier erfolgtenÜbersendung eines Bescheides über ein Postfach dieBekanntgabe an dem Tag erfolgt, an dem der Bescheidin das Postfach des Empfängers einsortiert worden ist(so BVerwG, NJW 1964, 788; VGH München,B a y V B l 1 9 8 3 , 4 3 9 ; S c b o c h / S c h m i d t -Aßmann/Pietzner, § 70 Rdnr. 25 m.w.N.), oder ob eineBekanntgabe am Tag der Einsortierung in das Postfachnur dann anzunehmen ist, wenn nach der Verkehrsauf-fassung erwartet werden kann, dass das Postfach nochan diesem Tag geleert wird (so BVerwG, DVBl 1961,827 und NJW 1960, 1587; BFH, NJW 2000, 1742;BSG, MDR 1978, 83; VGH Kassel, NJW 1968, 1979,1980; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 70Rdnr. 4; Eyermann/Fröhler, VwGO, 10. Aufl., § 70Rdnr. 6; Knack-Hennecke, § 41 Anm. 5.2.1; offengelassen BAG, NJW 1986, 1373, 1374). Der Kl. hatweder substanziiert dargelegt, dass der Bescheid vom24. 6. 1997 nach dem von § 41 II Halbs. 1 VwVfGNW vermuteten Zeitpunkt in das Postfach seinerProzessbevollmächtigten einsortiert worden ist, nochsubstanziiert vorgetragen, dass nach der Verkehrsauf-fassung eine Leerung des Postfachs erst am 30. 6.1997 erwartet werden konnte.

bb. Kein Zugangsbeleg durch Eingangsstempel desRechtsanwalts Der Eingangsstempel vom 30. 6. 1997 belegt nicht,dass der Bescheid erst an diesem Tag in das Postfachder Prozessbevollmächtigten einsortiert worden ist.Das Postfach ist unstreitig am28.6.1997 nicht geleert worden, weil in der Kanzleides Prozessbevollmächtigten (auch) an diesemSamstag nicht gearbeitet worden ist. Da nichts dafürvorgetragen worden ist, dass bei der am 30. 6. 1997erfolgten Abholung der in das Postfach einsortiertenPost kontrolliert worden ist, welche Briefe bereits amSamstag eingelegt worden waren, und dass eine solcheKontrolle am Montag überhaupt noch möglichgewesen wäre, ist nicht auszuschließen, dass allebereits am 28. 6. 1997 in das Postfach einsortiertenPostsendungen und damit - nach der Vermutung des §41 II VwVfG NW - auch der Bescheid vom 24. 6.1997 ebenso wie die am 30. 6. 1997 in das Postfacheingelegten Briefe jeweils den Eingangsstempel 30. 6.1997 erhalten haben.Nach der Verkehrsauffassung konnte von denProzessbevollmächtigten des Kl. erwartet werden, dassihr Pos t fach am 28 .6 .1997 ge leer t wurde .Rechtsanwälte, die für Dritte Rechtsangelegenheitenwahrnehmen, müssen regelmäßig mit dem Eingangfristgebundener Erklärungen rechnen. Fristen können,wie ausgeführt, insbesondere auch an Samstagen zulaufen beginnen. Vor diesem Hintergrund muss einRechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass sämtliche seineMandanten betreffenden Schriftstücke abgeholt

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werden, sofern und sobald dies möglich ist. Unterlässter dies, handelt er auf eigenes Risiko (BFH, NJW2000, 1742). Eine Abholmöglichkeit bestand für dieProzessbevollmächtigten des Kl. [auch] am 28. 6.1997 [wird ausgeführt].

B. Keine Wiedereinsetzung in den vorigen StandWiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 70 II i. V.mit § 60 I bis IV VwGO) hat der anwaltlich vertreteneKl. weder im Verwaltungsverfahren noch imgerichtlichen Verfahren beantragt. Der Senat siehtauch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amtswegen (§ 60 I 4 VwGO) als nicht gegeben an.

C. Keine “rügelose Einlassung”Der Bekl. hat sich auch nicht in der Weise auf dieKlage eingelassen, dass die Versäumung derWiderspruchsfrist unerheblich wäre. Er hat sich imgerichtlichen Verfahren stets auf die Versäumung derWiderspruchsfrist berufen und sich lediglich "vorsorg-lich" bzw. "für den Fall, dass die Klage zulässig wäre",sachlich auf die Klage eingelassen.

Standort: Art. 12 GG Problem: “Berufsregelnde Tendenz”

OVG MÜNSTER, BESCHLUSS VOM 23.03.2001

4 A 2560/00 (NWVBL 2001, 431)

Problemdarstellung:Das OVG Münster hatte vorliegend über dieVoraussetzungen für einen mittelbaren Eingriff in dieBerufsfreiheit des Art. 12 GG zu befinden. BVerwGu n d B V e r f G f o r d e r n h i e r f ü r e i n e s o g e n .“berufsregelnde Tendenz”. Darunter ist zunächst eineMaßnahme zu verstehen, die final in die Berufsfreiheiteingreift (“subjektiv berufsregelnde Tendenz”). DieseRspr. greift das OVG auf, indem es prüft, welcheAbsichten mit der hier in Rede stehenden Vergabe dessogen. “Blauen Engels” verfolgt werden.Darüber hinaus ist anerkannt, dass dem finalenEingriff solche Maßnahmen gleichstehen, die einebesonders hohe Belastungsintensität für denBetroffenen aufweisen (“objektiv berufsregelndeTendenz”). Hierauf geht das OVG nur ansatzweise ein,indem es ausführt, die behaupteten Umsatzeinbußender Kl. seien nicht notwendigerweise auf die Vergabedes “Blauen Engels” zurückzuführen. Prüfungsrelevanz:Die Frage, ob eine Maßnahme mittelbar in dieBerufsfreiheit eingreift, hat insbes. im Hinblick auf diestaatlichen Warnungen gleichermaßen praktischeBedeutung wie Examensrelevanz erlangt. Die RA hathierüber erst in der letzten Ausgabe berichtet (RA2001, 561 m.w.N.). Die fortwährende Aktualität desThemas wird durch immer neue Fallkonstellationengewährleistet (Glykol im Wein; Jugendsekten; BSE-Erreger im Rindfleisch etc.). Zentraler Streitpunkt istimmer die Frage, ob die staatliche Stelle eineE r m ä c h t i g u n g s g r u n d l a g e f ü r d i e v o n i h rausgesprochene Warnung benötigt, was nach der“Wesentlichkeitstheorie” des BVerfG zunächst undvor allem bei einem Grundrechtseingriff der Fall ist.

Diesbezügl. kommt häufig Art. 12 GG in Betracht,wobei sich dann das hier erörterte Problem stellt, unterwe lch en Vorau s s e t z u n g e n e i n e mi t t e lba reSchutzbereichsbetroffenheit einen “Eingriff” darstellt.Bejaht man einen solchen, stellt sich die weitere Frage,ob eine Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist. § 8ProdSichG liefert unproblematisch eine solche,scheitert allerdings für die häufig anzutreffendenWarnungen auf Ministerebene schon an derUnzuständigkeit derselben. Es bleibt dann die - höchststreitige - Frage, ob bereits die Zuständigkeit zurÖffentlichkeitsarbeit (aus dem Ressortprinzip, vgl.Art. 65 S. 2 GG für Bundesminister) i.V.m. demVerhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt, was die Rspr.bejaht, die Lit. ganz überwiegend verneint.In Klausuren lässt sich die Problematik z.B. über eineV e r f a s s u n g s b e s c h w e r d e o d e r e i n e nUnterlassungsanspruch gegen die Warnungen, aberau ch ü b e r A mt s h a f t u n g s a n s p r ü c h e w e g eneingetretener Umsatzeinbußen abprüfen. Vertiefungshinweise:“ “Berufsregelnde Tendenz” in der Rspr.: BVerfGE13, 181, 185; 54, 270; 82, 209, 223; BVerwGE 71,183; 87, 37; VG Köln, RA 1999, 476 = NVwZ 1999,912“ Überblicke zu staatl. Warnungen: Lege, DVBl1999, 569; Di Fabio, JuS 1997, 1“ Weitere Literaturbeiträge: Di Fabio, JZ 1993, 689,694 ff.; Schoch, DVBl 1991, 667

Kursprogramm:“ Examenskurs: “Trockenfisch”“ Examenskurs: “Der Minister und die Sekte”

Leitsatz:Die Vergabe des Umweltzeichens "Blauer Engel”an bestimmte Arbeitsplatz-Computer greift nicht in

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die Berufsfreiheit eines Unternehmers ein, derPVC-Grundstoffe für nicht mit dem Um-weltzeichen gekennzeichnete Geräte herstellt undvertreibt. Sachverhalt:Die Klägerin, ein in England ansässiges Unternehmen,d a s G r u n d s t o f f e f ü r d i e P r o d u k t i o n v o nGebrauchsgegenständen aus PVC, u. a. Arbeitsplatz-Computern, herstellt und vertreibt, wendet sichdagegen, dass der Beklagte mit anderen UnternehmenVerträge über die Benutzung des UmweltzeichensRAL-UZ 78 in den Fassungen ab März 1996 fürumweltgerecht konstruierte Arbeitsplatz-Computer(sog. “Blauer Engel”) abschließt. Ihre Klage wies dasVG ab und führte zur Begründung u. a. aus, es kommenicht darauf an, ob die Vergabe des Umweltzeichensdurch den Beklagten einer gesetzlichen Grundlageb e d ü r f e . D e n n d e r A b s c h l u s s v o nBenutzungsverträgen stelle keinen Eingriff in dasGrundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GGdar, den die Klägerin als in der Europäischen Unionansässiges Unternehmen abwehren könne. Den Antragauf Zulassung der Berufung lehnte das OVG ab. Aus den Gründen:Das Vorbringen der Klägerin begründet keineernst l ichen Zweifel an der Richt igkei t desangefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).Dies gilt zunächst im Hinblick auf ihre Ausführungenzu Art. 12 Abs. 1 GG.

A. Mittelbarer Eingriff in den Schutzbereich des Art.12 I GGDie Vergabe des Umweltzeichens "Blauer Engel" fürbestimmte Personal-Computer beeinträchtigt dieKlägerin zwar nicht unmittelbar in ihren beruflichenBetätigungsmöglichkeiten. Sie kann sich abermittelbar dadurch nachteilig auf ihre Absatzchancenauswirken, dass Kunden und Händler sich für diedamit gekennzeichneten Produkte entscheiden unddeshalb der Absatz der von der Klägerin hergestelltenund vertriebenen PVC-Grundstoffe, die in dengekennzeichneten Geräten nicht verwendet werden,zurückgeht.

B. Jedoch keine berufsregelnde TendenzDass auch solche mittelbaren Wirkungen unterbestimmten Voraussetzungen Eingriffe in Art. 12 Abs.1 GG darstellen können, ist anerkannt (vgl. BVerwGE71, 183, 191 [Veröffentlichung von Arzneimittel-Transparenzlisten]; 87, 37, 42 [Veröffentlichung einerListe mit Glykol kontaminierter Weine]). Diesebesonderen Voraussetzungen liegen hier jedoch nichtvor.

I. Keine finale Verringerung der Absatzchancen derKl. selbstEs kann zunächst keine Rede davon sein, dass durchdie Vergabe des Umweltzeichens die Absatzchancend e r K l ä g e r i n z i e l g e r i c h t e t i m S i n n e d e rRechtsprechung des BVerwG beeinträchtigt werdensollen.Es spricht schon vieles dafür, dass es sich bei derVergabe des "Blauen Engels" von der Zielrichtung hernicht um eine wirtschaftslenkende, sondern um eineaus Gründen des Umweltschutzes erfolgte Maßnahmehandelt. Die Kennzeichnung eines Produkts mit dem"Blauen Engel" soll eine Einkaufshilfe für denVerbraucher sein ("Umwelt-Wegweiser"), will dieHersteller motivieren, umweltfreundliche Produkte zuentwickeln und anzubieten und kann auch eineVertriebshilfe für den Handel sein [...]. Arbeitsplatz-Computer erhalten das Umweltzeichen RAL-UZ 78nur dann, wenn sie bestimmte Anforderungen inBezug auf die Langlebigkeit der Geräte, denBildschirm, die Rücknahme der Geräte, dierecyclinggerechte Konstruktion, die Verringerung derKunststoffsortenvielfalt für Gehäuseteile, die Material-anforderungen an die Kunststoffe der Gehäuse undGehäuseteile, die Materialanforderungen an dieLeiterplatten, die Kennzeichnung von Kunststoffen,d i e Geräuschemiss ion , d i e Ba t t e r i en , denEnergieverbrauch und die Verpackung erfüllen (RAL-UZ 78, Ausgabe 1/1999).

II. Keine finale Verringerung der Absatzchancen dervon der Kl. hergestellten ProdukteIn jedem Fall aber wird durch die Vergabe bzw.Nichtvergabe des Umweltzeichens der für einezielgerichtete Maßnahme erforderliche individuelleBezug zur beruflichen Betätigung der Klägerin, alsozu den Absatzchancen der von ihr hergestellten undvertriebenen PVC-Vorprodukte, nicht herbeigeführt.

1. Kein Bezug zur Kl. als HerstellerinFür den Verbraucher, dessen Kaufverhalten letztlichfür die Absatzchancen der Computer ausschlaggebendist, ist schon nicht ohne weiteres erkennbar, ob dieVergabe des Umweltzeichens bei Personal-Computernüberhaupt mit der Nichtverwendung von PVC imZusammenhang steht. Dies erschließt sich erst nach ei-nem Studium der Vergabeanforderungen, derenKenntnis beim Verbraucher regelmäßig nichtvorausgesetzt werden kann. Umgekehrt lässt dieNichtvergabe des "Blauen Engels" auch in Kenntnisder Vergabeanforderungen noch keinen Rückschlussdarauf zu, dass bei der Herstellung der Geräte PVC-Grundstoffe verwendet worden sind; denn die Vergabedes Umweltzeichens kann auch an der Nichterfüllunganderer Voraussetzungen, etwa der zulässigenGeräuschemission, gescheitert sein. Davon abgesehen

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bleibt dem Verbraucher verborgen, welchesUnternehmen die für die Fertigung der Personal-Computer verwendeten PVC-Grundstoffe hergestelltund vertrieben hat. Demgemäß hat auch das BVerwGin dem von der Klägerin zitierten Urteil vom 18.4.1985 (3 C 34.84) eine berufsregelnde Tendenz u.a. nurdeshalb bejaht, weil sich das mit amtlicher Autoritätausgestattete und veröffentlichte Werturteil auf einkonkretes Erzeugnis bezog und deshalb die Absatz-möglichkeiten des jeweiligen Herstellers beeinflussteund den Ruf seiner Firma beeinträchtigte. ÄhnlicheErwägungen lagen dem bereits zitierten Urteil desBVerwG (E 87, 37 ff.) zu Grunde.

2 . K e i n e V e r d r ä n g u n g s a b s i c h t b z g l . d e rProduktgruppeOb eine berufsregelnde Tendenz auch dannanzunehmen wäre, wenn der Hersteller eines Produktsnicht erkennbar ist, aber eine von ihm auf den Marktgebrachte Produktgruppe eindeutig bezeichnet wirdund die Behörde die Absicht hat, die gesamteProduktgruppe vom Markt zu verdrängen (vgl. dazuHessVGH, DÖV 1995, 77, 78, unter Hinweis aufLeidinger, DÖV 1993, 925, 930), bedarf keinerEntscheidung. Denn ein solcher Fall liegt hier nichtvor. Gegen eine Verdrängungsabsicht spricht der Umstand,dass die Vergabe des "Blauen Engels" gar nichtgeeignet ist, eine Marktverdrängung von PVC-Grundstoffen zu bewirken. Zum einen ist - wiedargelegt - dem Verbraucher regelmäßig nicht

bekannt, ob die Vergabe des Umweltzeichens beiArbeitsplatz-Computern mit der Nichtverwendung vonPVC-Grundstoffen zusammenhängt. Zum anderen hatdas Verwaltungsgericht zutreffend darauf hin-gewiesen, dass der Markt für PVC-Vorprodukte überden Markt für Arbei tsp la tz-Computer wei thinausreicht. Bei den von der Klägerin behauptetenSchwierigkeiten beim Absatz ihrer PVC-Vorproduktehandelt es sich auch nicht um im Sinne der Recht-sprechung des BVerwG voraussehbare und in Kaufgenommene Nebenfolgen der Vergabe des Umwel-tzeichens (BVerwGE 87, 37, 43 f.). Dies würdevoraussetzen, dass in der Nichtvergabe des "BlauenEngels" eine individualisierte negative Äußerung überden Wert der von der Klägerin hergestellten undvertriebenen PVC-Vorprodukte zu sehen wäre. Ausden bereits genannten Gründen ist dies aber nicht derFall. Insoweit unterscheidet sich der dem vorliegendenVerfahren zu Grunde liegende Sachverhalt von jenem,über den das BVerwG in der sog. “Warentest-Entscheidung” zu befinden hatte (vgl. BVerwG, NJW1996, 3161).

3. Keine Vorhersehbarkeit der FolgenAußerdem fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass derBeklagte die aus der Vergabe des "Blauen Engels" fürdie im Ausland ansässige Klägerin resultierenden in-dividuellen wirtschaftlichen Folgen hätte voraussehenkönnen. Schon die Größe des in- und ausländischenMarktes für PVC-Vorprodukte spricht gegen einesolche Vorhersehbarkeit.

Standort: Verwaltungsrecht AT Problem: VA-Begriff

OVG MÜNSTER, BESCHLUSS VOM 22.01.2001

19 B 1757/00 (NJW 2001, 3427)

Problemdarstellung:Das OVG Münster verneint in der vorliegendenEntscheidung den Verwaltungsaks-Charakter derAnordnung zur Beibringung eines “medizinisch-p s y c h o l o g i s c h e n G u t a c h t e n s ” d u r c h d i eFahrerlaubnisbehörde. Diese Anordnung enthalte

weder Regelungswirkung, noch sei sie - wie ein VA -der Bes tandskra f t f äh ig und se lbs t s t änd igvollstreckbar. Das Gericht verteidigt sodann diese Ansicht gegen dieG e g e n m e i n u n g . S o k ö n n e n i c h t v o n d e rGrundrechtsrelevanz der Maßnahme auf derenRegelungswirkung geschlossen werden, da einGrundrechtseingriff mit dem heute herrschendenerweiterten Eingriffsbegriff auch durch mittelbares

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und/oder faktisches Verhalten möglich sei, also geradekeine unmittelbare Rechtswirkung voraussetze. Zudementspreche die Einordnung der Maßnahme alslediglich vorbereitender Mitwirkungsakt auch demWillen des Gesetzgebers. Dass für ähnlicheMaßnahmen (namentlich die Anordnung derTeilnahme an einem Aufbauseminar nach dem StVG)von der h.M. der VA-Charakter bejaht werde, änderehieran mangels Vergleichbarkeit der Maßnahmennichts.

Prüfungsrelevanz:Die Entscheidung ist vor allem von Bedeutung für dieFrage nach den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen dieBeibringungsanordnung. Handelt es sich nicht umeinen VA, ist keine Anfechtungsklage gem. § 42 I,1.Fall VwGO möglich, demgemäß in aller Regel gem.§ 68 I 1 VwGO auch kein Widerspruch. Es bliebe eineFeststellungs- oder Leistungsunterlassungsklage, derenZulässigkeit jedoch an § 44a VwGO scheitert.Rechtsschutz gegen die Beibringungsanordnung selbstist folglich nicht möglich.Der Betroffen kann also nur gegen die (derNichtbeibr ingung des Gutachtens folgende)Entziehung der Fahrerlaubnis klagen. Diese ist ein VAund daher unproblematisch anfechtbar. Prüft das VGdann die Rechtmäßigkeit der Entziehung (§ 113 I 1VwGO), wird es in der formellen Rechtmäßigkeitunter “Verfahren” mit zu prüfen haben, ob dieAnordnung, ein Gutachten beizubringen, rechtmäßigwar oder - etwa wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit -ein Verfahrensfehler vorgelegen hat. Vertretbar ist esauch , d iese Frage e r s t in de r mate r ie l l enRechtmäßigkeit unter dem Tatbestandsmerkmal der“Nichteignung” zum Führen eines KfZ zu prüfen;denn von der Nichtbeibringung des Gutachtens darfnur dann auf die Nichteignung geschlossen werden,wenn die Beibr ingungsanordnung ihrersei tsrechtmäßig war.Ferner bleibt die Möglichkeit, die Kosten einesGutachtens, dessen sich der Betroffene trotz derRechtswidrigkeit der Beibringungsanordnungunterzogen hat, um nicht seine Fahrerlaubnis zugefährden, von der Behörde im Wege einesAmtshaftungsprozesses zurück zu fordern. Hier wirdmit Blick auf § 839 III BGB zu prüfen (und nach demoben Gesagten zu verneinen) sein, ob der Betroffenesich nicht gegen die Beibringungsanordnung selbsthätte wehren können und müssen.

Vertiefungshinweise:“ Für den VA-Charakter der Anordnung seit Geltungder FeV: Schreiber, ZRP 1999, 519 m.w.N.“ Gegen den VA-Charakter der Anordnung auch nach

Geltung der FeV: Jagusch/Hentschel , Stra-ßenverkehrsR, 35. Aufl., § 11 FeV Rdnr. 26 m.w.N.

Kursprogramm:“ Examenskurs: “Rentnerführerschein”

Leitsatz:Die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde, einm e d i z i n i s c h - p s y c h o l o g i s c h e s G u t a c h t e nbeizubringen, ist auch unter Geltung der Fahrer-laubnisverordnung kein (selbstständig an-fechtbarer) Verwaltungsakt.

Sachverhalt: Der Ast. war 1995 als Fahrer eines Lkw mit einerBlutalkoholkonzentration (BAK) von 2,12 ‰ und1999 mit einem Fahrrad mit einer BAK von 2,46‰ imöffentlichen Straßenverkehr aufgefallen. Nachdem erder Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde, ein medizi-nisch-psychologisches Gutachten beizubringen, nichtnachgekommen war, entzog diese dem Ast. unterAnordnung der sofort igen Vol lz iehung dieFahrerlaubnis. Den Antrag auf Wiederherstellung deraufschiebenden Wirkung seines hiergegen eingelegtenWiderspruchs lehnte das VG ab. Das OVG ließ dieBeschwerde nicht zu.

Aus den Gründen: Zu der aufgeworfenen Frage, ob die Anordnung, einmedizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen,ein Verwaltungsakt ist, besteht ein grundsätzlicherKlärungsbedarf nicht, weil sie sich aus denmaßgeblichen Rechtsvorschriften unter Einbeziehungder einschlägigen Rechtsprechung zum vor In-Kraft-Treten der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) geltenden §15 b II StVZO a.F. beantworten lässt, ohne dass einweitergehender, in einem Beschwerdeverfahren zubefriedigender Klärungsbedarf besteht. Die Frage istnämlich auch auf der Grundlage der am 1. 1. 1999 inKraft getretenen FeV eindeutig zu verneinen.

A. Definition der “Regelung” i.S.d. § 35 S.1 VwVfGDie in Rede stehende Anordnung erfüllt nämlich nichtdas nach § 35 VwVfG NW für einen Verwaltungsaktkonstitutive Merkmal der Regelung eines Einzelfallsmit unmittelbarer Rechtswirkung; dieses ist nur erfüllt,wenn durch eine behördliche Maßnahme einLebenssachverhalt einseitig durch Setzen einerRechtsfolge verbindlich gestaltet wird, in dem Rechteoder Pflichten bzw. ein Rechtsstatus unmittelbar be-gründet, aufgehoben, geändert oder festgestellt bzw.verneint werden, und insofern eine "Entscheidung inder Sache" (vgl. § 46 VwVfG NW) getroffen wird.

B. Abgrenzung zu Vorbereitungshandlungen

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Die Anordnung der Beibringung eines Gutachtensdient nach dem ausdrücklichen Wortlaut in §§ 11 II,I I I , 1 3 , 1 4 F e V " z u r V o r b e r e i t u n g " v o nEntscheidungen über die Erteilung oder Verlängerungder Fahrerlaubnis oder über die Anordnung vonBeschränkungen oder Auflagen bzw. - i. V. mit § 46III FeV - über die Entziehung der Fahrerlaubnis. Nachden genannten Vorschriften sowie §§ 2 VII, VIII, 3 I 3StVG ist sie darauf gerichtet, auf Grund bekanntgewordener, in § 13 Nr. 2 und § 14 I, II FeVtypisierend erfasster Tatsachen begründete Bedenkengegen die Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers oder -inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären.Die an einen Fahrerlaubnisinhaber gerichteteAnordnung ist nach ihrem so bestimmten Zwecklediglich eine vorbereitende Maßnahme, die der Sach-verhaltsaufklärung im Hinblick auf die später zutreffende Sachentscheidung über die Entziehung derFahrerlaubnis dient. Dies war in der ständigenRechtsprechung zu § 15 b II StVZO a.F. anerkannt(vgl. BVerwGE 34, 248, 249; BVerwG, NJW 1990,2637; BVerwG, Buchholz 442.16, § 15 b StVZO, Nr.23 und Nr. 24).

C. Keine Neubewertung nach Erlass der FeVDaran, dass die Anordnung der Beibringung einesGutachtens kein (selbstständig anfechtbarer)Verwaltungsakt ist, hat sich durch die einschlägigenVorschrif ten der FeV nichts geändert (vgl .Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 35. Aufl., § 11FeV Rdnr. 26, und § 46 FeV Rdnr. 5; a.A. Schreiber,ZRP 1999, 519).

I. Konkretiesierung der MitwirkungspflichtSoweit in § 11 VI 2 und 3 FeV zum Inhalt derAnordnung bestimmt ist, dass die Behörde demBetroffenen mitteilt, dass er sich innerhalb einer vonihr festgelegten Frist auf seine Kosten derUntersuchung "zu unterziehen" und das Gutachten"beizubringen hat" und die Fahrerlaubnisbehördedarüber "zu unterrichten hat", welche Stelle er mit derUntersuchung beauftragt hat, werden nicht durch dieAnordnung - im Sinne einer Regelung - unmittelbarselbstständige Handlungspflichten des Betroffenenbegründet. Nach dem Wortlaut des Satzes 2, dassnämlich dem Betroffenen das Vorstehende "mitgeteilt"wird, ist schon nicht ersichtlich, dass insoferneigenständig durch die Anordnung die Pflicht des Be-troffenen, sich der Untersuchung zu unterziehen unddas Gutachten beizubringen, erzeugt werden soll.Vielmehr wird eine entsprechende Pflicht allgemeinvorausgesetzt. Nichts anderes gilt für die von dererstgenannten Pflicht abhängige Pflicht, die Behördeüber die beauftragte Stelle zu unterrichten. Diese - inden vorstehend bezeichneten Vorschriften der FeVvorausgesetzte und ausgestattete Pflicht knüpft an die

E i g n u n g d e s B e t r o f f e n e n a l s g e s e t z l i c h eVorausse t zung fü r d i e E r t e i l u n g u n d d a sBehaltendürfen der Fahrerlaubnis an, nämlich daran,dass der Fahrerlaubnisbewerber bzw. -inhaber die zumFü h r en von Kra f t f ah rzeugen no twen d i g enkörperlichen und geistigen Anforderungen erfüllenmuss (vgl. §§ 2 II 1 Nr. 3, IV, 3 I StVG, §§ 11 I, 46 IF e V ) ; s i e h a t , d a d i e E i g n u n g a l sPersönl ichkei tsmerkmal individuel l -konkretnaturgemäß nicht ohne die Mitwirkung des Be-troffenen geprüft werden kann, ihre Grundlage in derallgemeinen Pflicht des Betroffenen, an derAufklärung des für die Prüfung der Eignungerheblichen Sachverhalts mitzuwirken. Bei Zweifelnan der Eignung hat dieser das Seinige zur Klärungdieser Zweifel beizutragen. Die Anordnung, einGutachten beizubringen, konkretisiert mit ihrem in §11 IV FeV bestimmten Inhalt lediglich dieseallgemeine Mitwirkungspflicht zum Zwecke dervorbereitenden Sachverhaltsaufklärung (vgl. zumfrüheren Recht BVerwGE 11, 274; 34, 248 undBVerwG, NZV 1998, 300).

II. Keine der Bestandskraft fähige Feststellung Anhaltspunkte dafür, dass die mit der Anordnungbewirkte Konkretisierung darüber hinaus nunmehr aufeine verbindliche oder gar der Bestandskraft fähigeFeststellung des Inhalts der Mitwirkungspflichtgerichtet ist, geben die maßgeblichen Vorschriften derFeV nichts her.

III. Keine VollstreckbarkeitEine Regelungswirkung der Anordnung ergibt sichauch nicht daraus, dass die Mitwirkungspflichtzwangsweise durchgesetzt werden könnte. Das istnämlich nach wie vor nicht der Fall. Wie zurAnordnung nach § 15 b I I S tVZO in derRechtsprechung (vgl. BVerwGE 34, 248; BVerwG,NZV 1998, 300; BVerwG, NJW 1989, 1623)anerkannt war, darf die Fahrerlaubnisbehörde, wenndie Anordnung nicht befolgt wird, (lediglich) darausauf die Nichteignung schließen. Dies ist nunmehr in §11 VIII FeV normiert. Die dort angeordneteRechtsfolge, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrerEntscheidung (über Erteilung oder Entziehung derFahrerlaubnis) auf die Nichteignung des Betroffenenschließen darf, ist unabhängig davon, ob ihr insofernErmessen dahin eingeräumt ist, ob sie unter denbestimmten Voraussetzungen den Schluss auf dieNichteignung zieht oder davon absieht, nichtunmittelbar durch die Anordnung gesetzt; sie greiftvielmehr erst, wenn der Betroffene sich weigert, sichuntersuchen zu lassen, oder das geforderte Gutachtennicht fristgerecht beibringt, und ist daher eine unterden genannten Voraussetzungen eintretende mittelbareFolge.

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Nichts anderes folgt daraus, dass die Fahr-erlaubnisbehörde in den Fällen des § 13 und imÜbrigen des § 14 I 1, II FeV - anders als nach § 1 IFeV - verpflichtet ist, die Beibringung einesGutachtens anzuordnen. Denn die so bestimmteRechtsfolge für das Handeln der Behörde legt nichtauch die Handlungsform fest, nämlich ob die Behördedurch Erlass eines Verwaltungsakts oder durch eineschlichte Aufforderung ihre Pflicht erfüllt bzw. ihreBefugnis ausübt.

D. Keine Vergleichbarkeit mit der Anordnung zurTeilnahme an einem Aufbauseminar nach dem StVGD a f ü r , d a s s d i e s t r e i t i g e A n o r d n u n g e i nVerwaltungsakt ist , können ferner nicht dieVorschriften über die Anordnung der Teilnahme desFahrerlaubnisinhabers an einem Aufbauseminar inner-halb der Probezeit (§ 2a II 1 Nr. 1 StVG) bzw. beiAnwendung des Punktsystems (§ 4 III 1 Nr. 2 StVG)herangezogen werden. Die nach § 2a III bzw. § 4 VII 1 StVG derVollziehung zugängliche Anordnung des Aufbausemi-nars, gegen die Widerspruch und Anfechtungsklagegem. § 2a VI bzw. § 4 VII 2 StVG keineaufschiebende Wirkung haben, ist eine mit derAnordnung der Beibringung eines Gutachtens beiEignungszweifeln nicht vergleichbare Maßnahme; siedient nicht als vorbereitende Maßnahme derSachverhaltsaufklärung, sondern ist unmittelbar eineMaßnahme zum Schutz vor Gefahren, die vomFahrzeugführer bzw. -halter ausgehen, wenn er nach §2a II StVG einschlägige Zuwiderhandlungen begangenb z w. nac h § 4 I S t V G w i e d e r h o l t g e g e nVerkehrsvorschriften verstoßen hat.

E. Keine GrundrechtsrelevanzSchließlich ist die hier in Rede stehende Anordnung(entgegen Schreiber, ZRP 1999, 519, 522) auch nichtdeshalb eine (selbstständig anfechtbare) Regelung,weil die Anordnung verbunden mit der Ankündigungder Rechtsfolge der Fahrerlaubnisentziehung für denFall der Weigerung, bereits einen Eingriff in dasgrundrechtlich (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG)geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt(vgl. BVerfGE 89, 69, 84).

I. Kein Rückschluss von “Eingriff” auf “Regelung”Die Bejahung des Eingriffscharakters einer Maßnahmehat nicht notwendig zur Folge, dass diese auch Rege-lungscharakter hat, was, wie ausgeführt, hier zuverneinen ist. Denn ein Grundrechtseingriff setzt nichteine finale, unmittelbare oder rechtliche Einwirkungauf den grundrechtlichen Schutzbereich voraus, kannvielmehr auch bei mittelbarer oder nur faktischerEinwirkung vorliegen (vgl. Pieroth/Schlink Grund-rechte StaatsR II, 15. Aufl., Rdnrn. 238 ff.).

II. Effektiver Rechtsschutz trotzdem möglichDer mit Blick auf den Grundrechtseingriff geboteneRechtsschutz erfordert nicht, dass die in den Schutz-bere ich e inwi rkende s t aa t l i che Maßnahmeselbstständig der gerichtlichen Kontrolle unterzogenwerden kann; dies hat auch das BVerfG in dergenannten Entscheidung nicht zu Grunde gelegt. Diestreitige Anordnung unterliegt der gerichtlichenKontrolle im Rahmen eines die Erteilung oderEntziehung der Fahrerlaubnis betreffenden Verfahrens,in dem der Betroffene die Rechtswidrigkeit derAnordnung und dami t insbesondere de renUnverhältnismäßigkeit geltend machen kann (vgl.BVerwG, Buchholz 442.16, § 15 b StVZO Nr. 23). Entsprechend den zu § 15 b II StVZO a.F. in derRechtsprechung (vgl. nur BVerwG, Buchholz 442.16,§ 15 b StVZO Nr. 24 und 28) aufgestellten Grund-sätzen ist der Schluss auf die Nichteignung nurzulässig, wenn die Anordnung der Beibringung einesGutachtens rechtmäßig, insbesondere anlassbezogenund verhältnismäßig war und für die Weigerung, dasGutachten beizubringen, kein ausreichender Grundbesteht (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 18. 9.2000 - 19 B 966/00; Jagusch/Hentschel, § 11 FeVRdnrn. 22, 24). Die Anordnung ist gerichtlich daraufzu prüfen, ob die in den einschlägigen Bestimmungender FeV normierten Voraussetzungen erfüllt sind unddamit im Sinne der früheren Rechtsprechung aufGrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkteberechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung desBetroffenen bestehen, und ob die angeordneteUntersuchung ein geeignetes und verhältnismäßigesMittel ist, um gerade die konkret entstandenenEignungszweifel aufzuklären. Ferner erstreckt sich diegerichtliche Prüfung auch darauf, ob die Anordnunghinreichend bestimmt ist (vgl. OVG Münster, NZV2001, 95). Kommt es zu keinem Verfahren betreffenddie Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis, weildas Gutachten zu einem positiven Ergebnis gelangtoder die Fahrerlaubnisbehörde aus sonstigen Gründennicht auf die Nichteignung des Betroffenen schließt,kann wegen der Kos ten de r angeordne tenUntersuchung auf deren Erstattung geklagt werden(vgl. BVerwG, NJW 1990, 2637).

F. ZusammenfassungDanach bezwecken die hier zum 1. 1. 1999 in Kraftgetretenen Vorschriften keine Änderung derRechtslage hinsichtlich der Frage, ob die Anordnungder Beibringung eines Gutachtens ein (selbstständiganfechtbarer) Verwaltungsakt ist. Dies entspricht auchdem Willen des Vorschriftengebers. Denn nach deramtlichen Begründung zur FeV (veröff. im VkBl1998, 1049, 1068) kann die Anordnung "- wie bereitsdurch die Rechtsprechung des BVerwG festgelegt -nur zusammen mit einer anschließend ablehnenden

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Entscheidung (Entziehung oder Versagung) an- gefochten werden".

Standort: Amtshaftung Problem: Faktisches Unterlassen als Ausschlussgrund

BGH, URTEIL VOM 05.07.2001

III ZR 11/00 (BAYVBL 2001, 695) Problemdarstellung:Im vorliegenden Fall hatte ein Bauherr die ihm erteilteStilllegungsverfügung mit aufschiebender Wirkungangefochten, gleichwohl aber anschließend dieBauarbeiten eingestellt. Der BGH hatte nun zu prüfen,ob dieses Verhalten zum Ausschluss möglicherA m t s h a f t u n g s a n s p r ü c h e w e g e n d e sVerzögerungsschadens führt. Entgegen der Vorinstanzverneint das Gericht dies sowohl im Hinblick auf §839 III BGB als auch bzgl. § 254 BGB. Der Senatstellt zunächst klar, dass die faktische Befolgung derStilllegungsverfügung nicht mit dem rechtlichenUnterlassen der Einlegung eines Rechtsbehelfs i.S.d. §839 III BGB vergleichbar ist. Faktisches Verhalten seivielmehr allein im Hinblick auf einen Verstoß gegendie Schadensminderungspflicht nach § 254 BGBrelevant. Auch hier gelte allerdings ein strengerMaßs tab , da de r Bauher r , de r t ro tz e ine rStilllegungsverfügung weiter baue, befürchten müsse,dass seine Aufwendungen i.E. nutzlos seien, wenn sichherausstel le, dass das Vorhaben tatsächlichbaurechtlich unzulässig sei.Der BGH macht darüber hinaus interessanteAusführungen zum Streitgegenstand: Dieser bestimmtsich bekanntlich in st. Rspr. nach dem Antrag und demdiesem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (sogen.“ z w e i g l i e d r i g e r ” o d e r “ d u a l e r ”Streitgegenstandsbegriff). Letzterer sei nicht zu eng zufassen; komme das Gericht zu dem Ergebnis, dassAmtshaftungsansprüche im Hinblick auf dieStilllegungsverfügung wegen deren Rechtmäßigkeit(und damit fehlender Amtspflichtverletzung bei derenErlass) nicht bestehen, habe es weiter zu prüfen, obeine Amtspflichtverletzung nicht im Erlass der (zurStilllegungsverfügung zwangsläufig in Widerspruchstehenden) Baugenehmigung liegen könne. Dies gelteselbst dann, wenn der Kl. sich darauf nichtausdrücklich berufe. Es genüge, dass er eineneinheitlichen Lebenssachverhalt schildere (hier etwadie Errichtung seines Bauwerks), um beideV e r w a l t u n g s a k t e z u e i n e m e i n h e i t l i c h e nStreitgegenstand zu verknüpfen und somit in denProzess einzuführen.

Prüfungsrelevanz:Die Ausführungen zum Streitgegenstand sind für

Studenten, besonders aber für Referendare interessant.Dass es von elementarer Wichtigkeit ist, denStreitgegenstand zu bestimmen, wenn man ein Urteilentwerfen oder gutachterlich vorbereiten soll, liegt aufder Hand. Schon wegen des Grundsatzes “ne ultrap e t i t a ” ( § 8 8 V w G O ) a l s A u s f l u s s d e rDispositionsmaxime darf nichts zugesprochen (undi.Ü. auch nichts abgewiesen) werden, was der Kl. nichtbeantragt, d.h. zum Gegenstand des Prozesses gemachthat.Zum Verhältnis von legalisierender Genehmigung undanschließender, der Genehmigung widersprechenderOrdnungsverfügung sind in der Vergangenheit bereitshochinteressante Urteile ergangen, über welche die RAausführlich berichtet hat (RA 2000, 661 = BGH, DVBl2000, 904). Danach ist anerkannt, dass eineOrdnungsverfügung (hier: Stilllegung) allein deshalbrechtswidrig sein kann, weil die Behörde die zuvorerlassene, legalisierende Genehmigung nichtaufgehoben hat. Dies wird in der vorliegendenEntscheidung nicht hinreichend klar. Sie darf alsonicht so gelesen werden, dass zwangsläufig entwederdie Baugenehmigung oder die Stilllegungsverfügungrechtswidrig waren oder - anders formuliert - dieRechtswidrigkeit der Baugenehmigung zwangsläufigdie Rechtmäßigkeit der Stilllegungsverfügungbedeutet und vice versa. Vielmehr können beiderechtswidrig sein: Die Baugenehmigung wegen einesV e r s t o ß e s g e g e n B a u o r d n u n g s - o d e rBauplanungsrecht, die Stilllegungsverfügung wegendes Widerspruchs zur (möglicherweise rechtswidrigen,aber mangels Rücknahme jedenfalls wirksamen unddamit legalisierend wirkenden) Baugenehmigung. Zuden Folgeproblemen (v.a. konkludente Rücknahme derGenehmigung durch Erlass der Ordnungsverfügungund hypothetischer Kausalverlauf) sei auf dieProblemdarstellung in RA 2000, 661 sowie die Gründeder o.g. Entscheidung verwiesen.

Vertiefungshinweise:“ Legalisierungswirkung von Genehmigungen: BGH,RA 2000, 661 = DVBl 2000, 904; Ehlers, Jura-Karteikarte 2000, VwVfG § 43/3“ Zum Streitgegenstandsbegriff: BGH, NJW 1994,460; NJW 1995, 967; NJW-RR 1991, 1279“ Aktuelle Urteile zur Amtshaftung: BGH, RA 2001,1 3 1 ( P a s s i v l e g i t i m a t i o n ) ; R A 2 0 0 1 , 1 3 3(Bindungswirkung von VG-Entscheidungen); RA2001, 316 (Drittbezug der Amtspflicht)

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Kursprogramm:“ Examenskurs: “Die vergessene Motorsäge”“ Examenskurs: “Das illegale Wochenendhaus”

Leitsätze:1. Zum Gebrauch eines Rechtsmittels im Sinne des§ 839 Abs. 3 BGB gehört es nicht, dass derBauherr, der gegen eine BaustilllegungsverfügungWiderspruch eingelegt hat, wegen dessen auf-schiebender Wirkung die bereits begonnenenBauarbeiten fortsetzt.2. Stützt der Kläger einen Amtshaftungsanspruchdarauf, dass sein Bauvorhaben trotz einer erteiltenBaugenehmigung stillgelegt worden ist, so muss dasGericht, das die Stilllegung für rechtmäßig hält,weil die erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ge-w e s e n s e i , a u c h p r ü f e n , o b d e rAmtshaftungsanspruch sich aus dem Erlass derBaugenehmigung herleiten lässt (Fortführung derGrundsätze des Senatsurteils vom 20.11.1986 - IIIZ R 2 0 6 / 8 5 , B G H R B G B § 8 3 9 A b s . 1Streitgegenstand 1).

Sachverhalt:Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüched e r K l . , w e l c h e r d i e s e i m W e g e d e sAmtshaftungsprozesses gegen die Bekl. geltendmachen. Die Begenehmigungsbehörde verfügte EndeJanuar 1995 die Stilllegung des Bauvorhabens der Kl.,für welches diesen zuvor eine wirksame (Teil-)Baugenehmigung erteilt worden war. Die Kl. legtenhiergegen mit aufschiebender Wirkung Widerspruche in , s t e l l t e n a b e r g l e i chwo h l d i e we i t e reBauausführung zurück bis Ende Mai 1995 zurück. DieStilllegungsverfügung wurde allerdings bereits imMärz 1995 wieder aufgehoben.Das Berufungsgericht kommt zu dem Ergebnis, dassder Amtshaftungsanspruch der Kl. bereits an § 839 IIIBGB, jedenfalls aber an § 254 BGB scheitere, weildiese trotz aufschiebender Wirkung des Widerspruchsdie weitere Bauausführung eingestellt haben. Zudemfehle es zumindest für die Zeit zwischen derRücknahme der Stilllegungsverfügung im März 1995und dem Beginn des Weiterbaus im Mai 1995 an derKausalität zwischen Stilllegungsverfügung undSchaden. Die Revision hatte insoweit Erfolg.

Aus den Gründen:Die Begründung, mit der das Berufungsgericht denAmtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34G G ) , s o w e i t d i e s e r a u f d e n E r l a s s d e rStilllegungsverfügung vom 27./31.1.1995 gestütztwird, verneint hat, is t nicht tragfähig. DasBerufungsgericht lastet den Klägern an, sie hätten diefaktische Möglichkeit des Weiterbaus nach Erlass der

Stilllegungsverfügung nicht genutzt. Hierin erblicktd a s B e r u f u n g s g e r i c h t e i n e s c h u l d h a f t eRechtsmittelversäumung im Sinne des § 839 Abs. 3B G B o d er e in z u m v ö l l i g e n W e g f a l l d e sSchadensersatzanspruchs führendes Mitverschuldenim Sinne des § 254 Abs. 1 BGB.

A. Kein Ausschluss nach § 839 III BGBDer Amtshaftungsanspruch kann hier indessen nichtbereits an § 839 Abs. 3 BGB scheitern. Die Klägerhatten nämlich mit Einlegung des Widerspruchs vondem ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfgegen die Stilllegung Gebrauch gemacht. Die weitereFrage, ob sie mit Rücksicht auf die aufschiebendeWirkung dieses Widerspruchs gehalten waren, dieBautätigkeit faktisch fortzuführen, ist keine solche desPrimärrechtsschutzes. Vielmehr ist der Revision darinb e i z u p f l i c h t e n , d a s s d i e A u s n u t z u n g d e raufschiebenden Wirkung des Widerspruchs durchsch l i ch t f ak t i sches We i t e rbauen n i ch t a l s"Rechtsmittel" angesehen werden kann. Zutreffendweist die Revision weiter darauf hin, dass es auchnicht zum Gebrauch des Rechtsbehelfs desWiderspruchs gehört, über die Herbeiführung vondessen aufschiebender Wirkung hinaus einendrohenden Schaden durch ganz erhebliche eigene Auf-wendungen zu mindern, zumal dann, wenn - wie hier -aus der Sicht des Bauherrn mit der Möglichkeitgerechnet werden musste, dass sich das Bauvorhabenendgültig als rechtswidrig erwies und die damit ver-bundenen Aufwendungen nutzlos waren. Daherverdient auch die weitere Erwägung der RevisionZustimmung, dass es, um dem Vorrang desPrimärrechtsschutzes zur Geltung zu verhelfen, nichtgeboten ist, dem Geschädigten aufzuerlegen, unterfaktischer Ausnutzung der aufschiebenden Wirkungseines Rechtsbehelfs erhebliche und risikobehafteteAufwendungen zur Schadensvermeidung zu machen.

B. Kein Ausschluss nach § 254 BGBSachgerecht lässt sich die vorliegende Problemstellungvielmehr allenfalls unter dem Gesichtspunkt einerObliegenheit erfassen, Aufwendungen zur Schadens-minderung zu tätigen (§ 254 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2BGB). Dies räumt auch die Revisionserwiderung ein.Ein etwaiges Mitverschulden der Kläger könnteindessen nicht zum Totalverlust des Anspruchs führen.Mit der Einstellung der Bauarbeiten hatten sich dieKläger gerade so verhalten, wie es die Beklagte mitihrer Stilllegungsverfügung bezweckt hatte. Mit dieserVerfügung wurde die Funktion der ursprünglichenTeilbaugenehmigung als Verlässlichkeitsgrundlage fürdie Durchführung der Bauarbeiten aus der Sicht derKläger zumindest nachhaltig beeinträchtigt. Hätten siealso gleichwohl weiter gebaut, so hätten sie sich, fallssich im weiteren Verfahren herausgestellt hätte, dass

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die Stilllegungsverfügung rechtmäßig und dieTeilbaugenehmigung rechtswidrig gewesen war, beider Geltendmachung eines auf die Rechtswidrigkeitder Genehmigung gestützten Amtshaftungsanspruchsihrerseits dem Einwand mitwirkenden Verschuldensausgesetzt gesehen. Es gelten insoweit ähnlicheGrundsätze, wie sie der Senat für die Fortsetzung vonBauarbeiten trotz eines Nachbarwiderspruchs ent-wickelt hat (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 21.6.2001 -III ZR 313/99, zur Veröffentlichung vorgesehen;ferner Senatsurteil vom 16.1.1997, WM 1997, 375,393, insoweit in BGHZ 134, 268 nicht abgedruckt,und dazu Schlick, in: Rinne/Schlick, NVwZ-BeilageII/2000, S. 28). Deswegen ist hier zu Lasten derB e k l a g t e n a n d a s V o r l i e g e n e i n e sanspruchsmindernden Mitverschuldens der Kläger einstrenger Maßstab anzulegen.

C. Zur Kausalität zwischen Stilllegungsverfügung undSchadenAuch die Auffassung des Berufungsgerichts, dieStilllegungsverfügung sei für den Schaden deswegennicht ursächlich geworden, weil sie bereits am23.3.1995 wieder aufgehoben worden sei, dieBauarbeiten hingegen erst Anfang Mai wiederaufgenommen worden seien, vermag den Senat nichtzu überzeugen. Es steht fest, dass die Bauarbeiten wegen desBaustopps zunächst eingestellt wurden. Die Frage, obsie früher als tatsächlich geschehen hätten wiederaufgenommen werden können, ist dementsprechendnicht eine solche der (adäquaten) Kausalität, sondernallenfalls wiederum eine solche des Mitverschuldens,und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass die Kläger esunterlassen haben, durch den rechtzeitigen Weiterbaugegen ihre Schadensminderungspflicht zu verstoßen,wobei in d iesem Zusammenhang der obenbeschriebene strenge Maßstab nicht gelten würde.Nach alledem bedarf es nunmehr der Klärung derFrage, ob die Stilllegungsverfügung tatsächlichrechtswidrig gewesen ist und ob gegebenenfalls dendafür verantwortlichen Amtsträger ein Verschuldentrifft. Diese Frage hat das Berufungsgericht - vonseinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bewusstoffen gelassen.

D. Prüfungsumfang bei der AmtspflichtverletzungDas Berufungsgericht hat sich außerstande gesehen,über einen Amtshaftungsanspruch der Kläger gegend i e B e k l a g t e w e g e n d e s E r l a s s e s d e rTeilbaugenehmigung vom 8.12.1994 zu entscheiden.

Es hält insoweit die Berufung der Kläger gemäß § 519Abs. 3 ZPO für unzulässig, da die Kläger in ihrerBerufungsbegründung das landgerichtliche Urteil,soweit es einen solchen Anspruch verneint hatte, nichtangegriffen hätten. Die insoweit unbeschränkt zu-lässige Revision (§ 547 ZPO) ist ebenfalls begründet.Die hier zu beurteilende Fallkonstellation ähneltderjenigen, die dem Senatsurteil vom 20.11.1986 - IIIZ R 2 0 6 / 8 5 ( B G H R B G B § 8 3 9 A b s . 1Streitgegenstand 1) zugrunde gelegen hatte. Dort hatder Senat folgenden Rechtssatz aufgestellt: “Leitet derKläger einen Amtshaftungsanspruch daraus her, dassdie Rücknahme eines ihm erteilten Bauvorbescheidesrechtswidrig sei, so muss das Gericht, das dieRücknahme für rechtmäßig hält, weil der erteilteVorbescheid rechtswidrig gewesen sei, auch prüfen,ob der Amtshaftungsanspruch sich aus dem Erlass desVorbescheids herleiten lässt.” In dem gleichenVerhältnis wie in jenem Senatsurteil die Rücknahmezum Bauvorbescheid steht hier die Stilllegung zu derTeilbaugenehmigung. Hier wie dort umfasst der Le-benssachverhalt, aus dem die Kläger ihre Ansprüchegegen d ie Beklag te her le i t en , sowohl denUrsprungsbescheid als auch den späteren Ver-waltungsakt, durch den die Rechtsfolgen des Ur-sprungsbescheides beseitigt werden sollten. DieStilllegung lässt sich nur unter Berücksichtigung vonF u n k t i o n u n d F o l g e n d e s u r s p r ü n g l i c h e nVerwaltungsaktes zutreffend beurteilen. Unter diesenU m s t ä n d e n i s t d i e F r a g e , o b d i e U r -sprungsgenehmigung oder aber die Stilllegungr e c h t s w i d r i g w a r u n d d e s h a l b e i n eAmtspflichtverletzung darstellte, lediglich eine solcheder rechtlichen Würdigung des gesamten der Klagezugrundeliegenden Lebenssachverhaltes. Die Fragee i n e r e t wa i g e n R e c h t s w i d r i g k e i t d e s U r -s p r u n g s b e s c h e i d e s k o n n t e n u r d a n nentscheidungserheblich werden, wenn man dieStilllegung für rechtmäßig gehalten hätte, weil die ur-sprüngliche Baugenehmigung rechtswidrig gewesenwar. Deswegen waren die Kläger nicht gehindert, sichin der Berufungsbegründung darauf zu beschränken,aus ihrer Sicht die Rechtswidrigkeit der Stilllegung(und damit inzidenter die Rechtmäßigkeit derUrsprungsgenehmigung) darzulegen. Erwies sich dieseA n n a h m e a l s u n z u t r e f f e n d , m u s s t e d a sBerufungsgericht von Amts wegen prüfen, ob sich derAmtshaftungsanspruch aus dem möglicherweiserechtswidrigen Ursprungsbescheid herleiten ließ.

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Zivilrecht

Standort: Bereicherungsrecht Problem: Anweisung im Drei-Personen-Verhältnis

BGH, URTEIL VOM 24.04.2001VI ZR 36/00 (NJW 2001, 2880)

Problemdarstellung:In diesem Revisionsverfahren hatte der BGH Stellungz u d e m p r o b l e m a t i s c h e n G e b i e t d e rbereicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnisse - hier:sog. Anweisungsfall - zu nehmen.Im vorliegenden Fall hatte ein Darlehensnehmerentgegen einer entsprechenden Vereinbarung seinezustehende Darlehensvaluta einem anderen als demvereinbarten Dritten zukommen lassen. Zu dieserAnweisung kam es durch eine Täuschungshandlungdes Darlehensnehmers gegenüber der Bank. ImFolgenden geht es um die Frage, ob der empfangendeDri t te unmit telbar an die Bank bzw. ihrenRechtsnachfolger die Darlehensvaluta zurückzahlenmuss. Das BerGer. hat einen solchen unmittelbarenBereicherungsanspruch bejaht, da der Dritte infolgeseiner nachträglichen Kenntnis über den fehlendenRechtsgrund nicht mehr schutzwürdig sei und nach §§818 IV, 819 I BGB hafte. Der BGH ist dieser Rechtsansicht entgegengetreten.Ein durch die Täuschung veranlasster Irrtum der Bankbei der Anweisung ändert nichts an der Wirksamkeitder abstrakten, vom Kausalverhältnis abzugrenzendenAnweisung. Die klassischen Ausnahmen für einenu n m i t t e l b a r e n B e r e i c h e r u n g s a n s p r u c h i nDreiecksverhältnissen (vgl. u. Prüfungsrelevanz)liegen nicht vor. Auch aus der Gefahr, dass denBeteiligten Einwendungen abgeschnitten werden, istein solch unmittelbarer Anspruch nicht zuzulassen.

Prüfungsrelevanz:Die bereicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnissegehören zu den schwierigsten und daher zu den imStaatsexamen problematischsten Rechtsgebieten. Beieiner Leistung kraft Anweisung vollzieht sich derBereicherungsausgleich grundsätzlich innerhalb desjeweiligen Leistungsverhältnisses, also zum einenzwischen dem Anweisenden und dem Angewiesenen(sog. Deckungsverhältnis) und zum anderen zwischendem Anweisenden und dem Anweisungsempfänger(sog. Valutaverhältnis). Mit seiner Zuwendunggegenüber dem Anweisungsempfänger eine Leistunggegenüber dem Anweisenden und damit zugleich eine

L e i s t u n g d e s A n w e i s e n d e n a n d e nAnweisungsempfänger.Ausnahmsweise steht dem Angewiesenen einunmittelbarer Bereicherungsanspruch gegen denAnweisungsempfänger zu, wenn es an einerw i r k s a m e n A n w e i s u n g f e h l t u n d d e mAnweisungsempfänger dies bei Empfang der Leistungbekannt ist. Eine weitere Ausnahme zugunsten einesdirekten Bereicherungsanspruchs des Angewiesenenwird analog §§ 816, 822 BGB angenommen, wenn esim Deckungsverhältnis an einem Rechtsgrund fehlt, imValutaverhältnis die Leistung unentgeltlich erfolgt unddie Verpflichtung des Anweisenden zur Herausgabeaus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Letztlich wirdausnahmsweise ein bereicherungsrechtl icherDurchgriff beim sog. “Doppelmangel in derBereicherungskette”, wo Deckungs- als auchValutaverhältnis fehlerhaft sind.

Vertiefungshinweise:“ Besprechung des Urteils: Lorenz, LM H. 10/2001 §812 BGB Nr. 281“ Zum Bereicherungsanspruch bei Zahlungen imDrei-Personen-Verhältnis: Flume, NJW 1991, 2521;LG Nürnberg-Fürth, NJW-RR 1996, 1074

Kursprogramm:“ Examenskurs: “Der Heimatfilm”

Leitsätze:1. Beim Vorliegen einer wirksamen Anweisunge i n e s D a r l e h e n s n e h m e r s a n d i edarlehensgewährende Bank zur Überweisung desDarlehensbetrags auf das Konto eines Drittenvollzieht sich der Bereicherungsausgleich i. S. des §812 BGB grundsätzlich auch dann innerhalb desjeweiligen Leistungsverhältnisses, wenn sich dieBank bei der Ausführung der Anweisung über dieentsprechende Berechtigung zum Abruf derKreditmittel infolge einer Täuschungshandlung desAnweisenden irrt.2. Zu den Voraussetzungen, unter denen in einemsolchen Fall der Dritte gegenüber der Bank wegenvorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäߧ 826 BGB haftet.

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Sachverhalt: Das klagende Land (im Folgenden: der Kl.) begehrtvon dem Bekl., einem ehemaligen Rechtsanwalt, ausübergegangenem Recht der H-Bank Rückzahlungeines Betrags von 1,3 Mio. DM, den die H-Bank alsTeilbetrag eines Finanzierungsdarlehens überinsgesamt 12 Mio. DM für ein Bauprojekt auf An-weisung des Darlehensnehmers, der S-GmbH & Co.K G ( i m F o l g e n d e n : S - K G ) , a u f e i nRechtsanwaltsanderkonto des die S-KG anwaltlichvertretenden Bekl. bei der B-Bank überwiesen hat.Zwischen der H-Bank und der S-KG war ebenso wiezwischen dieser und dem Kl. vereinbart, dass dieAuszahlung der Darlehensvaluta an die S-KG von derZustimmung des Kl. abhängig sein sollte. AlsSicherheit für das Darlehen diente der H-Bank eineGrundschuld auf einem Erbbaurecht, das der Kl. der S-KG an einem in seinem Eigentum stehendenBaugrundstück bestellt hatte. Der auf das Anderkontodes Bekl. überwiesene Teilbetrag von 1,3 Mio. DMsollte auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Kl.und der S-KG dazu dienen, anhand einer vomB e z i r k s b ü r g e r m e i s t e r d e s K l . m i t e i n e mGenehmigungsvermerk versehenen Liste die daraufmit jeweiliger Bankverbindung angegebenenForderungen von Gläubigern eines örtlichen Fußball-vereins auszugleichen, als dessen Sponsor derGeschäftsführer A der Komplementär-GmbH der S-KG auftrat. Dieser erwirkte die Auszahlung auf dasAnderkonto des Bekl. statt auf die Gläubigerkontendadurch, dass er mit Schreiben vom 3. 6. 1996 an dieH-Bank um Überweisung auf dieses Konto bat undeine Fotokopie der genehmigten Liste mitübersandte,auf der durch Abdecken beim Kopiervorgang dieSpalte mit den Bankverbindungen der Gläubigerfehlte. Am 10. 6. 1996 überwies der Bekl. von einemweiteren Anderkonto bei der C-Bank, auf das erzwischenzeitlich das Geld transferiert hatte,entsprechend der Weisung der S-KG an diese einenTeilbetrag von 467526,45 DM für die Zahlung vonLöhnen und Gehältern und einen weiteren Teilbetragin Höhe von 275 000 DM an sich selbst zurBegleichung von Gebührenforderungen. Hinsichtlichdes Restbetrags erklärte der Bekl. am 3. 7. 1996gegenüber der S-KG die Aufrechnung mit weiterenHonoraransprüchen. Betreffend diesen Teilbetrag istein Parallelrechtsstreit anhängig, in welchem der dort-ige Kl. aus abgetretenem Recht der S-KG den Bekl.auf Zahlung in Anspruch nimmt. Nachdem die S-KGdas Darlehen nicht bis zum 31. 12. 1996 zurückgezahlthatte, befriedigte der Kl. die Forderungen der H-Bankund nimmt nunmehr aus abgetretenem bzw. überge-gangenem Recht der H-Bank den Bekl. in Anspruch.Der Kl. hat behauptet, der Bekl. habe bereits zumZeitpunkt der Überweisung der 1,3 Mio. DM auf seinAnderkonto gewusst, dass A diese mittels einer

manipulierten Liste entgegen den getroffenenVereinbarungen erschlichen habe. Denn ihm seiensowohl die Originalliste als auch die manipulierteFotokopie nebst Anlagen übersandt worden. Der H-Bank habe ein Anspruch auf Rückzahlung der 1,3Mio. DM gegen den Bekl. aus ungerechtfertigterBereicherung und aus § 826 BGB wegen vorsätzlichersittenwidriger Schädigung zugestanden, der infolgee i n e r a l s B ü r g s c h a f t z u v e r s t e h e n d e nEinstandserklärung gern. § 774 I BGB bzw. infolgeeiner Abtretungserklärung der H-Bank auf ihn, denKl., übergegangen sei.Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufungdes Kl. hat das KG den Bekl. zur (Rück-)Zahlung von1,3 Mio. DM verurteilt. Die Revision des Bekl. hatteE r f o l g u n d f ü h r t e z u r A u f h e b u n g u n dZurückverweisung.

Aus den Gründen:

A. Entscheidung und Begründung des BerGer.Nach Auffassung des BerGer. kann der Kl. vom Bekl.die Rückzahlung des an ihn überwiesenen Betragssowohl gem. §§ 812, 774 BGB als auch nach §§ 826,774 BGB verlangen.

I. Rückzahlungsanspruch gem. § 812 I BGBDie Überweisung durch die H-Bank sei ohnerechtlichen Grund i. S. des § 812 I 1 BGB erfolgt. DieZustimmung des zuständigen Bezirksbürgermeistersdes Kl. sei nicht mit der Maßgabe erteilt worden, dasGeld an die S-KG auszuzahlen, sondern auf die in derListe des örtlichen Fußballvereins angegebenenGläubigerkonten. Der Kl. könne auch den Bekl.unmittelbar auf Rückzahlung in Anspruch nehmen.Zwar habe ein Leistungsverhältnis nur zwischen derH-Bank und der S-KG bestanden, weil die H-Bankd i e s e r g e g e n ü b e r e i n e v e r m e i n t l i c h erechtsgeschäftliche Verpflichtung aus dem Darle-hensvertrag habe erfül len wollen. Von dergrundsätzlich erforderlichen Rückabwicklung imLeistungsverhältnis könne aber dann abgesehenwerden, wenn kein Einwendungsabschnitt desZ u w e n d u n g s e m p f ä n g e r s g e g e n ü b e r d e mLeistungsempfänger zu befürchten sei. Dies seivorliegend jedenfalls von dem Moment an nicht mehrder Fall, in dem der Bekl. Kenntnis davon erlangthabe, dass die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt sei,denn von da an sei er nicht mehr schutzwürdig. Eskönne dahinstehen, ob der Bekl. die Kenntnis bereitsbei Empfang des Geldes gehabt habe. Er habezumindest vor dem 10. 6. 1996 gewusst, dass einAnspruch der S-KG auf Auszahlung der 1,3 Mio. DMan sich selbst nicht bestanden habe. Dies ergebe sichaus seinen Ausführungen in dem von ihm im Parallel-verfahren eingereichten Schriftsatz vom 10. 6. 1997,

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wonach er den Betrag nach dem Eingang auf seinemAnderkonto noch vor dem 10. 6. 1996 auf ein weiteresAnderkonto bei der C-Bank überwiesen habe, da einEventualrückgriff der H-Bank habe ausgeschlossenwerden sollen. Darin komme das Eingeständnis seinesWissens zum Ausdruck, dass das Geld der S-KG nichtzugestanden habe, zumindest aber, dass er dies fürmöglich gehalten habe. Von diesem Moment an hafteer gem. §§ 819 I, 818 IV BGB verschärft. Der erfor-derlichen Kenntnis sei das bewusste Sichverschließengegenüber der Erkenntnis gleichzusetzen. Spätestensam 18. 6. 1996 habe der Bekl. positive Kenntnis davonerlangt, dass das Geld weder ihm noch der S-KGzugestanden habe. Denn mit Schreiben vom selbenTage habe er die Anfrage des zuständigenBezirksbürgermeisters des Kl. bestätigt, in der umErklärung für die Anforderung der Darlehensvalutamit Hilfe einer manipulierten Liste gebeten wordensei.

II. Rückzahlungsanspruch gem. § 826 BGBDer Bekl. schulde die Rückzahlung der 113 Mio. DMdarüber hinaus aus § 826 BGB. Er habe dadurch, dasser das Geld an die S-KG und an sich selbst ausgezahlthabe, der H-Bank in einer gegen die guten Sittenverstoßenden Weise vorsätzlich einen Schadenzugefügt, denn er habe zumindest damit gerechnet,dass das Geld der S-KG nicht zustehe.

B. Entscheidung des BGHDiese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Über-prüfung nicht stand.

I. Übergang etwaiger Ansprüche auf die Kl.Das BerGer. ist allerdings mit Recht davon ausgegan-gen, dass etwaige Ansprüche der H-Bank auf den Kl.übergegangen sind. Dabei kann dahinstehen, ob in der"Einstandserklärung" des Kl. entsprechend derAnnahme des BerGer. eine Bürgschaftserklärunggesehen werden kann und ein Anspruchsübergang i. S.des § 774 I BGB auch die vorliegend geltendgemachten Ansprüche der H-Bank gegen den Bekl.erfasst. Jedenfalls sind etwaige Ansprüche der H-Bankgegen den Bekl. auf Grund deren Abtretungserklärungvom 7. 8. 1998 auf den Kl. übergegangen. Soweit dieRevision rügt,. das BerGer. habe offen gelassen, obder Kl. - wie vom Bekl. bestritten - die von der H-Bank angebotene Abtretung angenommen habe, hatd i e s ke inen Er fo lg . E ine Bes tä t igung desAnnahmewillens konnte das BerGer. bereits darins e h e n , d a s s d e r K l . d i e i h m ü b e r s a n d t eAbtretungsurkunde behalten und sich im vorliegendenRechtsstreit auf sie berufen hat; einer Erklärung derAnnahme gegenüber der H-Bank bedurfte es nach §151 S. 1 BGB unter den gegebenen Umständen nicht(vgl. BGH, NJW 1999, 2179 = LM H. 2/2000 § 151

BGB Nr. 21).

II. Kein unmittelbarer Bereicherungsanspruch gegenden Bekl.Die Revision macht jedoch mit Recht geltend, dass dasB e r G e r . d e m K l . e i n e n ( u n m i t t e l b a r e n )Bereicherungsanspruch gegen den Bekl. zuerkannt hat,ohne die Grundsätze, die der BGH in ständigerRechtsprechung zum Bereicherungsausgleich im Drei-Personen-Verhältnis entwickelt hat, hinreichend zubeachten.

1. Bereicherungsrechtliche Grundsätze in Anweisungs-fällenIn einem - hier vorliegenden - Fall der Leistung kraftAnweisung vollzieht sich der Bereicherungsausgleichg r u n d s ä t z l i c h i n n e r h a l b d e s j e w e i l i g e nLeistungsverhältnisses, also zum einen zwischen demAnweisenden (hier der S-KG) und dem Angewiesenen( h i e r d e r H - B a n k ) i m s o g e n a n n t e n D e -ckungsverhältnis und zum anderen zwischen demA n w e i s e n d e n ( d e r S - K G ) u n d d e mAnweisungsempfänger (hier dem Bekl.) im sog e n a n n t e n V a l u t a v e r h ä l t n i s . N a c h d e mbereicherungsrechtlichen Leistungsbegriff bewirkt derAngewiesene, der von ihm getroffenen, allseits richtigverstandenen Zweckbestimmung entspre-chend, mitseiner Zuwendung an den Anweisungsempfängerzunächst eine eigene Leistung an den Anweisendenund zugleich eine Leistung des Anweisenden an denAnweisungsempfänger (vgl. BGHZ 40, 272 [276] =NJW 1964, 399 = LM § 951 BGB Nr. 18; BGHZ 61,289 [291] = NJW 1974, 39 = LM § 812 BGB Nr. 102;BGHZ 66, 362 [363] = NJW 1976, 1448 = LM § 812BGB Nr. 121; BGHZ 66, 372 [374] = NJW 1976,1449 = LM § 812 BGB Nr. 120; BGHZ 67,75 [77] =NJW 1976, 1845 = LM § 812 BGB Nr. 122; BGHZ87, 393 [395] = NJW 1983, 2499 = LM § 812 BGBNr. 162; BGHZ 88,232 [234] = NJW 1984, 483 = LM§ 812 BGB Nr. 166; BGHZ 102, 152 [157] = NJW1988, 558 = LM § 3 AGBG Nr. 23; BGH, NJW 1987,185 [186] = LM § 812 BGB Nr. 185; NJW 1990, 3194[3195] = LM § 812 BGB Nr. 214; Senat, NJW 1994,2357 = LM H. 11/1994 § 812 BGB Nr. 238 m.w.Nachw.; BGH, NJW 1999, 2890 [2891] = LM H.2/2000 § 812 BGB Nr. 264, sowie NJW 2001, 1855).2. Ausnahmen von diesem GrundsatzDieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Soentspricht es gefestigter Rechtsprechung des BGH,dass dem Angewiesenen jedenfalls dann einunmittelbarer Bereicherungsanspruch gegen denAnweisungsempfänger zusteht, wenn es an einerwirksamen Anweisung feh l t und dem An-weisungsempfänger dieser Umstand bei Empfang desLeistungsgegenstands bekannt ist. Denn ohne einegül t ige Anweisung kann d ie Zahlung dem

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vermeintlich Anweisenden nicht als seine Leistungzugerechnet werden, und der Empfänger kann dieZahlung aus seiner Sicht auf Grund seiner Kenntnisvom Fehlen einer Anweisung auch nicht als Leistungdes vermeintlich Anweisenden ansehen (vgl. BGHZ66, 362 [363] = NJW 1976,1448 = LM § 812 BGB Nr.121; BGHZ 66, 372 [374] = NJW 1976, 1449 = LM §812 BGB Nr. 120; BGHZ 67, 75 [77] = NJW 1976,1845 = LM § 812 BGB Nr. 122; BGHZ 87, 393 [397f.] = NJW 1983, 2499 = LM § 812 BGB Nr. 162;Senat, NJW 1994, 2357 = LM H. 11/1994 § 812 BGBNr. 238). Mangels Zurechenbarkeit einer unwirksamenAnweisung kommt ein bereicherungsrechtlicherA u s g l e i c h z w i s c h e n d e r B a n k u n d d e mZuwendungsempfänger unter Umständen auch dann inBetracht, wenn dieser den Gültigkeitsmangel nichtkannte (vgl. BGH, NJW 1990, 3194 [3195] = LM §812 BGB Nr. 214; NJW-RR 1990, 1200 [1201] = LM§ 812 BGB Nr. 213, und NJW 2001, 1855).Eine weitere Ausnahme von dem oben erwähntenGrundsatz wird in entsprechender Anwendung des §822 BGB dann angenommen, wenn es imDeckungsverhältnis an einem Rechtsgrund fehlt, imValutaverhältnis die Leistung unentgeltlich bewirkt istund die Verpflichtung des Anweisenden zurHerausgabe des Erlangten - aus Rechtsgründen (vgl.BGH, NJW 1999, 1026 = LM H. 5/1999 § 816 BGBNr. 47) - ausgeschlossen ist (vgl. BGHZ 88, 232 [237]= NJW 1984, 483 = LM § 812 BGB Nr. 166). Dies istdann der Fall, wenn in der Person des Anweisendendie Voraussetzungen der §§ 818 IV, 819 BGB nichtvorliegen und deshalb ein Bereicherungsanspruchgegen ihn nicht besteht. Die sachliche Rechtfertigungfür diese Ausnahme liegt darin, dass der Empfängereiner unentgeltlichen Leistung nach dem in den §§816, 822 BGB zum Ausdruck kommenden Rechts-gedanken auch dann eine schwächere Positioneinnimmt, wenn ein Rechtsgrund für seinen Erwerbbestanden ha t ; d ie typische Schwäche desunen tge l t l i chen Erwerbs rech t fer t ig t se ineHerausgabeverpflichtung (vgl: BGHZ 88, 232 [236 f.]= NJW 1984,483 = LM § 812 BGB Nr. 166 m. w.Nachw.).Schließlich ist ein Durchgriff des Zuwendenden aufden Zuwendungsempfänger vom RG (RGZ 86, 343[347]; RG, JW 1934, 2458 [2459]) und vom BGH(Urt. v. 25. 3. 1954 -VI ZR 202/53) ausnahmsweise indem Fall für zulässig erachtet worden, in dem ein"Doppelmangel in der Bereicherungskette" vorlag, dasheiß t sowohl das Deckungs- a l s auch dasValutaverhältnis mangelhaft waren. Ob an dieserAuffassung trotz der Tatsache, dass dadurch sowohld e m l e t z t e n G l i e d e i n e r d r e i g l i e d r i g e nBereicherungskette seine Einwendungen gegen seinenVormann (das Zwischenglied der Kette), als auchdiesem Zwischenmann seine Einwendungen gegen das

erste Glied der Bereicherungskette abgeschnittenwerden (vgl. hierzu bereits BGHZ 48, 70 [72] = NJW1967, 1905 = LM § 812 BGB Nr. 76 m. w. Nachw.),festzuhalten ist, bedarf keiner Entscheidung, denn imvorliegenden Fall liegt keiner der geschildertenAusnahmefälle vor.

3. Übertragung dieses Grundsatzes sowie seinerAusnahmen auf den vorliegenden FallEntgegen der Auffassung des Kl . l iegt derÜberweisung der 1,3 Mio. DM durch die H-Bank anden Bekl. eine wirksame Anweisung der S-KG zuGrunde, so dass der S-KG dieser Zahlungsvorgangbereicherungsrechtlich als ihre Leistung zuzurechnenist. Die Anweisung als solche ist weder wegenFälschung noch auf Grund einer Täuschung nochmangels Bedingungseintritts unwirksam. Sie war vonA, dem zuständigen Vertretungsorgan der S-KG, indieser Form bewusst und gewollt erteilt worden.Manipuliert war lediglich die der Anweisung alsAnlage beigefügte Forderungsliste, die einenG e n e h m i g u n g s v e r m e r k d e s z u s t ä n d i g e nBezirksbürgermeisters des Kl. trug und damit denEindruck erweckte, der Kl. sei mit der Auszahlung derDarlehensvaluta in Höhe von 1,3 Mio. DM auf dasangegebene Konto des Bekl. einverstanden. Damittäuschte der Geschäftsführer zwar über dieBerechtigung der S-KG zum Abruf der Kreditmittel.Ein dadurch veranlasster Irrtum der H-Bank ändertjedoch nichts an der Wirksamkeit der abstrakten, dasheißt vom Kausalverhältnis unabhängigen, Anweisung(vgl. RGZ 60, 24 [26]; Lieb, in: MünchKomm, 3.Aufl., § 812 Rdnrn. 36, 38, 67, 70d, 74, 75, 82a;Staudinger/Lorenz, BGB, 13. Bearb., § 812 Rdnrn. 50,52; Canaris, in: Festschr. f. Larenz z. 70. Geb., S. 799,806, 815, 817, 863).Entgegen der Auffassung des Kl. ist die Anweisungauch nicht wegen Nichteintritts einer - in derZustimmung des Kl. liegenden - aufschiebendenBedingung unwirksam. Da es sich bei der Anweisungu m e i n e e i n s e i t i g e e m p f a n g s b e d ü r f t i g eWillenserklärung handelt, hätte allein A alsErklärender die Anweisung von einer solchenBedingung abhängig machen können. Dies hat erjedoch nicht getan, sondern die H-Bank unbedingtangewiesen, die Auszahlung auf das angegebeneKonto des Bekl. vorzunehmen. Gegenüber der H-Bankwurde hierbei lediglich der Eintritt derjenigen Bedin-g u n g v o r g e s p i e g e l t , u n t e r w e l c h e r d e rDarlehensauszahlungsanspruch der S-KG stand. Diesist jedoch - wie soeben ausgeführt - für die Gültigkeitder Anweisung unbeachtlich.Die Voraussetzungen für einen unmittelbarenB e r e i c h e r u n g s a n s p r u c h g e g e n d e nZuwendungsempfänger entsprechend § 822 BGBliegen ebenfalls nicht vor, denn der anweisende A war

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bösgläubig i. S. der §§ 818 IV, 819 1 BGB. Nach demeigenen Vorbringen des Kl. wusste er als zuständigesVertretungsorgan der S-KG, dass diese gegen die H-Bank keinen Anspruch auf Auszahlung der Darlehens-valuta an sich selbst hatte, weil es an einerentsprechenden Zustimmung des Kl. fehlte.Für einen "Doppelmangel in der Bereicherungskette',selbst wenn dieser einen Anspruch des Angewiesenengegen den Anweisungsempfänger rechtfertigenkönnte, bestehen weder nach den Feststellungen desBerGer. noch nach dem Vorbringen des Kl.hinreichende Anhaltspunkte.Entgegen der Auffassung des BerGer. kann einewei tere Ausnahme von dem Grundsatz derRückabwicklung im jeweiligen Leistungsverhältnis beiVorliegen einer wirksame Anweisung nicht bereitsdeshalb angenommen werden, weil ein Abschneidenvon Einwendungen des Zuwendungsempfängers, hierdes Bekl., gegenüber dem Leistungsempfänger, der S-KG, nicht zu befürchten sei. Abgesehen davon, dassder Bekl. solche Einwendungen geltend macht, wurdedurch die Zulassung eines Durchgriffs in einer solchenSituation der Zuwendungsempfänger ohne sachlicheRechtfertigung auch den Einwendungen aus demVertragsverhältnis seines Vertragspartners zu einemDritten ausgesetzt (vgl. BGHZ 40, 272 [278] = NJW1964, 399 = LM § 951 BGB Nr. 18; Canaris, S. 802,817). Weiterhin bestünde die Gefahr, dass demAnweisenden Einwendungen gegenüber demAngewiesenen abgeschnitten würden (vgl. BGHZ 48,70 [74] = NJW 1967,1905 = LM § 812 BGB Nr. 76).Etwas anderes lässt sich auch nicht aus derEntscheidung des BGH vom 27.4. 1961 (NJW 1961,1461 = LM § 812 BGB Nr. 47) ableiten. In dem dieserEntscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte derdortige Kl. eine Zahlung an einen Zwischenmannerbracht, der den erhaltenen Betrag auf Grund einerAbsprache mit dem dortigen Bekl. für Rechnung desKl. auf ein Baugeldkonto des Bekl. überwies, dasdieser als (verdeckter) Treuhänder für weiterePersonen (Treugeber) unterhielt. Der VII. Zivilsenathat in seiner Entscheidung hierzu lediglich ausgeführt,die Vermögensverschiebung vollziehe sich in einemsolchen Falle nicht unmittelbar zwischen demEinzahler und den Treugebern, sondern zwischen demDritten und dem Treuhänder. Der Entscheidung, dieersichtlich noch nicht von dem der neuerenR e c h t s p r e c h u n g z u G r u n d e l i e g e n d e nbereicherungsrechtlichen Leistungsbegriff ausgeht,lassen sich keine Schlussfolgerungen zu der vorlie-gend entscheidungserheblichen Frage entnehmen, obtrotz Bestehens von Leistungsverhältnissen einbereicherungsrechtlicher Durchgriffsanspruch inBetracht kommt.

III. Kein Rückzahlungsanspruch gem. § 826 BGB

Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen dieBeurteilung des BerGer., dass der Bekl. zurRückzahlung des erhaltenen Betrags auch aus § 826BGB verpflichtet sei.

1. Kein Vorsatz des Bekl. Die Revision rügt mit Recht, dass die Feststellungendes BerGer. seine Annahme, der Bekl. habevorsätzlich gehandelt, nicht tragen. Das BerGer. wirftdem Bekl. vor, er habe am 10. 6. 1996 Teilbeträge dererhaltenen Darlehensvaluta an die S-KG und an sichselbst ausgezahlt, obwohl er - zur Überzeugung desBerGer. - zumindest damit gerechnet habe, dass ihr dasGeld nicht zustehe. Es nimmt damit ersichtlich aufseine Ausführungen zum Kenntnisstand des Bekl.unter Nr. 2 a der Entscheidungsgründe Bezug. Dortstellt es jedoch einschränkend lediglich fest, dass derBekl. das Nichtbestehen eines Anspruchs der S-KGauf Auszahlung des Betrags von 1,3 Mio. DMzumindest für möglich gehalten habe. Das BerGer.trifft dagegen keine Feststellungen dazu, ob der Bekl.diesen Umstand auch billigend in Kauf genommen hat.Dies wäre aber für die Annahme eines bedingtenVorsatzes i. S. des § 826 BGB erforderlich gewesen(vgl. Senat, NJW 1991, 634 = LM § 826 [C] BGB Nr.5 = BGHR BGB § 826 Schädigungsvorsatz 2; NJW1993, 194 = LM H. 5/1993 § 826 [B] BGB Nr. 13 =BGHR BGB § 826 Schädigungsvorsatz 4).

2. Keine ausreichenden Feststellungen über dieKenntnis des Bekl. von der ManipulationAuch den Angriffen der Revision, dass das BerGer.keine verfahrensfehlerfreien Feststellungen betreffenddie Kenntnis des Bekl. von der Manipulation derGläubigerliste getroffen hat, mit deren Hilfe seitensder S-KG die Auszahlung auf sein Anderkonto erreichtwurde, kann der Erfolg nicht versagt bleiben. DasBerGer. hat eine entsprechende Kenntnis des Bekl. vordem 10. 6. 1996 allein aus dessen Vorbringen inseinem Schriftsatz vom 10. 6. 1997 im Paral-l e l v e r f a h r e n g e s c h l o s s e n , w o n a c h d i eWeiterüberweisung der 1,3 Mio. DM vor dem 10. 6.1996 auf ein weiteres Anderkonto bei der C-Bank aufVeranlassung von A geschehen sei , da einEventualrückgriff der H-Bank habe ausgeschlossenwerden sollen.Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich darin frei, welcheBeweiskraft er Indizien im Einzelnen und in einerGesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst.Revisionsrechtlich ist seine Würdigung jedochdaraufhin zu überprüfen, ob er alle Umständevol ls tändig berücksicht ig t und nicht gegenDenkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Einsolcher Verstoß liegt unter anderem dann vor, wennder Tatrichter Indiztatsachen, aus denen verschiedeneSchlüsse gezogen werden können, in ihrer Ambivalenz

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nicht erkennt oder ihnen Indizwirkungen zuerkennt,die sie nicht haben können (vgl. Senat, NJW 1991,1894 = LM § 286 [B] ZPO Nr. 80 = VersR 1991, 566).Den Ausführungen des Bekl. im Parallelprozess istnicht zwingend zu entnehmen, dass ihm bereits zumZeitpunkt der Überweisung der Grund für die von Averanlasste Transaktion bekannt war. Es ist vielmehrauch denkbar, dass ihm dieser erst später von Amitgeteilt wurde.Darüber hinaus rügt die Revision mit Recht, dass dasBerGer. bei seiner Würdigung Indiztatsachenübergangen hat, die gegen eine Kenntnis des Bekl. vonder Täuschung der H-Bank im Zusammenhang mit derÜberweisung der 1,3 Mio. DM auf sein Anderkontosprechen könnten, so etwa die Bitte in seinemSchreiben vom 7. 6. 1996 um unverzüglicheAufklärung und Weisung, was mit dem auf seinemAnderkonto ohne Treuhandauftrag der Bankeingegangenen Betrag von 1,3 Mio. DM geschehens o l l e , s o w i e d a s A n t w o r t s c h r e i b e n d e sGeschäftsführers der S-KG vom 10. 6. 1996, inwelchem dem Bekl Weisungen hinsichtlich derVerwendung des eingegangenen Betrags erteiltwerden.

3. Kein Vermögensschaden Schließlich rechtfertigen die bisherigen Feststellungendes BerGer. auch nicht die Annahme, dass der Bekl.d u r c h s e i n V e r h a l t e n d e r H - B a n k e i n e nVermögensschaden zugefügt hat. Das BerGer. lässtausdrücklich offen, ob der Bekl. bereits bei Empfangder 1,3 Mio. DM Kenntnis von der zu Grundeliegenden Täuschungshandlung des A hatte.Dementsprechend sieht es als Tathandlungen i. S. des§ 826 BGB nicht bereits die Zurverfügungstellung desAnderkontos bzw. die Entgegennahme der Valuta an,sondern ers t die nach Eingang des Geldesvorgenommenen Verfügungen des Bekl. Zu diesemZeitpunkt war jedoch der Vermögensschaden der H-Bank bereits entstanden, denn mit der Gutschrift der1,3 Mio. DM auf dem Konto des Bekl. war derDarlehensbetrag aus dem Vermögen der H-Bank

ausgeschieden und ihrer Verfügungsmöglichkeitentzogen. Diesen bereits durch die Überweisung aufsein Konto eingetretenen Vermögensschaden der H-Bank kann der Bekl. nicht durch das ihm vom BerGer.vorgeworfene spätere Verhalten verursacht haben. Eskann in diesem Zusammenhang allenfalls in Betrachtgezogen werden, dass das spätere Verhalten des Bekl.den bereits entstandenen Schaden vertieft hat. Hierzuhat das BerGer. jedoch keinerlei Feststellungengetroffen.

I V . A u f h e b u n g d e s B e r u f u n g s u r t e i l s u n dZurückverweisung zur weiteren VerhandlungDas Berufungsurteil kann nach alledem keinenBestand haben. Das BerGer. wird bei seiner erneutenVerhandlung insbesondere der unter Beweis gestelltenBehauptung des Kl. nachzugehen haben, dass derBekl. vor dem Eingang der Darlehensvaluta aufseinem Anderkonto in die Täuschungshandlung, mitder dies erreicht wurde, eingeweiht war. Soweit derBekl. betreffend die hierzu benannten Zeugen auf einZeugnisverweigerungsrecht i. S. des § 383 I Nr. 6 ZPOverwiesen hat, so wird zu beachten sein, dass derZ e u g i n P d i e s b e z ü g l i c h k e i nZeugnisverweigerungsrecht zustehen kann, soweit sieTatsachen bekunden soll, die sie nicht im Rahmenihrer erst am 15. 7. 1996 aufgenommenen Tätigkeit alsRechtsanwaltsgehilfin des Bekl., sondern bereits zuvorals Chefsekretärin des A erfahren hat. Soweit derZeuge K betroffen ist, so wird das BerGer., soweit dieFrage nach der Kenntnis des Bekl. von derManipulation der Gläubigerliste Oberhaupt von derVerschwiegenheitspflicht aus dem Mandatsverhältnismit der S-KG betroffen sein sollte, zu beachten haben,dass für eine Entbindung von der Verschwiegenheits-pflicht nicht der Bekl., sondern der Mandant, dessenInteressen durch die Aussagen berührt würden,zuständig ist. Durch das Zeugnisverweigerungsrechtsoll nämlich nicht der Amtsträger, sondern derVertrauensgeber geschätzt werden (vgl. B GHZ 109,260 [268 f.] = NJW 1990, 510 = LM § 666 BGB Nr.15).

Standort: Verzug Problem: Bindung eines Sängers an Produktionsvertrag

BGH, URTEIL VOM 25.01.2001I ZR 287/98 (NJW 2001, 2878)

Problemdarstellung:Die Parteien hatten einen Musikproduktionsvertraggeschlossen, laut dem der bekl. Produzent verpflichtet

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war, bis Ende 1995 jährlich eine ausreichende Anzahlvon Titeln für mindestens eine Langspielplatte mitdem klagenden Sänger zu produzieren. Im Jahr 1995produzierte der Bekl. keinen Titel, woraufhin der Kl.nunmehr Schadensersatz fordert. Das Angebot desBekl., das Versäumte nachzuholen, lehnte der Kl.aufgrund einer zwischenzeitlichen exklusivenNeuverpfl ichtung gegenüber einem anderenMusikproduzenten ab. Einvernehmlich haben BerGer. und BGH einenSchadensersatzanspruch des Kl. aus § 325 I 1 BGBverneint. Die angestrebte Musikproduktion stellt keineLeistung dar, die dem Vertrag den Charakter einesabsoluten Fixgeschäftes einräumt, da eine derartstrenge Bindung an das jeweilige Kalenderjahr nichtf e s t z u s t e l l e n i s t . A u ß e r d e m s t e l l t d e rProduktionsvertrag kein Dauerschuldverhältnis dar,bei dem durch Zeitablauf bereits Unmöglichkeiteintritt; es handelt sich im vorliegenden Fall umSukzessivleistungen des Bekl., nicht aber um einefortlaufende Leistungserbringung.Jedoch is t nach der Ansicht des BGH einSchadensersatzanspruch gem. § 326 I BGB zubejahen. Für die Leistungserbringung trat aufgrund derkalendermäßigen Bestimmung Verzug bereits mitJahresablauf ein. Einer Fristsetzung gem. § 326 I BGBbedurfte es nicht, weil das Interesse des Kl. an derVertragserfüllung entfallen war, § 326 II BGB. Infolgeseiner exklusiven Neuverpflichtung gegenüber einemanderen Musikproduzenten besteht für ihn keinInteresse an einer Nachholung durch den Bekl.

Prüfungsrelevanz:Diese Entscheidung eignet sich zur grundsätzlichenWiederholung des Allgemeinen Schuldrechts,insbesondere der Abgrenzung zwischen denverschiedenen Leistungsstörungen von Unmöglichkeitund Verzug. Der infolge von kalendermäßigerBestimmung eingetretene Verzug kann unterbestimmten Voraussetzungen in eine Unmöglichkeitumschlagen. So tritt bei absoluten Fixgeschäften, wodie Einhaltung des Termins bzw. Zeitraums diemaßgebliche Komponente bei der Leistungserbringungdarstellt, schon mit Fristverstreichung Unmöglichkeitein. Bei Dauerschuldverhältnissen, wie z.B. Miet-,Dienst- oder Arbeitsverhältnisse, tritt mit Ablauf desjeweiligen Zeitabschnitts, in dem fortlaufend dieLeistung zu erbringen war, Unmöglichkeit ein. ImÜbrigen kann langwieriger Verzug, wo die Grenzender Zumutbarke i t des we i te ren Abwar tensüberschritten sind, ebenfalls in Unmöglichkeitumschlagen (Palandt/Hein-richs, BGB, § 275 Rz. 6).

Vertiefungshinweis:“ Zu den Voraussetzungen eines relat iven

Fixgeschäfts: OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 40

Kursprogramm:“ E x a m e n s k u r s : “ K e i n e L u s t a u fSchönheitsreparaturen”

Leitsätze:1. Ein Musikproduktionsvertrag, durch den sichder Produzent verpflichtet, in jedem Jahr derVertragslaufzeit eine bestimmte Zahl von Titeln zuproduzieren, stellt kein absolutes Fixgeschäft dar.2. Verpflichtet sich ein Musikproduzent, in jedemKalenderjahr der Vertragslaufzeit eine bestimmteZahl von Titeln zu produzieren, ist für die Leistungeine Zeit nach dem Kalender bestimmt.3. Kann die Produktionsverpflichtung nicht mehrw ä h r e n d d e r L a u f z e i t d e sMusikproduktionsvertrags erfüllt werden, ist fürden Künstler, der inzwischen gegenüber einema n d e r e n P r o d u z e n t e n e i n eAusschließlichkeitsbindung eingegangen ist, dasInteresse an der Erfüllung entfallen. Der Künstlerkann in diesem Fall mit Eintritt des VerzugsSchadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen,ohne dass es e iner Nachfristsetzung mitAblehnungsandrohung bedarf.

Sachverhalt: Der Kl. ist Sänger, der Bekl. ist Musikproduzent. DieParteien waren für die Jahre 1991 bis 1995 durcheinen 1990 geschlossenen Musikproduktionsvertragverbunden. Dieser Vertrag war zunächst auf drei Jahre(1991 bis 1993) geschlossen worden. Der Bekl. hattejedoch die ihm eingeräumte Option ausgeübt, denVertrag zweimal um jeweils ein Jahr zu verlängern.Der Vertrag verpflichtete den Kl., in seinerEigenschaft als Solosänger oder Mitglied einesE n s e m b l e s w ä h r e n d d e r V e r t r a g s l a u f z e i tausschließlich dem Bekl. zur Herstellung von Ton-oder Bildtonaufnahmen zur Verfügung zu stehen (".. .the artist warrants to be exclusively at the company'sand not at any third party's disposal, neither as solo-artist nor as member of a group...”) Dem Bekl. warenhinsichtlich der Auswertung dieser Aufnahmenausschließliche Nutzungsrechte eingeräumt. ImGegenzug hatte sich der Bekl. verpflichtet, Titel mitDarbietungen des Kl . aufzunehmen und zuveröffentlichen, wobei in jedem Kalenderjahr eineausreichende Zahl von Titeln für mindestens eineLangspielplatte produziert werden sollte ("Thecompany commits to record or to have recorded and torelease or to have released tities with performances ofthe artist, precisely: During the period of each calendaryear a sufficient number of tracks for at least onealbum”). Über die Auswahl der aufzunehmenden Titel

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sollte der Bekl. entscheiden, wobei dem Kl. einVorschlagsrecht zustand ("The company decideswhich titles will be recorded. While selecting the titlesto be recorded, the artist is entitled to makeproposals”). Für den Vertrag sollte deutsches Rechtgelten. Als Gerichtsstand wurde der Sitz des Bekl.vereinbart.In den ersten vier Jahren der Vertragslaufzeit, also inden Jahren 1991 bis 1994, produzierte der Bekl. mitdem Kl. vier Langspielplatten, die dem Kl. Einnahmenvon über 600 000 DM einbrachten. Nachdem eszwischen den Parteien im Laufe des Jahres 1995wiederholt zu Streitigkeiten gekommen war - unteranderem über die Kosten einer Flugreise von Japannach Deutschland und über die Abrechnung vonLizenzgebühren -, produzierte der Bekl. 1995 keineTitel mit dem Kl. Der Kl. forderte den Bekl. deswegenim Februar 1996 zur Zahlung von Schadensersatz auf.Das Angebot des Bekl., das Versäumte nachzuholen,lehnte der Kl. unter Hinweis auf die von ihminzwischen eingegangene Exklusivverpflichtunggegenüber einem anderen Produzenten ab.Der Kl. hat die Ansicht vertreten, dem Bekl. sei dieProduktionsleistung, zu der er nach dem Vertragverpflichtet gewesen sei, mit Ablauf des Jahres 1995in von ihm zu vertretender Weise unmöglichgeworden. Er hat behauptet, dadurch, dass 1995 keinAlbum auf den Markt gekommen sei, seien ihmLizenz- und GVL-Einnahmen in Höhe von 218 750DM entgangen. Diesen Betrag (zuzüglich Zinsen) hater mit der vorliegenden Klage geltend gemacht. DerBekl. ist der Klage entgegengetreten.Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufungdes Bekl. hat das KG die Klage abgewiesen (KG, AfP1999, 485 = ZUM-RD 1999, 98 = KGR 1999, 117).Hiergegen richtet sich die Revision des Kl., mit der erseinen Klageantrag weiterverfolgt. Die Revision desBekl. führte zur Aufhebung der Vorentscheidung undZurückverweisung an das BerGer.

Aus den Gründen:

A. Entscheidung und Begründung des BerGer.Das BerGer. hat angenommen, dem Kl. stehe schonnach seinem eigenen Vorbringen kein Schadensersatzzu. Zur Begründung hat es ausgeführt:Ein Schadensersatzanspruch des Kl. ergebe sich nichtaus § 325 BGB. Zwar handele es sich bei der vomBekl. übernommenen Verpflichtung, jedes Jahr die füreine Langspielplatte erforderliche Zahl von Titeln zuproduzieren, um eine vertragliche Hauptpflicht.Entgegen der Ansicht des LG sei aber dem Bekl. dieErfüllung dieser Verpflichtung nicht mit Ablauf desJahres 1995 unmöglich geworden. Aus dem Par-teivorbringen ergäben sich weder rechtliche nochtatsächliche Gründe, die den Kl. daran gehindert

hätten, das für 1995 vorgesehene Album noch im Jahre1996 zu produzieren. Allein die nach seinemVorbringen eingegangene neue Exklusivbindungkönne dem Vertragsverhältnis der Parteien nicht denCharakter eines absoluten Fixgeschäfts vermitteln.Denn dieser Hinderungsgrund beruhe nicht auf denVertragsabsprachen der Parteien, sondern auf demEntschluss des Kl., unmittelbar im Anschluss an denVertrag mit dem Bekl. eine neue Exklusivbindungeinzugehen, ohne sich für die nachträglicheProduktion eines Albums durch den Bekl. eine Aus-nahme vorzubehalten.Ein Schadensersatzanspruch stehe dem Kl. auch aus §326 BGB nicht zu. Denn der Kl. habe dem Bekl. -selbst wenn dieser mit Ablauf des Jahres 1995 inVerzug geraten sein sollte - keine Frist mitAblehnungsandrohung gesetz t . Eine solcheNachfristsetzung sei nicht deswegen entbehrlich, weilbeim Kl. das Interesse an der Vertragserfüllung imJahre 1996 entfallen sei. Denn dies beruhe nicht aufdem Verzug des Bekl., sondern allein darauf, dass derKl. sich - nach seinem Vorbringen - bereits mit demBeginn des Jahres 1996 exklusiv an einen anderenVertragspartner gebunden habe. Für den Kl. habe imÜbrigen die Möglichkeit bestanden, ausnahmsweiseschon vor Verzugseintritt eine Frist mit Ab-lehnungsandrohung zu setzen.

B. Entscheidung des BGHDiese Beurteilung hält den Angriffen der Revisionnicht stand. Sie führen zur Aufhebung undZurückverweisung.

I. Kein Anspruch gem. § 325 I BGBMit Recht hat allerdings das BerGer. einen Schadens-ersatzanspruch des Kl. aus § 325 I 1 BGB verneint.Die Musikproduktion, zu der sich der Bekl.verpfl ichtet hatte - also die Aufnahme undVeröffentlichung einer für eine Langspielplatteausreichenden Zahl von Titeln in jedem Kalenderjahr -, stellt keine Leistung dar, die dem Vertrag hinsichtlichdieser Verpflichtung den Charakter eines absolutenFixgeschäfts gibt.Absolute Fixgeschäfte sind Verträge, bei denen - überdie Rechtswirkungen des § 361 BGB hinaus - dieLeistungszeit so wesentlich ist, dass die Leistung nurzu einer bestimmten Zeit erbracht werden kann, dieVerfehlung dieses Zeitpunkts die Leistung alsodauernd unmöglich macht (BGHZ 60, 14 [16] = NJW1973, 318 = LM § 645 BGB Nr. 3). Dabei erfordertein Fixgeschäft nicht nur die Festlegung einer genauenLeistungszeit, sondern darüber hinaus Einigkeit derParteien darüber, dass der Vertrag mit der Einhaltungoder Nichteinhaltung der Leistungszeit stehen oderfallen solle. Ob die Parteien der vereinbartenLeistungszeit eine so weit gehende Bedeutung

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beimessen wollten, ist - wenn der Vertragstext eineausdrückliche Regelung nicht enthält - unterBerücksichtigung aller Umstände durch Auslegung zuermitteln, wobei sich jeder Zweifel gegen dieAnnahme eines Fixgeschäfts auswirkt (vgl. BGH, LM§ 376 HGB Nr. 4 = WM 1982, 1384; LM § 346 [Ea]HGB Nr. 22 = WM 1984, 639 [641]; NJW-RR 1989,1373, jeweils zu § 376 I HGB). Unter diesenUmständen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstan-den, dass das BerGer. dem Vertragsverhältnis derParteien keine solche Fixabrede entnommen hat. Dennes lässt sich nicht feststellen, dass die Parteien diejährlich zu erbringende Produktionsleistung des Bekl.derart streng an das jeweilige Kalenderjahr bindenwollten, dass bereits eine geringfügig verzögerteProduktion den Leistungszweck unter keinen Um-ständen mehr hätte verwirklichen können.Die Revision verweist demgegenüber darauf, dass essich bei dem Musikproduktionsvertrag der Parteien ume i n D a u e r s c h u l d v e r h ä l t n i s h a n d e l e u n dDauerverpflichtungen in der Regel Fixcharakterhätten, weil bei ihnen die einmal verzögerte Leistungnicht mehr nachgeholt werden könne (vgl. BGHZ 99,182 [189] = NJW 1987, 831 = LM § 157 [Ga] BGBNr. 33; BGH, NJW-RR 1991, 267 [268] = LM § 275BGB Nr. 22, jeweils für die Raummiete; BAG, NJW1986, 1831 [1832]; NJW 1996, 1771 [1772], jeweilsf ü r L e i s t u n g s p f l i c h t e n i m R a h m e n e i n e sArbeitsvertrags; Emmerich, in: MünchKomm, 3. Aufl.,§ 275 Rdnr. 45 m. w. Nachw.). Die vom Bekl. zuerbringende Produktionsleistung unterscheidet sichindessen von den insofern angesprochenen Dauerver-pflichtungen in einem wesentlichen Punkt: Währendbei diesen die geschuldete Leistung, etwa dieGebrauchsüberlassung bei der Raummiete oder dieUnterlassung einer bestimmten Tätigkeit bei einemWettbewerbsverbot, fortlaufend zu erbringen ist, gehtes bei der Verpflichtung des Bekl. - ähnlich wie beieinem Sukzessivlieferungsvertrag - um wiederkeh-rende Einzelleistungen. Auch wenn für die jeweils zuerbringende Einzelleistung ein Termin nach demKalender bestimmt ist, ist hier ein Nachholen einerversäumten Leis tung n icht von vornhereinausgeschlossen. Die in diesem Zusammenhang von derRevision angeführten Gesichtspunkte, die aus derSicht des Kl. gegen ein Nachholen der 1995 versäum-ten Produktion sprechen, mögen dazu führen, dass dasInteresse des Kl. an einer verspäteten Leistungentfallen ist (vgl. § 326 II BGB). Eine mit Ablauf dervereinbarten Leistungszeit eintretende Unmöglichkeitkönnen sie jedoch nicht begründen.

II. Schadensersatzanspruch gem. § 326 I BGBEntgegen der Auffassung des BerGer. steht dem Kl.jedoch nach dem - im Revisionsverfahren zu Grundezu legenden - Klagevorbringen ein Anspruch auf

Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 326 BGBzu.

1. Verzug des Bekl. mit einer vertraglichenHauptleistungspflicht durch Ablauf des JahresDer Bekl. ist mit Ablauf des Jahres 1995 in Verzuggeraten, da für seine Leistung zumindest mittelbar eineZeit nach dem Kalender bestimmt war (§ 284 II BGB).Im Vertrag ist festgehalten, dass der Bekl. währendjedes Kalenderjahres ("during the period of eachcalendar year') die notwendige Zahl von Titelnproduziert. Nach dem Kalender ist die Leistungszeitauch dann bestimmt, wenn die Leistung innerhalbeines bestimmten Kalenderabschnitts vereinbart wird(vgl. BGH, NJW 1984, 48 [49] = LM H. 7/1992 § 9[bg] AGBG Nr. 13). Um welche Kalenderjahre es sichdabei handelte, ergibt sich mittelbar daraus, dass derVertrag für die Jahre 1991 bis 1993 mit einer(ausgeübten) Option für die Jahre 1994 und 1995geschlossen wurde. Dies reicht für die Annahme einerkalendermäßigen Bestimmung der Leistungszeit aus(vgl. BGH, NJW 1992,1628 [1629] = LM H. 7/1992 §9 [bg] AGBG Nr. 13).

2 . E n t b e h r l i c h k e i t d e r F r i s t s e t z u n g m i tAblehnungsandrohungAllerdings hat der Kl. dem Bekl. - wie es § 326 I 1BGB an sich voraussetzt - keine Fris t mitAblehnungsandrohung gesetz t . Eine solcheFristsetzung war jedoch im Streitfall entbehrlich, weildas Interesse des Kl. an der Vertragserfüllung infolgedes eingetretenen Verzugs entfallen war (§ 326 IIBGB).Für die Prüfung im Revisionsverfahren ist von demVorbringen des Kl. auszugehen, wonach er für die Zeitab 1. 1. 1996 exklusiv bei einem anderen Produzenten,der I-GmbH, unter Vertrag stand; auf Grund dessen seier gehindert gewesen, die 1995 versäumte Produktionnoch im Jahre 1996 nachzuholen.

a. Interessenwegfall wegen Verzuges bzw. wegen desneuen ExklusivvertragesZu Unrecht meint das BerGer., das Interesse des Kl. ander Vertragserfüllung sei nicht infolge des Verzugs,sondern auf Grund der neu eingegangenenAusschließlichkeitsbindung entfallen.Das BerGer. hat nicht hinreichend berücksichtigt, dassder Verzug nicht die alleinige Ursache desInteressewegfalls sein muss, wenn der vertragstreueTeil für die anderen Ursachen nicht verantwortlich ist(Staudinger/Otto, BGB, 13. Bearb., § 326 Rdnr. 125;Emmerich, in: MünchKomm, § 326 Rdnr. 114 m. w.Nachw.). Im Streitfall war der Verzug des Bekl.jedenfalls mitursächlich für den Wegfall des Interessesdes Kl.; denn hätte der Bekl. die ihm obliegendeLeistung erbracht, wäre das Interesse des Kl. an der

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Vertragserfüllung nicht entfallen. Der Umstand, dassdas Nachholen der versäumten Leistung durch denneuen Exklusivvertrag unmöglich gemacht wurde, istdem Kl. nicht anzutasten. Mit Recht weist dieRevision darauf hin, dass der Kl. darauf angewiesenwar, für die Zeit nach dem Auslaufen des Vertrags mitdem Bekl. einen neuen Produzenten zu finden. Ihmwar es nicht zuzumuten, einen solchen anstehendenVertragsschluss nur deswegen aufzuschieben, weil derBekl. die ihm obliegende Produktion von Titeln imJahre 1995 noch nicht erfüllt hatte. Ebenfalls geht esnicht zu Lasten des Kl., dass er in dem Vertrag mit Ikeinen Vorbehalt für die nachzuholende Produktionaus dem Jahre 1995 gemacht hat. Zum einen lässt sichden Feststellungen des BerGer. nicht entnehmen, dassder Vertrag mit I ers t zu einem Zeitpunktabgeschlossen worden ist, als für den Kl. bereitsd e u t l i c h w a r , d a s s d e r B e k l . s e i n e rProduktionsverpflichtung für 1995 nicht nachkommenwürde. Zum anderen - und dies ist der entscheidendeGesichtspunkt - hätte das Bestehen auf einemderartigen Vorbehalt die Verhandlungsposition des Kl.gegenüber dem neuen Produzenten erheblichgeschwächt, wenn überhaupt eine Bereitschaftbestanden hätte, den Kl. unter solchen Vo-raussetzungen unter Vertrag zu nehmen. Denn eskonnte nicht im Interesse des neuen Produzentenliegen, dass 1996 neben den von ihm geplanten Titelnnoch die an sich für 1995 geplante CD des Bekl.erscheint und die verschiedenen Neuerscheinungensich im Absatz behindern.

b. Kein Bedürfnis für eine vorzeitige Fristsetzung mitAblehnungsandrohungAuch das BerGer. hat nicht verkannt, dass es dem Kl.nicht zuzumuten war, sich die Möglichkeit eines neuenExklusivvertrags mit einem anderen Produzentenwegen der noch ausstehenden Vertragserfüllung durchden Bekl. zu verstellen. Es meint jedoch, der Kl. hättedem Bekl. in entsprechender Anwendung von § 326 I1 BGB schon vor Eintritt des Verzugs, alsoi rgendwann im Jahre 1995, e ine Fr is t mi tAblehnungsandrohung setzen können. Richtig istzwar, dass ausnahmsweise schon vor Fälligkeit einesolche Frist gesetzt werden kann, wenn bereitsfrühzeitig ernsthafte Zweifel an der Leistungsfähigkeitoder -bereitschaft des Schuldners bestehen (vgl. BGH,NJW 1983, 989 [990] = LM § 651 f BGB Nr. 4;Emmerich, in: MünchKomm, § 326 Rdnr. 64 m.w.Nachw.). Eine Verpflichtung zu einer solchenfrühzeitigen Nachfristsetzung besteht indessen nicht.Vielmehr steht es dem Gläubiger frei, zunächstFälligkeit und Verzugseintritt abzuwarten, umnunmehr - wenn inzwischen sein Interesse an derErfüllung infolge des Verzugs entfallen ist - Schadens-ersatz wegen Nichterfüllung zu beanspruchen oder

vom Vertrag zurückzutreten.

c. Kein Vergleich mit Deckungsgeschäften, die derAnwendung von § 326 II BGB entgegenstehenFehl geht schließlich der Hinweis des BerGer. auf dieEntscheidung des BGH vom 11. 2. 1971 (WM 1971,615 [617]). Dort ist ausgesprochen, dass sich einGläubiger nicht auf § 326 II BGB berufen kann, wennder Wegfall des Interesses an einer Erfüllung daraufberuht, dass er bereits vorzeitig ein Deckungsgeschäftabgeschlossen ha t , ohne das Ergebnis derNachfristsetzung abzuwarten (vgl. auch RGZ 96, 126[129]) . Der Strei tfal l is t mit einer solchenFallkonstellation nicht vergleichbar. Denn der Vertrag,den der Kl. mit dem neuen Produzenten abgeschlossenhat, betrifft nicht die Laufzeit des zwischen denParteien geschlossenen Vertrags und stellt dahereindeutig nicht das Deckungsgeschäft für die vomBekl. im Jahre 1995 versäumte Produktion dar.

C . A u f h e b u n g d e s B e r u f u n g s u r t e i l s u n dZurückverweisungDanach ist das angefochtene Urteil auf die Revisiondes Kl. aufzuheben. Die Sache ist zur erneutenVerhandlung und Entscheidung an das BerGer.zurückzuverweisen. Das BerGer. wird nunmehr zuklären haben, ob der Kl. - wie von ihm vorgetragen -tatsächlich im Februar 1996 bereits exklusiv bei einemanderen Produzenten unter Vertrag stand und deshalbgehindert war, die 1995 versäumte Produktion Anfangdes Jahres 1996 noch nachzuholen.Gelangt das BerGer. dabei zu dem Ergebnis, dass demKl. dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus§ 326 BGB zusteht, wird es die Frage einesMitverschuldens des Kl. zu prüfen haben (vgl. zurAnwendung des § 254 im Rahmen des § 326 BGBEmmerich, in: MünchKomm, § 326 BGB Rdnr. 129).Der Bekl. hat insofern vorgetragen, für das Jahr 1995sei eine geänderte Vorgehensweise ins Auge gefasstworden, wonach zunächst der Kl. geeignete Titel habevorschlagen sollen. Dies sei nicht geschehen, weshalber, der Bekl., angenommen habe, dass auf Seiten desKl. kein Interesse an einer weiteren Produktionbestanden habe. Zwar könnte ein solcher Sachverhalt,wenn er sich bestätigen sollte, nichts daran ändern,dass die Produktion der Titel dem Bekl. oblag und erdaher - ungeachtet der Mitwirkungspflichten des Kl. -die Initiative hätte ergreifen müssen. Den Kl. könnteaber in diesem Fall ein Mitverschulden an derVersäumung der Produktion treffen.Unabhängig davon wird das BerGer. der Fragenachzugehen haben, ob ein Mitverschulden des Kl.auch darin liegen kann, dass er im Laufe des Jahres1995 gegenüber dem Bekl. niemals zum Ausdruckgebracht hat, dass er trotz der entstandenenDifferenzen auf einer Vertragserfüllung durch den

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Bekl. besteht.Schließlich wird das BerGer. gegebenenfalls zu prüfenhaben, ob. für eine Schadensschätzung mit dem LGauf den Durchschnitt der Einnahmen aus den Jahren1991 bis 1994 abgestellt werden kann oder ob dierückläufige Tendenz der Einnahmen während dieser

Zeit in die Schadensschätzung einfließen muss. DemKl. wäre es dann unbenommen, zu seinen Einnahmenaus den Produktionen der Folgejahre vorzutragen, umauf diese Weise darzulegen, dass keine Anhaltspunktefür generell rückläufige Einnahmen bestanden hätten.

Standort: Bankrecht Problem: Gefälschter Überweisungsauftrag

BGH, URTEIL VOM 17.07.2001XI ZR 325/00 (NJW 2001, 2968)

Problemdarstellung:Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die klagendeBan k g eg enübe r de r Bek l . Ausg le i ch desGirokontorückstandes, da infolge von fünf gefälschtenÜberweisungen durch eine Bekannte der Bekl. dasKonto mit fast 40.000 DM überzogen war. Der BGH lehnt einen Aufwendungsersatzanspruch derBank gem. §§ 675, 670 BGB ab, da es an einerwirksamen Anweisung zur Geschäftsbesorgung durchd i e g e f ä l s c h t e n Ü b e r w e i s u n g e n f e h l t . I mÜberweisungsverkehr trägt regelmäßig die Bank undn i c h t d e r K u n d e d a s R i s i k o , d a s sÜberweisungsaufträge gefälscht oder inhaltlichverfälscht werden. Ausnahmsweise kann dieses Risikoauf den Kunden übertragen werden, wenn er inzurechenbarer Weise einen Rechtsschein für dieEchtheit der Überweisung gesetzt hat. Ein solchesFehlverhalten seitens der Bekl. konnte allerdings nichtfestgestellt werden, da sich der Rechtsschein geradeauf die Echtheit der Überweisungsaufträge beziehenmuss. Allein die Kontoinhaberschaft begründet keinensolchen Rechtsschein. Auch haftet der Bankkundenicht im Wege einer verschuldensunabhängigenSphärenhaftung. So kann dem Bankkunden nichtvorgeworfen werden, dass an Personen seinesVertrauens Informationen über seine persönlichen undwirtschaftlichen Verhältnisse einschließlich nähererAngaben zu seinen Kontoverbindungen gegeben hat.

Prüfungsrelevanz:Neben der bereicherungsrechtlichen Problematik vonAnweisungsfällen im Bankrecht (vgl. in diesem Heft:B G H N J W 2 0 0 1 2 8 8 0 ) k o m m t a u c h d e mR e g r e s s a n s p r u c h d e r B a n k k u n d e n w e g e ndurchgeführter Giroüberweisungen examensrelevanteBedeutung zu. Der Vertrag zwischen Bank und Kundeüber die Einrichtung und Unterhaltung einesG i r o k o n t o s i s t a l s e i n e n t g e l t l i c h e rGeschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 BGB zuklassifizieren (vgl. die Neuregelungen in den §§ 676 aff. BGB). Erteilt der Bankkunde im Rahmen eines

solchen Giroverhältnisses eine Überweisung undkommt die Bank dem nach, so steht ihr dafür einRegressanspruch gem. §§ 675, 670 BGB zu, den siedurch Belastung des Girokontos geltend macht.

Vertiefungshinweise:“ Zu gefälschten Schecks: BGH, NJW 2001, 2970; “ Zu gefälschtem Überweisungsauftrag: BGH, NJW1994, 2357; BGH, NJW-RR 1990, 120.

Kursprogramm:“ Examenskurs: “Großeinkauf mit Hindernissen”“ Examenskurs: “Der Heimatfilm”

Leitsätze:1 . I m F a l l e d e r F ä l s c h u n g e i n e sÜberweisungsauftrags hat sich der Kontoinhaberdie Schaffung eines Rechtsscheins grundsätzlichnur dann entgegenhalten zu lassen, wenn sichd i e s e r g e r a d e a u f d i e E c h t h e i t d e sÜberweisungsauftrags bezieht.2. Bei Fälschung eines Überweisungsauftrags stehteiner Bank ein Aufwendungsersatzanspruch aus §§675, 670 BGB gegen den Kontoinhaber auch dannnicht zu, wenn sie die Fälschung nicht erkennenkonnte und diese durch einen Umstand ermöglichtwurde, der in der Sphäre des Kontoinhabers liegt.3. Die girovertragliche Pflicht eines Kontoinhabers,die Gefahr der Fälschung eines Überweisungsauf-trags soweit wie möglich auszuschalten, begründetgrundsätzlich keine Verpflichtung, an Personenseines Vertrauens keine Informationen über seinepersönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisseeinschließlich näherer Angaben zu seinenKontoverbindungen weiterzugehen.

Sachverhalt: Die Parteien streiten um Ansprüche aus einemGiroverhältnis. Seit 1987 unterhielt die Bekl. bei derklagenden Bank ein Girokonto. Mit Schreiben vom27.9. und 4. 10. 1993, die jeweils mit dem Namen derBekl. unterzeichnet waren, wurde die Kl. gebeten,7000 DM und 2100 DM auf ein Konto bei der B in M.zu überweisen. Die Kl. nahm die Überweisungen vor.

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Inhaberin des Empfängerkontos war Frau A, eineBekannte der Bekl., die ihrerseits Vollmacht für dasKonto besaß. Von November 1993 bis September1995 befand sich die Bekl. gemeinsam mit ihrerBekannten A auf einer Weltreise. Während dieser Zeiterhielt die Kl. als Telefax weitere mit dem Namen derBekl. unterzeichnete Schreiben vom 7. 12. 1994 und 3.sowie 23. 1. 1995. In diesen Schreiben wurde die Kl.w e g e n a k u t e n G e l d b e d a r f s d e r B e k l . u mÜberweisungen von 20 000 DM, 25 000 DM und 30000 DM auf ein Konto bei der W in S. gebeten.Z u g l e i c h w u r d e a n g e k ü n d i g t , d a s sUnterhaltszahlungen für die Bekl. in Höhe von 8000DM monatlich ab Januar 1995 auf das Konto der Bekl.bei der Kl. fließen würden. Entsprechend einemHinweis im Schreiben vom 8. 12. 1994 setzte sich dieKl. vor Ausführung der Überweisung von 20 000 DMmit der Rechtsanwältin E in M. in Verbindung, die dieBekl . in e ine r Fami l i ensache ve r t ra t . DieRechtsanwältin bestätigte der Kl., dass sie angewiesensei, die bei ihr für die Monate Januar bis März 1995eingehenden Unterhaltsbeträge in Höhe von jeweils8000 DM auf das Konto der Bekl. bei der Kl. zuüberweisen. Nach Ausführung der drei Überweisungenbelastete die Kl. jeweils das Konto der Bekl. mit denÜberweisungsbeträgen nebst Gebühren. NachKündigung des Girovertrags begehrt die Kl. dieVerur te i lung der Bekl . zum Ausgleich desDebetsaldos, den sie zum 30. 5. 1997 unterBerücksichtigung der gesamten Überweisungen mit 39228,87 DM zuzüglich Zinsen berechnet. Sie behauptet,die Bekl. habe die fünf Überweisungsaufträge selbstunterschrieben. Wenn die Unterschriften von Frau Astammen sollten, habe diese in Vollmacht der Bekl.gehandelt; zumindest habe die Bekl. die Über-weisungsaufträge nachträglich genehmigt. Bei demKonto bei der W in S. handele es sich um ein solchesder Bekl. Die Bekl. begehrt im Wege der Widerklagedie Auszahlung eines Restguthabens von 46 733,94DM nebst Zinsen. Sie behaupte t , d ie fünfÜberweisungsaufträge seien ohne ihr Wissen undWollen von Frau A gefälscht worden. Inhaberin desKontos in S. sei sie, die Bekl., nicht geworden. A habeihr in Bezug auf das Konto erklärt, sie solle eineUnterschrif tsprobe leisten, weil s ie , A, ihrKontovollmacht erteilen wolle.Das LG hat nach Einholung eines Gutachtens einesSchriftsachverständigen die Klage abgewiesen und dieKl. auf die Widerklage hin zur Zahlung von 46 691,94DM zuzüglich Zinsen verurteilt. Auf die Berufung derKl. hat das OLG der Klage unter Abweisung imÜbrigen in Höhe von 26 610,06 DM nebst Zinsenstattgegeben und die Widerklage abgewiesen. DieRevision der Bekl. hatte Erfolg und führte - soweitzum Nachteil der Bekl. entschieden worden ist - zurAufhebung und Zurückverweisung der Sache an das

BerGer.

Aus den Gründen:

A. Entscheidung und Begründung des BerGer.Das BerGer. ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich dieBekl. - nur - die drei Überweisungen auf ein Konto inS. unter Rechtsscheinsgesichtspunkten zurechnenlassen müsse. Zur Begründung hat es im Wesentlichenausgeführt:Die Kl. habe den von ihr zu fahrenden Beweis derEchtheit der Unterschriften der Bekl. auf denÜberweisungsaufträgen nicht erbracht. Es könne auchnicht festgestellt werden, dass die Bekl. bei Erteilungder Aufträge wirksam vertreten worden sei oder dasssie die Aufträge nachträglich genehmigt habe.Die Bekl. müsse sich jedoch die Überweisungsaufträgevom 8. 12. 1994 und 3. sowie 23. 1. 1995 überi n s g e s a m t 7 5 0 0 0 D M u n t e rRechtsscheinsgesichtspunkten zurechnen lassen. Zwartrage im Überweisungsverkehr grundsätzlich die Bankdas Risiko der Fälschung eines Überweisungsauftrags.Das gelte aber nicht, wenn der Kunde durch seinVerhalten einen Vertrauenstatbestand bezüglich derEchtheit des Auftrags geschaffen habe, auf den dieBank sich habe verlassen dürfen. Um einen solchenFall handele es sich hier. Die Bekl. habe durchVorlage ihres Personalausweises und durchUnterzeichnung der Kontoeröffnungsunterlagen beider W in S. objektiv die Voraussetzungen dafürgeschaffen, dass dort ein Konto auf ihren Nameneröffnet worden sei. Sie habe dadurch einen erstenwesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Kl. dieih r sodann vo rge l eg t en d re i Auf t räge fü rGeldüberweisungen von dem bei ihr geführten Kontoder Bekl. auf deren Konto ausgeführt habe.Darüber hinaus habe die Bekl. Frau A in die Lageversetzt, so genaue Details anzugeben bezüglich ihrer,der Bekl., finanziellen Verhältnisse einschließlich ihrerK o n t o v e r b i n d u n g s o w i e d e r H ö h e i h r e sUnterhaltsanspruchs, dass die Kl. auch daraus denSchluss habe ziehen dürfen, die Überweisungsaufträgegingen in Ordnung.Von entscheidender Bedeutung sei letztlich, dass FrauA sogar in der Lage gewesen sei, der Kl. vor der erstenÜberweisung auf das Konto in S. zutreffend zuerklären, die Kl. werde, falls gewünscht, von derZeugin E eine Bestätigung dahingehend erhalten, dassder bei Ausführung der Überweisung auf demGi rokon to en t s t ehen d e Schu ldsa ldo du rchÜberweisung von Unterhaltszahlungen unverzüglichwieder ausgeglichen werde. Nachdem die Kl. einesolche Bestätigung erhalten habe, habe sie voll daraufvertrauen dürfen, dass auch der Überweisungsauftragvon der Bekl. veranlasse sei. Bei den nachfolgendenÜberweisungsaufträgen vom 3. und 23. 1. 1995 habe

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dieser Vertrauenstatbestand fortgewirkt.

B. Entscheidung des BGHDiese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfungim entscheidenden Punkt nicht stand.

I. Fälschungsrisiko im Überweisungsverkehrgrundsätzlich bei der BankNicht zu beanstanden ist allerdings der rechtliche Aus-g a n g s p u n k t d e s B e r G e r . , d a s s i mÜberweisungsverkehr regelmäßig die Bank und nichtd e r K u n d e d a s R i s i k o t r ä g t , d a s sÜberweisungsaufträge gefälscht oder inhaltlichverfälscht werden (st. Rspr., BGH, WM 1985, 511;NJW-RR 1990, 1200; Senat, NJW-RR 1992, 1264;NJW 1994, 3344). Die Überweisung auf Grund einesgefälschten Auftrags steht einer von vornhereinfehlenden Anweisung gleich. Bei Ausführung einersolchen Überweisung hat die Bank daher keinenAufwendungsersatzanspruch aus §§ 675, 670 BGBund darf das Girokonto des vermeintl ichenAuftraggebers nicht mit den Überweisungsbeträgenbelasten, so dass ihr, insoweit auch ein Anspruch aus §607 I BGB nicht erwächst.Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das BerGer. dieErteilung einer Vollmacht an Frau A sowie dienachträgliche Genehmigung der Überweisungen nichtals bewiesen angesehen hat. Auch die Kl. tritt demnicht entgegen.

II. Keine Rechtsscheinhaftung der Bekl. für diegefälschten ÜberweisungenDie Revision beanstandet indes mit Recht die Auffas-sung des BerGer., dass sich die Bekl. die dreiÜ b e r w e i s u n g s a u f t r ä g e u n t e rRechtsscheinsgesichtspunkten zurechnen lassenmüsse.

1. Keine Vergleichbarkeit mit der Rechtsscheinhaftungb e i m S a m m e l ü b e r w e i s u n g s v e r f a h r e n(“Blankettmissbrauch”)Das BerGer. beruft sich für seine Ansicht zu Unrechtauf das Urteil des Senats vom 30. 6. 1992 (Senat,NJW-RR 1992, 1264). Diese Entscheidung betraf einSammelüberweisungsverfahren, das deshalb besondersfälschungsanfällig war, weil der vom Kundenunterzeichnete Sammelüberweisungsauftrag wedereine Auflistung der Einzelüberweisungen noch die je-weiligen Einzelbeträge enthielt, sondern lediglich dieA n w e i s u n g , d i e a l s A n l a g e b e i g e f ü g t e nEinzelüberweisungen in Höhe einer bestimmtenGesamtsumme auszufahren. Wegen der damiteinhergehenden erleichterten Möglichkeit, die - vonder Unterschrift des Kunden räumlich nicht mehr ge-deckten - Einzelüberweisungsaufträge zu fälschen, hates der Senat für gerechtfertigt angesehen, die in

Analogie zu § 172 II BGB entwickelten Grundsätzedes so genannten - Blankettmissbrauchs entsprechendanzuwenden. Danach muss derjenige, der ein Blankettmit seiner Unterschrift aus der Hand gibt, auch beieiner seinem Willen nicht entsprechenden Ausfüllungdes Blanketts den dadurch geschaffenen Inhalt derUrkunde einem redlichen Dritten gegenüber, dem dieUrkunde vorgelegt wird, als seine Willenserklärunggegen sich gelten lassen (vgl. BGHZ 40, 65 [68];B G H Z 4 0 , 2 9 7 [ 3 0 4 f . ] ) . E i n d i e s e rSenatsentscheidung vergleichbarer Sachverhalt liegthier bereits deshalb nicht vor, weil nach den Feststel-lungen des BerGer. keines der drei Schreiben, in denendie Überweisungsaufträge enthalten waren, von derBekl. unterzeichnet worden ist.

2. Kein Rechtsschein für die Echtheit der UnterschriftEntgegen der Auffassung des BerGer. hat sich dieBekl. die gefälschten Überweisungsaufträge auch nichta u s a n d e r e n G r ü n d e n u n t e rRechtsscheinsgesichtspunkten zurechnen zu lassen.Das OLG verkennt, dass sich die Bekl. die Schaffungeines Rechtsscheins grundsätzlich nur dannentgegenhalten lassen muss, wenn sich dieser geradeauf die Echtheit der Überweisungsaufträge bezieht.Das ist hier nicht der Fall. Auch wenn die Bekl. dasKonto bei der W in S. auf ihren eigenen Nameneröffnet haben sollte, so begründet dies keinenRechtsschein, dass eine Unterschrift auf einerÜberweisung zu Gunsten dieses Kontos echt ist, alsovon der Bekl. stammt. Dass nach der Fassung derAufträge eine Überweisung zu Gunsten eines Drittenausdrücklich ausgeschlossen sein sollte, ändert darannichts. Nach den nicht angegriffenen Feststellungendes BerGer. sind die Überweisungsaufträge ohneWissen und Wollen der Bekl. von Frau A gefertigtworden. Schließlich rechtfertigt auch der Umstand,dass die Bekl. ihrer Bekannten A genauen Einblick inihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissegewährt hat, nicht die Annahme, dass die Bekl.dadurch einen zurechenbaren Rechtsschein für dieEchtheit der Überweisungsaufträge gesetzt hat. Durchihre Vertrauensseligkeit hat die Bekl. Frau A lediglichdie Möglichkeit verschafft, der Kl. Überweisungs-aufträge der Bekl. erfolgreich vorzutäuschen.

3 . K e i n e Ha f t u n g d e s B a n k k u n d e n d u rchverschuldensunabhängige SpährenhaftungEiner Bank steht ein Aufwendungsersatzanspruch aus§§ 675, 670 BGB gegen den Kontoinhaber auch dannnicht zu, wenn sie die Fälschung nicht erkennenkonnte und diese durch einen Umstand ermöglichtwurde, der in der Sphäre des Kontoinhabers liegt. §670 BGB setzt nach seinem eindeutigen Wortlauteinen tatsächlich erteilten Auftrag voraus. Der nichtvom Kunden gesetzte Rechtsschein eines solchen

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genügt nicht. Eine verschuldensunabhängigeSphärenhaftung ist ebenso wie bei der Fälschung vonSchecks (BGHZ 135, 116 [118]) auch bei derFälschung von Überweisungsaufträgen nichtanzuerkennen (vgl. BGHZ 130, 87 [92]).

C. Keine Richtigkeit des Berufungsurteils aus anderenGründenDas Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderenGründen als richtig dar (§ 563 ZPO).

I. Kein Schadensersatzanspruch der Kl. nach p.F.V.Der zuerkannte Betrag steht der Kl. nicht alsSchadensersatz zu.Die Kl. hat keinen Schadensersatzanspruch auspositiver Verletzung des Girovertrages, weil die Bekl.ihrer Vertrauten A in vorwerfbarer Weise dieFälschung ermöglicht hätte. Zwar wäre die Bekl. derKl . schadensersa tzpf l ich t ig , wenn s ie ihregirovertragliche Pflicht, verletzt hätte, die Gefahr einerFälschung soweit wie möglich auszuschalten (vgl.Senat, NJW 1994, 3344 m.w. Nachw.). Gegen diesePflicht hat die Bekl. aber nicht verstoßen. Einegirovertraglich geschuldete Nebenpflicht einesKontoinhabers, an Personen seines Vertrauens keineInformationen über seine persönl ichen undwirtschaftlichen Verhältnisse einschließlich nähererA n g a b e n z u s e i n e n K o n t o v e r b i n d u n g e nweiterzugehen, ist grundsätzlich nicht anzuerkennen.Von der Kenntnis eines Dritten von solchen - derSache nach nicht geheimhaltungsbedürftigen -Informationen geht in aller Regel keine Gefahr für denZahlungsverkehr aus. Überdies musste die Bekl. nichtdamit rechnen, ihre Vertraute A werde in mehrerenSchreiben an die Kl. ihre Unterschrift fälschen.Den in der Revisionserwiderung angesprochenen An-spruch der Kl. aus positiver Verletzung desGirovertrags, weil die Bekl. vor und während ihrerWeltreise nicht für die gebotene Kontrolle in

Kontoauszügen mitgeteilter Kontobewegungen Sorgegetragen habe (vgl. dazu BGHZ 73, 207 [211]; BGHZ95, 103 [108]; Senat, NJW 1991, 487), hat die Kl. inden Tatsacheninstanzen nicht - hilfsweise - geltendgemacht. Auch hat das BerGer. insoweit keineausreichenden Feststellungen getroffen.

II. Kein Ersatzanspruch durch ungerechtfertigteBereicherungUnter dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Be-reicherung der Bekl. in Höhe der drei noch streitigenÜberweisungsbeträge von insgesamt 75 000 DM lässtsich das Berufungsurteil entgegen der Ansicht derRevisionserwiderung ebenfalls nicht halten. DasBerGer. ist in anderem Zusammenhang zwar davonausgegangen, auf den Namen der Bekl. sei bei der Win S. wirksam ein Konto eröffnet worden, auf das diegenannten Überweisungsbeträge gelangt seien. DasBerGer. hat sich dabei aber, wie die Revision zu Rechtrügt, nicht mit der Frage befasst, ob nach dem gern.Art. 28 II EGBGB anwendbaren australischen Rechteine Kontoeröffnung ohne Rechtsgeschäftswillen desKunden wirksam ist. Auch zum anwendbarenBereicherungsrecht (Art. 38 III EGBGB), nachdeutschem Rechtsverständnis kommt nur eineNichtleistungskondition der Kl. in Betracht (vgl. BGH,NJW 1994, 2356; Senat, NJW 2001, 1855), und zueinem etwaigen Wegfall der Bereicherung fehlen Fest-stellungen.

D . A u f h e b u n g d e s B e r u f u n g s u r t e i l s u n dZurückverweisungDas Berufungsurteil war daher, soweit zum Nachteilder Bekl. erkannt worden ist, aufzuheben (§ 564 IZPO) und die Sache, da der Rechtsstreit noch nicht zurEndentscheidung reif ist , zur anderweitigenVerhandlung und Entscheidung an das BerGer. zu-rückzuverweisen (§ 565 I 1 ZPO).

Standort: Bereicherungsrecht Problem: Konkurrenz zu §§ 994 ff. BGB

BGH, URTEIL VOM 22.06.2001V ZR 128/00 (NJW 2001, 3118)

Problemdarstellung:In diesem Revisionsverfahren hatte sich der BGH mitder umstrittenen Fragen der Konkurrenz vonB e r e i c h e r u n g s a n s p r ü c h e n z uVerwendungsersatzansprüchen gem. §§ 994 ff. BGBauseinander zu setzen. Im vorliegenden Fall dieKäufer eines Grundstücks - der Erwartung desalsbaldigen Eigentumserwerbes - mit umfangreichenBaumaßnahmen begonnen . Aufgrund ih res

Zahlungsverzuges mit dem Kaufpreis trat jedoch dieVerkäuferin nach erfolgloser Fristsetzung mitAblehnungsandrohung gem. §§ 326 I, 327, 346 ff.BGB vom Vertrag zurück.Ü b e r e i n s t i m m e n d w u r d e e i nVerwendungsersatzanspruch der Käufer für ihreBaumaßnahmen gem. §§ 347, 994 BGB verneint, dai h r e A u f w e n d u n g e n n i ch t a l s no t w e n d i g eVerwendungen auf die von den Baumaßnahmenbetroffenen Grundstücken zu bewerten waren. Jedochverneint das BerGer. einen bereicherungsrechtlichenAusgleich gem. § 812 I 2 2.Alt. BGB, weil es in der

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Baumaßnahme keinen von der Durchführung desKaufvertrages unabhängigen Zweck erkennen. Der BGH stellt jedoch eine solche Zweckverfehlungfest, da die Käufer die Erwartung hatten, die mit derDurchführung der Baumaßnahmen verbundeneWertsteigerung des Grundstücks würde letztlich ihnenzufallen. Die Parteien waren sich insofern auch einig,dass die Bauleistungen in Erwartung des zukünftigenEigentumserwerbes stattfanden. Mit dem Scheitern desKaufvertrages kann dieser Zweck nicht mehr erreichtwerden. Der Bereicherungsanspruch wegenZweckverfehlung wird auch nicht durch die §§ 994 ff.BGB ausgeschlossen, die ansonsten grundsätzlich dieAnwendbarkeit des Bereicherungsrecht sperren.

Prüfungsrelevanz:Dieses Urteil bietet sich aus zwei Gründen zurExamensvorbereitung an. Zum einen beschäftigt essich mit der nicht immer leicht zu verstehendenBereicherung wegen Zweckverfehlung gem. § 812 I 22.Alt. BGB (conditio ob rem). Danach kann eineRückabwicklung erbrachter Leistungen gefordertwerden, wenn eine zwischen den Parteien erzielteZweckvereinbarung über die Leistung nicht erreichtwird, wobei diese Zweckvereinbarung von derDurchführung eines Vertrages unabhängig sein muss.Zum anderen wird die dogmatische Problematik desK o n k u r r e n z v e r h ä l t n i s s e s z w i s c h e nB e r e i c h e r u n g s a n s p r ü c h e n u n dVerwendungsersatzansprüchen gem. §§ 994 ff. BGBbesprochen.

Vertiefungshinweise:“ Zum Bereicherungsanspruch des Mieters: BGH,NZM 1999, 19; BGHZ 111, 125 = NJW 1990, 1789“ Z u m B e r e i c h e r u n g s a n s p r u c h n a c hVertragsbeendigung: LG Marburg, WuM 2000, 680

Kursprogramm:“ Examenskurs: “Der gestohlene VW-Bus” “ Examenskurs: “Der gestohlene PKW”

Leitsatz:Bereicherungsansprüche des Mieters wegen derBebauung eines fremden Grundstücks in derb e r e c h t i g t e n E r w a r t u n g d e s s p ä t e r e nEigentumserwerbs (condictio ob rem) werden auchnach der Beendigung des Mietverhältnisses nichtdurch §§ 994 ff. BGB ausgeschlossen.

Sachverhalt: Die Bekl. beabsichtigten, in Bad D. ein Einkaufs-zentrum zu errichten. Hierzu kauften sie mit notariellbeurkundetem Vertrag vom 19. 1. 1994 von der Kl.

mehrere teilweise mit landwirtschaftlichen Gebäudenbebaute Grundstücke. Der Gesamtkaufpreis von 800000 DM war am 2. 2. 1994 fällig. Mit seiner Zahlungsollte der Besitz übergehen. Zur Sicherung desAnspruchs der Bekl. auf den Erwerb des Eigentumsbewilligte und beantragte die Kl. die Eintragung vonVormerkungen in das Grundbuch. Ohne Zahlunggeleistet zu haben, begannen die Bekl. mit demgeplanten Umbau. Bis zum Abschluss der Arbeiten imMärz 1995 und der Aufnahme des Betriebs desZentrums investierten sie nach ihrer Behauptung etwa4 Mio. DM. Am 25. 7. 1994 änderten die Parteien dieim Vertrag vom 19. 1. 1994 zur Fälligkeit desKaufpreises getroffene Regelung. Fälligkeit solltenunmehr 30 Tage nach der Mitteilung der Urkunds-notarin eintreten, dass die zu Gunsten der Bekl.bewilligten Vormerkungen in das Grundbucheingetragen seien. Am 26. 7. 1995 änderten dieParteien den Kaufvertrag erneut. Fälligkeit desKaufpreises trat hiernach in Höhe eines Teilbetragsvon 270 000 DM am 10. 8. 1995 ein. Für die Zeit biszu dem im Vertrag vom 19. 1. 1994 vereinbartenÜbergang der Nutzungen und Lasten sollten die Bekl."für die bereits außerhalb und unabhängig von denNotarverträgen durchgeführte Nutzung" einNutzungsentgelt zu bezahlen haben. Am 14. 11. 1995wurden die Vormerkungen eingetragen. Mit Schreibenvom 24. 11. 1995 forderte die Kl. die Bekl. zurZahlung von 270 000 DM auf. Mit Schreiben vom 4.3. 1996 setzte sie ihnen hierzu Frist bis zum 21. 3.1996 und erklärte, die Annahme des Kaufpreises nachAblauf dieser Frist abzulehnen; das Nutzungsver-hältnis gelte für diesen Fall als gekündigt. Die Bekl.zahlten weiterhin nicht. Mit Anwaltsschreiben vom 1.4. 1996 erklärten sie, das Vertragsverhältnis sei auchaus ihrer Sicht mit Wirkung zum 21. 3. 1996 beendetund befinde sich in der "Rückabwicklungsphase".Gegenüber dem Anspruch der Kl. auf Herausgabe derGrundstücke nähmen sie wegen ihrer Aufwendungenein Zurückbehaltungsrecht in Anspruch. DemVerlangen der Kl. nach Räumung und Herausgabe derGrundstücke sind die Bekl. während des Rechtsstreitsu n t e r d e m V o r b e h a l t v o nVerwendungsersatzansprüchen nachgekommen. Ge-genüber dem Anspruch der Kl. auf Zahlung von 6960DM Verzugszinsen auf den Kaufpre is undEinwilligung in die Löschung der Vormerkungenmachen sie ein Zurückbehaltungsrecht wegen ihrerBaumaßnahmen geltend. Ihre - zwischenzeitlich zurSicherheit abgetretenen - Ansprüche beziffern sie auf2,3 Mio. DM.Das LG hat der Klage stattgegeben. Soweit dasVerfahren nicht hinsichtlich der Ansprüche aufRäumung und Herausgabe übereinstimmend fürerledigt erklärt ist, hat das OLG die auf die Versagungeines Zurückbehaltungsrechts beschränkte Berufung

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durch Urteil vom 9. 4. 1998 zurückgewiesen. DieseEntscheidung hat der Senat durch Urteil vom 1. 10.1999 (NJW 2000, 278 = LM H. 3/2000 § 273 BGBNr. 54 = WM 2000, 140) aufgehoben und den Rechts-streit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidungan das BerGer. zurückverwiesen. Es sei festzustellen,ob die Kl. Schadenersatz wegen Nichterfüllungverlange oder ob der Kaufvertrag nach den Regeln desRücktrittsrechts abzuwickeln sei. In letzterem Fall seiaufzuklären, ob die Parteien neben der zur Nutzungder Grundstücke getroffenen Vereinbarung imHinblick auf die Baumaßnahmen der Bekl. eineZweckvereinbarung i. S. von § 812 I 2 Alt. 2 BGBgetroffen hätten. Das OLG hat die Berufung der Bekl.wiederum zurückgewiesen. Die Revision der Bekl.führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

A. Entscheidung und Begründung des BerGer.D a s B e r G e r . v e r n e i n t w e i t e r h i n e i nZurückbehaltungsrecht der Bekl.Es stellt fest, die Parteien hätten sich geeinigt, denKaufvertrag nach den Regeln des Rücktrittsrechtsabzuwickeln. Aus diesen lasse sich der geltendgemachte Anspruch nicht herleiten. Auch die Tatsa-che, dass den Bekl. der Besitz an den Grundstückennicht auf Grund des Kaufvertrags, sondern auf Grundeines selbstständigen Nutzungsvertrags überlassenworden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Einembereicherungsrechtlichen Anspruch auf Ausgleich derWerts te igerung der Grundstücke durch dieBaumaßnahmen stehe entgegen, dass die Bekl. dieseMaßnahmen zwar in der gemeinsamen Erwartung derParteien ausgeführt hätten, die Bekl. würden dasEigentum an den Grundstücken erwerben, die Parteienjedoch keine von der Durchführung des Kaufvertragsunabhängige Zweckvereinbarung im Hinblick auf dieBaumaßnahmen getroffen hätten.

B. Entscheidung des BGH Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

I. Anwendbarkeit des RücktrittsrechtsDie Revision erhebt gegen die Anwendung des Rück-trittsrechts auf die Abwicklung des Kaufvertragszwischen den Parteien durch das BerGer. keineEinwendungen. Rechtsfehler sind insoweit auch nichtersichtlich. Nicht zu beanstanden ist auch, dass dasBerGer. die Aufwendungen der Bekl. nicht alsnotwendige Verwendungen auf die von denBaumaßnahmen betroffenen Grundstücke wertet (§§347, 994 BGB).

II . Bereicherungsanspruch der Bekl . wegenZweckverfehlung gem. § 812 I 2 Alt. 2 BGB

Das Berufungsurteil geht jedoch insoweit fehl, als eseinen Anspruch der Bekl. auf Ausgleich derWer t e rhöhung de r Grunds tücke du rch d i eBaumaßnahmen der Bekl. nach §§ 812 I 2 Alt. 2(condictio ob rem), 818 II BGB verneint.

1. Feststellung einer ZweckverfehlungDie Bekl. haben die Baumaßnahmen als berechtigteBesitzer durchgeführt. Für das durch die "außerhalbund unabhängig von den Notarverträgen" erfolgteÜberlassung des Besitzes begründete Rechtsverhältnishaben die Parteien am 26. 7. 1995 rückwirkend eineentgeltliche Regelung vereinbart. Auf diesesRechtsverhältnis finden die Bestimmungen der §§ 535ff. BGB Anwendung. Das Mietverhältnis solltedadurch enden, dass die Bekl. das Eigentum an denGrundstücken erwerben. Die Bebauung derGrundstücke diente jedoch nicht dazu, die Mietsachezu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern. Siesollte nicht der Kl., sondern den Bekl. zu Gutekommen und ihnen mi t dem v e re inba r t enEigentumserwerb verbleiben. § 547 BGB schließtdaher einen bereicherungsrechtlichen Anspruch derBekl. aus §§ 812 I 2 Alt. 2, 818 II BGB auf Ausgleichder Wertsteigerung, welche die Grundstücke durch dieBaumaßnahmen erfahren haben, nicht aus (vgl. BGHZ44, 321 [323] = NJW 1966, 540 = LM § 812 BGB Nr.70; BGHZ 108, 256 [261] = NJW 1989, 2745 = LM §558 BGB Nr. 43; Emmerich, JuS 1990, 143 [144]).Nach den Feststellungen des BerGer. hat die Kl. dieErwartung der Bekl., die mit der Durchführung derBaumaßnahmen verbundene Wertsteigerung derGrundstücke werde nach der Beendigung desvereinbarten Mietverhältnisses nicht der Kl., sondernden Bekl. zu Gute kommen, geteilt. Damit waren sichdie Parteien darüber einig, dass die Kl. die Bauleistungder Bekl. nur im Hinblick auf die erwarteteE i g e n t u m s ü b e r t r a g u n g e r h i e l t . D i e s e rübereinstimmend verfolgte Zweck kann nicht mehrerreicht werden. Die Erwartung der Parteien istgescheitert, seit feststeht, dass der Kaufvertrag vom19. 1. 1994 nicht durchgeführt werden wird. Folglichhat die Kl. den Wertzuwachs, den die Grundstückedurch die Baumaßnahmen der Bekl. erfahren haben,nach §§ 812 I 2 Alt. 2, 818 BGB auszugleichen (vgl.BGHZ 35, 356 [358] = NJW 1961, 2205 = LM § 181II BGB Nr. 11; Senat, WM 1966, 277; BGH, LM § 61LAG Nr. 1 = WM 1961, 700 [701]; WM 1965, 795,und NJW 1970, 136).

2. Kein Einfluss durch die Rückabwicklung desKaufvertrages gem. §§ 346 ff. BGBDas zwischen den Parteien für die Abwicklung desKaufvertrags vereinbarte Recht der §§ 346 ff. BGBsteht diesem Anspruch nicht entgegen. DerRechtsgrund der Bauleistung war weder der

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Kaufvertrag noch der Mietvertrag, sondern diegesondert getroffene Zweckvereinbarung. Zwar hattesich die Kl. durch den Kaufvertrag zur Grundstücks-über t ragung verpf l ichtet , jedoch war dieseVerpflichtung nicht der Rechtsgrund der Bauleistung.Denn die Bekl. hatten den hierfür erforderlichen Besitznicht auf Grund der kaufvertraglichen Verpflichtung,sondern "außerhalb und unabhängig" hiervon zurzweckbestimmten Nutzung (Durchführung vonBaumaßnahmen) eingeräumt bekommen. Nach demVertrag sollte der Besitz erst mit der vollständigen Be-zahlung des Kaufpreises auf die Bekl. übergehen. Andieser Regelung haben Parteien auch bei denÄnderungen des Kaufvertrags noch festgehalten,obwohl die Bekl. zu dieser Zeit längst im Besitz derKaufgrundstücke waren.

3. Kein Ausschluss durch die §§ 994 ff. BGBDie condictio ob rem wird auch nicht durch die Vor-schriften der § § 994 ff. BGB ausgeschlossen. Zwarfinden die Vorschriften der §§ 987 ff. BGB nachgefestigter Rechtsprechung auch auf den beiGeltendmachung des Vindikationsanspruchs nichtmehr berechtigten Besitzer Anwendung (vgl. nurSenat, NJW 1996, 921 = LM H. 5/1996 § 249 [A]BGB Nr. 111 m. w. Nachw.) und schließen die

Anwendbarkeit des allgemeinen Bereicherungsrechtsaus (vgl. Senat, NJW 1996, 52 = LM H. 2/1996 § 812BGB Nr. 247) . Dies g i l t j edoch n icht fürBereicherungsansprüche wegen Baumaßnahmen auffremdem Grund und Boden, die von einemberechtigten Besitzer in der begründeten Erwartungdes späteren Eigentumserwerhs vorgenommen werden(vgl. BGHZ 44, 321 [323] = NJW 1966, 540 = LM §812 BGB Nr. 70; BGHZ 108, 256 [262] = NJW 1989,2745 = LM § 558 BGB Nr. 43; ferner BGHZ 10, 171[177] = NJW 1953, 1466 = LM § 547 BGB Nr. 2;BGH, NJW 1996, 52 = LM H. 2/1996 § 812 BGB Nr.247, m. Anm. Canaris, JZ 1996, 344 [3471).

I I I . A u f h e b u n g d e s B e r u f u n g s u r t e i l s u n dZurückverweisungZu einer abschließenden Entscheidung ist der Senatweiterhin nicht in der Lage, weil das BerGer., vonseinem Standpunkt aus folgerichtig, zur Höhe derWerts te igerung der Grundstücke durch dieBaumaßnahmen der Bekl. keine Feststellungengetroffen hat. Dies ist nachzuholen.Im Rahmen der Zurückverweisung hat der Senat vonder ihm durch § 565 I 2 ZPO eingeräumten BefugnisGebrauch gemacht.

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Strafrecht

Standort: § 211 II StGB Problem: Mord zur Verdeckung von Tötungshandlungen

BGH, URTEIL VOM 12.06.2001

5 STR 432/00 (STRAFO 2001, 350)

Problemdarstellung:Der BGH hat te s ich in der nachstehendenE n t s c h e i d u n g m i t d e m M o r d m e r k m a l d e rVerdeckungsabsicht zu befassen. Die Angeklagtenhatten auf ihr Opfer gewaltsam eingewirkt undentschlossen sich im Laufe der Gewalthandlungen zutödlichen Verdeckungshandlungen.Da nicht genau feststellbar war, zu welchem Zeitpunktsie den Tötungsvorsatz gefasst hatten, ging der BGHunter Berufung auf den Zweifelssatz davon aus, dassd i e A n g ek l ag t en b e r e i t s v o n A n f a n g mi tTötungsvorsatzes handelten. Handelten die Täternämlich mit durchgehendem Tötungsvorsatz bliebe fürdie Annahme eines Verdeckungsmordes kein Raum.Da einer der Angeklagten aber nach einer zeitlichenZäsur an den Tatort zurückkehrte, um dem nochlebenden Opfer weitere Gewalthandlungen zuzufügen,konnte auch unter Berücksichtigung der erforderlichenT r e n n u n g v o n z u v e r d e c k e n d e r T a t u n dTötungshandlung von einem Verdeckungsmordausgegangen werden.

Prüfungsrelevanz:D i e V e r d e c k u n g s a b s i c h t g e h ö r t z u d e nexamensrelevantesten Mordmerkmalen (vgl. zurÜbersicht z.B. Otto, Jura 1994, 141 ff.; Küper, BT, 3.Auflage, S. 311 ff.). Der BGH nimmt die vorliegendeEntscheidung zum Anlass, noch einmal grundsätzlichauf das erforderliche Verhältnis von zu verdeckenderTat und Verdeckungshandlung einzugehen (s. zuletztBGH, NStZ 2000, 498).Der BGH verneinte einen Verdeckungsmord in seinerfrüheren Rechtsprechung, wenn beide Taten “materiellidentisch” waren, d.h. sich auf die gleicheAngriffsrichtung (Delikte gegen Leib und Leben)bezogen, beide Taten einer unvorhergesehenenAugenblickssituation entspringen und in engemzeitlich-sachlichem Zusammenhang nahtlos ineinanderübergehen (vgl. BGHSt 27, 346 ff.). Seit BGHSt 35,116 ff. geht die Rechtsprechung grundsätzlich davonaus, dass weder die Doppelspontaneität noch dieIdentität der Angriffsrichtung die Verdeckungsabsichtausschließt. Im Hinblick auf bereits ursprünglich mit

Tötungsvorsatz vorgenommene Taten hat der BGHinzwischen in mehrfachen Entscheidungen die imUrteil wiedergegebene differenzierte Positioneingenommen (vgl. etwa BGH, NStZ 1990, 385;NStZ-RR 1999, 234 = RA 1999, 450; NStZ 2000,498)

Vertiefungshinweise:“ Zur Verdeckungsabs ich t be i bed ing temTötungsvorsatz: BGHSt 39, 159; 41, 358“ Zum Verdeckungsmord durch Unterlassen: BGH,RA 2000, 356 = NJW 2000, 1703

Kursprogramm:“ Assessorkurs: “Assmann”

Sachverhalt:Die Angeklagten misshandelten zunächst den Rgemeinschaftlich. Während der Gewalteinwirkungenentschlossen sie sich, R (auch) deshalb zu töten, umeine etwaige Strafverfolgung gegen sich - infolge einerAnzeige seitens R im Falle seines Überlebens - zuverhindern. Es ließ sich allerdings nicht mehr genauklären, zu welchem Zeitpunkt die Angeklagten denTötungsentschluss gefasst haben. Nach diesenGewalthandlungen verließen die Angeklagten denTatort und fuhren zu ihrer Wohnung. Zu diesemZeitpunkt lebte R noch. Nach kurzer Zeit fasste derAngeklagte B den Entschluss , a l le in zu Rzurückzukehren und diesen zu töten, um einerBestrafung wegen der vorangegangen Taten zuentgehen. Am Tatort angekommen wirkte er durchmassive Gewalthandlungen auf R ein. woraufhindieser verstarb.

Aus den Gründen: Diese Feststellungen des Schwurgerichts zumTathergang sind rechtsfehlerfrei getroffen. Indes hältdie rechtliche Würdigung teilweise sachlichrechtlicherPrüfung nicht stand und erfordert Korrekturen durchdas Revisionsgericht.

1.Das gemeinsame Einwirken auf RDie vom LG getroffenen Feststellungen tragenhinsichtlich der gemeinschaftlichen Mißhandlungender Angeklagten die Verurteilung wegen eines(versuchten) Verdeckungsmordes nicht.

STRAFRECHT RA 2001, HEFT 11

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a) Zu den rechtlichen Voraussetzungen des Ver-deckungsmordesDie Annahme dieses Mordmerkmals setzt gem. § 211A b s . 2 S t G B v o r a u s , d a ß d e r T ä t e r d i eTötungshandlung vornimmt, um eine andere Straftatzu verdecken. Dabei kann die Tötungshandlungunmittelbar an die zu verdeckende Straftat anschließen(vgl. BGHSt 32, 116; BGHR StGB § 211 Abs. 2 -niedrige Beweggründe 37). Als Vortat einesVerdeckungsmordes i. S. d. § 211 Abs. 2 StGB kommtauch ein gegen die körperliche Unversehrtheit ge-richtetes Delikt in Betracht (BGH aaO). Handelt derTäter allerdings bereits von Anfang an mitTötungsvorsatz gegen das Opfer, fehlt eine zuverdeckende Vortat, auch wenn der Täter im Zuge derTatausführung den Tötungserfolg zusätzlich auchdeshalb herbeiführen will, um seine vorherigeTarhandlung zu verdecken (std. Rspr.; vgl. zuletztBGH NStZ 2000, 498 f. m. w. N.). Allein das Hinzu-treten der Verdeckungsabsicht als eines weiterenTötungsmotives macht die davor begangenenEinzelakte nicht zu einer anderen Tat. Handelt derTäter mit einem durchgängigen Tötungsvorsatz, ist fürdie Annahme eines Verdeckungsmordes deshalb keinRaum. Dabei ist auch unerheblich, ob er zunächst mitb e d i n g t e m u n d e r s t s p ä t e r m i t d i r e k t e mTötungsvorsatz auf das Opfer eingewirkt hat (BGHRStGB § 211 Abs. 2 - Verdeckung 5; BGH Beschl. v.11. 5. 2000 - 5 StR 114/00). Hat der mit jedenfalls be-dingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter bereits denVersuch eines Tötungsdelikts begangen, dann verdeckter, wenn er auch aus Angst vor Srafverfolgung dieGewaltanwendung fortsetzt, lediglich die Tat, die ergerade begeht. Dies ist aber keine andere Tat, sonderndas nämliche Tötungsdelikt (BGH NStZ 2000, 498).Anders ist die Rechtslage nur zu beurteilen, wenn zwi-schen einer (erfolglosen) Tötungshandlung und dererneuten, mit Verdeckungsabsicht vorgenommenenzweiten Tötungshandlung eine deutliche zeitlicheZäsur liegt. Faßt der Täter dann den Entschluß, das(zumindest aus seiner Sicht zunächst überlebende)Opfer auch deshalb zu töten, um die Aufdeckung desversuchten Tötungsdelikts zu verhindern, ist dasMordmerkmal der Verdeckungsabsicht erfüllt (BGHRStGB § 211 Abs. 2 - Verdeckung 11). Die spätereTötungshandlung bezieht sich dann auf eine zunächstabgeschlossene Tat, mithin also auf eine andere Tati.S.d. § 211 Abs. 2 StGB.

b) Zu den Feststellungen des LandgerichtsDas LG hat allerdings keine Zäsur festgestellt, bevordie Angeklagten in Verdeckungsabsicht ihre Gewalttä-tigkeiten gegen das Opfer fortgesetzt haben. Das LGhat sich weiterhin keine sichere Überzeugung davonbilden können, wann im Verlauf der Mißhandlungendie Angeklagten den Entschluß gefaßt haben, R (auch)

deshalb zu töten, um eine etwaige Strafverfolgunggegen sich zu verhindern. Vielmehr legt dieStrafkammer ausdrücklich dar, daß während derGewalteinwirkungen auf das Opfer der Zeitpunktunklar geblieben ist, ab dem die Angeklagten (auch)deshalb auf R eingeschlagen haben, um im Falle seinesÜberlebens eine Strafanzeige durch ihn zu verhindern.Das LG hätte deshalb nur dann hinsichtlich des erstenT a t k o m p l e x e s d a s M o r d m e r k m a l d e rVerdeckungsabsicht bejahen dürfen, wenn diezunächst begangenen Gewalttätigkeiten gegen dasOpfer R nicht mit Tötungsvorsatz erfolgt wären. Beidieser Prüfung hätte aber der Zweifelssatz beachtetwerden müssen, weil es im Hinblick auf dasMordmerkmal der Verdeckungsabsicht für dieAngeklagten günst iger wäre, wenn bei denvorangegangenen Mißhandlungen ein Tötungsvorsatzbereits bestanden hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 11. 5.2000 - 5 StR 114/00). Diese Prüfung hat das LGunterlassen. Bei Schlägen mit einer Eisenstange gegenden Kopf des Opfers liegt ein Tötungsvorsatz nahe.

c) Entscheidung des BGHDer Senat ändert den Schuldspruch dementsprechendvon versuchtem Mord auf versuchten Totschlag. Erschließt aus, daß in einer neuen Hauptverhandlungtragende Feststellungen für das Mordmerkmal derVerdeckungsabsicht getroffen werden könnten. DieRevisionen der Angeklagten geben auch keinenzwingenden Anlaß, die Sache zu etwa möglicherFeststel lung bislang den Angeklagten nichtangelasteter Tatumstände zu umfassender neuerÜberprüfung der Schuldsprüche zurückzuverweisen.Gegen die geänderten milderen Schuldsprüche hättensich die Angeklagten nicht wirkungsvoller als bislangverteidigen können.

2. Der zweite HandlungsabschnittB e z ü g l i c h d e s z w e i t e n T a t a b s c h n i t t s(Gewalteinwirkung gegen das Opfer R allein durchden Angeklagten B) entnimmt der Senat demGesamtzusammenhang der Urteilsgründe dietatsächlichen Voraussetzungen eines vollendetenMordes. Hierfür sprechen insbesondere die vom LGgetroffenen Feststellungen, daß das Opfer vor denweiteren Gewalteinwirkungen Bs noch gelebt hat unddanach alsbald verstorben ist, sowie die Feststellungenz u Z i e l r i c h t u n g u n d M a s s i v i t ä t d i e s e rGewalthandlungen und zum Spurenbild am Tatort.Danach haben die Gewalthandlungen des AngeklagtenB den Tod des Opfers mindestens beschleunigt. DerSchuldspruch gegen diesen Angeklagten wegenMordes ist daher rechtsfehlerfrei (vgl. BGHR StGBvor § l/Kausalität - Angriffe, mehrere 1; BGHR StGBvor § 1/Kausalität - Doppelkausalität 2 m. w. N.).Hinsichtlich dieses Tatkomplexes hat das LG das

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Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht auchrechtsfehlerfrei bejaht. Die Fahrt zur Wohnung undder erst dort gefaßte Entschluß zur Rückkehr zumTatort bildeten eine ausreichende Zäsur zwischen derzu verdeckenden Vortat und den späteren tödlichenMißhandlungen.

3. Zur Strafzumessung; Entscheidung des BGHBestehenbleiben kann damit auch die vom LG für denvollendeten Mord gegen den Angeklagten B verhängteE i n z e l f r e i h e i t s s t r a f e v o n 1 3 J a h r e n . D i eStrafzumessungserwägungen hierzu lassen einenRechtsfehler nicht erkennen.Die Änderung des Schuldspruches im erstenTatkomplex führt zu einer Aufhebung der insoweitgegen die Angeklagten verhängten Einzelstrafen. DerSenat verkennt dabei nicht, daß im Hinblick auf dieeinzubeziehenden Freiheitsstrafen (Einzelstrafe bei M:13 Jahre und sechs Monate, bei B: lebenslangeFreiheitsstrafe) die nunmehr vom neuen Tatrichternoch vorzunehmende Strafzumessung für dieAngeklagten ohne praktische Auswirkung auf dieGesamtsanktionen sein dürfte. Im Hinblick auf dieselbständige Bedeutung einer Einzelstrafe (vgl.BGHSt 4, 346) sieht sich der Senat indes nach § 354

StPO aus Rechtsgründen gehindert, selbst dieEinzelstrafen festzusetzen.Der Wegfall dieser Einzelstrafen bedingt dieAufhebung der vom LG gebildeten Gesamtstrafen.Dies schließt die beim Angeklagten B an sichrechtsfehlerfrei getroffene Feststellung der besonderenSchwere der Schuld nach § 57 b StGB ein. Hierüberwird der neue Tatrichter ebenfalls zu befinden haben.Zu einer Entscheidung über die besondere Schwere derSchuld nach § 57 b StGB ist er gehalten, auch wenn erselbst als Einzelstrafe keine lebenslange Freiheitsstrafeverhängt, sondern mit einer solchen nur nach §§ 54, 55StGB eine Gesamtstrafe zu bilden hat (vgl.Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 57 b Rn. 2).Bei dem gegebenen Subsumtionsfehler ist eineAufhebung von Feststellungen nach § 353 Abs. 2StPO nicht veranlaßt. Der neue Tatrichter wird überdie Einzelstrafen, die Gesamtstrafen und über § 57 bStGB bei B auf der Grundlage der bisherigenFeststellungen und unter Berücksichtigung derabweichenden, milderen rechtlichen Würdigung desSenats zu entscheiden haben. Er ist lediglich zur Er-gänzung weiterer Feststellungen befugt, die denbisherigen nicht widersprechen.

Standort: § 263 StGB Problem: Täuschung durch Behauptung wahrer Tatsachen

BGH, URTEIL VOM 19.07.2001

4 STR 457/00 (WISTRA 2001, 386)

Problemdarstellung:Der BGH hat te s ich in der nachstehendenEntscheidung zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeitmit dem Problem der Täuschung durch dieBehauptung wahrer Tatsachen zu befassen: Die Angeklagten wollten bei ihren Kunden,überwiegend überschuldete Verbraucher, den Eindruckerwecken, diese könnten bei ihnen einen Kredit zurÜberbrückung ihrer sonstigen Verbindlichkeitenbekommen. Dabei kam es den Angeklagten darauf, dieKunden glauben zu machen, die eingeforderten Nach-namezahlungen für die Übersendung von Unterlagensei die Vergütung für eine Kreditvermittlung.Tatsächlich hatten die Angeklagten keine Kreditevermittelt, die übersandten Unterlagen waren für dieKunden wertlos. Da die von ihnen in der Werbung undim Schriftverkehr aufgestellten Behauptungen für sichbetrachtet wahr waren (die Angekl. hatten zwar denEindruck einer Kreditvermittlung erweckt, es aberbewusst vermieden, eine solche ausdrücklichanzubieten), stellte sich die Frage, ob in demV e r h a l t e n e i n e t a t b e s t a n d s m ä ß i g eTäuschungshandlung gesehen werden kann. Der BGH

hat die Frage bejaht.

Prüfungsrelevanz:Die Entscheidung bestätigt die grundlegendeEntscheidung vom 26.04.2001 (RA 2001, 438) in derder BGH im Anschluss an seine Rechtsprechung zumStraßenverkehrsrecht (BGH, NJW 1999, 3132) auchfür den Betrugstatbestand ausgesprochen hat, dassd i e s e r d u r c h d e n A n s c h e i n ä u ß e r l i c hverkehrsgerechten Verhaltens verwirklicht werdenkann. Im Gegensatz zur in der Literatur weitverbreiteten Lehre von der objektiven Zurechnungnimmt der BGH eine erhebliche Versubjektivierungdes Unrechts auch der vollendeten Tat vor (s.weiterführend RA 2001, 438 ff. m.w.N.).

Vertiefungshinweise:“ Zum Vermögensschaden: BGH, wistra 2001, 388;OLG Stuttgart, wistra 2001, 398“ Zum Be t rug durch wet tbewerbswid r igePreisabsprachen: BGH, wistra 2001, 384; Hohmann,NStZ 2001, 566

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Leitsatz (der Redaktion):Bedient sich der Täter zur Irreführung isoliertbetrachtet wahrer Tatsachenbehauptungen, wirdein Verhalten zur tatbestandlichen Täuschungdann, wenn der Täter die Eignung der - inhaltlichrichtigen - Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen,planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein“äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens” gezieltdie Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn alsodie Irrtumserregung nicht bloße Folge, sondern derZweck der Handlung ist.

Sachverhalt:

I. Zur ProzessgeschichteDas Landgericht hat die Angeklagten G. und P. wegenBetruges verurteilt, und zwar den Angeklagten G. zueiner Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechsMonaten und die Angeklagte P zu einer zurBewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einemJahr und neun Monaten. Ferner hat es demAngeklagten G. "für die Dauer von drei Jahrenuntersagt, im Bereich der Schuldensanierung,Schuldenregulierung, Vermittlung hierzu undKreditvermittlung gewerblich tätig zu werden oder einsolches Gewerbe für einen anderen auszuüben oder fürsich ausüben zu lassen”. Gegen dieses Urteil wendensich der Angeklagte G, und - zu Ungunsten beiderAngeklagten - die Staatsanwaltschaft nut ihrenRevisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichenRechts rügen; der Angeklagte G. beanstandet darüberauch das Verfahren; er wendet sich gegen seineVerurteilung insgesamt. Die Staatsanwaltschaftbeanstandet, daß das Landgericht die Angeklagten nureiner Tat des Betruges für schuldig befunden hat. DasRechtsmittel des Angeklagten G. führt nur zumWegfall des Ausspruchs über das Berufsverbot; dieRevision der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.

II. FeststellungenIn Verfolgung ihrer betrügerischen Absichtbeschlossen beide Angeklagten im Frühjahr 1995,gewerblich eine sog. "Schuldenregulierung"anzubieten. Das "Konzept" der Angeklagten bestanddarin, durch Zeitungsanzeigen und den nachfolgenden,in allen Fällen gleichen Schriftverkehr mit den sich aufdie Anzeigen meldenden Interessenten bei diesen denEindruck zu erwecken, sie könnten einen Kreditbekommen. Auf diese Weise sollten die Kunden dazuveranlaßt werden, einen per Nachnahme erhobenenB e t r a g z u z a h l e n i n d e r E r w a r t u n g , d i eNachnahmesendung enthalte einen Kreditvertrag. DenAngeklagten kam es dabei darauf an, die Kundenglauben zu machen, der erhobene und bezahlte Betragsei die Vergütung für die Vermittlung des Kredits.

Tatsächlich fand aber weder eine Kreditvermittlungstatt, noch beabsichtigten die Angeklagten, überhaupteine vermögenswerte Leistung zu erbringen. Um ihr"Konzept" durchzuführen, übernahm der AngeklagteG. unter der eigens hierfür gegründeten Firma NF - dieAnwerbung und vermeintliche Vermittlung derKunden, während die Angeklagte unter der ebenfallseigens hierfür gegründeten Firma H. Vermö-g e n s b e r a t u n g - i m f o l g e n d e n H V B - d i e"Schuldenregulierung” betrieb.Von April 1995 bis Januar 1996 erhielten insgesamt2.166 Kunden die Nachnahmesendung, "wobei dieMehrheit hiervon [.. .] die Nachnahmegebührentrichtete und die Sendung in Empfang nahm. Vondiesen Kunden wurden insgesamt mindestens 550.000DM an NF gezahlt. 29.509 DM davon reichte der An-gekl O. als Provision an die Angeklagte R weiter. DenAngeklagten war bei ihrem Vorgehen bewußt, daß dieKunden zur Zahlung der per Nachname erhobenenVermittlungsvergütungen durch die Annahmeveranlaßt wurden, die NF habe einen Kredit vermitteltu n d d i e Nach n ah me s e n d u n g e n t h a l t e d e nentsprechenden Vertrag mit dem Kreditgeber. Ausdiesem Grunde erfolgte der Hinweis, daß der Vertrag"nicht als Bankvertrag abgewickelt werde”, erst nachBezahlung der Nachname, denn die Angeklagtenrechneten damit, daß im Falle einer früherenAufklärung über den wirklichen Geschäftsgegenstandkaum ein Kunde zur Zahlung bereit gewesen wäre".

Aus den Gründen:

I. Revision des Angeklagten G.Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisions-rechtfertigung des Angeklagten G deckt zum Schuld-und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zuseinem Nachteil auf.

1. Die VerfahrensrügenDie Verfahrensbeschwerden dringen nicht durch.Insoweit verweist der Senat auf die zutreffendenA u s f ü h r u n g e n i n d e r A n t r a g s s c h r i f t d e sGeneralbundesanwalts vom 6. März 2001.

2. Die SachrügeDer Angeklagte hat auch mit der Sachrüge keinenErfolg. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfreigetroffenen Feststellungen hat das Landgericht denAngeklagten zu Recht wegen Betruges verurteilt.

a) Zu den gesetzlichen Anforderungen an eineTäuschungshandlung Näherer Erörterungen bedarf lediglich das Merkmalder Täuschung. Entgegen der Auffassung der Revisionhat das Landgericht dies zu Recht bejaht.Die Täuschungshandlung besteht nach dem Wortlaut

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des Gesetzes in der Vorspiegelung falscher oder in derEntstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen.Täuschung ist danach jedes Verhalten, das objektivirreführt oder einen Irrtum unterhält und damit auf dieVorstellung eines anderen einwirkt. Dabei ist inRechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt,daß außer der ausdrücklichen Begehung, namentlichdurch bewußt unwahre Behauptungen, die Täuschungauch konkludent erfolgen kann, nämlich durchirreführendes Verhalten.Dies schließt eine Täuschungshandlung nicht deshalbaus, weil sich der Täter hierzu - insoliert betrachtet -wahrer Tatsachenbehauptungen bedient. Wie der Senatin seinem Urteil vom 26. April 2001 - 4 StR 439/00 -(NJW 2001, 2187 f.) näher ausgeführt hat, wird einVerhalten in diesen Fällen zur tatbestandlichenTäuschung dann, wenn der Täter die Eignung der -inhaltlich richtigen - Erklärung, einen Irrtumhervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unterdem Anschein “äußerlich verkehrsgerechtenVerhaltens" gezielt die Schädigung des Adressatenverfolgt, wenn also die Täuschung nicht die bloßeFolge, sondern der Zweck der Handlung ist.

b) Zu den Feststellungen des LandgerichtsD i e F e s t s t e l l u n g e n b e l e g e n d i e h i e r n a c hvorausgesetzte objektive und subjektive Tatseite; denndanach war das von den Angeklagten verfolgte"Konzept" gerade darauf angelegt, "die Interessentendurch das Vortäuschen einer Kreditvermittlung zurZahlung des Nachnahmebetrages zu veranlassen". DieBeweiswürdigung des Landgerichts, das sich dieÜberzeugung verschafft hat, die Angeklagten hättenden Kunden der N-F "vorgespiegelt, ihnen solle einKredit vermittelt werden, während in Wahrheit wedereine Vermittlung erfolgte, noch ein Kredit gewährtwurde", weist keinen Rechtsfehler auf. Daß dieInteressenten bzw. Kunden bei sorgfältiger Prüfungder telefonischen Auskünfte sowie des Schriftverkehrshätten erkennen können, daß ihnen keine Gewährungoder zumindest Vermittlung eines Kredits zugesichertwurde, beseitigt unter den gegebenen Umständen dieta tbes tand l i che Täuschungshand lung n ich t(Senatsurteil, aaO.).

c) Zur Täuschung durch aktives TunIm Ergebnis zu Recht hat das Landgericht denAngeklagten - ohne dies allerdings näher auszuführen- eine tatbestandliche Täuschung durch positives Tun,nämlich durch aktive Irreführung und nicht lediglichdurch Unterlassen einer an sich gebotenen Aufklärunga n g e n o m m e n . D e m s t e h t d i e - i n s o w e i tmißverständliche - Erwägung nicht entgegen, "dieAnrufer (seien) in keinem Fall darüber aufgeklärt(worden), daß die Problemlösung [...] kein Kredit sei.Denn die Angeklagten beschränkten sich bei

Verfolgung ihres “Konzepts" nicht darauf, gezieltgegenüber den Interessenten das Wort "Kredit" nichtzu erwähnen. Vielmehr haben sie durch eine Vielzahlvon Wendungen (etwa “Regulierungssumme","Tilgungsrate", "Laufzeit", "Vermittlung einerFinanzsanierung”, “Vertragsannahme” und “Genehmi-gung über obige Schuldsumme über eine privateFinanzierungsgesel lschaft") bewußt auf dieH e r b e i f ü h r u n g , j e d e n f a l l s a b e r a u f d i eAufrechterhaltung der fehlerhaften Annahme, die NFgewähre oder zumindest vermittle einen Kredithingewirkt. Deshalb kommt es hier auf dieAbgrenzung zur Täuschung durch Unterlassen und aufdie Frage einer Garantenpflicht zur Aufklärung (vgl.Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 263 Rdn. 12 ff.) nichtan.

d) Zum VermögensschadenAuch der von den Angeklagten angestrebteirrtumsbedinge Vermögensschaden ist im Ergebnisrechtsfehlerfrei festgestellt. Dabei kann letztlichdahinstehen, ob die "Vergütungsvereinbarung" nichtigoder nur wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123BGB anfechtbar war. Denn für die Prüfung einesVermögensschadens im Sinne des Betrugstatbestandesist entscheidend allein der nach wirtschaftlichenGesichtspunkten zu bestimmende Wertvergleich vonLeistung und Gegenleistung (BGHSt 22, 88, 89).Hierzu ergeben die vom Landgericht rechtsfehlerfreigetroffenen Feststellungen, daß - was im übrigen aufder Hand liegt - die von den Angeklagten sobezeichnete "Finanzsanierung", nämlich die bloßeWeiterleitung von Zahlungen des Kunden an dessenGläubiger, "völlig ohne Belang", d.h. nicht nur nachderen persönlicher Einschätzung, sondern auch nachAuffassung eines objektiven Betrachters praktischwertlos waren. Dies genügt unter den gegebenenUmständen für die Annahmeeines Vermögensschadens (vgl. BGHSt 23, 300, 301;ebenso Senatsurteil vom 26. April 2001). Soweit dieR e v i s i o n d e m g e g e n ü b e r e i n w e n d e t , d e r"Vermögensverwaltungsvertrag" sei für die Kundenschon deshalb nicht"absolut wertlos" gewesen, weildie vertraglich zugesicherte Leistung, nämlich auf dieG l ä u b i g e r d a h i n e i n z u w i r k e n , d a ß d i e s eRatenzahlungsvereinbarungen zustimmen, fürkreditunwürdige Personen das einzige probate Mitteld a r ( s t e l l t ) , a u s d e r S c h u l d e n s i t u a t i o nherauszukommen", hat das Landgericht nichtfestgestellt, daß die Angeklagten auch nur in diesemUmfang eine Leistung" erbracht haben bzw. zuerbringen beabsichtigen. Dem steht nämlich schonentgegen, daß die "Interessent(en) (ihre) Gläubiger derNF gar nicht genannt hatte(n)".

2. Zum Strafausspruch

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Auch der Strafausspruch gegen den Angeklagten G.hält der rechtlichen Nachprüfung stand. DasL a n d g e r i c h t h a t a l l e " b e s t i m m e n d e n "Strafzumessungsgründe (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO)gegeneinander abgewogen. Die Revision zeigtinsoweit einen Rechtsfehler auch nicht auf

3. Zum Ausspruch des BerufsverbotsDagegen kann der Ausspruch über das Berufsverbotnicht bestehen bleiben. Die Verhängung der Maßregelnach § 70 StGB setzt voraus, daß der Täter den Berufoder das Gewerbe, bei dem ihm Mißbrauch oder grobePflichtverletzung vorgeworfen wird, bei Begehung derStraftat tatsächlich ausübt (BGHSt 22, 144, 145 f.).Nach der Rechtsprechung reicht es demgemäß nichtaus, daß die vom Angeklagten begangenenBetrugstaten nur im Zusammenhang mit einerbeabsicht igten vorgetäuschten Berufs- oderGewerbetätigkeit standen (BGHR StGB § 70 Abs. 1Pfl ichtver letzung 4) . So l iegt es h ier : DieFeststellungen ergeben nicht, daß sich der Angeklagteüberhaupt ernsthaft im Bereich der "Schul-denregulierung" und Vermögensverwaltung betätigte.Vielmehr diente - wie das Landgericht ausdrücklichfeststellt - die Gründung der NF - ebenso wie dieGründung der HVB durch die Mitangeklagte P. - derBegehung des abgeurteilten Betruges. Damit hat derAngeklagte die Vermittlungstätigkeit der NF aber nurvorgetäuscht, um die Geschädigten zu Zahlungen anihn zu veranlassen. Das genügt für die Anordnung desBerufsverbots nicht. Der Senat läßt deshalb denMaßregelausspruch entfallen.

II. Revision der StaatsanwaltschaftDie Revision der Staatsanwaltschaft erweist sich alsu n b e g r ü n d e t . O h n e E r f o l g r ü g t d i eBeschwerdeführerin, daß das Landgericht die beidenAngeklagten jeweils nur einer Tat des Betruges fürschuldig befunden hat. Einen durchgreifendenRechtsfehler weist das Urteil insoweit nicht auf:Zwar sind die Angeklagten als mittelbare Täterrechtlich so zu behandeln als hätten sie die

Betrugstaten gegenüber den 2.166 Interessenteneigenhändig verwirklicht (§ 25 Abs. 1 StGB). Für dieFrage des Vorliegens einer oder mehrerer Handlungenim Sinne der §§ 52, 53 StGB ist nach ständiger Recht-sprechung aber der jeweilige Tatbeitrag entscheidend(BGH NJW 1995,2933,2934; StV 2000,196). Das hatdas Landgericht auch beachtet; denn es begründetseine Rechtsauffassung damit, "der Tatbeitrag beiderAngeklagten (habe) in der Etablierung und Leitungdes betrügerischen Geschäftsbetriebes (bestanden), indessen Rahmen sie die Täuschung der Geschädigtenjeweils von ihren Angestellten regelhaft ausführenließen, denen sie entsprechende, generelle Weisungenerteilt hatten". Demgegenüber hat das Landgerichtallerdings - worauf die Beschwerdeführerin verweist -festgestellt, "die Telefonanrufe der Interessenten( h a b e ) i n d e n e i n e n z w e i W o c h e n d e sGeschäftsbetriebs neben der Angeklagten P. auch derAngeklagte G. selbst entgegengenommen, danachzunächst nur die Angeklagte P.". Doch ergibt sichnoch nichts, was die Beurteilung der Konkurrenzfragedurch das Landgericht im Ergebnis in Zweifel zieht.Denn in der bloßen Entgegennahme der Telefonanrufeder Interessenten kann für sich allein noch nicht derBeginn der Ausführungshandlung des Betrugesgesehen werden, zumal nicht festgestellt ist, daß einerder beiden Angeklagten die Anrufer hierbei schongetäuscht hat. Den anschließenden Schriftverkehr,durch den die Täuschung bewirkt wurde, erledigtenjedoch nicht die Angeklagten, sondern ihreAnges te l l ten nach den von ihnen er te i l tenArbeitsanweisungen. Hiermit in Übereinstimmungsteht deshalb auch die Feststellung im Rahmen derrechtlichen Würdigung, die Angeklagten hätten "dieTäuschung der einzelnen Geschädigten jeweils nicht ineigener Person" vorgenommen. Die rechtsfehlerfreigetroffenen Feststellungen hätten nur mit derVerfahrensbeschwerdeangegriffen werden können. Eine Formalrüge hat dieBeschwerdeführerin aber nicht erhoben.

URTEILE IN FALLSTRUKTURRA 2001, HEFT 11

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Urteile in Fallstruktur

Standort: Öffentliches Recht Problem: Verfahren bei Richterwahl

VG SCHLESWIG, BESCHLUSS VOM 04.07.2001

11 B 10/01 (NJW 2001, 3210)

Problemdarstellung:Das VG Schleswig hatte im Rahmen des vorläufigenRechtsschutzes über den Antrag eines VorsitzendenRichters am OLG zu entscheiden, der sich um dieStelle eines Richters am BGH beworben hatte, dessenKandidatur im Wahlverfahren aber zugunsten einesKonkurrenten zurückgestellt worden war. DerKammer stellten sich dabei zahlreiche Probleme.Bereits in der Zulässigkeit des Antrags war der Streitzu entscheiden, ob Richterwahlen gerichtlichüberhaupt überprüfbar sind. Das VG entschied sich fürdie salomonische Lösung, eine Überprüfbarkeit grds.zu bejahen, gleichzeitig aber den Wahlorganen einenweiten Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Weiterwar nach der Antragsbefugnis des abgelehntenBewerbers und dem richtigen Antragsgegner zufragen.In der Begründetheit hatte das VG zunächst zu klären,in welchem Rahmen die Wahlentscheidung bzw. derenVorfragen angesichts des vom Gericht selbst bejahtenBeurteilungsspielraums überhaupt kontrolliert werdendürfen. Es kommt zu dem Ergebnis, dass jedenfallsdas Verfahren einer richterlichen Kontrolle unterliegt,leitet sodann die wesentlichen Verfahrensprinzipien(soweit nicht in §§ 10 ff. Richterwahlgesetz enthalten)unmittelbar aus dem GG ab und bejaht schließlicheinen Verstoß gegen diese, weil die unbegründete,n icht nachvol lz iehbare Zurückste l lung vonBewerbungen das Transparenzgebot verletze und denBewerber der Möglichkeit beraube, effektivenRechtsschutz zu erlangen.

Prüfungsrelevanz:Der Fall hat bereits hohe Wellen geschlagen undneben juristischen Aufsätzen in der Fachliteratur auchBerichte in anderen Medien, z.B. im “Spiegel”hervorgerufen. Er dürfte, da die Entscheidung des VGSchleswig noch nicht rechtskräftig ist (über die gegen

den Beschluss eingelegte Beschwerde wirdgegenwärtig vor dem OVG Schleswig verhandelt),weiterhin für Aufsehen sorgen. Inhaltlich geht es vorallem um den sogen. “Beurteilungsspielraum” bei un-bestimmten Rechtsbegriffen und die Frage, ob und inwelchem Rahmen dieser überprüfbar ist.Prozessual interessant ist, dass der ASt. wegen des“Grundsatzes der Ämterstabilität” nicht etwa dieErnennung seines Konkurrenten abwarten und gegendiese dann mit Widerspruch und Klage vorgehenkonnte, sondern vielmehr genötigt war, die Ernennungschon im Vorfeld zu verhindern. VorläufigerRechtsschutz bei der Besetzung öffentlicher Ämterläuft daher nicht über §§ 80 V, 80a VwGO, sondernüber § 123 VwGO.

Vertiefungshinweise:“ Zu dieser Entscheidung: Bertram, NJW 2001, 3167;OVG Schleswig, NJW 2001, 3210“ Z u r A u s w a h l b e i d e r B e s e t zu n g e i n e rBeförderungsstelle: OVG Münster, NVwZ-RR 2001,254“ Zum Beurteilungsspielraum bei beamtenrechtlichenBeurteilungen: BVerwGE 61, 176; 80, 224“ Z u m B e u r t e i l u n g s s p i e l r a u m b e iGremienentscheidungen: BVerfGE 83, 130; BVerwGE39, 197; 91, 211 (alle zur Bundesprüfstelle fürjugendgefährdende Schriften); Ossenbühl, FS Redeker(1993), 55

Leitsätze:1. Die Entscheidungen des Richterwahlausschussesnach dem Richterwahlgesetz des Bundes sind einergerichtlichen Nachprüfung nicht entzogen.2. Bei seiner Auswahlentscheidung steht demR i c h t e r w a h l a u s s c h u s s e i n w e i t e rBeurteilungsspielraum über die Eignung der fürdas Amt als Bundesrichter vorgeschlagenenKandidaten zu.3 . Das ver fassungsrecht l i che Gebot d erT r a n s p a r e n z u n d d e r E i n h a l t u n g v o n

URTEILE IN FALLSTRUKTUR RA 2001, HEFT 11

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Verfahrensvorschriften macht es erforderlich,nicht nur die Richterwahl selbst, sondern auch diem i t d e r R i c h t e r w a h l i n u n m i t t e l b a r e mZusammenhang stehenden Vorentscheidungennachvollziehbar erscheinen zu lassen.

Sachverhalt: Der Ast. ist Vorsitzender Richter am OLG und möchteim Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erreichen,dass der Bundesjustizministerin (Ag.) untersagt wird,die Ernennung des Beigel. zum Richter am BGH zuvollziehen. In der letzten Beurteilung für den Ast. im August 2000führte der Präsident des OLG aus, dass der Ast. auchfür das Amt eines Richters am BGH herausragendgeeignet sei. Der Beigel. ist Vorsitzender Richter amLG. Der Präsident des LG führte in seiner Beurteilungüber den Beigel. anlässlich des Vorschlages, denBeigel. zum Bundesrichter zu ernennen, aus, dass derBeigel. für das hohe Amt des Richters am BGH inhöchstem Maße ausgezeichnet geeignet sei. Im Jahre2000 schlug die Justizministern des Landes Schleswig-Holstein eine Richterin und drei Richter zur Wahl alsRichter am BGH vor. Unter diesen vorgeschlagenenRichtern befanden sich auch der Ast. und der Beigel.Im Laufe des Verfahrens nahm der Präsidialrat desBGH zur Frage der persönlichen und sachlichenEignung des Ast. und des Beigel. Stellung. In derStellungnahme vom 18. 12. 2000 über den Ast. heißtes: "Nach den vorgelegten Unterlagen hält derPräsidialrat den Vorsitzenden Richter am OLG X, derden üblichen Altersdurchschnitt schon überschrittenhat, für persönlich und fachlich in jeder Hinsicht gutgeeignet (obere Grenze) zum Richter am BGH". Fürden Beigel. gab der Präsidialrat unter dem 22. 1. 2001folgende Stellungnahme ab: Im Hinblick auf denbisherigen beruflichen Werdegang, insbesondere imH i n b l i c k a u f d i e g e r i n g e T ä t i g k e i t i mRechtsmittelverfahren, hält der Präsidialrat den Vorsit-zenden Richter am LG Y für fachlich nicht geeignetzum Richter am BGH."A m 1 5 . 2 . 2 0 0 1 f a n d d i e S i t z u n g d e sRichterwahlausschusses statt. Ausweislich desProtokolls über die dortige Sitzung wurde nachEröffnung der Vorschlag bezüglich des Ast.zurückgestellt. Es ist zwischen den Bet. unstreitig,dass von den vorschlagsberechtigten Mitgliedern desRichterwahlausschusses insgesamt 37 Bewerbervorgeschlagen worden sind und dass zum Zeitpunktder Wahl für die 14 zu vergebenen Richterstellen 14vorgeschlagene Bewerber zur Verfügung standen. Der

Richterwahlausschuss stimmte dann über den Beigel.ab. Er erhielt 24 Ja-Stimmen.

Wie wird das VG über den Antrag des ASt., derBundesjustizministerin (Ag.) einstweilen zuuntersagen, den Beigel. zum Richter am BGH zuernennen, entscheiden?

[Auszug aus dem Richterwahlgesetz (RiWG):

§ 10 (1) Der zuständige Bundesminister und die Mitgliederdes Richterwahlausschusses können vorschlagen, werzum Bundesrichter zu berufen ist. (2) Der zuständige Bundesminister legt demRichterwahlausschuß die Personalakten der für einRichteramt Vorgeschlagenen vor. (3) Zur Vorbereitung der Entscheidung bestellt derRichterwahlausschuß zwei seiner Mitglieder alsBerichterstatter.

§ 11 Der Richterwahlausschuß prüft, ob der für einRichteramt Vorgeschlagene die sachlichen undpersönlichen Voraussetzungen für dieses Amt besitzt. § 12 (1) Der Richterwahlausschuß entscheidet in geheimerAbstimmung mit der Mehrheit der abgegebenenStimmen. (2) Der Richterwahlausschuß ist beschlußfähig, wenndie Mehrzahl sowohl der Mitglieder kraft Amtes alsauch der Mitglieder kraft Wahl anwesend ist. § 13 Stimmt der zuständige Bundesminister zu, so hat er dieErnennung des Gewählten beim Bundespräsidenten zubeantragen.]

Lösung:Das VG wird dem Antrag stattgeben, wenn er zulässigund begründet ist.

A. Zulässigkeit

I. VerwaltungsrechtswegUm vor dem VG Erfolg haben zu können, müsste fürden Antrag zunächst der Verwaltungsrechtswegeröffnet sein.

1. Rechtswegeröffnung

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Vorliegend ist allerdings schon fraglich, ob überhauptein Rechtsweg eröffnet ist. Die gerichtlicheÜ b e r p r ü f b a r k e i t d e r E n t s c h e i d u n g e n d e sRichterwahlausschusses ist umstritten. Auch das VGnimmt zu diesem Streit ausführlich Stellung:

a. Verneinende Auffassung

aa. Argumente der Literatur“Achterberg vertritt in der Kommentierung zu Art. 95GG im Bonner Kommentar (Rdnr. 268) dieAuffassung, dass der abgelehnte Kandidat dieEntscheidung des Richterwahlausschusses nicht an-fechten könne. Im Gegensatz zur Übernahme oderEntlassung eines Richters auf Probe oder kraftAuftrages durch einen Landesrichterwahlausschussfehle es bei der fehlgeschlagenen Wahl zum Richter aneinem Obersten Gerichtshof an Anfechtungsgründen.Denn es bestehe weder eine Anwartschaft auf das Amtnoch liege eine Verletzung des Vorgeschlagenen inseinem Recht durch die öffentliche Gewalt i. S. vonArt. 19 IV GG vor. Die Berufung zum Richter aneinen Obersten Gerichtshof erfordere nicht nur dieE r f ü l l u n g f e s t u m s c h r i e b e n e rEignungsvoraussetzungen, sondern auch eine derexponierten Art des Amtes entsprechende Berück-sichtigung von Faktoren, deren Verneinung keineDiskriminierung des Bewerbers bewirke und dem-zufolge auch nicht überprüfbar sei. Dasselbe gelte,wenn der zuständige Bundesminister der Wahl durchd e n A u s s c h u s s n i c h t z u s t i m m e . D i e i mVerwaltungsrecht anzutreffende Rechtsprechung zurKonkurrentenklage könne daher auf die Wahl zumRichter an einem Obersten Gerichtshof des Bundeskeinesfalls ausgedehnt werden.”

bb. Argumente der Beteiligten“Sowohl die Ag. wie auch der Beigel. vertreten dieAuf fa s sung , das s d i e En t sche idungen desRichterwahlausschusses nicht gerichtlich überprüfbarseien.”

(1). Antragsgegnerin“Die Ag. führt aus, dass Art. 33 II GG im Verfahrender Berufung der Bundesrichter keine Anwendungfinden könne. Art. 33 II GG werde durch dasdemokratische Prinzip eingeschränkt. Besonders beiWahlämtern könne der Grundsatz des Art. 33 II GGn i c h t i n v o l l e m U m f a n g g e l t e n . D e rBundesverfassungsgesetzgeber habe durch dieErmächtigungsnorm nach Art. 95 II GG dem aus

Vertretern der Exekutive und der Legislativezusammengesetzten Richterwahlausschuss eineumfassende Kompetenz zur Wahl betreffend der Bun-desrichter gegeben. Zwar enthalte Art. 33 II GGkeinen Gesetzesvorbehalt, der Anwendungsbereichvon Art. 95 II und Art. 33 II GG müsse jedoch imWege der praktischen Konkordanz aufgelöst werden.Der Leistungsgrundsatz des Art. 33 II GG sei wie jedeandere Verfassungsnorm nicht dagegen gefeit, mitanderen Verfassungswerten in Kollision zu geratenund nach Abwägungsgesichtspunkten zurückstehen zumüssen. Die Regeln zur Bundesrichterwahl nach Art.95 II GG i. V. mit dem Richterwahlgesetz hätten dieFunktion, eine starke demokratische Legitimation derObersten Bundesrichter zu gewährleisten. Dies habezur Folge, dass wie bei anderen Wahlämtern Art. 33 IIGG keine Anwendung finden könne.”

(2). Beigeladener“Dieselbe Auffassung wird von dem Beigel. vertreten.Durch Art. 95 II GG habe der Verfassungsgeber einempolitischen Berufungssystem den Vorzug gegeben.Das Zusammenwirken von Gremien und Ministern,die politisch gewählt seien, nach politischen Kriterienentschieden und ihr Handeln politisch verantwortenmüssten, solle nach seinem Zweck einerseits einerv e r s t ä r k t e n d e m o k r a t i s c h e n u n d a u c hbundesstaatlichen Legitimation dienen, indem diepolitischen Einflusskräfte bei der Richterbestellungdurch Balancierung und gegenseitige Neutralisierungin ein Gleichgewicht gebracht würden. Andererseitskönnten die Kriterien politischen Handelns in einSpannungsverhältnis zu den maßgeblichen rechtlichenMaßstäben für das Handeln der an der RichterwahlBeteiligten treten. Die Zusammensetzung des Richterwahlausschussesnach Art. 35 II GG aus gewählten Abgeordneten undgleich vielen Vertretern der Länder sei mithin einSpiegelbild der Organisation der Gesetzgebung desBundes, die vom gewählten Bundestag und der vonden Ländern gebildeten zweiten Kammer desB u n d e s r a t e s a u s g e ü b t w ü r d e n . D e rRichterwahlausschuss sei mithin als Ganzes derLegislative und nicht teilweise der Exekutivezuzuordnen. Daraus sei zu folgern, dass dieEntscheidung des Richterwahlausschusses keinerverwaltungsgerichtlichen Nachprüfung unterliege, daes sich insoweit um die Entscheidung eines politischenWahlorgans handele.”

b. Bejahende Auffassung

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aa. Argumente der LiteraturIn dem Alternativkommentar zum Grundgesetz vertrittWassermann die gegenteilige Auffassung (Art. 95Rdnr. 30). Er führt aus, dass die Entscheidungen desRichterwahlausschusses trotz fehlender Begründungeiner gerichtlichen Überprüfung nicht entzogen seien.Die Nachprüfung beschränke sich darauf, ob derRichterwahlausschuss sein Ermessen fehlerhaftausgeübt habe, etwa dadurch, dass er von einemunrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei oderVerfahrensvorschriften nicht beachtet habe, die sichauf die Entscheidung ausgewirkt haben könnten.”

bb. Argumente des BVerfGAuch aus der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich,dass die Entscheidungen eines Richterwahlausschussesder gerichtlichen Überprüfung nicht entzogen werdendürfen. In seiner Entscheidung vom 22. 10. 1968 zurVer fa s sungsmäß igke i t de s Hamb u r g i schenRichtergesetzes hat das BVerfG ausdrücklichausgeführt, dass die dortige Wahlentscheidung desAusschusses einer gerichtlichen Überprüfungzugänglich ist (BVerfGE 24, 268 [275]). In seinergrundsätzlichen Entscheidung zum Umfang einesInformationsanspruchs zur Wahrung der Rechte ausArt. 33 II i. V. mit Art. 19 IV GG hat das BVerfGausgeführt, dass sich die Rechte eines Bewerbers umein öffentliches Amt an den Grundsätzen des Art. 19IV GG messen lassen müssen. Wird die Verletzungeines vom Grundgesetz gewährleisteten subjektivenRechts durch die öffentliche Gewalt gerügt, müssendie dem Betroffenen zur Verfügung stehendenRechtsbehelfe den Anforderungen des Art. 19 IV GGan einen effektiven Rechtsschutz genügen. Der nichtberücksichtigte Bewerber um ein öffentliches Amt hatdeshalb einen Informationsanspruch bezüglich derGründe, die zu seiner Nichtberücksichtigung geführthaben (BVerfG, NJW 1990, 501 m.w.N.).”

c. Stellungnahme des VG“Der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung vonEntscheidungen des Richterwahlausschusses kannnicht mi t dem Pr inzip der demokrat ischenLegit imation und dem nach Art . 95 II GGbeabsichtigten politischen Berufungssystem für dieObersten Bundesrichter begründet werden.”

aa. Vergleich mit Länderebene “Unst re i t ig i s t , dass auf Länderebene a l leEntscheidungen, an denen Richterwahlausschüssemitwirken, einer gerichtl ichen Überprüfung

unterliegen. Es ist ferner unbestritten, dass durch dieEinrichtung von Richterwahlausschüssen in denLändern der gesetzgeberische Zweck verfolgt wordenist, eine stärkere demokratische Legitimation derBesetzung von Richterstellen zu ermöglichen (vgl.dazu Ipsen, DÖV 1971, 469). Dieser Legitimations-charakter stand im Vordergrund bei der Einführungvon Richterwahlausschüssen.”

bb. Garantie des Art. 19 IV GG“Der verfassungsrechtliche Grundsatz der praktischenKonkordanz zum Ausgleich unterschiedlicherVerfassungsgüter gebietet nicht, die Entscheidungendes Richterwahlausschusses einer gerichtlichenÜberprüfung zu entziehen. Dies widerspricht derRechtsschutzgarantie nach Art. 19 IV GG. Danachsteht demjenigen der Rechtsweg offen, der durch dieöffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird.Eine Rechtsposition in diesem Sinne ist schongegeben, wenn eine gewollte und nicht nur zufälligeBegünstigung durch das objektive Recht vorliegt. Nurfür reine Reflexwirkungen von Rechtssätzen hat dasBVerfG (BVerfGE 31, 33, 39) die Eröffnung desRechtsweges nach Art. 19 IV GG verneint. DerartigeReflexwirkungen liegen nur dann vor, soweit es sichum bloße, ungewollte Nebenwirkungen einerausschließlich im allgemeinen und nicht zugleich imindividuellen Interesse ergangenen Rechtsnormhandelt. Rechtsreflexe, die den Einzelnen nichtzufällig, sondern gewollt begünstigen, eröffnendagegen ein Klagerecht. Da für die Zulässigkeit derKlage die Möglichkeit einer Rechtsbeeinträchtigunggenügt, braucht ein Kl. demgemäß nur zu behaupten,dass eine Verletzung eigener Rechte in Betrachtkommt (vgl. dazu Wassermann, AK-GG, Art. 19 Rdnr.28).Durch die Aufnahme in den Vorschlag zur Wahl einesBundesrichters hat der Ast. eine nach Art. 19 IV GGgeschützte Rechtsposition erhalten. Nach derAufnahme in den Vorschlag hat der Ast. das gesamteVerfahren nach § 55 und § 56 DRiG durchlaufen.Insbesondere hat der Präsidialrat des BGH nach § 57DRiG über ihn eine Stellungnahme abgegeben. DieseRechtsposition des Ast. ist durch die Rücknahme desihn betreffenden Wahlvorschlages nicht in einenschutzlosen Rechtsreflex umgewandelt worden.Insoweit trägt die Ag. selbst vor, dass auch nach derZurückstellung dieses Antrages jedes andere Mitgliedim Richterwahlausschuss den Vorschlag bezüglich desAst. hätte wieder aufnehmen können. Der Beigel.weist darauf hin, dass ein vorgeschlagener, aber nicht

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gewählter Bewerber, über den keine ausdrücklichablehnende Entscheidung getroffen worden sei, aufder Liste für die nächste Richterwahl verbleibe, sodass allein schon hierdurch eine Diskriminierungvermieden werde (vgl. dazu auch Achterberg, Art. 95Rdnr. 267).

cc. Keine andere Beurteilung im Lichte des Art. 95 IIGG“Die vom Ag. genannten Grundsätze der praktischenK o n k o r d a n z e r f o r d e r n e s n i c h t , d a s s d a sRechtsschutzprinzip nach Art. 19 IV GG bei derÜberprüfung von Wahlen nach dem Richterwahlgesetzkeine Anwendung finden dürfe. Es ist unbestritten,dass durch Art. 95 II GG i. V. mit den Vorschriftendes Richterwahlgesetzes ein politisches Berufungs-system für die Bundesrichter geschaffen werden sollte.Mit der inneren demokratischen Legitimation wirddem Richter zugleich die Loyalität deutlich gemacht,die er auch gerade bei rechtsschöpferischen undsozialen Verhältnissen gestaltenden Entscheidungendem Parlament schuldet (Wassermann, Art. 95 Rdnrn.20, 23) . Dieser Legi t imat ionscharakter derRichterwahl erfordert es aber nicht, insoweit eineng e r i c h t l i c h e n R e c h t s s c h u t z v o l l k o m m e nauszuschalten. Im Endergebnis handelt es sich bei derRichterwahl für Bundesrichter um eine gemeinsameEntscheidung, an der Vertreter der Legislative undExekutive teilnehmen. Bei dieser Entscheidung wirdauch über die Rechte der vorgeschlagenen Kandidatenentschieden. Der Legitimationscharakter derRichterwahl kann einen weiten Beurteilungsspielraumdes Richterwahlausschusses begründen, er zieht abernicht den Ausschluss der gerichtlichen Überprüfungnach sich. Diese ist schon deshalb erforderlich, um dieFrage zu überprüfen, ob der Richterwahlausschuss dieEignungsvoraussetzungen nach § 11 RiWG inrechtsfehlerfreier Weise geprüft hat.”

d. Ergebnis“Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass dieEntscheidungen eines Richterwahlausschusses nachdem Richterwahlgesetz des Bundes einer gerichtlichenÜberprüfung zugänglich sind.”

2. VerwaltungsgerichtsbarkeitDer Verwal tungsrechtsweg könnte mangelsaufdrängender Spezialzuweisungen über § 40 I 1VwGO eröffnet sein. Dann müsste es sich um eineö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i tnichtverfassungsrechtlicher Art handeln.

a. Öffentlich-rechtliche StreitigkeitÖffentlich-rechtlich ist die Streitigkeit mit dermodifizierten Subjektstheorie dann, wenn überöffentlich-rechtliche Normen gestritten wird.E i n s c h l ä g i g i s t v o r l i e g e n d § 1 2 d e sRichterwahlgese tzes (RiWG), der mi t demRichterwahlausschuss einen Hoheitsträger zurRichterwahl berechtigt, mithin öffentlich-rechtlicherNatur ist.

b. Nichtverfassungsrechtlicher ArtVorliegend streiten weder Verfassungsorgane oderderen Tei le , sondern Bürger und Behördegegeneinander, noch geht es unmittelbar umVerfassungsrecht, sondern - wie gezeigt - um dieeinfach-gesetz l ichen Vorschr i f ten über d ieRichterwahl. Mithin ist die Streitigkeit auchnichtverfassungsrechtlicher Art.

II. StatthaftigkeitFraglich ist die Statthaftigkeit des Antrags, welchesich über §§ 122, 123 IV, 88 VwGO nach demAntragsbegehren richtet. Vorliegend möchte der ASt.im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die drohendeErnennung seines Konkurrenten zum Richter am BGHverhindern. Der gem. § 123 V VwGO vorrangigeAntrag nach §§ 80 V, 80a VwGO kommt hierzuallerdings schon deshalb nicht in Betracht, weil esbisher an einem anfechtbaren Ernennungsakt fehlt.Vorläufiger Rechtsschutz kann daher nur über § 123 IVwGO gewährt werden. Die Vorschrift kennt dieSicherungsanordnung in § 123 I 1 VwGO und dieRegelungsanordnung in § 123 I 2 VwGO. Vorliegndist die Sicherungsanordnung einschlägig, mit welcherder ASt. einer drohenden Verschlechterung seinesstatus quo durch die Ernennung des Konkurrentenbegegnen und auf diese Weise seinen eigenenErnennungsanspruch sichern kann.

III. AntragsbefugnisDas VG bejaht die analog § 42 II VwGO zurVermeidung von Popularanträgen auch im vorläufigenRechtsschutz erforderliche Möglichkeit der Verletzungeigener Rechte des ASt.:“Der Ast. ist von der Justizministerin des LandesSchleswigHolstein gem. § 10 I RiWG für die Wahlzum Bundesrichter vorgeschlagen worden. Auf Grunddieses Vorschlages hat der Ast. das gesamte Verfahrennach § 10 und § 11 RiWG und in diesemZusammenhang auch das Verfahren nach § 55 und §56 DRiG durchlaufen. Über ihn ist das so genannte

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Bewerberheft mit allen Beurteilungen und mit derStellungnahme des Präsidialrates angefertigt undsämtlichen Mitgliedern des Richterwahlausschusseszur Verfügung gestellt worden. Der ihn betreffendeVorschlag ist auch am Tag der Sitzung desRichterwahlausschusses am 15. 2. 2001 noch in denRichterwahlausschuss hinein gelangt. Erst unmittelbarvor der Wahl ist dieser Vorschlag zurückgestelltworden. In den Vorschriften von § 10 bis § 12 enthältdas RiWG keine Regelungen darüber, wann und zuwelchem Zeitpunkt Vorschläge zurückgezogen werdenkönnen. Es gibt keine unmittelbar gesetzlicheRegelung darüber, ob alle Vorschläge zur Wahlgestellt werden müssen. Nach den Darlegungen desVertreters der Ag. in der mündlichen Verhandlung hatsich insoweit im Laufe der Jahre eine unterschiedlicheVerwaltungspraxis entwickelt. Während früher alleVorschläge zur Wahl gestellt wurden, sind in denletzten Jahren überwiegend nur so viele Vorschlägezur Wahl gestellt worden, wie Stellen zur Verfügungstanden. Unstreitig hat sich der Richterwahlausschussin seiner 50-jährigen Geschichte bezüglich dieserVerwaltungspraxis keine Geschäftsordnung gegeben.Alle Bet. gehen übereinstimmend davon aus, dass alleVorschläge gleichen Rang haben und dass bei Zurück-stellung eines Vorschlages der zurückgestellteVorschlag bei einer nächsten Bundesrichterwahlgewählt werden kann.Diese Stellung des Ast. als Vorgeschlagener für eineWahl zum Bundesrichter ist nach Auffassung derKammer eine schützenswerte Rechtsposition nach Art.19 IV GG. Der Schutzcharakter kann insbesonderenicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch dieZurückstellung würden die Rechte des Ast. nichtverletzt, da er bei der nächsten Bundesrichterwahlgewählt werden könne. Entscheidend ist, dass durchdie Zurückstellung seines Vorschlages am Tag derWahl am 15. 2. 2001 der Ast. bei der jetzt akutanstehenden Bundesrichterwahl nicht mehr gewähltwerden konnte. Die Rechtsposition des Ast. alsVorgeschlagener hat sich durch die Zurückstellung am15. 2. 2001 unmittelbar verschlechtert, indem seineChance auf Durchführung einer Wahl nach § 12RiWG abgeschnitten worden ist. Ihm ist somit dieChance einer möglichen Wahl am 15. 2. 2001 durchdie Zurückstellung genommen worden [...]. [Oben] hat das Gericht ausgeführt, dass dieEntscheidungen eines Richterwahlausschusses aufBundesebene der gerichtlichen Überprüfung nichtentzogen werden können. Der Kernpunkt diesergerichtlichen Überprüfung besteht darin, ob der

Richterwahlausschuss die Vorschriften der §§ 10 bis12 RiWG eingehalten hat. Mit seinem Vortrag, dassinsbesondere § 12 RiWG nicht eingehalten worden sei,hat der Ast. eine mögliche Rechtsverletzung nach § 42II VwGO vorgetragen. Der Ast. ist damit nachAuffassung der Kammer antragsbefugt.”

IV. AntragsgegnerDie Kammer geht ferner davon aus, dass der ASt. mitder Bundesjustizministerin auch die richtigeAntragsgegnerin gewählt hat:“Bei der Entscheidung über die Berufung vonBundesrichtern nach Art. 95 II GG i. V. mit denVorschriften des RiWG handelt es sich um einezusammengesetzte Entscheidung, die gemeinsam vondem Richterwahlausschuss, dem zuständigenBundesmin i s t e r und l e t z t end l i ch von demBundespräsidenten getroffen wird. Die Berufungs-entscheidung obliegt dem Richterwahlausschuss unddem Bundesminister gemeinsam. Nach der geheimenAbstimmung des Richterwahlausschusses nach § 12RiWG steht dem zuständigen Bundesminister eineigenständiges Prüfungsrecht und im Anschluss darandie Entscheidung zu, ob er bei dem Bundespräsidentendie Ernennung des gewählten Kandidaten beantragenmöchte. Die Entscheidung des Richterwahlausschussesnach § 12 RiWG und der Antrag des Bundesministersbeim Bundespräsidenten stellen die gemeinsame Beru-fungsentscheidung gem. Art. 95 II GG dar. Bei ihrerEntscheidung nach § 13 RiWG hat die Ag. auch zuprüfen , ob a l le fo rmel len und mater ie l lenVoraussetzungen für eine Bundesrichterwahl nach denVorschriften des RiWG eingehalten worden sind.Nach § 9 RiWG führt die Ag. den Vorsitz imAusschuss, sie ist jedoch nicht Mitglied desRichterwahlausschusses. Die Ag. steht als zurMitwirkung bei Berufung eines Richters gleichbe-rechtigt neben dem Ausschuss. Ihre Stimme hat das-selbe Gewicht wie das Votum der Ausschussmehrheit.D i e V e r t e i l u n g d e r F u n k t i o n e n d e sRichterwahlausschusses und der Ag. ist unter demGesichtspunkt der verfassungsrechtlich erforderlichenVerantwortung für eine Entscheidung genauso zubeurteilen, wie im Falle der Entscheidungen nach demSchleswig-Holsteinischen Richterwahlgesetz. In ihrerEntscheidung vom 7. 4. 1992 hat die erkennendeKammer dargelegt, dass es sich um eine gemeinsameEntscheidung des Richterwahlausschusses und des je-weiligen Justizministers handelt. Dabei hat dieEntscheidung des Richterwahlausschusses denCharakter eines Verwaltungsinternums. Der Jus-

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t i z m i n i s t e r m u s s d i e E n t s c h e i d u n g d e sR i c h t e r w a h l a u s s c h u s s e s u n d s e i n e e i g en eEntscheidung vor dem VG verantworten (VGSchleswig, SchlHA 1993, 76; seitdem st. Rspr.).Auch nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eserforderlich, dass die Letztverantwortung für dieErnennung zum Richter trotz einer zulässigenM i t e n t s c h e i d u n g s b e f u g n i s v o nRichterwahlausschüssen bei den jewei l igenJustizministern liegen muss (BVerfG, NJW 1998,2590 ff.). Ein Richterwahlausschuss ist wederParlament noch Regierung gegenüber verantwortlichund kann schon deshalb keine alleinige Ent-scheidungsbefugnis haben, ohne dass damit dasDemokratieprinzip verletzt würde. Deshalb ist esverfassungsrechtlich erforderlich, dass die Ag. in ihrerFunktion nach § 13 RiWG das gesamte bisherigeVerfahren nach dem Richterwahlgesetz verantwortenmuss [...].”

Damit ist der Antrag zulässig.

B. BegründetheitDer Antrag ist begründet, soweit der ASt. einenAnordnungsanspruch und einen Anordnungsgrundglaubhaft gemacht hat und die begehrte Entscheidungim Rahmen des richterlichen Ermessens liegt, §§ 123III VwGO i.V.m. 920 II, 294, 938 ZPO.

I. AnordnungsanspruchFraglich ist, ob dem ASt. ein Anspruch aufVerhinderung der Vollziehung der Ernennung desBeilgel. zukommt. Dies wäre der Fall, wenn er durchdie Ernennung des Beigel. in seinen Rechten verletztwürde. Als eigenes Recht kommt - wie in derAntragsbefugnis dargelegt - zunächst der Anspruchjedes Richterwahlkandidaten auf ein faires undordnungsgemäßes Auswahlverfahren nach § 12 RiWGin Betracht. Das VG sieht den ASt. in diesem Rechtverletzt:

1. Überprüfbarkeit von Verfahrensfehlern

a. Überprüfbarkeit trotz Beurteilungsspielraums“Die nach Art. 19 IV GG gebotene gerichtlicheÜ b e r p r ü f u n g d e r E n t s c h e i d u n g e i n e sRichterwahlausschusses hat sowohl unter formellenwie auch materiellen Gesichtspunkten zu erfolgen [...].Die Zuerkennung eines weiten Beurteilungsspielraumsüber die Eignung der zu wählenden Bundesrichter [s.o.zur Rechtswegeröffnung] setzt [...] voraus, dass der

Richterwahlausschuss seine Entscheidung in einemordnungsgemäßen Wahlverfahren trifft. Dies ist nachAuffassung der Kammer im vorliegenden Fall nichtgeschehen. Der Ast. ist durch die Zurückstellung desihn betreffenden Wahlvorschlags innerhalb derSitzung des Richterwahlausschusses am 15. 2. 2001 inseinem Recht auf Durchführung eines ordnungs-gemäßen Wahlverfahrens verletzt worden.”

b. Überprüfbarkeit der Zurückstellung als Vorfrageder Wahl“Das verfassungsrechtliche Gebot der Transparenz undder Einhaltung von Verfahrensvorschriften macht eserforderlich, nicht nur die Richterwahl selbst, sondernauch die mit der Richterwahl in unmittelbaremZusammenhang stehenden Vorentscheidungennachvollziehbar erscheinen zu lassen. Dieses Be-dürfnis nach größerer Transparenz wird in derKommentierung von Wassermann im Alternativ-kommentar und in den gesamten Presseartikeln nachder umstrittenen Wahl deutlich. Wassermann führtaus, dass die parteipolitische Ämterpatronage, die dieWi rk l i chke i t de r immer po in t i e r t e r du rchParteiengegensätze geprägten Parteiendemokratiekennzeichnet, bedenklich zugenommen habe. Zwar seider Legitimationscharakter der Richterwahl heute inder Öffentlichkeit mehr als früher akzeptiert, nach wievor leide jedoch die aktuelle Verwirklichung desWahlprinzips an der Undurchschaubarkeit desVerfahrens, die zu Zweifeln an der Chancengleichheitder Kandidaten führe, aber auch am Informationsstandund am rationalen Verhalten aller Ausschussmitgliederund deren mangelnder Bereitschaft, parteipolitischeGesichtspunkte zu Gunsten einer an den Anforde-rungen des Richteramtes orientierten Qualitätsauslesezurückzustellen. Deshalb vertritt Wassermann dieAuffassung, dass eine größere Transparenz bei derB e n e n n u n g d e r K a n d i d a t e n u n d b e i mAuswahlverfahren wünschenswert wäre (Wassermann,AK-GG, Art. 95 Rdnrn. 27, 28).”

2. Herleitung der Verfahrensgrundsätze für dieRichterwahl aus dem GG

a. Aus Art. 42 I 1 GG“Der in Art. 42 I 1 GG enthaltene Verfassungs-grundsatz der Publizität und Transparenz staatlichenHandelns trägt nicht nur zur Rationalisierung desdemokratischen Prozesses bei, sondern fördert auchdie Legitimität verantwortlicher Staatsleitung und dieIntegration des politischen Gemeinwesens. Das

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Öffentlichkeitsgebot ist deshalb nicht nur einewertvolle Ergänzung des demokratischen Prinzips,sondern dessen unverzichtbarer, wesensnotwendigerBestandteil. Art. 42 I 1 GG wird somit über dasDemokratieprinzip (Art. 20, 28 GG) auch von derUnveränderlichkeitsgarantie des Art. 79 III GG erfasst(Schneider, AK-GG, Art. 42 Rdnr. 2).”

b. Aus Art. 19 IV i.V.m. 33 II GG“In der Rechtsprechung des BVerfG ist es ferneranerkannt, dass ein effektiver Grundrechtsschutz nurdann e ingeha l t en werden kan n , wen n d i eVerwaltungsverfahren rechtlich so ausgestattetwerden, dass die Gefahren von Grundrechtsver-letzungen möglichst klein bleiben (BK-Podlech, Art. 2GG Rdnr. 90). Die Schaffung durchsichtigerVerfahren und die Schaffung klarer Verfahrensvor-s c h r i f t e n d i e n t s o m i t e i n e m e f f e k t i v e nGrundrechtsschutz. Vor diesem Hintergrund mussauch die grundsätzliche Entscheidung des BVerfGzum Umfang eines Informationsanspruches zurWahrung der Rechte aus Art. 33 II i. V. mit Art. 19 IVGG gesehen werden (BVerfG, NJW 1990, 501). Indieser Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, dasssich die Rechte eines Bewerbers um ein öffentlichesAmt an den Grundsätzen des Art. 19 IV GG messenlassen müssen. Wird die Verletzung eines vom Grund-gesetz gewährleisteten subjektiven Rechts durch dieöffentliche Gewalt gerügt , müssen die demBetroffenen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfeden Anforderungen des Art. 19 IV GG an eineneffektiven Rechtsschutz genügen. Der nichtberücksichtigte Bewerber um ein öffentliches Amt hatdeshalb einen Informationsanspruch bezüglich derGründe, die zu seiner Nichtberücksichtigung geführthaben.”

3. Vorliegen eines Verfahrensfehlers“Diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügtdie hier umstrittene Wahl am 15. 2. 2001 nicht. Indiesem Zusammenhang ist nochmals daraufhinzuweisen, dass sich nach dem eigenen Vortrag derAg. das gesamte Wahlverfahren nach §§ 10, 11 und 12RiWG nicht in unmittelbarer Anwendung dieserVorschriften, sondern durch Schaffung einer jah-r e l a n g e n P r a x i s e n t w i c k e l t h a t . D e rRichterwahlausschuss hat sich keine eigeneGeschäftsordnung gegeben, es gibt keine Vorschriftenüber die Handhabung von Wahlvorschlägen,insbesondere gibt es keine Regelung darüber, wannund zu welchem Zeitpunkt Wahlvorschläge

zurückgezogen oder zurückgestellt werden können.Bewerber, die auf einem Wahlvorschlag waren,werden nicht darüber informiert, wann und zu wel-chem Zeitpunkt sie zurück gestell t werden.Vorschlagsberechtigte nach § 10 RiWG könnenjederzeit ohne Angabe von Gründen über ihrenWahlvorschlag verfügen. Diese Praxis bietet keinenSchutz davor, aus möglicherweise sachwidrigenGründen über einen Vorschlag zu verfügen.Im vorliegenden Fall ist unstreitig der den Ast.betreffende Vorschlag nach Eröffnung der Sitzung undvor Durchführung der eigentlichen Wahl von derJustizministerin des Landes Schleswig-Holstein ohneAngabe von Gründen zurückgestellt worden. Dadurchist die Chance des Ast. am Wahlverfahren nach § 12RiWG teil zu nehmen, verhindert worden. Nach dieserden Ast. betreffenden Zurückstellung standen demRichterwahlausschuss bei seiner Wahlentscheidung fürdie 14 zu vergehenden Stellen nur noch 14 Vorschlägezur Verfügung. Der Richterwahlausschuss hatte in die-ser Sitzung keine Auswahlentscheidung mehr überverschiedene Kandidaten, auch nicht mehr über denAst. zu treffen, sondern er konnte nur noch über die 14verbliebenen Vorschläge abstimmen. Es war somit nurnoch eine positive oder negative Entscheidung überdie noch vorhandenen Kandidaten möglich. Diee igen t l i che Auswahlen tsche idung über d ieursprünglich 37 Vorgeschlagenen war schon vorhergetroffen worden. Mit dem verfassungsrechtlichenZiel, eine demokratische Legitimation für die Bundes-richter zu erreichen, ist ein derartiges Verfahren nichtzu vereinbaren.Die Kammer ist deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dassdas Recht des Ast. auf Durchführung einerordnungsgemäßen Wahl nach § 12 RiWG verletztworden ist.”

II. AnordnungsgrundDer Anordnungsgrund liegt in der besonderenEilbedürftigkeit der Sache:“Nach dem Vortrag der Ag. steht die Ernennung desBeigel. zum Bundesrichter unmittelbar bevor.Vorläufiger Rechtsschutz ist nur durch den Erlasseiner einstweiligen Anordnung möglich.”

III. GlaubhaftmachungAnordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zumachen, §§ 123 III VwGO, 920 II, 294 ZPO. Mangelsgegenteiliger Anhaltspunkte im Sachverhalt ist davonauszugehen, dass dies geschehen ist.

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IV. Ermessen des GerichtsDas Gericht bestimmt nach freiem Ermessen, welcheAnordnung es erlässt, § 123 III VwGO, 938 ZPO.Streitig ist, ob neben diesem Auswahlermessen demGericht auch ein Entschließungsermessen zukommt.Diese Frage kann jedoch auf sich beruhen, da hierkeinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dasseine Anordnung trotz des Vorliegens einesentsprechenden Anspruchs und Grundes nicht ergehen

könnte; ein mögliches Entschließungsermessen hätteich also auf null reduziert. Gleiches gilt, da dieE r n e n n u n g d e s Be ige l . im gegen w ä r t i g e nVerfahresstand nur noch durch den Stopp derVollziehung seiner Wahl unterbunden werden kann,für das Auswahlermessen. Der Antrag ist mithin auchbegründet und damit insgesamt erfolgreich.

Standort: Kaufrecht Problem: Konkurrenz von c.i.c. zu § 434 BGB

BGH, URTEIL VOM 06.04.2001V ZR 394/99 (NJW 2001, 2875) Problemdarstellung:In diesem Revisionsverfahren hatte sich der BGH mitden Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Anspruchsaus c.i.c. sowie seines Konkurrenzverhältnisses zurRechtsmängelhaftung im Kaufrecht gem. §§ 434, 440,320 ff. BGB auseinander zu setzen. Der beklagteVerkäufer eines Grundstücks klärte die klagendenKäufer nicht darüber auf, dass dem derzeitigen Mieterdes Grundstücks eine (weitere) Verlängerungsoptionvon fünf Jahren für seinen befristeten Mietvertragzustand. Die Kl. begehren deswegen Schadensersatz.Ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 434, 440 I, 326 IBGB war im vorliegenden Fall zu verneinen, da dieK l . d e m B e k l . k e i n e F r i s t z u rRechtsmängelbeseitigung mit Ablehnungsandrohunggesetzt hatten. Jedoch ist ein Anspruch wegenVerschulden des Bekl. bei Vertragsabschluss zubejahen. Dabei ist zunächst festzustellen, dass einsolcher Anspruch aus c.i.c. nicht durch das Vorliegeneines Rechtsmangels gem. § 434 BGB ausgeschlossenwird. Zur Begründung verweist der BGH zum einenauf den divergierenden Anknüpfungspunkt dieserHaftung, der Verletzung unterschiedlicher vor- bzw.vertraglicher Pflichten. Zum anderen stellt dieRechtsmängelhaftung kein in sich abgeschlossenesS y s t e m d a r , d a s - i m G e g e n s a t z z u rSachmängelhaf tung - ke inen Anspruch aufExklusivität erhebt.Hinsichtlich der Rechtsfolgen stellt der Anspruch ausc.i.c. regelmäßig auf den Ersatz des negativenInteresses ab. Ausnahmsweise wird auch das positiveInteresse ersetzt, wenn ohne das Verschulden einVertrag mit für den Geschädigten zu günstigerenKonditionen zu Stande gekommen wäre. Diese

Tatfrage müsste allerdings vom Geschädigtenbewiesen werden. Aber auch bloßem Ersatz desnegativen Interesses kann der Geschädigte verlangen,so gestellt zu werden, als wäre es ihm bei Kenntnis derwahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu günstigerenBedingungen abzuschließen.

Prüfungsrelevanz:Diese Entscheidung birgt examensrelevantesPotenzial, da klassische Themen des Allgemeinen undBesonderen Schuldrechts behandelt werden. DiesesUrteil verdeutlicht einerseits die Rechtsfolgen einesAnspruchs aus c.i.c. Grundsätzlich ist nur das negativeInteresse zu ersetzen, d.h. der Gläubiger ist so zustellen, wie er bei Offenbarung der fraglichenUmstände stehen würde. Wenn er dabei am Vertragfesthalten, so ist er so zu behandeln, als wäre es ihmgelungen, den Vertrag zu günstigeren Bedingungenabzuschließen. Im Extremfall kann der Gläubiger aberauch die Aufhebung des Vertrages verlangen. A n d e r e r s e i t s b e h a n d e l t d i e s e s U r t e i l d i eKonkurrenzproblematik zwischen kaufrechtlichenGewährle is tungsrecht und den a l lgemeinenLeistungsstörungsrechten. Aber im Gegensatz zurSachmängelhaftung gem. §§ 459 ff. BGB, die wegenihres abschließenden Charakters, wegen § 463 BGBund der kurzen Verjährungsfrist gem. § 477 BGB eineE x k l u s i v w i r k u n g b e s i t z t , i s t b e i d e rRechtsmängelhaftung, die sich mit einem Verweis aufdas Allgemeine Schuldrecht in § 440 I BGB begnügt,eine vollständige Anspruchskonkurrenz zu bejahen.

Vertiefungshinweis:“ Vgl. die Besprechung von: Lorenz, LM H. 9/2001 §276 (Fa) BGB Nr. 63“ Vgl. zur c.i.c.: BGH, NJW-RR2000, 1576; OLG

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Düsseldorf, NJW-RR 2000, 165; OLG München, NZG1998, 592

Kursprogramm:“ Examenskurs: “Der Traum vom eigenen Haus”“ Examenskurs: “Mieser Klebstoff”

Leitsätze:1. Verletzt ein Verkäufer seine vorvertraglichenAufklärungspflichten dadurch, dass er den Käuferüber einen Umstand nicht ordnungsgemäßunterrichtet, der einen Rechtsmangel darstellt, sowerden auf Ersatz des Vertrauensschadensgerichtete Schadensersatzansprüche wegenVerschuldens bei Vertragsschluss nicht durch dieG e w ä h r l e i s t u n g s a n s p r ü c h e w e g e n d e sRechtsmangels ausgeschlossen.2 . E i n S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h w e g e nV e r s c h u l d e n s b e i V e r t r a g s s c h l u s s k a n nausnahmsweise auf Ersatz des Erfüllungsinteressesgerichtet werden, wenn feststeht, dass ohne dasschädigende Verhalten ein Vertrag zu anderen, fürden Geschädigten günstigeren Bedingungen zuStande gekommen wäre. Lässt sich dieseFeststellung nicht treffen, so kann der Geschädigte,der an dem Vertrag festhalten will, als Ersatz desnegativen Interesses verlangen, so gestellt zuwerden, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahrenSachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einemgünstigeren Preis abzuschließen.

Sachverhalt: Mit notariellem Vertrag vom 7. 9. 1993 kauften die Kl.und eine GmbH vom Bekl. zwei gewerblich genutzteGrundstücke zum Preis von 4 950 000 DM. Nachvollständiger Kaufpreiszahlung wurde das Eigentumam 26. 4. 1994 umgeschrieben. Eine etwa 4000 qmgroße Teilfläche eines der Grundstücke war durchVertrag vom 21. 12. 1979 an die H-KG vermietet, diedort einen Auto- und Reifenservicebetrieb eingerichtethatte. Die den Kl. vor Vertragsabschluss vom Maklerübergebene Vertragsurkunde bestimmte unter § 3 eineBefristung des Mietverhältnisses bis zum 31. 12. 1994,wobei der Mieterin ein "Optionsrecht auf Verlänge-rung des Mietverhältnisses um einmal fünf Jahre"eingeräumt wurde. Die Kl. hatten das Grundstückerworben, um dort ein Boardinghouse zu errichten. ImOktober 1993 verhandelten sie mit der H-KG übereine vorzeitige Aufhebung des Mietvertrags. Nachihrem Vortrag erfuhren die Kl. erst jetzt, dass der

Bekl. der Mieterin durch eine Vereinbarung vom Mai1993 eine weitere Option auf Verlängerung desVertragsverhältnisses um nochmals fünf Jahre nachdem 31. 12. 1999 eingeräumt hatte. Unter dem 22./30.1. 1995 einigten sich die Kl. mit der Mieterin auf einenschriftlichen Nachtrag zum Mietvertrag. Danachwurde eine Hoffläche von etwa 1000 qm “entmietet"und von den Kl. für den Bau des Boardinghousesgenutzt. Außerdem wurde das Mietverhältnis bis zum31. 12. 2009 verlängert und der Mietzins reduziert.Die Kl. begannen noch im selben Jahr mit denBauarbeiten, so dass das Boardinghouse im Oktober1996 eröffnet werden konnte. Die Kl. verlangten vondem Bekl. die Zahlung von 300 000 DM alsSchadensersatz, weil er mit der Option zur Verlän-gerung des Mietverhältnisses bis Ende 2004 einenMangel des Grundstücks arglistig verschwiegen habe.

Hat diese Schadensersatzklage Aussicht auf Erfolg?

Lösung:Die Schadensersatzklage ist erfolgreich, wenn siezulässig und begründet ist. Gegen die Zulässigkeite i n e r s o l c h e n K l a g e s p r e c h e n m a n g e l sentgegenstehender Anhaltspunkte keine Bedenken, sodass es maßgeblich auf die Begründetheit und damitauf einen entsprechenden Anspruch der Kl. ankommt.

A. Schadensersatz wegen Rechtsmängelhaftung gem.§§ 434, 440 I, 326 I BGBD i e K l . k ö n n t e n g e g e n d e n B e k l . e i n e nSchadensersatzanspruch in Höhe von 300.000,- DMaus Rechtsmängelhaftung gem. §§ 434, 440, 326 IBGB haben. I. Abschluss eines wirksamen KaufvertragesZwischen den Parteien müsste ein wirksamerKaufvertrag abgeschlossen worden sein. Mitnotariellem Vertrag vom 07.09.1993 kauften die Kl.vom Bekl. zwei gewerblich genutzte Grundstücke zumPreis von 4.950.000 DM. Aufgrund der notariellenBeurkundung wurde bei diesem Vertragsabschlussauch die gem. § 313 S. 1 BGB erforderliche Formbeachtet. Ein wirksamer Kaufvertrag liegt damit vor.

II. Rechtsmangel gem. § 434 BGBDas Kaufobjekt müsste unter einem Rechtsmangelleiden. Gemäß § 434 BGB liegt ein Rechtsmangel vor,wenn einem Dritten Rechte am Kaufgegenstandzustehen, die gegen den Käufer geltend gemachtwerden können. Obligatorische Rechte stellen dabeinur dann einen Rechtsmangel dar, soweit sie dem

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Dritten berechtigten Besitz verschaffen (Palandt/Putzo,BGB, § 434 Rz. 5). Vor allem gehören wegen § 571BGB a.F. / §§ 566, 578 BGB n.F. Mietrechte einesDritten zu diesen Rechtsmängeln, vor allem wenn siezu einem späteren Zeitpunkt enden, als im Kaufvertragvorausgesetz wurde (BGH NJW 1991, 2700, m.w.N.).Damit stellt das Mietrecht der H-KG insbesonderewegen seiner weiteren Verlängerungsoption bis Ende2004 einen Rechtsmangel dar.

III. Verzug gem. §§ 440 I, 326 I BGBDer bekl. Verkäufer hat seine Verpflichtung aus § 434BGB (Verschaffung eines rechtsmangelfreienKaufgegenstandes) nicht eingehalten, sodass sich dieRechte der kl. Käufer aus §§ 440 I, 320 ff. BGBergeben. Bei behebbaren Rechtsmängeln, zu denenauch die Vermietung der Kaufsache gehört(Palandt/Putzo, §§ 440, 441 BGB Rz. 3; st. Rspr., vgl.BGH NJW 1991, 2700 und NJW-RR 1992, 201),kommt daher ein Schadensersatzanspruch nur unterden qualifizierten Verzugsvoraussetzungen von § 326I BGB in Frage.Der BGH stellt dazu fest:“Zutreffend hat das BerGer. einen Schadensersatz-anspruch aus §§ 440 I, 326 BGB verneint. Die weitereVerlängerungsoption zu Gunsten der H-KG alsMieterin, von der die Kl. nach den ihnen zugänglichgemachten Vertragsunterlagen nicht ausgehenkonnten, stellt einen Rechtsmangel dar. DieVerpflichtung des Verkäufers aus § 434 BGB, denKaufgegenstand frei von Rechten Dritter zuverschaffen, erstreckt sich bei einem Grundstückskaufauch auf ein bestehendes Mietverhältnis (Senat, NJW-RR 1992, 201 [202]; NJW 1992, 905 = LM H. 8/1992§ 440 BGB Nr. 10; NJW 1998, 534 = LM H. 4/1998 §434 BGB Nr. 14). Da die Option auf Verlängerungeines Mietverhältnisses grundsätzlich als behebbarerRechtsmangel anzusehen ist (vgl. Senat, NJW-RR1988, 79; NJW 1998, 534 [535] = LM H. 4/1998 §4 3 4 B G B N r . 1 4 ) , s c h e i t e r t e i nSchadensersatzanspruch aus § 440 I, 326 BGB aberdaran, dass die Kl. dem Bekl. weder eine Frist zurBeseitigung des Rechtsmangels verbunden mit einerAblehnungsandrohung gesetzt haben, noch besondereUmstände gegeben sind, die diese Voraussetzungentbehr l ich machen. Das BerGer . ha t e ineoffensichtliche Zwecklosigkeit der Fristsetzung nichtfeststellen können. Dies ist frei von Rechtsfehlern undwird mit der Revision nicht angegriffen.” IV. Ergebnis

D i e K l . h a b e n g e g e n d e n B e k l . k e i n e nSchadensersatzanspruch gem. §§ 434, 440 I, 326 IBGB.

B. Schadensersa t z wegen Verschulden be iVertragsabschluss (c.i.c.)D i e K l . k ö n n t e n g e g e n d e n B e k l . e i n e nSchadensersatzanspruch wegen Verschulden beiV e r t r a g s a b s c h l u s s - h i e r i n F o r m e i n e sAufklärungsverschulden - haben.

I. Vorvertragliches SchuldverhältnisErste Voraussetzung zur Haftung aus c.i.c. ist dasBestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen denParteien aufgrund eines vorvertraglichen odervertragsähnlichen Schuldverhältnisses. Mit derAufnahme der Vertragsverhandlungen zwischen denParteien zum Erwerb der fraglichen Grundstücke istein solches vorvertragliches Schuldverhältnisentstanden, das die Parteien zur gegenseitigenRücks i ch t , Loy a l i t ä t und Fü r so rge anhä l t(Palandt/Heinrichs, BGB, § 276 Rz. 65; st. Rspr.; vgl.BGHZ 60, 226).

II. Verschuldete PflichtverletzungI m R a h m e n d i e s e s v o r v e r t r a g l i c h e nSchuldverhältnisses müsste der Bekl. schuldhaft i.S.d.§ 276 BGB eine Pflicht verletzt haben. Eine solchePflichtverletzung liegt z.B. darin, dass der Schädigerdem Geschädigten unrichtige oder unvollständigeInformationen über den Vertragsgegenstand gegebenhat, sodass ein wirksamer, aber inhaltlich nachteiligerVertrag zustande gekommen ist (Palandt/Heinrichs,BGB, § 276 Rz. 78). Der BGH führt dazu aus:“Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen desBerGer. hat der Bekl. die Kl. unzutreffend über diemögliche Dauer des mit der H-KG geschlossenenMietverhältnisses unterrichtet. Mit der Vereinbarungvom 13. 5./1. 7. 1993 hatten der Bekl. und dieMieterin den bestehenden Mietvertrag um einGestaltungsrecht ergänzt, das es der Mieterin erlaubte,bis zum 31. 12. 1998 durch eine entsprechendeErklärung das Mietverhältnis um weitere fünf Jahre zuverlängern. Diese Vertragsverlängerung ist durch diebeiderseitig unterschriebene Urkunde nach § 566 BGBformwirksam vereinbart, weil auf die ursprünglicheVertragsurkunde Bezug genommen und der imÜbrigen unveränderte Fortbestand des dort Ver-einbarten zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BGH,NJW 1992, 2283 [2284] = LM H. 1/1993 § 305 BGBNr. 58).

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Durch das zumindest fahrlässige Verschweigen derzweiten Verlängerungsoption verletzte der Bekl.schuldhaft seine vorvertraglichen Pflichten. Machtnämlich der Verkäufer oder eine Person, deren er sichzur Erfüllung seiner vorvertraglichen Pflichtenbedient, Angaben, die für den Kaufentschluss desanderen Teils von Bedeutung sein können, so müssendiese Angaben richtig sein (BGHZ 74, 103 [110] =NJW 1979, 1449 = LM § 676 BGB Nr. 20; Senat,NJW-RR 1988, 458 [459]; NJW 1998, 302 = LM H.4/1998 § 249 [A] BGB Nr. 113). Dies gilt bei derUnterrichtung über das bestehende Mietverhältnisselbst dann, wenn der Bekl. von der beabsichtigtenUmgestaltung des Anwesens durch Errichtung einesBoardinghouses nichts wusste. Bereits im Hinblick auf§ 571 I BGB ist die Dauer eines Mietverhältnissesw e g e n d e r d a m i t e i n g e s c h r ä n k t e nVerfügungsmöglichkeit des Erwerbers grundsätzlichfür dessen Kaufentschluss von Bedeutung.”

III. Regelungslücke für diese PflichtverletzungDa es sich bei der Haftung wegen Verschulden beiVertragsabschluss um ein gesetzlich nicht geregeltes,sondern gewohnhe i t s r ech t l i ch ane rkann tesRechtsinstitut handelt, muss für die festgestelltePflichtverletzung eine Regelungslücke im Gesetzbestehen. Daher stellt sich die Frage, ob einSchadensersatzanspruch aus c.i.c. neben der gesetzlichgeregelten Rechtsmängelhaftung zur Anwendungkommt oder von dieser verdrängt wird. Der BGHmeint diesbezüglich:“Ein solcher Anspruch ist nicht durch die Vorschriftender §§ 440 I, 326 I BGB ausgeschlossen (vgl. BGHZ65,246 [2531 = NJW 1976, 236 = LM § 459 BGB Nr.38; Senat, NJW 1985, 2697 [2698] = LM § 467 BGBNr. 10; NJW 1991, 2700 = LM H. 5/1992 § 434 BGBNr. 10; NJW-RR 1992, 91 [92]; NJW 1994, 2947[2949] = LM H. 2/1995 § 362 BGB Nr. 21; NJW2000, 803 [804] = LM H. 6/2000 § 434 BGB Nr. 15).

1 . U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n d e n b e i d e nAnspruchsgrundlagenA u c h w e n n d a s w e g e n V e r s c h u l d e n s b e iVertragsschluss zu ersetzende Vertrauensinteresse inb e s t i m m t e n F ä l l e n w i r t s c h a f t l i c h d e mErfüllungsinteresse entsprechen kann, liegen derHaftung aus culpa in contrahendo und der Scha-densersatzpflicht wegen Nichterfüllung nach §§ 440 I,326 I BGB die Verletzung unterschiedlicherRechtspflichten zu Grunde (BGH, NJW 2001, 1065 L= LM H. 3/2001 § 276 [Fa] BGB Nr. 159 = WM 2000,

1840 [1841]; vgl. auch BGHZ 142, 51 [62, 64] = NJW1999, 3335 = LM H. 11/1999 § 276 [Fa] BGB Nr.1 5 4 ) . D e r S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h w e g e nVerschuldens bei Vertragsschluss folgt aus demgesetzlichen Schuldverhältnis, das mit der Aufnahmevon Vertragsverhandlungen begründet wird, vomtatsächlichen Zu-Stande-Kommen eines Vertrags undseiner Wirksamkeit weit gehend unabhängig ist undzur verkehrsüblichen Sorgfalt sowie zu loyalem undredlichem Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegnerverpflichtet (BGHZ 6, 330 [333] = NJW 1952,1130 =LM § 37 DGO Nr. 1; BGHZ 49, 77 [82] = NJW 1968,547 = LM § 195 BGB Nr. 10; BGHZ 66, 51 [54] =NJW 1976, 712 = LM § 328 BGB Nr. 52; BGH, NJW2001, 1065 L = LM H. 3/2001 § 276 [Fa] BGB Nr.159). Deshalb richtet sich der Anspruch nicht aufordnungsgemäße Vertragserfüllung, sondern auf denAusgleich der Nachteile, die durch die Verletzung desbei der Vertragsanbahnung in den Vertragspartnergesetzten Vertrauens entstanden sind (BGHZ 49, 77[82] = NJW 1968, 547 = LM § 195 BGB Nr. 10;BGHZ 57,191 [197] = NJW 1972, 95 = LM § 195BGB Nr. 13; BGH, NJW 1988, 2234 [2236] = LM §252 BGB Nr. 37; NJW 2001, 1065 L = LM H. 3/2001§ 276 [Fa] BGB Nr. 159). Der Schadensersatzanspruchaus culpa in contrahendo ist nicht durch dasErfüllungsinteresse begrenzt, sondern kann diesesauch übersteigen (BGHZ 49, 77 [82] = NJW 1968,547 = LM § 195 BGB Nr. 10; BGHZ 57, 191 [193] =NJW 1972, 95 = LM § 195 BGB Nr. 13; BGHZ 69,53[56] = NJW 1977, 1536 = LM § 276 [Fc] BGB Nr. 5).Dagegen knüpft der Anspruch auf Schadensersatzwegen Nichterfüllung nach §§ 440 I, 325 ff. BGB andie Verletzung von vertraglichen Hauptpflichten an,die erst durch den Vertragsschluss festgelegt werden(vgl. zu § 326 BGB: Senat, NJW 1957, 217 = LM §766 BGB Nr. 1; BGH, NJW 1987, 251 [253] = LM §326 [Ea] BGB Nr. 10). Der Geschädigte ist so zustellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllunggestanden hätte (vgl. BGHZ 99, 182 [197] = NJW1987, 831 = LM § 157 [Ga] BGB Nr. 33; Senat, NJW1981, 45 [46 f.] = LM § 249 [Cb] BGB Nr. 27; NJW2000, 1256 = LM H. 6/2000 § 325 BGB Nr. 32).

2. Vollständige Anspruchskonkurrenz im Gegensatzzur Sachmängelhaftung gem. §§ 459 ff. BGBErfüllt - wie hier - ein Lebenssachverhalt die Tat-bestandsmerkmale mehrerer Anspruchsgrundlagen,ohne dass einer der Haftungstatbestände nach seinemSinn und Zweck oder einer ausdrücklichen Regelungden Vorrang beanspruchen kann, so ist ein Fall der

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Anspruchskonkurrenz gegeben, bei dem sämtlicheRechtsfolgen gleichrangig nebeneinander stehen (vgl.BGHZ 13, 88 [95] = NJW 1954, 993 = LM § 839 [E]BGB Nr. 5; auch BGHZ 17, 214 [217] = NJW 1955,1314 = LM § 823 [Dc] BGB Nr. 22; BGHZ 66, 315[319] = NJW 1976, 1505 = LM § 477 BGB Nr. 25;BGHZ 100, 190 [201] = NJW 1987, 2008 = LM § 823[Be] BGB Nr. 29). Bei einem Zusammentreffen in derg e s c h i l d e r t e n W e i s e k o m m t e i n e mSchadensersatzanspruch aus §§ 440 I, 326 I BGBgegenüber einem solchen aus culpa in contrahendokein Vorrang zu. Im Unterschied zu den Regelungenfür Sachmängel in den §§ 459 ff. BGB (vgl. hierzuBGHZ 60, 319 [321 ff.] = NJW 1973, 1234 = LM §459 BGB Nr. 33) handel t es s ich bei denBestimmungen über die Rechtsmängelgewährleistungim Kaufrecht nicht um abschließende Son-derregelungen (vgl. Senat, NJW 1985, 2697 [2698] =LM § 467 BGB Nr. 10). Für Rechtsmängel verweist §440 I BGB lediglich pauschal auf die §§ 320 bis 327BGB; es fehlt nicht nur an Regelungen mit einer den§§ 459 ff. BGB vergleichbaren systematischenGeschlossenheit (BGHZ 110, 196 [203] = NJW 1990,1106 = LM § 440 BGB Nr. 8), sondern auch an einer §477 BGB entsprechenden besonderen Verjäh-r u n g s b e s t i m m u n g . Ü b e r d i e s k e n n t d i eRechtsmängelhaftung keine dem § 463 S. 2 BGB (vgl.hierzu BGHZ 60, 319 [321] = NJW 1973, 1234 = LM§ 459 BGB Nr. 33) vergleichbare, einschränkendeSonderregelung des Verschuldens bei Vertragsschluss.§ 444 BGB, der den Verkäufer zur Aufklärung überdie rechtl ichen Verhältnisse der Kaufsacheverpflichtet, erfasst nur die vertraglichen, nicht aberauch die vorvertraglichen Hinweispflichten (vgl. RGZ52, 167 [168]; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 444Rdnr. 3).”

IV. Kein Mitverschulden der Kl. gem. § 254 II BGBFraglich ist allerdings, ob sich die Kl. einMitverschulden gem. § 254 II BGB anrechnen lassenmüssen, weil sie dem Bekl. keine Chance zurRechtsmängelbeseitigung gegeben haben. Der BGH stellt diesbezüglich nur fest:“Dass sie dem Bekl. keine Gelegenheit zurBeseitigung des Rechtsmangels gaben, begründetkeinen Verstoß der Kl. gegen die ihnen obliegendeSchadensminderungspflicht (§ 254 II BGB). Es be-stehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Kl.h ä t t e n m i t d e r G e l t e n d m a c h u n g d e sSchadensersatzanspruchs wegen Verschuldens beiVertragsschluss an Stelle des Erfüllungsanspruchs aus

§ 434 BGB gegen das Gebot des eigenen Interessesverstoßen. Überdies lässt sich dem Vortrag des Bekl.nicht hinreichend entnehmen, dass es ihm durchLeistungen, deren Wert hinter den von den Kl.geforderten 300 000 DM zurückbleibt, gelungen wäre,die Mieterin zum Verzicht auf die verlängerteMietoption zu bewegen.”

V. Schadensersatz als RechtsfolgeLetztlich müsste noch ein Schaden bei den Kl.festzustellen sein, der dann in der Rechtsfolge desAnspruchs aus c.i.c. zu ersetzen ist. Fraglich ist aber,welche Art von Schaden durch eine Haftung wegenVerschulden bei Vertragsabschluss zu ersetzen ist.

1 . E r s a t z d e s p o s i t i v e n I n t e r e s s e s ( s o g .Erfüllungsschaden)Ausnahmsweise gewährt der Anspruch aus c.i.c. denErsatz auf das positive Interesse des Geschädigten ,d.h. er ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßerErfüllung gestanden hätte. Hierzu führt der BGHfolgendes aus:“Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens beiVertragsschluss kann ausnahmsweise auf Ersatz desErfüllungsinteresses gerichtet werden, wenn ohne dasschädigende Verhalten mit einem Dritten oder auchdemselben Vertragspartner ein Vertrag zu anderen, fürden Geschädigten günstigeren Bedingungen zu Standegekommen wäre (BGH, NJW 1998, 2900 [2901] =LM H. 11/1998 § 276 [Fc] BGB Nr. 25 m. w.Nachw.). Einen solchen Anspruch haben die Kl. mitdem Vortrag verfolgt, bei Kenntnis des weiterenOptionsrechts wäre ein um 300 000 DM niedrigererKaufpreis vereinbart worden. Der Ersatz desErfüllungsinteresses setzt allerdings - was das BerGer.nicht verkannt hat - die Feststellung voraus, dass derVertrag ohne das pflichtwidrige Verhalten zu anderen,für den Geschädigten günstigeren Bedingungengeschlossen worden wäre (BGH, NJW 1998, 2900[2901] = LM H. 11/1998 § 276 [Fc] BGB Nr. 25).Dass das BerGer. diese Feststellung nicht hat treffenkönnen, wird von der Revision hingenommen undlässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nichts spricht dafür,dass sich der Bekl. auf einen um 300 000 DMgeringeren Kaufpreis eingelassen hätte. Er hatte keinnachhaltiges Interesse an dem Grundstücksverkauf,war doch die Initiative zu diesem Geschäft nicht vonihm, sondern von dem Makler, den die Kl. beauftragthatten, ausgegangen. Überdies erklärte der Bekl.,nachdem die Kl. ihn auf die weitere Optionangesprochen hatten, sogleich seine Bereitschaft den

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Kaufvertrag rückgängig zu machen. Es kann dahero f f e n b l e i b e n , o b e i n s o l c h e r a u f d a sErfüllungsinteresse gerichteter Anspruch neben denVorschriften der Rechtsmängelhaftung (§§ 440 I, 326 IBGB) Anwendung finden kann.”

2 . E r s a t z d e s n e g a t i v e n I n t e r e s s e s ( s o g .Vertrauensschaden)Grundsätzlich aber gewährt die Haftung aus c.i.c. nurErsatz des negativen Interesses, d.h. der Geschädigteist so zu stellen, wie er bei Unterlassung dervorvertraglichen Pflichtverletzung stehen würde(Palandt/Heinrichs, BGB, § 276 Rz. 99). Der BGHnimmt dazu wie folgt Stellung:

a. Vertragsanpassung als RechtsfolgeDer Anspruch aus culpa in contrahendo ist regelmäßigauf Ersatz des negativen Interesses gerichtet (BGHZ114, 87 [94] = NJW 1991, 1819 = LM H. 1/1992 §276 [Fb] BGB Nr. 57; BGHZ 142, 51 [62] = NJW1999, 3335 = LM H. 11/1999 § 276 [Fa] BGB Nr.154; BGH, NJW 2001,1065 L = LM H. 3/2001 § 276[Fa] BGB Nr. 159). Danach sind die Kl. so zu stellen,wie sie bei Offenbarung der für ihren Kaufentschlussmaßgeblichen Umstände stünden (vgl. Senat, NJW-RR1994, 76 [77]). Wenn der Geschädigte, wie hier dieKl., an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieserinfolge der Pflichtverletzung zu für ihn ungünstigenBedingungen zu Stande gekommen ist, so ist er so zubehandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahrenSachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einemgünstigeren Preis abzuschließen (BGHZ 69, 53 [58] =NJW 1977, 1536 = LM § 276 [Fc] BGB Nr. 5; BGH,NJW 1999, 2032 [2034] = LM H. 7/1999 § 768 BGBNr. 18). Schaden ist danach der Betrag, um den die Kl.im Streitfall wegen der fehlenden Mitteilung über dasweitere Optionsrecht der Mieterin das Grundstück zuteuer erworben haben (vgl. BGHZ 114, 87 [94] = NJW1991, 1819 = LM H. 1/1992 § 276 [Fb] BGB Nr. 57;Senat, NJW-RR 1988, 10 [11]; NJW-RR 1994, 76[77]; BGH, NJW 1981, 2050 [2051] = LM § 276 [Fc]BGB Nr. 12; NJW-RR 1989, 150 [151] = LM § 249[E] BGB Nr. 11; NJW 1993, 1323 [1325] = LM H.9/1993 § 276 [Ci] BGB Nr. 49). Dies erfordert - imUnterschied zur Geltendmachung des Erfüllungs-interesses (vgl. BGH, NJW 1998; 2900 [2901] = LMH. 11/1998 § 276 [Fc] BGB Nr. 25) - nicht denNachweis, dass sich der Vertragsgegner auf einenVertragsschluss zu einem niedrigeren Preiseingelassen hätte (vgl. BGHZ 69, 53 [58] = NJW1977, 1536 = LM § 276 [Fc] BGB Nr. 5; BGHZ 114,

87, [94] = NJW 1991, 1819 = LM H. 1/1992 § 276[Fb] BGB Nr. 57; BGH, NJW-RR 1989, 150 [151] =LM § 249 [E] BGB Nr. 11; Senat, NJW-RR 1996,690). Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschtebei Kenntnis der ihm verheimlichten Umständeverhalten hätte; verbleibende Unklarheiten gehen zuLasten des aufklärungspflichtigen Verkäufers (vgl.BGHZ 114, 87 [94] = NJW 1991, 1819 = LM H.1/1992 § 276 [Fb] BGB Nr. 57).

b. Kein Ersatz der entgangenen MieteinnahmenDen Betrag, um den sie das Grundstück vom Bekl. zuteuer erwarben, haben die Kl. allerdings bislang nichtdargetan. Sie haben ihren Schaden vielmehr mit denMieteinnahmen begründet, die ihnen in Höhe von 319000 DM in der Zeit von Januar 1994 bis Dezember1999 oder - in zweiter Linie - in Höhe von 307 501,49DM in der Zeit von Januar 2000 bis Dezember 2004wegen des Nachgebens gegenüber der H-KG in derVereinbarung vom 22./25. 1. 1995 entgangen seinsollen. Diese Aufwendungen sind jedoch nicht zuersetzen; denn sie unterfallen nicht dem Schutzzweckdes Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens beiVertragsschluss. Dessen Grundlage ist enttäuschtesVertrauen (vgl. Senat, NJW 1981, 1035 [1036] = LM§ 249 [E] BGB Nr. 6). Die von den Kl. mit derMieterin getroffene Vereinbarung beruht jedoch nichtdarauf, dass die Kl. weiterhin darauf vertrauten,zutreffend über die Dauer des Mietverhältnissesunterrichtet worden zu sein. Grund war vielmehr derEntschluss der Kl., trotz der als falsch erkanntenAuskunft am Vertrag fes tzuhal ten und dasbeabsichtigte Boardinghouse auch unter dengegebenen Bedingungen zu err ichten. DemVerschulden des Bekl. zurechenbare Folge desVertrauens der Kl. war nur der Abschluss desKaufvertrags, nicht aber die Nachteile, die sich erstaus der Entscheidung der Kl. ergaben, trotz dererkannten längeren Dauer des Mietverhältnisses keineRückabwicklung des Vertrags zu fordern (vgl. Senat,NJW 1981, 1035 [1036] = LM § 249 [E] BGB Nr. 6;BGH, NJW 1980, 2408 [2410] = LM § 276 [Fc] BGBNr. 9).Die Kl. können die ihnen angeblich entgangenenMieteinnahmen auch nicht mit der Begründung alsVertrauensschaden ersetzt verlangen, sie hätten davonausgehen dürfen, über die Zahlung des vereinbartenKaufpreises hinaus keine weiteren Investitionentätigen zu müssen. Zwar kann das Vertrauen desGetäuschten, dass sein Gesamtaufwand für dievorgesehene Verwendung der Kaufsache den

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Kaufpreis nicht übersteigen werde (vgl. BGHZ 111,75 [82] = NJW 1990, 1659 = LM § 276 [Fc] BGB Nr.18), geschätzt sein. Im vorliegenden Fall bestand füreine solche Annahme der Kl. indes keine dem Bekl.zurechenbare Grundlage. So behaupten die Kl. selbstnicht, den Bekl. über die von ihnen beabsichtigteNutzung des Grundstücks informiert zu haben. DerBekl. wusste aus dem Schreiben des von den Kl.beauftragten Maklers vom 13. 7. 1992 lediglich, dass"ein Investor" an dem Erwerb interessiert war. Warenaber die Pläne der Kl. weder Basis noch Gegenstandder Vertragsverhandlungen, so konnten die Kl. aufGrund des Verhaltens des Bekl. nicht darauf vertrauen,mit dem Kaufpreis sei auch die von ihnen beab-sichtigte Änderung der Nutzung des Anwesenserkauft.Selbst wenn sich die Kl. die Ausführungen desSachverständigen aus dem im ersten Rechtszugeingeholten schriftlichen Gutachten zu Eigen gemachthätten, wäre auch dies kein für die Ermittlung desVertrauensschadens erheblicher Vortrag. DerSachverständige hat mit dem "Nachteil ... aus der nichtrealisierten Investition" nichts anderes als den Gewinnermittelt , der den Kl. bei einer verspätetenFertigstellung des Bauvorhabens entgangen wäre.Dieser ist aber für die Berechnung der - nicht durcheine Verzögerung verursachten - Vermögensnachteile,die die Kl. hier als Schadensersatz geltend machenkönnen, ohne Belang.Damit festgestellt werden kann, ob und gegebenenfallsin welchem Umfang den Kl. ein Schaden dadurchentstanden ist, dass sie wegen der unzutreffendenInformation über die Dauer des Mietverhältnisses dasGrundstück zu teuer erworben haben, werden sie -

bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses -vortragen und unter Beweis stellen müssen, welcherMinderwert des Grundstücks sich gegenüber einemEnde 1999 auslaufenden Mietverhältnis mit der H-KGdurch die Verlängerungsoption bis Ende 2004 ergibt(vgl. Senat, NJW-RR 1988, 10 [11]; BGH, NJW-RR1989, 150 [151] = LM § 249 [E] BGB Nr. 11).Das bisherige Vorbringen der Kl. reicht nicht aus, umden für die Anpassung des Kaufpreises maßgeblichenMinderwert ermitteln zu können. Zwar haben die Kl.im ers ten Rech t szug behaupte t , durch e inMietverhäl tn is von längerer Dauer se i derVerkehrswert eines zu Ausbau- oder Neubauzweckenerworbenen Grundstück um 10% gemindert. DieParteien haben indes die Nutzung des Grundstücks fürdie Errichtung eines Boardinghouses oder auch nur füreine bauliche Umgestaltung nicht zum Vertragszweckgemacht. Es kann daher nur maßgeblich sein, welcheBedeutung der Geschäftsverkehr gewöhnlich einerVerlängerungsoption, wie sie hier vereinbart wurde,für die Wertermittlung beilegt. Den Absichteneinzelner Interessenten, auf die der vom LGbeauftragte Sachverständige bei der Erläuterung seinesGutachtens abgestellt hat, kommt unter den hiergegebenen Umständen keine entscheidende Bedeutungzu.”

VI. ErgebnisD i e K l . h a b e n g e g e n d e n B e k l . e i n e nSchadensersatzanspruch aus c.i.c., aber nicht auf300.000 DM Mietzinsausfall, sondern auf denMinderwert des Grundstücks. Die Klage ist teilweisebegründet.

Standort: Strafrecht Problem: Parkschein als Urkunde

OLG KÖLN, BESCHLUSS VOM 10.08.2001

SS 264/01 (STRAFO 2001, 352)

Problemdarstellung:Das OLG Köln hatte über die Strafbarkeit einerAngeklagten zu entscheiden, die, um Parkgebühren zusparen und die kontrollierenden Politessen über dietatsächlich nicht entrichtete Gebühr zu täuschen, dieDatumsangaben eines abgelaufenen Parkscheinsmanipuliert hatte. Der Senat sieht in dem Verhaltender Angeklagten ein Gebrauchen einer unechten bzw.verfälschten Urkunde, da es sich bei dem ausgelegten

Parkschein um eine Urkunde handele. Eine Strafbarkeit wegen versuchten Betrugs lehnt derSenat jedoch ab, da die auf die Ordnungswidrigkeithin zu entrichtende Gebühr kein geschütztesVermögen i.S. des § 263 I StGB sei und eine eventuellnachträglich zu entrichtende Parkgebühr nicht von dendurch das Verhalten der Angeklagten alleingetäuschten Politessen eingetrieben werde.

Prüfungsrelevanz:Das Urte i l g ibt Anlass , s ich anhand e ines“alltäglichen” Falles mit zentralen Fragen der

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Urkunden- und Vermögensdelikte zu beschäftigen. ImRahmen der §§ 267 ff. StGB verdient die Bestimmungeines Parkscheins als Urkunde besondere Beachtung.Das OLG sieht die in dem Parkschein verkörperteGedankenerklärung nicht in der Erklärung desAutofahrers, er habe einen gültigen Parkausweiserworben, sondern allein in dem Nachweis einerParkberechtigung für einen bestimmten Raum und ineiner gewissen Zeitspanne. Demzufolge sei auch nichtetwa der einzelne Autofahrer, sondern der Betreiberdes Automaten der Aussteller der Urkunde. Im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit nach § 263StGB bestätigt das OLG Köln die nahezu einhelligeAnsicht , dass s taat l iche Sankt ionen keinenVermögenswert i.S. des Betrugstatbestandes besitzen.Zudem verneint es einen Betrug hinsichtlich dernachzuentrichtenden Parkgebühren mit der Erwägung,dass dieser Vermögenswert nicht stoffgleich demdurch das Verhalten der Politessen eingetretenenNachteil sei.

Vertiefungshinweis:“ Zum fehlenden Vermögenswert der Geldstrafe:OLG Karlsruhe, NStZ 1990, 282

Kursprogramm:“ Examenskurs: “Die Examensklausur”

Leitsatz:Die Verwendung eines im ausgedrucktenParkzeitende abgeänderten Parkscheins erfüllt denTatbestand der Urkundenfälschung, nicht aberdenjenigen des (versuchten) Betruges. Sachverhalt:Die Angeklagte A parkte am 21., 22., 23. und24.3.2000 ihren Pkw auf dem T-H-Ring in K jeweilsim Bereich eines Parkscheinautomaten, wo das Parkenan Werktagen nur gegen die Entrichtung einerParkgebühr gestattet ist. Der Parkscheinautomat ist auf24 Stunden eingestellt, wobei die Parkgebühr fürdiesen Zeitraum 5 DM beträgt. Der Parkschein zeigtdas Ende der zulässigen Parkzeit mit Datum undUhrzeit an (“Parkzeit endet:...”); darüber hinausenthält er die Bezeichnung des Standorts (“T-H-Ring866"). Um die Parkgebühr zu sparen und kon-trollierende Politessen über die tatsächlich nichterfolgte Zahlung zu täuschen, legte die Angeklagtejeweils einen abgelaufenen Parkschein hinter dieWindschutzscheibe, wobei sie die Datumsangabe

jeweils mit Ziffern in dem Druckbild des Parkscheinso überklebt hatte, daß das aktuelle Datumausgewiesen wurde. Die kontrollierende Politesseerkannte jedoch die Manipulationen und heftete an denersten drei Tattagen jeweils Verwarnungen unter denScheibenwischer des Pkw der Angeklagten; am 24. 3.2000 wurde die Polizei hinzugezogen, die dasFahrzeug öffnete und den Parkschein sicherstellte.

Strafbarkeit der A?

Lösung:

A. Strafbarkeit der A wegen Herstellens einerunechten Urkunde in vier Fällen gem. § 267 I, 1. FallStGB durch die Manipulationen an den Parkscheinen

I. TatbestandZunächst müsste der Tatbestand des § 267 I, 1. FallStGB erfüllt sein.

1. UrkundeUrkunde ist jede verkörperte Gedankenerklärung, diezum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt und geeignetist und ihren Aussteller erkennen lässt.

a ) V e r k ö r p e r t e G e d a n k e n e r k l ä r u n g u n dBeweisrichtungZum Vorliegen einer verkörperten Gedankenerklärungund der maßgeblichen Beweisrichtung führt das OLGKöln aus: “Der Parkschein verkörpert allerdings nicht,wie Strafkammer und Generalstaatsanwaltschaftmeinen, die Gedankenerklärung des jeweiligenAutofahrers, er habe an dem durch den Ausdruckausgewiesenen Tag einen gültigen Parkscheinerworben. Dies müßte zur Annahme einer - straflosen -schriftlichen Lüge führen, weil die Veränderung desErklärungsinhalts von der Angeklagten vorgenommenwurde, bevor die Urkunde durch Auslegen imFahrzeug in den Rechtsverkehr gelangte und einAnspruch anderer auf ihren unversehrten Bestandentstehen konnte (vgl. dazu Gribbohm, in: LeipzigerKommentar, StGB, 11. Aufl., § 267 Rn. 161, 204 m.w. N.; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 267 Rn. 18a, 19 a m. w. N.). Der Parkschein besagt nichtsdarüber, wie er in den Besitz des Fahrzeugführersgelangt ist; er enthält keine Aussage darüber, ob derBesitzer ihn durch Lösen am Parkscheinautomatenerworben oder auf andere Weise - etwa durch Fundoder Wegnahme - erlangt hat. Der Parkscheinbestätigt, daß - durch wen auch immer - eine

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Parkgebühr entrichtet und damit die Berechtigung zurBenutzung von Parkfläche in einem bestimmtenBereich - nämlich demjenigen des ausgewiesenenAutomaten - für eine bestimmte Zeitspanne - nämlichbis zu dem ausgedruckten Parkzeitende - erworbenworden ist. Nur dadurch kann er seiner Zweckbe-stimmung, im Rechtsverkehr - gegenüber demParkraumüberwachungspersonal - Beweis zuerbringen, genügen. Nach § 13 Abs. 1 S. 1 StVO istder von einem Parkscheinautomaten ausgegebeneParkschein gut lesbar anzubringen. Auf seinen Inhaltund nicht etwa auf eine eigene Erklärung despa rkenden Verkehr s t e i l n eh mers s tü t z t d i eÜberwachungskraft ihre Entscheidung, ob ein zulässi-ges Parken oder eine Ordnungswidrigkeit vorliegt.Denn die Urkunde schöpft ihren Beweiswert aus derPerson des Ausstellers (Gribbohm aaO § 267 Rn. 44;Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 267Rn. 16).”

b) Erkennbarkeit des Ausstellers Auch die Erkennbarkeit des Ausstellers sieht das OLGKöln als gegeben an: “Daran anschließend ergebensich durchgreifende Bedenken gegen die Bewertungdes Parkscheins als Urkunde i. S. d. § 267 StGB auchnicht im Hinbl ick auf das Erfordernis derErkennbarkeit des Ausstellers der verkörperten Gedan-kenäußerung. Dem steht weder der Umstand entgegen,daß die schriftliche Erklärung in einem automatisiertenVerfahren hergestellt wird, noch die Tatsache, daß derParkschein keinen konkreten Hinweis auf denBetreiber des Automaten, sondern lediglich dieBezeichnung des Standorts enthält.Zur Ausstellereigenschaft i. S. d. § 267 StGB gehörtnicht, daß der menschliche Gedanke, der in derUrkunde verkörpert wird, ein geistiges Produkt desErklärenden ist. Der Aussteller kann sich als eigeneErklärung auch das Ergebnis einer Datenverarbeitungzu eigen machen, selbst wenn er sie nicht überprüftund (wegen der Art der maschinellen Verarbeitung)auch nicht selbst überprüfen könnte. Er kann dasErgebnis im voraus autorisieren (Gribbohm, aaO, §267 Rn. 136; Tröndle/Fischer, aaO § 267 Rn. 3). Daßder Einrichter und Betreiber des Parkscheinautomatenden Inhalt des ordnungsgemäß gelösten Parkscheinsals seine Erklärung im Rechtsverkehr gelten lassenwill, begegnet keinem Zweifel.M i t d e r B e z e i c h n u n g d e s S t a n d o r t s d e sParkscheinautomaten ist auch der Ausstellerhinreichend bezeichnet. Denn es genügt, daß dieErkennbarkeit für Beteiligte und Eingeweihte gegeben

ist (Tröndle/Fischer, aaO, § 267 Rn. 7). Sie kann sichdabei aus den begleitenden Umständen ergeben(Gribbohm aaO § 267, Rn 49). Diese wiederumkönnen aus rechtlichen Beziehungen, aus Gesetz,Herkommen und Vereinbarung hergeleitet werden(Gribbohm aaO § 267 Rn. 50; Tröndle/Fischer aaO §257 Rn. 7; BayObLG NJW 1980, 1057). Bezogen aufdie vorliegende Fallgestaltung ist daher vonBedeutung, daß die Erhebung von Parkgebühren imBetrieb von Parkscheinautomaten in § 6 a Abs. 6 S. 2StVG gesetzlich geregelt und für den Bereich vonOrtsdurchfahrten den Gemeinden, im Übrigen demTräger der Straßenbaulast zugewiesen ist. Von daherwar im konkreten Fall als Aussteller des von derAngeklagten verwendeten Parkscheins die Stadt K alsBetreiberin des Parkscheinautomaten T-H-Ringerkennbar.”

2. Herstellen einer unechten UrkundeHerstellen einer unechten Urkunde ist das Ausstellenmit dem Ansehen, als sei sie von einer anderen Personausgestellt (Identitätstäuschung; Tröndle/Fischer, §267, Rn. 20 m.N.). Dazu führt der Senat aus:“Schließlich ist im Ergebnis unbeachtlich, ob dieAngeklagte jeweils einen noch unverfälschten - alsoechten - Parkschein verwendet hat oder ob diewiederholte Verfälschung (des gleichen Teils) eineszuvor bereits verfälschten Parkscheins vorgenommenworden ist, was nach den Urteilsfeststellungeno f f e n b l e i b t . I m l e t z t e r e n F a l l w ä r e d i eTatbestandsalternative des Herstellens einer unechtenUrkunde gegeben (vgl. Cramer aaO § 267 Rn. 66 m.w. N.), was aber weder auf den Schuldspruch noch aufden Schuldumfang Auswirkungen hätte.” Vorliegendsoll vom Herstellen einer unechten Urkundeausgegangen werden.

3. Vorsatz und TäuschungsabsichtA handelte auch vorsätzlich und zur Täuschung imRechtsverkehr. Sie hatte den zielgerichteten Willendas Überwachungspersonal zu täuschen, einen Irrtumzu erregen und so ein rechtserhebliches Verhalten zuerreichen (vgl. Tröndle/Fischer, § 267, Rn. 30).

II. Rechtswidrigkeit und SchuldA handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

III. ErgebnisA hat sich jeweils wegen Herstellens einer unechtenUrkunde gem. § 267 I, 1. Var. StGB strafbar gemacht,als sie die Parkscheine manipulierte.

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B. Strafbarkeit der A wegen Gebrauchens einerunechten Urkunde in vier Fällen gem. § 267 I, 3. Var.StGB durch das Verwenden der manipuliertenParkscheine Als sie den manipulierten Parkschein in ihremFahrzeug auslegte, hat die Angeklagte jeweils denÜberwachungspersonen die Möglichkeit zurKenntnisnahme der unechten Urkunde verschafft unddiese damit zur Täuschung im Rechtsverkehrgebraucht. Da sie den Vorsatz hinsichtlich desGebrauchens schon bei der Manipulation besaß, istjeweils von einer einheitlichen Tat auszugehen. DieAngeklagte hat sich daher wegen Urkundenfälschung(§ 267 StGB) in 4 Fällen strafbar gemacht.

C. Strafbarkeit der A wegen versuchten Betrugs in vierFällen gem. §§ 263 I, II, 22, 23 I StGB durchVerwenden der manipulierten Parkscheine

I. VorprüfungDie Tat ist bereits deshalb nicht vollendet, weil diePolitessen die Manipulationen sofort bemerkten undi n s o w e i t k e i n e m I r r t u m u n t e r l a g e n . D i eVersuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 263, 22, 23 IStGB.

II. TatentschlussMit Tatentschluss handelt, wer mit der Vorstellungund dem Willen zur Verwirklichung des gesetzlichenTatbestandes handelt. Es müsste der gesamtesubjektive Betrugstatbestand gegeben sein. Dazu hatdas OLG Köln ausgeführt: “Dagegen kann dieVerurteilung der Angeklagten wegen tateinheitlichbegangenen versuchten Betruges (§§ 263, 22 StGB)keinen Bestand haben. Insoweit ist vielmehr nach den- umfassend getroffenen - tatrichterlichen Feststellun-gen eine Strafbarkeit auszuschließen. Zwar hatte die Angeklagte den Vorsatz, durch dasAuslegen des Parkscheins die mit der Verfolgung vonParkverstößen betrauten Überwachungskräfte darüberzu täuschen, daß die Parkgebühr für die vorgeseheneParkzeit tatsächlich nicht gezahlt worden war unddeshalb verbotswidrig geparkt wurde. Durch die irrigeVorstellung, es sei - wie durch den Parkscheinausgewiesen - die Parkgebühr bezahlt, sollten diekontroll ierenden Überwachungskräfte davonabgehalten werden, die Verfolgung der Verkehrsord-nungswidrigkeit durch Festsetzung von Verwarnungs-und Bußgeld zu veranlassen. In diesem Verhalten liegti n d e s s e n k e i n e Ve r f ü g u n g , d i e z u e i n e mVermögensschaden der Verwaltungsbehörde (§ 35

Abs. 1 OWiG) bzw. der dahinters tehendenGebietskörperschaft hätte führen können.Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehendanerkannt, daß die Abwehr einer Geldstrafe nicht zueinem Verrmögensvorteil bzw. -nachteil im Sinne desBetrugstatbestandes führt, da sie nicht zu dem durch §263 StGB geschützten Vermögen des Staatesgerechnet werden kann und es entsprechend bei demTäter an dem subjektiven Merkmal einer auf einenrechtswidrigen Vermögensvorteil gerichteten Absichtfehlt. Die Strafe ist Vergeltung für begangenesUnrecht; sie wird um ihrer selbst Willen verhängt undist daher ihrem Wesen nach nicht vermögens-rechtlicher Natur, sondern ein Rechtsgut eigener Art(RGSt 71, 280 [281]; OLG Schleswig SchlHA 1978,59 m. w. N.; OLG Stuttgart MDR 1981, 422; OLGKarlsruhe NStZ 1990, 282; BayObLGSt 1991, 61;Tiedemann, in: Leipziger Kommentar; StGB, 11.Aufl., § 263 Rn. 145; Cramer aaO § 263 Rn. 78 a;Tröndle/Fischer aaO § 263 Rn. 42). Z u d e m s c h e i d e t d i e E inbez iehung in denSchutzbereich des § 263 StGB im Hinblick auf dieStraflosigkeit der persönlichen Selbstbegünstigungnach § 258 StGB aus gesetzessystematischen Gründenaus (OLG Karlsruhe aaO; Graul JR 1991, 435 f.). ImErgebnis ebenso verhält es sich für eine Geldbußenach dem OWiG, die ebenfalls eine Unrechtsfolge füre ine ta tbes tandsmäßige , rechtswidr ige undvorwerfbare Handlung ist und repressiven Charakterhat (OLG Schleswig aaO; BayObLG aaO; Tiedemann,Cramer, Tröndle/Fischer jeweils aaO). Für dieV e r w a r n u n g u n d d i e E r h e b u n g e i n e sVerwarnungsgeldes nach § 56 Abs. 1 0WiG kannschließlich nichts anderes gelten (BayObLG aaO;Tiedemann, Cramer, Tröndle/Fischer jeweils aaO; a.A. Wenzel, DAR 1989, 455 f), und zwar schondeshalb, weil sie als präventiv-polizeiliche Maßnahmezur Verkehrserziehung ebenfalls nicht dem Bereichdes wirtschaftlichen Verkehrs zugerechnet werdenkann. Hinzu kommt, daß die Möglichkeit, mit demnotwendigen Einverständnis des Betroffenen einVerwarnungsgeld zu erheben, lediglich eineunbestimmte Aussicht auf eine Vermögensmehrungbegründet, die noch keinen Vermögenswert i. S. d. §263 StGB darstellen kann (BayObLG aaO m. w. N.).Ob neben der Sanktion wegen der Verkehrsordnungs-w i d r i g k e i t e i n A n s p r u c h d e r f ü r d i eParkraumbewirtschaftung gem. §§ 6 a Abs. 6 StVG,13 StVO zuständigen Gebietskörperschaft aufNachentrichtung der Parkgebühr gegeben ist (vgl. zumWesen der Parkgebühr als Benutzungsgebühr

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Gern/Schneider NZV 1988, 130; BayObLG aaO,Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 26.Aufl., § 265 a Rn. 2), kann hier dahinstehen. Denn dieTäuschung der Angeklagten war nicht daraufausgerichtet, in dieser Hinsicht eine schädigendeVermögensverfügung - in Form des Absehens von derGeltendmachung dieses Anspruchs - herbeizuführen(vgl. dazu Lenckner/Perron aaO § 265 a Rn. 4). DieTäuschungshandlung galt den ordnungsbehördlichenÜberwachungskräften, die bekanntlich allein dieVerfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Rahmen desruhenden Verkehrs - und nicht die Erhebunggeschuldeter Gebühren - betreiben (vgl. dazu OLGSaarbrücken DAR 1989, 233; Wenzel DAR 1989,

455). Soweit es nach den Urteilsfeststellungen derAngeklagten darauf ankam, etwaig kontrollierendePolitessen [...] zu täuschen und so die Parkgebühren zusparen, war der angestrebte Vermögensvorteil nichtstoffgleich dem durch das Verhalten der Politessenverursachten Vermögensnachteil auf Seiten der von ihrvertretenen Behörde.”A handelte demnach nicht mit dem erforderlichenTatentschluss.

III. ErgebnisA hat sich nicht wegen versuchten Betrugs strafbargemacht.