lern- und leistungsschwierigkeiten im mathematikunterricht aus der sicht von grundschullehrerinnen...

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283 Klaus-Ulrich Guder Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht aus der Sicht von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern Von dem Fachbereich für Geistes- und Erziehungswissenschajien der Technischen Universität Braunschweig zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) genehmigte Dissertation Gutachter: Prof Dr. Dr. Uwe-Peter Tietze Doz. Dr. Eberhard Dahlke Tag der mundlichen Prüfung: 12. Juli 2001 Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht, speziell in den Formen Rechenschwäche und Dyskalkulie, gelten zu Recht als ein sehr wichtiges Thema im Schul alltag und in der mathematikdidaktischen Diskussion. Diese Arbeit untersucht Subjektive Theorien, die Grundschullehrkräfte zum Entstehen und zur Diagnose von Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht sowie zum Umgang mit betroffenen Kindern haben. Dazu erfasst sie zum einen die von den Lehrkräften verwendeten Begrifflichkeiten von Lernschwierigkeiten, ihre Ursachen- zuweisungen und die Indizien, die sie zur Kennzeichnung von Kindern mit Lernschwie- rigkeiten benutzen. Zum anderen werden in der Arbeit die Beziehungen und Argu- mentationszusammenhänge untersucht, die zwischen Ursachen, Zielvorstellungen, Vor- stellungen von mathematischem Lernen und intendierten Förderhandlungen in den Sichtweisen der Lehrkräfte bestehen. Im theoretischen Teil der Arbeit werden verschiedene Modelle diskutiert, die die Steue- rung des unterrichtlichen Handeins von Lehrkräften durch Kognitionen und Kausal- attributionen beschreiben. Davon ausgehend wird das der Arbeit zugrundeliegende Konstrukt der Subjektiven Theorie expliziert. Außerdem werden wesentliche mathe- matikdidaktische und pädagogische Ansätze zur Beschreibung und Erklärung von Rechenschwäche und Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht sowie Ergebnisse von zentralen Referenzuntersuchungen zu Attributionen rur die Leistungen im Mathematikunterricht durch Lehrkräfte verschiedener Schulformen vor- gestellt. Vor diesen Hintergründen und aus verschiedenen methodischen Ansätzen der qualitati- ven Sozial- und Unterrichtsforschung zur Erhebung von Kognitionen, wird im empiri- schen Teil ein Erhebungs- und Auswertungsverfahren entwickelt. In diesem werden offene Interviews, die in ihrem Aufbau Eigenheiten des narrativen, des problemzentrier- ten und des fokussierten Interviews enthalten, geruhrt und anschließend interpretativ analysiert. Dieses Verfahren ermöglicht eine detailreiche Analyse der verbalisierten Er- klärungen und erlaubt, aus den Äußerungen der befragten Lehrerinnen und Lehrer den von ihnen gemeinten subjektiven Sinn zu erschließen. Besonderes Augenmerk erhalten dabei mögliche wechselseitige Einflüsse zwischen den beschriebenen Auffälligkeiten von Kindern mit Schwierigkeiten im Mathematikunterricht, den angenommenen Ursa- chen darur und dem geplanten und beschriebenen Handeln im Unterricht sowie den Vorstellungen der Lehrkräfte von Mathematik und mathematischem Lernen. Darüber (JMD 23 (2002) H. 3/4, S. 283-284)

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Klaus-Ulrich Guder

Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht aus der Sicht von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern

Von dem Fachbereich für Geistes- und Erziehungswissenschajien der Technischen Universität Braunschweig zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) genehmigte Dissertation

Gutachter: Prof Dr. Dr. Uwe-Peter Tietze Doz. Dr. Eberhard Dahlke

Tag der mundlichen Prüfung: 12. Juli 2001

Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht, speziell in den Formen Rechenschwäche und Dyskalkulie, gelten zu Recht als ein sehr wichtiges Thema im Schul alltag und in der mathematikdidaktischen Diskussion.

Diese Arbeit untersucht Subjektive Theorien, die Grundschullehrkräfte zum Entstehen und zur Diagnose von Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht sowie zum Umgang mit betroffenen Kindern haben. Dazu erfasst sie zum einen die von den Lehrkräften verwendeten Begrifflichkeiten von Lernschwierigkeiten, ihre Ursachen­zuweisungen und die Indizien, die sie zur Kennzeichnung von Kindern mit Lernschwie­rigkeiten benutzen. Zum anderen werden in der Arbeit die Beziehungen und Argu­mentationszusammenhänge untersucht, die zwischen Ursachen, Zielvorstellungen, Vor­stellungen von mathematischem Lernen und intendierten Förderhandlungen in den Sichtweisen der Lehrkräfte bestehen.

Im theoretischen Teil der Arbeit werden verschiedene Modelle diskutiert, die die Steue­rung des unterrichtlichen Handeins von Lehrkräften durch Kognitionen und Kausal­attributionen beschreiben. Davon ausgehend wird das der Arbeit zugrundeliegende Konstrukt der Subjektiven Theorie expliziert. Außerdem werden wesentliche mathe­matikdidaktische und pädagogische Ansätze zur Beschreibung und Erklärung von Rechenschwäche und Lern- und Leistungsschwierigkeiten im Mathematikunterricht sowie Ergebnisse von zentralen Referenzuntersuchungen zu Attributionen rur die Leistungen im Mathematikunterricht durch Lehrkräfte verschiedener Schulformen vor­gestellt.

Vor diesen Hintergründen und aus verschiedenen methodischen Ansätzen der qualitati­ven Sozial- und Unterrichtsforschung zur Erhebung von Kognitionen, wird im empiri­schen Teil ein Erhebungs- und Auswertungsverfahren entwickelt. In diesem werden offene Interviews, die in ihrem Aufbau Eigenheiten des narrativen, des problemzentrier­ten und des fokussierten Interviews enthalten, geruhrt und anschließend interpretativ analysiert. Dieses Verfahren ermöglicht eine detailreiche Analyse der verbalisierten Er­klärungen und erlaubt, aus den Äußerungen der befragten Lehrerinnen und Lehrer den von ihnen gemeinten subjektiven Sinn zu erschließen. Besonderes Augenmerk erhalten dabei mögliche wechselseitige Einflüsse zwischen den beschriebenen Auffälligkeiten von Kindern mit Schwierigkeiten im Mathematikunterricht, den angenommenen Ursa­chen darur und dem geplanten und beschriebenen Handeln im Unterricht sowie den Vorstellungen der Lehrkräfte von Mathematik und mathematischem Lernen. Darüber

(JMD 23 (2002) H. 3/4, S. 283-284)

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hinaus werden dadurch mehrstufige und polykausale Begründungsketten sowie die sub­jektiven Rechtfertigungen rur das intendierte Handeln in Fördersituationen erkennbar. Mit diesem Verfahren werden die Subjektiven Theorien von sechs Lehrkräften der Grundschule erhoben, qualitativ analysiert und als Einzelfälle möglichst individuumsnah dargestellt.

Zum Abschluss der Arbeit werden die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen den EinzeWillen unter den Gesichtspunkten "Begriffiichkeit und Indizien", "Mathema­tikbild, Zielvorstellungen und mathematisches Lernen", "Ursachen für Lernschwierig­keiten und Förderung" sowie die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Punkten herausgearbeitet. Vorstellungen vom mathematischen Lernen, Handlungsbegründungen und Rechtfertigungen des Umganges mit Kindern mit Schwierigkeiten im Mathematik­unterricht, die auf mathematikdidaktischen Prinzipien beruhen und somit charakteris­tisch für hlathematiklehrer und ihren Mathematikunterricht sind, werden an dieser Stelle rekonstruiert. Ferner werden die auffälligen Ergebnisse dieser Studie den Ergebnissen gegenübergestellt, zu denen die im theoretischen Teil vorgestellten früheren Untersu­chungen zu Leistungserklärung und Kausalattribution rur niedrige Leistungen kommen. Außerdem werden einige Subjektive Theorien skizziert, die üb<;r den Einzelfall hinaus rekonstruiert werden können und bei denen sich daher vermuten lässt, dass sie unter Grundschullehrerinnen weitverbreitet sind. Abschließend werden Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung von Lehrern gezogen und mögliche Anschlussfragestellungen entwickelt.

Die Dissertation ist im September 2002 unter dem Titel "Sichtweisen zu Lern- und Leistungs­schwierigkeiten im Mathematikunterricht der Grundschule. Eine qualitative Untersuchung zu den Subjektiven Theorien von Grundschullehrerinnen und -lehrern." im Verlag Franzbecker, Hildes­heim erschienen (ISBN: 3-88120-350-8).

Dr. Klaus-Ulrich Guder Universität Dortrnund Fachbereich Mathematik Institut rur Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts Vogelpothsweg 87 44221 Dortrnund ulrich. [email protected]