insel verlag · 2015. 10. 25. · der schriftsteller und publizist karl ferdinand lempp wurde 1913...

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HOMER ILIAS

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  • HOMERILIAS

  • Fesselnde Antike – Homer für Einsteiger und Liebhaber

    Die Ilias erzählt vom über zwanzig Jahre währenden Trojanischen Krieg. Der Kampf der Archäer gegen Troja, die Abenteuer des Achill und der Zorn der olympischen Götter gehören zu den Höhepunkten der Weltliteratur. Bei der aus dem Nachlaß edierten Gesamtübersetzung von Karl Ferdinand Lempp, hier erstmals im Taschenbuch, handelt es sich um eine leicht lesbare Prosafassung, die behutsam erklärend eingreift, wenn der Inhalt dem heutigen Leser nicht ohne weiteres verständlich ist. Dieser Band präsentiert die gewaltige und schillernde Ilias in einer modernen und temporeichen Prosafassung, wodurch sie endlich als das gelesen werden kann, was sie wirklich ist: ein fesselnder Roman.

    Der Schriftsteller und Publizist Karl Ferdinand Lempp wurde 1913 in Schwäbisch Gmünd geboren. In Afrika, wo er über 30 Jahre lang lebte, leitete er u. a. einen deutschsprachigen Verlag und engagierte sich in der Antiapartheidbewegung. In Deutschland lehrte er an verschiedenen Hochschulen und Bildungseinrichtungen, was ihm die Notwendigkeit eines allgemeinverständlichen Pro saHomer aufzeigte, an dem er bis zu seinem Tod 1986 arbeitete.

    Homer wurde vermutlich im 8. Jahrhundert v. Chr. geboren, über seinen Geburtsort herrscht allerdings Uneinigkeit, u. a. beanspruchen Smyrna, Athen und Ithaka, Herkunftsort des Dichters zu sein. Über sein Leben und Wirken gibt es keine gesicherten Angaben. Die großen Epen Ilias und Odyssee werden ihm, trotz immer wieder geübten Zweifels, zugeschrieben. Homer starb wahrscheinlich auf Ios.

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  • insel taschenbuch 4523Homer

    Ilias

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  • HomERILIAS

    In Prosa übertragen von Karl Ferdinand Lempp

    Herausgegeben von michael Schroeder

    Insel Verlag

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  • Umschlagabbildung: Nimatallah / akgimages

    insel taschenbuch 4523Erste Auflage 2012

    Insel Verlag Berlin 2012© Insel Verlag Frankfurt am main und Leipzig 2009

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch

    Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

    (durch Fotografie, mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

    oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch VerlagHinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes

    Umschlag: bürosüd, münchenDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

    Printed in GermanyISBN 9783458362234

    1 2 3 4 5 6 – 17 16 15 14 13 12

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  • {Suhrkamp}301689homer/Ilias/job01.3d – 7/5/09 11:54 – Seite: 7

    INHALT

    ERSTER GESANGZank unter Menschen und GÇttern . . . . . . . . . 9

    ZWEITER GESANGUm die Zukunft des Krieges . Schiffskatalog undHeeresordnungen beider Seiten . . . . . . . . . . . . 31

    DRITTER GESANGDer Aufmarsch der Armeen . Zweikampfder Rivalen Menelaos und Paris . . . . . . . . . . . 62

    VIERTER GESANGDer Bruch der Abmachungen . . . . . . . . . . . . . 77

    F�NFTER GESANGDie Kriegstaten des furchtlosen Diomedes . . . . 93

    SECHSTER GESANGHektor im Feld und als Familienvater . . . . . . . 120

    SIEBTER GESANGNoch ein Zweikampf ohne Entscheidung .

    Bestattung der Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136ACHTER GESANG

    Krieg und kein Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152NEUNTER GESANG

    Achilleus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170ZEHNTER GESANG

    Grausamer Auftakt zum dritten Tagder Schlacht . Verh�rtete Fronten . . . . . . . . . . 192

    ELFTER GESANGVerzweifelte Gegenwehr und erneuter RÅckschlagfÅr die Achaier . Verwundung aller großen FÅhrer 209

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    ZW�LFTER GESANGDer Kampf um den Wallgraben . . . . . . . . . . . . 236

    DREIZEHNTER GESANGDer Kampf um die Schiffe . . . . . . . . . . . . . . . 250

    VIERZEHNTER GESANGPatt auf der Erde . Kriegslisten bei den GÇttern 275

    F�NFZEHNTER GESANGDer Machtkampf der GÇtter und noch einmal:Kampf um die Schiffe! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

    SECHZEHNTER GESANGRettung durch Patroklos im letzten Augenblick .

    Tod des Patroklos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312SIEBZEHNTER GESANG

    Das Ringen um den Leichnam des Patroklos . . 336ACHTZEHNTER GESANG

    Eine neue RÅstung direkt vom Olympos . . . . . . 359NEUNZEHNTER GESANG

    Die AussÇhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379ZWANZIGSTER GESANG

    Kriegerische Aktivit�ten der GÇtter . . . . . . . . . 392EINUNDZWANZIGSTER GESANG

    Die Schlacht am Fluß des Skamandros . . . . . . . 407ZWEIUNDZWANZIGSTER GESANG

    Hektors Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426DREIUNDZWANZIGSTER GESANG

    Die Bestattung des Patroklos . . . . . . . . . . . . . 443VIERUNDZWANZIGSTER GESANG

    Finale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468

    Erl�uterungen zur Ilias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

    8 inhalt

  • {Suhrkamp}301689homer/Ilias/job01.3d – 7/5/09 11:54 – Seite: 9

    ERSTER GESANG

    Zank unter Menschen und GÇttern(Neun Jahre schon haben die achaiischen FÅrsten

    die befestigte Stadt Troja an der kleinasiatischen KÅsteberannt. Denn der trojanische Prinz Paris hatte die schÇne

    Helena, die Frau des KÇnigs Menelaos von Sparta,geraubt. Die »Ilias« berichtet Åber einundfÅnfzig Tage

    im zehnten Kriegsjahr vor den Mauern Trojas)

    Vom Zorn singe, GÇttin*, und von den unheilvollen Ge-schehnissen, diemitderKr�nkung des Achilleusdurch Aga-memnon begannen. MÇge mich meine Kunst, das alles auf-zuschreiben, dabei nicht im Stiche lassen, und mÇgen mirdie GÇtter mein Vorhaben segnen! Es ist kaum mÇglich, dasganze Elend zu schildern, das in jener Sp�tphase des KriegesÅber die Achaier* hereinbrach. Ungez�hlte Leiber wurdenim Schiffslager und auf den anderen Kampfpl�tzen VÇgelnund Hunden zum Fraß. Ihre Schatten fuhren zum Hadeshinunter. Das Schlimmste nahm seinen Lauf, als sich derberÅhmte Achilleus und der HeerfÅhrer Agamemnon, einSohn des Atreus, entzweiten. Wer brachte jene M�nner an-einander? Apollon war es, ein Sohn des obersten GottesZeus und seiner ersten Gemahlin Leto. Er zÅrnte dem Aga-memnon und verfolgte das achaiische Heer deshalb miteiner Seuche. Die Krieger starben wie die Fliegen.

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    * Zu den mit einem Sternchen* versehenen Begriffen vgl. die Erl�uterungenam Schluß des Bandes.

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    Und so fing es an: Chryseis, Tochter des Apollonprie-sters Chryses im Herrschaftsbereich der belagerten StadtTroja*, war den Achaiern in die H�nde gefallen. Da mach-te sich der alte Priester zu den Schiffen der Belagerer auf,seine geliebte Tochter freizukaufen. Zum Schutz schwanger den Stab Apollons Åber seinem Kopf. Unbehelligt traf erdort ein und warf sich den M�nnern zu FÅßen. Besondersan die beiden Atreus-SÇhne Agamemnon und Menelaoswandte er sich. Im Tausch gegen Chryseis bot er ihnenunermeßliche Sch�tze.

    »Hochgeehrte SÇhne des Atreus«, rief er schon von wei-tem, »achaiische M�nner! Die GÇtter mÇgen euch Siegund glÅckliche Heimkehr schenken, wenn dies ihren Pl�-nen entspricht: Das ist ihre Sache. Mir aber geht es ummeine Tochter, mein liebes Kind. Gebt sie mir zurÅck!Bewahret dem Sohne des Zeus, Apollon, die gebÅhrendeEhrfurcht und vergeßt nicht, daß all seine Pfeile unfehlbartreffen!«

    Die achaiischen R�te berieten diese Worte des Priestersund diskutierten hin und her. Die Mehrheit war dafÅr ein-zulenken, um dem Alten weiteren Schmerz zu ersparen.Aber Agamemnon scherte sich nicht darum, sondernherrschte den Priester an:

    »Weg mit dir, Alter, und lasse dich nie wieder hierblicken, sonst kÇnnte dir auch der Beistand deines Gottesnichts mehr nutzen. Ich denke gar nicht daran, das M�d-chen herauszugeben. Es soll mir im Palast in Argos*, fernevon seiner Heimat, am Flechtrahmen dienen und das La-ger mit mir teilen, sooft ich dazu Lust verspÅre! Und dabeisoll es bleiben, bis sie mir zu alt wird. Verschwinde alsound reize mich nicht l�nger, wenn dir dein Leben lieb ist!«

    Da flÅchtete der Alte hastig und voller Schrecken. Un-schlÅssig tappte er am Strande des rauschenden Meeres

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    hin und her und brachte vor Entsetzen keinen Laut hervor.Endlich sammelte er sich wieder. Er fiel auf die Knie undbetete zu Apollon:

    »HÇre mich, du mit deinem silbernen Bogen! VieleMenschen beten zu dir, hier in Troas wie auch in deinenheiligen Orten Chryse und Kilia bis hin nach Tenedos. Dubist unser Gott und BeschÅtzer, den sie auch Smintheusnennen. Oft genug habe ich dir fette Rinder- und Ziegen-keulen als Opfer verbrannt. Auch deinen weithin schim-mernden Tempel habe ich dir gedeckt, wie du weißt. Nungew�hre mir diesen Dienst; Bestrafe die Achaier und lassesie hart fÅr all den Schmerz und die Tr�nen bÅßen, die siemir heute verursachen!«

    Apollon war ganz Ohr. EmpÇrt eilte er vom Olymposherab, Bogen und KÇcher Åber die Schulter geh�ngt, denKÇcher vollgesteckt mit Pfeilen. Die schauten Åber denRand hinaus und raschelten an seiner Schulter bei jedemTritt.

    So schritt er stÅrmisch dahin, eins mit der dunklenNacht, bedrohlich. Nahe den Schiffen der Achaier knieteer nieder und schnellte den ersten Pfeil mit einem unheim-lichen Knall von der Sehne. Im Lager griff Angst um sich.Erst stÅrzten ein paar Maulesel, dann Hunde und dannauch schon dieser und jener Mann. Bald flammten hierund dort die Scheiterhaufen zur Bestattung der Toten auf.Die Leiber b�umten sich in den Flammen zum letzten Mal.

    Neun Tage lang wÅtete der Gott. Am Morgen des zehn-ten gab Here, die Gemahlin des Zeus, dem Achilleus denGedanken ein, die M�nner zu einer Versammlung zusam-menzurufen. Er blickte auf die langen Reihen der Totenund sorgte sich um das achaiische Heer.

    Als alle im Kreis beisammensaßen, begrÅßte Achilleussie laut:

    11erster gesang

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    »Agamemnon, M�nner! Nicht nur der Krieg hat unsereReihen gelichtet. Jetzt sucht uns auch noch eine fÅrchter-liche Seuche heim! Bald bleibt selbst den �berlebendenkeine Wahl mehr, als die Schiffe zu besteigen und zu flie-hen. Laßt uns einen Seher oder einen Traumdeuter um Ratfragen! Unsere Tr�ume rÅhren doch von den GÇttern her.Laßt uns ergrÅnden, warum der TodesschÅtze Apollon sogr�ßlich wÅtet! Hat einer von uns ein GelÅbde gebrochenoder gar ein Hundertopfer* vers�umt? Vielleicht l�ßt sichZeus durch den lieblichen Duft von zartem Lamm- oderZiegenfleisch versÇhnen.«

    Er setzte sich. Darauf erhob sich Kalchas, ein Sohn The-stors. Er war der erfolgreichste Vogelflugkundige. Apollonhatte ihm die Gabe verliehen, Gegenwart, Vergangenheitund Zukunft zu deuten. Auf der Herfahrt hatte er der Flot-te als Lotse gedient. Er Åberlegte lang und rief endlich aus:

    »Achilleus, GÇtterliebling, soll ich euch den Zorn Apol-lons erkl�ren? Ich tue das gern, wenn ihr mir durch Hand-aufheben Schutz zusichert fÅr das, was ich sagen muß. IchfÅrchte mich vor dem Oberbefehlshaber Agamemnon.Wer immer von uns Geringen einen Gewaltigen in Har-nisch bringt, hat Grund zur Furcht. Und selbst wenn Aga-memnon seinen Grimm hinunterschlucken und sich zurRuhe zwingen sollte, wird er doch am Ende seinen MutkÅhlen wollen! Darum frage ich dich, Achilleus: Wirst dumich beschÅtzen?«

    Die Antwort des Schnellsten unter den Achaiern ließnicht auf sich warten:

    »Teile ohne Scheu mit, was du weißt! Ich schwÇre dirbei deinem Schutzheiligen Apollon: Solange ich lebe, wirdhier bei unseren Schiffen niemand Hand an dich legen,keiner von den Achaiern, wer es auch sei, selbst nichtAgamemnon. Du stehst unter meinem Schutz!«

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    Da begann der Seher zu reden:»M�nner! Es liegt nicht an einem gebrochenen GelÅbde

    oder einem vers�umten Hundertopfer, daß Apollon uns soviele M�nner und Tiere tÇtet. Er ist bÇse auf Agamemnon,weil der dem Priester so entsetzliches Leid zufÅgt, weil erihm die RÅckgabe seiner Tochter Chryseis verweigert. All-zu leicht wird sich Apollon nicht beruhigen lassen. Auchweiterhin werden unsere M�nner unter seinen Pfeilen da-hinsinken, bis wir den Schmerz des Priesters ehren undihm sein liebes Kind wieder zufÅhren. Apollon wird sichjetzt nicht einmal mehr mit einem LÇsegeld zufriedenge-ben. Er erwartet als Zeichen unserer Umkehr, daß wir ihmin seiner heiligen Stadt Chryse ein Hundertopfer darbrin-gen. Das ist das Mindeste, womit er sich jetzt noch be-s�nftigen l�ßt.«

    Da erhob sich der Oberbefehlshaber stolz und finsterzugleich und sprÅhte vor Zorn. Seine Augen waren dunkelumr�ndert und glÅhten wie von einem Feuer. Unheildro-hend wandte er sich an den Seher:

    »Unseliger, du hast mir noch nie etwas FreundlichesverkÅndet, immer gef�llst du dir in UnglÅcksbotschaften,ja bist geradezu ein Sprachrohr alles BÇsen und Widerw�r-tigen! Auch heute wieder kommt kein fÅr uns AchaiergÅnstiges Wort von deinen Lippen. Frech behauptest du,der gÇttliche J�ger erlege unsere M�nner, weil ich dieTochter seines Priesters zurÅckbehalte und mich auf keinLÇsegeld einlasse. Ja, ich gestehe hiermit ganz offen: IchmÇchte Chryseis behalten und mit in die Heimat nehmen.Sie steht in nichts hinter meiner Gemahlin KlytaimnestrazurÅck, weder an Wuchs noch SchÇnheit oder Geist undGeschicklichkeit. Ich ziehe sie sogar Klytaimnestra vor!Trotzdem bin ich bereit, sie dem Vater zurÅckzugeben,wenn sich das Verderben unseres Heeres nicht anders ab-

    13erster gesang

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    halten l�ßt. Dem Heer wÅnsche ich ein Ende seiner Qual!Aber dafÅr darf ich doch wohl einen Wunsch �ußern: Bie-tet mir fÅr Chryseis eine andere Ehrengabe, damit ichnicht als einziger von euch M�nnern leer ausgehe. Ichmeine, das gehÇre sich nicht fÅr den FÅhrer!«

    Auf diese Worte hin erhob sich noch einmal Achilleus:»Ruhmvoller Sohn des Atreus und zugleich Habgierig-

    ster von uns allen! Was verlangst du da? Du weißt genau,daß alle Sch�tze aus der Beute verteilt worden sind. Oderwillst du allen Ernstes fordern, daß man auch nur einender M�nner zwingt, etwas ihm Zugesprochenes an dichherauszugeben? Ich bitte dich deshalb: Gib das M�dchenfrei! Wir anderen Achaier werden sie dir an dem Tag, dawir das m�chtige Troja endlich zu Fall bringen, drei- odervierfach aufwiegen.«

    Agamemnon gebot Ruhe und erhob seine Stimme:»Deine Tapferkeit in Ehren, Achilleus, doch warum

    kommst du mir mit einem lumpigen Trick? So kannstdu mich nicht hineinlegen, so nicht! Willst du etwa deineigenes Ehrengeschenk behalten, derweil ich dasitze undleer ausgehe? Wie kannst du es wagen, von mir die Her-ausgabe der Chryseis zu fordern! Entweder bietet ihr mirgleichwertigen Ersatz, oder ich nehme mir diesen aus ei-gener Machtvollkommenheit von dir oder von Aias oderOdysseus, so wahr ich der Oberbefehlshaber bin! Magder, den es dann trifft, mir grollen, darÅber kÇnnen wirnoch immer verhandeln. Jetzt aber zum N�chstliegenden:Laßt uns ein Schiff zu Wasser ziehen, es mit Ruderernbemannen und genÅgend Tiere fÅr ein Hundertopfer auf-laden. Danach soll sich die schÇne Chryseis an Bord be-geben. Einer von euch HeerfÅhrern Åbernehme das Kom-mando, vielleicht Aias, vielleicht Idomeneus, vielleichtauch der gottbegnadete Odysseus oder du selbst, m�chti-

    14 ilias

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    ger Achilleus. Los, schleppt die Opfertiere. Herbei, Leute,damit wir den todbringenden SchÅtzen Apollon versÇh-nen!«

    Achilleus, der Schnelle, maß den Oberbefehlshaber mitden Augen von unten bis oben und rief:

    »Du unversch�mter, geizzerfressener Mann! Soll dirnach diesen Worten noch irgendeiner von uns gehorchen,deine Anordnungen ausfÅhren und sich im Kampf hervor-tun? Nimm mich als Beispiel. Die Troer haben mir nichtsBÇses zugefÅgt, ich bin nicht ihretwegen hierher mitge-kommen. Sie haben mir weder Rinder noch Pferde gestoh-len noch die Ernten auf den Feldern um meine HauptstadtPhthia verwÅstet. Viel Wasser und Land liegen zwischenPhthia und dem hochgelegenen Troja, rauschende Wogenund zerklÅftete Gebirge. Nein, deinetwegen und deinemBruder Menelaos zuliebe sind wir in diesen Krieg mitge-zogen, du NichtswÅrdiger! Bist du dir dessen gar nichtbewußt? Jetzt drohst du auch noch, mir mein Ehrenge-schenk zu entreißen, das ich mir sauer genug erworbenhabe! Der Rat der Achaier hat es mir bei der Verteilungder Beute zugesprochen. Niemals sonst, wenn wir einebevÇlkerte troische Stadt erobern und zerstÇren, erhalteich ein gleiches BeutestÅck wie du! Dabei tragen meineKraft und mein Geschick stets am meisten zum Sieg bei!Doch wenn es ans Verteilen geht, wer erh�lt ganz selbst-verst�ndlich die besten Brocken? Du! Und ich ziehe mich,abgek�mpft, bescheiden zu meinem Schiff zurÅck. Damitist es jetzt ein- fÅr allemal vorbei! Ich werde meine hoch-geschn�belten Schiffe nach Phthia zurÅcklenken und Åberdie Myrmidonen* herrschen, das ist besser, als mich hierin der Fremde fÅr den Ruhm und die Ehre des Herrn Aga-memnon zu schlagen!«

    Darauf der HeerfÅhrer:

    15erster gesang

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    »Verschwinde doch, wenn dir der Sinn danach steht! Ichhalte dich gewiß nicht. Es bleiben genug M�nner, die michachten, und auch Zeus wird mir weiter mit Rat beistehen.Die GÇtter halten es mit den FÅhrern der VÇlker, aber dubist mir in ihrem Kreis verhaßt! Du liebst nichts als Zank,Streit und Balgerei. Stammt deine Kraft, deren du dichrÅhmst, etwa aus dir selbst? Oder haben die GÇtter siedir verliehen? Was ist dein Verdienst daran? Nimm dochdeine Schiffe und deine M�nner und begib dich nach Hausins Land der Myrmidonen! Das ist mir so gleichgÅltig wiedeine ganze Raserei. Doch eines will ich dir sagen: WennPhoibos Apollon die Chryses-Tochter wirklich wieder zu-rÅckfordert, so werde ich sie herausgeben, mir aber alskleinen Ersatz dein BeutestÅck, die sÅße Briseis, lieberAchilleus, nehmen! Ich werde das hÇchst persÇnlich aus-fÅhren, um dir zu beweisen, daß ich im Rang hÇher steheals du. Das soll auch jeder andere Achaier wissen, damit inZukunft keiner mehr wagt, sich mit mir auf die gleicheStufe zu stellen.«

    Dem Achilleus schnitten die bÇsen Worte ins Herz. Erwar nahe daran, mit dem Schwert das erregte M�nnervolkzu verjagen und den Verhaßten in StÅcke zu hauen. Aberer besann sich noch einen Augenblick.

    W�hrend er so stand, fÅrchterlich drohend, sein riesigesSchwert gezÅckt, schickte Here aus tiefer Besorgnis umbeide die GÇttin Pallas Athene zu ihnen hinab. Diese stell-te sich, fÅr die anderen unsichtbar, hinter den WÅtendenund packte ihn an seinen blonden Haaren, daß er sich miteinem Ruck umwandte. Da erkannte er, daß es Athenewar. Sie standen Auge in Auge. Er fÅhlte sich von ihremtrotzigen Blick herausgefordert und fuhr sie an:

    »Was willst du von mir, Tochter des Zeus? Willst du dirden da in seinem �bermut anschauen, den Atreus-Sohn

    16 ilias

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    Agamemnon? Wahrlich, ich sage dir: Er soll seinen Wahn-sinn mit dem Leben bezahlen!«

    Da blitzte ihn die GÇttin an und rief:»Halte ein mit deinem Zorn und hÇre auf mich! Ich bin

    im Auftrag der hellarmigen Here vom Olympos herabge-eilt. Sie ist euch beiden zugetan und sorgt sich um euch.Mit Worten magst du weitertoben, wenn dir das VergnÅ-gen bereitet, im Åbrigen d�mpfe deine Streitlust! Ich ver-kÅnde dir etwas SchÇnes, was du gerne hÇren wirst: FÅrAgamemnons Unverstand wirst du eines Tages dreifachmit kostbaren Geschenken Åberh�uft werden – so wahrich hier stehe! Jetzt aber gehorche und wÅte nicht weiterwie irre!«

    Achilleus antwortete:»Es ist sicher richtig, euch beiden zu folgen, dir und der

    Here, obwohl mir ganz anders zumute ist. Wer euch GÇt-ter beachtet, auf den hÇrt ihr ein andermal ebenfalls.«

    Er zwang sich zum Einhalt, ließ die Hand einen Augen-blick auf seinem silbernen Schwertgriff ruhen und stießdann mit einem Ruck das Schwert in die Scheide. Atheneentfernte sich lautlos.

    Sie kehrte zum Olympos zurÅck, zur Wohnung der GÇt-ter, wo ihr Vater Zeus mit dem wetterleuchtenden SchildAigis* herrschte.

    Am Strand vor Troja war indessen Achilleus noch im-mer damit besch�ftigt, Agamemnon wenigstens mit Wor-ten aufzustacheln.

    »Du bist weintrunken«, schrie er, »deine Augen triefenwie Hundeaugen, und feige bist du wie ein flÅchtenderHirsch! Bist du jemals wie andere Krieger zu echtemKampf angetreten? Hast du dich jemals mit den Mutigstenunter den Achaiern in einen Hinterhalt gelegt? Da bangstdu um dein Leben! Aber sobald es um die Beute geht, bist

    17erster gesang

  • {Suhrkamp}301689homer/Ilias/job01.3d – 7/5/09 11:54 – Seite: 18

    du hurtig und schnellstens dabei und nimmst dem, der eswagt, dir entgegenzutreten, auch noch das Seinige weg, duSchmarotzer! Du Herr Åber NichtswÅrdige! Du – KÇnig!W�ren die nicht alle deinesgleichen, sie wÅrden dir jetztdas Handwerk legen. Dann h�ttest du zum letzten Maleinen Mann wie mich gekr�nkt! Aber ich schwÇre dir hierbei diesem heiligen Stab – schau ihn dir genau an: Ihn hatman in den Bergen von einem lebenden Stamm geschlagenund hat ihn entrindet, damit er beim Rechtsprechen alsZeichen diene, wenn wir uns um die heiligen SatzungenbemÅhen. Bei ihm schwÇre ich: Eines Tages soll es euchnach Achilleus und seiner Hilfe verlangen, dann n�mlich,wenn ihr nicht mehr weiterwißt, weil der Troerprinz Hek-tor eure M�nner wie Halme hinm�ht! Dann wirst du dir inohnm�chtiger Reue auf die Lippen beißen und dich daranerinnern, daß du den St�rksten im Heer fÅr nichts geachtethast!«

    Damit schleuderte er den goldbeschlagenen Stab zu Bo-den und setzte sich. Agamemnon kochte im Inneren,schwieg jedoch. Der alte Nestor aus Pylos* stand auf. Erhatte schon zwei Generationen Landsleute dahinschwin-den sehen und konnte reden wie keiner. Immer flossen ihmdie Worte klug und so klar wie Honig vom Mund. Auchdiesmal formte er w�hrend des Sprechens seine GedankenSatz fÅr Satz:

    »Es ist schlimm, Leute! Große Trauer bricht Åber unsAchaier herein. Priamos mit seinen SÇhnen und die an-deren Troer werden sich freuen zu erfahren, daß sich beiuns die Verantwortlichen zanken. HÇrt mir zu: Ich bin umso vieles �lter als ihr! Schon vor Zeiten hatte ich es mithervorragenden M�nnern zu tun, grÇßeren Helden, als ihres seid. Jedenfalls kann ich mir weder heute noch in Zu-kunft wieder so mythische Gestalten vorstellen wie die

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    Lapithen* Peirithoos, Dryas, den einstmals weiblichenKaineus oder den Exadios. Dann auch die gottgleichenArgonauten* Polyphemos und Theseus, den m�chtigenSohn des Aigeus. Sie waren die St�rksten, erwiesen sichals die Kr�ftigsten und vernichteten im Kampf die gewal-tigen Kentauren, die Bewohner der wilden Gebirge. Mitihnen allen war ich im Bund und durfte ihnen zur Seitestehen, ich, der ich aus dem fernen, unbekannten Pylosgekommen war! Sie hatten mich gerufen, sie hÇrten michan und folgten meinem Rat. Welcher Sterbliche kÇnntees heute noch mit ihnen aufnehmen? Drum folgt mir,ich bitte euch! Du, Agamemnon, HeerfÅhrer, mißbrauchenicht deine Stellung, nimm deinem Widersacher nicht diejunge Frau weg, die ihm die Achaier als EhrengeschenkÅberlassen haben! Und du, Achilleus, gehe behutsamermit dem erw�hlten KÇnig um, dem in seiner Stellung kei-ner gleichkommt! Du zeichnest dich durch KÇrperst�rkeaus und bist zudem der Sohn einer GÇttin! Er jedoch stehtim Rang hÇher, denn er gebietet Åber mehr M�nner alsdu!

    Hier mein Vorschlag: Du, Agamemnon, m�ßigst dich,dann will ich mich bei Achilleus dafÅr einsetzen, daß aucher sich selbst bezwingt! Das ist in diesem vernichtendenKrieg unsere einzige Hoffnung.«

    Der HeerfÅhrer antwortete als erster:»Du hast vernÅnftig gesprochen, alter Nestor. Aber der

    dort will stets mehr sein als andere, will seinen Willendurchsetzen und Weisungen erteilen, die, so meine ich,bei weitem nicht von allen gerne befolgt werden. Daßdie GÇtter ihn zum hervorragenden Speerk�mpfer ge-schaffen haben, verleiht ihm doch nicht das Recht, sichso anmaßend aufzufÅhren.«

    Achilleus unterbrach ihn:

    19erster gesang

  • {Suhrkamp}301689homer/Ilias/job01.3d – 7/5/09 11:54 – Seite: 20

    »Ein Feigling w�re ich, wenn ich dir in allem nachg�be.Du magst von heute an befehlen, was du willst. Es ist mirauch gleichgÅltig, ob dir die anderen gehorchen. Ich jeden-falls werde dies nicht mehr tun. Ich sage hiermit, merke esdir gut: Im Streit um Briseis werde ich nicht mehr den Armgegen dich erheben, weder gegen dich noch irgendeinenvon denen, die mir dieses wunderschÇne M�dchen zuge-teilt haben und nun zulassen, daß es mir wieder genom-men wird. Solltest du dich allerdings an dem vergreifen,was mir ureigen gehÇrt, wenn du mir etwa auf meinemSchiff ins Gehege kommen solltest, kÇnnten alle hier her-um zu Zeugen werden, wie dein unseliges schwarzes Blutvon meinem Speer strÇmen wÅrde!«

    Noch immer laut scheltend, erhoben sich beide. DieHeeresversammlung am Strand von Troja lÇste sich auf.Achilleus begab sich zu den HÅtten am flacheren Strand-abschnitt, wo auf dem stillen Wasser die K�hne schaukel-ten. Bei ihm waren Patroklos, der Sohn des Menoitios,und einige Freunde.

    Unterdessen ließ der HeerfÅhrer eines der großen,schnellen Schiffe ins Wasser ziehen, befahl zwanzig Rude-rer herbei und brachte die Opfertiere fÅr Apollon an Bord.Er selbst geleitete dann die liebliche Chryseis, ein Bild voneinem M�dchen, an Bord. Er hieß sie niedersitzen und ver-abschiedete sich. Der weise Odysseus steuerte das Fahr-zeug durch die Flut.

    war rundum besch�ftigt.

    .Auch die ZurÅckbleibenden veranstalteten ein Hun-dertopfer fÅr Apollon. Agamemnon ordnete eine SÅhne-Waschung an, und die M�nner vollzogen diese auf derStelle. Das Meer spÅlte alles Unreine hinweg. Danach wur-den die Opferstiere und Ziegen geschlachtet. Bald war dieLuft von aufgewirbeltem Ruß erfÅllt. Geruch von ver-branntem Fleisch und Fett stieg zum Himmel. Das Volk

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