konsenserzählungen in mitarbeiterzeitungen. am beispiel des globalisierungsdiskurses
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Stephan Habscheid & Ronald Hartz
Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen
Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses
„Gern erzählt der deutsche McKinsey-Chef den Witz von den zwei barfüßi-
gen Läufern, die in der afrikanischen Steppe dem Löwen zu entkommen ver-
suchen. Der eine hält plötzlich an und zieht sich Turnschuhe an. Der andere
fragt: Du glaubst doch nicht im Ernst, daß Du jetzt schneller bist als der Lö-
we? Nein, erwidert der Turnschuhträger, aber ich bin nun schneller als du.― –
Mit diesem Exempel illustriert Gabor Steingart, Hauptstadtbüro-Leiter des
Spiegels, in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung den
Typus der Rhetorik, mit dem seit vielen Jahren Forderungen nach tief grei-
fenden Reformen der bundesrepublikanischen Wirtschafts- und Sozialord-
nung in Szene gesetzt werden: der „Löwe―, das ist in diesem Diskurs der
unaufhaltsame Aufstieg Asiens auf einem freien und globalisierten Markt,
einhergehend mit einem Preissturz auf den Arbeitsmärkten, verschärfter Kon-
kurrenzsituation zwischen den Standorten und Protagonisten, zunehmender
Verschuldung der Privathaushalte (in Amerika), steigender Arbeitslosigkeit
und Staatsverschuldung (in Europa), sinkenden Lebensstandards in den Mit-
telschichten, Zurückdrängung der Gewerkschaftsmacht und der „westlichen
Industriesaurier―, Krise des Sozialstaats, Prekarisierung des „kleinen Man-
nes―: „Weil das alles so ist―, so die Forderung, „müssen die Menschen schnel-
ler laufen. Die Welt von gestern ist untergegangen, bewegt euch gefälligst,
seid flexibel, lernt, was das Zeug hält― (Steingart 2006). Freilich stehe, so
Steingart, allen Appellen zum Trotz der „Lauft schneller, Leute―-Partei nach
wie vor eine mindestens ebenso starke gesellschaftliche Formation gegenüber,
die sich unter dem Banner „Nicht mit mir― versammelt habe. Es sei „ein Patt―
entstanden, Ende offen.
Während also ein „echter― Konsens – im Sinne einer nachhaltigen Eini-
gung über die Teilhabe an Herrschaft und materiellen Ressourcen oder gar
über die zugrunde liegenden Werte, Normen, Lebensziele usw. – derzeit we-
niger denn je herstellbar scheint, wird ‚Konsens’ – als diskursives Konstrukt
in der öffentlichen Kommunikation – mehr denn je benötigt (vgl. auch Klein
in diesem Band): zur Stabilisierung politischer Machtverhältnisse, zur Legi-
timation von Entscheidungen, zur Symbolisierung von ‚Einigkeit’ in einer
(wieder) zunehmend durch Konflikte charakterisierten Gesellschaft. „Kein
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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Wunder―, so bereits Werner Holly (1990) im Rahmen einer grundsätzlichen
Charakterisierung politischen Sprachgebrauchs,
„daß man – wie im Alltag – an der fiktiven Annahme von Verstehen und Konsens
festhält, an Konsens„deklarationen― und an der Vorspiegelung von Überzeugung
durch Diskussion― (Holly 1990, 18f.).
In diskursanalytischer Perspektive stellt sich vor diesem Hintergrund die Fra-
ge, welche sprachlichen Praktiken einerseits zur ‚Konsens’-Produktion akti-
viert werden, andererseits aber zugleich auf die nicht zirkulationsfähigen
Elemente verweisen, mit denen bestimmte Perspektiven und Aspekte aus dem
Bereich des rational-politisch Verhandelbaren ausgeschlossen werden sollen
(Fairclough 2003).
Der folgende Beitrag greift zurück auf empirische Teilergebnisse des Pro-
jektes ‚Symbolische Friedfertigkeit’ - Konfliktmanagement und Verfahrensin-
tegration in organisationalen und öffentlichen Diskursen, durchgeführt an
der Universität Siegen.1 Im Fokus des Projekts stand die Untersuchung der
symbolischen Repräsentation und Konstruktion von ‚Einigkeit’ als einer
Form der Bearbeitung von Konflikten und Kontroversen in organisations-
internen und massenmedialen Öffentlichkeiten. Der Leitbegriff ‚Einigkeits-
diskurs’ steht für eine Heuristik, die einen bestimmten Typus sprachlicher In-
szenierungen in den Blick nahm: den Versuch, mediale Rituale zu stiften, die
für die Rezipienten unidirektionaler Kommunikation Partizipation und Einig-
keit symbolisch repräsentieren und damit auch auf soziale Kontrolle – im
Sinne einer Regulation von Identitäten – zielen.2
Die Rezipienten sollen nicht einfach von einer „überlegenen― Option ne-
ben anderen überzeugt werden (Kopperschmidt 1973), vielmehr sollen sie
durch die Art und Weise, wie die zur Rede stehenden Sachverhalte dem Be-
reich des Strittigen und Argumentativen entzogen werden, quasi notwendig
zur Übereinstimmung mit dem im Diskurs gegebenen Weltdeutungen, Situa-
–––––––— 1 Das Projekt wurde im Rahmen des Exzellenzwettbewerbes „Geisteswissenschaften
gestalten Zukunftperspektiven―, Themenperspektive „Friedfertige Gesellschaft―
durch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie
des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Wir danken Clemens Knobloch und
Tom Karasek für vielfältige Anregungen und konstruktive Kritik im Rahmen der
gemeinsamen Projektarbeit. 2 Das diskursive ‚Scenario’ (Fairclough) des Einigkeitsdiskurses hebt sich somit von
den üblichen Ressourcen und Formen des Konfliktmanagements ab: der rituellen
Tradition geteilter Wissens-, Werte- und Wahrheitsordnungen (Soeffner 1992,
Dörner/Vogt 2002), dem rationalen und egalitären, auf Einvernehmen und Einsicht
zielenden Diskurs (Habermas 1981), dem kontroversen semantischen Kampf um
„brisante Begriffe― (Stötzel/Wengeler 1995), der legitimierenden Kraft kommuni-
kativer Verfahren (Luhmann 2001) und der „Normalisierung― durch diskursive
Konstruktion von Fakten (Link 1998).
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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tionsdefinitionen und Handlungsräumen gelangen. Insofern soll der Einig-
keitsdiskurs dem Adressaten den Eindruck von Einigkeit und Partizipation
vermitteln.
Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf Verfahren der Konstruktion
von Einigkeit und Konsens in der organisationsinternen Öffentlichkeit am
Beispiel von Mitarbeiterzeitungen eines Unternehmens. Im Anschluss an eine
theoretische Fundierung (Abschnitt 1) folgt eine kurze Charakterisierung des
Materials und der Untersuchungsmethode (Abschnitt 2), bevor im Analyseteil
(Abschnitt 3) einige wesentliche Elemente und Mechanismen des Einigkeits-
diskurses auf der Ebene der diskursiven Sachverhaltsdarstellung exemplarisch
skizziert werden. Diese werden abschließend – eingebettet in größere, inter-
disziplinäre Forschungszusammenhänge – theoretisch weiterverarbeitet (Ab-
schnitt 4).
1. Konflikt und Konsens in Organisationen
Streit, Konkurrenz und Disharmonie sind für jedes soziale Gebilde ebenso
kennzeichnend wie Konsens, Kooperation und Einigkeit. Auch wenn es mi-
tunter im Interesse der Mächtigeren liegt, dies zu verschleiern: Immer wieder
manifestieren, erneuern oder verändern sich in der Kommunikation vielfältige
Gegnerschaften zwischen Einzelnen und/ oder Gruppen, seien es Interessen-
konflikte um knappe Mittel, Räume, Machtressourcen und Statuspositionen,
seien es Konflikte um die Priorität von Werten, Normen, Lebenszielen usw.3
Zugleich setzt schon die Fortführung der Kommunikation (und damit die Auf-
rechterhaltung der sozialen Beziehungen) wenigstens einen Minimalkonsens
darüber voraus, nach welchen Verfahren die Konflikte gemeinsam zu bearbei-
ten sind, auch wenn die Verfahren selbst durch die Beteiligten wiederum stra-
tegisch zur Fortführung des Konflikts genutzt werden können (vgl. grundle-
gend Bühl 1976; für einen aktuellen Überblick Balla 2002, Blättel-Mink
2002).
Einstellungen zum Umgang mit Konflikten sind keine natürliche Dispositi-
on, sondern auch durch kulturelle Kontexte geprägt. Kulturelle Fundamente
für derartige Orientierungen stellen jene überindividuell geteilten, über weite
–––––––— 3 Theorien, die alle sozialen Konflikte auf eine Grundopposition zurückführen (z.B.
Teilhabe an Herrschaft, Teilhabe an Produktionsmitteln), die im Sinne eines Null-
summenspiels ausgetragen werden muss, werden dem mehrdimensionalen Charak-
ter gesellschaftlicher Beziehungen und Prozesse nicht gerecht (vgl. Bühl 1976,
Clegg 1989).
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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Strecken unhinterfragten Wissensbestände dar, nach denen wir unser alltägli-
ches Wahrnehmen, Denken und Handeln von Moment zu Moment sinnhaft
strukturieren und legitimieren (Schütz 1981, Siegel 2003). Betrachtet man vor
diesem Hintergrund Kommunikation in organisationalen Kontexten auf
handlungsleitende Orientierungen im Umgang mit Konflikten hin, so ergibt
sich, ausweislich der einschlägigen Untersuchungen (Überblick: Morgan
1997), ein zutiefst widersprüchliches Bild: In ihrer klassischen, mechanisti-
schen Grundkonstellation hat die Sozialform der modernen Organisation ei-
nerseits Ordnungsmuster zur Eindämmung destruktiver Streitformen hervor-
gebracht, andererseits Konflikte wahrscheinlicher gemacht: So etablieren Bü-
rokratie und Hierarchie Sphären von Recht und Ordnung, sie legitimieren
und delegitimieren Herrschaft, sie dämmen Konflikte ein (vgl. Baecker
2003). Zugleich bauen sie auf den „Mythos vom bedrohlichen Naturzustand―
(Assmann & Assmann 1990), der „Herrschaftsbedürftigkeit― etabliert und
Disziplinierung rechtfertigt (vgl. Foucault 1977): Bürokratie und Hierarchie
fordern von Mitgliedern (und Klienten) der Organisation Autonomieverzicht
und geraten so in ein prinzipiell konfliktträchtiges Spannungsfeld mit dem
‚Eigensinn’ derjenigen, die sich ihnen – unter Vorbehalt – freiwillig unterwer-
fen. Ausgehandelt wird hier jeweils die Ausdehnung einer Indifferenzzone
(Barnard 1938), innerhalb deren Organisationsmitglieder gegen Gratifikatio-
nen bereit sind, formalen Vorgaben ungeachtet persönlicher Überzeugungen,
Verpflichtungen, Bedürfnisse und Interessen Folge zu leisten.
Hinzu kommt, dass die meisten modernen Organisationen nicht nur als
formale Systeme der Kollaboration konstruiert sind, sondern in widersprüch-
licher Weise zugleich als informelle Arenen der Konkurrenz, damit fördern
sie eine Handlungsorientierung, die man in der Organisationstheorie als ‚mik-
ropolitisch’ charakterisiert hat (z.B. Burns/Stalker 1961). So stellen etwa
formale Hierarchien einerseits Strukturen einer rationalen Aufgabenverteilung
dar, andererseits erscheinen sie aber auch als Karriereleitern, auf denen – an-
gesichts knapper Ressourcen – die Autonomiegewinne des einen nur durch
Autonomieverluste des anderen zu erkaufen sind. Dies kann dazu führen, dass
Kooperation und Konsens auf ein unabdingbares Mindestmaß beschränkt
werden, während interessengeleitetes, strategisches Handeln unter Einsatz
vielfältiger Machtressourcen im Alltag dominiert (Crozier/Friedberg 1979).
Zudem geht mit der Zerlegung von Aufgaben im Rahmen rationaler Orga-
nisation häufig eine Fragmentierung von Perspektiven und Rationalitäten
einher, die im Grunde Facetten eines Sachzusammenhangs sind. Das Problem
besteht vor allem darin, dass die an verschiedene funktionale Standorte ge-
bundenen Perspektiven weder nach einer Rationalität miteinander verschmol-
zen werden sollen noch von einem der Akteure in ihrer ganzen Komplexität
überblickt werden können.
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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In einer „radikaleren― Perspektive auf die politische Dimension von Orga-
nisationen schließlich tritt an die Stelle der pluralistischen Vielfalt von Inter-
essen und der diffusen Verteilung von Macht der binäre Antagonismus sozio-
ökonomischer Großgruppen, d.h. Konflikte werden ‚in letzter Instanz’ auf
diesen zurückgeführt (Türk 1995): Seit jeher, so wird argumentiert, seien Or-
ganisationen wesentlich durch gesamtgesellschaftliche, institutionelle Rah-
menbedingungen geprägt gewesen, auf die sie umgekehrt immer auch Ein-
fluss zu nehmen versuchten. So beruhten Organisationen prinzipiell auf der
Arbeit der vielen im Interesse der wenigen, die in immer größerer Ausdeh-
nung – heute weltweit – Macht und Kapital akkumulierten. Dabei habe vor
allem die Entwicklung eines Systems von Lohnarbeit im Zuge der Industriali-
sierung eine immer strengere und präzisere Normierung und Überwachung
der Arbeitsaufgaben nach sich gezogen, zugleich sei durch die Differenzie-
rung beruflicher Rollen und Statusgruppen, symbolisiert in Privilegiensyste-
men, Ungleichheit vorangetrieben und Solidarität aufgespalten worden. Vor
diesem Hintergrund seien Konflikte zwischen den Interessengruppen einer
Organisation zu identifizieren und nach politischen Prinzipien zu bearbeiten:
Der autokratischen Herrschaft einzelner Personen oder Gruppen bzw. der un-
kontrollierten bürokratischen Macht wird die Legitimation entzogen zuguns-
ten einer Erweiterung der Führungs- und Entscheidungsbasis im Sinne von –
formellen und informellen, direkten und repräsentativen – Formen der Parti-
zipation.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Organisationen Konflikte in viel-
fältiger Hinsicht wahrscheinlicher machen: durch Kontrolle und Zwang zum
Autonomieverzicht, Forcierung des Wettbewerbs, Fragmentierung von Pers-
pektiven, Reproduktion sozialer Ungleichheit. Andererseits dämmen sie
durch Bürokratie und Hierarchie Mikropolitik partiell ein, wobei sie zugleich
Machtausübung zentralisieren und kanalisieren. Konsens ist also in Organisa-
tionen ein ebenso knappes wie begehrtes Gut. Welche rhetorischen Verfahren
werden nun – im Sinne der eingangs aufgeworfenen Fragestellung – zur sym-
bolischen Produktion von ‚Konsens’ in Organisationen aktiviert? Wie wird
besonders der gesellschaftliche Konflikt um „die Globalisierung― (vgl. Her-
manns 2003) in organisationsöffentlichen Diskursen prozeduralisiert? Inwie-
weit sind die Darstellungen in sich stimmig oder widersprüchlich, inwieweit
sind sie anschlussfähig für Alltagsperspektiven der adressierten Leser, also
der betroffenen Gruppen? Wessen Sichtweise wird unter asymmetrischen
Voraussetzungen wie repräsentiert, welche als nicht rational verhandelbar aus
der Diskurswelt ausgeschlossen? Dabei geht es letztlich um die Frage, was
derartige Verfahren einer symbolischen Konfliktbearbeitung zur Integration
von Organisationen leisten können.
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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2. Gegenstand, Material und Methode
Zahlreiche Organisationen – von Wirtschaftsunternehmen über Ämter und
Behörden bis hin zu Einrichtungen des Sozial- und Bildungsbereichs – rich-
ten ihre Aufmerksamkeit heute verstärkt darauf, die komplexen und span-
nungsreichen sozialen Gebilde durch Diskurs und Sinnstiftung symbolisch zu
integrieren. In dem Maße, wie Hierarchie und Bürokratie in ihrer Funktion als
Kontroll- und Integrationsmechanismen (Edwards 1981) an Legitimation ver-
lieren, geraten – neben ökonomischen Zielvorgaben – kommunikative Prakti-
ken und Zeichensysteme in den Fokus der Gestalter: An die Stelle der detail-
lierten, unmittelbaren und expliziten Anleitung und Führung tritt der Versuch,
die kulturellen Kontexte zu regulieren, in denen Handelnde sich orientieren
und so – mittelbar, im Sinne der ‚Gouvernementalität’ (Bröckling u.a. 2000)
– bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlicher bzw. unwahrscheinlicher zu
machen. ‚Normativ-orientierende’ Texte (Ebert 2000) wie ‚Leitsätze’ und
‚Leitbilder’, ‚Wertekanon’, ‚Vision’, ‚Idealbeschreibung’ u.a.m. dienen der
(stets prekären) Definition, Inszenierung und Kontrolle sozialer Identitäten
durch diskursive Praxen und Verfahren. In diesem Zusammenhang lässt sich
auch ein Wandel hinsichtlich der Funktion und Gestaltung von Mitarbeiter-
zeitungen (MAZ) konstatieren.
Das Korpus dieser Studie setzt sich aus drei verschiedenen MAZ eines
großen Industrieunternehmens zusammen. Mit der traditionellen Funktion der
Verbreitung von Informationen verschränkt, verbreiten MAZ vom Manage-
ment erwünschte kulturelle Normen und Werthaltungen sowie die strategi-
schen Leitlinien der Organisation (Bischl 2000). Trotz oder gerade wegen der
zunehmenden Nutzung elektronischer Kommunikationswege in Organisatio-
nen wird der MAZ eine nach wie vor bedeutende Rolle in der Präsentation
und Verbreitung einer kohärenten Identität der Organisation und ihrer Mitg-
lieder zugeschrieben (Bischl 2000, Cauers 2005). Nach Rota (2002) ist das
Ziel der MAZ vornehmlich die Generierung von „Identität und Identifikati-
on―.
Die drei untersuchten MAZ sind auf verschiedenen Ebenen des Konzerns
angesiedelt – Werksebene, Produktionslinie und globales Unternehmen. In-
sgesamt wurden für die Analyse 13 MAZ aus den Jahren 2004 und 2005 aus-
gewertet:
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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Titel4 Ausgaben
„Werksnachrichten“ Sept. und Dez. 2004; März, Juni, Au-
gust und Dez. 2005 (6)
„Produktionsnachrichten“ Okt. 2004; März 2005 (2)
„Konzernnachrichten“ Okt., Nov. und Dez. 2004; Jan./Feb.,
April 2005 (5)
Tabelle 1: Korpus
Die MAZ der Werksebene wird alle 3 Monate, die der Produktionslinie halb-
jährlich und die MAZ des globalen Unternehmens monatlich herausgegeben.
„Werksnachrichten― wird von einem professionellen Team in der Niederlas-
sung produziert, „Produktions-„ und „Konzernnachrichten― sind Publikatio-
nen einer Abteilung im globalen Konzern. Nach Informationen des Werkes
hat jeder Mitarbeiter Zugang zu allen drei Produkten. Eine erste Inhaltsanaly-
se ergab induktiv die folgende Verteilung der thematischen Schwerpunktset-
zungen der drei MAZ und lieferte einen ersten Eindruck hinsichtlich des ge-
nerellen Charakters der Magazine:
Hauptthemen
“Konzernnachrichten”
Hauptthemen “Werks-
nachrichten”
Hauptthemen “Produk-
tionsnachrichten”
Thema Seitenan-
teil (%) Thema
Seitenan-
teil (%) Thema
Seitenan-
teil (%)
Produkte 28 Strategie 15
Produk-
tions-
prozess
42
Events &
PR 28 Produkte 14
Innovation
u. Tech-
nologie
19
Innovation
u. Tech-
nologie
10 Standort 13 Events u.
PR 12
Strategie u.
Geschäfts-
zahlen
9 Events 13
Strategie u.
Geschäfts-
zahlen
8
HRM 4 Sport u.
Gesundheit 9 Produkte 8
Gesamt 79 Gesamt 64 Gesamt 89
Tabelle 2: Hauptthemen der MAZ
Insgesamt zeigen sich bei den drei MAZ unterschiedliche Schwerpunktset-
zungen hinsichtlich der Themenauswahl und dem relativen Umfang der Bear-
beitung von Themenfeldern: Die „Konzernnachrichten― thematisieren insbe-
–––––––— 4 Alle Namen und Titel sind hier und im Folgenden Pseudonyme.
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sondere die Präsentation neuer Produkte sowie Event- und PR-Aktivitäten
(Messen, Festlichkeiten, Wohltätigkeit). Die Werks-MAZ konzentriert sich
einerseits auf Themen, die im Zusammenhang mit dem Standort stehen, ande-
rerseits solche, die den unmittelbaren Alltag der Mitarbeiter betreffen
(Werksfeiern, Gesundheitsmanagement). „Produktionsnachrichten― richtet
einen starken Fokus auf den Produktionsablauf selbst und die damit in Zu-
sammenhang stehenden technologischen Fragen. Aufgrund der Inhaltsanalyse
lässt sich weiter feststellen, dass die Magazine unterschiedliche Verfahren zur
symbolischen Herstellung von ‚Nähe’ und ‚Distanz’ nutzen: Während die
„Werksnachrichten― durch die häufige (vor allem bildliche) Darstellung von
Mitarbeitern im Produktionsprozess oder in ihrer Freizeit ‚Nähe’ inszenieren,
werden in den Konzernnachrichten überwiegend Führungskräfte dargestellt,
allerdings teilweise in einem ‚personalisierenden’ Stil. Im Gegensatz dazu
wirkt der Stil der „Produktionsnachrichten― eher sachorientiert unpersönlich
und distanziert.
Im Sinne einer allgemeinen stilistischen Charakterisierung lässt sich sagen,
dass die „Werksnachrichten― einem Selbstverständnis und einer Stilistik fol-
gen, die sich im Motto „Wir sind der Standort― zusammenfassen ließe. Die
MAZ des globalen Konzern erscheint stilistisch eher als Marken- oder Bran-
ding-Magazin (Cauers 2005) und verknüpft die Konzernaktivitäten mit einem
spezifischen ‚Lifestyle’ (so etwa in der Darstellung neuer Produkte). Der Stil
der „Produktionsnachrichten― lässt sich als eher tayloristisch-technokratisch
oder auch als betont ‚nüchtern’ bezeichnen. Die aufgrund dieser ersten In-
haltsanalyse gewonnenen Befunde decken sich mit der Charakterisierung von
deutschen MAZ in der vorhandenen Literatur (Bischl 2000, Mänken 2004,
Cauers 2005). Alle drei Magazine präsentieren ein relatives Bild der Harmo-
nie auf Werks-, Produktions- und Konzernebene. Organisationsinterne Konf-
likte und Interessendivergenzen werden kaum thematisiert bzw. erfahren, wie
noch genauer aufzuführen ist, im Sinne des Einigkeitsdiskurses eine entspre-
chende semantische Bearbeitung. Bevor wir zur Darstellung der wesentlichen
Elemente dieses Einigkeitsdiskurses kommen, sind noch einige kurze metho-
dische Anmerkungen erforderlich.
Methodisch umfasst die weitere Analyse pragmatische, semantische und
ausdrucksseitig-strukturelle Textebenen sowie deren Interdependenzen. Wir
greifen dabei auf den „Werkzeugkasten― der Kritischen Diskursanalyse
(KDA) zurück, insbesondere auf die von Norman Fairclough (2003) entwi-
ckelte Version. Ein Schwerpunkt liegt auf der Ebene der Sachverhaltsdarstel-
lung und damit auf der Frage, wie die soziale Welt und die darin enthaltenen
Akteure – speziell im Sachzusammenhang der Globalisierung – dargestellt
werden. Diese Repräsentation verfährt notwendigerweise ausschließend, denn
nicht alle Akteure werden auf gleiche Art oder überhaupt repräsentiert. Vor
diesem Hintergrund lässt sie sich als Element einer allgemeinen Identitätsre-
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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gulation begreifen, die durch das Bereitstellen von gültigen Identitätsbildern
das Selbstbild und Handeln des Rezipienten auszurichten versucht. Dabei
werden nach dem Prinzip einer „Sinnformel― (Geideck/Liebert 2003) elemen-
tare Grundfragen der Rezipienten (Wer sind wir? Woher kommen wir? Was
wollen wir werden? Usw.) beantwortet.
Unter Verwendung des in der KDA entwickelten diskursanalytischen
Werkzeugkastens folgte die Analyse einer Heuristik, die am Textmaterial in-
duktiv gewonnen wurde und den Versuch darstellt, eine erste Systematik für
die Funktionsweise des Einigkeitsdiskurses zu erstellen. Diese Systematik
zielt auf die Identifikation verschiedener interdependenter, nicht aufeinander
rückführbarer Elemente, die im Einigkeitsdiskurs auf der Ebene der Sachver-
haltsdarstellung inszeniert werden und die den Einigkeitsdiskurs in ihrem Zu-
sammenspiel repräsentieren. Im folgenden Abschnitt werden exemplarisch
drei dieser Elemente – Engführung des Rationalitätsbegriffs, narrative Zeit-
szenarien und Bezüge zur Lebenswelt der Adressaten – skizziert (für eine
ausführliche Darstellung und Diskussion dieser und weiterer Elemente vgl.
Hartz/ Habscheid 2006).
3. Einige qualitative Befunde
Als ein wesentliches Element des Einigkeitsdiskurses in den MAZ lässt sich
zunächst eine Engführung des Vernunftbegriffs feststellen, die dazu dient, ‚ra-
tionales’ von ‚irrationalem Handeln’ eindeutig zu unterscheiden. ‚Vernunft’
wird hierbei erstens auf einen unmittelbaren, kurzfristig messbaren Output
(Rendite) bezogen, zweitens durch ein begrenztes, quasi kanonisches Set be-
stimmter Schlag- und Schlüsselwörter (Qualität, Kundenorientierung usw.)
spezifiziert, die sich um den ubiquitären Begriff der Wettbewerbsfähigkeit
gruppieren und allesamt interdiskursiv plausibilisierbar sind.
‚Qualität’, als ein erster Begriff in diesem Feld des Vernünftigen, tritt in
vielfältigen Wortbildungskonstruktionen auf: Qualitätsverbesserung, Pro-
duktqualität, Qualitätsmanagement etc. Der begrifflichen Anatomie nach
handelt es sich hier insofern um eine Konsensressource, als ein prinzipieller
Einwand gegen den Wert der ‚Qualität’ kaum denkbar erscheint. Dass ein
Spannungsfeld zu anderen Zielen besteht (z.B. Reduktion von Kosten, Steige-
rung der Rendite), denen ebenfalls „allerhöchste Priorität― zugeschrieben
wird, wird hier in der Regel nicht thematisiert und damit zunächst, im Sinne
einer alltäglichen Selbstoptimierungsaufgabe, als Problem an die Adressaten
weitergegeben:
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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Oberstes Ziel … ist es, gleich bleibende Qualität auf höchstem Niveau zu produ-
zieren. (Produktionsnachrichten = PN, März 2005: 4)
Es ist unsere unternehmerische Verantwortung, die Rendite des Konzerns deutlich
über die Kapitalkosten hinaus zu steigern. Das hat allerhöchste Priorität. (Kon-
zernnachrichten = KN, April 2005: 1)
Ein zweiter Begriff im Feld des Vernünftigen ist derjenige der ‚Kosten’ (Kos-
tenreduktion, -optimierung, Produktions-, Arbeitskosten, Einsparungen etc.).
Dabei wird die Kostensituation und -problematik des Unternehmens unter
Verweis auf die Konkurrenten und die Situation auf den globalen Märkten
definiert:
Steigende Ölpreise, die hohen Arbeitskosten in Deutschland, die osteuropäische
und asiatische Konkurrenz mit niedrigeren Arbeitslöhnen – all das sind Faktoren,
die nicht nur uns zu schaffen machen. (Werksnachrichten = WN, Dezember 2004:
3)
Einer Legitimation schmerzhafter Entscheidungen dient hier nicht nur die Fo-
kussierung äußerer ‚Faktoren’, der Verweis auf die hohen Arbeitskosten in
Deutschland delegiert die Verantwortung außerdem an eine politische Sphäre,
die ansonsten in der diskursiven Darstellung der Globalisierung kaum noch
als Akteur erkennbar ist.
Schließlich spielt die Ausrichtung am Kunden (Kundenwünsche, Kunden-
orientierung, Kundenbedürfnisse etc.) eine wesentliche Rolle im Feld des
Vernünftigen. Es ist demnach – ungeachtet konkurrierender Prinzipen (z.B.
Kostenreduzierung) – wiederum oberste Priorität, den Wünschen des Kunden
zu folgen und uneingeschränkt zu entsprechen. Im Sinne der Entwicklung von
Managementkonzepten seit den 1990er Jahren (etwa des Business Process
Reengineering), aber auch vor dem Hintergrund der Diagnose einer „Consu-
mer Society― (du Gay 1996), erscheint in diesem Diskurs der Kunde als der
eigentliche „Souverän― (Voswinkel 2004, S.146), nicht zuletzt auch im Sinne
einer im Arbeitsalltag unmittelbar wirksamen Kontrollinstanz für den Mitar-
beiter im Dienstleistungsgeschäft:
Nichts weniger als das Beste für unsere Kunden. (PN, März 2005: 1)
Mit der Etablierung eines derartig objektivierten Vernunftbegriffs können
schließlich Konflikte obsolet erscheinen:
Verlassen Sie sich darauf, dass wir in diesem Werk alle das Gleiche wollen. Die
Führungskräfte, der Betriebsrat und ich haben die gleichen Ziele wie Sie als Mi-
tarbeiter: Wir wollen unsere Arbeitsplätze sichern. (WN, September 2004: 1)
Ein weiteres, induktiv gewonnenes Kernelement des Einigkeitsdiskurses ist
eine spezifische Repräsentationsweise zeitlicher Phasen und Relationen in
narrativen Sachverhaltsdarstellungen zur Geschichte und Zukunft des Unter-
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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nehmens: Für die Adressaten des Diskurses werden ‚Vergangenheit’, ‚Ge-
genwart’ und ‚Zukunft’ in spezifischer Weise (re-)konstruiert. Zudem werden
die Adressaten selbst als Akteure dieser Zeitszenarien thematisiert und in ih-
nen verortet. Dabei werden im Sinne des Einigkeitsdiskurses ‚objektive’
Pfadabhängigkeiten der unternehmerischen Entwicklung als Handlungskon-
sequenzen aus Sicht der adressierten Subjekte konstruiert. Somit dient das
Zeitszenario der sprachlichen Festlegung eines Möglichkeitsraumes er-
wünschter und nicht-erwünschter Handlungen und wirkt damit auf die Praxis
des Organisierens ein (Weick 1985).
Die Sicht auf die ‚Vergangenheit’ ist bestimmt durch deren Konstruktion
als „Goldenes Zeitalter―. Hierbei wird allgemein auf die ‚große Tradition’
und insbesondere auf die ‚Pionierleistungen’ des Unternehmens verwiesen:
Durch Leistung, Engagement und Wille gelang es in der Vergangenheit, das
Unternehmen zu globalem Erfolg zu führen. In diesem Sinne werden die Mi-
tarbeiter als Teil, vor allem als verantwortliche Träger des Erfolgs identifi-
ziert. Es ist anzunehmen, dass die Artikulation von Stolz und Selbstbewuss-
tsein hinsichtlich der eigenen Geschichte einen wesentlichen Integrations- und
Identifikationsmechanismus für die Mitarbeiter darstellt, der sich auch deon-
tisch auf die Zukunft des Unternehmens erstreckt:
Wir haben bereits in der Vergangenheit Enormes geleistet. (WN, Sept. 2004: 1)
Aus der Vergangenheit lernen, Zukunft sichern. (WN, Sept. 2004: 3)
Weiterhin ist zu konstatieren, dass die Geschichte des Unternehmens als
weitgehend konfliktfrei geschildert und ein homogenes, organisches Bild des
Unternehmens gezeichnet wird. Zudem dient der Verweis auf die Erfolge der
Vergangenheit als Plausibilisierungsressource für die Erfolgschancen zukünf-
tigen Handelns: Was in der Vergangenheit erfolgreich war, sollte auch in der
Zukunft gelingen.
Die Sicht auf die ‚Gegenwart’ stellt sich komplexer dar. Allgemein wird
die Gegenwart in den MAZ semantisch als ‚Herausforderung’ für das Unter-
nehmen codiert. Eine Besonderheit ist dabei hervorzuheben: Einerseits er-
scheint die Gegenwart (und Zukunft) durch die Globalisierung als Schicksal
und Sachzwang, dem man – als Teil des Ganzen – ausgeliefert ist, anderer-
seits soll jeder als seines Glückes Schmied gestaltend auf die Dinge Einfluss
nehmen. Im Wort „Herausforderung― – ‚etwas das bewältigt werden muss und
kann' – ist diese Figur verdichtet:
Veränderungen sind für das Werk … nichts Ungewöhnliches. Immer wieder und
besonders in den letzten Jahren haben wir uns der Herausforderung gestellt, Pro-
dukte, Arbeitsprozesse und Fertigungsanlagen den Anforderungen der zunehmend
globalisierten Märkte anzupassen. Dabei haben wir auch die Menschen hier im
Werk verändert. (WN, März 2005: 1)
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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Ohne dies hier vertiefen zu können, weist dieses Paradoxon zum einen Bezü-
ge zu Webers (1988) bekannter Studie über die protestantische Ethik auf,
zum anderen mögen sich Assoziationen zu philosophisch-literarischen Dis-
kurstraditionen ergeben, seien dies Nietzsches Amor fati oder Camus’ Sisy-
phos – „Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache“ (Camus 1959,
S.100). Es steht zu vermuten, dass dieses Paradoxon im hier gegebenen Kon-
text einerseits notwendig ist, um die Handlungsfähigkeit der Organisations-
mitglieder (Motivation, Eigensinn etc.) zu erhalten, andererseits auch zur Le-
gitimation der rational-herrschaftsförmigen Struktur der Organisation (und
der Gesellschaft) selbst herangezogen werden kann (Wolf 1999).
Mit dieser Sachverhaltsdarstellung eng verbunden ist die Konzeptualisie-
rung der Globalisierung als quasi natürlicher Prozess ohne politische Akteure
(Hermanns 2003), die etwa durch Subjektschub oder den Gebrauch naturali-
sierender Metaphern sprachlich ausgedrückt und plausibilisiert wird:
Der Wettbewerb lässt uns keine Atempause. (WN, Sept. 2004: 1)
Die Konstruktion der ‚Zukunft’ ist durch eine Bifurkation, den Aufweis
zweier nur möglicher Szenarien gekennzeichnet. Das Eintreten eines der zwei
Szenarien wird dabei als abhängig vom Verhalten der Adressaten bestimmt.
Im ersten Szenario gelingt es den Beteiligten, die Herausforderungen der Ge-
genwart zu ‚meistern’. Hierfür sind von den Mitarbeitern entsprechende ‚Op-
fer’ zu erbringen. Der im Unternehmen verhandelte Beschäftigungspakt mar-
kiert somit einen
… wichtigen Schritt für die Wettbewerbsfähigkeit […]. Die Vereinbarung hat das
Werk noch flexibler gemacht und trägt zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bei.
(KN, Oktober 2004: 1)
Das zweite Zukunftsszenario lässt sich als Szenario des ‚Niedergangs’ und
der Denormalisierung fassen. Dazu wird eine Risiko- oder Angstkulisse ent-
worfen, die insbesondere über die Konstruktion von anonymen Gegenspielern
(„die Konkurrenz―, „Osteuropa―, „der ferne Osten―) interdiskursive Plausibi-
lität erlangt: Wer könnte es sich leisten, potenzielle Risiken zu missachten?
Im Sinne Faircloughs (2003) dient die Darstellung sozialer Akteure als aktiv,
unpersönlich und generisch der Universalisierung einer partikularen Reprä-
sentation. Die Bifurkation wird schließlich durch die Verwendung der Sym-
bolik der Weiche metaphorisch verdichtet:
Die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft des Werks sind gestellt. (WN, Septem-
ber 2004: 1)
Zu ergänzen ist, dass die erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen
der Gegenwart kein singulärer Akt oder eine Rückkehr zu einem „goldenen
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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Zeitalter― impliziert. Vielmehr werden eine Permanenz des Wandels und da-
mit eine Permanenz der Herausforderung und der Anpassung propagiert.
Ein letztes hier zu diskutierendes Element des Einigkeitsdiskurses umfasst
Elemente, die unter ihrem Bezug zur Lebens- oder Alltagswelt der Adressaten
zusammengefasst werden können. Allgemein lässt sich der Rekurs auf die
Alltagswelt als Teil eines hegemonial agierenden Diskurses begreifen, der
gemeinschaftlich akzeptierte Welt- und Ansichten aufgreift, reproduziert und
modifiziert. Im Sinne Gramscis (1994) bedarf es zur Aufrechterhaltung von
Hegemonie erstens der Zustimmung und ‚Mitarbeit’ der Betroffenen, zudem
erweist sich der Bezug zur Alltagswelt i.S. einer ‚Common-sense-Kompetenz’
als ein wesentliches Moment hegemonialer Macht. In Übertragung dieser
Überlegungen und mit anderen Worten geht es in den MAZ nicht nur um den
Adressaten als „Mitarbeiter―, sondern um den „Zugriff auf den ganzen Men-
schen―, ein Topos wie er in den letzten Jahren verstärkt im Bereich der (In-
dustrie-)Soziologie diskutiert wurde (vgl. etwa Moldaschl/Voß 2002; Klee-
mann/Matuschek 2003). Im hier untersuchten Material zeigt sich dieses
sprachliche Bearbeiten und die (Re-)Konstruktion lebensweltlicher Aspekte
in der Darstellung des persönlichen Schicksals einzelner Arbeitnehmer und
von Freizeitaktivitäten der Mitarbeiter (insbesondere im Kontext des Kon-
zerns).
Die Darstellung persönlicher Aspekte (Hobbys, Vorlieben etc.), von
Ereignissen oder „Schicksalsschlägen― einzelner Arbeitnehmer lässt sich zu-
nächst funktional als Verfahren zur Erzeugung von Aufmerksamkeit interpre-
tieren. Es kann postuliert werden, dass eine solche inhaltliche Schwerpunkt-
setzung, wie sie insbesondere in den „Werksnachrichten― erfolgt, die Attrak-
tivität der MAZ für den Adressaten erhöht. Wesentlicher im Sinne des Einig-
keitsdiskurses erscheint jedoch die spezifische Konstruktion von „Helden des
Alltags―, die ihr Leben ‚meistern’. Derartige Alltagshelden können als Identi-
fikationsfolie und Vorbild dienen. Die unter häufiger Verwendung von Phra-
seologismen / Routineformeln i.S. von ‚Common-sense-Kompetenz’ (vgl.
Feilke 1994) sprachlich inszenierten ‚home-stories’ scheinen dabei als Rol-
lenmodell jenem Typus von gedachtem Mitarbeiter zu entsprechen, der sich
den angesprochenen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft stellt
und diese offensiv angeht:
„Ein Mann beißt sich durch―; „Geht nicht?― sagt er mit festem Blick, „das gibt’s
bei mir nicht.― (PN, März 2005: 4)
… der Satz „Ich schaffe es nicht― kommt in seinem Wortschatz nicht vor. (KN, Ja-
nuar/ Februar 2005: 7)
Als zweites lebensweltliches Moment werden die Freizeitaktivitäten der Mi-
tarbeiter und hierbei insbesondere Aktivitäten im Rahmen des Konzerns oder
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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des Werkes thematisiert. Beispielhaft wird über den Werkschor, Fußballtur-
niere der Werksmannschaften oder die Restaurierung einer alten Werkslok
berichtet. Wie im Fall der „Alltagshelden― wird in den Beiträgen Nähe dis-
kursiv erzeugt. Dieser Effekt der Nähe wird über die Thematisierung von
Gemeinschaftserlebnissen (Betriebsfeiern, Tag der offenen Tür etc.), aber
auch über die Betonung bestimmter (vermeintlich) geteilter Werte, wie etwa
Bodenständigkeit, hervorgerufen:
Bei rund einem Dutzend Bands spielte [Mueller] … bevor er 2004 mit seinen Kol-
legen [„Blues Band―] gründete. […] „In unserer Band ist keiner dabei, der Flausen
im Kopf hat und berühmt werden will.― (WN, August 2005: 12).
Die Beiträge über die Freizeitaktivitäten präsentieren die Organisation als ein
Unternehmen, welches sich um seine Mitarbeiter kümmert, auch und gerade
hinsichtlich der Gestaltung ihrer Freizeit. Wiederum lässt sich die Darstellung
der Aktivitäten im Sinne des Einigkeitsdiskurses als „bracketing of differen-
ce― (Fairclough) interpretieren – die gemeinsam geteilten Erlebnisse lassen
hierarchische Differenzen verschwimmen und latente Konfliktlinien in den
Hintergrund treten.
4. Diskussion und Fazit
Einen größeren Zusammenhang für Diskurse dieser Art bilden Prozesse eines
grundlegenden sozialen, kulturellen und ökonomischen Wandels, die unter
der Leitmetapher der „Globalisierung― (Beck 1997, Held et al. 1999) zusam-
mengefasst werden können, jedoch auch durch eine Reihe weiterer Deutungs-
angebote beschrieben werden (z.B. Informationsgesellschaft, Netzwerkgesell-
schaft, post-industrieller Kapitalismus). Fairclough (2003, S.4) spricht vom
„new capitalism― und nimmt hierbei die Neujustierung des Verhältnisses zwi-
schen und des Zusammenhanges von Gesellschaft, Politik und Ökonomie un-
ter der Hegemonie einer so genannten „neoliberalen― Programmatik in den
Blick.
„In less than a decade―, so konstatieren auch Keenoy et al (1997, S.147),
„it seems we have all been ensnared by the behemoth of ‚globalization’ and
subjected to the moral order of an indiscriminate totalizing ‘market’―. Dabei
liegt die Annahme nahe, dass die symbolische Produktion von ‚Konsens’ und
‚Einigkeit’ einen wesentlichen Mechanismus für die Akzeptanz und Legitima-
tion von Maßnahmen des Managements im Allgemeinen und im Kontext der
„Anpassung― an die Herausforderungen der Globalisierung im besonderen
darstellt: Durch die Produktion einer kohärenten Weltsicht, eines „rounded
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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picture― (Müller et al. 2004) kann der Einigkeitsdiskurs zur symbolischen und
normativen Kontrolle der Organisationsmitglieder beitragen. Die Inszenie-
rung von ‚Konsens’ und ‚Einigkeit’ kann somit der Konstruktion zirkulations-
fähiger Identifikationsmuster dienen und dazu beitragen, jene Individuen her-
vorzubringen, derer die Organisation bedarf, um sich „den Herausforderun-
gen der Zeit― zu stellen (Alvesson/Willmott 2002).
Andererseits sind die diskursiven Muster und Verfahren insofern span-
nungsvoll und widersprüchlich, als sich die argumentative Dominanz einer
unausweichlichen Sachzwanglogik in paradoxaler Weise mit einem Appell an
die Eigenverantwortung des Individuums verbindet (Karasek 2006). In An-
lehnung an Foucault impliziert das gouvernementale Projekt eine „verwickel-
te Kombination von Individualisierungstechniken und Totalisierungsverfah-
ren― (Foucault 1994, S.248): die Anrufung des selbstverantwortlichen Sub-
jektes verschränkt sich mit der Form des Marktes als allgemeines, uneinge-
schränktes Organisationsprinzip von Staat und Gesellschaft (Lemke et al.
2000). Was aber, so mag man fragen, wenn unter den Bedingungen eines
freien Weltmarktes alle Anstrengungen des Westens, einen halbwegs erträgli-
chen Lebensstandard für breitere Bevölkerungskreise zu halten, die Umwelt
zu schützen, ein Mindestmaß an sozialer Absicherung zu gewährleisten usw.,
ohnehin zum Scheitern verurteilt wären? Was, wenn „der kleine Mann― auf
der Flucht vor dem Löwen zwangsläufig im Vergleich zu seinen Konkurren-
ten auf der Strecke bliebe?
So zieht denn auch Gabor Steingart in dem eingangs erwähnten Beitrag
zumindest hypothetisch in Betracht, dass „die Mitglieder der ‚Nicht mit mir’-
Fraktion― möglicherweise „keine Verwirrten― seien, „sondern […] gute
Gründe für ihre Verweigerung― haben könnten:
„Es ist keine Laune des Augenblicks, auch nicht das Ergebnis schlechter Öffent-
lichkeitsarbeit, sondern Ausdruck handfester Interessen, dass es in Deutschland
keine Legitimation für eine wirkliche Reformpolitik gibt― (Steingart 2006).
Zwar wird, wer sich nicht leichtfertig dem Verdacht des „Populismus― (vgl.
Knobloch in diesem Band) aussetzen oder seine Reputation in den Kreisen
ökonomischer und politischer Eliten verspielen will, derartige Überlegungen
einstweilen als ein „Gedankenexperiment― (Steingart 2006) gegen Kritik zu
immunisieren versuchen; auch wird er dem breiten Publikum allenfalls „Ge-
rissenheit― und „Erfahrung― zuschreiben (ebd.), nicht aber tiefere Einsicht in
die komplexen Zusammenhänge. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass sich
bereits damit die Grenzen des öffentlich Sagbaren – und mittelfristig, indirekt
wohl auch die Grenzen des politisch Machbaren – verschieben. Eine derarti-
ge Dynamik des Diskurses wird auch das Management von Organisationen
nicht auf Dauer ignorieren können.
Habscheid, Stephan/Hartz, Ronald (2007): Konsenserzählungen in Mitarbeiterzeitungen. Am Beispiel des Globalisierungsdiskurses. In: Habscheid, Stephan/ Klemm, Michael (Hrsg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Max Niemeyer, 195-213.
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