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FORUM SPRACHWISSENSCHAFTEN 8

Christine Konecny Kollokationen Versuch einer

semantisch- begrifflichen Annäherung und Klassifizierung anhand italienischer Beispiele

Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung

Ausgezeichnet mit dem Preis der Landeshauptstadt Innsbruck für wissenschaftliche Forschung an der Universität Innsbruck 2008 und dem Dr. Otto Seibert-Preis zur Förderung wissenschaftlicher Publikationen an der Universität Innsbruck 2007. Gefördert mit einem Beitrag aus der Aktion D. Swarovski & Co 2008. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München Umschlagabbildung: © Johannes Gomille, 2009 Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urhebergesetzes ohne schriftliche Zustimmung des Verlages ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Nachdruck, auch auszugsweise, Reproduktion, Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie Digitalisierung oder Einspeicherung und Verarbeitung auf Tonträgern und in elektronischen Systemen aller Art. Printed in Germany Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem und alterungsbeständigem Papier (ISO 9706) m-press ist ein Imprint der Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung ISBN 978-3-89975-711-8 Verlagsverzeichnis schickt gern: Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung Erhardtstr. 8 D-80469 München www.m-verlag.net

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1

2. Wegweisende Beschreibungsansätze in der Kollokationsforschung 15

2.1. Vorläufer des Kollokationsbegriffs 15

2.1.1. Charles Bally: Séries phraséologiques bzw. groupements usuels 15

2.1.2. Walter Porzig: Wesenhafte Bedeutungsbeziehungen 24

2.1.3. Eugenio Coseriu: Lexikalische Solidaritäten 29

2.2. Das Kollokationskonzept des Britischen Kontextualismus: John Rupert Firth, Michael A.K. Halliday, John Sinclair 34

2.3. Das Kollokationskonzept von Franz Josef Hausmann 54

2.4. Das Kollokationskonzept von Morton Benson 71

2.5. Jesús Irsula Peña: Mikro- vs. Makrostruktur von Kollokationen 83

2.6. Enger vs. weiter Kollokationsbegriff 85

3. Kollokationen – eine vorläufige definitorische Eingrenzung 89

4. Kollokationen und andere feste Wortverbindungen: Versuch einer Abgrenzung 93

4.1. Kollokation vs. Idiom 93

4.2. Kollokation vs. freie Wortverbindung 125

4.3. Kollokation vs. Kookkurrenz 132

4.4. Kollokation vs. Wortbildungsprodukt 138

4.5. Schlussfolgerungen 152

5. Kollokationen: Idiosynkratische Wortverbindungen? 155

5.1. Die Frage der Idiosynkrasie von Kollokationen aus der Sicht verschiedener Autoren 155

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5.2. „Idiosynkrasie“, „Arbitrarität“, „Motiviertheit“: Versuch einer Begriffsbestimmung 158

5.3. „Polysemie-“ und „Kollokationsregeln“: Argumente gegen die Annahme eines gänzlich idiosynkratischen Charakters von Kollokationen? 169

5.4. Idiosynkrasie, Arbitrarität und Motiviertheit bei freien Wortverbindungen, Idiomen und Kollokationen 176

6. Syntaktisch-morphologische Klassifizierung der Kollokationen 185

6.1. Vorbemerkungen 185

6.2. Der syntaktisch-morphologische Aspekt in der Kollokationsproblematik aus der Sicht verschiedener Autoren und darauf beruhende Klassifizierungen 187

6.3. Zum Ansatz der vorliegenden Arbeit 203

6.4. Analyse der einzelnen syntaktisch-morphologischen Typen und Exemplifizierung anhand italienischer Kollokationen 206

6.4.1. Typ 1: „Substantiv in der Funktion des Subjekts + Verb“ (Kopf-Ergänzungs-Konstruktion) 206

6.4.2. Typ 2: „Verb + Substantiv in der Funktion des direkten Objekts“ (Kopf-Ergänzungs-Konstruktion) 209

6.4.3. Typ 3: „Verb + Präpositionalsyntagma“ (Kopf- Ergänzungs- oder Kopf-Modifizierer-Konstruktion) 220

6.4.4. Typ 4: „Verb + Adverb oder Präpositionalsyntagma in der Funktion eines Modaladverbiales“ (Kopf-Modifizierer-Konstruktion) 225

6.4.5. Typ 5: „Substantiv + Adjektiv oder Präpositionalsyntagma in der Funktion eines Attributs“ (Kopf-Modifizierer-Konstruktion) 233

6.4.6. Typ 6: „Adjektiv / Partizip + Adverb oder Präpositionalsyntagma in der Funktion eines Attributs“ (Kopf-Modifizierer-Konstruktion) 239

6.5. Weitere Beobachtungen 247

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7. Semantisch-begriffliche Klassifizierung der Kollokationen 253

7.1. Vorbemerkungen 253

7.2. Der semantisch-begriffliche Aspekt in der Kollokationsproblematik aus der Sicht verschiedener Autoren und darauf beruhende Klassifizierungen 254

7.3. Zum Ansatz der vorliegenden Arbeit 289

7.4. Für die Klassifizierung zentrale Begriffe, Faktoren und Phänomene 290

7.4.1. Frame, Metonymie, Metapher 290

7.4.2. Kombinationsbereich, Polysemie, Intension 295

7.4.3. Unikalität 303

7.4.4. Implikation, Selektion; Norm, System 316

7.5. Analyse ausgewählter italienischer Kollokationen unterschiedlichen syntaktisch-morphologischen Typs 321

7.5.1. Zur methodischen Vorgehensweise 321

7.5.2. Beispielanalyse 328

7.5.2.1. digrignare i denti 328 7.5.2.2. un naso camuso 335 7.5.2.3. un pane azzimo 342 7.5.2.4. un triangolo isoscele 350 7.5.2.5. il latte caglia und il sangue (si) coagula 360 7.5.2.6. il cane abbaia 379 7.5.2.7. sellare un cavallo 399 7.5.2.8. il sole tramonta 416 7.5.2.9. stipulare un contratto 433 7.5.2.10. commettere un crimine 450 7.5.2.11. marinare la scuola 475 7.5.2.12. un odio profondo 498 7.5.2.13. piantare un chiodo 518 7.5.2.14. ammazzare il tempo 545 7.5.2.15. il rubinetto perde 565 7.5.2.16. attizzare il fuoco und attizzare l’odio 580

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8. Schlussfolgerungen 597

9. Literaturverzeichnis 631

9.1. Bibliographien zum Thema “Phraseologie” 631

9.2. Lernwortschätze, Lexika, Sprichwörtersammlungen, Wörterbücher 631

9.3. Sekundärliteratur 636

9.4. Korpus 667

9.4.1. Primärliteratur 667

9.4.2. Internetquellen 667

9.5. Bildnachweise 699

10. Abbildungsverzeichnis 701

11. Tabellenverzeichnis 705

12. Abkürzungsverzeichnis 709

12.1. Deutsche Abkürzungen 709

12.2. Englische Abkürzungen 710

12.3. Französische Abkürzungen 710

12.4. Italienische Abkürzungen 710

12.5. Lateinische Abkürzungen 711

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1. Einleitung In bocca al ... cane? Für italienische Muttersprachler ist vollkommen klar, dass es hier richtigerweise in bocca al lupo heißen muss, und dass man die-sen scherzhaft gemeinten Ausspruch in der Regel dann anwendet, wenn man jemandem für ein bevorstehendes Ereignis (z.B. eine Prüfung, ein Vorstellungsgespräch, usw.) – entgegen der wörtlichen Bedeutung – Glück wünschen möchte (im Deutschen sagt man in diesem Fall Hals- und Beinbruch! oder einfach nur Viel Glück!, oder man greift auf den Aus-ruf Toi, toi, toi! zurück). Ein L2-Lerner des Italienischen, der die Wen-dung in bocca al lupo noch nicht gelernt bzw. noch nie gehört oder gelesen hat, ist im Gegensatz zu einem Muttersprachler normalerweise nicht in der Lage, diese zu dekodieren, geschweige denn aktiv zu bilden, weil es sich hierbei um eine einzelsprachlich spezifische Verbindung des Italieni-schen handelt, die in dieser Form in keiner anderen Sprache existiert. Die Kenntnis dieser Wendung ist für die Sprachproduktion jedoch nicht zwingend notwendig, denn statt in bocca al lupo könnte der betreffende Sprecher auch einfach auf (mehr oder weniger) wörtlich gebrauchte Ver-bindungen wie spero per te che tutto vada bene! (‘Ich hoffe für dich, dass alles gut geht!’), ti auguro buona fortuna! (‘Ich wünsche dir viel Glück!’) oder ein-fach nur ce la farai! (‘Du wirst es schaffen!’) zurückgreifen, welche rein denotativ ungefähr dasselbe zum Ausdruck bringen. Im Gegensatz zu in bocca al lupo gibt es aber auch Wortkombinationen, deren Kenntnis uner-lässlich ist, um sich in der jeweiligen (Fremd-)Sprache korrekt bzw. der Norm entsprechend ausdrücken zu können: So sollte ein L2-Lerner des Italienischen z.B. wissen, dass ein Nagel im Italienischen nicht einge-schlagen, sondern „eingepflanzt“ wird (piantare un chiodo), dass man, wenn man den Zug verpasst hat, das Verb für „verlieren“ verwenden muss (perdere il treno), dass ein wackelnder Stuhl „hinkt“ (la sedia zoppica), ein wackelnder Zahn hingegen „tanzt“ (il dente balla), dass eine unübersichtli-che Kurve im Italienischen „blind“ ist (una curva cieca), dass ein angeheira-teter Verwandter „erworben“ wurde (un parente acquisito) oder dass eine unbespielte Kassette, CD oder DVD als „jungfräulich“ bezeichnet wird (una cassetta / un CD / un DVD vergine). Während diese Verbindungen von italienischen Muttersprachlern meist als völlig „normal“ angesehen und von diesen auf Grund ihrer Sprachkompetenz schon rein intuitiv „richtig“ gebildet werden, handelt es sich unter sprachkontrastivem As-pekt – sofern die entsprechenden Verbindungen der jeweils anderen

1. Einleitung

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Sprache davon abweichen (wie es bei den genannten Beispielen etwa im Deutschen der Fall ist) – um einen „besonderen“ Sprachgebrauch, der von L2-Lernern eigens gelernt und eingeübt werden muss, weil es an-dernfalls leicht zu Interferenzfehlern kommen kann, bei denen eine be-stimmte Struktur der Muttersprache auf die betreffende Fremdsprache übertragen wird (cf. z.B. Deveci 2004: 17f.). Nicht selten wird daher ge-rade bei solchen Verbindungen ein Nicht-Muttersprachler als solcher entlarvt, auch wenn er die betreffende Fremdsprache ansonsten perfekt beherrschen mag. Für Muttersprachler hingegen ist der Gebrauch der betreffenden Verbindungen ganz selbstverständlich, weil sie sie bereits im frühen Kindesalter als zusammenhängende Einheiten erlernt und in ihrem Gedächtnis abgespeichert haben (cf. z.B. Herbst 1996: 389). Nur in seltenen Fällen stimmt die Konzeptualisierung einer Sprache mit jener einer anderen überein, wie es bei einem Sprachvergleich zwischen Deutsch und Italienisch etwa auf die Wendungen Eulen nach Athen tragen, an jmds. Lippen hängen und die Zeit totschlagen zutrifft, die in gleicher oder ähnlicher Weise auch im Italienischen existieren (portare nottole ad Atene, pendere dalle labbra di qcn., ammazzare il tempo).

Wenn wir von den genannten Wendungen sprechen, befinden wir uns vom linguistischen Standpunkt aus betrachtet im Bereich der so ge-nannten „Syntagmatik“, d.h. der Ebene der Verbindung von sprachli-chen Elementen (Phonemen, Morphemen, usw.), die u.a. auch – wie bei den erwähnten Beispielen – die Verbindung von einzelnen Wörtern zu verschiedenen Arten von Wortkomplexen betreffen kann, und zu der u.a. auch die in dieser Arbeit zu untersuchenden „Kollokationen“ zu zählen sind. Neben den bisher genannten Kombinationen sind dabei al-lerdings noch zahlreiche weitere zu beobachten, wobei die verschiedenen Typen von Wortverbindungen meist allgemein unter dem Begriff „Phra-seologismen“ (ital.: fraseologismi) zusammengefasst werden; die entspre-chende linguistische Teildisziplin, die sich mit den Phraseologismen be-fasst, wird als „Phraseologie“ (ital.: fraseologia) bezeichnet. Abgesehen von den bereits angeführten Wortkombinationen existieren beispielsweise auch solche, bei denen ein Wort im entsprechenden Kontextpartner a priori enthalten ist, wie etwa im Falle von il cane abbaia (‘der Hund bellt’), wo cane in der Bedeutung von abbaiare bereits impliziert ist. Darüber hin-aus gibt es aber z.B. auch Sprichwörter und Gemeinplätze (z.B. l’appetito vien mangiando [‘der Appetit kommt mit dem Essen’], il mattino ha l’ora in bocca [‘Morgenstund hat Gold im Mund’]), so genannte „Routinefor-

1. Einleitung

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meln“, wie Gruß-, Wunsches- oder Dankesformeln (z.B. buongiorno [‘gu-ten Tag’], buon appetito [‘guten Appetit’], non c’è di che [‘keine Ursache’]), Paar- oder Zwillingsformeln (z.B. chiaro e tondo [‘klipp und klar’], solo e sol-tanto [‘einzig und allein’]) und komparative Phraseologismen (buono come il pane [‘herzensgut’], bere come una spugna [‘saufen / trinken wie ein Loch’]). Des Weiteren sei auf die berühmten „geflügelten Worte“ hingewiesen, bei welchen es sich Burger (1998: 46) zufolge um Zitate aus der Litera-tur, der Werbung, Filmen oder anderen Bereichen handelt, die Eingang in die Gemeinsprache gefunden haben, wie z.B. das bekannte Shakes-peare-Zitat essere o non essere, questo è il problema (‘Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage’), oder das Zitat io era tra color che son sospesi (‘ich war im Kreis der Wartenden’), ein Vers aus Dante Alighieris Divina Commedia (Inferno II, 52), der laut Sellner (2001: 71) „in entsprechenden Situationen […] gelegentlich zitiert“ wird. Eine der Hauptschwierigkeiten der Phra-seologieforschung besteht jedoch darin, dass diese verschiedenen Er-scheinungsformen von Phraseologismen oft nur schwer voneinander abgegrenzt werden können und vielfach ineinander übergehen bzw. sich überschneiden, was einerseits zur Folge hat, dass sich bei den einzelnen Autoren unterschiedliche Abgrenzungs- und Klassifizierungsversuche finden, sowie andererseits, dass auch die für die einzelnen Phänomene jeweils gebrauchten Bezeichnungen meist stark voneinander abweichen. So ist etwa schon der Terminus „Phraseologismus“ selbst äußerst um-stritten und wird in verschiedenen Beiträgen sowohl unterschiedlich de-finiert als auch anders benannt: Während die einen die Phraseologismen als „Phraseologismen in weiterem Sinne“ auffassen und sämtliche Arten von festen Wortverbindungen darunter subsumieren (z.B. Dobrovol’skij 2002; Fleischer 1997; Gläser 1986; Schindler 1996; 1997), wollen andere sie als „Phraseologismen im engeren Sinne“ verstanden wissen (z.B. Palm 1995; Skytte 1988), wobei sie in letzterem Fall lediglich bestimmte Arten von Wortverbindungen umfassen würden, und zwar nur solche, die sich durch so genannte „Idiomatizität“ auszeichnen. Dieses Kriteri-um ist laut Burger (1998: 15; 32; 2002: 392) und Larreta Zulategui (2001: 46) dann erfüllt, wenn die Bedeutung des entsprechenden Phraseologis-mus nicht mit der Summe der Bedeutungen der einzelnen Komponenten übereinstimmt (wie im Falle des o.a. Beispiels in bocca al lupo). Neben „Phraseologismus“ gibt es im Deutschen z.B. auch die Bezeichnungen „phraseologische Einheit“, „Phrasem“, „Phrasmus“, „Phraseolexem“, „festes Syntagma“, „Wortgruppenlexem“ und „fixiertes Wortgefüge“ (cf.

1. Einleitung

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Burger / Buhofer / Sialm 1982: 2; Palm 1995: 105; Pilz 1981: 25ff.), und im Italienischen findet man neben “fraseologismo” z.B. auch die Termini “locuzione”, “locuzione fraseologica”, “frase fatta”, “frase / locuzione fissa”, “espressione cristallizzata”, “espressione fossilizzata” und “es-pressione lessicalizzata” (cf. Skytte 1988: 75). Was die verschiedenen Subtypen von Phraseologismen (im weiteren Sinne) betrifft, existieren neben den bereits erwähnten noch zahlreiche weitere, wobei für die ein-zelnen Typen wiederum jeweils unterschiedliche Termini sowie für die einzelnen Termini wiederum unterschiedliche Definitionen vorgeschla-gen werden: In der deutschen Phraseologieforschung stößt man z.B. auf Ausdrücke wie „Redewendung“, „Redensart“, „Kollokation“, „Sagwort“, „Wellerismus“, „Aphorismus“, „Phraseoschablone“, „feste Phrase“, „Modellbildung“, „Kinegramm“, „Autorphraseologismus“, „onymischer Phraseologismus“, „phraseologische Ganzheit“, „Idiom“ und „idiomati-scher Ausdruck“ (cf. Burger 1998: 44ff.; Busse 2002: 408-414; Gut-knecht 2001: 33; Hundt 1994: 39-48; Palm 1995: 105; cf. hierzu vor al-lem auch die ausführliche Auflistung verschiedener Termini zur Be-zeichnung phraseologischer Einheiten bei Pilz 1978: VIII-XII); in der ita-lienischen Phraseologieforschung begegnet man hingegen Ausdrücken wie “modo di dire”, “modismo”, “collocazione”, “collocazione fissa”, “collocazione ristretta”, “proverbio”, “aforisma”, “citazione”, “espressi-one / frase / locuzione idiomatica”, “idioma” und “idiotismo” (cf. Len-gert 2001: 822; Marello 2000: 202ff.; Skytte 1988: 75), wobei im Deut-schen die letzten zwei und im Italienischen die letzten drei Bezeichnun-gen im Falle einer engen Phraseologismuskonzeption bisweilen auch als Synonym für „Phraseologismus“ bzw. “fraseologismo”, d.h. als Ober-begriff für die gesamte Kategorie, verwendet werden. Für einen Über-blick über die Vielfalt der Termini für phraseologische Phänomene sowie über verschiedene vorgeschlagene Klassifizierungsversuche sei vor allem auf den hervorragenden Beitrag von Lengert (2001) verwiesen sowie des Weiteren auf die Darstellungen bei Cini (2005: 21-58), Fleischer (1997: 4-28), Fraile Vicente (2007: 97-156), Hundt (1994: 4-9), Larreta Zulategui (2001: 15-36), Nicklaus (1999: 75-174), Pilz (1978: 57ff.; 1981: 32-136) und Thun (1978: 71-173). In dieser Arbeit hingegen, in welcher die Phra-seologie als eine solche im weiteren Sinne verstanden wird und die Ter-mini „Phraseologismus“ und „feste Wortverbindungen“ als Hyperonyme für verschiedenste Arten von Verbindungen auf Lexemebene aufgefasst werden, wird auf eine Auseinandersetzung mit der verworrenen Ge-

1. Einleitung

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schichte der Phraseologieforschung und vor allem mit der schwierigen Frage der Terminologie bewusst verzichtet. Statt dessen soll das primäre Interesse einem bestimmten Typus von Phraseologismen gelten: den so genannten „Kollokationen“.

Was genau ist aber unter einer Kollokation zu verstehen? Die gro-ße Schwierigkeit bei der Beantwortung dieser Frage besteht darin, dass hier eine ähnlich geartete Problematik wie im Falle der Begriffe „Phra-seologie“ und „Phraseologismus“ vorherrscht: Für den Begriff „Kolloka-tion“, der sich von den beiden lateinischen Wörtern cum (‘mit’) und locus (‘Platz’, ‘Ort’, ‘Stelle’) herleitet (cf. z.B. Singleton 2000: 47), wurden näm-lich bis dato unzählige verschiedene Definitionen vorgeschlagen, und dieselben Phänomene wurden auch in diesem Bereich häufig mit ande-ren Termini benannt, weswegen z.B. Pöll (1996: 11) zu Recht vom „schillernden Begriff ‘Kollokation’“ spricht.1 Dazu kommt, dass, wie Scherfer (2001: 4) treffend feststellt, die einzelnen Definitionen „gemein-hin entweder vage oder wenig ausgearbeitet“ bleiben. Dies alles hat zur Folge, dass die einzelnen Forscher innerhalb der Kollokationsdiskussion vielfach aneinander vorbeireden, weil sie vermeintlich über denselben Gegenstandsbereich sprechen, ohne jedoch genau das gleiche zu meinen. Einigkeit scheint lediglich darin zu bestehen, dass Kollokationen Verbin-dungen auf syntagmatischer Ebene und – sofern von einer weiten Phra- 1 Die Schwierigkeiten bei der Begriffsdefinition sind in engem Zusammenhang mit

der Tatsache zu sehen, dass zu Kollokationen sowie zu Phraseologismen im All-gemeinen insgesamt unzählig viele wissenschaftliche Beiträge (sowohl Monogra-phien als auch Aufsätze) verfasst wurden. Wie überaus umfangreich und praktisch unüberschaubar die Sekundärliteratur ist, zeigt beispielsweise die äußerst nützli-che, im Internet unter http://kollokationen.bbaw.de/bib/index_de.html für jeden frei zugängliche Bibliographie “Collocations and Idioms: An International Biblio-graphie” (= Fellbaum 2002-2006), welche im Rahmen des von Prof. Christiane Fellbaum (Princeton University, USA) geleiteten Projektes „Kollokationen im Wörterbuch“ von einem entsprechenden Forscherteam erstellt wurde und über 4.400 Einträge enthält. Einen noch weitaus eindrucksvolleren Beweis für die gro-ße Anzahl und Vielfalt an Beiträgen liefert jedoch das zweibändige, 2132 Seiten umfassende bibliographische Werk „Romanische Phraseologie und Parömiologie“ von Joachim Lengert (1999), welcher darin auf der Basis eines weiten Phraseolo-giebegriffs die Bibliographie in erster Linie aus romanistischer Perspektive aufar-beitet und dabei zu einer Anzahl von beinahe 15.000 Titeln (!) gelangt. In Lengert selbst findet sich auf den Seiten XXVff. und 1f. eine Auflistung weiterer, älterer (Spezial-)Bibliographien zur Phraseologie, welche der Verfasser für seine eigene Bibliographie z.T. verwendet bzw. darin verarbeitet hat.

1. Einleitung

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seologismuskonzeption ausgegangen wird – einen Teilbereich der Phra-seologie darstellen (cf. z.B. Nesselhauf 2004: 1; 2005: 11; Wenzl 2003: 10ff.).

So schwierig die Begriffsbestimmung der Kollokationen jedoch auch sein mag – fest steht, dass es sich um ein äußerst interessantes Phä-nomen handelt, das extrem vielschichtig ist und deshalb zahlreiche (sprach)wissenschaftliche Teilbereiche tangiert: Da es u.a. um Strukturie-rungen innerhalb des Wortschatzes geht, werden die Kollokationen z.B. innerhalb der Lexikologie untersucht. Darüber hinaus betreffen sie aber auch die Sprach- und Fremdspracherwerbsforschung sowie die Sprach-lehr- und -lernforschung bzw. die Fachdidaktik. Im Zusammenhang mit dem fachdidaktischen Aspekt geht es insbesondere auch um die Frage, wie Kollokationen in (vor allem zweisprachigen) Wörterbüchern am bes-ten erfasst werden können, damit sie für L2-Lerner leicht und schnell auffindbar sind, was bedeutet, dass sich auch die Lexikographie intensiv mit ihnen beschäftigt. In weiterer Folge bieten sich Kollokationen natür-lich auch als Untersuchungsgegenstand der Translationswissenschaft und der kontrastiven Linguistik an. Da Kollokationen, wie im Laufe dieser Arbeit noch festzustellen sein wird (cf. Kap. 6), in syntaktisch-morpho-logischer Hinsicht unterschiedliche Strukturmuster aufweisen können, bezieht sich ihre Erforschung u.a. aber auch auf die Syntax und die Mor-phologie. Eine weitere linguistische Teildisziplin, in der Kollokationen bisweilen eine Rolle spielen, ist die Textlinguistik, weil sich Kollokatio-nen u.U. auch über Satzgrenzen hinaus erstrecken können und in diesem Fall bereits die Ebene des Textes betreffen (dazu Näheres in Kap. 4.1). In Abhängigkeit von der jeweiligen Kollokationsauffassung ist in die Er-forschung der Kollokationen zumindest z.T. auch die Korpuslinguistik involviert. Ebenfalls teilweise tangieren die Kollokationen die Bereiche der Varietätenlinguistik und der Pragmatik, denn es gibt Fälle, in denen zur Versprachlichung desselben Konzepts zwei (oder mehrere) verschie-dene Kollokationen zur Verfügung stehen, von denen eine aber stilis-tisch einem höheren Register zuzuordnen ist und daher in der Regel nur in bestimmten Kontexten verwendet werden kann (cf. z.B. fare una pro-posta vs. avanzare una proposta bzw. die deutschen Entsprechungen einen Vorschlag machen und einen Vorschlag unterbreiten). Wie einige der vorhin er-wähnten Beispiele gezeigt haben (z.B. piantare un chiodo [‘einen Nagel ein-schlagen’] und il cane abbaia [‘der Hund bellt’]), betreffen die Kollokatio-nen ganz besonders aber auch die Ebenen der Bedeutung und der Ko-

1. Einleitung

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gnition: So geht es etwa um Fragen wie die Polysemie der die Kolloka-tion konstituierenden Lexeme, die semantische Kohäsion zwischen den Kollokationselementen und deren semantische Rollen, die semantische Valenz, die Konzeptualisierung bzw. die jeweilige sprachliche Erfassung der außersprachlichen Realität, die Weiterentwicklung von Bedeutungen, die metaphorische Verwendung von Lexemen, usw. Zwei der wichtigs-ten linguistischen Disziplinen, in deren Rahmen die Kollokationen m.E. primär erforscht werden sollten und in dieser Arbeit erforscht werden, sind somit die Semantik und die kognitive Linguistik, wobei diese unter-einander jedoch in engem Zusammenhang stehen und nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden können.

Der vorliegende Beitrag geht von der Prämisse aus, dass zuallererst eine auf semantisch-begrifflichen Kriterien basierende Beschreibung der Kollokationen erarbeitet werden muss, die in der Lage ist, die Gründe für die semantische Kohäsion zwischen den Kollokationsbestandteilen weitestgehend zu klären und somit die Kategorie „Kollokation“ als sol-che besser zu erfassen, und dass erst darauf aufbauend alle übrigen Un-tersuchungen (fachdidaktische, lexikographische, usw.) folgen sollten. Gerade diese beiden so zentralen Aspekte der Semantik und der Kogni-tion sind in der Kollokationsforschung bis jetzt allerdings eher vernach-lässigt worden, und zwar insbesondere in der Italianistik, in welcher das Phänomen der Kollokationen bisher – abgesehen von einigen Ausnah-men2 – nur wenig Beachtung gefunden hat – ganz im Gegensatz etwa

2 Cf. z.B. Baroni (2006), Blumenthal (2004), Cantarini (2004), Casadei (2004: 67-

70), Cicalese (1999), Cini (2005), Corino / Marello / Onesti (2006), Heid (1997), Ježek (2005), Konecny (im Druck a; b; c; d), Lo Cascio (1997), Mastrofini (2004), Nuccorini (1999), Pfleiderer / Raffa / Stromboli (2000) und Siller-Runggaldier (2008; im Druck). Im Zusammenhang mit Kollokationen des Italienischen sind auch einige nicht publizierte Diplomarbeiten zu nennen, die an der Universität Innsbruck am Institut für Romanistik im Rahmen eines von Prof. Dr. Heidi Siller-Runggaldier geleiteten Forschungsprojektes zu Kollokationen verfasst wurden (bzw. werden), wie z.B. jene von Albrich (in Arbeit), Krimbacher (2006), Steger (2008), Unterrainer (2005) und Wenzl (2003). Hingewiesen sei des Weiteren auf die von Prof. Dr. Paul Danler an der Universität Innsbruck (Romanistik) betreu-ten Diplomarbeiten von Felderer (in Arbeit) und Hellweger (2009). Zu Phraseo-logismen im engeren Sinne bzw. idiomatischen Phraseologismen des Italienischen im Rahmen bestimmter Bildbereiche cf. die ebenfalls im Rahmen des genannten Forschungsprojektes verfassten Diplomarbeiten von Andrich (2005; Tierbezeich-nungen), Gitterle (2005; Körperteil „Hand“), Rinderer (2003; Bildbereich „Mu-

1. Einleitung

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zur Französistik3, der Angloamerikanistik4 und der Hispanistik5, wo die Forschung die in vielerlei Hinsicht zentrale Bedeutung der Kollokatio-nen schon seit Längerem erkannt hat und auch bereits entsprechende Kollokations- bzw. Kontextwörterbücher existieren (für das Französi-sche vor allem Ilgenfritz / Stephan-Gabinel / Schneider 1989, aber z.B. auch Beauchesne 2001, Gonzáles Rodríguez 2004, Grobelak 1990 und Zinglé / Brobeck-Zinglé 2003; französische Kollokationen sind z.T. auch in den beiden französisch-deutschen Lernwörterbüchern von Lüb-ke [1993; 1995] enthalten; für das Englische z.B. BBI 1986, Benson / Benson / Ilson 1990, Bouscaren / Lab 1998, Deuter 2002 sowie Hill / Lewis 1999 und 2000; für das Spanische z.B. Redes 2004; was das Italie-nische betrifft, ist aber zumindest ein Kollokationswörterbücher bereits im Entstehen begriffen, und zwar das von Prof. Elmar Schafroth von der Universität Düsseldorf initiierte „Kontextwörterbuch Italienisch-Deutsch“; hinzuweisen ist des Weiteren auf das brandneue, vor kurzem (2009) erschienene Wörterbuch Dizionario delle combinazioni lessicali von Francesco Urzì, in welchem u.a. auch viele Kollokationen erfasst wer-den).6 Die vorliegende Arbeit stellt daher in zweierlei Hinsicht ein Desi-

sik“) und Zach (in Arbeit; Nahrungsmittelbezeichnungen). Erwähnenswert scheint mir auch die kontrastiv angelegte Dissertation zu Phraseologismen mit Tierbezeichnungen im Deutschen, Französischen und Italienischen von Marlene Mussner (2010) vom Institut für Sprachen und Literaturen (Abteilung Sprachwis-senschaft) der Universität Innsbruck zu sein.

3 Cf. z.B. Blumenthal (2006a; b; 2007), Grossmann / Tutin (2002; 2003), Haus-mann (1979; 1989a; b), Klare (1998), Pellen (2001), Scherfer (1999; 2001; 2002), Siepmann (2002), Staib (1996; 1997) und Stein (1998).

4 Cf. z.B. Aisenstadt (1979; 1981), Bahns (1993; 1996; 1997), Benson (1989), Gitsa-ki (1999), Kohn (1992), Nesselhauf (2005), Schenk (1994) und Schümann (2000).

5 Cf. hierzu etwa die Beiträge von Bartoš (2004), Büttner (1997), Corpas Pastor (1996; 1998; 2003), Irsula Peña (1994), Koike (1998; 2001), Wotjak (1992; 1996; 1998) und Zuluaga (1980). Für eine detaillierte Auflistung spanischsprachiger Li-teratur zu Kollokationen sei z.B. auf die Bibliographien in Aznárez Mauléon (2006: 449-458), Bosque Muñoz (2004: CLXXI-CLXXIV), Koike (2001) und Per-bellini (2009: 1999-2007) verwiesen.

6 Während in der Italianistik dem Phänomen der Kollokationen im Speziellen bis dato nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, gibt es zum Problem der Phra-seologie im Allgemeinen sowie insbesondere zu modi di dire bzw. proverbi und espres-sioni idiomatiche eine überaus große Zahl an Beiträgen. In diesem Zusammenhang sind z.B. die Arbeiten von Biorci / Cini (2005), Burr (1997), Casadei (1995a; b; c, 1996; 1997), Čerdantseva (1996; 1997; 2002), Cicogni / Coffey (1998; 2000), Ci-

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deratum, gleichzeitig aber auch eine große Herausforderung dar, weil ei-nerseits versucht wird, die bisher nur wenig beachteten semantischen und kognitiven Aspekte von Kollokationen in den Vordergrund zu rücken und dadurch einen wichtigen Beitrag zur Kollokationsdiskussion im Allgemeinen zu leisten, und weil andererseits die theoretischen Darle-

cogni / Coffey / Moon (1999), Conenna (1985), Cristilli (1989), Dardano (2001), D’Elia (1990), De Mauro / Voghera (1996), Elia / D’Agostino / Martinelli (1985), Fábián (1996), Grimaldi (2000), Lurati (1998; 2002), Marx (2006), Nanni / Pisani (2003), Nicklaus (1999; 2001), Nuccorini (1992; 2004; 2005), Nuñez García (1999), Pizzoli (1998), Prandi (1999), Provenzal (1966), Skytte (1988), Vallini (1989), Vietri (1985a; b; 1990b), Wotkeová (1992) und Zamora Muñoz (1999) zu nennen. Besonders erwähnenswert scheint mir diesbezüglich außerdem der im Jahre 1999 von Salvatore C. Trovato edierte Sammelband “Proverbi, locuzioni, modi di dire nel dominio linguistico italiano” zu sein, in dem sich insgesamt 25 Aufsätze finden (z.B. Bronzini 1999, García-Page 1999, Lapucci 1999). Darüber hinaus existieren mehrere, teilweise sprachkontrastiv angelegte Wörterbücher und Sammlungen von Sprichwörtern und idiomatischen Ausdrücken (das „Sammeln von Sprichwörtern geht“, wie Lengert [1999: XV] bemerkt, „in den meisten roma-nischen Sprachen bis ins Mittelalter zurück und weist seither eine bis in die Ge-genwart unvermindert andauernde Tradition auf“), wie z.B. Arthaber (1972), Bel-lia / Passaro (1999), Boggione / Massobrio (2004), Chiuchiù / Calmanti / Capro-ni (1994), Dispenza (1988), Donato / Palitta (2000), Grisi (1997), Guazzotti / Oddera (2006), Guerini (2003), Möller (1978), Pescetti (1994), Pittàno (1992), Schwamenthal / Straniero (1991), Selene (1993) und Zamora Muñoz (1997). Wei-ter sei auf einige Sammlungen von Sprichwörtern und idiomatischen Ausdrücken hingewiesen, die sich mit diatopisch markierten, d.h. auf einen bestimmten geo-graphischen Raum beschränkten Wendungen auseinandersetzen, wie z.B. Calò (1999), Cibotto (1959), Cibotto / Del Drago (1968), Girardi (1994), Giusti / Cap-poni (2001), Godenzi (1987), Pasqualigo (1970) und Pauli (1996). Andere Samm-lungen beinhalten ausschließlich Sprichwörter aus bestimmten Themenbereichen, wie z.B. Boggione (2005), Celesia (1997: 102ff.), Eckes / Pirazzi (2001) oder La-pucci / Antoni (1985). Zusammenstellungen von Sprichwörtern, die sowohl auf bestimmte geographische Gebiete als auch auf bestimmte Inhaltsbereiche be-schränkt sind, finden sich z.B. in Arecco (1986) und Zazzera (2001). Ein speziel-les Kollokationswörterbuch für das Italienische gibt es bis jetzt zwar noch nicht, es sei aber bemerkt, dass einige Sammlungen italienischer Redensarten im Allge-meinen existieren, in welchen neben verschiedenen anderen Arten von Wort-verbindungen zumindest teilweise auch Kollokationen erfasst werden. Dies gilt z.B. für die Werke von Frenzel / Ross (1974), Lapucci (1990), Leghissa / Gries-heim (1971), Lurati (2001), Quartu (1993), Radicchi (1985), Sellner (2001), Sorge (2001), Turrini / Alberti (1995) und Zardo (2001) sowie für das kontrastiv (italie-nisch-französisch) angelegte Werk von Geninasca (1988).

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gungen anhand von vorwiegend italienischem Beispielmaterial veran-schaulicht werden, was in dieser Form ein Novum darstellt und daher als Versuch angesehen werden kann, auf die Kollokationsproblematik auch in der italianistischen Linguistik stärker aufmerksam zu machen und die Diskussion dadurch vor allem in diesem Bereich voranzutreiben.

Angesichts der erwähnten Vagheit des Terminus „Kollokation“ und der Vielfalt der dafür vorgeschlagenen Definitionen scheint es sinn-voll, in den folgenden Kapiteln zunächst einen Forschungsüberblick über verschiedene Ansätze innerhalb der Kollokationsfoschung zu bie-ten. Dieser erhebt jedoch keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit: Da es insgesamt derart viele Kollokationsauffassungen gibt und diese auch schon in verschiedensten Beiträgen ausführlich referiert wurden (cf. z.B. Bahns 1997: 9-60; Bischof 2007: 25-60; Brederode 1995: 5-29; Buti-na-Koller 2005: 5-24; Gitsaki 1999: 5-26; Gladysz 2003: 13-39; Lehr 1998: 257-261; Ludewig 2005: 67-142; Nesselhauf 2004: 2-17; 2005: 11-24; Schümann 2000: 1-120), werden lediglich einige wenige, für die ge-genständliche Arbeit und die darauf folgenden Überlegungen wichtig er-scheinende Ansätze herausgegriffen und einer genaueren Betrachtung unterzogen. Der Terminus „Kollokation“ selbst wurde in den 50er Jah-ren des 20. Jahrhunderts im Rahmen des Britischen Kontextualismus von John Rupert Firth geprägt, weshalb in Kap. 2.2 dessen Kollokations-konzept sowie jenes bzw. jene seiner Nachfolger vorgestellt werden. Da vor der eigentlichen Einführung des Terminus das Phänomen als solches aber schon erkannt, jedoch mit anderen Etiketten benannt worden war, wird der Auseinandersetzung mit dem Kollokationsbegriff des Britischen Kontextualismus das Kap. 2.1 vorangestellt, in welchem kurz auf einige wichtige Vorläufer des Kollokationsbegriffs bzw. kollokationsverwandte Konzepte eingegangen wird, und zwar auf die im Jahre 1909 von Charles Bally entwickelte Klassifizierung von Wortverbindungen, welche u.a. auch die mit den Kollokationen vergleichbaren séries phraséologiques bzw. groupements usuels enthält, weiter auf das im Jahre 1934 von Walter Porzig vorgeschlagene Konzept der wesenhaften Bedeutungsbeziehungen sowie auf das Konzept der lexikalischen Solidaritäten nach Eugenio Coseriu (1967). In Kap. 2.3 folgt eine relativ ausführliche Auseinandersetzung mit dem mir besonders wichtig erscheinenden Kollokationskonzept von Franz Josef Hausmann, dessen Hauptinteresse primär den lexikographi-schen und fremdsprachendidaktischen Aspekten der Kollokationen gilt. In Kap. 2.4 wird der besonders in der angloamerikanischen Linguistik

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verbreitete, vorwiegend ebenfalls lexikographisch-fremdsprachendidak-tisch orientierte Ansatz von Morton Benson (1989; BBI 1990) näher be-trachtet. In Kap. 2.5 wird kurz die von Irsula Peña (1994: 33) vorge-schlagene Unterscheidung zwischen der Mikro- und Makrostruktur von Kollokationen skizziert, welche zwar eher weniger bekannt zu sein scheint und auch nur selten referiert wird, m.E. für die Untersuchung von Kollokationen aber von großer Relevanz ist und eine wichtige Vor-aussetzung für die hier durchzuführenden Analysen darstellt. In Kap. 2.6 werden die in den Kapiteln 2.1 bis 2.5 vorgestellten Ansätze einander vergleichend gegenübergestellt. In Kap. 3 soll sodann geklärt werden, von welchem Kollokationsbegriff die vorliegende Arbeit ausgeht, wobei allerdings noch keine exakte Definition, sondern nur eine vorläufige de-finitorische Eingrenzung erfolgen kann, die in den darauf folgenden Ka-piteln sukzessive immer genauer zu präzisieren sein wird.

In Kap. 4 wird der Versuch unternommen, die Kategorie der Kol-lokationen gegenüber anderen Arten von festen Wortverbindungen ab-zugrenzen, und zwar gegenüber den Idiomen (Kap. 4.1), den freien Wortverbindungen (Kap. 4.2), den so genannten „Kookkurrenzen“ (Kap. 4.3) und den Komposita (Kap. 4.4); hierbei geht es vor allem auch darum, die verschiedenen Charakteristika von Kollokationen herauszu-arbeiten, die diese von den benachbarten Kategorien unterscheiden, so dass in Kap. 4.5 („Schlussfolgerungen“) u.a. bereits eine weitere definito-rische Eingrenzung der Kollokationen vorgenommen werden kann.

Das Kap. 5 befasst sich mit dem innerhalb der Kollokationsdis-kussion vielfach erwähnten, m.E. bisher jedoch zu wenig hinterfragten Aspekt der Idiosynkrasie von Kollokationen bzw. mit der Frage, ob Kol-lokationen, wie von den meisten Autoren a priori angenommen, tatsäch-lich als (gänzlich) idiosynkratische Verbindungen anzusehen sind. Um sich mit dieser Frage näher befassen zu können, muss vorrangig abge-klärt werden, was überhaupt unter „Idiosynkrasie“ zu verstehen ist. Nach einer Darstellung der Sichtweisen verschiedener Autoren zu dieser Frage (Kap. 5.1) wird daher in Kap. 5.2 zunächst eine genaue Begriffsbe-stimmung vorgenommen, wobei gleichzeitig auch eine Definition der verwandten Termini „Arbitrarität“ und „Motiviertheit“ geliefert wird. Anschließend wird in Kap. 5.3 ein von Scherfer (1997: 194; 2001: 16ff.) vorgeschlagener Ansatz geprüft, in welchem der Autor gegen die An-nahme einer absoluten Idiosynkrasie von Kollokationen plädiert. In Kap. 5 wird die Frage der Idiosynkrasie allerdings noch nicht zur Gänze ge-

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klärt werden, sondern dies wird erst in Kap. 8 nach der empirischen Analyse konkreten Beispielmaterials möglich sein, wo diese Frage noch-mals aufgegriffen und auch im Hinblick auf die Ergebnisse der empiri-schen Beispielanalyse (Kap. 7.5.2) und die Frage der Idiosynkrasie der benachbarten Kategorien diskutiert wird.

In Kap. 6 erfolgt der Versuch einer Klassifizierung der Kollokatio-nen unter syntaktisch-morphologischem Aspekt, wobei nach den Vorbe-merkungen (Kap. 6.1) in Kap. 6.2 zunächst verschiedene bisher in der Kollokationsliteratur vorgeschlagene syntaktisch-morphologische Kate-gorisierungen überblicksmäßig dargestellt werden. Aufbauend auf den dabei gemachten Beobachtungen wird in Kap. 6.3 eine neue, umfassen-dere bzw. sowohl äußerlich-formale als auch valenztheoretische Krite-rien vereinende syntaktisch-morphologische Klassifizierung der Kolloka-tionen vorgeschlagen. In Kap. 6.4 werden die einzelnen Typen genau analysiert und mit konkreten Beispielen aus dem Italienischen belegt.

In Kap. 7 wird schließlich der Versuch einer auf semantisch-be-grifflichen Kriterien basierenden Klassifizierung der Kollokationen vor-genommen. Zu diesem Zweck wird nach den Vorbemerkungen in Kap. 7.1 im zweiten Unterkapitel 7.2 zunächst der semantisch-begriffliche As-pekt aus der Sicht verschiedener Autoren beleuchtet, woraufhin in Kap. 7.3 eine grobe, als Arbeitsgrundlage für die darauf folgenden Kapitel die-nende semantisch-begriffliche Klassifizierung der Kollokationen abgelei-tet wird. Nach einer in Kap. 7.4 erfolgenden Klärung einiger für die Klassifizierung wichtiger Begriffe, Faktoren und Phänomene wird in Kap. 7.5 eine detaillierte empirische Analyse von 16 ausgewählten italie-nischen Kollokationen durchgeführt, in der die in Kap. 7.3 vorgeschla-gene Klassifizierung auf ihre Gültigkeit hin überprüft und nötigenfalls ergänzt bzw. präzisiert werden soll. Dieses Kapitel kann als insgesamt innovativster und somit wichtigster Teil dieser Arbeit angesehen werden. Nach einer Erklärung der methodischen Vorgehensweise bei der Analyse (Kap. 7.5.1) folgt in Kap. 7.5.2 die konkrete Beispieluntersuchung, wo-rauf aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen in Kap. 8 Schlussfolge-rungen abgeleitet werden, die es erlauben, zu einer neuen und operablen Beschreibung des Begriffs „Kollokation“ zu gelangen, die, anders als bisherige Kollokationsbegriffe, auf primär semantischen Kriterien beruht und die Kollokationen in ihrer Gesamtheit zu erfassen versucht.

Bezüglich der in der Arbeit zitierten Beispiele ist festzustellen, dass in jenen Passagen, welche auf bestimmte Werke der Sekundärliteratur

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Bezug nehmen (vor allem in Kap. 2, aber auch in den Kap. 6.2 und 7.2), jeweils die dort verwendeten Beispiele herangezogen werden, wobei die-se aber nicht immer zwingendermaßen das Italienische betreffen müssen (dies ist sogar zum überwiegenden Teil nicht der Fall, weil die betreffen-den Beispiele meist aus dem Deutschen, dem Französischen oder dem Englischen stammen). Was die Vielzahl der angeführten italienischen Beispiele für Kollokationen und andere feste Wortverbindungen betrifft, sind diese nur in einigen wenigen Fällen der Sekundärliteratur ent-nommen, was mit der oben erwähnten Tatsache zusammenhängt, dass es in der italianistischen Linguistik bis jetzt nur wenig Literatur zu den Kollokationen und vor allem auch noch kein entsprechendes Kolloka-tionswörterbuch gibt, weshalb eine Übernahme einer großen Zahl von Beispielen aus der Forschungsliteratur von vornherein nicht möglich war. Um zu einer einigermaßen umfangreichen Liste von italienischen Kollokationen zu gelangen – eine solche erweist sich m.E. besonders für die syntaktisch-morphologische Klassifizierung in Kap. 6 und für die empirische Analyse in Kap. 7 als absolut unerlässlich – musste daher auf andere Mittel und Quellen zurückgegriffen werden: So wurden beispiels-weise die beiden italienisch-deutschen Grundwortschätze von Pons (2003) und Hueber (2003) systematisch auf Kollokationen und andere Phraseologismen hin durchsucht, des Weiteren aber auch die Sammlun-gen italienischer Redensarten von Frenzel / Ross (1974), Lapucci (1990), Leghissa / Griesheim (1971), Lurati (2001), Quartu (1993), Radicchi (1985), Sorge (2001), Turrini / Alberti (1995) und Zardo (2001), das Nachschlagewerk “Italienisch im Alltag” von Sellner (2001) und das ita-lienisch-französische “Dizionario dei più comuni modi di dire italiani e francesi” von Geninasca (1988). Viele Beispiele stammen außerdem aus dem zweisprachigen Wörterbuch von Langenscheidt (2000), das auf Grund seiner großen Seitenanzahl jedoch keinesfalls zur Gänze auf kol-lokationelle und ähnliche Verbindungen hin untersucht werden konnte. Einige weitere Beispiele sind dem zweisprachigen Online-Wörterbuch “FlexiDict” (o.J.) sowie den einsprachigen italienischen Wörterbüchern von Sansoni (1999) und Zingarelli minore (1990) entnommen, welche aber ebenfalls nicht systematisch in Bezug auf feste Wortverbindungen durchsucht wurden; dasselbe gilt für das „Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache“ von Conte / Boss (1993 [Vol. I: Ital.-Dt.], 1989 [Vol. II: Dt.-Ital.]) sowie für die Glossare in Macedonia (1999), Messner (2006) und Villari / Giannini (1987).

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Im überwiegenden Teil der Fälle wird für eine bestimmte Kollokation nicht nur eine einzige Quelle angegeben, sondern es ist meist mehr als eine Quelle zitiert, weil dieselbe Kollokation – manchmal mit leichten Abweichungen – oft in mehreren der genannten Werke vorkommt, und weil des Weiteren stets überprüft wurde, ob eine in den Grundwort-schätzen oder Redensartsammlungen erwähnte Verbindung auch in den Wörterbüchern zu finden ist. Die in den fraglichen Werken angeführten und in dieser Arbeit zitierten Verbindungen beziehen sich zum Großteil auf die Standardsprache; bisweilen werden aber auch Kombinationen der Umgangssprache, d.h. der nicht standardisierten, im täglichen Leben je-doch vielfach benutzten Sprache, berücksichtigt.

Die gegenständliche Untersuchung ist auf das zeitgenössische Ita-lienisch und somit auf die synchronen Aspekte der Kollokationen hin ausgerichtet, besonders im Rahmen der Beispielanalyse in Kap. 7.5.2 fließen z.T. aber ebenso diachrone Gesichtspunkte mit ein, weil eine rei-ne Beschränkung auf die Synchronie sich nicht immer als möglich er-weist bzw. nicht immer sinnvoll erscheint. Aus diesem Grunde wird in Kap. 7.5.2 stets auch kurz auf die Etymologie der Kollokationsbestand-teile eingegangen. Darüber hinaus werden zu einer bestimmten Bedeu-tung eines Lexems u.a. auch Textstellen aus der älteren italienischen Lite-ratur zitiert, wobei in diesem Fall anschließend immer überprüft wird, ob die dabei beobachtete Verwendung eines Wortes synchron noch relevant ist. Diese Überprüfung sowie allgemein die Suche nach Textbeispielen für Kollokationen des zeitgenössischen Italienisch in Kap. 7.5.2 erfolgt mit Hilfe der heute allgemein bekannten Internet-Suchmaschine „Google“. Als Korpus für diese Arbeit dient also der von Google ange-zeigte Teil des World Wide Web. Worin die Gründe für den Gebrauch dieser Suchmaschine bzw. deren Vorteile liegen und wie genau bei der Suche vorgegangen wird, soll in Kap. 7.5.1 ausführlich erklärt werden.

Von der methodischen Vorgangsweise her kann die vorliegende Arbeit als eklektisch angesehen werden – dieser Begriff ist hier keines-falls als negativ aufzufassen – , weil sie sich verschiedener, vor allem se-mantisch und / oder kognitiv ausgerichteter Theorien und Ansätze be-dient – von der klassischen Merkmalsemantik bis hin zur Prototypense-mantik – und von der Prämisse ausgeht, dass es nur auf diese Weise möglich sein kann, eine Definition der Kollokationen zu erarbeiten, die diesem hochinteressanten und facettenreichen Phänomen in seiner gan-zen Komplexität und Vielfalt gerecht wird.