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Blute vorfinden. Dazu dienen Milch, Eier, Obst, grüne Gemüse und als Getränk kalkreiches Trink- oder Mineralwasser. Jede Überfütte- rung mit Fleisch, Kartoffeln und weichen Mehlspeisen muß vermieden werden. Das billigste und beste Nahrungsmittel ist und bleibt har- tes Brot. Jeder Nahrungsbissen sollte dreißig- bis vierzigmal gekaut werden, ehe man ihn hinabschluckt. Wer schon in frühester Kindheit seine Kauwerkzeuge kräftig gebraucht, dessen Zähne, Kieferknochen, Kaumuskeln und Speicheldrüsen bilden sich zu einem hohen Grade von Vollkommenheit aus. Auch beim Erwachsenen erhält das aus- giebige Kauen von hartem Brote das Zahnfleisch gesund und reinigt die Zähne besser als Zahnbürste und Mundwasser. Das Endziel jeder Mundpflege heißt peinlichste Sauberkeit. Der Zahnleidende säubert seine Mundhöhle mit Hilfe von Zahnbürsten, Zahnstochern und Spülungen. Zuerst spüle man den Mund aus, um die gröbsten, lose sitzen- den Speisereste zu entfernen. Dann befeuchte man die Bürste, nehme einen Schluck blutwarmer Spülflüssigkeit in den Mund, beiße die Schneidekanten der Vorderzähne aufeinander und putze die Außen- flächen der Zähne bei geneigtem Kopfe vorwiegend in senkrechter Richtung auf und ab. Nun öffne man den Mund recht weit und bürste auch die Innenflächen und Kauflächen der Zähne sorgsam ab. Nachdem die Zähne gereinigt sind, kommt die Mundschleimhaut und die Oberfläche der Zunge an die Reihe. Es schadet nichts, wenn die Schleimhaut anfangs etwas blutet. Durch die sanfte Massagebehand- lung mit einer mittelweichen Zahnbürste wird das Zahnfleisch bald so sehr gekräftigt, daß es an den Zähnen straff anliegt. Während des Bürstens an den verschiedenen Stellen des Mundes sollte man stets einen Schluck Spülwasser im Munde behalten, damit der abgebürstete Schmutz von dem Wasser aufgenommen und mit ihm ausgespien werden kann. Wenn man langsam mit dem Munde Luft einzieht, den Kopf entsprechend neigt und eine kleine Bürste benutzt, dann ge- lingt es schließlich jedermann, unter steter Mundwasserbefeuchtung zu bürsten. Zahnbürsten sollen sehr sauber gehalten werden, indem man sie nach jedesmaligem Gebrauche gründlich auswäscht und hernach zum raschen Trocknen an die Luft hängt. Die engen Spalträume zwischen den einzelnen Zähnen werden am besten mit einem dünnen, elastischen Zahnstocher gesäubert. Da die mechanische Mundreinigung an und für sich durchaus keine Maßnahme ist, die ein besonderes Vergnügen bereitet, so emp- fiehlt man schon seit Jahrhunderten aus erzieherischen Gründen wohl- riechende und angenehm schmeckende Mundwässer anstatt des ge-

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Page 1: Blute vorfinden. Dazu dienen Milch, Eier, Obst, grüne Gemüse und · 2008. 3. 29. · Blute vorfinden. Dazu dienen Milch, Eier, Obst, grüne Gemüse und als Getränk kalkreiches

Blute vorfinden. Dazu dienen Milch, Eier, Obst, grüne Gemüse undals Getränk kalkreiches Trink- oder Mineralwasser. Jede Überfütte-rung mit Fleisch, Kartoffeln und weichen Mehlspeisen muß vermiedenwerden. Das billigste und beste Nahrungsmittel ist und bleibt har-tes Brot. Jeder Nahrungsbissen sollte dreißig- bis vierzigmal gekautwerden, ehe man ihn hinabschluckt. Wer schon in frühester Kindheitseine Kauwerkzeuge kräftig gebraucht, dessen Zähne, Kieferknochen,Kaumuskeln und Speicheldrüsen bilden sich zu einem hohen Gradevon Vollkommenheit aus. Auch beim Erwachsenen erhält das aus-giebige Kauen von hartem Brote das Zahnfleisch gesund und reinigtdie Zähne besser als Zahnbürste und Mundwasser.

Das Endziel jeder Mundpflege heißt peinlichste Sauberkeit. DerZahnleidende säubert seine Mundhöhle mit Hilfe von Zahnbürsten,Zahnstochern und Spülungen.

Zuerst spüle man den Mund aus, um die gröbsten, lose sitzen-den Speisereste zu entfernen. Dann befeuchte man die Bürste, nehmeeinen Schluck blutwarmer Spülflüssigkeit in den Mund, beiße dieSchneidekanten der Vorderzähne aufeinander und putze die Außen-flächen der Zähne bei geneigtem Kopfe vorwiegend in senkrechterRichtung auf und ab. Nun öffne man den Mund recht weit undbürste auch die Innenflächen und Kauflächen der Zähne sorgsam ab.Nachdem die Zähne gereinigt sind, kommt die Mundschleimhaut unddie Oberfläche der Zunge an die Reihe. Es schadet nichts, wenn dieSchleimhaut anfangs etwas blutet. Durch die sanfte Massagebehand-lung mit einer mittelweichen Zahnbürste wird das Zahnfleisch bald sosehr gekräftigt, daß es an den Zähnen straff anliegt. Während desBürstens an den verschiedenen Stellen des Mundes sollte man stetseinen Schluck Spülwasser im Munde behalten, damit der abgebürsteteSchmutz von dem Wasser aufgenommen und mit ihm ausgespienwerden kann. Wenn man langsam mit dem Munde Luft einzieht,den Kopf entsprechend neigt und eine kleine Bürste benutzt, dann ge-lingt es schließlich jedermann, unter steter Mundwasserbefeuchtung zubürsten.

Zahnbürsten sollen sehr sauber gehalten werden, indem man sienach jedesmaligem Gebrauche gründlich auswäscht und hernach zumraschen Trocknen an die Luft hängt. Die engen Spalträume zwischenden einzelnen Zähnen werden am besten mit einem dünnen, elastischenZahnstocher gesäubert.

Da die mechanische Mundreinigung an und für sich durchauskeine Maßnahme ist, die ein besonderes Vergnügen bereitet, so emp-fiehlt man schon seit Jahrhunderten aus erzieherischen Gründen wohl-riechende und angenehm schmeckende Mundwässer anstatt des ge-

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wöhnlichen Wassers. I n den letzten Jahrzehnten hat man diesenMundwässern außerdem noch spaltpilzfeindliche Stoffe zugefügt, umdadurch das übermäßige Wachstum der säurebildenden Mundspaltpilzezu hemmen. Leider haben die meisten Gegenmittel irgendeine schäd-liche Nebenwirkung, die ihren dauernden Gebrauch unmöglich macht.Als ein sehr gutes und zugleich billiges Mundwasser hat sich die ein-prozentige Kochsalzlösung bewährt, die den Mundschleim leicht löst undnebenbei eine hinreichend starke spaltpilzfeindliche Wirkung entfaltet.Man nimmt ¼ Liter Wasser und einen Fingerhut voll Salz dazu.

Sehr häufig lagern sich auf den Zähnen unsaubere Beläge ab,die mit Bürste und Spülwasser allein nicht wegzubringen sind. Dawerden nun Zahnpflegemittel in Gestalt von Pulvern oder Pasten an-geboten, die die Zähne angeblich in kurzer Zeit blendend weiß machensollen. Vor allen diesen Mitteln kann nicht eindringlich genug ge-warnt werden, da sie den Zahnschmelz entkalken. Schmutzige Belägemüssen langsam weggeputzt werden mit Hilfe von guten Zahnpulvern,die in der Hauptsache aus allerfeinstem gefälltem kohlensauerm Kalkbestehen.

Leute mit mangelhaft gebauten Zähnen sollten ihre Zähne nachjeder Nahrungsaufnahme reinigen, besonders dann, wenn sie Mehl-speisen, Zuckerwaren oder feines Gebäck genossen haben. Auch beiMagenleidenden und Schwerkranken muß besonders sorgfältig aufdie Mundpflege geachtet werden. Vor allen Dingen aber soll mandie Mundreinigung abends vor dem Schlafengehen vornehmen. Diesäurebildenden Spaltpilze entfalten ihre verderblichste Tätigkeit geradewährend der Nachtruhe, wenn kein Speichelstrom vorhanden ist, dertagsüber die neugebildeten Mundsäuren immer wieder wegzuspülenvermag.

Sorgsame Zahnpflege in der Jugend verhütet viel Schmerzenund Unannehmlichkeiten und erspart manchen Leuten ein kleinesVermögen, das späterhin für künstliche Gebisse, für den Arzt und denApotheker oder für entgangenen Arbeitsgewinn geopfert werden muß.

102. Erste Hilfe bei Unglücksfällen.Von Friedrich von Esmarch.

1.Es war an einem schönen Sommertage, als auf schaumbedeck-

tem Rosse ein Reiter vor mein Haus sprengte mit der Nach-richt, daß auf einem großen Gute, das mehr als zwei Meilenvon hier entfernt liegt, der einzige Sohn der Besitzerin, einerWitwe, in den Teich gefallen und ertrunken sei. Sie ließ michbitten, so rasch wie möglich zu ihr zu kommen. Ich ließ sofort

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anspannen und fuhr, was die Pferde laufen konnten, hinaus, aller-dings ohne Hoffnung, noch helfen zu können; denn vor zwei Stundenkonnte ich kaum an Ort und Stelle des Unglücks sein. Als ich ein-traf, kam mir die Mutter jubelnd entgegen mit der Nachricht, daßder Knabe gerettet sei.

Es ward mir folgendes berichtet: Der zehnjährige wilde Knabehatte trotz des Verbotes einen Kahn bestiegen, der auf einem tiefenTeich im Garten lag, und hatte, wie Kinder es gern tun, darin solange geschaukelt, bis der Kahn umgeschlagen und der Knabe insWasser gefallen war. Ein Gärtner, der in der Nähe arbeitete, warsogleich in den Teich gesprungen; doch war es ihm erst nach zehnMinuten gelungen, den Knaben vom Grunde des Teiches herauf-zuholen. Als die Mutter herankam und den Knaben totenblaß undleblos auf dem Rasen am Rande des Teiches hingestreckt liegensah, gab sie sich der wildesten Verzweiflung hin. Der Ruf nachärztlicher Hilfe war natürlich für den Augenblick vergeblich. DieBewohner des Gutes eilten von allen Seiten herbei, unter ihnenein alter Schäfer, der in dem Rufe stand, allerlei ärztliche Kennt-nisse zu besitzen. Dieser machte auch sogleich Vorschläge zu Wieder-belebungsversuchen: er riet, das Kind bei den Beinen in die Höhezu nehmen und mit dem Kopfe nach unten so lange zu schütteln,bis das Wasser aus dem Körper wieder entfernt sei; dann abermüsse man den Knaben so lange reiben, bis die Wärme wieder-kehre, und wenn dadurch das Leben nicht zurückgerufen werde, seialle Hilfe vergebens.

Da trat eine junge Dame, die erst seit wenigen Wochen alsErzieherin im Hause war, vor und erhob bescheiden, aber mit großerBestimmtheit Einspruch gegen die vorgeschlagenen Maßregeln. Siehabe erst vor kurzem an dem Unterrichte in einer Samariterschuleteilgenommen und dort gelernt, wie man sich bei Rettungsversuchenan scheinbar Ertrunkenen zu verhalten habe. Das, was der Schäfervorgeschlagen, sei durchaus nicht zweckmäßig. Wenn man ihr ge-statten wolle, das Erlernte hier anzuwenden, so hoffe sie, daßes noch möglich sei, den Knaben ins Leben zurückzurufen. DieRuhe und Zuversicht, mit der das junge Mädchen gesprochen hatte,flößten der verzweifelten Mutter neue Hoffnung ein. Sie bat dieErzieherin, alles zu tun, was sie für nötig halte. Der erste Rat war,einen Eilboten nach der Stadt zu schicken, um den Arzt zu holen;dann ließ die Erzieherin einige wollene Decken anwärmen. Nunlegte sie sofort selbst Hand an, indem sie das Hausmädchen auf-forderte, ihr Hilfe zu leisten. Mi t einigen Scherenschnitten trenntesie Jacke und Hemd des Verunglückten und streifte die Kleider vom

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Oberkörper völlig ab; mit einem Taschentuch entfernte sie denSchlamm, der sich im Munde befand, zog die Zunge hervor undband deren Spitze mit dem Taschentuch auf dem Kinn fest; dannbegann sie mit dem Hausmädchen die künstlichen Atembewegungenauszuführen, wie sie es in der Samariterschule gelernt hatte. I nstets gleichem Zeitmaße wurde durch Erheben der Arme bis überden Kopf der kleine Brustkasten möglichst weit ausgedehnt unddann wieder durch Senken der Arme und Druck auf die Seiten-flächen der Brust zusammengedrückt. Mit deutlich hörbarem Ge-räusch drang der Luftstrom ein und aus; aber das Kind lag blaßund leblos, wenn die beiden Mädchen, ermattet von der Anstrengung,auf Augenblicke ihre Bemühungen aussetzten.

Eine Viertelstunde nach der andern verging; immer mehrschwand die Hoffnung der Mutter und der Umstehenden. E n d l i c h ,nachdem mehr als eine Stunde lang die Bewegungen fortgesetztwaren, schrie plötzlich das junge Mädchen auf: „Jetzt hilft es! Erfängt an zu atmen!" Und siehe da, als sie mit den Bewegungeneinhielten, hob sich die kleine Brust von selbst, und eine lichte Rötefärbte die blassen Wangen. Lauter Jubel der Umstehenden erhobsich; aber die beiden Helferinnen ließen noch nicht nach und setzten,obwohl aufs äußerste erschöpft, ihre Bemühungen unablässig fort,bis die Wangen sich lebhafter röteten und der Kleine plötzlich dieAugen aufschlug. Nun wurden auf Geheiß der jungen Samariterindie gewärmten Decken herbeigebracht, in die der Kleine nach Be-seitigung der übrigen Kleidungsstücke eingehüllt, und mit denen erdann tüchtig gerieben wurde. Der Kleine fing an zu sprechen undverlangte etwas zu trinken. Man flößte ihm warmen Tee ein undtrug ihn nun in Decken gehüllt ins Haus und in sein Bett, wo eralsbald in einen tiefen, gesunden Schlaf f iel. Als ich zwei Stundenspäter an sein Bett trat, klagte er über nichts mehr.

2.Wie oft werden die unzweckmäßigsten Mittel angewandt, das

Blut zu stillen, weil die Leute keine Vorstellung davon haben, wo-her das Blut kommt, und nur von allerlei Blutstillungsmitteln ge-hört haben, die sich in diesem oder jenem Falle bewährt habensollen. Den größten Ruf besitzt unter den Laien das Spinnge-webe, und man beeilt sich, aus dem staubigsten Winkel möglichstviel von diesem unsaubern Stoffe herbeizuholen und in die Wundenzu stopfen.

Wenn das nicht hilft, so kommt der Feuerschwamm an dieReihe oder ein alter schmutziger Waschschwamm, der in die Wundehineingepreßt wird. Nicht selten aber sind Leute da, die gehört

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oder gesehen haben, daß man durch Druck jede Blutung stillenkönne. Wo und wie aber dieser Druck anzuwenden sei, das habensie niemals gelernt, und so wird oft ein Druck an der unrichtigenStelle und in der unzweckmäßigsten Weise angebracht, so daß erdie Blutung nur noch verschlimmert, statt zu hemmen.

Mit jedem Jahre mehren sich aber die Fälle, in denen esNichtärzten, die den Samariterunterricht genossen, gelungen ist, durchzweckmäßig angebrachten Druck den Verblutungstod zu verhüten.

Als Beispiel erzähle ich das folgende Ereignis, das ein Arztkürzlich mitteilte:

I n einer Holzbearbeitungsfabrik, die in nächster Nähe einergroßen Stadt viele Arbeiter beschäftigt, hatte einer von ihnen dasUnglück, mit seiner rechten Hand einer Kreissäge, die sich in ra-sender Geschwindigkeit um ihre Achse drehte, zu nahe zu kommen.I m Nu war der Unterarm dicht oberhalb des Handgelenkes samtdem Knochen so durchsägt, daß die Hand nur noch an einem Haut-lappen hing. Aus zwei Pulsadern des Vorderarmes spritzte dasBlut in weitem Strahle. Man schrie nach H i l f e . E i n i g e liefenzum Arzte; aber dieser wohnte weit entfernt, war anfangs auchnicht zu finden und traf erst nach einer Stunde ein. Zum Glückbefand sich in dem Maschinenraum ein Arbeiter, der an dem Sama-riterunterricht teilgenommen hatte, und da er seit jenem Unterrichteden von Esmarch angegebenen Hosenträger trug, so nahm er ihnschleunigst ab, befreite ihn von seinen Schnallen und legte ihn, wieer es gelernt und geübt hatte, so fest um den Oberarm, daß dieBlutung sofort gestillt wurde. Dann hüllte er die verletzte Handin eine reine Serviette, die er mit schwacher Karbollösung befeuchtethatte, und lagerte den Verwundeten, der ohnmächtig geworden war,zweckmäßig auf eine schnell herbeigeschaffte Matratze. Als nach einerStunde der Arzt anlangte und den Verband und die Serviette ab-nahm, suchte er zunächst die beiden Pulsadern in der Wunde auf,um sie zu unterbinden. Da sie sich aber zurückgezogen hatten, solöste er den Gurt, mußte ihn aber sogleich wieder umlegen, da dasBlut mit großer Gewalt aus beiden Adern hervorspritzte. Er fandnun leicht die durchschnittenen Adern, unterband sie, nähte die ge-trennten Sehnen und Nerven aneinander und legte einen Verbandan, wobei ihm der Samariterarbeiter geschickt Hilfe leistete.

Die schwere Wunde heilte ohne Eiterung, und es ist zu hoffen,daß der Verunglückte eine brauchbare Hand behalten wird. Wärenicht ein geschulter Helfer in der Nähe gewesen, so hatte höchst-wahrscheinlich der Verwundete sich vor Ankunft des Arztes ver-blutet.

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103. Von der Quacksalberei.Wer soll uns sagen, was wir tun und meiden müssen, um gesund

zu bleiben, oder was in Tagen der Krankheit anzuwenden ist,um gesund zu werden? Das soll der Arzt tun, aber niemals derKurpfuscher oder Quacksalber.

Ein Kurpfuscher hat den Bau und die Tätigkeit des Körpersnicht regelrecht kennen gelernt, gleichwohl wi l l er am kranken Kör-per Herumkurieren, ohne festen Grund und sicheres Ziel. Wie vieleKurpfuscher haben ihr Talent zum Kurieren erst entdeckt, nachdem siein ihrem früheren Berufe Schiffbruch gelitten hatten!

Der Kurpfuscher richtet sich Zumeist nach den äußeren Erschei-nungen der Krankheit. Wie oft aber zeigen verschiedene Krank-heiten bei oberflächlichem Zusehen täuschend ähnliche äußere Erschei-nungen! Umgekehrt kann auch ein und dieselbe Krankheit sehrmannigfach nach außen in Erscheinung treten. Welche Fehler mußdann jener begehen, der lediglich nach dem äußeren Schein urteiltund danach seine Maßnahmen trifft! Das kann natürlich nur zumSchaden des Kranken ausfallen.

Unerläßlich für die Erkenntnis einer Krankheit ist die Unter-suchung des kranken Körpers; unerläßlich im Verlaufe der Krank-heit ist seine sorgfältige Beobachtung. Deshalb ist jede Form derFernbehandlung durch Briefe, durch die Briefkasten der Zeitungenund Familienblätter oder durch Zeitungsanzeigen vom Übel.

Manche Kurpfuscher wollen durch Zaubersprüche Warzen ent-fernen, Blutungen stillen und die Fallsucht oder den Krebs heilen;andere preisen Geheimmittel an, die bei näherer Untersuchung garkeinen Wert haben und doch viel kosten.

Viele Leute wenden sich aus Unwissenheit an den Kurpfuscher,andere aus falscher Scham oder aus Furcht vor einer Operation.Gerade der Gebrauch von Quacksalbereien verzögert sehr häufig dierechtzeitige Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe. Und doch ist die wis-senschaftliche Medizin so reich an Hilfsmitteln. Sie gebraucht Luft,Licht, Wasser, Elektrizität, Klima, Diät, die Heilstoffe der Pflanzen,die Heilquellen des Bodens. Ja sogar die krankheiterregenden Ba-zillen stellt sie in den Dienst des Heilverfahrens, indem sie das Heil-serum bereitet. Je nach der Art der Krankheit weiß sie das rechteMittel zu geben, wenn nur der Kranke rechtzeitig die Hilfe desArztes begehrt.

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104. Sprichwörter und Sinnsprüche.1. Ein frohes Herz, gesundes Blut ist besser als viel Geld und Gut.2. Die Gesundheit schätzt man erst, wenn man sie verloren hat.3. Krankheit kommt zu Pferd geritten

Und geht davon mit Schneckenschritten.4. Wo die Sonne nicht hin kommt, kommt bald der Arzt hin.5. Arbeit, Mäßigkeit und Ruh' schließt dem Arzt die Türe zu.6. Den Kopf halt kalt, die Füße warm,

Das macht den besten Doktor arm.7. Tu deinem Bauche nichts zugut,

Er ist ein undankbarer Gast;Wer ihm am meisten gütlichtut,Dem fällt am meisten er zur Last. Rückert

8. Gesund an Leib und See!' zu sein,Das ist der Quell des Lebens;Dann strömet Lust durch Mark und Bein,Die Lust des rechten Strebens. Voß.

105. Der größte Betrüger. Von Wilhelm Bode.Der Alkohol ist der größte Betrüger der W e l t . E r betrügt uns

zuerst, indem er sagt: „ Ich mache euch stark, ich helfe euchbei der Arbeit."

Viele glauben, sie könnten die schwere Arbeit in ihrem Be-rufe nicht ohne ihr Schnäpschen verrichten. Sie bedenken nicht, daßdie Welt Jahrtausende gestanden hat, ehe der Schnaps erfundenwurde; er ist in Deutschland erst vierhundert Jahre bekannt undrecht verbreitet erst seit etwa 120 J a h r e n . D i e wunderbaren Bau-werke des Altertums und des Mittelalters, die Pyramiden im ägyp-tischen Sande, die Burgen auf hohen Felsen, die Paläste und Domein alten Städten sind ohne ihn gebaut. Die Soldaten werden zuStrapazen erzogen, die oft hart an die Grenze des Menschenmög-lichen gehen; man gibt ihnen aber auf den Märschen keine berau-schenden Getränke mehr, man verbietet den Schnaps, rät den Kaffeean, und zur Durstlöschung dient Wasser mit Essigessenz. UnsereRadfahrer muten sich in ihrem Eifer und Übereifer auch oft An-strengungen zu, die einem Arbeiter selten geboten werden; sie setzenja nicht selten Gesundheit und Leben ein, um den Sieg zu erringen.Diese Radfahrer sind sonst vielleicht keine Feinde des Trinkens, aberwenn sie etwas leisten müssen, da mag keiner von Bier und Schnaps

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etwas wissen, da trinken sie Wasser, Milch und Limonade, wenn sieüberhaupt etwas trinken. Und die Rennfahrer enthalten sich wäh-rend Wochen und Monaten, wenn sie ihr sogenanntes Trainingdurchmachen, ganz aller geistigen Getränke, um recht stark und lei-stungsfähig zu werden. Ähnliches könnte ich von Bergbesteigern,von Afrikaforschern und Nordpolreisenden erzählen. Wir sehen über-all, die wirklichen Kenner von großen körperlichen Strapazen leh-ren Enthaltung von Alkohol vor und während der Anstrengung.Was Nansen am Nordpol und Livingstone in der Glut des Äquatorserfuhren, das gilt auch für unsere gemäßigten Zonen: der Alkoholtaugt nicht für die, die Großes leisten wollen.

Vielleicht denkt mancher: Ich habe es aber doch selbst gespürt,daß nach einem Schluck Branntwein meine Arbeit flotter vonstattenging, daß ich etwas leisten konnte, wozu ich eben vorher zu mattwar. Aber hier eben zeigt sich der Alkohol als der große Betrüger.Er gibt nicht in Wahrheit neue Kraft, sondern er betäubt nur dasMüdigkeitsgefühl, er stärkt augenblicklich unsern Willen und reiztuns dadurch zu neuer A n s t r e n g u n g . E r wirkt geradeso wie diePeitsche beim Pferde; sie ist für den Augenblick nützlich. Aber derFuhrmann, der seinem Pferde mit der Peitsche auf die Dauer Kraftverleihen wollte, würde ein großer Narr sein. Wirkliche Kraft gebenaußer der Übung nur eine gute Ernährung und ausreichende Ruhe.Daß der Alkohol vorübergehend Kraft freimacht, aber nicht verleiht,ist richtig, aber er bewirkt sehr bald danach eine viel größere Er-schlaffung und Ermattung; sein Schaden ist größer als sein Nutzen.Man kann sich allerdings über die Erschlaffung wieder hinwegbrin-gen durch einen Schnaps, dann kann man wieder weiterarbeiten.Aber wer diese Methode fleißig übt, der wird sehr bald aus einemGelegenheitstrinker ein Gewohnheitstrinker, aus einem Trinker einSäufer, und wie stark so ein Schnapser schließlich noch ist, daswissen wir alle; da kann ein Kind einen Riesen umwerfen. Werbei der Arbeit oder sonst ein Erregungsmittel wirklich braucht, derwähle Kaffee, Tee, Fleischbrühe oder Zucker. Sie wirken zwar nichtso stark, aber sie haben auch nicht die Gefahren des Alkoholgiftes.

„Ich erwärme euch", ist die zweite Lüge des Alkoholgeistes.Es ist richtig, daß der Alkohol im Körper verbrennt und dadurchWärme erzeugt, aber er hat zugleich die Eigenschaft, das Blut nachaußen zu den Wandungen des Körpers zu treiben und dort dieBlutgefäße der Haut zu erweitern, so daß sie die Wärme schnellabgeben. Dadurch vermindert er die Körperwärme, statt sie zuerhöhen. Deshalb erfrieren auch die Schnapstrinker am häufigsten,weil sie sich von dieser ersten Hitze täuschen ließen. Wenn von Na-

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poleons Soldaten in Rußland so viele erfroren, so war das wenigerder Kälte als dem Branntwein zuzuschreiben. Der Nichttrinkerverwendet sein Geld zu warmer Kleidung und kräftiger Ernährung,und das sind die wahren Wärmespender. Man denke nur an dentapfern Norweger Frithjof Nansen! Er hat niemals ein geistigesGetränk für die Ernährung oder Erwärmung gestattet. Ich habeeinen Brief von ihm in Händen gehabt, in dem er die Ansicht, al-koholische Getränke seien in einem kalten Lande notwendig, als völ-lig falsch bezeichnet.

Hören wir weiter, was der Erzschelm Alkohol zu uns sagt:„Ich mache euch gesund." Als Heilmittel gegen alle möglichenKrankheiten, als Kräftigungsmittel gegen alle möglichen Schwächenwerden ja die verschiedensten Schnäpse, Liköre, Biere und Weineempfohlen. Aber welcher Arbeiter wird wohl eher die Schwindsuchtbekommen? Der eine verbringt seine freie Zeit in Wald und Feld,vielleicht in seinem kleinen Garten und trinkt Milch und Wasser zuseinem Brote, der andere sitzt die Abende und halben Nächte, diehalben oder ganzen Sonntage in dem Tabaksqualm der Kneipen beiLagerbier und Schnaps. Und wie bei der Schwindsucht, so hilftder Trunk fast bei allen Krankheiten mit.

Es gibt wenig Organe unsers Körpers, denen der Alkoholnicht schweren Schaden zufügt. Schon die Kehle, die ihn schluckenmuß, verdirbt er; sie schmerzt und klingt rauh und heiser. I mMagen bewirkt er Entzündungen, Blutergüsse, Geschwüre. A l l e Trin-ker leiden am M a g e n . D e r Trinker ißt nicht bloß in vielen Fällenzuwenig, er ißt auch falsche, unzuträgliche Speisen. Er verliertden Appetit für milde, süße, natürliche Nahrungsmittel, er magoder verträgt Obst, Milch, Pflanzenkost nicht mehr; er verlangtimmer nach scharf gesalzenen und gepfefferten Sachen, nach rechtenWirtshausspeisen, die wieder zum Trinken reizen. Dem Wasser-trinker schmecken eine Milchsuppe, ein Erbsenbrei, ein Apfel herrlich,so gut wie sie dem unverdorbenen Kinde schmecken; der Lagerbier-und Schnapstrinker kennt diesen Genuß nicht mehr, er verdirbt sichweiter mit scharf gewürzten Fischspeisen oder mit Paprikafleisch.

Wie der Magen, so leiden auch Leber und Nieren. Die Leberwird bei Bier- und Weißweintrinkern krankhaft aufgedunsen, beiSchnapstrinkern schrumpft sie zusammen zu der bekannten Schnaps-trinkerleber, die eine sehr häufige Krankheit ist. Die daran leiden,find durch ihre erdfahle Farbe und große Magerkeit erkenntlich.Die Nieren dienen zur Auslaugung unsers Körpers, zur Entfernungaller überflüssig und schlecht gewordenen Blutbestandteile; ihr zartesGewebe verträgt den Alkohol schlecht; auch diese Organe werden auf-

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gedunsen, oder sie verschrumpfen, und damit hängt oft die Wasser-sucht oder ein anderes Leiden zusammen.

Sehr gefährdet wird namentlich auch das Herz, von dessenArbeit in erster Linie unser Leben abhängt. Hier ist das Vieram gefährlichsten. Die starken Biertrinker bedenken nicht, daß sieganz unsinnige Mengen Flüssigkeit in den Leib gießen; diese großeWassermasse — denn neun Zehntel des Bieres oder mehr sindWasser — muß in die Adern aufgenommen, durch den Körper ge-trieben und schließlich durch Lunge, Haut und Nieren wieder aus-gestoßen werden. Das erfordert aber eine Arbeit des Herzmuskels,die er auf die Dauer nicht verrichten kann. Da geht es dem Herzenbald wie einem übermäßig angespannten Gummibande; es verliertdie Kraft, sich gehörig einzuziehen und auszudehnen.

Noch schlimmer ist der Einfluß des Alkohols auf das Ge-hirn und die N e r v e n . D e r Alkohol ist in erster Linie ein Nerven-g i f t . D e r Rausch ist eine vorübergehende Vergiftung; beständigesTrinken führt zu beständiger Vergiftung. Wie manches Vergehenund Verbrechen kommt doch von dieser Vergiftung des Denkensund Fühlens her! Woher kommen die Schlägereien, Messersteche-reien und Morde? Gewiß nicht allein vom Rausche und Trunke, son-dern auch von der Sünde in uns, von dem Neide, der Eifersucht,dem Hasse, dem Zorn und der Begehrlichkeit; aber in den meistenFällen würde das Verbrechen nicht ganz fertig werden, wenn nichtder Alkohol als der große Bundesgenosse mithülfe, wenn er nichtdie Sinne erregte, das Gewissen betäubte und die guten Regungeneinschläferte.

Der Alkohol ist auch der beste Diener des T o d e s . D i e gro-ßen Schlachten und Kriege, auch die großen ansteckenden Krank-heiten, wie Cholera, Influenza und Pest, sind nichts gegen ihn;denn er ist jeden Tag, jede Stunde am W e r k e . E r macht seineFreunde vor der Zeit alt, dreißigjährige junge Menschen zu Greisenan Leib und Seele; er streckt sie vor der Zeit auf das Totenbett.

Nun hören wir den Alkohol seinen letzten Trumpf ausspielen:„Ich mache fröhlich und lustig." Aber auch hier ist er keinWohltäter, sondern ein Betrüger. Er lügt uns vor, wenn wir beimBecher sitzen, wir seien brave, vollkommene Menschen, wir seien ganzim Recht, aber alle Welt tue uns unrecht, wir seien die Königeder Welt. Und während wir eingebildetes Glück genießen, schaffenwir Elend um uns herum, Elend für andere, Elend auch für unsselbst. „Der Trunk nimmt die Sorgen, aber nur bis morgen."Der Trinker hat zwar manche lustige Stunde, aber doch ein elendesLeben; alles in allem ist der fleißige, sparsame Arbeiter viel fröh-

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licher, heiterer, glücklicher als der trinkende A r b e i t e r . D e r fleißigeArbeiter sieht sich häufig von Wohlstand, Gesundheit, Behagen undFamilienglück umgeben — der Trinker von Armut, Krankheit, Ver-druß und Familienelend. Der nüchterne Mann wird geachtet undgeliebt, der Trinker wird verachtet und gehaßt.

106. Sprichwörter und Sinnsprüche.1. I m Becher ertrinken mehr als im Meere.2. E s trinken Tausende den Tod , eh' einer stirbt in Durstesnot.3. Al le Morgen Branntewein macht den großen Taler klein.4. Junger Trinker, alter Bettler.5. Der Trunk n immt die Sorgen, aber nur bis morgen.6. Die Karten und die Kanne machen manchen zum armen Manne.7. V ie l Zehren und Gasten leert Beutel und Kasten.8. Wo ein Wi r tshaus steht, kann kein Backhaus stehen.9. Halt rechtes M a ß in Speis' und Trank, so wirst du alt und

selten krank.10. I c h wollte den schönsten Schmuck meiner Krone gern hingeben,

wenn ich dafür mein Vaterland von der Herrschaft des Brannt-weins befreien könnte. König Oskar von Schweden.

11. Verderblich und einer der größten Feinde Deutschlands ist derAlkohol. E i n gesunder Mensch braucht überhaupt kein solchesReizmittel, und es für Kinder zu verwenden, ist geradezu fre-velhaft. Moltke.

12. Die Übel der Trunksucht sind in jetziger Zeit noch größer als dieÜbel des Krieges, der Pest und der Hungersnot zusammen.

Gladstone.

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Aus der Heimat.

107. Rheinfahrt. Von Martin Greif.Wimpel grüßen, Böller krachen,Lustig schwimmen wir im Rhein,Tiefe Boote, leichte NachenWollen uns Geleite sein.

2. Wohl, nun geht es rauschend weiter.Lachend Bild, wohin wir sehn,Die Gestade grün und heiterUnd dahinter Rebenhöh'n.

3. Städte mit den alten ZinnenLaden gastlich uns herzu,Burgen, die verlassen sinnen,Ragen einsam tief in Ruh'.

4. Überall in trauter NäheWinkt ein ander Bild herbei,Eh' ich alles übersehe,Ist es wie ein Traum vorbei.

108. Das Plätzchen vor der Tür.Wer so glücklich ist und ein Häuschen sein eigen nennt, der mache

sich ein Plätzchen vor der Tür zurecht, wo er ausruhen kann,wo auch der Nachbar nach getaner Arbeit sich hinsetzt, wenn er zueuch kommt. Glaubt mir, es spricht sich da wirklich viel tausendmalschöner als in der Stube. Und wenn ein Brunnen zur Seite ist,

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der rinnt und plaudert, so ist's noch schöner. Die Mutter muß abersorgen, daß das Plätzchen immer schön rein ist, damit es auch ein-ladet zum Sitzen.

Ich gehe so manchmal an niedlichen Häuschen vorüber, aberda ist keine Bank, wo man sich hinsetzen könnte. Ein paar alte Bret-ter, ein alter Karren und verschiedenes Gerümpel stehen davor,und auf großen Stangen hängt Bettzeug in nicht schönem Zu-stande. Da denke ich denn so bei mir: Wäre doch das Häuschenmit den alten Bäumen vor der Tür mein! Wie schnell würde ichmir hier ein Plätzchen zurechtmachen, um zu essen und mich aus-zuruhen! Ja, ich würde mir, wenn ich ein paar Groschen übrig-hätte, die Bank und den Tisch anstreichen lassen. Aber vor allemwürde ich das Gerümpel, den Karren und die Wäsche in den Hofschaffen, damit mein Häuschen schön aussähe. Ja, ich würde miran Feiertagen sogar weißen Sand streuen. O wie schön müßtedas sein! Leider aber nenne ich kein Häuschen mein. So kannich's selber nicht machen, sondern euch andern, Glücklicheren nurraten.

109. Mein Dörfchen.Ich rühme mir

mein Dörfchen hier.Denn schönre Auen,Als ringsumher

5 Die Blicke schauen,Blühn nirgends mehr.

Welch ein GefildeZum schönsten Bildefür Künstlers Hand!

10 Hier Felsenwand,Dort ÄhrenfelderUnd Wiesengrün,Dann blaue WälderDie Grenze ziehn.

15 An jener HöheDie SchäfereiUnd in der NäheMein Sorgenfrei!

Von Gottfried August Bürger.

So nenn' ich meine20 Geliebte kleine

Einsiedelei,Worin ich lebeZur Lust versteckt,Die ein Gewebe

25 Von Ulm' und RebeGrün überdeckt.

Dort kränzen SchlehenDie braune Kluft,Und Pappeln wehen

30 In blauer Luft.mit sanftem RieselnSchleicht hier gemachAuf SilberkieselnEin heller Bach;

35 fließt unter Zweigen,Die über ihn

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Sich wölbend neigen,Bald schüchtern hin,Läßt bald im Spiegel

40 Den grünen Hügel,Wo Lämmer gehn,Des Ufers BüschchenUnd alle FischchenIm Grunde sehn.

45 Da gleiten SchmerlenUnd blasen Perlen;Ihr schneller Lauf

Geht bald hinniederUnd bald herauf

50 Zur Fläche wieder.

So rühm' ich mirMein Dörfchen hier.Denn schönre Auen,Als ringsumher

55 Die Blicke schauen,Blühn nirgends mehr.

110. Der Rhein.Der Rhein hat seine Quelle in der Schweiz, wo die Berge mit

ihren weißen Häuptern in die Wolken hineinragen. Er entstehtaus den Eisfeldern und Gletschern am St. Gotthard. Ungestümwälzt er seine graugrünen Wasser in den Bodensee; hier werdensie beruhigt und geklärt. Bei Schaffhausen stürzt er sich über dieKlippen und Felswände des Juragebirges brausend und schäumendgegen 20 m in die Tiefe. Bis Basel können nur kleine Schiffe aufihm verkehren, und die Fahrt wird hier häufig durch Felsen undStromschnellen unterbrochen.

Von Basel ab wendet sich der Rhein nach Norden. Jetzt hater auf beiden Ufern deutsches Land zur Seite; in sanften Windun-gen durcheilt er die Oberrheinische Tiefebene. I m Osten wird die-ses Tal von dem langen Zuge des Schwarzwaldes und vom Oden-wald eingefaßt, im Westen wird es vom Wasgau und von derHardt begrenzt. Die ganze Talebene ist überaus fruchtbar; Ge-treide und edle Obstsorten wachsen in reicher Fülle; auch Weinund Tabak werden in der Oberrheinischen Tiefebene angebaut. Amlinken Ufer breitet sich das gesegnete deutsche Elsaß mit der Haupt-stadt Straßburg aus; weiter stromabwärts liegen die altehrwür-digen Städte Speier und Worms.

Zwischen dem Schwarzwald und dem Odenwald kommt derschiffbare Neckar aus Schwaben und vereinigt sich bei Mannheimmit dem Rhein, dessen Wasserfülle hier schon viermal so groß istwie beim Ausfluß aus dem Bodensee. Noch bedeutender als derNeckar ist der Main, der bis Bamberg hinauf, große Fahrzeugeträgt und bei der deutschen Reichsfestung Mainz in den Rheinmündet. Unterhalb Mainz rücken die Berge näher und bilden um

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den stillen Fluß her den gesegneten Rheingau. Da liegt Weinbergan Weinberg; zwischen ihnen beleben Obstanpflanzungen, insbe-sondere Nußbäume und Kastanien mit eßbaren Früchten, die Land-schaft; freundliche Dörfer, schmucke Städtchen, stattliche Landhäuserund Schlösser wechseln in diesem großen Fruchtgarten zwischenden Hügeln und den R h e i n u f e r n . A b e r noch sehenswerter sind dieRheinufer von Bingen an, Bingen gegenüber vom Niederwald her-ab schaut das berühmte Nationaldenkmal mit der Germania tief insRhein- und Nahetal hinein.

Die Strecke des Stromes von Bingen bis Bonn wird Mittel-rhein genannt. Auf der westlichen Seite tritt der Hunsrück mitseinen Felsen und Hügeln steil an den Rhein heran; auf der öst-lichen Seite bilden die Höhen des Taunus jäh abfallende Ufer-ränder. Diese Höhenzüge verengen das Tal so sehr, daß das Bettdes Rheines den ganzen Talgrund einnimmt; zwischen den Bergab-hängen und den Flußufern bleibt nur ein schmaler Streifen fürdie Verkehrsstraßen. Bei Bingen hat der Rhein das stärkste Gefälle,und sein Lauf geht über lauter Felsen dahin. Die bedeutendsteSteinbank ist im Binger Loch; hier zieht sich ein Felsenriff querdurch den Fluß hin. König Friedrich Wilhelm II I . ließ die Felsensprengen, so daß die Schiffe jetzt ohne Gefahr hindurchfahren können.

Und welch reges Verkehrsleben hat sich auf unserm Rhein ent-wickelt! Stöhnende Schleppdampfer ziehen schwerbeladene Fracht-schiffe zu Berg, breite Holzstöße schleichen zu Tal, behende Booteund leichte Fährnachen verbinden die Ufer miteinander, Fischerkähneschaukeln wie Nußschalen auf den Wellen, schwerfällige Bagger be-seitigen die Untiefen, und winkende Gäste blicken von stattlichenPersonendampfern fröhlich darein.

Nach seinem Eintritt in das enge Rheintal macht unserStrom so viele Krümmungen, daß wir den Lauf nicht weit verfol-gen können; vor den erstaunten Blicken entstehen immer neue Land-schaftsbilder. Freundliche Städte und Dörfer ziehen sich zwischendem Ufer und den Höhen hin; Weinreben zieren die Felsabhänge,zahlreiche Burgruinen schauen ernst von den Höhen herab, undneue Bergschlößchen grüßen friedlich ins Tal. Unterhalb der alter-tümlichen Stadt Bacharach überrascht uns der Anblick einer viel-türmigen Warte; es ist die Pfalz, die sich auf einem Felsen mittenim Strom erhebt. Dicht dabei liegt das Städtchen Kaub, wo inder Neujahrsnacht 1814 Fürst Blücher, der tapfere Degen, mit dempreußischen Heere über den Rhein fetzte, „dem Siege entgegen inFrankreich hinein". Noch weiter zu Tal stemmt sich der Loreleifelsenwie ein mächtiger Damm dem Strom entgegen, und vom linken

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Ufer grüßt uns über St. Goar hinweg von stolzer Bergeshöhe dieBurgruine Rheinfels. Von hier an treten die Berge immer mehrzurück; sie machen reichen Fluren Raum, und schattige Nußbäumeumgeben die Dörfer. Nicht weit von Boppard erscheint der in derGeschichte der deutschen Kaiser oft genannte Flecken Rhens mitseinem Königsstuhl. Hier versammelten sich die deutschen Kurfürstenzu wichtigen Beratungen und zur Königswahl. Von Rhens aussieht man die Burg Stolzenfels. Wahrhaft königlich und stolz er-hebt sie sich auf einem Bergkegel mit ihren hohen Mauern, Zinnenund Türmen, von denen schwarzweiße Fahnen wehen.

Stolzenfels gegenüber mündet bei Niederlahnstein die Lahnin den Rhein, Weiter abwärts am Zusammenflusse der Mosel mitdem Rhein liegt Coblenz in prachtvoller Gegend; gegenüber erhe-ben sich die Felsen der starken Feste Ehrenbreitstein, und vomDeutschen Eck leuchtet ein herrliches Denkmal Kaiser Wilhelms desGroßen weit in die Lande. — Nein:

„Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein— Ob sie wie gier'ge Raben sich heiser danach schrein —,Solang er ruhig wallend sein grünes Kleid noch trägt,Solang ein Ruder, schallend in seine Woge schlägt!"

Bei Remagen beginnt wieder eine der anmutigsten Gegenden desRheins. Steil und kühn erhebt sich hart am rechten Ufer derDrachenfels mit Burgruine und Schloß; ihm gegenüber liegt derGodesberg; beide bilden gleichsam das weite Tor zu dem engenRheintale, das wir bisher durchwandert haben. I n der Nähe sehenwir die düstere Ruine Rolandseck und unter ihr im Rhein die InselNonnenwerth mit einer katholischen Erziehungsanstalt für Mädchen.

Nun tritt der Strom für immer aus den Bergen heraus; derNiederrhein nimmt seinen Lauf durch eine weite Ebene, die immerflacher und gleichförmiger wird. Zunächst fließt er an der Univer-sitätsstadt Bonn vorüber. Eine prächtige Brücke verbindet die Stadtmit dem rechten Rheinufer. Reiche Getreidefelder und Obstanpflan-zungen begleiten den Rhein zu beiden Seiten bis nach Cöln hin.Zwei gewaltige Brücken überspannen hier den von Fahrzeugen allerArt belebten Strom. Die Stadt mit den hohen Domtürmen bietetdem Beschauer ein Bild, wie es schöner nur selten zu finden ist.Weiter nordwärts kommen wir an der Künstlerstadt Düsseldorf, andem großen Hafen von Duisburg-Ruhrort und an der Festung Weselvorbei, während Ruhr und Lippe Grüße aus Westfalen bringen.Immer breiter ist das Flußbett geworden, und zögernd tritt derdeutsche Strom unterhalb Emmerich in die vorgelagerten Nieder-lande ein. Hier entsendet er die Waal und den Leck zur Maas, die

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Neue Yssel und den Krummen Rhein zum Zuidersee und erreichtnur mit einem kleinen Arme, der Alter Rhein genannt wird, beiLeiden die Nordsee. Die Maas ist durch die Gewässer des Rheineszu einem mächtigen Strom angewachsen; sie fließt dicht an Rotter-dam vorüber und hat diese Stadt zu einer der bedeutendsten See-handelsstädte gemacht.

Vom Fels zum Meer hat der Rhein eine Strecke von 1200 kmzurückgelegt.

111 . Die Rheinschiffahrt. Von Düsing.Wer am Rheinufer wohnt und zu allen Tageszeiten, vom frühe-

sten Morgen bis neun Uhr abends, das bunte Treiben aufdem Wasser beobachtet, der kann in etwa die Bedeutung und Reg-samkeit der Rheinschiffahrt ermessen. Wenn nicht dichter Nebel einUnglück fürchten läßt, so ertönen schon beim frühesten Morgengrauendie Abfahrtsignale. Wenige Schläge an die Schiffsglocken rufen diegesamte Mannschaft aus den Betten der K a b i n e n . D i e Heizer eilenin die Maschinenräume. Bald steigen Rauchwolken aus den Kami-nen. Schiffseigentümer, Steuerleute und Knechte erscheinen auf demDeck. Ein neues Glockenzeichen ertönt. Die schweren Ankerkettenwerden rasselnd emporgezogen. Die Maschinen fangen an zu ar-beiten, und die Fahrt beginnt. Den ganzen Tag hindurch eilenstolze Fahrzeuge rheinab und rheinauf. Lange Schleppkähne, oft fünfbis sechs an der Zahl, im Innern und auf dem Deck mit Riesen-ladungen belastet, werden von starken Schleppdampfern durch dieWellen gezogen. Die größten Schleppkähne des Rheines tragen95000 Z e n t n e r . D i e Schlepper sind teils Rad-, teils Schrauben-dampfer. Die stärksten unter ihnen schleppen eine Gesamtlast von200000 Zentner. Andere Güterschiffe lassen sich durch Segel treiben.Man zählt mehr als 9000 Schleppkähne und Segelschiffe auf demRheine. Ihre Ladungen bestehen aus Kohlen, Koks, Getreide, Dün-ger, Erzen, Roheisen, Eisenwaren, Steinen, Steingut, Traß, Zement,Kalk, Obst, Mineralwasser, Holzdielen und Holzstämmen. Gegen25 Millionen Tonnen dieser Güter werden jährlich auf dem Rhein-strome befördert.

Stattlicher und schneller eilen die Güterdampfer mit ihrenStückgütern dahin. Die größten Dampfer dieser Art haben eineLänge von 85 m und tragen 975 t. Einige Güterdampfer beför-dern auch Personen.

Die stolzesten Fahrzeuge des Rheinstromes sind die Personen-boote. Unter ihnen ragen durch stattlichen Bau und vornehme

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Ausstattung die Salonboote hervor. Sie haben eine Länge bis zu83 m bei einer Breite bis 8,20 m. Gegen zwei Millionen Rhein-reisende werden jährlich durch Personenboote befördert. Ungefähr50 Dampfer dienen dem Rheinseeverkehr, d. h. sie fahren ihreGüter unmittelbar aus England, Rußland und den deutschen See-häfen zu den Rheinstädten. Sie laden jährlich ungefähr 200000 t.Die Gesamtzahl aller Rheindampfer beträgt mehr als 1300. EineAbwechslung in den regsamen Verkehr der Schiffe bringen die Holz-stöße, die von Schleppdampfern rheinab gezogen werden, Renn-und Fährboote, Ruderboote und Fischernachen suchen sich in dembunten Getriebe ihren Weg. Bis zum späten Abend, wenn dieDunkelheit Halt gebietet, dauert das Leben und Treiben auf denWogen fort. Selbst im Winter herrscht auf dem Rhein ein leb-hafter Schiffsverkehr. Nur zur Eiszeit, wenn die treibenden Schollenihnen Gefahr bereiten, flüchten die Schiffe in die Häfen.

Nicht immer war es so auf dem Rheine. Noch im Anfangedes 19. Jahrhunderts lag das Strombett wüst und unbefahrbarda. Seine Ufer waren ohne Einfassung; die Wassertiefe war inden einzelnen Strecken gar verschieden; spitze Felsen schauten keckaus den Fluten; tiefere Felsbänke durchquerten den Fluß; Schiff-mühlen lagen im Strome; Ponten sperrten den Weg; zahlreicheSchiffbrücken hemmten die Fahrt; Kiesmassen, gesunkene Holz-stämme und Steinblöcke lagerten auf dem Grunde. Erst nach denBefreiungskriegen, als die Rheinprovinz dem Königreiche Preußeneinverleibt war, begann für Deutschlands schönsten Strom einebessere Zeit. Planvoll und tatkräftig baute die preußische Ver-waltung das Rheinbett zu einer brauchbaren Wasserstraße aus,Felsen wurden gesprengt und weggeräumt; Schieferbänke wurdenmit schweren Fallmeißeln zerstampft; Baggermaschinen vertieftendie Stromrinne; Buhnen wurden eingebaut und Ufermauern er-richtet; alle Hindernisse der Fahrt wurden bis auf wenige Schiff-brücken entfernt. Mehr als 20 Millionen Mark kosteten dieseArbeiten. Die geringste Mittelwasserbreite, bei Bingen, beträgtheute 230 m, die geringste Tiefe des Fahrwassers 2 m. ZurVerwaltung der Rheinstrombauten wurde eine besondere Behördeeingesetzt.

So ist der Rhein unter der Fürsorge der preußischen Königezu der bedeutendsten Verkehrsstraße zwischen Nord- und Süddeutsch-land ausgebaut worden. Wir dürfen es als Zeichen der Dank-barkeit betrachten, daß eine große Anzahl der Rheinschiffe ihreNamen von den ruhmreichen Zollernfürsten und unsern größtenStaatsmännern entlehnt hat.

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112. Rheinische Weinlese. Von Karl Hessel.Stundenlang kämpft allmorgendlich die Oktobersonne mit dem

dicken weißen Nebel, der über dem Flußtale wogt. Istsie aber endlich siegreich durchgedrungen, dann liegt sie dafürauch den Rest des Tages so heiß über der Gegend, daß wiruns in die Sommerzeit versetzt glauben. Die Weinberge sindlängst geschlossen, selbst den Eigentümern ist der Zutritt ver-wehrt; die einzelnen „Wingerte" sind ja nicht durch Heckenund Zäune voneinander abgegrenzt; darum ist diese Maßregelüblich geworden. Nur einmal wöchentlich ist „Wingertstag";da darf jeder zuschauen, welche Fortschritte seit acht Tagenseine Trauben gemacht haben. Es ist eine edle Frucht,darum entwickelt sie sich auch so langsam. Erst Ende Juniblüht der Wein, und mancher sonnige August- und Sep-tembertag ist erforderlich, um die Beeren zu färben und zuerweichen.

Die Herbstgerätschaften sind längst in Ordnung, die Büt-ten gewässert, die Fässer geschwenkt, die Legel geputzt, dieTraubenmesser geschliffen, und erwartungsvoll sieht man demBeginn der Lese entgegen, denn niemand darf vor dem an-gesetzten Termin des „allgemeinen Herbstes" die Ernte ein-heimsen. Ängstliche Gemüter, zu denen besonders die Besitzerganz kleiner Weinberge gehören, drängen fortwährend denGemeinderat, er möge die Lese gestatten, während die Besitzergrößerer Weinberge das Herbsten immer noch hinausgeschobenwissen wollen. „Je länger wir warten," so sagen sie, „destobesser wird der Wein, und diese Herbstnebel in der Frühe unddes Nachmittags die warme Sonne tun den Trauben noch garzu gut, sie werden noch täglich süßer. Es geht nichts über dieSpätlese."

Endlich eines Abends schallt die Trommel des Ausrufersdurch die Gassen des Städtchens. „Übermorgen beginnt derallgemeine Herbst!" So ruft jubelnd einer dem andern zu. Nunentfaltet sich ein rastloses Treiben. Leser werden bestellt,Krüge und Flaschen mit Wein gefüllt, Brot, Käse und Würstegekauft, kurz, alles wird beschafft, was etwa noch fehlt. Wel-ches Leben füllt die Stadt! Man kennt sie kaum wieder. Lange

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vor Tagesanbruch schon knallen Peitschen und rasseln Räder:Fässer und Bütten werden hinausgefahren, und in der Morgen-dämmerung zieht es scharenweise zu allen Toren hinaus, in denBelz, auf den Kauzenberg, die Ley, den Hinkelstein, und wiedie Berge alle heißen, die mit vielen Tausenden der edelnTraubenstöcke bedeckt sind. Überall lachen uns die reifenTrauben entgegen und scheinen zu sagen: Schneidet uns ab,wir platzen sonst!

Die Abhänge sind mit der kleinbeerigen Rieslingtraubebepflanzt, der edelsten Rebensorte, die den teuern Weinmit dem lieblichen Wohlgeruch gibt, während oben auf derHöhe in bunter Abwechslung vielerlei andere Traubenartenwachsen.

Und nun beginnt die schönste der Ernten. Jedem Leserund jeder Leserin wird eine „Zeile" zugeteilt, die jedes fürsich allein zu lesen hat. Da stellt man nun das Büttchen oderden Eimer neben die Weinstöcke, und nachdem man hier undda einige Blätter abgestreift hat, um auch die verstecktenTrauben zu finden, wird mit dem krummen Messer oder derTraubenschere ein Träublein nach dem andern abgeschnitten.Viele sind schon faul, aber das liebt man gerade; es ist ja die„Edelfäule", die den Wein nur um so vorzüglicher macht. Diezu Boden gefallenen Beeren werden sorgsam aufgerafft, oftunter Laub und feuchtem Weinbergsgrase hervorgescharrt. DerHerr des Weinbergs betrachtet es heute als eine wichtige Auf-gabe, darauf zu achten, ob dieses Geschäft des Beerenraffensauch wirklich ausgeführt wird. Dies hindert aber nicht, daß sichdie Leser allerlei lustige und schaurige Geschichten erzählenoder durch Anstimmen fröhlicher Lieder die Arbeit fördern.Von Zeit zu Zeit ein Träublein zu kosten ist ihnen auch nichtverwehrt. Hin und her wandelt, auf einen Weinbergspfahl ge-stützt, der „Legelträger"; auf seinem Rücken trägt er an leder-nem Riemen das hölzerne Legel, in das die Trauben aus denkleinen Eimern und Bütten unaufhörlich hineingeschüttet wer-den. Vor dem Weinberge steht über einer großen Bütte dieTraubenmühle, einer riesigen Kaffeemühle nicht unähnlich; indiese entleert der Legelträger seine Last. Da liegen sie dann,die gelben und die roten, die blauen und die weißen Früchte.

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Aber hüte dich, schöns Träubelein! Die Mühle wird gedreht,und in kurzer Frist ist alles zerquetscht und in einen häßlichenBrei verwandelt, der von einer süßen schmutzigtrüben Brüheumgeben ist. An wenigen abgelegenen Orten werden noch nachalter Vätersitte die Trauben in einer Tretbütte von einemTretbuben, der in mächtigen Stiefeln steckt, zertreten. Jetzterscheint auch der Fuhrmann mit dem Ladfasse; mit Kübelnwird die Traubenernte dahineingeladen und nach Hause zurKelter gefahren.

Unterdessen herrscht im Weinberg emsige Arbeit undfröhliches Leben, bis der Schall der Mittagsglocke aus demStädtchen herübertönt; dann ruht für eine Stunde die Arbeit, unddie ganze Gesellschaft begibt sich an den ehrwürdig bemoostenSteintisch, der sich an einer freigelegenen Stelle befindet. DasStädtchen liegt uns zu Füßen, zwischen die Berge geschmiegt;weiße Landhäuser leuchten von den Abhängen, und verfalleneBurgruinen strecken ihre Turmstümpfe zum Himmel. Druntenglänzt der prächtige Strom. Von allen Bergen in der Rundeschallt Gesang, Lachen und fröhliches Jauchzen; hier und daflackert auch ein Feuerchen auf. Das gehört einmal dazu. DieKinder des Hauses, die anfangs fleißig mitlasen, jedes seineZeile, dachten das auch und haben, statt weiter zu lesen, liebereine andere Arbeit unternommen: sie haben reichlich die zu kur-zen oder unbrauchbar gewordenen Weinbergspfähle zusammen-gesucht, von den Planken die jetzt nutzlos gewordene Dornen-verzäunung abgerissen, das Heftstroh von den Weinstöckengeschnitten und allerlei anderes Brennbare aufgetrieben, undnun flammt bald ein behagliches hohes Feuer in die sonnigeOktoberluft. Sobald es etwas zusammengesunken ist, wird einKessel mit Wasser drangeschoben und ein magenwärmenderKaffee bereitet, dem die Leserinnen sogar vor dem Wein denVorzug geben. Der Flurschütz erscheint auch, und noch mancher-lei Freunde stellen sich ein. Der Steintisch wird nicht leer vonFlaschen und Gläsern und allerlei kaltem Imbiß; auch Tassenund Kuchen fehlen nicht. Wer aber Trauben essen will, dergeht zu den Lesern und schneidet sich nach Herzenslust. Nurwer von den noch am Stock hangenden Trauben einzelne Bee-ren abzupft, gilt als Näscher und wird vom Herrn des Wein-

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bergs scheel angesehen. Die Hausfrau hat inzwischen sorgsameinen großen Korb voll der schönsten Trauben geschnitten zumAufbewahren bis tief in den Winter hinein oder zum Ver-schicken an auswärts wohnende Freunde. Die Knaben sind aufdie Mandelbäume geklettert, die man hier und da im Wein-berge duldet, weil ihr dünnes Laub nicht viel Schatten wirftund also den Trauben die Sonne nicht sonderlich wegnimmt.Die Mandeln hangen jetzt lose in der grünen Schale, der „Kolte",ein Zeichen, daß sie reif sind; unter Jubel werden sie von denKnaben mit langen Stangen heruntergeschlagen und in Säckegesammelt.

Aber die Oktobertage sind kurz. Immer häufiger hörtman den Herrn verweisend sagen: „Da hat schon wieder je-mand eine hängenlassen! Da ist ein ganzer Stock übersprun-gen! Da sind die Beeren nicht gerafft!" — „Wir wollen lieberaufhören!" sagt er auf einmal; „es wird zu dämmerig: Feier-abend, ihr Leute!" — „Feierabend!" schallt es fröhlich zurück,und wiederum sammelt sich die ganze Gesellschaft am altenSteintische zum vergnüglichen Feierabendtrunke; gar manchesMal werden die Gläser gefüllt und immer wieder leer. DasFeuer wird aufs neue geschürt, und sein knisterndes und lo-derndes Aufflammen antwortet auf die zahllosen Herbstfeuer-chen, die in weiter Runde aufblitzen. Einer der Leser, ein lusti-ger Bursch, der bei der Garde gedient hat und den ganzen Tagschon durch seine Schnurren die andern erheiterte, hat eineHarmonika mitgebracht; damit begleitet er nun die Lieder vomMorgenrot, Morgenrot! oder vom grünen Klee und weißenSchnee, und was da alias gesungen wird; plötzlich aber geht erin eine Tanzweise über, und siehe da, die anscheinend so mü-den Beine fühlen sich zauberisch angeregt, und in muntermReigen hüpft alt und jung im Kreise um den Steintisch. ZumAbschiede — es ist nun völlig Nacht geworden — brennt derälteste Sohn einige Schwärmer und Frösche los, die krachendund zischend und unendlichen Jubel erregend umherfahren, undzu guter Letzt steigen auch noch ein paar Raketen in die Abend-luft. Unter Gesängen geht es nun heimwärts; die Leserinnentragen ihre Büttchen auf dem Kopf oder unter dem Arme.Nur darf niemand sich einbilden, sie sähen schmuck aus; viel-

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mehr sind die Gewänder feucht und bespritzt, die Schuhe kotig,Gesicht und Hände klebrig und schwarz.

Die Straßen des Städtchens aber sind vollgestopft mit heim-kehrenden Lesern und Fuhrwerken aller Art, die den Ernte-segen heimbringen. Und so geht das nun wochenlang fort: esist ein Leben und Wogen, wie es eben nur einmal im Jahrehier stattfindet — wenn es „Herbst" ist, das aber seinen Höhe-punkt erst erreicht in einem guten und reichen Weinjahr.

113. Das Nationaldenkmal auf dem Nieder-wa ld . Von August Sach.

Wie kann das Herz des deutschen Vaterlandsfreundes sich laben,wenn er nach Rüdesheim pilgert und aufschaut zum herrlichen

Nationaldenkmal! Zum bleibenden Gedächtnis des großen natio-nalen Kampfes und Sieges von 1870 und 71, der uns die Einheitbrachte, ist es aufgerichtet als Wacht am Rhein dort am Steilhangdes Niederwaldes.

Hoch, riesenhoch ragt sie empor, die Frau Germania, frei undmeilenweit sichtbar.

Der untere Teil des Sockels Zeigt uns über drei Stufen dieGruppe, in der der alte Vater Rhein, eine kräftige Mannes-gestalt, der jugendlichen Mosel, der als Jungfrau dargestellten neuenGrenzwächterin des Rheins, das Wachthorn überreicht; dann er-heben sich zu beiden Seiten, 6 m hoch, der Krieg, ein feurigerJüngling, in die Kriegstrompete schmetternd, und der Friede, eineFigur mit Palmenzweig und Füllhorn, deren milder Ausdruck wievon einem Schleier der Wehmut, im Gedenken der schmerzlichenOpfer, überhaucht ist.

Zwischen den Sinnbildern des Krieges und Friedens breitetsich das große Hauptrelief aus, die „Macht am Rhein". I n derMitte der kaiserliche Feldherr zu Pferde, um ihn geschart die Für-sten, Feldherren und Führer; rechts ausziehende, links heimkehrendeKrieger; 200 Figuren, davon 150 Porträte! Darunter der volleText der „Wacht am Rhein", aus dem die das Relief erläuterndenSchlußworte groß hervortreten:

„Lieb Vaterland, magst ruhig sein,Fest steht und treu die Nacht am Rhein!"

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Über diesem Hauptrelief wölbt sich ein Halbbogen, der dieFigur des Kaisers überspannt. Er wird durch einen mächtigenAdler gekrönt, der auf der Brust den heraldischen Reichsadler trägt.Die Wappen der größeren deutschen Staaten, die nach beiden Rich-

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tungen vom Adler aus den Stein umkränzen, bilden den Abschlußdieses Sockels. Der folgende Fries trägt das Eiserne Kreuz unddie bedeutungsvollen Worte:

„Zum Andenken an die einmütige siegreiche Erhebung desdeutschen Volkes und an die Wiederherstellung des Deutschen Rei-ches 1870/1871."

Das auf diesem Sockel angebrachte Seitenrelief „Der KriegerAuszug" ist von ergreifender Wirkung. Vor einer schindelgedeck-ten Hütte am Fuße des hochragenden Watzmann im bayrischenHochlande sagt ein stattlicher Reiter, der treuen Mutter die Handreichend, ein letztes Lebewohl. Segnend ruht die Hand des Vaters auf

dem Haupte des scheidenden Sohnes, dessen Antlitz ernsten Schmerzund männliche Entschlossenheit bei tiefer Betrübnis ausdrückt; zuFuße schmiegt sich der treue Freund des Scheidenden und nun allei-nige Schutzwart der Eltern, der Hund des Hauses, an den jugend-lichen Krieger. Neben dieser Gruppe scheidet tränenden Auges einliebendes Brautpaar. Der Krieger mit männlichem Antlitz zeigt dieAusrüstung eines preußischen Infanteristen; die jugendliche schlankeGestalt des Mädchens lehnt trauernd das Haupt an des GeliebtenSchulter: aus letzter Umarmung reißt sich der Jüngling los — einAbschied vielleicht fürs Leben. Weiter steht ein Landwehrmann aushohem Norden, der im Frieden so oft Wind und Wetter auf denWogen des Meeres getrotzt haben mag, wie die aufgehängten Netze