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14 APPLICA 8/2018 APPLICA-THEMA Malermeister Beat Soller ist Material- und Farbgestalter sowie Mitglied der erweiterten Geschäfts- leitung und Partner der Max Schweizer AG. Er wirkt als Dozent am Haus der Farbe in Zürich. (Bild: Raphael Briner) Sie arbeiten also am liebsten auf traditionelle Art. Warum? Ich erkläre es so: Was braucht es, um einen guten Text zu schreiben? Einen einfachen Bleistift oder einen wunder- baren Füllfederhalter? Es kommt doch auf das Schreibwerkzeug überhaupt nicht an. Gleich ist es in der Farb- und Materialberatung: Wir müssen all die technisch hochstehenden EDV-Instru- mente gar nicht gross nutzen. Im Haus der Farbe plädieren wir für gutes Denk- und Handwerk. Was meinen Sie mit gutem Handwerk? Farbgestalter müssen die Standardpro- gramme zwar beherrschen und wenn sie möchten, können Sie auch die Möglich- keiten hochkomplexer Technik nutzen. Man kann zum Beispiel mit einer Bril- le durch eine Wohnung gehen und die- se virtuell mit einer möglichen Gestal- tung anschauen. Aber es nützt nichts, wenn man zwar die besten Instrumente hat, jedoch keine Idee, keine Analyse- fähigkeit und kein Architekturverständ- nis − und wenn man die Idee nicht ver- mitteln kann. Dann kommt mit der Ma- schine bestenfalls ein 08/15-Produkt heraus, aber nichts Individuelles. Wie gehen Sie in Ihrer Tätigkeit vor? In der Regel fängt es mit der Ideen- vermittlung an. Wir entwickeln Konzep- te ohne Computer auf Papier, im Kopf. In dieser Vermittlung ist bei uns neben den Skizzen auch der Text wichtig. Wie argumentieren wir für ein Konzept? Wie «Die Technik darf uns nicht beherrschen» Interview Raphael Briner Die Digitalisierung sei gut und recht, sie dürfe aber nicht dazu führen, dass das Handwerk verschwinde. Dieser Meinung ist Farbgestalter Beat Soller. Er nutzt zwar moderne Computerprogramme, geht in seinem Metier aber nach traditio- nellen Methoden vor. Der Grund dafür ist seine Überzeugung, dass sich nur so individuelle Objekte realisieren lassen. Die EDV erzeuge einen Einheitsbrei. «Applica»: Herr Soller, müssen Sie in der Farbgestaltung eigentlich noch etwas selber tun oder hat der Computer die Arbeit übernommen? Beat Soller: Die Digitalisierung in der Baubranche ist in einem extremen Ver- änderungsprozess begriffen. Wir als Fachplaner in der Architektur arbeiten seit vielen Jahren mit computerunter- stützen Systemen. Uns vorgelagert ist aber immer der Architekt. Dieser arbei- tet mit 2-D und 3-D, um sogenannte Ren- derings zu erstellen (siehe Kasten; Anm. der Red.). Arbeiten Sie als Fachplaner auch mit Renderings? Nein, wir rendern nicht. Wir haben zwar CAD-Programme, brauchen diese aber nur, um bereits gezeichnete CAD-Daten zu übernehmen. Das Rendering ist teu- er und es braucht Erfahrung. Wenn wir ein Rendering für die Farbgestaltung ma- chen sollen, ziehen wir Spezialisten bei. Nicht alle Bauherren wollen so viel Geld ausgeben. Dann arbeiten wir rein auf der klassischen Bild- und Planebene. Mir ist das sehr recht. Weshalb? 2-D, 3-D oder Renderings bilden nur scheinbar die Realität ab. Ob das dann der Wirklichkeit entspricht oder nicht, weiss niemand. Dieser Umstand wird im Wettbewerb extrem genutzt. Man setzt Dinge ein, die in der Realität gar nicht möglich sind. Da wird viel gemogelt oder – sagen wir – gut verkauft.

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Page 1: APPLICA-THEMA «Die Technik darf uns nicht beherrschen» Technik darf uns nicht...Atmosphäre. Am Computer im Büro geht das nicht. Auch Farbmessgeräte nützen meiner Meinung nach

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Malermeister Beat Soller ist

Material- und Farbgestalter

sowie Mitglied der

erweiterten Geschäfts-

leitung und Partner der

Max Schweizer AG. Er wirkt

als Dozent am Haus der

Farbe in Zürich.

(Bild: Raphael Briner)

Sie arbeiten also am liebsten auf

traditionelle Art. Warum?

Ich erkläre es so: Was braucht es, um einen guten Text zu schreiben? Einen einfachen Bleistift oder einen wunder-baren Füllfederhalter? Es kommt doch auf das Schreibwerkzeug überhaupt nicht an. Gleich ist es in der Farb- und Material beratung: Wir müssen all die technisch hochstehenden EDV-Instru-mente gar nicht gross nutzen. Im Haus der Farbe plädieren wir für gutes Denk- und Handwerk.

Was meinen Sie mit gutem Handwerk?

Farbgestalter müssen die Standardpro-gramme zwar beherrschen und wenn sie möchten, können Sie auch die Möglich-keiten hochkomplexer Technik nutzen. Man kann zum Beispiel mit einer Bril-le durch eine Wohnung gehen und die-se virtuell mit einer möglichen Gestal-tung anschauen. Aber es nützt nichts, wenn man zwar die besten Instrumente hat, jedoch keine Idee, keine Analyse-fähigkeit und kein Architekturverständ-nis − und wenn man die Idee nicht ver-mitteln kann. Dann kommt mit der Ma-schine bestenfalls ein 08/15-Produkt heraus, aber nichts Individuelles.

Wie gehen Sie in Ihrer Tätigkeit vor?

In der Regel fängt es mit der Ideen-vermittlung an. Wir entwickeln Konzep-te ohne Computer auf Papier, im Kopf. In dieser Vermittlung ist bei uns neben den Skizzen auch der Text wichtig. Wie argumentieren wir für ein Konzept? Wie

«Die Technik darf uns nicht beherrschen»

Interview Raphael Briner Die Digitalisierung sei gut und recht, sie dürfe aber nicht dazu führen, dass das

Handwerk verschwinde. Dieser Meinung ist Farbgestalter Beat Soller. Er nutzt

zwar moderne Computerprogramme, geht in seinem Metier aber nach traditio-

nellen Methoden vor. Der Grund dafür ist seine Überzeugung, dass sich nur so

individuelle Objekte realisieren lassen. Die EDV erzeuge einen Einheitsbrei.

«Applica»: Herr Soller, müssen Sie in der

Farbgestaltung eigentlich noch etwas

selber tun oder hat der Computer die

Arbeit übernommen?

Beat Soller: Die Digitalisierung in der Baubranche ist in einem extremen Ver-änderungsprozess begriffen. Wir als Fachplaner in der Architektur arbeiten seit vielen Jahren mit computerunter-stützen Systemen. Uns vorgelagert ist aber immer der Architekt. Dieser arbei-tet mit 2-D und 3-D, um sogenannte Ren-derings zu erstellen (siehe Kasten; Anm. der Red.).

Arbeiten Sie als Fachplaner auch mit

Renderings?

Nein, wir rendern nicht. Wir haben zwar CAD-Programme, brauchen diese aber nur, um bereits gezeichnete CAD-Daten zu übernehmen. Das Rendering ist teu-er und es braucht Erfahrung. Wenn wir ein Rendering für die Farbgestaltung ma-chen sollen, ziehen wir Spezialisten bei. Nicht alle Bauherren wollen so viel Geld ausgeben. Dann arbeiten wir rein auf der klassischen Bild- und Planebene. Mir ist das sehr recht.

Weshalb?

2-D, 3-D oder Renderings bilden nur scheinbar die Realität ab. Ob das dann der Wirklichkeit entspricht oder nicht, weiss niemand. Dieser Umstand wird im Wettbewerb extrem genutzt. Man setzt Dinge ein, die in der Realität gar nicht möglich sind. Da wird viel gemogelt oder – sagen wir – gut verkauft.

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türlich schon Datenbanken von NCS, RAL oder von anderen Farbenherstel-lern, die uns die RGB-Werte eines Farb-tons geben. Aber das ist alles relativ. Photoshop, Illustrator, InDesign und an-dere Werkzeuge täuschen uns vor, dass sie uns die Arbeit abnehmen.

Tun sie das nicht?

Sie machen nichts anderes, als gewis-se Prozessschritte zusammenzufas-sen. Zum Beispiel indem sie auf Knopf-druck rote Augen entfernen. Das kann ich aber auch manuell, einfach in mehre-ren Schritten. Deshalb schränken mich solche Werkzeuge mit ihren vorgegebe-nen, starren Arbeitsprozessen ein. Et-was anders sieht es allerdings beim durchschnittlichen Maler aus.

Wie sieht es bei diesem aus?

Er kommt abends von der Arbeit nach Hause, setzt sich an den Computer und ist froh, wenn er sich nicht zu viel um Details kümmern muss. Er kann dem Kunden sagen, dieser Farbton stimme, denn er stamme ja aus einer Datenbank. Ich sage, der Farbton stimmt nicht. Aber klar, der Leistungsdruck ist heute der-art gross, dass wir gerne Hilfsmittel an-nehmen. Das ist in anderen Lebens-bereichen nicht anders.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Man geht nicht mehr rohes Gemüse kau-fen, um es dann zu rüsten. Man kauft ein Convenience-Produkt, denn damit geht das Kochen schneller. So verlernt man,

holen wir den Kunden in diese Ideenwelt herein? Es ist ja die Frage, weshalb man ein Haus hell oder dunkel oder rot, blau oder grün macht. Das ist immer eine Frage des Konzepts, von dem man den Kunden überzeugen muss. Es kann nie-mand von vornherein sagen, Rot sei rich-tig oder Blau sei richtig.

Wie geht das Entwickeln eines

Farbkonzepts weiter?

Der nächste Schritt ist die Planstufe und dann kommt irgendwann die Bildebene. Das wird von Originalmaterial, Original-farben, Originalstrukturen begleitet. Je näher wir an den Bauprozess herankom-men, desto originaler werden die Mate-rialien. Wir bemustern immer, denn ein Muster hat eine ganz andere Überzeu-gungskraft als ein Bild. Wenn wir zum Schluss auf die Detailplanungsebene

kommen, müssen wir die Materialien genau kennen. Das ist mir sehr wichtig: Mit dem Entwickeln der Idee, mit der Gestaltungskonzeption muss auch die Materialisierung entstehen.

Warum ist es so wichtig, dass die

Materialisierung entsteht?

Der Planer erwartet von mir, dass ich ihn an einen Punkt führe, an dem das Pro-jekt unter Einhaltung der Regeln der Bau-kunst realisierbar wird. Dabei ist es wichtig, das die ursprüngliche Idee des Planers, und sei sie noch so abgehoben, erhalten bleibt. Aber sie muss technisch umsetzbar sein.

Verschliessen Sie sich mit Ihrem eher

altbackenen Ansatz nicht den digitalen

Entwicklungen unserer Zeit und laufen

so Gefahr, den Zug zu verpassen?

Nein. Wie gesagt, brauchen wir die digi-talen Mittel schon, aber zurückhaltend. Bei Renovationen machen wir vom re-alen Objekt ein Bild und färben es am Computer ein. Dafür brauchen wir unser Gefühl, unsere Erfahrung.

Wie setzen Sie Ihr Gefühl ein?

Wir benützen den Rot-Grün-Blau-Regler und färben die Pixel um. Wir haben na-

«Elektronische Werkzeug e schränken

uns nur ein»

Rendering

Der Begriff Rendern (engl. to render; zu

Deutsch: Bildsynthese) bezeichnet die

Erstellung einer Grafik aus einer Skizze,

einem Modell oder Rohdaten. In der

Architektur bedeutet Rendern, dass

man einer Struktur eine Oberfläche

gibt, eine Textur und einen Kontrast.

Die Textur kann zum Beispiel Glas oder

ein Putz sein. Das Glas hat einen

Reflexionsaspekt, während ein Putz

matt ist. Man setzt auch Licht, von

links, von rechts oder von einer ande-

ren Richtung, stärker oder schwächer.

Computer kommen zwar zum

Einsatz in der Farbplanung,

jedoch nur so weit als nötig.

(Bild: Janine Küffer)

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die Feinstofflichkeit gar nicht darstel-len. Bei Ladenbauten oder bei Schulhäu-sern, grossen Umbauten mit zahlreihen gleichen Räumen also, bauen wir sogar ein 1:1-Modell.

Warum betreiben Sie diesen Aufwand?

Weil es nicht nur um die Farbe geht, son-dern auch um Akustik, Licht, Möblierung

und andere Faktoren. Das geht bis zum Geruch von Linol oder etwas anderem. Darum muss man Farbentscheide vor Ort fällen, im Raum, mit Licht, mit der

Material einzuschätzen, Gerüche zu er-kennen und danach auszuwählen. Man verlernt das Kochen und ist nur noch ein Aufwärmer von vorgekochtem Ma-terial. Das ist in der Architektur genau gleich. An der Fassade kann man aller-dings eher mit Fertigprodukten arbeiten, im Innenraum nicht.

Warum geht das an der Fassade und im

Innenraum nicht?

Der Innenraum ist viel komplexer von den Materialien her, die sich gegensei-tig beeinflussen. Ich habe darum eine Schachtel mit diversen Materialien, die ich zum Kunden in die Wohnung mitneh-me. Wir schauen auch andere Referenz-objekte an, reden über Stimmungen und Bedürfnisse. Da arbeite ich ohne Bil-der, sondern mit Mustern, Referenzen, Konzepten usw. Mit Bildern kann man

«Es braucht eine engagiert e Haltung in

der Farbgestaltung und Farbberatung»

Wichtiger als 3-D-Modelle

oder Renderings ist für Beat

Soller die Bemusterung.

(Bild: zVg)

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Atmosphäre. Am Computer im Büro geht das nicht. Auch Farbmessgeräte nützen meiner Meinung nach wenig, denn die Werte stimmen nicht.

Farbmessgeräte werden aber

heutzutage gerne eingesetzt.

Meiner Meinung nach sind die Leu-te zu digitalgläubig. Sie meinen, wenn die Wetter-App sage, morgen regne es nicht, dann stimme das. Oder nehmen wir High-End-Kameras. Diese produzie-ren immer mehr das Gleiche. Man muss schon die Elektronik ausschalten, um Fotos mit einer speziellen Atmosphäre zu erzeugen.

Sie haben gesagt, dass ein vom Mess-

gerät angegebener Farbton nicht

stimme. Farbtöne seien immer relativ.

Wie meinen Sie das?

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Schauen wir das Blatt des Tisches an, an dem wir sitzen. Wir sind uns einig, dass das eine 0rbfläche ist. Aber das stimmt nicht. Der Farbton ist überall an-ders, zum Beispiel wenn die Fläche die darauf stehende Zuckerdose reflektiert. Welcher Farbton ist nun ‹wahr›? Wie soll ich mich entscheiden? Wo ist NCS 0500 N? Wenn ich das Farbmuster drauf halte, hier oder hier, dann sagt mir der Kunde, das stimme nicht. Bilder sind nur eine grobe Idee davon, wie etwas aussehen könnte. Wir haben darum nicht den An-spruch, dass am Schluss der Farbton stimmt.

Was ist Ihr Anspruch?

Der Kunde soll nach der Renovation das wiedererkennen, was gemeinsam geplant worden ist. Das kann man mit Software allein fast nicht erreichen. Ich

plädiere deshalb für Training. Wenn man Maler oder Planer ist, muss man ent-scheiden, was man können möchte, und sich dieses handwerkliche Können an-eignen, auch wenn es manchmal müh-sam ist. Es braucht eine engagierte Haltung in der Farbgestaltung und Farb-beratung.

Was ist eine engagierte Haltung?

Ich gebrauche traditionelle Hilfsmittel in einer Weise, so dass sie mich nicht einschränken. Visualisierung mit EDV ist zwar ein, aber nur ein Bestandteil der Planung. Die Recherche und die Materialisierung sind mindestens ge-nauso wichtig, weil die Visualisierung in einen Kontext gestellt werden muss. Man muss die Instrumente nutzen, sich aber nicht von ihnen beherrschen lassen. ■