zur häufung von poliomyelitisfällen des jahres 1927

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532 KLINISCHE WOCHE,NSCHRIFT. 7. JAHRGANG. Nr. I2 18. MARZ 1928 erkrankung. Wichtig erscheint es vor allem, dal3 das Prinzip therapeutischen Handelns in gewisser Richtung dieselbe Bahn sucht wie der physiologische Stoffweehsel. Literatur: I)ie Angaben, die wir der ]3erechnung unserer Tabellen zugrunde gelegt haben oder die wir teilweise fibernommen haben, .sind entnommen: ]3UNGE, Lehrbu~h der Physiologie. 2. Aufl., 13d. II. -- ABDERHALDEN, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 5. Aufl. ]3d. II. -- HAMMARSTEN, Lehrbueh der physio- logischen Chemie. 9. Aufl. Bd. II. -- BUNGE, Zeitschr. f. Biol. xo, 323 . 1874; Zeitschr. I, physiol. Chem. 13, 399- I889, -- ABDER- HALDEN, Zeitsehr. f. physiol. Chem. 26, 487 . 1899; 27, 4o8. 1899; 27, 594. 1899. -- SCHLOSS,Monatsschr. f. I™ 1o, 499- 1912. -- BIRK, Monatsschr. f. Kinderheilk. 9, 599. 1911. -- OEHME und PAAL, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. lO4, 115. 1924. -- OEH~tE und WASSERMEYER, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 154, lO7. 1927. -- Bezfiglich der p~diatrischen Literatur verweisen wir auf die Zu- sammenfassung vofl KLINKE, Ergebn. d: Physiol. 26; 235. 1928. ORIGINALIEN. ZUR HAUFUNG V0N POLIOMYELITISFALLEN DES JAHRES 1927. "gon Prof. ST. ENGEL und Dr. SELMA SEGALL. Aus der Hinderklinik der stAdtisehen Krankenanstalten in Dortmund. innerhalb unseres Wirkungsbereiches sind ira letzten Dezennium alljihrlich Fille von spinaler t™ aufgetreten. Ganz frei sind nur die Jahre 1919, 192o und 1925 geblieben, soweit es wenigstens aus der Kliniksbelegung abgeleitet werden kann. Hierzu mul3 aber bemerkt werden, dag vor Einffihrung der Meldepflicht lingst nicht alle Fille in die Kilnik gekommen sind, wohingegen jetzt die Medizinal- beh6rd• daftir sorgt, dal3 ira Prinzip jeder FMI, der gemeldet wird, auch in die Klinik eingewiesen wird. Die Zahlen der letzten Jahre sind daher fast absolut zu nehmen, wohingegen uns frfiher ein Teil der Fille entgangen ist. DemgemiB kann man datait rechnen, daB auch in den Jahren 1919, 192o und 1925 vereinzelte Fille von Kinderlihmung vorgekommen sind. Eine kleinere Hiufung trat erstmalig ira Jahre 1921 auf. Charakteristisch war hioe dal3 es sich fast in allen Fillen um sehr schwere Erkrankungen mit ausgedehnten Lihmungen handelte. Ein groBer Teil war durch das Auftreten heftiger Schmerzen im Ischiadicusgebiete ausgezeichnet (polyneuriti- sche Form). Die Kinder wurden demgemil3 auch meist unter der Diagnose Ischias oder Polyarthritis eingewiesen. Erst im Laufe von 2-- 3 Wochen traten die Lihmungs- erscheinungen deutlich hervor. (Abb. i.) Eine zweite Hiufung bot das Jahr 1926, ohne dal3 hier im klinischen Verlaufe etwas Charakteristisches hervortrat. Ira Jahre 1927 dagegen haben wlr so viele Erkrankungen gehabt. daB die Zahl gr6Ber ist als die Summe derjenigen Fille welche iii den vorangegangenen 9 Jahren zur Beobachtung kamen. Da auch in anderen Teilen Deutschlands stirkere Hiufungen vorgekommen sind von Epidemien braucht man wohl glficklicherweise noch nicht zu sprechen , so erscheint es von Wiehfigkeit, hier darzulegen, wle auf der Basis der Irfiheren Kenntnisse und mit Hilfe neuerer Methoden sich das klinische Bild weiter hat kl/iren und umreiBen lassen. Sowohi fiir die Praxis als auch frit die epidemiologische Be- trachtung k6nnte das von Wichtigkeit sein. Tabelle I. Gesamtzahl der Poliomyelitis]dlle der Kinderklinik Dort- round nach Alter und Monats]requenz von 1917 bis Ende 1927. Lebens- jahr Jan.. Febr.[Marz[April[Mai Juni Juli Aug. Sept. 5 __ 9 IO II 12 13 14 ZllS. I - I 4 z I 4 4 5 G I 3 3 2 [ --" I I t -- -- ~ -- -- t -- t 3 I 2 -- I -- 2 I I I . . . . 1 I 1 2 I 2 Zn- Okt. Nov. Dez. sam- men I 2 II 2 1G 4 17 2 6 2 -- [ 3 [ ~ . --2 I I io 2o 19 13 5 2 I I I I 74 Vom Icinder~rztlichenVStandpunkte interessiert zuniichst die Altersdisposition, d. h. das Befallensein der verschiedenen Altersklassen des Kindesalters. Hierzu ist nichts wesendich Neues zu sagen. Nimmt man die Gesamtzahl aller Fille von I9i 7 bis 1927 (74), so ersieht man aus der Tabelle i dal3 die Mehrzahl der Fille auf das friihe Kleinkindesalter y kommt. I Wir haben folgende Verteilung: I. bis 4. Jahr 50 lS"~lle, ~/ 5. und O. ,, I2 ,, vA"" 7. bis 14 . ,, 12 ,, Es kommen also im frfihen I™ auf y/ jedes Lebensjahr ira Durchschnitt 12 Fitlle, im spiten Kleinkindesalter 6 Fille und ira Schulalter noch nicht 2 Fille. Hierzu mul3 weiter bemerkt werden, dal3 ~ das frfiheste Anftreten etwa in den 8. Lebensmonat Iillt. Bei Siuglingen der ersten zwei Quartale haben wir nicht einen einzigen Fall zu Gesicht bekommen, und auch im dritten Quartale hat es sich im ganzen ~ nur um 7 Fille gehandelt und ira viertcn um 4 Fille. y/ Betrachten wir nun die Fille 7/ des Jahres 1927 allein unter dem # ~Y7~ l Gesichtspunkte der Altersver- F ~ teilung, so ergibt sich im gro•en und ganzen ein ihnliches Bild, 3 3 '/ insbesondere finden wir wieder das starke Dominieren des frfihen ~/r r Kleinkindesalters. Wir erhalten : r3~7 18 ~3y z/ 22 23 2~2 es z7 .o~ Fdlle i bis 4. Lebensjahr 24 FMle, 5- und 0. 8 ,, Abb-LKIiniksfMlevonI917--z927. 7. bis 14. 8 ,, Tabelle2. PoliomyelitisJiille der Kinderklinik Dortmund imJahre1927 I Zu- Lebens- i = | jahr jan Febr.[M~rz ApriI[Mai JunL Juli Aug. Sept.~ Okt. Nov. Dez., sam- ] men I . . . . . 2 I I 2 6 2 ~ 2 I -- -- 5 3 I 3 3 3 -- IO 4 I 2 -- 3 5 I I -- 2 2 I 2 I 1, -- 6 7 1 3 I 1 9 -- ` IO Il I41312 ~ --1I zus. I I I 13 9 lO 5 -- ] 4 ~ Ira Vergleiche zu den frtiheren Jahren bietet sich dieses Mal eine etwas stirkere Beteiligung des Schulalters. Zieht man von rien Gesamtfillen der Jahre 1917 bis 1927 die Fille des Jahres 1927 ab, so erhilt man die Verteilung]Lwie folgt: i. bis 4. Lebensjahr 26 F~lle, 5. und 6. 4 ,, 7. bis 14. 4 ,, Das heiBt also: auf!3o FMle des vorsehulpflichtigen Alters kamen lin ganzen nur 4 Fille des schulpfliehtigen Alters,

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Page 1: Zur Häufung von Poliomyelitisfällen des Jahres 1927

532 K L I N I S C H E W O C H E , N S C H R I F T . 7. J A H R G A N G . N r . I2 18. MARZ 1928

e rk rankung . Wich t ig e rsche in t es vor allem, dal3 das P r i n z i p t he r apeu t i s chen H a n d e l n s in gewisser R i c h t u n g dieselbe B a h n such t wie der phys io logische Stoffweehsel .

L i t e r a t u r : I)ie Angaben, die wir der ]3erechnung unserer Tabellen zugrunde gelegt haben oder die wir teilweise fibernommen haben, .sind entnommen: ]3UNGE, Lehrbu~h der Physiologie. 2. Aufl., 13d. II. -- ABDERHALDEN, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 5. Aufl. ]3d. II. -- HAMMARSTEN, Lehrbueh der physio-

logischen Chemie. 9. Aufl. Bd. II. - - B U N G E , Zeitschr. f. Biol. xo, 323 . 1874; Zeitschr. I, physiol. Chem. 13, 399- I889, -- ABDER- HALDEN, Zeitsehr. f. physiol. Chem. 26, 487 . 1899; 27, 4o8. 1899; 27, 594. 1899. -- SCHLOSS, Monatsschr. f. I™ 1o, 499- 1912. - - BIRK, Monatsschr. f. Kinderheilk. 9, 599. 1911. -- OEHME und PAAL, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. lO4, 115. 1924. -- O E H ~ t E

und WASSERMEYER, Dtsch. Arch. f. klin. Med. 154, lO7. 1927. -- Bezfiglich der p~diatrischen Literatur verweisen wir auf die Zu- s a m m e n f a s s u n g v o f l K L I N K E , Ergebn. d: Physiol. 26; 235. 1928.

ORIGINALIEN. ZUR HAUFUNG V0N POLIOMYELITISFALLEN DES

JAHRES 1927. "gon

Prof. ST. ENGEL und Dr. SELMA SEGALL. Aus der Hinderklinik der stAdtisehen Krankenanstal ten in Dortmund.

i n n e r h a l b unseres Wi rkungsbe re i ches sind ira l e tz ten D e z e n n i u m a l l j ih r l i ch F i l l e von sp ina le r t™ aufge t re ten . Ganz frei s ind nu r die J a h r e 1919, 192o und 1925 geblieben, sowei t es wenigs tens aus der Kl in iksbe legung abgele i te t we rden kann. Hierzu mul3 aber b e m e r k t werden, dag vor E in f f ih rung der Meldepf l ich t l i n g s t n ich t alle F i l l e in die Ki ln ik g e k o m m e n sind, wohingegen j e t z t die Medizinal- beh6rd• daftir sorgt, dal3 ira P r inz ip jeder FMI, der gemelde t wird, auch in die Kl in ik e ingewiesen wird. Die Zahlen der l e t z t en J a h r e s ind dahe r fas t abso lu t zu nehmen , wohingegen uns frf iher ein Teil de r F i l l e en tgangen ist. D e m g e m i B k a n n m a n da t a i t rechnen , daB auch in den J a h r e n 1919, 192o und 1925 vere inze l te F i l l e von K i n d e r l i h m u n g v o r g e k o m m e n sind.

E ine kleinere H i u f u n g t r a t e r s tmal ig ira J ah re 1921 auf. Cha rak te r i s t i s ch war hiœ dal3 es sich fas t in allen F i l l e n um sehr schwere E r k r a n k u n g e n mi t a u s g e d e h n t e n L i h m u n g e n hande l te . E in groBer Teil war d u r c h das A u f t r e t e n hef t iger Schmerzen im Ischiad icusgebie te ausgeze ichne t (polyneuri t i - sche Form) . Die K i n d e r wurden demgemil3 auch meis t u n t e r de r Diagnose Ischias oder Po lya r t h r i t i s e ingewiesen. E r s t im Laufe von 2 - - 3 Wochen t r a t e n die L i h m u n g s - e r sche inungen deut l ich hervor . (Abb. i.)

E ine zweite H i u f u n g bo t das J a h r 1926, ohne dal3 hier im kl inischen Ver laufe e twas Charak te r i s t i sches he rvo r t r a t . I ra J a h r e 1927 dagegen h a b e n wlr so viele E r k r a n k u n g e n gehabt . daB die Zahl gr6Ber is t als die S u m m e der jen igen F i l l e welche iii den v o r a n g e g a n g e n e n 9 J a h r e n zur B e o b a c h t u n g kamen . Da auch in a n d e r e n Teilen Deu t sch lands s t i r k e r e H i u f u n g e n v o r g e k o m m e n sind von E p i d e m i e n b r a u c h t m a n wohl glficklicherweise noch n ich t zu sp rechen , so e r sche in t es von Wiehfigkei t , h ier darzulegen, wle auf der Basis der I r f iheren Kenn tn i s se und mi t Hilfe neue re r Me thoden sich das klinische Bild wei te r h a t kl/iren und umreiBen lassen. Sowohi fiir die P rax i s als auch frit die epidemiologische Be- t r a c h t u n g k6nn t e das von Wich t igke i t sein.

Tabelle I. Gesamtzahl der Poliomyelitis]dlle der K inderk l i n i k Dort- round nach Al ter und Monats]requenz von 1917 bis Ende 1927.

Lebens- jahr Jan.. Febr.[Marz[April[Mai Juni Ju l i Aug. Sept.

5 __

9 IO

II

12

13 14 ZllS. I

- I - - 4 z

I 4 4 5 G I 3 3

2 [

--" I I t - - - - ~ - - - - t - - t 3 I 2

- - I

- - 2

I I

I

. . . . 1

I

1 2 I 2

Zn- Okt. Nov. Dez. sam-

men

I 2 II

2 1G

4 17 �9 2 6

2 --

[ 3 [ ~ . --2 I

I

io 2o 19 13 5

2

I

I

I

I

74

V o m Ic inder~r z t l i chenVS tandpunk t e in teress ier t zun i ichs t d ie A l t e r s d i s p o s i t i o n , d. h. das Befal lensein der ve r sch iedenen Al te rsk lassen des Kindesa l te rs . Hierzu ist n ich ts w e s e n d i c h Neues zu sagen. N i m m t m a n die Gesamtzah l aller F i l l e von I9 i 7 bis 1927 (74), so e r s ieh t m a n aus der Tabelle i dal3 die Mehrzahl der F i l l e auf das friihe Kle ink indesa l t e r y

k o m m t . I Wi r h a b e n folgende Ver te i lung :

I. bis 4. Jahr 50 lS"~lle, ~/ 5. und O. ,, I2 ,, vA"" 7. bis 14 . ,, 12 ,,

Es k o m m e n also im frf ihen I™ auf y/ jedes L e b e n s j a h r ira D u r c h s c h n i t t 12 Fitlle, im s p i t e n Kle ink indesa l t e r 6 F i l l e und ira Schula l te r noch n ich t 2 F i l l e . Hierzu mul3 wei te r b e m e r k t werden , dal3 ~ das f rf iheste A n f t r e t e n e twa in den 8. L e b e n s m o n a t I i l l t . Bei S iug l ingen der e r s t en zwei Quar ta l e haben wir n i ch t e inen einzigen Fal l zu Gesicht bekommen , und auch im d r i t t en Quar ta le h a t es sich im ganzen ~ nur u m 7 F i l l e gehande l t und ira v ier tcn um 4 Fi l le . y/

B e t r a c h t e n wir nun die F i l l e 7/ des J ah re s 1927 allein u n t e r d e m # ~Y7~ l Ges i ch t spunk te der Al te r sve r - F ~ teilung, so e rg ib t sich im gro•en und ganzen ein i hn l i ches Bild, 3 3 '/ i n sbesondere f inden wir wieder das s t a rke Domin i e r en des frf ihen ~/r r Kle inkindesa l te rs . Wir e rha l t en : r3~7 18 ~3y z/ 22 23 2~2�87 es z7

.o~ Fdlle i bis 4. Lebensjahr 24 FMle, 5- u n d 0 . 8 ,, Abb-LKI in iks fMlevonI917- -z927 .

7. bis 14. 8 ,,

Tabelle2. PoliomyelitisJiille der K i nderk l i n i k Dortmund i m J a h r e 1 9 2 7

I Zu- Lebens- i = | jahr j an Febr.[M~rz ApriI[Mai JunL Juli Aug. Sept.~ Okt. Nov. Dez., sam-

] men

I . . . . . 2 I I 2 6

2 ~ 2 I -- -- 5

3 I 3 3 3 -- IO 4 I 2 -- 3 5 I I - - 2

2 I 2 I 1, -- 6 7 1 3

I 1

9 -- ̀I O

I l

I41312 ~ �9 - - 1 I

zus. I I I 13 9 lO 5 -- ] 4 ~

Ira Vergleiche zu den f r t iheren J ah ren b ie te t sich dieses Mal eine e twas s t i r k e r e Bete i l igung des Schulalters . Zieht m a n von rien G e s a m t f i l l e n der J ah re 1917 bis 1927 die F i l l e des J ah re s 1927 ab, so e r h i l t m a n die Verteilung]Lwie folgt :

i. bis 4. Lebensjahr 26 F~lle, 5. und 6. 4 ,, 7. bis 14. 4 ,,

Das heiBt also: auf!3o FMle des vorsehulpf l i ch t igen Al ters k a m e n lin ganzen nu r 4 F i l l e des schulpf l ieh t igen Alters ,

Page 2: Zur Häufung von Poliomyelitisfällen des Jahres 1927

x8. MARZ I928

das s ind r u n d 13 %, woh ingegen u n t e r d e n ' F ~ l l e n : d e s J a h r e s 1927 auf 32 F~lle des vo r schu lp f l i ch t i gen Al te r s 8 F~lle des schu lp f l i ch t igen Al te r s k a m e n , d. h. also 25 %.

W e i t e r muB zur A l t e r s v e r t e i l u n g e r w ~ h n t werden , d a g die E r k r a n k u n g e n de r ~tlteren K i n d e r 1927 m e h r in die An- I angspe r iode de r H i iu fung fielen, w ~ h r e n d m i t d e m A b f l a u e n i m SpXtsep tember , O k t o b e r . u n d N o v e m b e r f a s t n u r n o c h F~lle des f r f ihen IQe ink indesa l t e r s r eg i s t r i e r t wurden . Ob das e in Zufal l ist, .oder ob dieser T a t s a c h e eine B e d e u t u n g z u k o m m t , wi rd sich e r s t d u r c h den Verg le ieh m i t den Yer- h~ l tn i s sen a n a n d e r e n O r t e n fes t s te l len lassen.

H a t t e n wir eben schon angedeu t e t , d a g d i e I-Igufung v o n sp ina le r K i n d e r l a h m u n g s ich auf e inen gewissen Z e i t r a u m des J a h r e s b e s c h r ~ n k t h a t t e , so muB h ie rzu n o c h N~heres gesag t werden . Aus ]ri~heren Er]ahrungen weifl man, dafl die Poliomyelitis eine ausgesprochene Sommerkrankheit ist. V o n O k t o b e r bis J u n i h a b e n wir in den J a h r e n 1917 bis 1926 h 6 c h s t e n s ve re inze l t e F~lle gehab t . Dieses Mal wa r es so, daB ira M~rz, Apri l , Ju l i n u r je 1 FMI zur I~eobach tung kam. I r a A u g u s t t r a t d a n n eine ganz plStz l iche HXufung auf, die i ra S e p t e m b e r e twas a b n a h m u n d bis E n d e N o v e m b e r g~nz- l ich ab f l au te . E i n U n t e r s c h i e d gegen f r t iher i s t d a r i n zu erb l icken, daB die M o n a t e Sep tember , Ok tobe r , N o v e m b e r , welche sons t zu den ganz s t i l len M o n a t e n geh6r ten , i m m e r h i n doch eine n i c h t unbe t rXch t l i che Zah l v o n E r k r a n k u n g e n b r a c h t e n . Aus der Tabe l le 2 geh t he rvor , daB de r S e p t e m b e r n o c h 9 F~lle bot , de r O k t o b e r sogar io, de r N o v e m b e r 5.

D a h i n g e g e n w a r de r D e z e m b e r vollst~tndig fret, so daB n u n wohl m i t e iner R u h e p a u s e g e r e c h n e t w e r d e n kann .

Tabelle 3. Paresen (O) und Paralysen (�9 in:

7 8

9 IO

I I

I 2

I3 14 15 i6 17 18 19 2 0

21

22

23 24 25 26 27 28 29 3 ~ 31 32 33 34 35 36 37 38 39 4 ~

�9 �9

�9

~~ I i 2 6 1 2 ~ ~6 ~o i5 (3) (,3) (9) (~6) (~2) (8)

K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 7. J A H R G A N G . N r . 12 53'3

[ Aufstei- gende LAh-

mung t

[ An Atem- l~hmung t An Atem- llihmung T

Ganz leichte,

voriiber- gehende Paresen

;o .o �9

o o .o

;o (I) (i)

Was den ]clinischen Verlau] der F4lle vor~ 1927 anbelangt, so bat es sich ira JDurchschnitt um verh41tnismi~flig leichte Er- Icrankungen gehandelt. Die M o r t a l i t ~ t w a r n i c h t groB, w e n n a u c h n o c h e r s c h r e c k e n d genug. V o n 4 ~ K i n d e r n s ind i m m e r - h i n dre i ges to rben , zwei d a v o n a n a u f s t e i g e n d e r L ~ h m u n g m i t t e r m i n a l e r A t e m l ~ h m u n g . E i n d r i t t e s K i n d r ing e r s t 5 W o c h e n n a c h B e g i n n de r E r k r a n k u n g an, Ze ichen v o n A t e m - l ~ h m u n g zu b ie ten , u n d zwar w a r es n u r e ine e insei t ige Zwerch fe l l~hmung , welche n a c h g e w i e s e n w e r d e n konn t e . Gle ichwohl t r a t e n i m m e r h~Lu!iger E r s t i c k u n g s a n f ~ l l e auf, u n d n a c h w e i t e r e n 4 W o c h e n t r a t de r Tod ein. D u r c h die e insei t ige Zwerch fe l l / i hmung w a r das ungl t ick l iche E n d e n i c h t h i n r e i c h e n d erkl~r t , so daB h ie r zweifellos e ine Li icke in u n s e r e r E r k e n n t n i s b le ib t . D e r FMI b o t a u c h sons t n o c h inso fe rn B e s o n d e r h e i t e n , als de r L i q u o r b e f u n d wesen t l i ch a n d e r s w a r als bei de r f ibe rwiegenden M e h r z a h l de r F~lle. W i r k o m m e n sp~ te r n o c h d a r a u f zurf ick u n d m 6 c h t e n h ie r n u r b e m e r k e n , daB es s ich u m e inen ve rh~ l tn i sm~Big eiweiB- r e i chen ul ld sehr z e l l a r m e n L i q u o r h a n d e l t e .

I n e inem v i e r t e n Fal le , wo gleichfal ls eine A r b e s t a n d , ge lang es, da r f ibe r h i n w e g z u k o m m e n .

JDas klinische Bild bei der Mehrzahl der Fdlle ze ichne te sich, wie s chon e rw~hn t , d u r c h eine gewisse Milde aus, d. h; die L~thmungen w a r e n e n t w e d e r n i c h t seh r a u s g e d e h n t ode r n i c h t k o m p l e t t . T o t a l e P a r a p l e g i e be ide r Beine , wie sic bei den s p o r a d i s c h e n F~ l l en so h~uf ig b e o b a c h t e t wird, k a m n u r v e r e i n z e l t vor . E i n e n b e s o n d e r s t y p i s c h e n Fa l l d ieser A r t h a b e n wi r n u r ganz i ra A n f a n g gesehen, wo v o n t t~ tufung n o c h n i c h t die Rede war . U n t e r den v ie l en Er - k r a n k u n g e n de r sp~ ten S o m m e r m o n a t e w a r die Zah l d e � 8 l e i ch t en F~lle m i t m e h r oder m i n d e r a u s g e b r e i t e t e n P a r e s e n oder derer , wo t i b e r h a u p t n u r e inze lne Muske ln ode r Muskel - g r u p p e n beIa l l en waren , v o r h e r r s c h e n d . W e n n wi r ganz g rob in leichte, m i t t e l s c h w e r e u n d schwere F~lle n a c h d e m G r a d e und de r A u s b r e i t u n g de r P a r e s e n bzw. P a r a l y s e n e inte i len , so k o m m e n wi r e twa zu fo lgender Auf s t e l l ung :

Leichte Erk rankung . . . . . . I2 F~lle mittelschwere Erkrankung . . 20 schwere Erkrankung . . . . . . 8

Auf fa l l end h~tufig w a r die Be te i l i gung de r S t a m m u s k u l a t u r . P a r e s e n i m Geb ie t e des t3auches, de r 1Riicken- u n d Nacken - m u s k u l a t u r w u r d e n v ie l fach b e o b a c h t e t . G r o b e L A h m u n g e n k a m e n in d iesem Geb ie t e a l l e rd ings n i c h t vor . Of te r s wurde i iber S c h m e r z h a f t i g k e i t de r Wi rbe l s~u le geMagt , doch t r a t e n die S c h m e r z e n i m a l l geme inen wede r i m Ri icken n o c h a n den E x t r e m i t X t e n in den V o r d e r g r u n d , i ra G e g e n s a t z zu den oben erw~thnten FAllen des J a h r e s 19a i .

Was r~un die wichtigsten klinischen Erscheinungen ira einzelnen anbelangt, so e r g i b t s ich zun~chs t , dal3 die A n a - mnesen d u r c h a u s u n t y p i s c h waren . G e w 6 h n l i c h w u r d e n n u r u n c h a r a k t e r i s t i s c h e A l l g e m e i n e r s c h e i n u n g e n angegeben . Ge- l egen t l i ch w a r e n ste a u c h von l e i ch t en K a t a r r h e n de r o b e r e n LuI twege , ge legen t l i ch a u c h v o n DurchI~ l l en begle i te t . Das s t a r k e Schwi tzen , welches in den L e h r b t i c h e r n als c h a r a k - t e r i s t i s c h a n g e g e b e n wird, w u r d e so se l t en w a h r g e n o m m e n , daB es n i c h t als t y p i s c h b e z e i c h n e t w e r d e n k a n n . A u c h ‡ e m p f i n d l i c h k e i t de r K i n d e r w u r d e k a u m b e o b a c h t e t . I m g a n z e n g e n o m m e n war es so, daB die P r o d r o m e k a u m je Schlt isse au f die M6gl ichke i t des A u s b r u c h e s e iner Polio- mye l i t i s zulieBen.

2Vun zum wichtigsten Punlcte, zu den Zdhmungen. Zei t l i ch t r a t e n sie r e c h t ve r s ch i eden auf. M a n c h m a l fo tg ten Ste d e n P r o d r o m e n u n m i t t e l b • in de r M e h r z a h l de r F~lle a b e r e n t w i c k e l t e n s ich die M u s k e l s t 6 r u n g e n ganz l a n g s a m . : De r H 6 h e p u n k t w u r d e des 6 I t e r en e r s t n a c h e twa 14 T a g e n er- re ich t , h n D u r c h s c h n i t t w u r d e d e r t3eginn a m 3. b i s 4- K r a n k h e i t s t a g e v e r m e r k t .

Besonders wichtige Au]schli~sse glauben wir aus der Be- obachtwng des Lumbalpunlctates gewonnen zu haben. Die a u c h v o n a n d e r e n A u t o r e n fes tges te l l t e P l eocy tose i s t so g u t wie regelm~Big anzu t r e f f en . V611ig v e r m i B t w u r d e ste n u r in e i n e m e inz igen Fal le , de r a u c h kl i �9 insowei t b e m e r k e n s - we r t war , als, wie schon oben e r w ~ h n t , e r s t in de r 6. W o c h e

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534 K L I N I S C I t E W O C H E N S C H R I F T . 7. J A H R G A N G . Nr . lZ 18. M~RZ I928

eine Zwerchfe l l~hmung auf t ra t , die in der IO. Woche zum Tode ffihrte.

Die Zellzahlbewegt sich meis t in mi t t l e re r t t6he, kann aber anch hohe W e r t e erre ichen und m a n c h m a l auch wieder nur wenig fiber der N o r m liegen. P u n k t i e r t m a n mehr faeh im Ver laufe der I™ so ergib t sich meis t ein schnelles Abs inken der Zellzahl, gelegent l ich k o m m e n aber auch m e h r oder minder unregelm~Bige Wiederansf iege vor.

Der Eiweiflgehalt des Liquors ist im Durchschn i t t gering. D i e Reak t ion nach PANDY ist zwar s te ts posit iv, die nach NONNE aber fast ebenso regelm~Big negat iv , die Reak t ion nach WEXCHBRODT gibt eine geringe Opalescenz.

Von den Kolloidrealr haben wir regelm~13ig die Mas t ix reak t ion ausgeffihrt . Es ergib t sich in den meis ten

~ F o P m 2 ~

Abb. 2. Formen der Mastix- kurve bei Poliomyelitis.

erleichtern dUr]te. In

FMlen nur eine kleine Senkung, welche ara ehesten dem ~hnelt, was m a n als kleine Lueszacke bezeichnet . I n man- chen F~llen war der Aussehlag wieder gr6Ber, so dag er mehr fach an die grol3e Lueszacke er inner te . Wir haben nach der Ges ta l t und nach der Gr6Be des Ausschlags 4 Typen un te rsch ieden (s. Abb. 2). Die Ver te i lung auf diese 4 T y p e n ist die tolgende:

1 9 Fttlle, I I 6

I I I 3 ,, IV 3 ,,

In den res t ie renden 19 FXllen ergab sich ein uncharak te r i s t i sches Bild, in einigen F~tllen wurde auch die Ausfiih- rung unter lassen.

Der Zuckergehalt des Liquors ist un- ver~tndert. E r betr~igt im Durchschn i t t o ,o6%. Die Grenzwer te nach un ten und oben waren o,o49 und o,o75.

Die Liquoruntersuchung erscheint uns darum von erheblicher Bedeutung, weil sie die Diagnose zuk�9 sehr den unklaren F~llen, wo z. B. die L~h-

mungsersche inungen nur angedeu te t sind, oder wo es sich u m minder charakter i s t i sche LAhmungen handel t , kann die Zugeh6rigkei t des Krankhei t sb i ldes zur Pol iomyel i t i s mi t Hil te der L u m b a l p u n k t i o n k larges te l l t werden. E in eiweiB- a rmer Liquor mi t n o r m a l e m Zuckergehal t und einer deut- l ichen Pleocytose muB beim Ausble iben einer Meningi t i skurve im Sinne der Poliom3zelitis v e r w e n d e t werden. Die Be tonung dieser d i f ferent ia ldiagnost ischen Hilfe erscheint uns d a r u m bedeutungsvol l , weil innerha lb von Ep idemien bekannte r - mal3en sehr vie l le ichte F~lle vo rkommen , welche schein- ba r m i t Pol iomyel i t i s nichts zu tun haben. Dabei gehen wir gar n ich t so weit, an d ie F~lle zu denken, welche von nordischen und amer ikanischen Au to ren ber ich te t werden, wo es f iberhaupt n ich t zu L~hmungen kam. Wi r haben un te r unseren F~tllen solche m i t isol ier ten L~thmungen, z. ]3. des Facialis , des Tibialis, angetroffen, bel denen nur die Lumba l - punk t ion die Zugeh6r igkei t zur K inde r l~hmung sicherte. Auch leichte Paresen, die k a u m zur Funk t ionss t6 rung fi ihrten, sind als Pol iomyeli t isf~l le e n t p u p p t worden.

Diese Feststellungen haben ihre Bedeutung nicht so sehr ]�9 dan einzelnen Fall als ]i~r die Epidemiologie. Fii r die Wei te r - ve rb re i t ung der K r a n k h e i t k6nnen gerade die le ichten FXlle, falls der K o n t a k t i ibe rhaupt eine Rolle spielt, viel verh~ngnis- vol ler w e r d e n als die schweren, welche durch ihre L~hmungen an das I3ett gefesselt sind.

In der Behandlung der Krankheit haben wir von jeder med ikamen t6sen ]3eeinflussung abgesehen, desgleichen von der Verwendung von l~ekonvaleszentœ auch Dia- t he rmie haben wir n ich t angewandt . Dagegen haben wir in A n b e t r a c h t des entzf indl ichen Charak te rs der LumbalIlf issig- kei t W e r t darauf gelegt, hiiufig und ausgiebig zu punkt ie ren . I m Anfang wurde en tweder t~tglich oder alle zwei Tage

punkt ier t , spalter in gr6Beren Abst~inden. Je nach dem Al te r des Kindes und d e m Drucke der Lumbalf l i i ss igkei t wurden im Durchschn i t t 5 - - 1 o ccm en tnommen . Wei te rh in scheint uns wicht ig zu sein, daB m a n mi t ak t iven Bewegungsf ibungen n ieh t zu sp~it beginnt . N a c h der d r i t t en bis v ie r ten Woche kann m a n h ie rmi t anfangen. I) ie Verhf i tung von Contrac- t u r en : Spi tzfuBstel lung u. dergl, durch geeignete MaBnahmen ist selbstveI st~indlich.

Was die Erfo lge der Behand lung anbelangt , so l~il3t sich g~inzlich Abschliel3endes bis j e t z t noch n ich t sagœ Wir h a t t e n den Eindruck , daB der durchschni t t l i ch ger ingen Schwere der E r k r a n k u n g auch eine verh/iltnismM3ige Schnel- l igkei t und Vol ls t~ndigkei t dœ Repa ra t i on zu en tspreehen schien.

U n m i t t e l b a r e W i r k u n g von der L u m b a l p u n k t i o n haben wir n icht gesehen. I�9 glauben wir die sehr vollst~indige Wiederhers te l lung auch schwerer Beinl / ihmungen doch in Zusammenhang m i t der L u m b a l p u n k t i o n br ingen zu dfirfen, wenn wir die Resu l t a t e frf iherer J ah re zum Vergleiche heran- ziehen. Sehr auffal lend war, dal3 alle LXhmungen, welche sich ira Gebiete der oberen Extremit~i ten abspielten, ungleich schlechter zurf ickgingen als selbst schwere L~ihmungen an den un te ren Ex t r emi t~ t en . W~ihrend gew6hnlich ange- n o m m e n wird, dat3 die L/ ihmungen des Quadriceps, Tibial is und Del toideus am wenigsten revers ibe l sind, mul3ten wir d iesmal feststellen, dal3 die Muskula tur der oberen Ex t r emi t / i t im Verh~iltnis aueh zum Quadrieeps und Tibialis s ta rk be- nachte i l ig t war. W i r haben den E i n d r u c k -- m• als ein E ind ruck ist es al lerdings n ich t - - , dal3 das viel le icht m i t der L u m b a l p u n k t i o n zusammenh~ingt. Wir wissen ja, dag m a n durch die L u m b a l p u n k t i o n nicht ohne wei teres Flfissigkeit aus dem gesamten Bereiche des Wirbe lkana ls entfernt , sondern dal3 es sich um eine mehr oder minder 6rt l iche Maf3- nahme handel t . I n diesem Zusammenhange k6nnte die W i r k u n g der L u m b a l p u n k t i o n wesent l ich als En t l a s tung der un te ren Rf ickenmarkspar t i en gedeu te t werden mi t ent- sprechend gfinstiger I3eeinflussung der Muskula tur der un te ren K6rperh~lI te . Wir wtirden in sp~teren F~llen n ich t z6gern, bel der ]3eteiligung der Arme n ich t nur die Lumba l - punkt ion, sondern auch die Subocc ip i ta lpunkt ion auszu- ffihren, um wenigstens einen Versuch zu machen, auch an die oberen Pa r t i en des Ri ickenmarkes besser heraflzu- kommen.

W e n n wir schlieBlich ein paar W o r t e zur Epidemiologie y so ha t sich Neues bei uns n icht e rkennen lassen. Ge- legent l ich h a t t e n wir wohl den Eindruck, daB es sich um K o n t a k t e handel te . Diese F~lle waren aber nicht hliufig. Wi r wissen ja f iberhaupt noch nichts Sicheres fiber den Infekt ionsgang, wissen noch nicht, wie wei t der Schutz der Kinder durch , , s tumme In fek t ion" geht, und demgem~iB auch nicht, welche Rolle das Virus, die natf ir l iche I m m u n i t ~ t bzw. der Durchseuchungswiders tand spielen. Das schlieBt natf ir l ich n ich t aus, daB Vorsorge getroffen werden muB. Wi r s tehen vor folgender Ta t sache : ]:)as J a h r 1926 h a t uns schon eine deut l iche H~iufung von spinaler Kinder l~hmung gebrach t und das J a h r 1927 ein betr~cht l iehes wei teres An- schwellen, wenn m a n schlieBlich auch noch nicht von Epide- mien sprechen kann. Wei te rh in h a t sich gezeigt, daB in f3bere ins t immung mi t frf iheren E r f ah rungen der Win te r so gut wie frei zu bleiben scheint. Diese Zeit ist es also, welche m a n b e n u t z e n muB, um Vorkehrungen ffir den immerh in n ich t unm6gl ichen FMI zu treffen, daB es e twa im S o m m e r 1928 zu einem neuen, wom6gl ich noch s t~rkeren Anst iege der Krankhei t sz i f fe rn k o m m e n sollte. Wesent l ich scheint hierbei die Be lehrung der J~rzte fiber die Uns icherhe i t der Prodronle , fiber die le ichten und Abortivf~Llle zu sein. Die Heranz iehung der L u m b a l p u n k t i o n zur Kl~rung dieser unsicheren F~lle dfirf te besonders wicht ig sein. Wenn wir vorl~ufig auch noch n ieh t in der Lage sind i rgendein Mit te l anzugeben, welches zur Verht i tung der Ansbre i tung dient, so werden wir immerh in einen Schr i t t we i te r kommen, wenn wir m i t Hilfe der Mit- a rbe i t der ~rz tesc t ia f t und mi t Hilfe der MeldepIl icht der K r a n k h e i t zu e inem klareren ~ b e r b l i c k fiber die Ausbre i tung

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g e l a n g e n , a l s es b i s h e r m 6 g l i c h w a r , w o i m a l l g e m e i n e n n u r d ie g r 6 b e r e n FXlle r e g i s t r i e r t w u r d e n .

Auf L i t e r a t u r a n g a b e n wird verz ich te t . Die gr6Bte u n d j f ingste Z u s a m m e n f a s s u n g t inde t sich in d e m Aufsa t ze von EDUARD MULLER i m H a n d b u c h der inne ren K r a n k h e i t e n , B]~RGMANN-STAEHELIN, " Bd. I, 2. Auflage. t3erlin: Verlag Ju l ius Springer.

D E R H I R N B E F U N D BEI SCHMERZASYMBOLIE* Von

P r o f . P A U L ~CHILDER und Dr. E~WlN STENGEL, Wien.

A n n a H. , 73 Jahre , Wurde ara 28. VI I I . 1927 in die P s y e h - i a t r i sche I™ d e r W i e n e r Un ive r s i t~ t eingeliefert . Die F r e m d e n - a n a m n e s e ergab, daB die Pa t . , die b i sher k6rper l ich u n d geist ig sehr fr isch gewesen war , a ra 2o. VI I I . in ihrer W o h n u n g ara Boden l iegend a u f g e f u n d e n wurde . Sie habe verwi r r t gesprochen , n ich t v e r s t a n d e n , was m a n zu ihr sprach . L ~ h m u n g s e r s c h e i n u n g e n waren n i ch t be- n le rk t worden. Die Pa t . schiell ira Z i m m e r e twas zu suchen .

I n der t™ is i die Pa t . ruhig, so lange sie n i ch t angesp rochen wi id , zeigt ra t losen Ges ich t sausdruck . Soma t i s che r B e f u n d : H i rn - ne rven , R u m p f , E x t r e m i t ~ t e n neuro logisch o. B. A b n o r m e s Ver- h a l t e n bel Schmerzre izen (s. u.). Cor: vergr6Bert , systol . Ger~usch flber der Spitze, akzen tu i e r t e r 2. Aor t en ton .

Typ i sche sensor i sche Aphas ie . (Wie geh t es I h n e n ?) , , Ich k a n n ja i m m e r , ich b in so w a r m gegen mich . Es is t so spo t u n d ich geh j a fort . N ich t s h a t m i c h e legan t zu sch lech te r " usw. Ausgesproche- ne r r eakf ive r Reded rang . Mfllldliche Auf t r~ge werden n ich t ver- s t a n d e n . Das Ges t enve r s t ~ndn i s i s t n u r ganz m~Big ges t6r t . Doch is t es auffa l lend, dal3 d rohende Ges ten n i eh t v e r s t a n d e n wer- den. Die Pa t . zeigt, d e m Bride der sensor i schen Aphas i e en t - sp rechend , eine grobe Leses t6 rung . Nachschre iben , D ik t a t s ch re iben unm6g l i ch . Spon t ansch r i f t : Die Pat . schre ib t w i e d e r h o l t h in te r - e i nande r r icht ig ih ren N a m e n .

Die Pa t . zeigte in den ers ten T a g e n ihres Sp i t a l au fen tha l t e s eine e igenar t ige S t 6 r u n g be im Hant iere l l m i t Gegens t~nden . Sie se tz t j eden Gegens tand , gleichgfll t ig welcher A r t u n d Gr6Be, vor das rech te Auge, dr i ickt ihn m i t K r a f t an den ]3ulbus, ve rdeck t gleich- zei t ig m i t den F inge rn der l inken H a n d das l inke Auge. Mur eine Brille, die ihr gere ich t wird, se tz t sie r ich t ig auf. Die B e w e g u n g e n zeigen eine leiehte Ungeschickl ichkei t . Auf fa l l end is t die Rflck- s ichts losigkei t , m i t der die Pat . auch h a r t e u n d kan t ige Gegens t~nde gegen das Auge dr~ckt , so dal3 sie sich wiederhol t zu ver le tzen droht . Die Pat . i s t von dieser H a n t i e r n n g n u r schwer abzubr ingen . I s t dies ge lungen , dal ln beh~l t sie die neue H a n t i e r u n g , z. B. Schreibe- bewegungen auf d e m Papier , m i t gleicher Behar r l i chke i t bel, ge- b r a u c h t jedell G e g e n s t a n d (Trompete , Papier , Bro t usw.) als S c h r e i b i n s t r u m e n t oder - - ein anderes Mal n a c h ge lungene r U m - s t e l lung - - als Bflrste. Die B e w e g u n g e n h a b e n e twas ausgesp rochen Tr iebhaf t e s . Die Pa t . zeigt die Tendenz , sie d a u e r n d for tzuse tzen . Wi rd ihr n i ch t s inehr gereicht , reiI3t sie GegenstAnde an sich u n d s e t z t die H a n t i e r u n g - - i m m e r schnel ler u n d wilder werdend -- fort . E s k o m m t dabei zu s ta rker E r s c h 6 p f u n g . E ine Serie von de ra r t i gen H a n d l n n g e n k a n n bis zu einer halbel l S t u n d e dauern . W ~ h r e n d dieser motor ischel l Akte is t die f a t . unzug~ng l i ch , is t n u r du rch l au tes A n f a h r e n u n d energisches A n r u f e n z u m Sist ieren der B e w e g u n g e n zu h r i n g e n .

Die Pa t . zeigt ein auf fa l lendes Ve rha l t en gegen�9 Schmerz- reizen. Auf s t a rke Stiche, au f Schl~ge m i t h a r t e n Gegens t l inden reagier t sie e l l tweder ga r n i ch t oder u n v o l l k o m m e n . Vielfach b e s t e h t die Reak t i on in e inem Stre ichen fiber die I™ a n der der Schmerzre iz erfolgt . Die Pa t . zeigt en twede r keine oder eine n u r besch r~nk te lokate F l u e h t t e n d e n z . Dabe i i s t sie ke ineswegs an- ~s the t i sch . N a c h St ichen k o m m t das W o r t , ,Schmerz" u n d , ,Weh" wiederhol t ira logor rhoischen Du.ktus vor. Vielfach zeigt die Pa t . a u c h den mimische l l A u s d r u c k des Schmerzes . T r o t z d e m v e r s u c h t sie n iemals eine ellergische Abwehr oder F l u c h t bel den z u m Teii s eh r s t a rken Schmerzre izen . Sie zeigt auch ke inen Unwi l len gegen den Un te r suche r , der ihr die Schmerzen zuff igt , behii l t ihr f r eund l ich e n t g e g e n k o m m e n d e s B e n e h m e n bel. Besonde r s auf fa l l end ist, daB die Pa t . , w e n n die Appl ika t ion von Schmerzre izen u n t e r b r o c h e n wird, d e m U n t e r s u c h e r die eben ges tochene E x t r e m i t ~ t h inh~l t , allf b e s t i m m t e H a u t s t e l l e n zeigt -- v ie l fach m i t d e m W o r t , ,b i t te" . \V~hrend der Appl ika t ion von St iehen d r eh t die Pa t . h~uf ig die E x t r e m i t ~ t so, dal3 m6gl ichs t viele H a u t s t e l l e n Schmerzre ize emp- f angen k6nnen. Dabe i zuck t sie wiederhol t z u s a m m e l l u n d zeigt den oben e rw~hn ten S c h m e r z a u s d r u c k . W i r d der Pa t . die Nade l ge- reicht , danl l b e g i n n t sie sich sehr energ isch zu s techen, zeigt dabei die g le ichen R e a k t i o n e n wie bel d e m ihr v o m U n t e r s u c h e r zu-

* Mitgeteilt ~m VeleJn ffir Neurologie und Psychiatrie in Wien anl 20. Dezember I927.

geff lgten Schmerz . A u c h bel Appl ika t ion s t a rke r Hi tzereize , ferner bel ande ren g e f a h r d r o h e n d e n Reizen, die sons t zur F l u c h t - t e n d e n z ffihren, z. ]3. bel schri l len Pf i f fen oder A n n ~ h e r u n g s t a rke r L ich tque l len , feh l t die e n t s p r e c h e n d e Reak t ion . Es muB hervor - gehoben werden , das die Pa t . den Reizen ke ineswegs in teresse los gegenf ibers teh t , sondern s icht l ich bete i l ig t u n d in teress ier t ist. Das Vers t i indnis ffir d r o h e n d e Ges ten is t er loschen.

Die mo to r i s che E i n s t e l l u n g s s t 6 r u n g bi ldete sich n a c h einigen W o c h e n we i t gehend zurfick. E r s t j e t z t war eine P rax iep r f i fung durchf f lh rbar , die eine n u r le ichte ap rak t i s che S t6rung , welche sich vorwiegend in Ungesch ick l i chke i t ~uI3erte, aufdeck te . Schwerer ges t6 r t war n u r die I m i t a t i o n von F i n g e r b e w e g u n g e n u n d -s te l lun- gen. Rie S c h m e r z s i n n s t 6 r u n g blieb ira wesen t ! ichen unver l inder t .

N a c h d r e i m o n a t i g e m S p i t a l s a u f e n t h a l t t r a t e n wiederho l t Zu- s t~nde von B e n o m m e n h e i t auf, die aphas i s che S t6 rung zeigte s c h w a n k e n d e In tens i t l i t . Es k a m d a n n zu einer p rogred ien ten Ver- s ch l ech t e rung des Zus tandes , zu kard ia le r D e k o m p e n s a t i o n . Die Pa t . s t a rb ara 17. XI . 1927 u n t e r kard ia len I~rscheinnngen.

I)ie O b d u k t i o n (Dr. MUSGER) e rgab eine hochgrad ige At roph ie des Herzens , Zeiehen einer abge l au fenen E n d o k a r d i t i s der Mitral is u n d Tricuspidal is , zahl re iche hya l ine P l aques an der I n t i m a der Aor ta . An den L u n g e n Zeiehen e iner a b g e l a u � 9 Apicit is . Der ]Befund ara flbrigen K6rpe r is t bis au f hochg rad igen M a r a s m u s nega t iv .

Ara Gehirn zeigte sich eine m~il3ige At roph ie der Gyri, vo rwiegend der F ron ta l - u n d Oecip i ta l lappen. Sons t wa re n a m unsez ie r t en G e h i m keine s icheren Zeichen einer Seh~idigung e rkennbar .

F ix i e rung in Formal in . Zer legung in Scheiben von IO m m Dicke. Es erg ib t s ich fo lgender B e f u n d : Ira Markweil3 der l inken m i t t l e r en u n d u n t e r e n F r o n t a l w i n d u n g , in j ene r Ebene , die d e m vorde ren E n d e des R a m u s hor izonta l i s f i ssurae Sylvi en t sp r i ch t , l iegt ein iilterer Er - we i chungshe r d (Abb. I u n d 2). Es h a n d e l t s ich u m eine s eh m a le H6hle , die z u m Teil von spong i6sem B a l k e n w e r k erfflllt ist. N u r s te l lenweise i s t die W a n d gla t t . Der f rontooccip i ta le D u r c h m e s s e r f iberschre i te t an ke iner Stelle 4 m m , is t s te l lenweise aber n u r 2 m m . An einer Stelle re ich t die D e s t r u k t i o n bis in die inne ren R i n d e n - sch ich ten , media lwi i r t s bis an das C e n t r u m semiovale . Der medio- la te ra le D u r c h m e s s e r be t r i ig t e twa 20 m m , der ver t ika le ca. 15 m m . Der H e r d e r s t reck t s ich u n t e r h a l b der Hor i zon ta l ebene des R a m u s hor. fiss. Sylvi in die Pa r s orb i ta l s der u n t e r e n F r o n t a l w i n d u n g . Die f lbrigen P a r t i e n des F r o n t a l l a p p e n s s ind m a k r o s k o p i s c h in t ak t .

I n j ener I~bene, die an1 F r o n t a l s c h n i t t e d e m vo rde r s t en E n d e des Cornu infer ius des Se i t enven t r ike l s en t sp r i ch t , f inde t s ich eine E r w e i c h u n g s h 6 h l e ira Bereiche des Markes des Gyrus Iongus insulae . Diese H6h le s t e h t in V e r b i n d u n g m i t e inem g le ichar t igen Herd , der e inen Teil des Markes u n d der 1Rinde der vorderen Hesch l s ch en W i n d u n g e i n n i m m t : Es h a n d e l t s ieh u m j enen Teil dieser W i n d u n g , der in der Tiefe der Insel liegt. Der He rd greif t au f den b e n a c h b a r t e n oberen Ante i l der e r s ten T e m p o r a l w i n d u n g flber (Abb. 3).

Der Des t ruk t ionsprozeB se t z t s ich in das MarkweiB des u n t e r e n Pa r i e t a l l~ppchens fort . Hier h a n d e l t es sich n i ch t m e h r u m eine e inhei t l iche H6hle , sonde rn u m eine Zerkl f l f tung des Gewebes m i t groben Subs t anzde fek t en . N u r an zwei Stel len s ind die i n n e r s t en 1Rindenschichten in b e s c h r ~ n k t e r A u s d e h n u n g in der Tiefe der W i n d u n g usur ie r t . E in i )bergre i fen des Prozesses au f die h in t e re Z e n t r a t w i n d u n g is t m a k r o s k o p i s c h n i ch t f e s t s t e l lba r (Abb. 4). Der ZerfallsprozeI3 d u r c h s e t z t das Markweil3 der basa l en Telle des Gy ru s s u p r a m a r g i n a l i s in se iner ganzen A u s d e h n u n g u n d erre icht eben noch m i t e i nem schml ich t igen AusEiufer den vo rde r s t en Ante i l des Gyrus angular i s . ]�9 H e r d grei f t h ier au f das Markweil3 des obe r s t en Ante i les der e r s ten T e m p o r a l w i n d u n g flber.

Es s ind also, j ene Pa r t i en des Pa r i e t a l l appens ergriffen, die die obere u n d h in te re U m g r e n z u n g de r F i s su r a Sylvi b i lden (das O p e r c u l u m parietale) , in ge r i nge rem Ausmal3e Telle der Insel u n d der e r s ten T e m p o r a h v i n d u n g .

E s h a n d e l t s i c h u m e i n e n a p o p l e k t i s c h e n I n s u l t b e l A t h e r o s k l e r o s e . D a s k l i n i s c h e B i l d w i r d v o n d e r s e n s o r i s c h e n A p h a s i e b e h e r r s c h t . V o n d e n a p r a k t i s c h e n S t 6 r u n g e n b l e i b t n a c h e i n i g e n W o c h e n i ra w e s e n t l i c h e n n u r e i n e S t 6 r u n g i n d e r F i n g e r w a h l zu r f i ck . Z w e i S y m p t o m e t r e t e n a u l 3 e r d e m b e d e u t s a m h e r v o r : i . E i n e m o t o r i s c h e Einstellungsst6rung. 2. E i n e Asymbolie/�9 Schmerzreize. So w o l l e n w i r d ie S t 6 r u n g i m A u f b a u d e r S c h m e r z w a h r n e h m u n g , d ie u n s e r e P a t i e n t i n b i e t e t , n e n n e n .

D i e E i n s t e l l u n g s s t 6 r u n g t r i t t n u r zu ]~eg inn d e r B e o b - a c h t u n g d e u t l i c h h e r v o r . ]�9 P a t i e n t i n f f i h r t z. ]3. r f i ck - s i c h t s l o s G e g e n s t ~ n d e g e g e n i h r A u g e u n d b o h r t s ie e i n o d e r s ie b f i r s t e t m i t a l l e m , w a s i h r g e r e i c h t w i r d , o d e r s ie s c h r e i b t u s w . , j e n a c h d e m , ob m a n i h r d i e s e o d e r j e n e E i n - s t e l l u n g b e i g e b r a c h t h a t . Sie w i e d e r h o l t e i n e e i n m a l b e -