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Zum relativen und absoluten Werturteil bei Ludwig Wittgenstein Offener Abend zu Gesprächen über Religion, Kunst und Gesellschaft Die technische Welt. Ängste.Widersprüche. Perspektiven Langenargen am 22.04.2008 Stefan Latt

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Zum relativen und absoluten Werturteil

bei Ludwig Wittgenstein

Offener Abend zu Gesprächen über Religion, Kunst und Gesellschaft

Die technische Welt. Ängste.Widersprüche. Perspektiven

Langenargen am 22.04.2008

Stefan Latt

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„Ersparen wir uns doch den

transzendentalen Quatsch,

wenn das Ganze so eindeutig ist

wie ein Kinnhaken.“

Ludwig Wittgenstein

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„Die Arbeit an der Philosophie ist - wie vielfach

die Arbeit an der Architektur - eigentlich mehr

die/eine Arbeit an Einem selbst. An der eigenen

Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht

(und was man von ihnen verlangt).“

Ludwig Wittgenstein

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Struktur

! Zeittafel zu Ludwig Wittgenstein

! L.W. als Architekt

! Seine Auffassung von Ethik:

das relative und absolute Werturteil

! Schlussfolgerungen

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Zeittafel zum Leben von Wittgenstein

! 26. April 1889: Geburt in Wien

! 1903: aus der Privaterziehung in die Realschule nach Linz

! 1906: Matura und Beginn des Ingenieursstudium an der TU Berlin

! 1908: nach England und aeronautische Experimente

! 1911: Beginn des Studiums bei B. Russell in Cambridge

! 1912: Freundschaft mit Russell, Moore, KeynesReise mit David Pinsent nach Island (1913 nach Norwegen)

! 1914: wird in Wien vom Kriegsausbruch überrascht; Stiftungvon 10000 Kronen an Rilke, Kokoschka, TraklKriegsfreiwilliger in Krakau

! 1916: als Artilleriebeobachter in Galizien an die Front;Offiziersschule in Olmütz

! 1918: Verlegung an die italienische FrontTod des Freundes D. PinsentEndgültige Niederschrift des Tractatus logico-philosophicus(Beginn 1912)Gefangennahme bei Trient

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Zeittafel zum Leben von Wittgenstein

! 1919: Gefangenschaft auf Monte Cassino; Traktat-Manuskript anRussell (erscheint 1921, dann unter dem heutigen Titel 1922;im August Ankunft in Wien; Entschluss, Volksschullehrer zuwerden; Lehrerbildungsanstalt in Wien;überlässt das Vermögen den Geschwistern

! 1920: Ferienarbeit als Gärtnergehilfe; erste Lehrerstelle inTrattenbach

! 1922: Hauptschullehrer in Haßbach und in Puchberg (bis 1924)

! 1925/26: Besuch bei Keynes in England; Aufgabe desLehrerberufsbaut mit Engelmann das Haus für seine Schwester

! 1927: Kontakt zum Wiener Kreis (Schlick, Carnap etc.)

! 1929: Rückkehr nach Cambridge: Tractatus als Dissertation

! 1930 / 1936: einzig öffentlicher Vortrag: Ethik

Forschungs- und Lehrauftrag (bis 1936)diktiert verschiedene Manuskripte; arbeitet zu Sprache, Logik,Mathematik, später zu philosophischer PsychologieReisen nach Irland, Russland, Frankreich

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Zeittafel zum Leben von Wittgenstein

! 1936: neun Monate Norwegen

! 1938 / 1939: bewirbt sich um brit. Staatsbürgerschaft;erhält Lehrstuhl Moores (Grundlagen der Mathematik)

! 1941: Laborant in Spitalsapotheke in London

! 1944: wieder Professor in Cambridge

! 1947: letzte Vorlesung im Frühjahr; legt im Herbst dieProfessur nieder; Aufenthalt in Irland (für 18 Monate); lebtz.T. in absoluter Einsamkeit

! 1949: Abschluss des zweiten Teil der Philosophischen

Untersuchungen trotz KrankheitRückkehr nach England; Diagnose KrebsFahrt nach Norwegen und Wien, keine philosophischeArbeit

! 1951: ab Februar bei Dr. Bevan in Cambridge; einigeWochen Arbeit über Gewissheitstirbt am 29. April;Beerdigung am 01. Mai in Cambridge

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Wittgenstein als Architekt (hier mit seinem Freund Paul Engelmann)

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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Wittgenstein als Architekt

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„Ethik“ bei L.W. (hier Vortrag von 1929 „Lecture on Ethics“

L.W. folgt der Definition von G.E. Moore (Principia Ethica)

! „Ethik ist die allgemeine Frage nach dem, was gut sei.“

! Ethik fragt nach dem, was wertvoll sei- oder nach dem Sinn des Lebens.

! oder:was das Leben lebenswert macht bzw. nach der rechtenLebensweise

! Die Sätze, die er zur Erläuterung nutzt, werden in zweierlei Sinngenutzt:

! in einem alltäglichen oder relativen Sinn

! in einem ethischen oder absoluten Sinn

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„Ethik“ bei L.W. (hier Vortrag von 1929 „Lecture on Ethics“

! Beispiel relatives Werturteil:

Sie sagen zu einem Tennisspieler:

! „Sie spielen ziemlich schlecht!“

! „Ich weiß, aber ich will gar nicht besser spielen.“

! Reaktion: Kenntnisnahme.

! Beispiel absolutes Werturteil:

Sie sagen zum gleichen Tennisspieler:

! „Sie benehmen sich schlecht, wenn Sie lügen.“

! „Ich weiß, aber ich will mich gar nicht besser benehmen.“

! Reaktion: Aufforderung: „Das sollten Sie aber!“

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„Ethik“ bei L.W. (hier Vortrag von 1929 „Lecture on Ethics“

! Gut im relativen Sinn bedeutet, dass ein gewisser, festgelegterStandard erreicht wird (der Gegenstand in Relation zum Standard)

! Ein guter Klavierspieler zeichnet sich dadurch aus, dass er dieStücke einer gewissen Schwierigkeit und einer gewissen Fertigkeitspielen kann.

! Ein richtiger Weg ist in Hinblick auf ein festgelegtes Ziel und inRelation zu anderen bestimmten (oder bestimmbaren) Kriterien(Zeit, Mittel etc.) als richtig / gut zu bezeichnen

! Jedes relative Werturteil bezieht sich auf die blosse Feststellungvon Tatsachen: etwas verhält sich in einer bestimmten Relation zuetwas

! aber: keine Feststellung von Tatsachen kann kein absolutesWerturteil sein oder auch nur implizieren

! Die Beschreibung von Tatsachen können an sich „in irgend einemSinn erhaben oder wichtig oder geringfügig“ sein.Sie sind im besten Sinn gleich - gültig.

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„Ethik“ bei L.W. (hier Vortrag von 1929 „Lecture on Ethics“

! Hamlet: „Denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken

macht es erst dazu.“

! „Unsere Wörter sind Gefäße, die, so verwendet, wie wir sie in derWissenschaft verwenden, nur Sinn und Bedeutung enthalten undmitteilen können, natürliche Bedeutung und natürlichen Sinn.“

! Sprache findet an dem Übergang von Relativem und Absolutem ihreGrenze, weil das Absolute nicht beschreibbar ist.

! Ethik ist in diesem Sinne übernatürlich, weil sie jenseits der Relationauf etwas Absolutes hinweist:

! die Empfindung eines Spaziergangs an einem schönen Sommertag

! das Staunen darüber, dass die Welt existiert

! das Gefühl von absoluter Geborgenheit

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„Ethik“ bei L.W. (hier Vortrag von 1929 „Lecture on Ethics“

! Im Ausdruck z.B. von „Staunen“ oder „absoluter“ Geborgenheit wirddie Sprache missbraucht: sie gibt vor etwas ausdrücken zu können,was nicht beschreibbar ist oder tatsächlich ausgedrückt werdenkann.

! Offensichtlich werden hier Gleichnisse verwendet, um dasUnausdrückbare zu verdeutlichen und in die Welt zu holen.

! So wie die Begriffe der Religion als Gleichnisse und allegorischverwendet werden, ebenso in der Sprache der Ethik: es wird etwasausgedrückt, obwohl es keine Tatsache ist (die ließe sichbeschreiben).

! Das Staunen über die Welt ist das Erlebnis, die Welt als ein Wunder

zu sehen: ein Wunder, was mit wissenschaftlichen Kategorien nichtverifizierbar ist.

! Ethik ist in diesem Sinn keine Wissenschaft.

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„Wie die meisten Anwälte wissen, irren sich die

Augenzeugen häufig. (...)

Wenn ein Ereignis eine verführerische Deutung

nahe legt, lässt sich der Augenzeuge das wirklich

Geschehene meistens durch diese Deutung

entstellen.“

Karl Popper

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Schlussfolgerung

! Das, was sich jenseits der beschreibbaren Tatsachen andeutet,dadurch existent ist und sich dennoch nicht beschreiben lässt, alsodas Absolute, weist über die sinnvolle Sprache und über die Welthinaus.

! Es bleibt dann nichts, außer das, was sich da zeigt, an sichanzuerkennen und zu glauben.

! Allerdings: in uns Menschen gibt es immer wieder die Tendenzetwas Relatives zu etwas Absolutem zu erheben:hier ist dann immer die Frage zu stellen, in welchem Interesse, auswelchem Grund und mit welcher Absicht das geschieht.

! Das eine vom anderen unterscheiden zu können scheint in Bezugauf die Erfüllung im eigenen Leben notwendig:

um zu werden, wer man hier ist.

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Schlussfolgerung

Am Schluss steht nicht die erläuternde und beruhigende Erklärung,sondern immer wieder dieselben in Bewegung haltenden Fragen:

! Wer bin ich?

! Wer will ich sein?

! Wie lässt sich das Gute verwirklichen?

! denn:

„In jedem Lebensalter besteht die sittliche Aufgabe jeder Persondarin, annehmen was ist, um daraus zu machen, was sein soll.“R. Guardini

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Implizite Ethik bei Heinz von Förster

Für mich ist Ethik der Atem, der all mein Tun und Handeln mitder Gewissheit belebt, dass niemand sonst - nur ich - für meinTun und Handeln verantwortlich ist.

Ich versuche daher für mich, die folgende Regel einzuhalten:in jedem meiner Gespräche, sei es über Wissenschaft,Philosophie etc. oder im täglichen Leben mich zu bemühen,meine Sprache so zu meistern, dass Ethik implizit bleibt.

Warum?

Weil ich fürchte, wenn Ethik auftaucht und explizit wird, der Atemerstickt in den Debatten über Moral.

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Quellen:

! D. J. Edmonds, J. A. Eidinow: „Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhakendrohte“, Deutsche Verlags-Anstalt, 2003

! R. Guardini: „Die Lebensalter“, Topos Taschenbücher, 1994

! B. Leitner: „Das Wittgenstein Haus“, Hatje Cantz Verlag, 2000

! I. Somavilla: „Wittgenstein - Engelmann Briefe, Begegnungen, Erinnerungen“, Haymon, 2006

! P. Wijdeveld :„Ludwig Wittgenstein, Architekt“, Wiese Verlag, 1994

! L. Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus“, Werkausgabe Band 1, suhrkamp taschenbuchwissenschaft, 1995

! L.Wittgenstein: „Geheime Tagebücher“, 1914 - 1916, W. Baum (Hrsg.), Turia & Kant, 1991

! K. Wuchterl, A .Hübner: „Wittgenstein“, rowohlts monographien, 1989