zum problem der farbträger des ultramarin-grün und des...

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution 4.0 International License. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz. Zum Problem der Farbträger des Ultramarin-Grün und des Ultramarin-Rot On the Problem of the Colored Species in Ultramarine Green and Ultramarine Red Fritz Seel*, Hans-Joachim Güttier, Andrzej B. Wifckowski und Bernhard Wolf Fachbereich für Anorganische und Physikalische Chemie der Universität des Saarlandes, D-6600 Saarbrücken Z. Naturforsch. 84b, 1671-1677 (1979); eingegangen am 9. August 1979 Sulfur Chemistry, Ultramarine Pigments, ESR, VIS/UV Spectra ESR and UV/VIS spectra indicate that the color of ultramarine green is due to two radical ions S2 _ (yellow) and S3 - (blue) whereas ultramarine red contains the neutral sulfur molecule S4 (red) predominantly. On heating in chlorine gas, ultramarine violet was converted to a red powder which exhibited the ESR signal of S03~ with g = 2.0036 and in its reflection spectrum the characteristic band of S3 near 24,400 cm -1 . 1. Einleitung Während die Frage nach der Natur des Trägers der intensiven Farbe des Lapis lazuli und des künst- lichen Ultramarin-Blaus (UB1) durch ESR- [1-11], VIS- [7, 9], IR- [9] und ramanspektroskopische [12-14] Untersuchungen mehrerer Arbeitskreise - die sich gegenseitig ergänzten und bestätigten - in überzeugender Weise gelöst worden ist, sind das Ultramarin-Grün (UGr) und das Ultramarin-Rot (URo) noch nicht so eingehend untersucht. Erst in jüngster Zeit sind die Resonanz-Raman-Spektren auch dieser Farbpigmente aufgenommen worden [14]. Im folgenden wird über ESR- und elektronen- spektrometrische Untersuchungen an handelsübli- chen Pigmenten einschließlich des Ultramarinblau berichtet. Es standen fünf Probesubstanzen - dar- unter auch ein violettes Pigment (UVi) - zur Ver- fügung, deren analytische Zusammensetzungen durch die nachfolgenden Formeln angegeben sind. UGR G 601 [Si6,05Al5>95024]Na6)75Ko>09S3>67 UB1IV/307 [Si7>ooAl5>oo024]Na5I95Ko>i2S3,39 UB1 V/8060 [Si6>32Al5,67 0 24]Na6,37Ko)loS2>66 UVI V 705 [Si7>09Al4>9l024]Na5,llKo!05S3>34 URo R 804 [Si7>26Al4>74O24]Na3,73K0,03(NH4)0,10S3)33 Im Hinblick auf die Gitterstruktur der Ultramarine, die der des Sodaliths entspricht, sind die Analysen- ergebnisse so errechnet, daß in den Formeln insge- samt 12 Silicium- und Aluminium-Atome (ent- sprechend ihrer Zahl in der Elementarzelle) indiziert werden. Durch Halbierung der Indizes von Na, K, * Sonderdruckanforderungen an Prof. Dr.M.Baudler. 0340-5087/79/1200-1671/$ 01.00/0 NH4 und S ergibt sich die durchschnittliche Be- setzung eines Sodalith,,käfigs". Die Sauerstoffge- halte wurden mit der Annahme errechnet, daß die Substanzen außer den angegebenen keine anderen Elemente enthalten, d.h. der Wasserstoffgehalt ist vernachlässigt. Ein in den Formeln nicht angegebe- ner Überschuß an Sauerstoffatomen gegenüber den 24, die das Si-O-Al-Gerüst der Elementarzelle bil- den, erklärt sich vor allem durch den in der Reihen- folge UGr < UB1 <BVi < URo zunehmenden Ge- halt an „oxidischem" Schwefel und Wasser, das sich durch einfaches Trocknen nicht quantitativ ab- trennen läßt. In dem untersuchten U-Rot waren nahezu 40% der Käfige mit Sulfat- bzw. Sulfitionen und Schwefeldioxidmolekülen besetzt, und außer- dem enthielten die Hohlräume im Durchschnitt 1,6 Wassermoleküle. Die Notierungen bestätigen früher publizierte Angaben: Im wesentlichen unterscheiden sich die Ultramarin-Pigmente nicht so sehr durch den Schwefel- als durch den Alkali-Gehalt, der in der Reihe UGr > UB1 > UVi > URo abnimmt. Be- merkenswert ist dabei, daß URo insgesamt weniger Natrium- und Kaliumatome und Ammoniumgrup- pen als Aluminiumatome enthält, so daß man an- nehmen muß, daß ein Teil der O-Brücken des Ultramarin-Gitters durch OH-Brücken ersetzt ist. Sicher ist dies auch bei den anderen Ultramarin- sorten bis zu einem gewissen Grade der Fall. (Es ist auch angenommen worden, daß URo OH3 + -Ionen enthält [7, 14]. Diese Hypothese widerspricht der Tatsache, daß Alumokieselsäuren schwache Säuren sind.) Da ein Teil der Sauerstoffatome der Formel- einheit [Siö+aAl 6_2;024] Hydroxylgruppen (bzw.

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution4.0 International License.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz.

Zum Problem der Farbträger des Ultramarin-Grün und des Ultramarin-Rot

On the Problem of the Colored Species in Ultramarine Green and Ultramarine Red

Fritz Seel*, Hans-Joachim Güttier, Andrzej B . Wifckowski und Bernhard Wolf Fachbereich für Anorganische und Physikalische Chemie der Universität des Saarlandes, D-6600 Saarbrücken Z. Naturforsch. 84b, 1671-1677 (1979); eingegangen am 9. August 1979 Sulfur Chemistry, Ultramarine Pigments, ESR, VIS/UV Spectra

ESR and UV/VIS spectra indicate that the color of ultramarine green is due to two radical ions S2_ (yellow) and S3- (blue) whereas ultramarine red contains the neutral sulfur molecule S4 (red) predominantly. On heating in chlorine gas, ultramarine violet was converted to a red powder which exhibited the ESR signal of S03~ with g = 2.0036 and in its reflection spectrum the characteristic band of S3 near 24,400 cm - 1 .

1. Einleitung Während die Frage nach der Natur des Trägers

der intensiven Farbe des Lapis lazuli und des künst-lichen Ultramarin-Blaus (UB1) durch ESR- [1-11], VIS- [7, 9], IR- [9] und ramanspektroskopische [12-14] Untersuchungen mehrerer Arbeitskreise -die sich gegenseitig ergänzten und bestätigten - in überzeugender Weise gelöst worden ist, sind das Ultramarin-Grün (UGr) und das Ultramarin-Rot (URo) noch nicht so eingehend untersucht. Erst in jüngster Zeit sind die Resonanz-Raman-Spektren auch dieser Farbpigmente aufgenommen worden [14]. I m folgenden wird über ESR- und elektronen-spektrometrische Untersuchungen an handelsübli-chen Pigmenten einschließlich des Ultramarinblau berichtet. Es standen fünf Probesubstanzen - dar-unter auch ein violettes Pigment (UVi) - zur Ver-fügung, deren analytische Zusammensetzungen durch die nachfolgenden Formeln angegeben sind.

UGR G 601 [Si6,05Al5>95024]Na6)75Ko>09S3>67 UB1IV/307 [Si7>ooAl5>oo024]Na5I95Ko>i2S3,39 UB1 V/8060 [Si6>32Al5,67 0 24]Na6,37Ko)loS2>66 UVI V 705 [Si7>09Al4>9l024]Na5,llKo!05S3>34 URo R 804 [Si7>26Al4>74O24]Na3,73K0,03(NH4)0,10S3)33

Im Hinblick auf die Gitterstruktur der Ultramarine, die der des Sodaliths entspricht, sind die Analysen-ergebnisse so errechnet, daß in den Formeln insge-samt 12 Silicium- und Aluminium-Atome (ent-sprechend ihrer Zahl in der Elementarzelle) indiziert werden. Durch Halbierung der Indizes von Na, K ,

* Sonderdruckanforderungen an Prof. Dr. M. Baudler. 0340-5087/79/1200-1671/$ 01.00/0

NH4 und S ergibt sich die durchschnittliche Be-setzung eines Sodalith,,käfigs". Die Sauerstoffge-halte wurden mit der Annahme errechnet, daß die Substanzen außer den angegebenen keine anderen Elemente enthalten, d.h. der Wasserstoffgehalt ist vernachlässigt. Ein in den Formeln nicht angegebe-ner Überschuß an Sauerstoffatomen gegenüber den 24, die das Si-O-Al-Gerüst der Elementarzelle bil-den, erklärt sich vor allem durch den in der Reihen-folge UGr < UB1 < B V i < U R o zunehmenden Ge-halt an „oxidischem" Schwefel und Wasser, das sich durch einfaches Trocknen nicht quantitativ ab-trennen läßt. In dem untersuchten U-Rot waren nahezu 4 0 % der Käfige mit Sulfat- bzw. Sulfitionen und Schwefeldioxidmolekülen besetzt, und außer-dem enthielten die Hohlräume im Durchschnitt 1,6 Wassermoleküle.

Die Notierungen bestätigen früher publizierte Angaben: Im wesentlichen unterscheiden sich die Ultramarin-Pigmente nicht so sehr durch den Schwefel- als durch den Alkali-Gehalt, der in der Reihe UGr > UB1 > U V i > U R o abnimmt. Be-merkenswert ist dabei, daß U R o insgesamt weniger Natrium- und Kaliumatome und Ammoniumgrup-pen als Aluminiumatome enthält, so daß man an-nehmen muß, daß ein Teil der O-Brücken des Ultramarin-Gitters durch OH-Brücken ersetzt ist. Sicher ist dies auch bei den anderen Ultramarin-sorten bis zu einem gewissen Grade der Fall. (Es ist auch angenommen worden, daß U R o OH3+-Ionen enthält [7, 14]. Diese Hypothese widerspricht der Tatsache, daß Alumokieselsäuren schwache Säuren sind.) Da ein Teil der Sauerstoffatome der Formel-einheit [Siö+aAl 6_2;024] Hydroxylgruppen (bzw.

1672 F. Seel et al. • Farbträger des Ultramarin-Grün und des Ultramarin-Rot

-ionen) angehört, läßt sich aus den Analysendaten (auch unter Berücksichtigung des Wassergehaltes) nicht auf die durchschnittliche Oxidationsstufe des Schwefels rückschließen. Eindeutig läßt sich jedoch ersehen, daß für die Bildung von U V i und U R o ein größerer Überschuß an Siliciumatomen gegenüber Aluminiumatomen günstig ist. Dies bedeutet in-folge der Herabsetzung des Gehaltes an Alkali-metallatomen eine Vergrößerung des Raumes in den „Käf igen". Offensichtlich ist der Farbträger des U R o ein größeres Molekül oder Molekülion. Man erkennt schließlich, daß die Summe der Alkali-metall- und Schwefelatome pro Elementarzelle, ab-gesehen von UGr, die Zahl 10 nicht überschreitet. Dies bedeutet, daß im allgemeinen fünf Atome dieser Art innerhalb eines Hohlraumes zu finden sind.

2. ESR-Spektren

Die ESR-Spektren der untersuchten Ultramarine vor und nach dem Erhitzen auf 800 °C bei Proben-temperaturen von + 2 5 und — 1 9 6 °C sind in den Abbildungen l a , b und 2a, b aufgezeichnet. Insbe-

Abb. 1 a, b. ESR-Spektren von Ultramarin-Pigmenten bei 25 °C (a) und — 196 °C (b). Mikrowellenfrequenzen 9,36 GHz (a), 8,97 GHz (b). VF = Faktor der Ampli-tudenverstärkung bezogen auf UB1.

sondere auf Grund der Ergebnisse, die die Unter-suchungen an schwefeldotierten Alkalihalogeniden [15] und an ausgefrorenen Lösungen von H M P T [16] erbracht haben, ist völlig gesichert, daß es sich bei den Spektren von UGr und U R o um Überlagerun-gen des anisotropen Signals des S3 -Ions mit dem orthorhombischen g-Tensor gxx = 2,0044, gvy = 2,0495 und gzz = 2,0325 und des zugehörenden

Abb. 2 a, b. ESR-Spektren von Ultramarin-Pigmenten nach dem Erhitzen auf 800 °C bei 25 °C (a) und —196 °C (b). Mikrowellenfrequenzen 9,36 GHz (a), 8,97 GHz (b). VF = Faktor der Amplituden Verstär-kung bezogen auf UB1 in Abb. la,b.

isotropen Signals mit g = 2,029 handelt, das bei UB1 allein auftritt. Sehr deutlich ist zu erkennen, daß der Gehalt an S3~ bei UGr und U R o wesentlich geringer ist als bei UB1. Somit zeigen die E S R -Spektren klar, daß das Grün von UGr der Mischung einer gelben Komponente mit dem blauen S3_-Ion und die Blaustichigkeit von U R o auf das Vorhan-densein von S3 zurückzuführen ist. Bemerkenswert ist, daß das isotrope Signal des UB1 selbst bei — 1 9 6 °C auch nicht andeutungsweise in das aniso-trope übergeht, während ein Teil der S3_-Ionen des UGr und U R o offensichtlich auch noch bei Raum-temperatur rotationsbehindert ist. Man kann dies darauf zurückführen, daß in den Gittern von UGr und U R o S3 -Ionen in den Bezirken stabilisiert werden, in denen sowohl die Käfige als auch deren „Fenster" maximal mit Natrium- (bzw. Kalium-) Ionen besetzt sind, so daß sowohl die Rotations- als auch die Aus tausch Vorgänge verhindert werden. Man versteht damit auch, daß es nicht möglich ist, die reine Gelbkomponente oder allein den roten Farbträger im Ultramaringitter zu erhalten. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß man durch Behandeln von U R o mit Ammoniumnitrat im Schmelzfluß bei 190 °C ein Produkt erhalten kann, dessen ESR-Spektrum bereits bei Normaltempera-tur das sehr gut ausgebildete anisotrope S3 -Signal aufweist.

Beim Erhitzen auf 800 °C unter Luftabschluß nahm der Radikalgehalt des untersuchten U R o deutlich zu. Möglicherweise ist dies durch Umset-

1673 F. Seel et al. • Farbträger des Ultramarin-Grün und des Ultramarin-Rot

zung des freien oder leicht abspaltbaren Schwefels mit dem Sulfit der Probe zu erklären (13 S + 2 Na 2 S0 3 -> 4NaS3 + 3S0 2 ) . Die zu beobachtende „Radikalstabilität" beim Erhitzen aller Pigmente auf 800 °C ist erstaunlich.

Im Zusammenhang mit unserer Problemstellung ist natürlich insbesondere die Frage interessant, ob sich auch andere Radikalionen als das S3 -Ion in Ultramarinen ESR-spektroskopisch nachweisen las-sen. Der eine von uns konnte bereits darüber be-richten, daß in der Reduktionsphase des Brenn-prozesses der Ultramarin-Pigmente die Proben zwei sehr breite ESR-Signale mit den mittleren g-Fak-toren 2,0 und 2,6 (Linienbreiten 80 und 850 Gauß) ergeben, die den Radikalionen S und S2 zuge-ordnet werden können [4]. Auch bei dem nun unter-suchten UGr ließ sich ein mehr als 1000 Gauß breites Signal mit g = 2,2 bis 2,8 finden (vgl. Abb. 3).

Außer dem anisotropen S3 -Signal zeigte das ESR-Spektrum des mit geschmolzenem Ammonium-nitrat behandelten U R o bei — 1 9 6 °C ein zusätz-liches Signal mit dem g-Faktor 2,0342 (vgl. Abb. 4).

Abb. 3. Breites ESR-Signal des Ultramarin-Grüns bei 25 °C. Mikro-wellenfrequenz 8,97 GHz.

Möglicherweise handelt es sich hier um das Signal des S4 -Ions. Dieses Signal wurde auch in der tief-roten Lösung gefunden, die bei der Einwirkung von Dimethylamin auf eine Lösung von Schwefel in Hexamethylphosphorsäuretriamid entsteht. Man kann hierin einen weiteren Beweis für die Identifi-zierbarkeit des S4~-Anions erblicken. Schließlich spricht für diese Deutung ein Vergleich der g-Werte der in Tab. I zusammengestellten isoelektronischen Radikalanionen.

Tab. I. g-Faktoren isolelektronischer Radikale.

S02~ [17] s r 2,0018 2,0044 2,0103 2,0495 2,0055 2,0325

S03~ [18] S4~ 2,0036 2,0342

Die Tatsache, daß die _g-Werte der beiden 25-Elektronen-Radikale SO3- und S4 isotrop sind, weist darauf hin, daß beide Radikale die C3v-Struk-tur besitzen. Viele derartige Radikale sind schon bekannt: z .B . CF3, N032~, P 0 3 2 " S202~, Se0 3 , CIO3 [19]. In allen diesen Fällen ist die Anisotropie des g-Faktors, sofern sie überhaupt beobachtet wird, sehr klein, z . B . fand man für PÜ32~ g = 1,999, 2,001, 1,001, für CIO3 g = 2,007, 2,008, 2,008. Dieser Umstand und die geringe Konzentration erklären es, daß das S4~-Radikal in Ultramarin-Pigmenten bisher nicht gefunden worden ist.

Die Probe UVi , die auf der Suche nach dem S3-Molekül mit Chlor behandelt worden war (vgl. Abschnitt 3) zeigte außer dem vom anisotropen überlagerten isotropen Signal des S3 -Ions noch ein drittes, schmales ESR-Signal, mit einem isotropen g-Faktor 2,0036 und der Linienbreite 4,2 Gauß (vgl. Abb. 5). Nach allem, was man über schwefelhaltige

19-Elektronen-Radikale: gxx = gyy = gzz =

25-Elektronen-Radikale: gisotrop

=

Abb. 4. ESR-Spektrum des Ulbramarin-Rots bei —196 °C nach dem Be-handeln mit einer Ammo-niumnitrat-Schmelze bei 190 °C. Mikrowellen-frequenz 8,96 GHz.

Abb. 5. ESR-Spektrum von Ultramarin-Violett nach dem Behandeln mit Chlorgas bei 25 °C. Mikro-wellenfrequenz 9,46 GHz.

1674 F. Seel et al. • Farbträger des Ultramarin-Grün und des Ultramarin- Rot

Radikalanionen weiß, kommt als dessen Ursache allein das SC>3~-Ion in Frage, das in bestrahltem Kaliumdithionat beobachtet worden ist [18]. Im Hinblick auf den Sulfitgehalt von U V i und U R o ist seine Bildung nach

[Na+S03 2"Na+] + 1/2 Cl2 -> [Na+S03~] + (Na+Cr)

verständlich. (Durch [] ist der Innenberrich, durch () die Oberfläche eines Ultramar in-Kr ist alls gekenn-zeichnet.) S0 3 ist bereits von McLaughan und Marshall [8] bei der hydrothermalen Synthese von UB1 als Radikalspezies gefunden worden, kann aber zur Farbe von Ultramarin-Pigmenten nicht bei-tragen, da es im U V bei 37000 und 41000 cm"1 ab-sorbiert [18].

3. Elektronen-Spektren Eigene Messungen der VIS-UV-Reflexionsspek-

tren von Ultramarin-Pigmenten bestätigten die Be-funde von U. Hofmann u. Mitarbeitern [7] (vgl. Abb. 6). Auf die Ähnlichkeit mit den Absorptions-spektren von Polysulfid-Lösungen in Dimethyl-formamid (Abb. 7) sei besonders hingewiesen. UGr

1,8

',2

E

0,6

0 Abb. 6. Reflexionsspektren von Ultramarin-Pigmenten.

1,8

1,2

E

0,6

0

Abb. 7. Spektren von Lösungen von Natriumpoly-sulfiden in Dimethylformamid. Die Zahlen an den Extinktionskurven geben die Molverhältnisse S :Na an.

zeigt eine breite Bande bei ~ 25 000 cm - 1 , die auch charakteristisch für Polysulfide ist, und außerdem die ,,blaue" Bande des S3-Radikalions bei 17000 cm- 1 , deren isolierte Lage die „Brillanz" des UB1 erzeugt. (Die Lage des Maximums des Fest-stoffes ist gegenüber der von NaS3-Lösungen um 800 c m - 1 nach höheren Wellenzahlen verschoben.) Außer der bereits von U. Hofmann und Mitarbei-tern [7] gefundenen Bande des U V i und U R o bei 19200 c m - 1 im roten Spektralbereich fanden wir im Falle der untersuchten Handelsprodukte noch die Andeutung einer weiteren Bande im gelben Bereich bei 24600 cm - 1 , die offensichtlich einem anderen Farbträger zuzuordnen ist als dem des UGr (vgl. Abb. 6).

Als Gelbkomponenten der Farbe von UGr sind S22 - und S2 -Ionen in Betracht zu ziehen. Nach Giggenbach [20] absorbiert S22 in wäßriger Lösung bei 27900 cm- 1 . Holzer, Murphy und Bernstein [12] schließen durch Vergleich der Raman- und der Elektronenspektren Schwefel-dotierter Kalium-iodidkristalle darauf, daß das S2 -Ion bei 25000 c m - 1

absorbiert. Nach Gruen, McBeth und Zielen [21] ist die Lichtabsorption des S2 -Ions in einer e l e k t i -schen LiCl/KCl-Schmelze im Violett und UV auf die Überlagerung zweier Banden bei 25640 und 31470 c m - 1 zurückzuführen. Clark und Franks [13] schließen aus dem Resonanz-Raman-Spektrum einer offensichtlich S2 enthaltenden UBl-Probe auf eine Absorption oberhalb 22000 cm - 1 . Die im Reflexions-spektrum des UGr von Hofmann und Mitarbeitern sowie von uns gefundene, im Violetten ansteigende Bande nimmt mit der für S2 gefundenen sehr gut überein. Schließlich spricht für S2 , daß in dem von Clark und Cobbold [14] untersuchten UGr offen-sichtlich nur das S2 -Ion und nicht das S22 -Ion ge-funden wurde. Ein faszinierender Hinweis auf das S2 -Ion ist die intensiv rote Luminiszenz, die zu beobachten ist, wenn UGr mit UV-Licht der Wellen-zahl 27 400 cm" 1 bestrahlt wird. (Auf die Luminis-zenz des S2 -Ions hat bereits Dudzik [22] hinge-wiesen.) Unter einer starken UV-Quelle wurde auch das untersuchte UB1 violettstichig. (Unsere Meinung ist, daß es überhaupt kein UB1 gibt, das nicht einen gewissen Anteil an S2 -Radikalionen enthält.) Bei größerer Verstärkung ist stets die sehr breite ESR-Bande zu finden, die hierdurch verursacht wird. Besonders deutlich wird sie, wenn man UB1 mit Natrium bedampft. Daß im Falle von UGr ein Hohl-raum des Gitters mehr als 5 Atome enthält, steht im

^[crrT1]

1675 F. Seel et al. • Farbträger des Ultramarin-Grün und des Ultramarin-Rot

Einklang damit, daß das S2--Ion nur einen Gitter-platz benötigt [23].

Als Rotkomponente des U V i und des (stets blau-stichigen) U R o kommen das rote S4-Molekül, das bei 18900 cm - 1 absorbiert [24], und das noch wenig charakterisierte S4 -Ion [15] in Frage. Für größere Schwefelmoleküle sind die Sodalithkäfige sicher zu klein. Clark und Cobbold [14] fanden in ihrer unter-suchten Probe U R o nicht das S4 -Ion. Ihre Ansicht, daß das neutrale S4-Molekül der Verursacher der Farbe des U R o ist, beruht auf einem „Indizien-beweis". U. Hofmann und Mitarbeiter [7] nahmen an, daß die Farbe von U R o durch Dischwefel-monoxid verursacht wird. Tatsächlich ist S2O farb-los [25]!

Im Einklang mit der Annahme, daß vor allem das neutrale S4-Molekül und nicht das ebenfalls rote S4 -Radikalion zur Farbe des U R o beiträgt, steht der Experimentalbefund, daß durch Behandeln mit Chlorgas bei Temperaturen von 250-300 °C im Ver-laufe von 3-4 h U R o nur sehr wenig Natrium ent-zogen wird, den Pigmenten UGr und UB1, die NaS2

und NaS3 enthalten, dagegen 1 0 - 2 5 % des ursprüng-lichen Natriumgehaltes (vgl. Tab. II). Wenn U R o NaS4 enthalten würde, sollte man erwarten, daß ihm fast ebenso viel Natrium entzogen werden kann wie UB1.

Tab. II. Abspaltung von Natrium bei der Chlorbehand-lung von Ultramarin-Pigmenten in mol Na pro Na Gitterhohlräume.

UB1IV UB1V UVi URo Na 0,74 0,36 0,12 0,012 Farbe nach rot- violett rot- hellrot der Reaktion violett violett

Im Zusammenhang mit der Hypothese, daß S4 Färb träger des U R o ist, stellt sich sofort die Frage, ob in Ultramarinen auch das gelbe S3-Molekül ent-halten sein oder sogar dominieren kann, das am Rande des violetten Spektralbereichs bei 24400 c m - 1

absorbiert [24]. Tatsächlich findet man in der Litera-tur auch Hinweise auf ein gelbes Ultramarin-Pigment [26], das allerdings infolge seiner geringen Farbintensität und -brillanz technisch bedeutungs-los geblieben ist. Im Einklang mit der Vorstellung, daß diese Substanz ihre Farbe dem S3-Molekül ver-dankt, steht, daß sie durch weiteren oxidativen Abbau von U R o gebildet wird. Durch Oxidation mit einem HCl/02-Gemisch bei 500 °C erhielten wir

aus dem uns zur Verfügung stehenden U R o ein fahlgelbes Produkt, das jedoch beim Abkühlen ver-blaßte.

Die Reflexionsspektren der roten Produkte, die bei der „Chlorierung" des von uns untersuchten UB1 IV, U V i und U R o entstanden, zeigten beson-ders eindrucksvoll das Absorptionsmaximum des gelben Farbträgers bei 24600 cm - 1 , das sehr nahe an dem Absorptionsmaximum des S3-Moleküls in einem Isopentan-Cyclohexan-Glas bei 23465 c m - 1

[24] liegt. (Vgl. hierzu Abb. 8 und 9.) Es ergab sich,

1,8

E

0,6

0 30000 25000 20000 15000

Dtcm"1] Abb. 8. Reflexionsspektrum von Ultramarinblau und Ultramarin violett vor (al, b l ) und nach der Ein-wirkung von Chlorgas (a2, b2) auf die Pigmente.

1,8

E

0.6

0 30000 25000 20000 15000

• -»[cm-1] Abb. 9. Änderung des Reflexionsspektrums des Ultra-marin-Rots durch längere Behandlung mit Chlor bei 250 °C. (Die Zahlen über den Kurven geben die Reaktionsdauer in Stunden an.)

daß sich der rote Farbträger nicht ohne gleich-zeitige Zerstörung des gelben abbauen läßt (vgl. Abb. 9). Offensichtlich stehen S3 und S4 im Ultra-marin-Gitter miteinander im Gleichgewicht, und es erscheint die Annahme plausibel, daß der Schwefel-transport von Hohlraum zu Hohlraum bei erhöhter Temperatur durch kleine (ungeladene) Schwefel-moleküle bewirkt wird. Ohne einen derartigen Transport ist auch nicht erklärbar, daß UGr bei der

1676 F. Seel et al. • Farbträger des Ultramarin-Grün und des Ultramarin-Rot

Chlorierung unter gleichzeitiger Erhöhung des Ge-haltes an S3 -Radikalen in UB1 übergeht.

Schließlich gelang es uns, durch Chlorierung von UB1 ein weißes Produkt zu erhalten, das beim Schmelzen mit Natriumnitrit oder -nitrat wieder blau wurde. Es ist denkbar, daß in dem weißen Stoff Schwefel in Form des farblosen S2-Moleküls (fmax = 34500 cm- 1 [24]) vorliegt.

Auch die Umwandlung von U R o in UB1 bei sehr hohen Temperaturen ließ sich optisch verfolgen

25000 20000 15000 - -v[cm->]

Abb. 10. Änderung des Reflexionsspektrums des Ultra-marin-Rots durch Erhitzen auf 800 °C im Vakuum.

(vgl. Abb. 10). Auffällig ist bei allen Spektren die große Breite der „blauen" Bande. Möglicherweise bewirken die beiden Farbträger S3 und S4 die 1 ichtabsorption.

Experimentelles Die untersuchten Ultramarin-Pigmente wurden

von der Firma Reckitts (Colours) GmbH, D-6100 Darmstadt, bezogen und zunächst lufttrocken analysiert. Mittels organischer Lösungsmittel ließen sich keine Verunreinigungen extrahieren. Nach Auf-schluß mit Brom-haltiger verdünnter Salzsäure wurden Si als Si(>2, AI als AI2O3 und AIPO4, S als BaS(>4, Na und K flammenspektrometrisch be-stimmt. Der NH4-Gehalt des U R o ergab sich aus dem in einer Nitritschmelze entwickelten Stickstoff

gasvolumetrisch, unter Benützung einer Töpler-Pumpe.

Den angegebenen „Formeln" der Ultramarin-Pigmente liegen folgende Analysenergebnisse zu-grunde :

U G r : Si 17,1/17.3 AI 16,0/16,2 Na 15,8 K 1,30 S 11,9

U B 1 I V : Si 18,7/19.0 AI 12,8/13,6 Na 13,3 K 1,25 S 10,4

UB1 V : Si 16,9/17,2 AI 14,1/15,2 Na 13,7 K 1,06 S 8,0

U V i : Si 19,2/19,4 AI 12,6/13,0 Na 11,2 K 0,86 S 10,4

U R o : Si 20,3/20,6 AI 12,4/12,9 Na 8,6 K 0,82 S 10,6

Die ESR-Spektren winden mittels eines AEG-ESR-Spektrometers auf dem X-Band, die Reflexionsspektren mittels eines Spektralphoto-meters S P 800 aufgenommen.

Zur Bestimmung des insgesamt als SO2 thermisch abspaltbaren Schwefels wurden 3,00 g U R o im Vakuum in einem Quarzrohr nach einer Aufheiz-periode von 4 h eine weitere Stunde lang auf 900 °C erhitzt. Mittels einer Töpler-Pumpe konnten 53,7 ml (Normbedingungen), d.h. 0,80 mmol SÜ2/g U R o ge-sammelt werden. Unter Berücksichtigung des Si-und Al-Gehaltes ergibt sich hieraus, daß 39,6% der Hohlräume des Gitters mit oxidischem Schwefel besetzt sind. (Bei 900 °C werden Sulfit und Sulfat durch SiCVreiche Silikate insbesondere in Gegen-wart von Schwefel zu SO2 umgesetzt.)

Die Umsetzungen mit Chlorgas wurden in einem senkrecht stehenden Glasrohr mit einer am unteren Ende eingeschmolzenen Glasfritte durchgeführt, die einen guten Kontakt mit dem von unten durch-strömenden Gas gewährleistete. Der abziehende Chlorstrom enthielt keine Schwefel-Chlor-Verbin-dungen. Die Apparaturen waren derart gestaltet, daß sie in einen elektrischen Tiegelofen eingeführt werden konnten.

A. B. W . dankt der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für die Gewährung eines Forschungsstipen-diums. - Herrn W . Weckler danken wir für die sorg-fältige Ausführung der Analysen.

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