urknall und expansion des universums
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KOSMOLOGIE
Der Urknall
Mythos und WahrheitVerwirrt von der Expansion des Universums?
Damit sind Sie nicht allein selbst Astronomen verstehen
den Urknall nicht immer richtig.
38 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT QMAI 2005
Von Charles H. Lineweaver
und Tamara M. Davis
Dass unser Universum expan-diert, ist die vielleicht wich-tigste Erkenntnis, die wir jeber unseren Ursprung ge-
wonnen haben. Ohne diese uranfngli-che Ausdehnung des Alls knnten Siediesen Artikel nicht lesen. Es wrdenberhaupt keine Menschen existieren. Ja,es gbe nicht einmal Molekle, aus de-nen sich Lebewesen entwickeln knnten,
und keine erdhnlichen Planeten, auf
denen Leben entstehen knnte. AlleStrukturen im Kosmos Galaxien, Ster-ne, Planeten und so hochkomplexe Din-ge wie Artikel in Spektrum der Wissen-schaft konnten sich nur herausbilden,
weil sich das Universum nach dem hei-en Urknall ausdehnte und abkhlte.
Es ist inzwischen vierzig Jahre her,dass Wissenschaftler eindeutige Belege frdie Expansion des Universums entdeck-ten: die kosmische Mikrowellen-Hinter-grundstrahlung, sozusagen das matteNachglimmen des unvorstellbar heien
und dichten Anfangszustands. Seitdem
bilden Expansion und Abkhlung desUniversums das Grundkonzept aller kos-mologischen Forschungsarbeiten hn-lich wie die Darwinsche Evolutionstheo-rie in der Biologie. Jede der beiden eo-rien liefert in ihrem jeweiligen Fachgebietden Kontext, in dem sich einfache Struk-turen herausbilden und im Laufe ihrerEntwicklung immer komplexer werden.Ohne Evolution gbe es nicht die moder-ne Biologie und ohne Expansion nichtdie moderne Kosmologie.
Seltsamerweise hneln sich beide
Konzepte noch in anderer Hinsicht: Die
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Eine gute Analogie fr unser expandie-
rendes Universum ist ein Ballon, der auf-
geblasen wird. Die Galaxien auf der Ober-
flche des Ballons befinden sich relativ zu
dieser Oberflche in Ruhe. Trotzdem ver-
grern sich durch die Expansion des
Ballons die Entfernungen zwischen ih-
nen. Die Galaxien verndern dabei ihre
Gre nicht.
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SLIMF
ILMS
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KOSMOLOGIE
IN KRZE
r Die Ausdehnung des Universumsist einer der Eckpfeiler der modernen Wissen-
schaft und wird doch hufig falsch verstanden.
r Wichtig ist, den Begriff Urknallnicht zu wrtlich zu nehmen. Er ist keine Ex-
plosion,die sich im Raum ereignete. Vielmehr explodierte der Raum selbst.
r Dieser Unterschied zwischen einer Expansion im Raumund einer Expansion des
Raumshat wichtige Folgen fr die Gre des Universums,die Fluchtgeschwin-
digkeit der Galaxien, die Art von Beobachtungen, die den Astronomen mglich
sind, sowie fr die Natur der beschleunigten Expansion des Universums.
r Streng genommensagt das Urknallmodell sehr wenig ber den Urknall aus
es beschreibt eigentlich, was nach dem Urknallgeschehen ist.
meisten Wissenschaftler glauben, sie ver-standen zu haben, doch nur wenigestimmen darin berein, was sie wirklichbedeuten. Anderthalb Jahrhunderte nachdem Erscheinen von Charles Darwins
Werk Vom Ursprung der Arten be-streiten die Biologen zwar nicht mehrden Darwinismus an sich, diskutierenaber noch immer ber seinen Ablaufund seine Implikationen wohingegenein groer Teil der ffentlichkeit nochin vordarwinscher Ratlosigkeit verharrt.
hnlich machen sich viele Menschennoch 75 Jahre nach ihrer anfnglichenEntdeckung durch den US-AstronomenEdwin Hubble falsche Vorstellungen vonder Expansion des Universums.
Selbst Kosmologen, die wesentlicheBeitrge zu diesem Ideengebude gelie-fert haben, tun sich gelegentlich damitschwer. Und manche fehlerhafte oder ir-refhrende Aussage zur Expansion desUniversums pflanzt sich ber astrono-mische Lehrbcher und populrwissen-schaftliche Darstellungen fort. Das istumso gravierender, als die Expansion dieGrundlage des Urknallmodells darstellt.So betrend einfach die Idee ist aber
was genau bedeutet es, wenn man sagt,das Universum expandiere? Wohin ex-pandiert es? Dehnt sich etwa auch dieErde aus? Um die Verwirrung komplettzu machen, scheint sich die Expansion
zu beschleunigen ein Vorgang, der un-sere Vorstellungskraft sprengt.
Wie Ameisen auf einem BallonWenn etwas expandiert, so wird es nachallgemeinem Verstndnis grer, indemes sich in den ihn umgebenden Raumhinein ausdehnt gleich, ob es sich umeinen verstauchten Knchel, das Rmi-sche Imperium oder eine explodierendeBombe handelt. All diese Dinge weisenein Zentrum und Begrenzungen auf. Au-erhalb ihrer Begrenzungen gibt es
Raum, in den hinein sie sich ausdehnenknnen. Das Universum hingegenscheint weder Mittelpunkt noch Begren-zungen zu haben und auch kein Au-erhalb. Wie also kann es expandieren?
Eine gute Analogie ist ein Ballon, deraufgeblasen wird. Angenommen, wir w-ren Ameisen, die auf der Oberflche die-ses Ballons leben. Unsere Welt ist dannzweidimensional: Wir kennen nur rechts,links, vorwrts und rckwrts aber wirhaben keine Vorstellung von oben undunten. Irgendwann bemerken wir, dassder Weg zum Melken unserer Blattluselnger wird: Am ersten Tag dauert erfnf Minuten, am nchsten sechs, dannsieben und so weiter. Auch der Weg zuanderen vertrauten Orten wird von Tagzu Tag lnger. Wir sind sicher, dass wiruns nicht langsamer bewegen als frherund dass sich die Blattluse nicht syste-matisch von uns entfernen.
Das ist ein wichtiger Punkt: Die Ent-fernung zu den Blattlusen wchst an,obwohl sich diese nicht bewegen. Sie ste-hen einfach herum, sie ruhen in Bezugauf das Gummi des Ballons. Trotzdem
wchst der Abstand von uns zu ihnenund zwischen ihnen an. Aus den Beob-achtungen knnen wir also den Schlussziehen, dass sich der Boden unter unse-ren Fen dehnt. Das ist sehr seltsam,denn wir sind in unserer ganzen Welt
herumgelaufen und haben keine Begren-zung entdeckt und somit auch keinAuen, in das hinein unsere Welt ex-pandieren knnte.
Die Expansion unseres Universumshnelt dem Aufblasen eines Ballons. Die
Abstnde zu fernen Galaxien wachsenan. Die Astronomen sprechen manch-mal von einer Fluchtgeschwindigkeitoder davon, dass sich die Galaxien vonuns fortbewegen. Das heit aber nicht,dass sich die Galaxien durch den Raumvon uns wegbewegen wrden. Sie sind
keine Splitter einer groen Urknall-Gra-nate, die auseinander fliegt. Vielmehr istes der Raum zwischen uns und den Ga-laxien, der expandiert. Zwar bewegensich die einzelnen Galaxien innerhalb ih-res Haufens, dem sie angehren. Dochdie Galaxienhaufen selbst befinden sichinsgesamt in Ruhe. Der Begriff inRuhe lsst sich dabei durchaus strengdefinieren. Die Hintergrundstrahlungerfllt nmlich den gesamten Kosmosund liefert uns so ein universelles Be-zugssystem, vergleichbar mit dem Gum-mi des Ballons. In Bezug auf dieses Sys-tem knnen wir die Bewegung messen.
Der Urknall war berallDer Vergleich mit dem Ballon sollte al-lerdings nicht berspannt werden. Denn
wir betrachten den Ballon von einer au-erhalb gelegenen Warte, und die Ex-pansion seiner zweidimensionalen Gum-mioberflche ist nur mglich, weil sie ineinen dreidimensionalen Raum einge-bettet ist. Innerhalb dieser dritten Di-mension hat der Ballon einen Mittel-punkt, und seine Oberflche dehnt sichin die umgebende Luft hinein aus, wenner aufgeblasen wird.
Daraus knnte man nun folgern, un-ser dreidimensionaler Raum bentigeeine vierte Dimension, in die hinein erexpandiert. Aber gem der Allgemeinen
Relativittstheorie von Albert Einstein,welche die Grundlage der modernenKosmologie bildet, ist der Raum selbstdynamisch: Er kann also expandieren,schrumpfen und sich krmmen ohnein einen hher dimensionalen Raum ein-gebettet zu sein.
In diesem Sinn ist das Universum insich abgeschlossen. Es braucht kein Zen-trum, von dem aus es expandiert, undkeinen leeren Raum auerhalb (was im-mer das wre), in den es hineindrngt.
Wenn es sich ausdehnt, okkupiert es kei-
nen zuvor freien Raum in seiner Umge-bung. Einige neuere eorien wie zumBeispiel die Stringtheorie postulierenzwar durchaus zustzliche Dimensionen,aber unser dreidimensionaler Raumbraucht diese Dimensionen nicht fr sei-ne Expansion.
Wie auf der Oberflche des Ballons,so strebt auch alles in unserem Univer-sum auseinander. Der Urknall war alsonicht eine Explosion im Raum, sonderneher eine Explosion des Raums. Er ereig-nete sich nicht an einem bestimmten
Ort, von dem aus das Universum sich
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Der Urknall welche Explosion war das?
dann in eine schon vorher vorhandeneLeere ausbreitete er fand berall gleich-zeitig statt.
Knnten wir einmal die Zeit rck-wrts laufen lassen, so wrden wir beob-achten, wie alle Regionen im Kosmos zu-sammenschrumpfen, alle Galaxien sichnher und nher kommen, bis alles wiebei einem gewaltigen kosmischen Ver-kehrsunfall aufeinander prallt das istder Urknall. Der Vergleich mit zusam-menstoenden Fahrzeugen mag vielleicht
suggerieren, dass es sich lediglich um einlokales Hindernis handele, das sich dankder Hinweise des Verkehrsfunks umfah-ren liee. Doch dem Urknall kann mannicht ausweichen. Es ist, als wrde dieOberflche der Erde mit allen Autobah-nen zusammenschrumpfen, whrend sich
Anzahl und Gre der Fahrzeuge nichtnderten. Irgendwann ist ihre Packungs-dichte so stark angewachsen, dass sieberall Stostange an Stostange stehen und kein Verkehrsfunk kann mehr eine
Ausweichstrecke empfehlen. berall kra-
chen die Autos ineinander.
Auch der Urknall fand berall statt in dem Raum, in dem Sie gerade diesen
Artikel lesen, ebenso wie an einem Punktlinks von Alpha Centauri. Es war keinekosmische Bombe, die an einem be-stimmten Ort detonierte, den wir nunals Explosionszentrum identifizierenknnten. Auch in der Ballon-Analogiegibt es keinen Ort auf der Oberflche,der das Zentrum der Expansion wre.
So growie eine Pampelmuse
und doch unendlich groDiese Allgegenwart des Urknalls ist vl-lig unabhngig von der Gre des Uni-versums sogar unabhngig davon, obder Kosmos endlich oder unendlich groist. Kosmologen sprechen manchmal da-von, unser Universum sei einst so gro
wie eine Pampelmuse gewesen. Was siewirklich meinen, ist: Der Teil des Uni-versums, den wir heute sehen knnen der beobachtbare Kosmos , war einmalso gro wie eine Pampelmuse.
Beobachter in der Andromeda-Gala-
xie oder einem noch ferneren Sternsys-
tem haben ihr eigenes beobachtbaresUniversum, das sich zwar mit unseremberschneidet, aber doch etwas davonunterscheidet. Von ihrer Warte aus sehensie nmlich Galaxien, die wir nicht beo-bachten knnen einfach, weil sie sichetwas nher an ihnen befinden , undumgekehrt. Diese fremden Intelligenzensehen einen Kosmos, der ebenfalls einstdie Gre einer Pampelmuse hatte. Wirknnen uns also das frhe Universum alseinen Stapel von einander durchdringen-
den Pampelmusen vorstellen, der sich inalle Richtungen unendlich ausdehnt.Dementsprechend ist die Vorstellung,das Universum sei beim Urknall kleingewesen, irrefhrend. Die Gesamtheitdes Weltraums kann unendlich grosein. Lsst man einen unendlichen Raumum einen beliebigen Faktor zusammen-schrumpfen, so bleibt er immer nochunendlich gro.
Auch die quantitative Beschreibungder Expansion steckt voller Fallstricke.Die Rate, mit welcher der Abstand zwi-
schen Galaxien anwchst, folgt einer Re-
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tndnis
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FALSCH:Der Urknall hnelt einem Sprengsatz, der an einer bestimmten Stelle im zuvor leeren Raum explodiert ist.
In dieser Sichtweise begann das Universum mit dem explosionsartigen Auftauchen von Materie an einem bestimmten Ort
im bereits vorhandenen Raum. Der Druck war im Zentrum der Materie am gr ten und in der umgebenden Leere am
niedrigsten. Diese Druckdifferenz trieb die Materie nach auen.
RICHTIG:Der Raum selbst explodierte.
Der Raum, in dem wir leben, entstand im Urknall und dehnt sich seitdem weiter aus. Es gab somit kein Explosionszentrum;
der Urknall ereignete sich berall. Dichte und Druck waren deshalb berall gleich; es gab folglich keinen Druckunterschied,
der eine Explosion im herkmmlichen Sinn htte antreiben knnen.
ALLEGRAFIKEN:ALFREDT.
KAMAJIAN
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gel, die Edwin Hubble 1929 entdeckte:Die Fluchtgeschwindigkeit veiner Gala-xie ist proportional zu ihrem Abstand dvon uns: v= H d. Die Proportionalitts-konstante H dieser Beziehung, Hubble-Parameter oder Hubble-Konstante ge-nannt, beschreibt dabei, wie schnell derRaum expandiert und zwar nicht nurum uns herum, sondern um jeden Beob-
achter an einer beliebigen Stelle im Uni-versum.Auf den ersten Blick betrachtet schei-
nen sich nicht alle Galaxien an diese Re-gel zu halten. So bewegt sich beispiels-
weise die Andromeda-Galaxie das unsnchste groe Sternsystem auf uns zuund nicht von uns weg. Solche Ausnah-men gibt es, weil das Hubblesche Gesetznur das durchschnittliche Verhalten derGalaxien beschreibt. Diesem berlagertsich eine moderate lokale Eigenbewe-gung, sie umkreisen einander und ziehen
sich gegenseitig an so wie es unser
Milchstraensystem und die Androme-da-Galaxie tun. Auch weit entfernte Ga-laxien weisen solche Eigenbewegungenauf. Aus unserer Perspektive also ausgroen Entfernungen dbetrachtet sinddiese Eigenbewegungen (im Raum) in-des viel kleiner als die Fluchtgeschwin-digkeit (des Raums) und fallen kaummehr ins Gewicht. Deshalb gilt fr ferne
Galaxien das Hubblesche Gesetz mitgroer Genauigkeit.
Effekte der Allgemeinen, nicht der Es ist zu beachten, dass die Expansions-geschwindigkeit dem Hubbleschen Ge-setz zufolge mit der Entfernung ansteigt:
Wenn sich eine Galaxie mit 1000 Kilo-meter pro Sekunde von uns entfernt,
wird eine andere, die doppelt so weitweg ist, dies mit 2000 Kilometer pro Se-kunde tun. Demzufolge mssten Gala-xien ab einem bestimmten Abstand von
uns, dem so genannten Hubble-Abstand,
sich sogar schneller als mit Lichtge-schwindigkeit von uns entfernen. Frden gemessenen Wert des Hubble-Para-meters betrgt dieser Abstand etwa 14Milliarden Lichtjahre.
Bedeutet diese Vorhersage von ber-lichtschnellen Galaxien, dass HubblesGesetz falsch ist? Sagt denn nicht dieSpezielle Relativittstheorie, dass sich
nichts schneller als das Licht bewegenkann? Solche Fragen haben schon Gene-rationen von Studenten verwirrt. DieLsung ist, dass die Spezielle Relativitts-theorie nur fr normale Geschwindig-keiten gilt, also fr Bewegungen imRaum. Die Fluchtgeschwindigkeit inHubbles Gesetz hingegen wird durch dieExpansion des Raums verursacht. Dieseist ein Effekt der Allgemeinen Relativi-ttstheorie und unterliegt nicht den Be-schrnkungen der Speziellen Relativitt.Eine Fluchtgeschwindigkeit, die grer
ist als die Lichtgeschwindigkeit, verletzt
Knnen sich Galaxienschneller als Licht von uns entfernen?
Fluc
htgesc
hw
indigke
it
Entfernung
Fluchtgeschwindigkeit
Lichtgeschwindigkeit
A
B
C D
AB
CD
Fluc
htgesc
hw
indigke
it
Entfernung
A
B
C
D
A B C D
Hubble-Entfernung
A B C D
FALSCH:Natrlich nicht die Spezielle Relativittstheorie
von Einstein verbietet das.
Galaxiengleich in welchem Raumabschnitt man sie be-
trachtetscheinen sich von uns wegzubewegen, und zwar
umso schneller, je weiter sie von uns entfernt sind. Wenn
allerdings die Lichtgeschwindigkeit die oberste Grenze ist,
muss die Zunahme der Fluchtgeschwindigkeit (gelbe Pfeile)
bei groen Entfernungen abflachen (Diagramm).
RICHTIG:Natrlich die Spezielle Relativittstheorie
gilt nicht fr die Fluchtgeschwindigkeit.
Im expandierenden Raum nimmt die Fluchtgeschwindigkeit
linear mit der Entfernung zu und bersteigt oberhalb der so
genannten Hubble-Entfernung die Lichtgeschwindigkeit. Das
verstt nicht gegen die Spezielle Relativittstheorie, da die
Fluchtgeschwindigkeit nicht durch eine Bewegung im Raum,
sondern durch die Expansion des Raums zu Stande kommt.
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mithin nicht die Spezielle Relativitts-theorie: Noch immer gilt, dass nichts ei-nen Lichtstrahl berholen kann.
Erste Hinweise auf ein expandieren-des Universum hatten die Astronomenin den Jahren von 1910 bis 1930 erhal-ten, als sie Galaxien spektroskopisch un-tersuchten. Atome emittieren und absor-bieren Licht bestimmter Wellenlngen,die sich in Laborexperimenten messenlassen. In der Strahlung ferner Galaxienzeigt sich das gleiche Muster von Emissi-ons- und Absorptionslinien wie im La-bor, doch sind diese Linien zu lngeren
Wellenlngen hin verschoben. Die As-tronomen sprechen von einer Rotver-schiebung des Galaxienlichts. Die Er-klrung fr diesen Effekt ist einfach: Ex-pandiert der Raum, dehnen sich auchdie Wellenzge des Lichts, die sich indiesem Raum ausbreiten. Wenn das Uni-versum seine Gre whrend der Reiseder Photonen verdoppelt, strecken sichauch deren Wellenlngen auf das Dop-pelte und ihre Energie halbiert sich.
Speziellen RelativittstheorieDieser Prozess lsst sich ber den Begriffder Temperatur beschreiben. Die Ener-gie der von einem Krper abgestrahltenPhotonen weist nmlich eine Verteilungauf, die in eindeutiger Beziehung zurTemperatur des Krpers steht. Wenn die
Photonen sich durch den expandieren-den Raum ausbreiten, verlieren sie Ener-gie und ihre Temperatur sinkt. Auf diese
Weise khlt das Universum infolge derExpansion ab, ganz hnlich wie das in ei-nem Fahrradreifen oder einer Pressluft-flasche komprimierte Gas abkhlt, wennes herausstrmt und sich dabei ausdehnt.Die kosmische Hintergrundstrahlunghat heute beispielsweise eine Temperaturvon knapp drei Kelvin. Freigesetzt wurdesie hingegen, als das Universum rund3000 Kelvin hei war. Whrend die
Temperatur der Photonen also seitdemauf ein Tausendstel gefallen ist, hat sichdas Universum entsprechend auf dasTausendfache ausgedehnt. Durch Beob-achten von Gas in fernen Galaxien ver-mochten die Astronomen direkt dieTemperatur der Hintergrundstrahlung inder Vergangenheit zu messen. Damit be-sttigten sie, dass der Kosmos im Verlaufder Zeit abgekhlt ist.
ber den Zusammenhang zwischenRotverschiebung und Geschwindigkeitgibt es viele Missverstndnisse. So wird
die durch die Expansion verursachte
Eine ermdende Hypothese
Wenn in Spektrum der Wissenschaft ein
Artikel ber Kosmologie erscheint, tref-
fen kurz darauf Briefe in der Redaktion
ein, in denen Leser argumentieren, die
Galaxien wrden sich gar nicht von uns
entfernen die Expansion des Welt-
raums sei vielmehr eine Illusion. In
Wahrheit ermdedas Licht auf sei-
ner langen Reise zu uns, und dies ver-
ursache die beobachtete Rotverschie-
bung. Irgendein Prozess stehle den
Photonen Energie, sodass sich ihre
Wellenlngen vergrern, whrend sie
sich im Raum ausbreiten.
Diese These, die noch aus den An-
fangszeiten der spektroskopischen Un-
tersuchung von Galaxien stammt, er-
scheint auf den ersten Blick plausibel.
Doch sie widerspricht den Beobachtun-
gen. Wenn beispielsweise ein Stern als
Supernova explodiert, steigt seine Hel-
ligkeit zunchst rasch an und fllt dann
langsam wieder ab. Fr den Superno-
va-Typ, den die Astronomen zur kosmi-
schen Entfernungsmessung verwen-den, dauert dieser Vorgang etwa zwei
Wochen. Die Photonen, welche die Su-
pernova innerhalb dieser Zeitspanne
aussendet, sollten so die These von
der Lichtermdung auf ihrem Weg zu
uns Energie verlieren, also langwelliger
werden, aber dennoch einen zwei Wo-
chen andauernden Strom von Photo-
nen darstellen.
Die Expansion des Alls streckt je-
doch nicht nur die einzelnen Photonen,
sondern den gesamten Photonen-
oSupernova (Pfeil) in einer Galaxie
des Virgo-Haufens. Anhand solcher
Sternexplosionen knnen die Astrono-
men den Verlauf der kosmischen Expan-
sion untersuchen. Ihre Beobachtungen
widerlegen alternative Theorien, in denen
der Raum nicht expandiert.
strom. Das innerhalb von zwei Wochen
emittierte Licht kommt demnach auf derErde in einem Zeitraum an, der lnger ist
als zwei Wochen. Den Effekt konnten die
Astronomen jngst tatschlich nachwei-
sen: Eine Supernova in einer Galaxie mit
einer Rotverschiebung von 0,5 scheint
drei Wochen zu dauern, bei einer Rotver-
schiebung von 1 sogar vier Wochen.
Zudem widerspricht die Lichterm-
dungsthese auch dem beobachteten
Spektrum der Hintergrundstrahlung und
der gemessenen Flchenhelligkeit ferner
Galaxien.
Rotverschiebung oft mit der bekannte-ren Rotverschiebung durch den Dopp-ler-Effekt verwechselt. Der gewhnlicheDoppler-Effekt, der die Wellenlnge vonSchallwellen verndert, wenn sich dieSchallquelle relativ zu uns bewegt, ist ausdem Alltag vertraut: Der Ton eines Mar-tinshorns zum Beispiel klingt tiefer,
wenn sich der Rettungswagen von unsentfernt. Dasselbe Prinzip gilt auch frdie Wellenlnge von Licht, wenn sich dieStrahlungsquelle durch den Raum vonuns wegbewegt.
Das ist zwar hnlich, aber nicht iden-tisch zu dem, was mit dem Licht fernerGalaxien geschieht. Die kosmologischeRotverschiebung unterscheidet sich vomnormalen Doppler-Effekt. Ungeachtet
dessen bringen viele Astronomen immerwieder diesen Vergleich, womit sie ihrenStudenten keinen Gefallen tun. Fr dieDoppler-Rotverschiebung und die kos-mologische Rotverschiebung gelten zweiunterschiedliche Gleichungen. Die erstestammt aus der Speziellen Relativittsthe-orie, welche die Expansion des Raumsnicht beinhaltet, whrend die zweite sichaus der Allgemeinen Relativittstheorieableitet und ebendiese Expansion berck-sichtigt. Die Ergebnisse beider Gleichun-gen sind fr nahe Galaxien fast identisch,divergieren aber fr ferne Galaxien.
Gem normalem Doppler-Effektstrebt die Rotverschiebung von Him-melskrpern umso strker gegen unend-lich, je weiter sich deren Geschwindig-
P.C
HALLIS,
CENTERFORASTROPHYSICS/STSCI/NASA
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keit im Raum der Lichtgeschwindigkeitnhert. Die Wellenlngen sind schlie-
lich so weit rotverschoben, dass sie nichtlnger beobachtbar sind. Wre das frGalaxien die richtige Beschreibung, somssten die fernsten, gerade noch sicht-baren Objekte am Himmel eine Flucht-geschwindigkeit von knapp unterhalbder Lichtgeschwindigkeit haben. Dochdie Formel fr die kosmologische Rot-verschiebung liefert ein anderes Resultat:Im gegenwrtigen Standardmodell derKosmologie ist die Fluchtgeschwindig-keit der Galaxien bereits bei einer Rot-verschiebung von 1,5 wenn also Wel-
lenlngen der Strahlung 50 Prozent ln-ger sind als im Labor gleich derLichtgeschwindigkeit. Die Astronomenhaben inzwischen rund tausend Galaxi-en mit Rotverschiebungen grer als 1,5beobachtet. Das heit: Fr mindestenstausend Objekte ist die Fluchtgeschwin-digkeit grer als die Lichtgeschwindig-keit. Umgekehrt gilt, dass auch wir unsvon diesen Galaxien mit berlichtge-schwindigkeit entfernen. Die Strahlungdes Mikrowellenhintergrunds hat einenoch lngere Reise hinter sich und weist
eine Rotverschiebung von 1000 auf. Als
das heie Plasma des frhen Universumsdie Strahlung emittierte, die wir jetzt
empfangen, entfernte es sich von uns mitfnfzigfacher Lichtgeschwindigkeit.
Anrennen gegen die ExpansionDie Vorstellung, wir knnten Galaxiensehen, die sich schneller als Licht bewe-gen, erscheint zunchst geradezu mys-tisch. Es ist die nderung der Expansi-onsrate, die dieses Phnomen ermg-licht. Angenommen, ein Lichtstrahl, der
weiter als die Hubble-Entfernung von14 Milliarden Lichtjahren von uns ent-fernt ist, versuche, sich in unsere Rich-
tung zu bewegen. Relativ zu seiner loka-len Umgebung strebt er mit Lichtge-schwindigkeit auf uns zu aber dieselokale Umgebung entfernt sich infolgeder kosmischen Expansion mit einerFluchtgeschwindigkeit von uns, die gr-er als die Lichtgeschwindigkeit ist.
Wenngleich sich also der Lichtstrahlmit der grtmglichen Geschwindig-keit auf uns zu bewegt, vermag er mitder Expansion des Raums nicht Schrittzu halten. Photonen, die sich exakt inder Hubble-Entfernung befinden, ergeht
es so wie Alice im Wunderland und der
roten Knigin: Obwohl sie so schnelllaufen, wie sie knnen, bleiben sie doch
am selben Ort.Daraus knnten wir schlieen, Lichtvon jenseits der Hubble-Entfernungknne uns niemals erreichen, seine Quel-len wren uns auf ewig verborgen. Dochder Hubble-Abstand ist keine konstanteGre, denn er hngt vom Hubble-Para-meter ab, der sich im Lauf der Zeit n-dert. Der Hubble-Parameter ist propor-tional zu der Rate, mit der sich der Ab-stand zwischen zwei Galaxien durch dieExpansion ndert, geteilt durch den Ab-stand selbst. (Diese Rechnung kann da-
bei mit zwei beliebigen Galaxien durch-gefhrt werden.) In den kosmologischenModellen, die mit den Beobachtungsda-ten bereinstimmen, wchst der Nennerschneller an als der Zhler der Hubble-Parameter nimmt also mit der Zeit ab.
Auf diese Weise nimmt der Hubble-Abstand im Lauf der Zeit zu. Demzufol-ge gelangt Licht, das ursprnglich auer-halb des Hubble-Abstands war, irgend-
wann durch diese Front hindurch. DiePhotonen befinden sich dann in einemBereich mit einer Fluchtgeschwindigkeit,
die kleiner ist als die Lichtgeschwindig-
Knnen wir Galaxien sehen,die sich schneller als Licht von uns entfernen?
FALSCH:Natrlich nicht. Denn Licht dieser Galaxien kann uns nie
erreichen.
Anfangs wird das Photon tatschlich durch die Expansion
von uns weggedrngt. Doch die Hubble-Entfernung ist
nicht konstant: Sie wchst an, und zwar so weit, dass sie
schlielich das Photon er-
reicht. Befindet sich das
Photon aber erst einmal
innerhalb des Hubble-Ab-
stands, bewegt es sich
schneller auf uns zu, als sich
die Entfernung zur Erde
vergrertes kann uns also
erreichen.
Die Fluchtgeschwindigkeit einer Galaxie jenseits der Hubb-
le-Entfernung (Kugelhlle um die Erde) ist hher als die
Lichtgeschwindigkeit. Whrend sich ein von jener Galaxie
emittiertes Photon (gelb)
durch das Weltall bewegt,
dehnt sich dieses aus. Die
Entfernung zur Erde wchst
schneller an, als sich das
Photon bewegt, wie bei einem
Schwimmer, der gegen den
Strom schwimmtfolglich
kann es uns nie erreichen.
RICHTIG:Natrlich, denn die Expansionsrate
ndert sich mit der Zeit.
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keit und knnen uns deshalb nun er-reichen.
Doch die Galaxie, von der die Pho-tonen stammen, mag sich durchaus wei-terhin mit berlichtgeschwindigkeitvon uns entfernen. Aus diesem Grundknnen wir das Licht von Galaxien re-gistrieren, die sich stets mit berlichtge-schwindigkeit von uns entfernt haben und dies auch knftig tun werden. An-ders ausgedrckt: Der Hubble-Abstandist keine feste Gre und markiert da-rum nicht die Grenze des beobachtba-ren Universums.
Was aber begrenzt den beobachtba-ren Raum? Auch bei dieser Frage gibt eseinige Verwirrung. Wrde das Weltallnicht expandieren, so knnten wir bis ineine Entfernung von 14 MilliardenLichtjahren blicken denn genau dieseStrecke kann das Licht seit dem Urknallvor 14 Milliarden Jahren zurckgelegthaben. Aber weil das Universum expan-diert, wchst der Raum, den ein Photonbereits durchquert hat, whrend seiner
weiteren Reise an. Dadurch ist die ge-genwrtige Entfernung der fernsten Ob-
jekte, die wir sehen knnen, etwa drei-mal so gro, nmlich 46 MilliardenLichtjahre.
Kosmischer EreignishorizontDie jngste Entdeckung, nmlich dasssich die kosmische Expansion beschleu-nigt, macht die Dinge noch interessan-ter. Zuvor hatten die Kosmologen ge-glaubt, dass wir in einem Universum le-ben, dessen Expansionsgeschwindigkeitabnehme und dass folglich nach undnach immer mehr Galaxien in unserBlickfeld gerieten. In einem Universummit beschleunigter Expansion hingegensind wir von einer Grenze umgeben, hin-ter der Dinge geschehen, die wir niemalssehen werden ein kosmischer Ereignis-horizont. Wenn uns das Licht von Gala-xien erreichen soll, deren Fluchtge-schwindigkeit die Lichtgeschwindigkeitbersteigt, dann muss die Hubble-Ent-fernung anwachsen. Doch in einem be-
schleunigt expandierenden Kosmos hrtdie Hubble-Entfernung irgendwann auf,grer zu werden. Ferne Quellen mgenLicht in unsere Richtung aussenden,doch dieses Licht ist wegen der beschleu-nigten Expansion hinter der Hubble-Entfernung gefangen.
In dieser Hinsicht hnelt ein Univer-sum mit beschleunigter Expansion ei-nem Schwarzen Loch: Beide haben ei-nen Ereignishorizont, hinter den wirnicht blicken knnen. Die augenblickli-che Entfernung zu unserem kosmischenEreignishorizont betrgt 16 MilliardenLichtjahre, er befindet sich also deutlichinnerhalb des von uns beobachtbarenBereichs. Licht, das jetzt von Galaxienausgeht, die sich jenseits des kosmischenEreignishorizonts befinden, kann unsniemals erreichen der Raum zwischenihnen und uns expandiert zu schnell.
Wir werden zwar solche Ereignisse sehenknnen, die in diesen Galaxien stattfan-den, bevor sie den Horizont berquer-ten; aber nachfol-
Warum gibt es einekosmische Rotverschiebung?
FALSCH:Da sich dieentfernenden Galaxien
durch den Raum bewe-
gen und ihr Licht dabei
eine Doppler-Verschie-
bung erfhrt.
Entfernt sich die
Lichtquelle von der
Erde, werden die
emittierten Lichtwel-
len durch den Doppler-
Effekt gestreckt, also
zu roten Wellenlngen
verschoben (oben).Whrend der weiteren
Ausbreitung im Weltall
ndert sich die Wellen-
lnge des Lichts nicht
(Mitte). Der Beobach-
ter empfngt das
Licht, misst seine
Doppler-Rotverschie-
bung und berechnet
daraus die Geschwin-
digkeit der Galaxie
(unten).
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RICHTIG:Da der expan-
dierende Raum alle
Lichtwellen whrend
ihrer Ausbreitung dehnt.
Die Eigenbewegung
der Galaxien ist im
kosmologischen
Rahmen vernachls-
sigbar. Das von ihnen
emittierte Licht hat
also in allen Richtun-
gen dieselbe Wellen-
lnge (oben). Da dasWeltall expandiert,
wird auch die Wellen-
lnge des Lichts
gestreckt; die Rotver-
schiebung nimmt also
zu (Mitte und unten).
Die kosmologische
Rotverschiebung
unterscheidet sich von
derjenigen, die der
Doppler-Effekt hervor-
rufen wrde.
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KOSMOLOGIE
46 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT QMAI 2005
gende Ereignisse werden fr alle Zeitenauerhalb unserer Sichtweite bleiben.
In dem Film Der Stadtneurotikererklrt der vom jungen Woody Allen ge-spielte Alvy Singer seinem erapeutenund seiner Mutter, warum er seine Haus-aufgaben nicht machen kann: Das Uni-versum expandiert ... Das Universum istalles und wenn es expandiert, wird eseines Tages auseinander brechen, unddas ist das Ende von allem! Doch seineMutter wei es besser: Du bist hier inBrooklyn. Und Brooklyn expandiertnicht!
Warum Brooklyn nicht expandiertManche Leute denken wie Alvy: Wennder Weltraum expandiert, msse sichauch alles, was sich innerhalb des Welt-raums befindet, ausdehnen. Aber dasstimmt nicht. Die Ausdehnung desRaums an sich also ohne Beschleuni-gung oder Abbremsung bt keineKraft aus. Die Wellenlnge von Photo-nen dehnt sich mit dem Universum aus,
weil Photonen im Gegensatz zu materi-
ellen Dingen wie Atomen und Stdtenkeine zusammenhngenden Krper sind,deren Gre durch ein Gleichgewichtvon Krften reguliert wird. Eine nde-rung der Expansionsrate verursacht zwareine zustzliche Kraft, aber selbst diesefhrt nicht dazu, dass Krper sich aus-dehnen oder schrumpfen.
Wrde beispielsweise die Schwerkraftstrker, so wrde unser Rckenmark so-weit zusammengestaucht, bis die Elektro-nenhllen der Atome in unserer Wirbel-sule ein neues Gleichgewicht erreichthtten. Dadurch wrden die Atome et-was nher beieinander liegen und wir w-ren etwas kleiner als zuvor, doch wir wr-den nicht weiter schrumpfen. Ganz hn-lich verhielte es sich in einem Universum,in dem die Anziehungskraft der Gravita-tion dominierte. Die Expansion wrdedurch die Anziehungskraft abgebremstund daher einen schwachen Druck aufalle Krper im Kosmos ausben, die da-durch eine etwas kleinere Gleichge-wichtsgre htten. Aber sie wrdennicht bestndig weiter schrumpfen.
Bis vor Kurzem noch glaubten dieKosmologen, wir wrden in einem sol-chen Universum leben. Doch die Expan-sion beschleunigt sich, und das fhrt zueiner kleinen, nach auen gerichtetenKraft auf alle Krper. Alle gebundenenKrper sind also etwas grer, als sie es ineinem Universum mit gleichmiger Ex-pansion wren, weil die Krfte ihr Gleich-gewicht bei einer geringfgig greren
Abmessung einnehmen. Auf der Oberfl-che der Erde betrgt diese nach auen ge-richtete Kraft nur einen winzigen Bruch-teil (10 30) der nach innen gerichtetenGravitation. Wenn sie konstant ist, fhrtsie nicht zu einer Expansion der Erde,sondern nur dazu, dass die Erde ihr stati-sches Gleichgewicht bei einem etwas gr-eren Durchmesser erreicht.
Diese Argumentation gilt natrlichnicht mehr, wenn die Beschleunigungnicht konstant ist, wie einige Kosmolo-gen spekulieren. Wenn die Beschleuni-gung selbst anwchst, knnte sie irgend-wann so stark werden, dass sie alle Struk-turen im Kosmos
u
rknal
l
missvers
tndnis
nr.5Wie groist dasbeobachtbare Universum?
FALSCH: Das Universum
ist 14 Milliarden Jahre
alt, also betrgt der
Radius des beobachtba-
ren Universums 14
Milliarden Lichtjahre.
Betrachten wir die
fernste, gerade noch
beobachtbare Galaxie:
Die von ihr kurz nach
dem Urknall ausge-
sendeten Photonenerreichen uns gerade
jetzt. Ein Lichtjahr ist
die Entfernung, die
ein Photon in einem
Jahr zurcklegt. Also
hat ein Photon dieser
Galaxie 14 Milliarden
Lichtjahre zurckge-
legt.
RICHTIG: Da das Weltall
expandiert, ist der
beobachtbare Teil
unseres Universums
grer als 14 Milliarden
Lichtjahre.
Whrend sich ein
Photon auf dem Weg
zu uns befindet, dehnt
sich der von ihm
durchquerte Raum
aus. Zum Zeitpunktseines Eintreffens bei
uns ist also die Entfer-
nung seiner Strah-
lungsquelle von uns
grer als der sich aus
der Reisezeit des
Photons ergebende
zurckgelegte Licht-
wegund zwar etwa
dreimal so gro.
14 Milliarden Lichtjahre 46 Milliarden Lichtjahre
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7/24/2019 Urknall Und Expansion Des Universums
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zerreit. In Analogie zum Big Bang,dem englischen Begriff fr den Urknall,sprechen die Kosmologen vom Big Rip,dem groen Riss. Doch zu diesem fina-len Zerreien des Kosmos kme es nichtauf Grund der Expansion oder der Be-schleunigung an sich, sondern auf Grundder beschleunigten Beschleunigung.
Das Urknallmodell sttzt sich inzwi-
schen auf eine Reihe von Beobachtungs-befunden: die Expansionsbewegung desUniversums, die kosmische Mikrowel-len-Hintergrundstrahlung, die Hufig-keitsverteilung der chemischen Elementeim All sowie die klumpige Anordnungder Materie. Wie alle wissenschaftlichenIdeen wird dieses Modell eines Tagesdurch ein anderes abgelst werden. Abervon allen gegenwrtigen Modellen er-klrt es die beobachteten Daten am bes-ten. Neue und genauere Messungen wer-den es den Kosmologen erlauben, die
Expansion und deren Beschleunigung
immer besser zu verstehen. Deshalb kn-nen sie immer grundlegendere Fragenber die frhesten Zeiten und die gr-ten Strukturen im Kosmos stellen.
Was lste berhaupt die Expansionaus? Viele Kosmologen sehen die so ge-nannte Inflation als mgliche Ursache,eine Form der beschleunigten Expansionim frhen Kosmos. Doch das kann nur
ein Teil der Antwort sein, denn zum Aus-lsen der Inflation scheint bereits ein ex-pandierendes Universum ntig zu sein.
Und was ist mit den grten Struk-turen, jenseits all dessen, was wir sehenknnen? Expandieren verschiedene Teiledes Universums verschieden schnell? Istunser Universum eine inflationre Blasein einem viel greren Multiversum?Niemand wei es. Viele Fragen sindnoch offen. Doch whrend unser Uni-versum auf ewig expandieren wird, hof-fen wir, dass die Verwirrung ber die Ex-
pansion mit der Zeit schrumpft.
Charles H. Lineweaver undTamara M. Davisarbeiten als As-tronomen am Mount-Stromlo-Ob-
servatorium in der Nhe von Can-
berra (Australien). Anfang der
1990er Jahre, whrend seiner Zeit
an der Universitt von Kalifornien
in Berkeley, war Lineweaver Mit-
glied des Cosmic Background
Explorer-Teams, das winzige
Schwankungen in der kosmischen Hintergrund-
strahlung entdeckt hat. Davis arbeitet an der Su-
pernova/Acceleration Probe, einem in der Ent-
wicklung befindlichen Weltraumobservatorium.
Der Urknall. Anfang und Zukunft des Universums.
Von Hans-Joachim Blome. C.H.Beck, 2004
Kosmologie. Spektrum der Wissenschaft, Dossier
2/2000
Cosmology: the science of the universe. Von Ed-
ward R. Harrison. Cambridge University Press,
2000
Weblinks zu diesem Thema finden Sie bei www.
spektrum.de unter Inhaltsverzeichnis.
AUTOREN
UNDLITERATURHINWEISE
Expandieren die Himmelskrperim Universum ebenfalls?
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rknal
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missvers
tndnis
nr.6
FALSCH:Ja, die Expansion lsst das Universum und alles, was sich in ihm befindet, anwachsen.
Greifen wir ein Objekt herauseinen Galaxienhaufen. Wenn das Universum grer wird,
wachsen auch die Galaxien und der Haufen. Die uere Begrenzung des Galaxienhaufens
(gelber Rahmen) bewegt sich nach auen.
Galaxienhaufen
RICHTIG:Nein. Nur das Universum expandiert, zusammenhngende Objekte in ihm verndern sich nicht.
Anfangs werden benachbarte Galaxien tatschlich auseinander gezogen, doch irgendwann
berwiegt ihre gegenseitige Anziehungskraft die Expansion. Es bildet sich ein Galaxien-
haufen, der einen Gleichgewichtszustand mit fester Gre einnimmt.