swiss medical forum 8/2017 · the journal is supported by the swiss academy of medical sciences...

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SwissMedical Forum

Offizielles Fortbildungsorgan der FMHOrgane officiel de la FMH pour la formation continueBollettino ufficiale per la formazione della FMHOrgan da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch

With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”

8 2

2. 2

. 201

7

179 B. K. Ballmer-Weber, A. HelblingAllergische Rhinitis

187 T. Rothe Asthma bronchiale im Erwachsenenalter

194 A. Gschwend, J. Lukas, A. HelblingInsektengiftallergie

ThemenschwerpunktAllergische Reaktionen

SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

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Und anderswo …?

A. de Torrenté

175 Vertebroplastie bei Wirbelkörperfrakturen: wirksam? Aktuell

R. Del Giorno, A. Ceschi, L. Gabutti

176 Benzodiazepine bei älteren MenschenKlinische Studien zeigen, dass die Verschreibung von Benzodiazepinen mit steigendem Alter zunimmt und ausserhalb der anerkannten Indikationen erfolgt. Häu�g ist dies unangemessen und schädlich. Die Folgen können sehr schwer sein und die  Morbidität sowie Mortalität der Patienten beträchtlich erhöhen. Mithilfe multidisziplinärer Versorgungsstrategien können die Behandlungen wieder abgesetzt werden. Es bedarf grossangelegter Sensibilisierungskampagnen, um der Übermedikation in diesem Bereich, die sich zu einem realen volksgesundheitlichen Problem ent wickelt hat, entgegenzuwirken.

Übersichtsartikel AIM

B. K. Ballmer-Weber, A. Helbling

179 Allergische RhinitisFast jeder fün�e Schweizer leidet unter einer allergischen Rhinitis. Die verantwortlichen Allergenquellen sind vielfältig. Die  Abklärung der allergischen Rhinitis ist durch neue molekulare Methoden komplexer geworden. Der folgende Artikel soll Hilfeleistung bieten zur Identi�kation der verantwortlichen Allergene, zeigt Abklärungsmöglichkeiten und Therapieoptionen auf.

T. Rothe und die Mitglieder der Arbeitsgruppe «Asthma» der Schweizerischen Gesellschaft

für Pneumologie

187 Asthma bronchiale im ErwachsenenalterAsthma ist eine häu�ge Erkrankung in der ärztlichen Praxis. Die letzten Jahre haben klarer erkennen lassen, dass auch bei dieser chronischen Krankheit keine uniforme Therapie möglich beziehungsweise sinnvoll ist. Sie muss sich immer am individuellen Asthma-Phänotyp wie auch am aktuellen Grad der Asthmakontrolle orientieren.

«Hallo, ich bin Dr. Trallalla. Darf ich reinkommen?» Wenn sie es hochrechnet, hat Regula Stucki als Spitalclown in den vergangenen 10 Jahren mehr als 10 000 Kinder gesehen. Jedes hat seinen eigenen, ganz individuellen Besuch erhalten. In jedem Zimmer, an jedem Bett, vom Baby bis zum Teenager, liess sie sich etwas Neues einfallen. Regula Stucki erzählt von ihren Rundgängen, von heiteren und berührenden Erlebnissen, auch vom Gefühl der Hilflosigkeit, von mutigen Kindern, von der Freundschaft des Pflegepersonals und von der Kraft des Lachens. Inbegriffen: kleine Wunder, unvermeidliche Fettnäpfchen und Eltern als Schauspieltalente.

Regula Stucki

Tränen lachen

Erlebnisse eines Spitalclowns

120 Seiten, broschiert

Format 13,5 × 18 cm

sFr. 19.80 / € (D) 18.–

Bestell-Nr. E201

ISBN 978-3-906806-09-9

Lokwort Buchverlag

Ihre Bestellmöglichkeiten: T +41 (0)61 467 85 75, F +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.emh.ch, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz

INHALTSVERZEICHNIS 173

Redaktion

Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Prof. Dr. Stefano Bassetti, Basel; Dr. Ana M. Cettuzzi-Grozaj, Basel (Managing editor); Prof. Dr.  Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Ne�el, Bern; Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; PD Dr. Maria Monika Wertli, Bern

Beratende Redaktoren

Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Dr. Pierre Périat, Basel; Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal

Advisory Board

Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux-de-Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne

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Übersichtsartikel AIM

A. Gschwend, J. Lukas, A. Helbling

194 Insektengi allergieIn der Schweiz sterben jährlich drei bis vier Personen aufgrund einer schweren al lergischen Reaktion nach einem Insektenstich. In dieser Übersichtsarbeit werden die wichtigen Insekten, Risikofaktoren, klinischen Manifestationen und die Akutbehandlung allergischer Reaktionen nach Insektenstichen besprochen. Die neuesten diagnostischen Verfahren wie auch die Therapien, speziell die Insektengi�-spezi�sche Immuntherapie, werden dargelegt.

Fallbericht

T. Benoit, S. Majer, B. Nickel, B. Traichel

201 Schwere EosinophilieEine 65-jährige Patientin wurde Ende Juni 2016 aufgrund einer bereits seit einer Woche bestehenden zunehmenden Allgemein-zustandsverschlechterung hospitalisiert. Sie klagte über intermittierendes Fieber, Schwindel, Husten, Diarrhoe sowie einen juckenden Hautausschlag.

Swiss Medical WeeklyEditorial Board: Prof. Adriano Aguzzi, Zurich (ed. in chief); Prof. Manuel Battegay, Basel; Dr. Katharina Blatter, Basel (Managing editor); Prof. Jean-Michel Dayer, Geneva; Prof. Douglas Hanahan, Lausanne; Dr. Natalie Marty, Basel (Managing editor); Prof. André P. Perruchoud, Basel (senior editor); Prof. Christian Seiler, Berne; Prof. Peter Suter, Geneva (senior editor)

The “Swiss Medical Weekly“ is the official scientific publication of the Swiss Society of Internal Medicine, Swiss Society of Infectiology, Swiss Society of Rheumatology and Swiss Society of Pulmonary Hypertension. The journal is supported by the Swiss Academy of Medical Sciences (SAM) and the Swiss Medical Association (FMH).

Abstracts of new articles from www.smw.ch are presented at the end of this issue.

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Verlag Johannes Petri | Steinentorstrasse 11 | CH-4010 BaselTel. +41 (0)61 467 85 75 | Fax +41 (0)61 467 85 76 | [email protected]

Ver lag Johannes Pet r i

Ein Baselbieter Künstler, der alles riskierte und vieles gewann Der junge Baselbieter Walter Eglin (1895–1966) plante in den 1920er Jahren hauptberuflich Künstler zu werden. Sein zum Teil mühevoller Weg zu diesem anspruchsvollen Ziel war gespickt mit Herausforderungen und Schwierigkeiten – mit sprichwörtlichen Steinen eben. Und doch gelang es Walter Eglin trotz aller Widrigkeiten, seinen Traum zu verwirklichen. Seine Kunstwerke umfassen Holzschnitte, Malereien, Sgraffiti, Glasfenster, Monotypien und Mosaike. Einem grösseren Publikum wurde er besonders durch die Ausgestaltung des Eingangsbereichs der Universität Basel bekannt.

Freundeskreis Walter EglinDer steinige Weg des Walter Eglin2016. 222 Seiten,194 Abbildungen, davon 87 in Farbe. Gebunden.sFr. 45.– / ¤ 45.– ISBN 978-3-03784-095-5

INHALTSVERZEICHNIS 174

ImpressumSwiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-ForumOffizielles Fortbildungsorgan der FMH und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin

Redaktionsadresse: Eveline Maegli, Redaktionsassistentin SMF, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 58, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.medicalforum.ch

Manuskripteinreichung online: http://www.edmgr.com/smf

Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte-verlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55, Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch

Marketing EMH / Inserate: Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin Marketing und Kommunikation, Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected]

Abonnemente FMH-Mitglieder: FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11, Fax +41 (0)31 359 11 12, [email protected] Abonnemente: EMH Schweize-rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 75, Fax +41 (0)61 467 85 76, [email protected]: zusammen mit der Schweizerischen Ärzte- zeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize-rische Ärzte zeitung 1 Jahr CHF 175.– / Studenten CHF 88.– zzgl. Porto (kürzere Abonnementsdauern: siehe www.medicalforum.ch)

ISSN: Printversion: 1424-3784 / elektronische Ausgabe: 1424-4020Erscheint jeden Mittwoch

© EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG(EMH), 2017. Das Swiss Medical Forum ist eine Open- Access-Publika tion von EMH. Entsprechend gewährt EMH allen Nutzern auf der Basis der Creative-Commons-Lizenz «Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbei-tung en 4.0 International» das zeitlich unbeschränkte Recht, das Werk zu ver-viel fältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen unter den Bedin-gungen, dass (1) der Name des Autors genannt wird, (2) das Werk nicht für kommerzielle Zwecke verwendet wird und (3) das Werk in keiner Weise bear-beitet oder in anderer Weise verändert wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur mit ausdrück licher vorgängiger Erlaub-nis von EMH und auf der Basis einer schriftlichen Vereinbarung zulässig.

Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift pu blizierten Angaben wurden mit der grössten Sorgfalt überprüft. Die mit Verfassernamen gezeichneten Ver-öffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht zwangsläufig die Meinung der SMF-Redaktion wieder. Die angegebenen Dosierungen, Indikationen und Appli-kationsformen, vor allem von Neuzu-lassungen, sollten in jedem Fall mit den Fachinformationen der verwende-ten Medikamente verglichen werden.

Herstellung: Schwabe AG, Muttenz, www.schwabe.ch

Titelbild: © Lochstampfer | Dreamstime.com

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Und anderswo …?Antoine de Torrenté

Vertebroplastie bei Wirbelkörper-frakturen: wirksam?FragestellungWeltweit erleiden schätzungsweise 1,4 Mil-lionen Patienten jährlich eine Wirbelkörper-fraktur. Während die meisten nur leichte Symptome aufweisen, leiden einige an star-ken Schmerzen und müssen u.U. ins Spital eingewiesen werden. Das Liegen und die Schmerzmittel werden von den häu�g älteren Patienten schlecht vertragen. Bei der Verteb-roplastie wird eine Art Zement (Polymethyl-methacrylat) in den Wirbelkörper gespritzt, um die Wirbelsäule zu stabilisieren, in der Ho�nung, dadurch die Schmerzen zu lindern. Nach einer Welle der Begeisterung konnte in  mehreren Studien die Wirksamkeit der Methode nicht nachgewiesen werden, weshalb ihre Anwendung stark zurückging. In vielen der negativen Studien wurden jedoch alte, bis zu 12 Monate zurückliegende Frakturen unter-sucht. Ist es möglich, die Schmerzen durch eine rasche, fachgerecht durchgeführte Ver-tebroplastie kurz nach der Fraktur (weniger als 6 Wochen) wirksamer zu lindern als durch die übliche Behandlung?

MethodeDie doppelblinde, plazebokontrollierte Paral-lelstudie fand in vier Zentren in Australien

statt, und wurden von Vertebroplastie-erfah-renen Radiologen durchgeführt. Die Patienten waren über 60 Jahre alt und wiesen eine <6 Wochen zurückliegende Wirbelkörperfrak-tur mit einem Schmerz score von mindestens 7 auf einer Skala von 0–10 auf. Ausschlusskri-terien waren Frakturen aufgrund von Metas-tasen oder mit neurologischen Komplikatio-nen. Die Veruminjektion mit Knochenzement erfolgte unter leichter Sedierung mit einer Spezialnadel nach einer 4 mm Hautinzision. Die Scheininjektion bestand in derselben Hautinzision und Einführung der Nadel, den-selben Worten und Handlungen des Behand-lers wie bei der Veruminjektion, jedoch ohne Injektion. Primärer Endpunkt war die Zahl der Patienten mit einem Schmerzscore von 4 oder weniger nach 14 Tagen.

ResultateEs wurden 120 Patienten eingeschlossen, davon 61 in die Verum- (79% Frauen) und 59 in die Scheinbehandlungsgruppe. Ihr Durchschnitts-alter betrug 80 Jahre. Nach 14 Tagen wiesen 44% der Patienten der Verum- und 21% der Scheinbehandlungsgruppe einen Schmerz-score von <4 auf, p = 0,01. Die Personen, welche die Patienten zu ihrer Schmerzstärke befrag-ten, wussten nicht, welcher Gruppe letztere angehörten. In der Scheinbehandlungsgruppe errieten 54% der Patienten, welcher Gruppe

sie angehörten, gegenüber 80% in der Verum-gruppe, wahrscheinlich aufgrund der positi-ven schmerzlindernden Wirkung. Überdies verkürzte sich der Spitalaufenthalt der hospi-talisierten Patienten in der Verumgruppe um 5,5 Tage.

Probleme85% der Behandlungen erfolgten in einem einzigen Zentrum mit speziell ausgebildeten Behandlern, wodurch die Studie nur be-schränkt übertragbar ist.

KommentarDie Resultate bestätigen den Nutzen der Verte-broplastie, wenn diese von ausgebildeten und besonders kompetenten Radiologen durch-geführt wird. Sie sind lediglich auf Patienten mit einer <6 Wochen zurückliegenden Fraktur übertragbar. Überdies ist zu beachten, dass lediglich Frakturen im thorakolumbalen Be-reich behandelt wurden. Die Verkürzung des Spitalaufenthalts ist ziemlich beeindruckend, wodurch die Kosten der Behandlung deutlich geringer werden. Bleibt nur noch, zukün§ige Behandler korrekt auszubilden …Clark W, et al. Lancet. 2016;388(10052):1408–16.http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(16)31341-1

Künstliche Bauchspeicheldrüse: bewilligtDie FDA hat die erste künstliche Bauchspeichel-drüse für Typ-1-Diabetiker (MiniMed 670  g Medtronic), die einen geschlossenen Kreislauf bildet, bewilligt. Dabei handelt es sich um ein System mit einer Insulinpumpe, welche die freigesetzte Insulindosis auto matisch dem durch einen subkutanen Sensor alle 5 Minuten gemessenen Blutzuckerwert anpasst. Nichts-destotrotz muss der Anwender das System über die Menge der zugeführten Kohlenhydrate informieren. Für einige Pa tienten, insbeson-dere Jugendliche, ist dies wahrscheinlich ein Fortschritt …FDA Food and Drug Administration, News and Events. Posted 09/28/2016http://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm522974.htm

Akupunktur: Hilfe bei chronisch funktioneller Obstipation?Die Rolle der Akupunktur zur Behandlung schwerer chronisch funktioneller Obstipation ist umstritten. In einer chinesischen Studie wurden >1000 Patienten mit schwerer Obsti-

pation (<3 mal Stuhlgang pro Woche) rando-misiert und erhielten 8 Wochen lang entweder 28  Elektroakupunktur- oder Scheinbehand-lungssitzungen. Zu Studienbeginn hatten die Patienten durchschnittlich 0,4×/Woche Stuhl-gang. 8 Wochen später hatte die Verumgruppe ~1,8×/Woche Stuhlgang, gegenüber 0,9× in der  Scheinbehandlungsgruppe (signi�kant). Anscheinend regt Akupunktur das parasym-pathische System des distalen Kolons an. Ein ziemlich geringer, jedoch anscheinend signi�-kanter Nutzen. Es fehlt eine Vergleichsgruppe mit konventionellerer Behandlung … Liu Z, et al. Ann Intern Med. 2016;165(11):761–9.http://annals.org/aim/article/2552074/

NSAR: Herzinsuffizienz?7,7 Millionen Patienten, die eine NSAR- Behandlung begannen, wurden anhand von Datenbanken in vier europäischen Ländern analysiert. 92 000 wurden aufgrund von Herz-insu¹zienz ins Spital eingewiesen und mit Kontroll personen ohne Herzinsu¹zienz ge-matched. Die Einnahme von NSAR erhöhte das Herzinsu¹zienzrisiko um ~20%. Die Odds

Ratio betrug 1,8 für Ketorolac (Toradol®), 1,5 für  Indometacin (Indocid®), 1,3 für Piroxicam (Felden®) und Diclofenac (Voltaren®), 1,5 für Ibu-profen (Brufen®) und 1,15 für Naproxen (Aleve®, Proxen®). Diese Nebenwirkung reiht sich in zahlreiche weitere wie Niereninsu¹zienz, Ge-schwüre des Verdauungstrakts usw. ein …Arfè A, et al. BMJ. 2016;354:i4857.http://www.bmj.com/content/354/bmj.i4857

Beruhigungsmittel für Elefanten und grosse Tiere: Überdosis?Carfentanyl ist 10 000 mal stärker als Mor-phium und 100 mal stärker als Fentanyl. Eine Fentanyldosis von 2 mg kann tödlich sein. Car-fentanyl kommt in der Veterinärmedizin zur Anwendung. Nun hat die amerikanische Dro-genbekämpfungsbehörde (DEA) von mehreren Überdosisfällen mit diesem sehr starken Wirksto� berichtet. Wenn diese bereits in den USA au§reten, bleiben sie uns wohl auch nicht erspart …Drug Enforcement Administration, 09/22/16.https://www.dea.gov/divisions/hq/2016/hq092216.shtml

UND ANDERSWO …? 175

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(8):175

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AKTUELL 176

«Smarter Medicine»: Empfehlungen der Top-5-Liste für den Spitalbereich

Benzodiazepine bei älteren MenschenDr. med. Rosaria Del Giornoa, PD Dr. med. Alessandro Ceschib, Prof. Dr. med. Luca Gabuttia

a Département de Médecine, Hôpital Régional de Bellinzone, Ente Ospedaliero Cantonale, Bellinzonab Clinique de pharmacologie et toxicologie cliniques, Institut de Sciences Pharmacologiques de la Suisse italienne, Ente Ospedaliero Cantonale, Lugano

Klinische Studien zeigen, dass die Verschreibung von Benzodiazepinen mit steigen-dem Alter zunimmt und ausserhalb der anerkannten Indikationen erfolgt. Häu�g ist dies unangemessen und schädlich. Die Folgen können sehr schwer sein und die Morbidität sowie Mortalität der Patienten beträchtlich erhöhen. Mithilfe multidiszi-plinärer Versorgungsstrategien können die Behandlungen wieder abgesetzt werden. Es bedarf grossangelegter Sensibilisierungskampagnen, um der Übermedikation in diesem Bereich, die sich zu einem realen volksgesundheitlichen Problem ent-wickelt hat, entgegenzuwirken.

Einleitung

Obgleich Benzodiazepine (BDZ) lediglich bei einer be-grenzten Zahl psychiatrischer Störungen indiziert sind, gehören sie zu den bei älteren Menschen am häu�gsten verschriebenen psychotropen Medikamenten [1]. Die Erstverschreibung kann während eines Spitalaufent-halts, aber auch durch Hausärzte erfolgen [1]. Der un-angemessene, das heisst übermässige und/oder nicht indizierte Gebrauch dieser Medikamentenklasse ist so stark gestiegen und für derart viele Nebenwirkungen verantwortlich, dass die weltweiten Folgen als volks-gesundheitliches Problem einzu stufen sind [2].Obgleich das Wissen des P�egepersonals um die mög-lichen negativen Auswirkungen bei älteren Menschen beträchtlich zugenommen hat, ist nur ein Drittel der Benzodiazepinverschreibungen als angemessen einzu-stufen [3]. Unter anderem aus diesen Gründen emp�ehlt die Schweizerische Gesellscha� für Allgemeine Innere Medizin in ihrer Top-5-Liste der zu vermeidenden Inter-ventionen im Spitalbereich [4]:

Empfehlung 5: Älteren Menschen als erste Wahl keine

Benzodiazepine, andere Beruhigungsmittel oder Hyp-

notika gegen Schlaflosigkeit, Unruhe oder Delirium

verabreichen und das Rezeptieren solcher Medika-

mente bei Spitalaustritt vermeiden.

Zu hohe Verschreibungszahlen

Natürlich ist dieses Problem nicht auf die Schweiz be-schränkt, und obgleich zwischen den Ländern grosse

Unterschiede bestehen, ist der unangemessene BZD-Gebrauch als weltweite volksgesundheitliche Heraus-forderung zu betrachten. Denn die Prävalenz der BDZ-Einnahme bei älteren Patienten beträgt 12–32% und kann, wenn psychiatrische Störungen vorliegen, sogar 57–59% erreichen [5, 6]. Diesbezüglich haben die Resul-tate einer von 1991–2009 durchgeführten britischen Studie ergeben, dass die Verschreibungen im Spital lediglich in einem Drittel der Fälle angemessen waren [3]. Bezüglich der Risikofaktoren wurde in der franzö-sischen Kohorte der EVA-Studie («Epidemiology of Vas-cular Aging») eine positive Assoziation zwischen dem Alter und der Verschreibung langwirksamer BDZ beob-achtet [7]. Auch in einer in den USA durchgeführten Studie wurde gezeigt, dass die Rate der BDZ-Verschrei-bungen mit steigendem Alter zunimmt (20% in der Altersgruppe der 65–69-Jährigen und bis zu 30% in der Altersgruppe ab 85 Jahren) [8]. Diese Daten wurden durch die Resultate einer dänischen Studie bestätigt, in der man ebenfalls eine Zunahme des Verschreibungs-risikos bei über 85-Jährigen feststellte (OR 8,8; 95% KI [8,7–9,0] im Vergleich zu unter 55-Jährigen) [9].

Unangemessene Verschreibung und Abusus

Auch der BDZ-Abusus (d.h. die Einnahme zu hoher Dosen im Vergleich zur verschriebenen oder empfoh-lenen Menge) wurde in mehreren Studien untersucht. Beispielsweise war das Abususrisiko von BDZ mit schlaf-fördernder Wirkung in einer nationalen Kohortenstudie Rosaria Del Giorno

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(8):176–178

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AKTUELL 177

in Luxemburg, insbesondere bei Frauen und älteren Menschen, erhöht (OR 215,85; 95% KI [133,75–348,35] in Bezug auf letztere) [10]. Selbst wenn kein Abusus vor-kommt, werden BDZ von älteren Patienten häu�g in zu hoher Dosierung und/oder zu lange eingenommen [11]. Damit nicht genug, stellen die in dieser Patienten-klasse bestehende Polymedikation und die Komorbi-ditäten die Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung von Nebenwirkungen dar. Generell ist die Wahrschein-lichkeit für Nebenwirkungen bei älteren Menschen

unter anderem aufgrund des langsameren Sto°wech-sels / der verzögerten Ausscheidung, des höheren Fett-anteils und der wahrscheinlich stärkeren Emp�ndlich-keit der Rezeptoren erhöht [12]. Und schliesslich neigen ältere Menschen im Vergleich zu jungen Erwachsenen dazu, nicht verschreibungsp�ichtige Medikamente einzunehmen, wodurch das Risiko gefährlicher Medi-kamentenwechselwirkungen und unangemessener Behandlungen zunimmt [13].

Folgen für die Patienten

Die häu�gsten Folgen einer unangemessenen BDZ- Einnahme sind Stürze mit oder ohne Frakturen, Delirium, (mitunter schwere) kognitive Störungen, Verkehrsunfälle, Atemnot, Abhängigkeit und Entzugs-symptome [14, 15]. Nicht zu vergessen: paradoxe Reak-tionen wie chronische Schlafstörungen, Angstzu-stände und Unruhe. Eine weitere gefürchtete Folge der Langzeitbehandlung ist der Anstieg des Risikos für Sui-zid und Suizidgedanken, welches bei diesen Patienten ohnehin bereits hoch ist [16].

Absetzen der Behandlung

Entgegen der landläu�gen Meinung ist das Absetzen einer Langzeitbehandlung mit BDZ möglich. Es muss betont werden, dass das Risiko für verheerende Folgen bei einer Langzeitbehandlung höher ist als beim Abset-zen der Medikation. Ein Grund für die Zurückhaltung beim Absetzen der Therapie ist unter anderem die Be-fürchtung, dies könne der Arzt-Patienten-Beziehung schaden. Nichtsdestotrotz sind das Absetzen bezie-hungsweise die Verringerung der BDZ-Dosis bei älteren Patienten nachweislich mit einer besseren psychischen Verfassung und einer besseren körperlichen Leistungs-fähigkeit assoziiert. Daher sollte allen über 65-Jährigen, die über einen Monat BDZ eingenommen haben, ein

strukturierter Absetzversuch vorgeschlagen werden. Mehrere Metaanalysen haben untersucht, wie man beim Absetzen einer unangemessenen BDZ-Verschrei-bung vorgehen sollte. So scheint ein multidisziplinärer Ansatz (mit Psychotherapie und Einbezug der Ärzte) e°ektiver zu sein als eine psychotherapeutische Be-handlung allein [17]. Andere Studien schlagen ein Auf-klärungsgespräch mit korrekten Informationen über die gefährlichen Folgen einer nicht indizierten Behand-lung vor. Durch motivierende Ge sprächsführung soll beim Patienten ein Bewusstsein für die Problematik gescha°en werden [18].Dem Abususrisiko und der Gefahr inkorrekter Ver-schreibungen dieser Medikamentenklasse sollte in drei Stufen entgegengewirkt werden:1. Durch Primärprävention: Feststellung der lokalen

epidemiologischen Risikofaktoren, welche einen un-angemessenen BDZ-Gebrauch begünstigen, Durch-führung von Sensibilisierungskampagnen über die entsprechenden Folgen für Risikopersonen und Sen-sibilisierung von Spital- und Hausärzten bezüglich der unangemessenen Verschreibung von BDZ.

2. Durch Sekundärprävention: Sensibilisierungskam-pagnen für Ärzte, mit dem Ziel, diese Medikamenten-klasse bei Patienten ohne geeignete Indikation ab-zusetzen.

3. Durch Tertiärprävention: sofortiges Absetzen bei den ersten Anzeichen von Nebenwirkungen oder (selbst leichten) psychiatrischen Symptomen.

In diesem Zusammenhang ist die dänische Drei-Stufen-Strategie von Interesse:1. telefonische Verschreibungen vermeiden,2. Einzelkonsultationen bei jeder Verschreibung und 3. systematische Verringerung der initial verschriebe-

nen Dosis nach einmonatiger Behandlung [19].

Das Beispiel Tessin

In den letzten zwei Jahren wurde im ö°entlichen Spital-netz der italienischen Schweiz ein standardisiertes Computersystem zur kontinuierlichen Überwachung der BDZ-Verschreibungen bei Spitalein- und -austritt eingeführt und getestet. Aufgrund der ähnlichen Struk-tur der fünf Hauptspitäler des Spitalnetzes war eine vergleichende Analyse möglich. Diese ergab beträcht-liche Unterschiede der BDZ-Neuverschreibungen zwi-schen den Spitälern (Abb. 1): Die OR des Spitals mit den häu�gsten betrug im Vergleich zu dem mit den ge-ringsten Verschreibungen 10,8 (95% KI: 9,1–12,8). Das Hauptziel des Projekts bestand darin, zu erkennen, dass die Verschreibungen subjektiv erfolgen und eine Änderung der Verschreibungsgewohnheiten erforder-lich ist. Das Resultat der Sensibilisierungskampagne

Korrespondenz: Prof. Dr. med. Luca Gabutti Département de Médecine Hôpital Régional de  Bellinzone Ente Ospedaliero Cantonale CH-6500 Bellinzona Luca.Gabutti[at]eoc.ch

Selbst wenn kein Abusus vorkommt, werden Benzodiazepine von älteren Patienten häu g in zu hoher Dosierung und/oder zu lange eingenommen.

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(8):176–178

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AKTUELL 178

wird überprü�, indem anhand der kontinuierlichen Überwachung analysiert wird, um wie viel Prozent die unangemessenen Verschreibungen zurückgehen.

Das Ziel ist klar: Jetzt liegt es an jedem einzelnen, zu handeln. Dabei ist die Beteiligung aller gefragt, um un-angemessene Verschreibungen hinter sich zu lassen und fortan zu denjenigen zu gehören, die in einer vor Kurzem von der Organisation für wirtscha�liche Zu-sammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführ-ten Umfrage angaben, eine Prävalenz der BDZ-Ein-nahme bei Personen ab 65 Jahren von unter 5 pro 1000 Patienten erreichen zu wollen [20]. Der Weg ist geebnet, nun liegt es an Ihnen, ihn zu beschreiten.

Disclosure statementDie Autoren haben keine �nanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste �nden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.

Dies ist der letzte Beitrag einer sechsteiligen Artikelserie zu

«Smarter Medicine» im Swiss Medical Forum. Eine Parallel-

publikation der Artikel erfolgt in der Revue Médicale Suisse.

2014

/3

05

1015

2520

% b

enzo

out

2016

/3

H1H2H3H4H5

Abbildung 1: Überwachung der Benzodiazepin-Neuverschreibungen (Rate der bei

Spital austritt behandelten Patienten, die bei Spitaleintritt nicht behandelt wurden)

von März 2014 bis März 2016 in den medizinischen Abteilungen der fünf öffentlichen

Hauptspitäler des Spitalnetzes der italienischen Schweiz (H1–H5) (N: 19,272).

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(8):176–178

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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix

SWISS MEDICAL FORUM

Literatur

1 Garrido MM, Prigerson HG, Penrod JD, Jones SC, Boockvar KS. Benzodiazepine and sedative-hypnotic use among older seriously ill veterans: choosing wisely? Clin Ther. 2014;36(11):1547–54.

2 Fick DM, Cooper JW, Wade WE, Waller JL, Maclean JR, Beers MH. Updating the Beers criteria for potentially inappropriate medication use in older adults: results of a US consensus panel of experts. Arch Intern Med. 2003;163:2716–24.

3 Dell’osso B, Lader M. Do benzodiazepines still deserve a major role in the treatment of psychiatric disorders? A critical reappraisal. Eur Psychiatry. 2011;28(1):7–20.

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 179

Eine Volkserkrankung des 20. Jahrhunderts

Allergische RhinitisProf. Dr. med. Barbara K. Ballmer-Webera,b, Prof. Dr. med. Arthur Helblingc

a Zentrum für Dermatologie und Allergologie, Kantonsspital Luzern; b Dermatologische Klinik, UniversitätsSpital Zürich; c Allergologisch-Immunologische Poliklinik, Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie, Inselspital Bern

Fast jeder fün�e Schweizer leidet unter einer allergischen Rhinitis. Die verantwort-lichen Allergenquellen sind vielfältig. Die Abklärung der allergischen Rhinitis ist durch neue molekulare Methoden komplexer geworden. Der folgende Artikel soll Hilfeleistung bieten zur Identi�kation der verantwortlichen Allergene, zeigt Abklä-rungsmöglichkeiten und Therapieoptionen auf.

Einleitung

Allergien zählen zu den häu�gsten Krankheiten unse-rer Zeit. Gemäss neuen Untersuchungen haben rund 50% der europäischen Bevölkerung die Veranlagung, eine Allergie zu entwickeln [1]. In einigen Ländern wei-sen über 10% der Kinder eine manifeste Allergie auf. Man schätzt, dass weltweit über 300 Millionen Men-schen, rund 6% der Erwachsenen und rund 12% der Kinder, an Asthma und über 500 Millionen an einer al-lergischen Rhinitis leiden [2]. In der Schweiz sind das über 500 000 Menschen mit Asthma und bis zu 2 Milli-onen mit einer allergischen Rhinitis (jeweils unabhän-gig von Ätiologie und Schweregrad). Je früher solche Respirationssymptome au�reten, desto wahrscheinli-cher auch eine Allergie. Global gesehen sind Pollen von Gräsern, Bäumen oder Traubenkraut die Hauptverursa-cher für saisonale Beschwerden. Als Auslöser für peren-nial au�retende, allergische Atemwegssymptome gel-ten Milben, in der Schweiz die Hausstaubmilben und die Haustiere als die wichtigsten Quellen. Daneben können diverse Inhalationsallergene, so auch Arbeitssto¤e, Ur-sache für allergische Atemwegsbeschwerden sein (www.ecrhs.org [ECRHS-II-Studie, European Community Res-piratory Health Survey]).

Saisonale allergische Rhinitis

Annähernd 20% der Schweizer Bevölkerung leiden un-ter einer Pollenallergie. Baum- und Gräserpollen von windbestäubten P¦anzen sind die wichtigsten Auslö-ser. Die häu�gsten allergenen Baumpollen der Schweiz gehören zur Ordnung der Fagales oder Buchenge-wächse (Birke, Betula verrucosa; Erle, Alnus glutinosa; Hasel, Corylus avellana; Hainbuche, Carpinus betulus). Allergene dieser Pollen sind hoch kreuzreaktiv. Sie füh-ren zu Beschwerden während der Frühjahrsmonate (Ja-nuar bis April, siehe Tab. 1). Im April �nden sich gleich-

zeitig mit den Birkenpollen auch Eschenpollen in der Lu�. Sie gehören zur Familie der Oleaceae (Ölbaumge-wächse). Die meisten allergenen Gräser stammen aus der Familie der Poaceae (Süssgräser). Sie sind bestim-mend für die saisonale allergische Rhinitis im Mai und Juni/Juli. Wichtige Vertreter sind unter anderem das Wiesenlieschgras (Phleum pratense), das Knäuelgras (Dactylus glomerata), das Weidelgras (Lolium perenne). Diese Gräser sind eng miteinander verwandt. Die soge-nannte Spätsommer-Pollinosis, die im August/Septem-ber manifest ist, wird durch Pollen von Kräutern ausge-löst, vor allem Beifuss- (Artemisia vulgaris) und im Tessin respektive in Genf von Traubenkrautpollen (Am-brosia artemisiifolia). Ambrosiapollen sind hochaller-gen, sie können schon bei tiefer Konzentration zu star-ken respiratorischen Beschwerden führen. Barbara K. Ballmer-Weber

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 180

Neben den klassischen rhinokonjunktivitischen Be-schwerden entwickeln 30% der Patienten ein Pollen-asthma. Der englische Begri¤ «hayfever» umschreibt das Krankheitsbild besser. Viele Patienten fühlen sich in der Pollensaison zusätzlich deutlich eingeschränkt in ihrem Wohlbe�nden durch ein allgemeines Krankheits-gefühl verbunden mit Myalgien, Schwäche, Leistungs-minderung oder subfebrilen Temperaturen. Gerade sportliche Outdoor-Aktivitäten sind bei ungen ügender Therapie beschnitten. In Tageszeitungen oder im In-ternet �nden sich Pollenberichte (z.B. www.pollen-undallergie.ch), die jeweils Auskun� über die Pollenbe-lastung der Vorwoche geben. Sie können entsprechend nicht genutzt werden zur aktuellen Freizeitplanung. Aufgrund des Vorkommens homologer Proteine in Pol-len frühblühender Bäume und p¦anzlichen Lebensmit-teln entwickeln bis zu 70% der Birkenpollenallergiker eine kreuzreaktive Nahrungsmittelallergie gegen rohe Früchte, Nüsse oder Gemüse. Auch bei Beifusspollenal-lergikern kann eine assoziierte Nahrungsmittelallergie beobachtet werden [3, 4]. Weitere Komplikationen der allergischen Rhinitis �nden sich zusammengefasst in Tabelle 2.

Perenniale allergische Rhinitis

Hausstaubmilben (HSM)Die HSM-Allergie ist ein weltweit relevantes Problem. Man vermutet, dass nahezu eine halbe Million Men-schen davon betro¤en sind [5]. Obschon es rund 40 000 verschiedene Milbenarten gibt, sind bei uns Dermato-phagoides pteronyssinus and D. farinae die beiden wich-tigsten Arten und können die Ursache für allergische Rhinitis, Asthma oder auch die atopische Dermatitis sein. Die HSM zählen zur Gruppe der Spinnentiere und können praktisch nur in belebten Räumen überleben. HSM �nden sich dort, wo sich Menschen wohl fühlen. Günstige Lebensumstände sind eine höhere relative Lu�feuchtigkeit (>70%) und angenehme Temperaturen (>20 °C). Während die D. pteronyssinus tiefere Tempera-turen toleriert, kann die D. farinae in trockeneren Mi-lieus besser überleben. Nahrungsmangel besteht in Wohnungen keiner. Wenngleich die meisten Patienten auf die Allergene beider Arten sensibilisiert sind, kön-nen Monosensibilisierungen vorkommen (je ca. 5%).

AllergenvorkommenDie Hauptallergenquelle ist der Kot, in welchem das Hauptallergen Der p1 vorkommt. Die klinisch wichtigs-ten Allergene sind die Gruppen 1+2 HSM-Allergene [5]. Insgesamt sind über 20 HSM-Allergene identi�ziert [6]. Die HSM sind eine perenniale Allergenquelle und ein massgeblicher Bestandteil des Hausstaubs. Das Bett, speziell die Matratze, gilt als Hauptinfestationsort, weshalb seit vielen Jahren Matratzenüberzüge (Enca-sings) zur Reduktion einer Exposition auf HSM-Aller-gene empfohlen werden [7]. Obschon dadurch der Kon-takt reduziert wird, kann man sich kaum einer kompletten Exposition entziehen, weil HSM-Allergene überall vorkommen können. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Der p1-Konzentrationen im Bettbereich geringer sind als Katzen- oder Hundeallergene, falls diese Haustiere präsent sind. Obschon die Befunde ei-ner aktuellen Publikation dafür hinweisend sind, dass ein frühkindlicher Kontakt mit D. pteronyssinus-Aller-genen eine Polysensibilisierung auf HSM-Al lergene auslöst und somit Indikator für eine spätere allergi-sche Rhinitis und Asthma ist, werden in der neuen Leitlinie für primäre Allergieprävention keine speziel-len Massnahmen zur Reduktion des HSM-Allergen-gehalts empfohlen [8]. In Wohnräumen und ö¤entlichen Gebäuden wie Spitä-lern, Restaurants, Einkaufszentren oder Kinos können auch andere Quellen Ursache für eine Atemwegsaller-gie sein, so zum Beispiel Vorratsmilben oder Küchen-schaben (Kakerlaken). In der Schweiz liegt die Häu�g-keit einer Sensibilisierung auf Schaben bei rund 5%.

Tabelle 1: Saisonale allergische Rhinitis: verantwortliche Pollen und Beschwerdezeitraum.

Der Beschwerdezeitraum lässt bei der allergischen Rhinitis Rückschlüsse zu auf die mögliche verantwortliche Allergenquelle. Die aufgeführten Hauptallergene stehen als rekombinante Moleküle heute zum Einsatz in der diagnostischen Abklärung der Rhinitis zur Verfügung. Die Indikation zur Bestimmung von spezifischem IgE gegen diese Einzelmoleküle ist bei Pollenallergie nur vor Durchführung einer Immuntherapie gegeben.

Beschwerdezeitraum Auslösendes Allergen Hauptallergene

Januar bis April Haselpollen Bet v 1+

Erlenpollen

Birkenpollen

April* Eschenpollen Ole e 1

Mai bis Juli Gräserpollen Phl p 1; Phl p 5

August bis September Beifusspollen Art v 1

Traubenkrautpollen Amb a 1+ Hauptallergen für alle Fagales-Pollen (Birke, Erle, Hasel)* April: überlappende Pollensaison: Birke und Esche

Tabelle 2: Komorbidität der allergischen Rhinitis.

Die allergische Rhinitis kann durch verschiedene Komorbi-ditäten begleitet sein, welche die Entscheidung zu den verschiedenen Therapieoptionen mitbeeinflussen.

Konjunktivitis

Enoraler Juckreiz, Juckreiz Gaumen, Globusgefühl

Rhinosinusitis, Otitis, Pharyngitis

Bronchiale Hyperreagibilität; Asthma bronchiale

Assoziierte Nahrungsmittelallergie

Eosinophile Oesophagitis

Aerogene Dermatitis

Saisonale Kontakturtikaria

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 182

Aufgrund kreuzreaktiver Allergeneigenscha�en kön-nen Sensibilisierungen und Allergien mit anderen In-sektenarten vorkommen (z.B. Grashüpfer, Schalentiere, Käfer).

HaustiereNach den HSM sind die Haustiere [9] die zweihäu�gste Ursache für eine Allergie in Wohnräumen. Grundsätz-lich kann man sich auf jedes Haustier sensibilisieren. In Haushalten mit Katzen sind in den USA 17% der Be-sitzer sensibilisiert, bei Hundehaltern ist dies bei 5% der Fall [10]. Die Häu�gkeit einer Sensibilisierung auf Katzen- und Hundeproteine in der erwachsenen Bevöl-kerung liegt in der Schweiz bei 3,8 respektive 2,8% [11]. Gemäss einer Statistik wurde 2015 in der Schweiz in 44% der Haushalte wenigstens ein Haustier gehalten (https://de.statista.com). Katzen lebten in 30% der Haushalte (1,66 Mio. Tiere), Hunde in 12% (522 000), ge-folgt von Kaninchen (484 000) und Nagern (329 000) in je 4%, Reptilien (3%; 319 000) sowie Ziervögeln (1%; 191 000). Auch diese Inhalationsallergien basieren auf einer meist perennialen Allergenexposition. Da die Allergene mitgetragen werden, überrascht es nicht, dass hohe Allergenkonzentrationen in Schulen, Fahr-zeugen und auch an Orten (z.B. Kinos, Hotels) nach-weisbar sind, wo keine Haustiere erlaubt sind [12].Im Vergleich zur Pollenallergie sind die Symptome bei einer Haustierallergie o� weniger akut. Aber je nach Umständen, zum Beispiel konkommittierendem Infekt, können immer Exazerbationen wie Bronchospasmen oder eine Urtikaria au�reten. Wie andere Wohnraumal-

lergene binden sich die Tierproteine an Staub partikel und werden beim Begehen eines Raumes aufgewirbelt. Dabei gelangen sie auf die Schleimhäute der Atemwege oder Konjunktiven, wo Sym ptome ausgelöst werden. Das Anpreisen von hypoallergenen Katzen oder Hun-den entbehrt zurzeit jeder wissenscha�lichen Grund-lage. Bis heute gibt es keine Daten, welche diese Be-hauptung unterstützen [13]. Günstiger mag es für Pferdeallergiker aussehen. In einer kleinen Arbeit konnte bei dokumentierter Allergie auf Pferdeepithe-lien gezeigt werden, dass neun von zehn Patienten beim Striegeltest von Lockenpferden (Curly Horse) keine Symptome hatten und dass bei einigen von ihnen die Hauttestreaktivität geringer ausgefallen ist [14]. Es gibt Hinweise, dass vor allem Hundekontakt im ers-ten Lebensjahr sich günstig auf die Entwicklung von Neurodermitis und Asthma bei Atopikern auswirken kann [15]. Nichtsdestotrotz sind wir mit einer solchen Empfehlung zurückhaltend. Bei frühen Katzenkontak-ten sind die Resultate weniger günstig. Im Falle einer Sensibilisierung ist das Allergierisiko nämlich erhöht.

Einige wichtige Tierallergene (Tabelle 3)Fel  d  1 ist das allen Katzen (Feliden) gemeinsame Hauptallergen. Es �ndet sich also sowohl bei den Klein- wie auch bei den Grosskatzen. Beim Fel d 1 handelt es sich um ein Glykoprotein, das von Talg-, Speichel- und Analdrüsen der Katze produziert und beim Lecken über das Fell verteilt wird. Verschiedenen Untersu-chungen haben gezeigt, dass die Allergenproduktion hormonellen Kontrollen unterliegt. So produziert ein

Tabelle 3: Wichtige Tierallergene aus Katzen, Hund und Pferd.

Tier und Allergen Proteinfamilie Klinische Relevanz;Sensibilisierungshäufigkeit

Vorkommen

Katze (felis domesticus)

Fel d 1 Uteroglobin Sekretoglobin

Majorallergen, speziesspezifisch; >90%

Talg-, Speichel- und Analdrüsen

Fel d 2 Serumalbumin Marker für Kreuzsensibilisierung mit  anderen Säugetieralbuminen; 15–25%

Speichel, Fell, Serum

Fel d 4 Lipokalin Majorallergen; 60%

Speichel, Serum, Urin, Hautschuppen

Hund (canis familiaris)

Can f 1 Lipokalin Majorallergen; 90%

Speichel, Haare, Schuppen

Can f 2 Lipokalin Minorallergen; 22–30%

Speichel, Haare, Schuppen

Can f 4 Lipokalin Minorallergen; 35%

Fell

Pferd (Equus caballus)

Equ c 1 Lipokalin Majorallergen; >90%

Speichel, Fell, Urin, Serum

Equ c 4 Latherin Majorallergen; 77%

Hautschuppen

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 183

Kater mehr Allergene als die Katzen. Wird dieser kas-triert, sinkt die Allergenproduktion  – nur ist dieser Umstand für den Katzenallergiker irrelevant. Bislang sind acht spezi�sche Katzenallergene identi�ziert wor-den [16]. Einige dieser Allergene sind kreuzreaktiv mit Allergenen anderer Tiere. Ein Beispiel sind Lipocaline, die bei bepelzten Tieren nachweisbar sind, so auch bei Mäusen oder Hamstern. Lipocalin wird auch im Spei-chel von Zecken nachgewiesen. Dieses Eiweiss hat die Eigenscha�, hydrophobe Moleküle zu transportieren. Es ist an vielen biologischen Prozessen beteiligt, etwa auch bei der Regulation der angeborenen Immunant-wort [17]. Ein weiteres Protein, das kreuzreaktive Cha-rakteristiken hat und bei allen Säugetieren nachweis-bar ist, ist das Serumalbumin. Eine in der Allergologie bekannte Entität ist das Katzen-Schweine¦eisch-Syn-drom [18]. Dabei reagiert die Person mit einer Katzen-allergie auf den Konsum von zum Beispiel Schweine-¦eisch, dessen Albumine durch das Kochen nicht denaturiert worden sind. Die Bestimmung der Haupt-allergene bei Tierallergikern ist dann wichtig, wenn die Indikation zur spezi�schen Immuntherapie ge-stellt wird, da die aktuell verfügbaren Therapielösun-gen auf diese Allergene standardisiert sind. Auch beim Hund �nden sich die Hauptallergene im Speichel [16]. Es handelt sich um Lipokaline, die aber unterschiedliche Funktionen haben. Allergien auf Pferde werden hauptsächlich bei Personen registriert, die einen engen Kontakt mit Pferden haben. Es ist auch nicht erstaunlich, dass Allergien bei Personen gehäu� au�reten, die beru¦ich mit Tieren arbeiten oder Kon-takt haben wie zum Bespiel Forschungslaboranten. Ein Drittel von ihnen weist im Verlauf ihrer Tätigkeit eine Sensibilisierung auf [19]. Allerdings �nden sich die Hauptallergene bei Nagern im Urin, sodass die Sym-ptome verstärkt beim Reinigen eines Geheges als bei direktem Kontakt au�reten können.

TierfutterallergieNicht zu vergessen ist, dass neben den Tieren auch de-ren Futter allergische Atemwegsbeschwerden auslösen kann. Bekannt ist die Aquariumallergie [20]. Dabei be-steht keine Allergie auf die Zier�sche, vielmehr rea giert der Betro¤ene auf die Inhaltssto¤e des Trockenfutters (z.B. Chironomidenhämoglobin [rote Mückenlarve], Daphnien, Garnelenbestandteil, Fischmehl). Bei Züch-tern, Reptilien- oder Amphibienhaltern, aber auch Vo-gelzüchtern können Futtertiere wie Grillen, Heim-chen, Heuschrecken, Mehl- und Bu¤alowürmer u.a.m. Ursache für eine allergische Rhinitis oder Asthma sein.

Schimmelpilze Pilzsporen, insbesondere Schimmelpilze, werden seit Jahrzehnten immer wieder als Trigger für eine allergi-sche Atemwegsallergie vermutetet (Tab. 4). Dabei können aerogene Kontakte überall au�reten. Die Häu�gkeit einer Sensibilisierung auf Pilzallergene wird o� überschätzt. Die Prävalenz liegt meist deutlich unter 10%, wobei die Prävalenz nicht nur von der Pati-entenpopulation (z.B. Asthmatiker), sondern von kli-matischen Gegebenheiten abhängt [19]. In der Aussen-lu� kommt den Alternaria alternata-Sporen die grösste allergologische Bedeutung zu, wenngleich diese Sporen mengenmässig deutlich geringer in der Atmosphäre registriert werden als Cladosporium-Sporen. Dieser Schwärzepilz sporuliert vom Frühjahr (Mai) bis in den Herbst hinein. Allergien auf Pilze äussern sich klinisch o� als Spätsommer-Asthma (Juli–September). Eine Sen-sibilisierung auf Alternaria- oder Cladosporium-Anti-gene gilt als Risikofaktor einerseits für ein schwierig kontrollierbares Asthma und andererseits auch für eine allergische Rhinitis [19]. Leider sind die diagnostischen Möglichkeiten, um eine Schimmel- oder Pilz allergie hinreichend abzuklären, eingeschränkt. Von den weltweit geschätzten 1–3 Milli-onen Pilzarten verfügen wir nur von wenigen Arten mehr oder weniger aussagekrä�ige Testsubstrate. Fer-ner ist gezeigt worden, dass auch Ständerpilze (Basidio-myzeten) kausal für allergische Atemwegssymptome sein können. Aber bis heute sind noch keine kommer-ziellen Testextrakte erhältlich [21]. Schwierig gestaltet sich denn auch die Diagnosesiche-rung bei Verdacht auf eine Indoor-Pilzallergie, selbst bei nachweislichem Pilzbefall. Das Vorkommen von Pilzsporen im Innenraum widerspiegelt meist das Pilz-spektrum aus der Aussenlu� (z.B. geö¤netes Fenster). Bei Innenraumbesiedelungen durch Pilze sind unspe-zi�sche Schleimhaut- oder Hautreizungen durch ¦üch-tige organische Verbindungen (VOC) oder eventuell auch Mykotoxine häu�ger als al lergische Beschwer-den. Die wichtigsten Schimmelpilze in Wohnräumen

Tabelle 4: Wichtige Schimmelpilzallergene.

Aktuell verfügbare Einzelallergene zur Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper bei Schimmelpilzallergie.

Pilzart Allergenkomponente Klinische Relevanz

Alternaria alternata Alt a 1 Hauptallergen

Alt a 6 Nebenallergen

Aspergillus fumigatus Asp f 1 Hauptallergen

Asp f 2 Hauptallergen

Asp f 3 Hauptallergen

Asp f 4 Marker für ABPA

Asp f 6 Marker für ABPA

Cladosporium Cla h 8 Hauptallergen

ABPA = allergische bronchopulmonale Aspergillose

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 184

sind Aspergillus- und Penicillium-Arten. Aspergillus fumigatus steht auch bei anderen Atemwegserkran-kungen auf der Liste, wie bei der allergischen broncho-pulmonalen Aspergillose (ABPA), der allergischen Pilz-sinusitis oder bei Hypersensitivitätspneumonien. Bei einer Allergie auf Aspergillus �ndet sich häu�g eine Sensibilisierung auf die Antigene Asp  f  1 und Asp  f  3, dies im Gegensatz zu einer aktiven ABPA, wo spezi�-sche IgE-Antikörper gegen Asp  f  4 und Asp  f  6 nach-weisbar sind [22].

Abklärung

Allgemeine Bemerkungen zur Diagnositk der allergischen RhinitisNasenlaufen, verlegte Nasenatmung, Niesattacken und Juckreiz während mehr als einer Stunde pro Tag wäh-rend mindestens zwei Wochen sind hinweisend für das Vorliegen einer Rhinitis. Die Auslöser einer Rhinitis können allergischer, struktureller, infektiöser oder au-toimmuner Genese sein oder es können auch überlap-pend verschiedene Ursachen vorliegen [23]. Niesreiz, Juckreiz von Gaumen und Nase sowie eine konjunkti-vale Mitbeteiligung sind Merkmale der allergischen Form. Beschwerdeort (häusliche vs. beru¦iche Auslö-ser) und Beschwerdezeitraum (saisonale vs. perenniale Auslöser) können auf verantwortliche Allergene hin-weisen. Bei chronischer allergischer Rhinitis kann die Korrelation zwischen auslösendem Allergen und un-

mittelbarem Au�reten der Beschwerden maskiert wer-den. Hier führen zum Teil auch unspezi�sche Reize (Abgase, Parfum etc.) zu Symptomen. Der nächste Schritt gilt dem Nachweis spezi�scher IgE-Antikörper gegen das verdächtigte Allergen mittels Hautpricktestung oder allenfalls Nachweis von spezi�-schem IgE-Antikörper in vitro gegen die jeweiligen Ex-trakte (Abb. 1). Wichtig ist, dass der Nachweis von spezi�schem IgE keine Allergiebestätigung ist. Aufgrund der ECRHS-Studie sind 26% der Schweizer Erwachsenen gegen Gräserpollen, 18% gegen Birkenpollen und 17% gegen Hausstaubmil-ben sensibilisiert [24]. Nur ein Teil der Sensibilisierten entwickelt jedoch eine Allergie. Die Abklärung einer chronischen Rhinitis gehört in die Hände des Spezialisten. Wenn Verdacht auf eine Wohn-raumallergie besteht, ist eine allergologische Evaluation angezeigt.

Die komponentenspezi�sche Abklärung der  saisonalen allergischen RhinitisKorrelieren der Beschwerdezeitraum der saisonalen Symptomatik und die Sensibilisierung auf die entspre-chende Pollenquelle im Hauttest oder In-vitro-Test (z.B. Beschwerden Mai/Juni, Hauttest positiv auf Grä-ser oder Antikörper gegen Graspollenextrakt), ist die Diagnose der Pollenallergie gegeben. Aufgrund über-lappender Pollensaison (Birke/Esche) oder ungenauer anamnestischer Angaben veranlasst der Allergologe

Rhinitis

Saisonale Beschwerden

JA NEIN

NEINNEIN

NEIN

NEIN NEIN

NEIN

JAJA

JA JA

JAJA

Saisonale Rhinitis Perenniale Rhinitis

Testresultate und Anamnese korrelieren

Hautpricktests/ In-vitro-Analyse mitPollenextrakten

Hautpricktests/In-vitro-Analyse gemäss Anamnese

Testresultate und Anamnese korrelieren

Indikation für Immuntherapie Indikation für Immuntherapie

Sensibilisierung auf HauptallergeneAbklärung konklusiv

Pollenallergiebestätigt

Beschwerdetagebuchund Reevaluation

Allergische Rhinitisbestätigt/möglich

– HNO-Abklärung– Andere Erkrankungen?

Komponenten-spezifische Diagnostik

SymptomatischeTherapie

SpezifischeImmuntherapie

SymptomatischeTherapie

SpezifischeImmuntherapie

SymptomatischeTherapie

– Symptomatische Therapie– Expositionsprophylaxe

– Ev. komponenten- spezifische Diagnostik– Ev. nasale Provokation

Abbildung 1: Diagnostisches Flowchart der Rhinitis.

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 185

vor Indikationsstellung zur Immuntherapie eine soge-nannte komponentenspezi�sche Diagnostik. Hier wer-den IgE-Antikörper gegen einzelne, meist rekombinant hergestellte allergene Proteine anstatt wie bei der kon-ventionellen Diagnostik gegen den Gesamtextrakt ge-messen [16]. Die komponentenspezi�sche Diagnostik unterscheidet zwischen Sensibilisierung gegen spe-ziesspezi�sche Haupt- oder Majorallergene und kreuz-reaktive Neben- oder Minorallergene (Abb. 2). In allen Pollenquellen �nden sich hoch kreuzreaktive Allergene der Familie der Pro�line, der Polcalcine res-pektive kreuzreaktive Kohlenhydratdeterminanten. Diese Allergene können durch spezi�sche IgE-Antikör-per erkannt werden, verursachen dadurch positive Haut- oder Labortests, aber führen häu�g zu keinen al-lergischen Beschwerden. Beschwerdeverursachend sind viel häu�ger die Majorallergene, die für jede Pollen-quelle spezi�sch sind und nicht kreuzreagieren (Tab. 1). Die komponentenspezi�sche Diagnostik ist besonders deshalb auch wichtig, da die therapeutischen Allergen-extrakte auf die Majorallergene der jeweiligen Pollen-quelle standardisiert und die Minorallergene im Ex-trakt unterrepräsentiert sind. Deshalb wird in der Regel eine Immuntherapie nur dann veranlasst, wenn der Pa-tient gegen das Majorallergen einer Pollenquelle sensi-bilisiert ist und – ganz wichtig – während der entspre-chenden Pollen¦ugzeit auch Beschwerden aufweist.

Die komponentenspezi�sche Abklärung der perennialen allergischen RhinitisMittels Bestimmung der Hauptallergene von Der  p  1 und Der p 2 können über 97% der Patienten mit einer Allergie auf D. pteronyssinus diagnostiziert werden [25]. Die Kreuzreaktivität zwischen den beiden HSM D. pter-onyssinus und D.  farinae ist hoch [16]. Daher müssen nicht beide Arten getestet werden. Zweifellos soll bei einem negativen Testausfall, aber suggestiver Anam-nese das Testspektrum erweitert werden. Der Nach-weis einer Sensibilisierung auf eines der beiden Grup-penallergene ist für die Indikationsstellung einer spezi�schen Immuntherapie wegweisend. Tropomyo-sin ist ein Muskelprotein, das bei den Arthropoden Grund für Kreuzreaktionen zwischen verschiedenen Gliederfüssern wie Küchenschaben, Käfern, Vorrats-milben, Schalentieren u.a.m. sein kann und das bei dieser Indikation gesucht werden soll. Fel  d  1, Can  f  1 und Can f 2 sind speziesspezi�sche Marker einer Sensi-bilisierung für eine Katzen- oder eine Hundeallergie [16]). Tierproteine enthalten aber diverse kreuzreaktive Moleküle. So ist auch das Pferdeallergen Equ c 1 kreuz-reaktiv mit Fel  d  4 und Can  f  6. Falls der Sensibilisie-rungsnachweis nicht gelingt, sind zusätzliche Analy-sen nötig. Wichtig ist, dass immer ein Ziel im Fokus einer Abklärung steht. Nicht zu vergessen ist, dass trotz der heutigen Möglichkeiten nicht alle Einzelaller-gene für die Diagnostik kommerziell verfügbar sind, so auch für viele Haustiere.

Therapie der allergischen Rhinitis

Ziel der Therapie einer Allergie ist, eine Symptomfrei-heit oder wenn möglich sogar eine vollständige Hei-lung zu erreichen. Das primäre Therapieprinzip ist eine Allergenvermeidung, da bei sensibilisierten Individuen ein Allergenkontakt nötig ist, um Symptome auszulö-sen. Bei der medikamentösen und symptomatischen Behandlung gelten die topischen – bei allergischer Rhi-nitis die intranasalen  – Kortikosteroide wie auch die Antihistaminika als evidenzbasierte Therapeutika für eine saisonale wie auch perenniale Rhinitis, sowohl bei Kindern wie auch bei Erwachsenen. Heutzutage werden die Antihistaminika der 2./3. Generation empfohlen, da bei üblicher Dosierung selten eine sedierende Wirkung au�ritt und somit die Reaktionsfähigkeit und Fahr-tüchtigkeit kaum beeinträchtigt wird. Da viele Aeroallergene, auch in Innenräumen, ubiqui-tär vorkommen und unter normalen Lebensbedingun-gen kaum zu vermeiden sind, wird o� eine allergen-spezi�sche Immuntherapie (SIT) in Erwägung gezogen [26]. Die Indikation zur Immuntherapie erfolgt in der Regel durch den Allergologen, die Durchführung wird,

Eschenpollen Gräserpollen

Birkenpollen Beifusspollen

Ole e 1

Art v 1 Bet v 1

Profilin Polcalcin

CCD

Phl p 1 Phl p 5

Abbildung 2: Hauptallergene und kreuzreaktive Allergene der Pollen.

In Pollen finden sich Major- oder Hauptallergene, die für die jeweilige Pollenquelle spezi-

fisch sind. Bet v 1 ist das Majorallergen der Birkenpollen. Ole e 1 ist das Majorallergen

der Olivenbaumpollen, kann aber stellvertretend für das Hauptallergen der Eschenpollen

eingesetzt werden. Esche gehört wie der Olivenbaum zu den Ölbaumgewächsen. Phl p 1

und Phl p 5 sind die Majorallergene der Gräserpollen. Ausser den Majorallergenen findet

sich in allen Pollen Neben- oder Minorallergene wie die Profiline, Polcalcine oder CCD

(kreuzreaktive Kohlenhydratdeterminanten). Diese Allergene führen zu Kreuzsensibilisie-

rungen zwischen allen Pollenarten und können so zu positiven Hauttestungen oder IgE-

Tests gegen Extrakte führen, sind jedoch nur selten für die Beschwerden verantwortlich.

Zudem sind diese Allergene in den therapeutischen Extrakten unterrepräsentiert.

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 186

wenn immer möglich, in die Hausarztpraxis delegiert. Die allergische Rhinitis ist ein Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von Asthma. Es ist gezeigt worden, dass die korrekt indizierte SIT die Entstehung von Asthma bei Patienten mit einer allergischen Rhinitis verhindern kann [27]. Es wird empfohlen, die SIT früh

im Krankheitsgeschehen zu beginnen und mindestens für drei Jahre durchzuführen. Neben der konventio-nellen subkutanen SIT wird vermehrt auch eine sub-linguale SIT (SLIT) in Betracht gezogen (Pocket-Guide: www.worldallergy.org/disease-focus/sublingual-im-munotherapy). Allerdings gilt es bei der SLIT die Com-pliance respektive Therapieadhärenz zu überprüfen.

Disclosure statementDie Autoren haben keine �nanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

BildnachweisSchmuckbild S. 179: © Lochstampfer | Dreamstime.com

Empfohlene Literatur– Scadding GK, Scadding GW. Diagnosing Allergic Rhinitis.

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LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste �nden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.

Das Wichtigste für die Praxis

• Die Sensibilisierung gegen ein Aeroallergen respektive der Nachweis

von spezifischem IgE ist Voraussetzung, aber nicht Bestätigung für das

Vorliegen einer Allergie. Erst die eindeutige Korrelation zwischen aller-

gischen Beschwerden und Kontakt zum Allergen ist diagnostisch für das

Vorliegen einer Allergie.

• Die molekulare Diagnostik erlaubt den Nachweis einer Sensibilisierung

gegen Hauptallergene einer Allergenquelle. Sie erfolgt bei Indikation zu

einer Immuntherapie, da die meisten therapeutischen Extrakte auf die

Hauptallergene standardisiert sind.

• Das primäre Therapieprinzip ist eine Allergenvermeidung. Falls dies nicht

möglich ist, wird eine Immuntherapie in Erwägung gezogen. Die Indika-

tion zur Immuntherapie erfolgt in der Regel durch den Allergologen, die

Durchführung – wenn immer möglich – in der Hausarztpraxis. Das ge-

meinsame Patientenmanagement durch Hausarzt und Spezialisten ist

Voraussetzung und ein bewährtes Konzept einer umfassenden Betreu-

ung des allergischen Patienten.

Korrespondenz: Prof. Dr. med. Barbara Ballmer-Weber Allergologie Luzerner Kantonsspital Spitalstrasse CH-6016 Luzern barbara.ballmer[at]luks.ch

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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix

SWISS MEDICAL FORUM

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 187

Update 2017

Asthma bronchiale im ErwachsenenalterDr. med. Thomas Rothe und die Mitglieder der Arbeitsgruppe «Asthma» der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie*

* Mitglieder der Arbeitsgruppe «Asthma» der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie: Prof. Dr. med. Pierre-Olivier Bridevaux, Sion; PD Dr. med. Christian Clarenbach, Zürich; Dr. med. Christine Eich-Wanger, Zürich; Dr. med. Andreas Jung, Zürich; Prof. Dr. med. Jörg Leuppi, Liestal; PD Dr. med. David Miedinger, Luzern; PD Dr. med. Alexander Möller, Zürich; Prof. Dr. med. Laurent Nicod, Lausanne; Dr. med. Geneviève Nicolet-Chatelain, Nyon; Dr. med. Thomas Rothe (Präsident), Davos; PD Dr. med. Alain Sauty, Lausanne; Prof. Dr. med. Claudia Steurer, Zürich

Asthma ist eine häu�ge Erkrankung in der ärztlichen Praxis. Die letzten Jahre haben klarer erkennen lassen, dass auch bei dieser chronischen Krankheit keine uni-forme Therapie möglich beziehungsweise sinnvoll ist. Sie muss sich immer am in-dividuellen Asthma-Phänotyp wie auch am aktuellen Grad der Asthmakontrolle orientieren.

Einleitung

Der Fokus in der Therapie des Asthmas richtete sich in den letzten Jahren zunehmend auf die Asthmakon-trolle. Damit kann der Lebensqualität der Patienten besser Rechnung getragen werden. Trotz der grossen �-nanziellen Ressourcen des Schweizer Gesundheitssys-tems wird eine gute bis zufriedenstellende Asthmakon-trolle bei den Betro�enen o� nicht erreicht [1]. Ein Verbesserungspotential ist also vorhanden.

Asthma-Phänotypen

Asthma stellt kein homogenes Krankheitsbild dar, son-dern ist ein Begri�, der wie ein Schirm verschiedene Phänotypen umfasst. Da heute therapeutische Strate-gien zur Verfügung stehen, die nur bei spezi�schen Phänotypen Wirkung zeigen, muss bei Diagnosestel-lung auch eine Bestimmung des individuellen Asthma-Phänotyps erfolgen.Die beiden häu�gsten Phänotypen sind durch eine eosinophile Entzündung gekennzeichnet: 1. Das «early-onset» Asthma ist primär allergisch be-

dingt. Mit zunehmendem Alter können sich aber Allergie und Asthma teilweise abkoppeln, das heisst auch im Falle der Allergenkarenz sind Symptome vorhanden und müssen behandelt werden. Bei al-lergischem Asthma führt nicht nur Allergenkon-takt zu akuten Symptomen, sondern o� auch virale Atemwegsinfekte. Rhinoviren können direkt akute Asthmabeschwerden auslösen, die virale Entzün-

dung reduziert aber auch die Barrierefunktion der Mukosa, sodass der Kontakt mit Inhalationsallerge-nen zu einer stärkeren allergischen Reaktion führt [2]. Das «early-onset» Asthma, auch wenn es im Er-wachsenenalter noch persistiert, ist durch Sym-ptome, die Ausdruck der bronchialen Hyperreakti-vität sind, gekennzeichnet. Dies sind nächtlicher Husten, morgendliche Beklemmung der Atmung, Au�reten eines akuten Bronchospasmus im Rah-Thomas Rothe

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 188

men von intensiver körperlicher sportlicher Aktivi-tät (Anstrengungsasthma) sowie der eigentliche pe-rakute Asthmaanfall.

2. Beim «adult-onset» Asthma lässt sich in symptoma-tischen Phasen meist eine Bluteosinophilie nach-weisen, die deutlich stärker als beim allergischen Asthma ausgeprägt ist, bei dem o� nur eine Spu-tumeosinophilie besteht. Beim adult-onset Asthma liegt in vielen Fällen parallel eine chronische hyper-plastische eosinophile Sinusitis (CHES) vor. In die-sem Rahmen können Nasenpolypen au�reten. In symptomatischen Phasen geht dabei o� der Ge-ruchssinn verloren, unter ausreichender Steroidthe-rapie kommt er zurück (steroidsensitive Anosmie). Bei 40% der Menschen mit diesem Asthma-Phäno-typ, bei denen auch Nasenpolypen vorhanden sind, besteht eine Intoleranz gegenüber Acetylsalicyl-säure (ASS) und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) vom COX-1-Hemmer-Typ (Morbus Widal). Der Mechanismus der eosinophilen Entzündung ohne Beteiligung einer IgE-vermittelten allergi-schen Reaktion wurde erst vor Kurzem aufgeklärt (Abb. 1) [3]. Zur Unterdrückung der eosinophilen Re-aktion ist bei diesem Krankheitsbild o� ein interin-dividuell unterschiedlich ausgeprägter Steroidbe-darf vorhanden. Wird er unterschritten, kann es spontan zu einer Exazerbation im Bereich der unte-ren, aber auch der oberen Atemwege kommen. Der

Patient wird dann symptomatisch mit vermehrtem Nasensekret, Abnahme des Riechvermögens, Husten und zähem Auswurf, sodass o� fälschlicherweise von einer Infektexazerbation ausgegangen wird. Im Rahmen einer Verschlechterung infolge einer zu ge-ringen Dosis therapeutischer Kortikosteroide kommt es auch zu einer progredienten Schwellung der bronchialen Mukosa, woraus eine Belastungs-dyspnoe resultiert, also nicht Anstrengungs-asthma! In der Lungenfunktion �ndet sich dann eine auf Betastimulatoren nicht reversible Obstruk-tion. Auch die Anamnese kann fehlleiten, da in die-sem Alterssegment viele Patienten früher geraucht haben. Die Gefahr der Verwechslung mit einer COPD ist gross. Der Nachweis einer Blut eosinophilie sowie die Reversibilität der Obstruktion durch einen mehrtägigen Steroidstoss («steroid trial») helfen, die richtige Diagnose zu stellen. Dieser Asthma-Phänotyp wird in der Literatur auch «inªammatory predominant type» [4] genannt und zeichnet sich durch eine Diskordanz des Ausmasses der eosino-philen Entzündung und typischer Asthmasym-ptome aus, das heisst klinische Zeichen einer bron-chialen Hyperreaktivität fehlen o�. Aus diesem Grund wurde in der neuesten Auªage der interna-tionalen Asthma-Richtlinien (GINA) die bronchiale Hyperreaktivität aus der Asthmade�nition elimi-niert [5].

IL 13IL 13

IL 13IL 4B-Zellen

IL 9

IL 5

ILC 2TH2

NaiveT-Zelle

ILC 2

IL 5

Eosinophile

Nicht-allergische eosinophile EntzündungAllergische eosinophile Entzündung

natural killer cells

Makrophagen

glatte Muskelzelle

Russpartikel

Dendritische Zellen

Allergene

Bronchial-Epithel

Mastzelle

FcεRI

Abbildung 1: Inflammation bei den eosinophilen Asthmaphänotypen.

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 189

Das neutrophile Asthma ist vermutlich keine eigene En-tität, da eine Neutrophilie im Sputum beziehungs-weise in der Bronchiallavage über die Jahre meist nicht konstant nachweisbar ist. Sie kommt bei rauchenden Asthmatikern vor, im Rahmen einer bakteriellen Ent-zündung, aber auch wenn die Eosinophilie durch eine hochdosierte Steroidtherapie unterdrückt ist.Asthma bei Adipösen, vor allem das «female obese» Asthma, hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren. Bei adipösen Frauen ohne Nachweis einer Al-lergie oder Eosinophilie, sind es teilweise mechanische Faktoren, die zu therapierefraktären Asthmasympto-men führen [7, 8]. Bedingt durch das Gewicht des Fett-gewebes entsteht eine Thoraxkompression mit daraus resultierender Abnahme des Residualvolumens und Verengung der Bronchien. Beides führt zu Dyspnoe und exspiratorischer bronchialer Obstruktion. Eine drastische Gewichtsreduktion, zum Beispiel durch eine Magenbypass-Operation, führt zur Besserung der Symptome [9]. Kortikosteroide sollten bei diesen Pati-enten gemieden werden, da unter Steroid therapie das Gewicht noch weiter zunimmt und mit einer diabeto-genen Sto�wechsellage gerechnet werden muss.Seit zwei Jahren wird das «Asthma-COPD-Overlap»-Syndrom (ACOS) als eigener Phänotyp beschrieben. Die Betro�enen leiden an einer COPD, erfüllen aber auch Kriterien eines Asthmas. Die Kriterien zur Diagnose-stellung eines ACOS sind noch im Fluss. Aktuell wird verlangt, dass aus Tabelle 1 drei Hauptkriterien und ei-nes der Nebenkriterien erfüllt sind [10]. Die Identi�ka-tion einer Asthmakomponente beim COPD-Patienten ist wichtig, da inhalative Steroide bei der COPD das Ri-siko einer Pneumonie erhöhen können, das heisst die Indikation im Einzelfall geprü� werden muss. Im Falle

einer Asthmakomponente ist die Therapie mit inhalati-ven, in manchen Fällen auch mit oralen Steroiden je-doch unverzichtbar.Grundsätzlich sollten bei Erstmanifestation oder im Falle einer nachhaltigen Verschlimmerung eines Asth-mas immer potentielle, am Arbeitsplatz vorhandene Auslöser erfragt werden. Bei Verdacht auf Arbeitsplatz-assoziiertes Asthma wird nach Rücksprache mit dem Patienten die zuständige Unfallversicherung infor-miert, damit eine arbeitsmedizinische Abklärung ein-geleitet werden kann.

Diagnosestellung

Kein einzelner Test ist in der Lage, die Diagnose Asthma mit ausreichender Sensitivität und Spezi�tät zu si-chern. Die Diagnose ist immer ein Puzzle aus Informa-tionen der Anamnese, der körperlichen Untersuchung sowie Tests wie Lungenfunktion, FeNO (exhaliertes Ni-tritoxid in der Ausatemlu�), Allergietest, Methacholin-Provokation und Anstrengungsasthma-Test. Das An-sprechen auf die Asthmatherapie ist ein wichtiger Faktor, der im Nachhinein die Diagnose stützt. Aller-gien und/oder Asthma in der Familien- respektive Ei-genanamnese, exspiratorisches Giemen bei der Aus-kultation, der Nachweis einer klinisch relevanten Sensibilisierung vom IgE-Typ sowie der Nachweis einer bronchialen Obstruktion1 in der Spirometrie [11] mit Reversibilität2 auf Betastimulatoren sind die Kernkrite-rien bei der Diagnosestellung. Der Auskultationsbefund alleine kann beim Asthma fehlleiten. Zum einen gibt es die «silent chest» bei peri-pherer Obstruktion mit Fessellu�, zum anderen hat schon Rackemann [12] vor 70 Jahren festgehalten, dass nicht alles, was giemt, auch Asthma ist. Bei Unklarhei-ten ist eine pneumologische Beurteilung sinnvoll, um im Sinne einer Di�erenzialdiagnostik eine broncho-pulmonale Aspergillose, ein Churg-Strauss-Syndrom, eine «vocal cord dysfunction» u.a. auszuschliessen.Ein Allergietest muss korrekt interpretiert werden. Der Nachweis einer Sensibilisierung beweist nicht, dass ein vorhandenes Asthma auf einer allergischen Reaktion

Tabelle 1: Diagnose-Kriterien des Asthma-COPD-Overlap-Syndroms (modifiziert nach [10]).

Major-Kriterien

Persistierende exspiratorische Atemflusslimitation (FEV1/FVC <70%) nach einem Broncho spasmolyse-Testoder FEV1/FVC <LLN, wenn älter als 40 Jahre (LLN = «lower limit of normal» = 5%-Perzentile des Kollektivs)

Mindestens 10 pack-years Raucher-Anamnese oder Äquivalente Belastung: Luftverschmutzung (indoor, outdoor)

Dokumentierte Asthma-Anamnese vor dem 40. Lebensjahr oderBronchospasmolyse-Test mit Verbesserung der FEV1 >400 ml

Minor-Kriterien

Dokumentierte Anamnese für Atopie oder allergische Rhinitis

Positiver Bronchospasmolyse-Test mit Verbesserung der FEV1 >200 ml und 12% vom Baseline-Wert im Rahmen von mindestens 2 Konsultationen

Periphere Eosinophilie >0,3 G/l

1 Eine Obstruktion liegt dann vor, wenn der Quotient FEV1/FVC signi�kant vermindert ist. Da dieser Wert altersabhängig ist, darf beim Asthma nicht wie bei der COPD erst dann von einer Obstruktion ausgegangen werden, wenn der Quotient FEV1/FVC weniger als 70% absolut beträgt. Eine Obstruktion liegt schon vor, wenn der Quotient unterhalb der 5%-Perzentile des Referenzkol-lektivs (LLN = «lower limit of normal») respektive unterhalb von 88% der individuellen Altersnorm gelegen ist.

2 Von Reversibilität wird gesprochen, wenn die FEV1 um >200 ml absolut und um >12% nach einem Bronchospasmolyse-Test mit Salbutamol zunimmt. Führt auch ein «steroid trial» (Kortisonstoss mit 40 mg Prednisolon täglich über 10 Tage), der einer entzündlichen Schleimhautschwellung entgegen-wirkt, nicht zur Reversibilität der FEV1 beim Asthma, liegt eine �xierte Ob-struktion («airway remodeling») vor.

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 190

gegen dieses Allergen beruht. Bei der Häl�e der Sensibi-lisierten liegt eine klinisch latente Sensibilisierung vor [13]. Die Sensibilisierung kann zum Beispiel Ausdruck einer juvenilen allergischen Rhinokonjunktivitis sein. Für ein «adult-onset» Asthma mit perennealen Symp-tomen ohne saisonales Maximum hat eine Sensibilisie-rung auf Gräserpollen keine klinische Relevanz. Es gibt auch Mischformen von allergischem «early-onset» und eosinophilem «adult-onset» Asthma: Dann besteht zwar eine Allergie mit Asthmasymptomen im Falle ei-ner Allergenexposition, selbst bei strikter Allergenka-renz ist aber eine eosinophile Entzündung, die einer Therapie mit Kortikosteroiden bedarf, vorhanden [14].

Therapieziele, Asthmakontrolle und Monitoring

Es ist wichtig, dem Patienten zu vermitteln, dass Asthma heute meist so gut behandelt werden kann, dass im Alltag nur gelegentliche Symptome au�reten. Von einer guten Asthmakontrolle wird ausgegangen, wenn nicht mehr als zweimal in der Woche Symptome wahrgenommen werden und entsprechend ein kurz wirkender Betastimulator eingenommen werden muss und normale körperliche Aktivität, auch Alltagssport, nicht zu Husten und Atemnot führt. Die Asthmakon-trolle kann auch anhand von gezielten Fragen zu Asth-masymptomen mittels «Asthma Control Test» (ACT®), der in vielen Sprachen erhältlich ist [15], erfasst werden.Die unspezi�sche Frage «Wie geht es Ihrem Asthma?» führt im Falle divergenter Einschätzungen von Arzt und Patient, was eine gute Asthmakontrolle bedeutet, zu Missverständnissen. Wurden die Therapieziele dem Patienten nicht vermittelt, orientiert er sich vielleicht an Asthmasymptomen eines Verwandten mit Asthma, den er in der Kindheit erlebt hat. Damals gab es noch keine su·ziente Medikation, das heisst Betro�ene wa-ren vor drei Dekaden o� noch symptomatisch. Ent-sprechend wird dies dann als der «normale» Zustand bei Asthma angesehen. Die heute geltenden, hoch gesteckten Ziele der Asth-matherapie lassen sich bei bis zu 30% der Patienten nicht erreichen [16]. Bleibt der Patient also trotz ausge-bauter Therapie symptomatisch, ist ein diagnostischer Algorithmus notwendig, in den der Pneumologe invol-viert werden sollte (Abb. 2) [17].In einem ersten Schritt muss die Diagnose Asthma veri�ziert werden. Bestätigt sich die Diagnose, liegt wahrscheinlich ein externer Faktor vor, der das Asthma kompliziert, also eine su·ziente Asthmakon trolle ver-hindert («di·cult-to-control» Asthma). Dazu gehören unter anderem eine unzureichende Inhala tionstechnik, die Angst vor Kortison mit entsprechend reduzierter

Adhärenz, eine chronische Sinusitis, Rauchen und per-sistierende Allergenexposition. Bei einer arbeitneh-menden Person mit unkontrollierbarem Asthma und persistierender beruªicher Allergen- respektive Reiz-sto�exposition sollte die Person der SUVA zur Prüfung zwecks Erlass einer Nichteignungsverfügung gemeldet werden.Zigarettenrauchen reduziert das Ansprechen auf thera-peutische Kortikosteroide [18] und erhöht die bronchi-ale Hyperreaktivität. In der Sprechstunde sollte man sich immer wieder die Inhalationstechnik demonstrie-ren lassen. Werden keine komplizierenden Faktoren nachgewie-sen beziehungsweise bringt die Behandlung derselben keine Besserung, muss von einem schweren therapie-refraktären Asthma ausgegangen werden. Trotz ausge-bauter Therapie bleiben manche Patienten mit schwe-rem Asthma symptomatisch. Asthmakontrolle und Asthmaschweregrad sind aber nicht das Gleiche! Ein schweres Asthma kann gut kontrolliert sein, das heisst es besteht Beschwerdefreiheit unter ausgebauter The-rapie. Ein Patient mit leichtem Asthma weist unter Umständen aber starke Asthmasymptome auf, zum Beispiel im Falle einer ungenügenden Therapie, bei Allergenexposition beziehungsweise im Rahmen eines viralen Atemweginfektes.

Abbildung 2: Vorgehen bei Therapie-refraktären Asthma-

symptomen (aus Rothe T, Leuppi J und die Mitglieder der

«Arbeitsgemeinschaft Asthma» der Schweiz. Ges. für

Pneumologie. Management von Therapie-refraktären

Asthmasymptomen. Schweiz Med Forum. 2015;15(24):573–9).

ABPA = Allergische bronchopulmonale Aspergillose; ACOS =

Asthma-COPD-Overlap-Syndrom; CSS = Churg-Strauss-

Syndrom; cF = Zystische Fibrose; EAA = Exogen allergische

Alveo litis; VCD = «vocal cord dysfunction» (Dysfunktion

der Stimmbänder).

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 191

Auch bei guter Asthmakontrolle kann es plötzlich zu Exazerbationen kommen. Exazerbationen erkennt der Patient an häu�gerer Atemnot, einem zunehmenden Bedarf an rasch wirkenden Notfall-Betastimulatoren respektive einem signi�kanten Abfall des «peak ªow». Für den Hausarzt existieren noch andere Parameter, um den Zustand des Patienten zu objektivieren: die spirometrische Kontrolle der FEV1 und die Bestim-mung der Bluteosinophilenzahl im Di�erenzialblut-bild. In der pneumologischen Praxis lässt die Messung des FeNO weitere Rückschlüsse zu. Wichtig ist es, die FEV1 nicht nur in symptomatischen Phasen zu kontrol-lieren, sondern auch, wenn es dem Patienten sehr gut geht. Nur so kann die individuell beste FEV1 erfasst wer-den, an der sich die langfristige Therapie mit orien-tiert. Sie liegt nicht genau bei 100% der Norm, da viele Menschen aufgrund der Gauss’schen Normalvertei-lung höhere oder tiefere Werte, als sie dem individuel-len Mittelwert entsprechen, aufweisen. Sie kann aber auch deshalb unterhalb von 100% liegen, weil das Asthma zur Entwicklung eines Anteils �xierter Ob-struktion («airway remodeling») geführt hat.

Therapie des Asthmas

Die internationalen GINA-Asthmarichtlinien [5] de�nie-ren fünf Therapiestufen (Abb. 3). Lässt sich die Erkran-kung mit den Stufen 1 beziehungsweise 2 kontrollieren, handelt es sich um ein leichtes Asthma. Ist dafür Stufe 3 notwendig, liegt ein mittelschweres Asthma vor. Ent-spricht die Therapieintensität den Stufen 4 oder 5, de�-niert dies das schwere Asthma. In Stufe 1 wird nur mit einem kurz wirkenden Betastimulator bei Bedarf thera-piert, der nicht mehr als zweimal pro Woche nötig sein sollte. Besteht häu�ger der Bedarf eines Notfallmedika-ments, müssen niedrig dosierte inhalative Steroide �x dazu verordnet werden (Stufe  2). Gelingt damit keine ausreichende Asthmakontrolle, werden die inhalative Steroiddosis erhöht und/oder lang wirkende Betastimu-latoren �x hinzugegeben. Der regelmässige Einsatz hoch dosierter inhalativer Steroide in Kombination mit lang wirkenden Betastimulatoren entspricht der Therapie-stufe 4. Muss diese Therapie weiter ergänzt werden, zum Beispiel durch Biologika oder tägliche orale Kortikoste-roide, entspricht dies dem Therapieniveau der Stufe 5.

Beurteile die Wirkung der

Therapieanpassung

BeurteileAsthmakontrolle

Passe die Therapie an

Stufe 1Stufe 2

Niedrig dosiertes ICS

Stufe 3Low dose ICS/LABA

Stufe 4Mittlere bzw.Hoch-DosisICS/LABA

Stufe 5Add on

Behandlung,z.B. Omali-

zumab, Mepolizumab und bei Bedarf orale Steroide

Eventuell low dose ICS Eventuell LABALow/medium dose

ICS/LABAHigh dose

ICS/LABA/LAMAHigh dose

ICS/LABA/LAMA

SABA bei BedarfSABA bei Bedarf oder

ICS/Formoterol bei Bedarf (SMART®)

Abbildung 3: Therapiestufen des Asthma nach GINA (modifiziert nach [17].

Abkürzungen: ICS = «inhaled corticosteroid» (inhalierbares Kortikosteroid); LABA = «long acting beta agonist» (lang wirksamer

Betaagonist); SABA = «short acting beta agonist» (kurz wirksamer Betaagonist); LAMA = «long acting muscarinic antagonist»

(lang wirksames Anticholinergikum); SMART = «Symbicort® as Maintenance And Reliever Therapy»

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Die entzündliche Aktivität des Asthmas ist nicht im-mer gleich. Insofern macht es Sinn und kommt auch dem Bedürfnis des Patienten entgegen, dass in stabilen Phasen eine Dosisreduktion versucht wird («step down»). Geht die Asthmakontrolle wieder langsam verloren, muss die Therapie analog zu den GINA-Thera-piestufen intensiviert werden («step up»). Im Falle ei-ner akuten Verschlechterung (Exazerbation) ist in vie-len Fällen ein Steroidstoss indiziert. Danach kann wieder mit der Therapiestufe, die zuvor ausreichend war, fortgefahren werden.Um orale tägliche Kortikosteroide zu sparen, steht für das schwere allergische Asthma als Biologikum der Anti-IgE-Antikörper Omalizumab (Xolair®) zur Verfügung,

für das schwere eosinophile Asthma der Anti-Interleu-kin-5-Antikörper Mepolizumab (Nucala®). Beim Einsatz beider Präparate muss die Limitatio beachtet und der Antrag von einem Spezialisten gestellt werden. Montelukast ist eine orale Substanz, die in allen Thera-piestufen Einsatz �nden kann. Allerdings fällt die Wir-kung interindividuell sehr unterschiedlich aus. Mit diesem Leukotrien-Rezeptorantagonisten lässt sich unter Umständen die Dosis inhalativer Kortikosteroi de reduzieren. Beim schweren eosinophilen «adult-on-set» Asthma gelingt es manchmal sogar, damit die In-toleranzreaktion gegen ASS und NSAR zu unterdrü-cken [20]. Sowohl beim allergischen «early-onset» wie auch beim nicht allergischen eosinophilen «adult-onset» Asthma �ndet sich häu�g eine entzündliche Mitbeteiligung der oberen Atemwege, weshalb man von «united air-ways» spricht. Zur Asthmatherapie gehört dann eine Behandlung der Nase und Sinus, vorzugsweise mit na-salen Steroiden. Dies trägt zur Verbesserung der Asth-makontrolle bei [21]. Beim allergischen Asthma stellen Allergenkarenzmassnahmen einen integralen Be-standteil der Therapie dar, Milbensanierungsmassnah-men eingeschlossen [22]. Die Indikation zu einer Aller-gen-Immuntherapie sollte ebenfalls evaluiert werden [23]. Bei leicht- bis mittelschwerem Asthma, vor allem bei noch jüngeren, idealerweise monosensibilisierten Patienten erweist sich die Allergen-Immuntherapie als sinnvolles Prinzip [24], auch die sublinguale Therapie bei Milbenallergie [25].Die Therapie mit Medikamenten per inhalationem wird aufgrund der vielen verschiedenen Wirksto�e und Applikatoren immer komplexer. Sie sollte deshalb so einfach als möglich gestaltet werden, maximal

zweimal täglich, und eine korrekte Instruktion der Inhalationstechnik wie spätere Demonstrationen der-selben sind unabdingbar.Die oben beschriebenen Therapiestufen stellen die Ba-sistherapie des Asthmas dar. Auch unter einer solchen Medikation kann es aber zu einer akuten Verschlechte-rung kommen. Im Falle einer leichten Exazerbation führt eine Vervierfachung der Dosis inhalativer Steroi de o� zur Besserung [26]. In der Praxis ist dies schwierig, da heute meist Kombinationspräparate aus lang wirkenden Betastimulatoren und inhalativen Ste-roiden eingesetzt werden. Eine Vervierfachung der Be-tastimulatorendosis käme einer Überdosis gleich. Eine Ausnahme stellt die Kombination aus einem topischen Steroid und niedrig dosiertem Formoterol (6  µg) dar, da hier der Betastimulatorenanteil sehr tief dosiert ist, sodass bis 12 Hübe täglich erlaubt sind. Das sogenannte SMART®-Prinzip («Symbicort® as Maintenance And Re-liever Therapy») sieht vor, dass der Patient, der in stabi-len Phasen beispielsweise mit zwei Hüben Symbicort® pro Tag �x behandelt wird, beim Au�reten von Atem-not nicht mit einem kurz wirkenden Betastimulator, sondern mit Symbicort® bei Bedarf inhaliert. Damit liess sich zeigen, dass die Zeit bis zur ersten schwereren Exazerbation verlängert werden kann und unter dem Strich sogar die mittlere Steroiddosis gesenkt wird [27]. Führt die massive Erhöhung der inhalativen Steroid-dosis nicht schnell zu einer Besserung, ist ein oraler Steroidstoss indiziert. Er wird in den meisten Fällen in einer Dosis von 40 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag für drei bis zehn Tage eingesetzt, bis die individuell beste FEV1 nach Bronchospasmolyse wieder erreicht wird. Zu diesem Zeitpunkt ist die bronchiale Hyperreaktivi-tät meist noch sehr hoch, das heisst schon kurze Zeit nach Bronchospasmolyse kann die FEV1 wieder absin-ken, der Patient wieder symptomatisch werden. In die-ser Phase nach dem oralen Steroidstoss emp�ehlt es sich, noch für ein bis zwei Wochen höhere Dosen inha-lativer Steroide und symptomatisch vermehrt Betasti-mulatoren einzusetzen. Inhalative Steroide senken die bronchiale Hyperreaktivität wirkungsvoller als orales Kortison.

PatientenschulungZur Asthmatherapie gehört immer eine Patientenschu-lung, die das Erlernen der richtigen Inhalations-technik, Kenntnis der Medikamente und von Aller-genkarenzmassnahmen und die Vermittlung eines Asthma-Selbstmanagement umfasst. Selbstmanage-ment bedeutet, dass der Patient erlernt, Verschlechte-rungen selber zu erkennen und bei beruªichen oder ferienbedingten Abwesenheiten von daheim auch sel-

Die entzündliche Aktivität des Asthmas ist nicht immer gleich. In stabilen Phasen ist es deshalb sinnvoll, eine Dosisreduktion zu versuchen («step down»).

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ber medikamentös intervenieren zu können. Dazu ist die Abgabe eines individualisierten Asthma-Aktions-planes nötig. Das Asthma-Tagebuch enthält einen solchen Plan auf der Basis des sogenannten Ampel-schemas, der manuell ausgefüllt werden kann. Die grüne Phase heisst «weiterfahren mit der bisherigen Medikation». Gelb steht für eine leichte Verschlechte-rung, die eine Erhöhung der Dosis an Inhalativa erfor-dert. Orange weist auf eine stärkere Exazerbation mit der Notwendigkeit eines oralen Steroidstosses hin. Rot

bedeutet einen Notfall mit Sprechdyspnoe, fehlendem Ansprechen auf Notfall-Betastimulatoren und Abfall der Sauersto�sättigung gemessen mittels Spot-Pulsoxy-metrie. Sofort sollten 50 mg Prednison-Äquivalent ein-genommen, Ventolin® wiederholt eingesetzt und der Transport zu einem Spitalnotfall organisiert werden. Der Aktionsplan muss individuell auf der Basis von kon-kreten Asthmasymptomen, des Peak ªow oder aber der täglich e�ektiv eingesetzten Symbicort®-Dosis (bei Ver-wendung des SMART®-Prinzips) ausgefüllt werden. Asthma-Tagebuch sowie die Patienteninformation «Besser mit Asthma leben» sind bei der Lungenliga Schweiz erhältlich und wurden von Mitgliedern der Arbeitsgruppe «Asthma» der Schweizerischen Gesell-scha� für Pneumologie erarbeitet.Mit den beschriebenen Massnahmen lässt sich heute sowohl die Lebensqualität der Betro�enen verbessern wie auch die Asthmamortalität wirkungsvoll senken.

VerdankungDer Text wurde freundlicherweise von Dr. med. Christian Buol, Facharzt allgemeine Innere Medizin in Davos, gegengelesen.

Disclosure statementDer Autor hat Vortragstätigkeit und Mitarbeit in Scienti�c Boards der Firmen Novartis, AstraZeneca und Glaxo Smithkline deklariert.

BildnachweisSchmuckbild S. 187: © Alexey Poprotskiy | Dreamstime.com

LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste �nden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.

Korrespondenz: Dr. med. Thomas Rothe CA Medizin & Pneumologie Zürcher RehaZentrum Davos CH-7272 Davos Clavadel thomas.rothe[at]zhreha.ch

Das Wichtigste für die Praxis

• Asthma ist kein homogenes Krankheitsbild. Verschiedene Phänotypen

lassen sich inzwischen klarer definieren. Da heute Phänotyp-spezifische

Therapieoptionen bestehen, ist es auch in der Praxis wichtig, dass Pati-

enten mit Asthma dem richtigen Phänotyp zugeteilt werden.

• In erster Linie wird dabei unterschieden, ob es sich um ein «early-onset»

Asthma handelt, das sich meist im Rahmen einer allergischen Reaktion

manifestiert, oder um ein «adult-onset» Asthma, bei dem oft eine Aller-

gie fehlt respektive nicht im Vordergrund steht, obwohl eine teilweise

sehr starke Bluteosinophilie nachweisbar ist.

• Die Klinik beider Asthmaformen kann sehr unterschiedlich sein. Das

«early-onset» Asthma ist durch die Symptome der bronchialen Hyperre-

aktivität gekennzeichnet. Beim «adult-onset» Asthma können diese weit-

gehend fehlen. Symptome sind manchmal nur Husten, zäher Auswurf

und Belastungsdyspnoe. Im Gegensatz zur COPD bilden sich diese aber,

wie auch eine auf Betastimulatoren wenig reversible Obstruktion, durch

einen oralen Kortisonstoss wieder zurück.

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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix

SWISS MEDICAL FORUM

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 194

Eine Übersicht

InsektengiftallergieDr. med. Anna Gschwend, PhD; Dr. med. Jörg Lukas; Prof. Dr. med. Arthur Helbling

Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie, Inselspital, Bern

In der Schweiz sterben jährlich drei bis vier Personen aufgrund einer schweren al-lergischen Reaktion nach einem Insektenstich. In dieser Übersichtsarbeit werden die wichtigen Insekten, Risikofaktoren, klinischen Manifestationen und die Akut-behandlung allergischer Reaktionen nach Insektenstichen besprochen. Die neues-ten diagnostischen Verfahren wie auch die Therapien, speziell die Insektengi­- spezi�sche Immuntherapie, werden dargelegt.

Einleitung

Die Insekten sind mit weit über 1 Million Spezies die ar-tenreichste Klasse des Tierreichs. Insektenstiche gehö-ren neben Arzneimitteln und Nahrungsmitteln zu den häu�gsten Ursachen schwerer, allergischer Reaktionen. In Mitteleuropa werden allergische Symptome haupt-sächlich durch Stiche von Haut�üglern (Hymenopte-ren) ausgelöst. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Ordnung gehören die Honigbiene und die Wespe, aber auch die Hornisse, die Hummel oder die Ameise. Der Stachel wird sowohl zur Verteidigung als auch zum An-gri� mit Tötung von Beutetieren eingesetzt. Beim Menschen führen Hymenopterenstiche meistens zu einer schmerzha­en lokalen Schwellung. Als Folge einer Sensibilisierung kann es zur Bildung von spezi�-schen IgE-Antikörpern gegen Gi­proteine kommen, welche bei erneuten Stichen zu allergischen Allgemein-reaktionen führen können. Schwere, anaphylaktische Reaktionen können potenziell tödlich verlaufen. Die Inzidenz fataler Ereignisse wird zwischen 0,03 bis 0,48 pro Million Einwohner geschätzt. In der Schweiz ster-ben durchschnittlich drei bis vier Menschen pro Jahr. Als Risikofaktor für schwere Allgemeinreaktionen nach Insektenstichen hat sich eine erhöhte Serum-tryptase erwiesen, weshalb die Bestimmung dieser Se-rinprotease zur Diagnostik einer Insektengi­allergie gehört. Bei allen Patienten mit einer schwereren Allge-meinreaktion ist eine allergologische Abklärung im Hinblick auf eine spezi�sche Immuntherapie mit In-sektengi­ («venom immunotherapy», VIT) indiziert. Die VIT gilt als einzige kausale und e�ektive Behand-lung einer Hymenopterengi­allergie. Die molekularen diagnostischen Entwicklungen mit Identi�zierung gi­spezi�scher Allergene hat zur Verbesserung der Dia gnostik geführt.

Entomologie

In Europa sind Insekten aus den beiden Familien der Apidae und Vespidae für allergische Ereignisse bedeut-sam. Die wichtigsten Vertreter aus der Familie der Api-dae sind die Honigbiene (Apis melifera) und die Hummel (Bombus  terrestris, B.  agrorum u.a.m.), aus der Familie der Vespidae die Kurzkopf- (z.B. Vespula  germanica, V. vulgaris) und Langkopfwespe (z.B. Dolichovespula me-dia, D. saxonica) sowie die Hornisse (z.B. Vespa crabro) [1]. Stiche der Feldwespe (z.B. Polistes dominulus, P. gallicus) sind vor allem in den Mittelmeerländern für allergische Allgemeinreaktionen verantwortlich. In Mittel- und Anna Gschwend

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 195

Nordeuropa kommen Polistes-Arten seltener vor, wobei sie sich in den letzten Jahren zusehend Richtung Nor-den verbreitet haben. Neu eingeschleppt wurde die asia-tische Hornisse Vespa velutina, die sich seit 2005 ausge-hend von Südfrankreich schnell Richtung Norden ausbreitet [2]. Im Gegensatz zu anderen Wespenarten zeigt speziell die Kurzkopfwespe eine Vorliebe für menschliche Nahrungsmittel, weshalb Stiche häu�g im Zusammenhang mit dem Essen oder dessen Zuberei-tung erfolgen. Stiche von Hornissen und Langkopfwes-pen ereignen sich dagegen fast nur in Nestnähe. Morphologisch unterscheiden sich die Bienen von den Vespidae durch den deutlich stärker behaarten Körper. Das Abdomen ist bräunlich und im Gegensatz zu den Vespidae ohne ausgeprägte Querstreifung. Da der Bie-nenstachel mit Widerhaken versehen ist, bleibt er nach dem Stich in der Regel in der Haut stecken. Aber auch Wespen können gelegentlich den Stachel verlieren. Bie-nenstiche ereignen sich bereits ab dem Frühjahr, Wes-penstiche hingegen meist nach dem Sommer. Die Gi­zusammensetzung der Vespiden ist zwar ähn-lich, aber nicht identisch. So weist das Gi­ der Hor-

nisse und der Langkopfwespe eine hohe Kreuzreaktivi-tät mit jenem der Kurzkopfwespe auf. Unterschiede gibt es aber zum Gi­ der Feldwespe. Auch das Gi­ der Honigbiene und der Hummel weist eine gewisse Kreuzreaktivität auf, was bei der Indikationsstellung der VIT zu berücksichtigen ist. Die Gi­menge, die nach einem Stich in den Körper des Opfers oder eines Men-schen gelangt, variiert zwischen den einzelnen Insek-tenarten. Bienen geben pro Stich rund 50 µg und Wes-pen zwischen 2 und 14 µg Gi­ ab [3].

Klinische Manifestationen

Nicht jede Hautreaktion nach einem Insektenstich ist mit einer Allergie gleichzusetzen. Das richtige Erken-nen einer Reaktion erleichtert eine korrekte Einord-nung der Symptomatik, was für den Entscheid einer allfälligen Diagnostik und Behandlung hilfreich ist. Die Stichreaktionen werden in normale lokale, schwere lokale, systemisch-toxische, systemisch-aller-gische und ungewöhnliche Reaktionen kategorisiert (siehe Tab. 1).

Tabelle 1: Klinische Manifestationen nach Hymenopterenstichen.

Art der Reaktion Symptomatik Akutbehandlung Pathogenese Abklärung

Normalreaktion – Hautschwellung von <10 cm – Dauer: <24 h

Antiphlogistische Massnahmen Nicht allergisch bedingt Nicht indiziert

Schwere Lokalreaktion – Hautschwellung von >10 cm (gelegentlich groteskes Ausmass, z.B. Schwellung des ganzen Arms von den Fingern bis zur Schulter)

– Dauer >24 h – Selten begleitende Symptome:

Lymphadenopathie, Lymphangitis, Fieber, Malaise, Kopfweh

– Antiphlogistische Massnahmen (Kühlung der Stichstelle, Hochlagerung)

– Nichtsteroidale Antirheumatika (lokal und systemisch)

Nicht allergisch bedingt Nicht indiziert (kein erhöhtes Risiko einer zukünftigen Allge-meinreaktion)

Toxische Reaktionen – Rhabdomyolyse, intravaskuläre Hämo-lyse, Koagulationsstörungen, Nieren- und Leberschäden sowie Myokardschä-den, Leberdysfunktion, Hirnödem

– Lebensbedrohliche Reaktionen: ab 100 Stichen bei Erwachsenen und ab 50 Stichen bei Kindern

Symptomorientiert – Zytotoxische Wirkung von Melittin, Phospho lipasen und Kininen nach multi-plen Hymenopteren-stichen

– In der Regel nicht allergisch bedingt

Abklärung in Erwägung ziehen

Allergische System reaktion

Nach den Kriterien von H.L. Mueller eingeteilt (siehe Tab. 2)

– Je nach Schwergrad– Milde Reaktionen (z.B. isolierte

Urtikaria): Antihistaminikum und Kortikosteroide.

– Anaphylaxie: Adrenalin i.m. (0,1 mg pro 10 kg Körper-gewicht), Antihistaminikum und Kortikosteroide (p.o. oder i.v.), allenfalls Volumen- und Sauer-stoffgabe (siehe auch Tab .4)

Allergisch bedingt Abklärung im Hinblick auf eine VIT («venom immunotherapy»)indiziert

Ungewöhnliche Reaktionen

Unter anderem: Lymphadenopathie, periphere Neuropathien, extrapyramidale Syndrome, akute disseminierte Enzephalo-myelitis, Arthralgien, Vaskulitiden, glomerulo- und interstitielle Nephritis

Symptomorientiert Weder IgE-vermittelter noch toxischer Mechanismus

Abklärung in Erwägung ziehen

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 196

Allergischen Systemreaktion nach  Hymenopterenstich

Nach jedem Insektenstich kann sich eine Sensibilisie-rung auf Komponenten des Gi­s ausbilden, das heisst, es kommt zur Produktion von spezi�schen IgE-Anti-körpern. Bei erneuten Stichen können sich als Konse-quenz dieser Sensibilisierung allergische Reaktion ent-wickeln. Die Einteilung des Schwergrades einer Insektengi­-allergie erfolgt in der Schweiz mehrheitlich nach den Kriterien von H.L. Mueller (Tab. 2). Eine zweite Katego-risierung ist die von Ring & Messmer, welche vorwie-gend in Deutschland verwendet wird. Die beiden Ein-teilungen sind hinsichtlich der Sym ptome und Klassi�zierung aber nicht identisch.

Die Prävalenz einer allergischen Systemreaktion nach einem Hymenopterenstich wird zwischen 0,3–8,9% ge-schätzt [1, 4]. Das Risiko steigt mit der Häu�gkeit von Stichen und ist besonders hoch, wenn sich zwei Stiche innerhalb von kurzer Zeit ereignen [5]. Atopiker weisen kein höheres Risiko auf, allergisch auf einen Hymeno-pterenstich zu reagieren, als Nichtatopiker. Das Rück-fallrisiko hingegen hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie vom Alter, der Indexreaktion oder auch von Medikamenten (Tab. 3). Nach einer leichten Allgemein-reaktion liegt das Risiko einer erneuten Systemreak-tion nach einem Hymenopterenstich beim Erwachse-nen bei ~30%, nach einer schweren bei 50–70%. Kinder (<12  Jahren) haben generell ein niedrigeres Rückfall-risiko als Erwachsene [6]. Ein klar erhöhtes Rückfallrisiko besteht bei Personen mit einer erhöhten basalen Serumtryptase [7,  8]. Bei basalen Tryptasewerten >20 µg/l ist an das Vorliegen einer Mastozytose zu denken. Je nach klinischer Mani-festation und therapeutischer Konsequenzen sind wei-tere Abklärungen erforderlich [9, 10].

Akutbehandlung einer Allgemeinreaktion nach einem Insektenstich

Das Behandlungsprinzip jeder allergischen Reaktion ist unabhängig von Alter, Auslöser oder klinischem Stadium uniform. Milde Reaktionen wie isolierte Urti-karia und/oder leichte Gesichtsschwellung können mit einem Antihistaminikum behandelt werden. Zu ver-merken ist, dass ein Therapiee�ekt nach oraler Gabe frühestens nach einer halben Stunde erwartet werden kann. Obschon vielfach anders gehandhabt, sind Kor-tikosteroide keine primären Notfallmedikamente bei

Tabelle 2: Einteilung der allergischen Allgemeinreaktionen nach H.L. Mueller und Indikation zur spezifischen Immuntherapie mit Insektengiften («venom immunotherapy», VIT).

Schwergrad Klinische Manifestation Indikation zur VIT

I Generalisierte Urtikaria, Juckreiz, Malaise, Angst Keine Indikation, weder bei Kindern noch Er-wachsenen. Ausnahmen: Hochrisikopersonen, z.B. Imker, Dachdecker, Buschauffeur usw.

II Jede des Vorgrades plus 2 oder mehrere der Folgenden: Angioödeme (Fernödem als Einzelsymptom = Grad II), Druck-gefühl in der Brust, Nausea, Erbrechen, Bauchkolik, Diarrhoe, Schwindelgefühl

Keine generelle Indikation. In ausgewählten Situationen (Risikogruppen, starke Angst) in Erwägung ziehen.

III Jede der Vorgrade plus 2 oder mehrere der Folgenden: Dyspnoe, Wheezing, Stridor (jede Form der Atemnot = Grad III); Dysphagie, Dysarthrie, Heiserkeit; Schwächegefühl, Verwirrtheit, Todesangst

Indiziert und empfohlen

IV Jede der Vorgrade plus 2 oder mehrere der Folgenden: Blutdruckabfall (allgemeiner Kraftverlust, massiver Schwindel-anfall), Kollaps, Bewusstseinsverlust, Urin-/Stuhlinkontinenz, Zyanose

Indiziert und empfohlen

Tabelle 3: Risikofaktoren für erneute systemische Reaktionen nach Hymenopterenstichen.

Erhöhtes Expositionsrisiko

Beruflich: Imker, Landwirt, Waldarbeiter, Obst- oder Bäckereiverkäufer, Feuerwehrmann, Gärtner

Hobbys: Radfahren, Motorradfahren, Gartenarbeiten

Grunderkrankungen oder Situation

Erhöhte basale Serumtryptase und Mastozystose

Schwere Kardiovaskuläre Erkrankungen

COPD (GOLD III–IV)

Schweres Asthma

Erhöhtes Alter (>70 Jahre)

Behandlung mit Betablockern oder Angiotensin-Converting-Enzyme-(ACE)-Hemmern

Vorbedingung

Das Risiko steigt, wenn zwei Stiche innerhalb einer kurzen Zeitspanne erfolgen.

Schwergrad einer früheren Stichreaktion

Alter (Kinder haben ein niedriges Rückfallrisiko als Erwachsene)

Bienengiftallergiker haben im Allgemeinen ein höheres Rückfallrisiko als  Wespengiftallergiker

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 197

der Anaphylaxie. Selbst intravenös verabreicht ist von dieser Substanzklasse frühestens nach einer Stunde eine gewisse Wirksamkeit zu erwarten. Laut Empfeh-lung der «World Allergy Organization» (WAO) und vieler internationaler oder nationaler Leitlinien ist Adrenalin bei Anaphylaxie und jeder allergischen Allgemeinreak-tion das Medikament der Wahl [11,  12]. Für den Einsatz von Adrenalin bei einer schweren al lergischen Reaktion besteht keine absolute Kontraindikation. Adrenalin soll immer intramuskulär und nicht subkutan verabreicht werden! Der idealste Ort für die intramuskuläre Gabe von Adrenalin ist der anterolaterale Bereich des Ober-schenkels. Beim Erwachsenen soll die Initialdosis we-nigstens 0,3–0,5  mg betragen (Faustregel 0,1  mg pro 10 kg Körpergewicht [KG]). Falls nach 3–5 Minuten kein Therapiee�ekt ersichtlich ist, soll die Adrenalingabe repetiert werden. Nach der Gabe von Adrenalin soll möglichst rasch ein venöser Zugang gelegt und Volu-men zugeführt werden (bei schweren Reaktionen 50–100 ml/10 kg KG in den ersten 5–10 Minuten). Falls vor-handen, soll auch Sauersto� gegeben werden (Maske 40–60%, Brille 8–10 l/min). Bei ungenügender Stabili-sierung des Kreislaufs ist Adrenalin stark verdünnt in-travenös oder am Perfusor unter Überwachungsbedin-gungen zu verabreichen (Tab. 4) [13].

Allergie-Notfallset für die Selbst-behandlung

Jeder Patient mit einer durchgemachten Allgemein-reaktion nach einem Insektenstich soll Notfallmedika-

mente für eine allfällige Selbstbehandlung mit sich führen. Das Notfallset setzt sich aus Antihistaminika (z.B. 2 Tabletten Levocetirizin, Cetirizin oder Fexofena-din) kombiniert mit einem Kortikosteroidpräparat (z.B.  Prednisolon 2  Tabletten 50  mg) zusammen. An-stelle der Tabletten können bei Kleinkindern Antihist-aminika-Tropfen (z.B. Cetirizin-Tropfen 0,25  mg/kg KG) zusammen mit wasserlöslichen Kortisontabletten (z.B. Betnesol® 0,2–0,5 mg/kg) verordnet werden. Nach jeder Systemreaktion soll zusätzlich immer ein Adre-nalin-Autoinjektor (Epipen®, Jext®) rezeptiert werden [12]. Jeder Patient sollte einen Behandlungsplan erhal-ten und korrekt in der Handhabung des jeweiligen Ad-renalin-Injektors instruiert worden sein. Zur Optimie-rung des Anaphylaxie-Managements und des Trainings bei Verwendung von Adrenalin-Autoinjektoren wer-den Schulungen für Betro�ene, Eltern, Lehrkrä­e usw. durch aha! Allergiezentrum Schweiz angeboten.

Allergologische Abklärung

Jeder Patient soll nach einer Allgemeinreaktion nach einem Hymenopterenstich einer allergologischen Be-urteilung vor allem im Hinblick auf eine VIT überwie-sen werden. Zwar ist der optimale Zeitpunkt für eine allergologische Abklärung nicht klar de�niert, aber in der Regel �ndet diese drei bis vier Wochen nach einem akuten Ereignis statt. Basis ist die Anamnese. Dabei interessiert unter ande-rem das kausale oder vermutete Insekt, die Stichlokali-sation, das Intervall zwischen Stich und Au­reten der

Tabelle 4: Akutbehandlung einer anaphylaktischen Reaktion.

Allgemeine Massnahmen

– Schocklagerung und Sichern der Atemwege– Kontrolle der Vitalparameter: Blutdruck, Puls, Atmung, Pulsoxymetrie– Sauerstoffzufuhr via Maske/Brille– Falls nötig: Reanimation, Defibrillation

Medikamentöse Massnahmen

Erwachsene Kinder

Adrenalin – Faustregel 0,1 mg pro 10 kg Körpergewicht (KG) i.m.– Anfangsdosis: 0,3–0,5 mg i.m.– Bei fehlendem Ansprechen Wiederholungsgaben alle 3–5 min.

Adrenalin– 0,01 mg/kg KG i.m– Bei fehlendem Ansprechen Wiederholungsgaben

alle 3–5 min.

Venöser Zugang und Volumengabe(z.B. NaCl 0,9%, Elektrolytlösung, kolloidale Lösung) – 0,5–1 l ggf. bis 2–3 l je nach Ansprechen

Venöser Zugang und Volumengabe(z.B. NaCl 0,9%, Elektrolytlösung, kolloidale Lösung) – 20 ml/kg KG

Antihistaminika – H1-Rezeptorenblocker: z.B. Clemastin 2 mg i.v. (langsam!)– H2-Rezeptorenblocker: z.B. Ranitidin 150 mg (fakultativ, aber

in Kombination mit H1)

Antihistaminika – H1-Rezeptorenblocker: z.B. Clemastin 0,025–0,05 mg/kg KG

i.v. (langsam!)

Glukokortikoide – Methylprednisolon: 125–500 mg i.v.

Glukokortikoide – Methylprednisolon: 2 mg/kg KG i.v.

Inhalatives kurzwirksames Beta-2-Mimetikum – Salbutamol Dosieraerosol: 2–6 Hübe

Inhalatives kurzwirksames Beta-2-Mimetikum – Salbutamol Dosieraerosol: 2–6 Hübe

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 198

Erstsymptome, Ausmass und Verlauf der Symptome, Behandlung und Ansprechen der Therapie, sowie allfäl-lige Risikofaktoren (Tab. 3). Eine spezi�sche Dia gnostik mittels Hauttests und/oder Bestimmung der allergen-spezi�schen IgE-Antikörper soll erfolgen, wenn sie zur Einordnung unklarer Reaktion beiträgt oder falls sich daraus therapeutische Konsequenzen ergeben. Da rund 40% der Bevölkerung eine asymptomatische Sensibili-sierung auf Insektengi­e aufweisen, ist eine prädiktive Testung für eine Insektengi­allergie nicht sinnvoll. Vielmehr wird ein «positiver» Testbefund zu einer er-heblichen Verunsicherung beim Patienten führen.

Diagnostik der Hymenopterengi�allergie

Die am besten validierte Testmethode ist die intrader-male Hauttestung mit ansteigenden Konzentrationen von Bienen- und Wespengi­ (0,00001–1,0  µg/ml) (Abb.  1). Die kommerziell erhältlichen Pricktestlösun-gen (Konzentration 0,01–300  µg/ml) hingegen sind deutlich weniger sensitiv. Die gi­spezi�schen IgE-An-tikörper gegen das Bienen- und Wespengi­ können mittels verschiedener Assays bestimmt werden. Die Komponenten-basierte molekulare Allergiediagnostik hat bei doppelpositiven Sensibilisierungen (bei 45–50% der Insektengi­allergiker) zu einer Verbesserung der Interpretation geführt [14–17]. Bei einer Doppelpositivi-tät gilt es, möglichst zwischen einer Kreuzreaktivität und einer echten Doppelsensibilisierung abzugren-zen. Die Kreuzreaktivität zwischen Komponenten von Bienen- und Wespengi­ basiert einerseits auf der IgE- Reaktivität gegen Kohlenhydratseitenketten («cross -

reaktive carbohydrate determinants», CCD) und an-derseits auf vergleichbaren Strukturen einzelner Allergene auf Proteinebene [15]. Das Hymenopterengi­ enthält über 100 Einzelkomponenten, unter anderem biogene Amine (z.B.  Histamin), Peptide wie Mellitin und artenspezi�sche Allergene. Im Gi­ der Honig-biene (Apis melifera) konnten bis dato 12 Allergene (Api m 1–12) identi�ziert werden, im Wespengi­ sind es sechs Allergene (Ves v 1-6). Eine Homologie strukturell ähnlicher Proteine wurde bei Dipeptidylpeptidasen (Api  m  5 und Ves  v  3), Hyaluronidasen (Api  m  2 und Ves v 2) und Vitellogeninen (Api m 12 und Ves v 6) nach-gewiesen. Dank der molekularbiologischen Technik können CCD-freie Allergene produziert werden, was eine exakte Zuordnung der Sensibilisierung und so-mit auch des kausalen Insekts erlaubt. Für die Wes-pengi­allergie stehen die rekombinanten Major- Allergene Ves v 5 und Ves v 1 zur Verfügung. Die Test-sensitivität bei Bestimmung beider Allergene beträgt 97%. Für die Bienengi­allergie stehen Api m 1, Api m 10 und seit Kurzem auch Api m 2, Api m 5 und Api m 3 zur Verfügung. Mit diesen fünf Bienengi­komponenten kann eine Detektionsrate von 93% erreicht werden. Vorher – mit Api m 1 und Api m 10 – lag diese bei 86,8% [17].In seltenen Fällen, kann die Testung trotz suggestiver Anamnese negativ auf beide Insektengi­e ausfallen. Falls das zeitliche Intervall zwischen allergischer Reak-tion und Testung weniger als drei Wochen betrug, soll letztere nach einigen Wochen wiederholt werden. Wur-den Pricktests verwendet, emp�ehlt sich die Applika-tion der sensitiveren Intradermaltests. Ferner können Zusatzuntersuchungen wie der Basophilen-Aktivie-rungstest (BAT) in Betracht gezogen werden [18]. Wird mittels Zweittestung und ergänzender Analysen erneut keine Sensibilisierung nachgewiesen, ist die Durchfüh-rung einer VIT nicht indiziert. Diese Patienten sollen aber alle mit Notfallmedikamenten, inklusive Adrena-lin-Autoinjektor, ausgerüstet werden. Von diagnosti-schen Provokationstests mit lebenden Insekten raten wir ab.

Spezi�sche Immuntherapie mit Insektengi�en: Indikationen

Die Wirksamkeit der VIT, der einzigen kausalen und ef-fektiven Behandlung der Insektengi­allergie, wurde in den letzten 35  Jahren durch mehrere prospektive und kontrollierte Studien bestätigt [4, 19–21]. Bei jedem Patienten mit einer Systemreaktion nach einem Hy-mentopterenstich mit Beteiligung der Atemwege und/oder des Kreislaufssystems (Schwergrad III und IV nach H. L. Mueller) ist die Indikation zur VIT gegeben.

Abbildung 1: Intradermale Hauttestung mit ansteigenden Konzentrationen von Bienen-

und Wespengift in der Diagnostik der Hymenopterengiftallergie.

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 199

Auch bei hohem Stichexpositionsrisiko (Imker, Land-scha­sgärtner, Landwirte) oder bei speziellen Risiko-berufen (Chau�eure, Piloten, Dachdecker) oder bei nachgewiesener Mastozytose ist die VIT die Therapie-option der Wahl [20, 23]. Selbstverständlich sind auch weitere Faktoren wie zum Beispiel begleitende Herz- oder Lungenkrankheiten oder Einschränkung der Le-bensqualität aufgrund von Angst oder Panikattacken zu berücksichtigen. Andererseits gelten schwere Lokal-reaktionen  – auch wenn diese eine ganze Extremität umfassen sollten – grundsätzlich nicht als Indikation einer VIT. Auch bei ungewöhnlichen und toxischen Re-aktionen (z.B. >100 Wespenstiche) ist die VIT nicht ange-zeigt.

Einleitung und Durchführung der VIT

Die Einleitung der VIT soll durch den Allergologen er-folgen. Dabei kann diese konventionell wöchentlich oder mittels Ultra-Rush (rasche Steigerung bis zur Erhal-tungsdosis innerhalb eines Tages) initiiert werden [24] Im Allgemeinen beträgt die Erhaltungsdosis 100 µg des entsprechenden Gi­s sowohl für Kinder wie auch für Erwachsene. Diese Dosis entspricht etwa zwei Bienen- und mehreren Wespenstichen. Bei Pa tienten, bei denen diese Erhaltungsdosis nicht ausreichend protektiv ist, wird die Dosis verdoppelt. Bei Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko, vor allem aber bei Imkern, wird a priori eine Erhaltungs-dosis von 200 µg angestrebt. Die Fortsetzungsbehandlung kann durch den Haus-arzt übernommen werden. Im ersten Behandlungsjahr werden die Injektionen alle vier Wochen verabreicht. Ab dem zweiten Behandlungsjahr kann das Injektions-intervall bei problemlosem Verlauf auf sechs Wochen ausgedehnt werden. Im Gegensatz zu Immuntherapien bei Aeroallergien beträgt die Dauer der VIT in der Regel fünf Jahre [19]. Gemäss kontrollierten und prospekti-ven Untersuchungen beträgt die E�ektivität der VIT bei einer Wespengi­allergie >95% und bei einer Bie-nengi­allergie 80–85% [19, 22, 25]. Patienten mit schwe-ren Indexreaktionen, ausgeprägten kardiovaskulären oder pulmonalen Komorbiditäten, bei systemischer Mastozytose oder Pa tienten mit deutlicher erhöhter basaler Serumtryptase sind alle Kandidaten für eine längere, allenfalls sogar auch eine lebenslange VIT [7, 24].

Nebenwirkungen und Kontraindikationen

Lokalreaktionen an der Injektionsstelle treten vor al-lem zu Beginn der Behandlung bei vielen Patienten auf. Diese verlieren sich aber meist im Lauf der Thera-

pie und über die Jahre. Allergische Allgemeinreaktio-nen werden überwiegend in der Einleitungsphase der VIT beobachtet (5–20%). Schwere Ereignisse sind aber sehr selten. Nebenwirkungen treten häu�ger bei einer VIT mit Bienen- als mit Wespengi­ auf und sind häu�-ger beim Ultra-Rush als bei einer konventionellen Auf-dosierung. Systemische Nebenwirkungen treten bei Personen mit einer erhöhten basalen Serumtryptase häu�ger auf. Für den individuellen Komfort und um lokale Reaktionen einzudämmen, wird die Einleitung einer VIT meist unter prophylaktischer Einnahme ei-nes Anthistaminikums durchgeführt. Kontraindikationen einer VIT sind nicht anders als bei anderen Immuntherapien z.B. mit Pollen [26]. Auf-grund der Erkenntnisse der letzten Jahre gelten Im-munde�zienzen (z.B. HIV-Infekte) oder Autoimmuner-krankungen nicht mehr generell als Kontraindikation für eine VIT [27,  28]. Während einer Schwangerscha­ soll eine VIT nur in ausgewählten Fällen begonnen werden. Hingegen kann diese, falls die Erhaltungsdosis

gut vertragen wird, bei Eintritt einer Schwangerscha­ weitergeführt werden. Wir empfehlen aber immer, das Vorgehen mit der Patientin zu besprechen.

Ausblick

Die VIT ist die erfolgreichste allergenspezi�sche Im-muntherapie. Dank der Entwicklung in der Kompo-nenten-basierten molekularen Allergiediagnostik mit immer grösserer Anzahl charakterisierter Hymenop-terengi­allergene kann das kausale Insekt identi�ziert und somit die Indikation zur VIT präziser gestellt wer-den. In einigen Studien wurden alternative Applikations-methoden der VIT untersucht (z.B. intralymphatisch, sublingual). Trotz zum Teil ansprechender Daten sind diese Therapieoptionen bei einer Hymenopterengi­-allergie nicht etabliert und auch nicht für den Alltag in der Praxis zugelassen [29,  30]. Wünschenswert wäre eine Optimierung des Sicherheitspro�ls der VIT vor al-lem mit Bienengi­. Es wurden bereits klinische Unter-suchungen mit dem modi�zierten Hauptallergen (Api m 1) mit abgeschwächter IgE-Bindung, aber erhal-tener spezi�scher T-Zell-Interaktion durchgeführt. Al-lerdings waren die Ergebnisse enttäuschend, da nur drei von fünf Patienten nach Abschluss der Behand-lung eine Stichprovokation ohne allergische Allge-meinsymptome tolerierten [31]. Die Anwendung der

Korrespondenz: Prof. Dr. med. Arthur Helbling Universitätsklinik für Rheu-matologie, Immunologie und Allergologie Inselspital Freiburgstrasse 8 CH-3010 Bern Arthur.Helbling[at]insel.ch

Immunde�zienzen oder Autoimmuner-krankungen gelten nicht mehr generell als Kontraindikation für eine VIT.

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM 200

Peptid-basierenden Therapie sowie auch eine DNA-Vakzinierung sind in naher Zukun­ eher unwahr-scheinlich.

Disclosure statementDie Autoren haben keine �nanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

BildnachweisSchmuckbild S. 194: © Yung-chao Chen | Dreamstime.com

Empfohlene Literatur– Ludman SW, Boyle RJ. Stinging insect allergy: current perspectives

on venom immunotherapy. J Asthma Allergy. 2015;8:75–86.– Bilò MB, Cichocka-Jarosz E, Pumphrey R, Oude-Elberink JN, Lange J,

et al. Self-medication of anaphylactic reactions due to Hymenoptera stings-an EAACI Task Force Consensus Statement. Allergy. 2016; 71(7):931–43.

– Köhler J, Blank S, Müller S, Bantleon F, Frick M, et al. Component resolution reveals additional major allergens in patients with honeybee venom allergy. J Allergy Clin Immunol. 2014;133(5):1383–9.

– Ruë� F, Przybilla B, Biló MB, Müller U, Scheipl F, Seitz MJ, et al. Clinical e�ectiveness of hymenoptera venom immunotherapy: a prospective observational multicenter study of the European academy of allergology and clinical immunology interest group on insect venom hypersensitivity. PLoS One. 2013;8(5):e63233.

– Bonadonna P, Gonzalez-de-Olano D, Zanotti R, Riccio A, De Ferrari L, et al. Venom immunotherapy in patients with clonal mast cell disorders: eÃcacy, safety, and practical considerations. J Allergy Clin Immunol Pract. 2013;1(5):474–8.

LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste �nden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch

Das Wichtigste für die Praxis

• Rund 40% der Bevölkerung weisen eine Sensibilisierung gegenüber Bie-

nen- und/oder Wespengift auf.

• Die Prävalenz einer allergischen Systemreaktion nach einem Hymenop-

terenstich wird zwischen 0,3–8,9% geschätzt. In der Schweiz sterben pro

Jahr 3–4 Menschen an einem Insektenstich.

• Die VIT («venom immunotherapy») ist die einzige kausale Behandlung

einer Insektengiftallergie. Fast alle Patienten mit einer Wespengiftaller-

gie sind durch die VIT geschützt. Bei einer Bienengiftallergie liegt der

Schutz bei 80–85%.

• Jeder Patient mit einer Allgemeinreaktion nach einem Insektenstich soll

einer allergologischen Beurteilung zugewiesen werden.

• Die Komponenten-basierte molekulare Allergiediagnostik hat die Sensi-

tivität der diagnostischer Testung verbessert und die Differenzierung zwi-

schen wahrer Sensibilisierung und Kreuzreaktivität erleichtert.

• Bei einer allergischen Allgemeinreaktion, speziell aber Anaphylaxie, soll

Adrenalin als erstes Medikament sofort i.m. verabreicht werden. Es gibt

keine absolute Kontraindikation, Adrenalin bei einer schweren, allergi-

schen Reaktion einzusetzen.

• Jeder Patient mit einer Allgemeinreaktion nach einem Insektenstich soll

Notfallmedikamente, inkl. Adrenalin-Autoinjektor, auf sich tragen. Die

korrekte Handhabung des Autoinjektors ist zu instruieren und regelmäs-

sig zu kontrollieren.

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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix

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Literatur

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14 Müller U, Schmid-Grendelmeier P, Hausmann O, Helbling A. IgE to recombinant allergens Api m 1, Ves v 1, and Ves v 5 distinguish double sensitization from crossreaction in venom allergy. Allergy. 2012;67(8):1069–73.

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Component resolution reveals additional major allergens in patients with honeybee venom allergy. J Allergy Clin Immunol. 2014;133(5):1383–9.

18 Sturm GJ, Böhm E, Trummer M, Weiglhofer I, Heinemann A, et al. The CD63 basophil activation test in Hymenoptera venom allergy: a prospective study. Allergy. 2004;59(10):1110–7.

19 Ruëff F, Przybilla B, Biló MB, Müller U, Scheipl F, Seitz MJ, et al. Clinical effectiveness of hymenoptera venom immunotherapy: a prospective observational multicenter study of the European academy of allergology and clinical immunology interest group on insect venom hypersensitivity. PLoS One. 2013;8(5):e63233.

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22 Hafner T, DuBuske L, Kosnik M. Long-term efficacy of venom immunotherapy. Ann Allergy Asthma Immunol. 2008;100(2):162–5.

23 Bonadonna P, Gonzalez-de-Olano D, Zanotti R, Riccio A, De Ferrari L, et al. Venom immunotherapy in patients with clonal mast cell disorders: efficacy, safety, and practical considerations. J Allergy Clin Immunol Pract. 2013;1(5):474–8.

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FALLBERICHT 201

Eine hierzulande eher ungewöhnliche Ursache!

Schwere EosinophilieDr. med. Tobias Benoita; Dr. med. Sabine Majera; Beatrice Nickelb,c, PhD; Dr. med. Birgit Traichela

a Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Münsterlingen b Swiss Tropical and Public Health Institute, Basel c Universität Basel, Basel

Fallbericht

AnamneseEine 65-jährige Patientin wurde Ende Juni 2016 auf-grund einer bereits seit einer Woche bestehenden zu-nehmenden Allgemeinzustandsverschlechterung hos-pitalisiert. Sie klagte über intermittierendes Fieber, Schwindel, Husten, Diarrhoe sowie einen juckenden Hautausschlag. Die behandelnde Hausärztin hatte bei Verdacht auf einen pulmonalen Infekt eine antibioti-sche Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure initiiert. Aus der persönlichen Anamnese war ein mit Broncho-dilatativa und inhalativen Kortikosteroiden kontrol-liertes Asthma bronchiale bekannt. Weiter hatte die Patientin keine bekannten Allergien, und bis auf das verordnete Antibiotikum wurden keine neuen Medi-kamente eingenommen.Die Patientin stammt aus Thailand, lebte aber seit mehr als 30 Jahren mit ihrem Ehemann in der Schweiz. Der letzte Thailandaufenthalt dauerte von Oktober 2015 bis Januar 2016 und beinhaltete Familienbesuche in den Regionen Pattaya, Koh Samui und Hua Hin. Se-xual- und Umgebungsanamnese waren unau�ällig.

Befunde und StatusBei Eintritt präsentierte sich die allseits orientierte Pati-entin mit einem Blutdruck von 94/58 mm Hg, einem Puls von 93 Schlägen pro Minute sowie einer aurikulä-ren Temperatur von 38,4 °C. In der klinischen Untersu-chung �el ein stammbetontes, makulopapulöses und teils urtikarielles Exanthem auf (Abb. 1). Die erweiterte klinische Untersuchung war bis auf ein obstruktives Atemgeräusch über allen Lungenfeldern unau�ällig.Im aktuellen Blutbild zeigten sich eine schwergradige Eosinophilie mit einer absoluten Eosinophilenzahl bis zu 13,8 × 109/l sowie ein erhöhtes C-reaktives Protein mit 88 mg/l. Weiterhin au�ällig waren erhöhte Chole-staseparameter bei normwertigen Leberenzymen. In der Abdomensonographie zeigte sich eine Cholezysto-lithiasis. Die Urinuntersuchung war unau�ällig, ebenso blieben mehrere abgenommene Blutkulturen ohne Erregernachweis.

DiagnoseDer initiale Verdacht auf eine Pneumonie konnte kon-ventionell-radiologisch nicht bestätigt werden, so dass

wir uns bei möglicher medikamenteninduzierter, aller-gischer Reaktion für die Sistierung der antibiotischen Therapie entschieden. In der Folge zeigte sich jedoch eine persistierende Symptomatik mit rezidivierenden febrilen Temperaturen, juckendem Exanthem sowie in-termittierender Diarrhoe; auch die Eosinophilenzahl blieb unverändert hoch. Die weiteren Abklärungen bezüglich einer zugrunde-liegenden Systemerkrankung aus dem autoimmunen, neoplastischen oder myeloproliferativen Formenkreis blieben allesamt negativ: Die Computertomographie von Thorax und Abdomen sowie die Gastroskopie er-gaben keine Hinweise für ein Malignom, serologisch fanden sich bei negativen ANA und ANCA keine Hin-weise für eine Vaskulitis oder Kollagenose. Die häu�gs-ten Mutationen bei primärem Hypereosinophiliesyn-drom waren nicht nachweisbar. In der Hautbiopsie fand sich aber, ebenso wie in den Biopsien aus dem oberen Gastrointestinaltrakt, eine ausgeprägte eosino-phile Gewebsin�ltration (Abb. 2–4).Bei Verdacht auf eine invasive parasitäre Erkrankung entnahmen wir entsprechende Stuhlproben und Sero-logien, wobei sich eine starke Reaktivität für das Toxo-cara-Antigen (Toxocara canis-ES-Antigen-ELISA) zeigte. Die Serologien für andere Infektionen mit Gewebshel-minthen (Trichinellose, Echinokokkose, Fasziolose, Schistosomiasis, Filariose und Strongyloidose) sowie die Stuhluntersuchungen waren unau�ällig.

Tobias Benoit Abbildung 1: Stammbetontes, juckendes Exanthem.

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FALLBERICHT 202

In Zusammenschau mit der Klinik, der sehr hohen Eo-sinophilenzahl, einem stark erhöhten Gesamt-Serum-IgE sowie der positiven Reiseanamnese konnte die Dia-gnose einer Toxocariasis gestellt werden.

TherapieWir initiierten eine antiparasitäre Therapie mit Alben-dazol, worunter die Patientin rasch beschwerdefrei war. Aufgrund der bei Therapiebeginn neu aufgetretenen Kopf- und Gliederschmerzen ergänzten wir die Medi-kation mit Prednison, in der Annahme einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion.

VerlaufEin Monat nach Therapieende zeigte sich ein erfreuli-cher Heilungsverlauf. Bis auf einen leichten Pruritus im Bereich der Oberarme beklagte die Patientin kei-nerlei Beschwerden mehr. Die humoralen Entzün-dungsparameter hatten sich zwischenzeitlich norma-lisiert und die absolute Eosinophilenzahl war auf 1,01 × 109/l gesunken.

Diskussion

In der Regel machen die eosinophilen Granulozyten 1–3% der Gesamtleukozyten im peripheren Blut aus, mit einem oberen absoluten Referenzwert von 0,7  × 109/l. Die Zahl der Eosinophilen variiert mit dem Pati-entenalter, der Tageszeit, Stress und Umgebungssti-muli, vor allem aber saisonalen Allergenen. Entspre-chend ihrem Ausmass wird die pathologisch erhöhte Zahl an eosinophilen Granulozyten im peripheren Blut, die sogenannte Eosinophilie, in drei Kategorien unterteilt: mild (0,7–1,5 × 109/l), mässig (1,5–5,0 × 109/l) und schwer (>5,0 × 109/l). Eine milde Eosinophilie wird häu�g im Zusammenhang mit einer Allergie beobach-tet, kann durch Medikamente induziert sein, kommt aber auch bei chronischem Parasitenbefall, Haut- und gastrointestinalen Krankheiten vor. Eine mässig er-höhte Eosinophilenzahl kann auf eine rheumatologi-sche Erkrankung hinweisen, auf Tumoren oder eosino-phile Lungenerkrankungen. Eine schwere Eosinophilie kommt am häu�gsten vor beim primären Hypereosi-nophilesyndrom im Rahmen einer myeloproliferati-ven Neoplasie sowie bei Parasitenerkrankungen im gewebsinvasiven Stadium (Larva migrans) [1], wie in unserem Fall. Die Toxocariasis ist eine parasitäre Erkrankung, welche meist durch den Hundespulwurm Toxocara canis und seltener durch den Katzenspulwurm Toxocara cati her-vorgerufen wird, wobei der Mensch einen Fehlwirt darstellt (Abb. 5). Hauptwirte sind Hund, Katze und der Fuchs. Beide Erreger kommen gehäu° in tropischen

Abbildung 2: Hautbiopsie mit perivaskulärer und interstitieller Eosinophilie

(HE-Färbung, 40-fache Vergrösserung).

Abbildung 3: Gastrointestinale Biopsie des Magens mit interstitieller Eosinophilie

(HE-Färbung, 40-fache Vergrösserung).

Abbildung 4: Gastrointestinale Biopsie des Duodenums mit interstitieller Eosinophilie

(HE-Färbung, 40-fache Vergrösserung).

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FALLBERICHT 203

Abbildung 5: Lebenszyklus von Toxocara canis und Toxocara cati (© CDC/Alexander J. da Silva, PhD/Melanie Moser,

mit freundlicher Genehmigung der «Centers for Disease Control and Prevention» [CDC]).

vorkommen. Symptome entstehen da, wo die Larve durchwandert oder sind Folge einer immunologischen Reaktion. Dabei sind mehrheitlich der Gastrointesti-naltrakt (Hepatosplenomegalie, Bauchschmerzen, Er-brechen, Diarrhoe), die Lunge (Husten, Niesen, Asthma), Haut (Urtikaria, Pruritus), selten auch Augen und ZNS betro�en. Während der akuten Infektion bestehen zu-

und subtropischen Klimaregionen vor, sind aber welt-weit verbreitet. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch Aufnahme von Eiern oder Larven über kontami-nierte Nahrung. Die Inkubationszeit beträgt in der Re-gel 2–6 Wochen, kann jedoch bis zu mehrere Monate betragen [2]. Infektionen sind häu�g asymptomatisch oder mild, schwere Krankheitsverläufe können jedoch

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FALLBERICHT 204

sätzlich meist unspezi�sche Allgemeinsymptome wie Fieber, Gewichtsverlust, Blässe oder Myalgien [3]. Die in den Blutuntersuchungen o° schwere Eosinophilie kann über das Therapieende hinaus persistieren. Häu�g �nden sich während der akuten Infektion auch erhöhte Leberwerte. Die Diagnostik basiert auf dem serologi-schen Nachweis mittels Toxocara canis-ES-Antigen-ELISA (anti-Toxocara-IgG und -IgE). Ein positives Testre-sultat sollte auf Kreuzreaktivität durch Antikörper anderer Gewebshelminthen-Infektionen abgeklärt bzw. mittels Western Blot veri�ziert werden [4]. Weiter-hin ist ein erhöhtes Gesamt-Serum-IgE typisch. Die an-tihelminthische Therapie erfolgt mit Albendazol 2 ×

400 mg p.o. für 5 Tage, alternativ Mebendazol, gegebe-nenfalls kombiniert mit Prednison wegen möglicher Jarisch-Herxheimer-Reaktion [5].

Informed consentDie Publikation erfolgt mit dem Einverständnis der Patientin.

DanksagungDie Autoren danken Dr. med. Frank Uhlmann, Leitender Arzt, Institut für Pathologie, Kantonsspital Münsterlingen, für die Anfertigung und das Überlassen der histologischen Abbildungen.

Disclosure statementDie Autoren haben keine �nanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur1 Ebnöther M, Schoenenberger R. Eosinophilie – was kommt in

Frage? Schweiz Med Forum. 2005;5:735–41.2 Macpherson CN. The epidemiology and public health importance

of toxocariasis: a zoonosis of global importance. Int J Parasitol. 2013;43:999–1008.

3 Despommier D. Toxocariasis: clinical aspects, epidemiology, medical ecology and molecular aspects. Clin Microbiol Rev. 2003;16:265–72.

4 Fillaux J, Magnaval JF. Laboratory diagnosis of human toxocariasis. Vet Parasitol. 2013;193:327–36.

5 Woodhall DM, Eberhard ML, Parise ME. Neglected parasitic infections in the United States: toxocariasis. Am J Trop Hyg. 2014;90:810–3.

Korrespondenz: Dr. med. Tobias Benoit Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Münsterlingen Spitalcampus 1 CH-8596 Münsterlingen tobias.benoit[at]stgag.ch

Das Wichtigste für die Praxis

• Eine sehr hohe Eosinophilenzahl ist fast immer bedingt durch eine hä-

matologische Erkrankung oder eine Parasitenerkrankung im invasiven

Stadium.

• Hinweise auf Toxocariasis können sich aus der Anamnese ergeben: Auf-

enthalt in sub-/tropischen Regionen, Essgewohnheiten und Tierkontakt.

• Zwischen Risikoexposition und ersten Symptomen einer invasiven Toxo-

cariasis können mehrere Wochen bis Monate verstreichen.

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