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Swiss Medical Forum Offizielles Fortbildungsorgan der FMH Organe officiel de la FMH pour la formation continue Bollettino ufficiale per la formazione della FMH Organ da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly” 17 27. 4. 2016 395 D. Reineke, L. Englberger, P. Mohacsi, T. Carrel Herztransplantation quo vadis? 399 A. Anichini, J. Delaloye, A. A. Sokolov, V. Kraege Ein Zahnradphänomen mit Fieber 406 M. Schmidt, T. Bregenzer, A. Kneubühl, R. Schorn Schwere Hypomagnesiämie 389 M. Kraus, C. Wölfel Der Ertrinkungsunfall SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

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SwissMedical Forum

Offizielles Fortbildungsorgan der FMHOrgane officiel de la FMH pour la formation continueBollettino ufficiale per la formazione della FMHOrgan da perfecziunament uffizial da la FMH www.medicalforum.ch

With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”

17 2

7. 4

. 201

6

395 D. Reineke, L. Englberger, P. Mohacsi, T. CarrelHerztransplantation quo vadis?

399 A. Anichini, J. Delaloye, A. A. Sokolov, V. KraegeEin Zahnradphänomen mit Fieber

406 M. Schmidt, T. Bregenzer, A. Kneubühl, R. SchornSchwere Hypomagnesiämie

389 M. Kraus, C. WölfelDer Ertrinkungsunfall

SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer

Und anderswo …?

A. de Torrenté

388 Therapieresistente arterielle Hyper tonie: Spironolacton (Aldactone®)? Übersichtsartikel

M. Kraus, C. Wölfel

389 Der ErtrinkungsunfallMit einem Ertrinkungsunfall können sowohl Laien, Notärzte, Notfallstationen als auch Intensiv­stationen konfrontiert sein. Nicht zuletzt aus ethischen Gründen lassen sich doppelblinde, randomisierte Studien nicht durchführen. Trotzdem haben Erkenntnisse der letzten Jahre aus verschiedenen Arbeiten zu mehr Verständnis der Pathophysiologie und der Therapie geführt. Dieser Artikel fasst die für die Praxis relevanten Erkenntnisse und Konsequenzen zusammen.

Aktuell

D. Reineke, L. Englberger, P. Mohacsi, T. Carrel

395 Herztransplantation quo vadis?Mit Hilfe des klugen Einsatzes der modernen Kunstherztherapie wird es möglich sein, den medizinischen Druck auf der Warteliste zu reduzieren und die Anzahl der Patienten, die im Hochdringlichkeitsstatus mit schlechter Aussicht eine Transplantation erhalten würden, zu verringern.

Was ist Ihre Diagnose?

A. Anichini, J. Delaloye, A. A. Sokolov, V. Kraege

399 Ein Zahnradphänomen mit FieberEin 72­jähriger Patient kommt in die Notaufnahme, weil er seit drei Tagen an einer verlangsamten Psychomotorik sowie Bewegungsschwierigkeiten mit diffuser Rigidität leidet.

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INHALTSVERZEICHNIS 385

Redaktion

Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Dr. Nadja Pecinska, Basel (Managing editor); Prof. Dr. David Conen, Basel; Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern; Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux­de­Fonds; Prof. Dr. Gérard Waeber, Lausanne; PD Dr. Maria Monika Wertli, Bern

Beratende Redaktoren

Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Prof. Dr. Ludwig T. Heuss, Zollikerberg; Dr. Pierre Périat, Basel; Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal

Advisory Board

Dr. Sebastian Carballo, Genève; Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Francine Glassey Perrenoud, La Chaux­de­Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach; Dr. Matteo Monti, Lausanne; Dr. Sven Streit, Bern; PD Dr. Ryan Tandjung, Zürich

Fallberichte

M. Birrer, R. Escher, I. Bergmann, R. Langer, B. Chappuis

402 Steinharte WadenDie Hyperkalzämie ist eine wichtige Differentialdiagnose bei akuten neurologischen Störungen. Unübliche klinische Befunde, wie Hautverhärtungen, können wegweisend sein.

M. Schmidt, T. Bregenzer, A. Kneubühl, R. Schorn

406 Schwere HypomagnesiämieIm klinischen Alltag werden Häufigkeit und Einfluss einer Hypomagnesiämie oft unterschätzt. Neuromuskuläre Symptome, Hypokaliämie und Hypokalzämie sollten an eine zugrundeliegende Hypomagnesiämie denken lassen. Ein normwertiges Serummagnesium schliesst einen relevanten Gesamtkörper­Magnesiummangel nicht aus.

Extended abstracts from SMW

New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 408.

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INHALTSVERZEICHNIS 386

ImpressumSwiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-ForumOffizielles Fortbildungsorgan der FMH und der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin

Redaktionsadresse: Ruth Schindler, Redaktionsassistentin SMF, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 58, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected], www.medicalforum.ch

Manuskripteinreichung online: http://www.edmgr.com/smf

Verlag: EMH Schweizerischer Ärzte­verlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 55,Fax +41 (0)61 467 85 56, www.emh.ch

Marketing EMH / Inserate: Dr. phil. II Karin Würz, Leiterin Marketing und Kommunikation, Tel. +41 (0)61 467 85 49, Fax +41 (0)61 467 85 56, [email protected]

Abonnemente FMH-Mitglieder: FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15, Tel. +41 (0)31 359 11 11, Fax +41 (0)31 359 11 12, [email protected] Abonnemente: EMH Schweize­rischer Ärzteverlag AG, Abonnemente, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 467 85 75, Fax +41 (0)61 467 85 76, [email protected]: zusammen mit der Schweizerischen Ärzte­ zeitung 1 Jahr CHF 395.– / Studenten CHF 198.– zzgl. Porto; ohne Schweize­rische Ärzte zeitung 1 Jahr CHF 175.– / Studenten CHF 88.– zzgl. Porto (kürzere Abonnementsdauern: siehe www.medicalforum.ch)

ISSN: Printversion: 1424­3784 / elektronische Ausgabe: 1424­4020Erscheint jeden Mittwoch

© EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG(EMH), 2016. Das Swiss Medical Forum ist eine Open­ Access­Publika tion von EMH. Entsprechend gewährt EMH allen Nutzern auf der Basis der Creative­Commons­Lizenz «Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbei­tung en 4.0 International» das zeitlich unbeschränkte Recht, das Werk zu ver­viel fältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen unter den Bedin­gungen, dass (1) der Name des Autors genannt wird, (2) das Werk nicht für kommerzielle Zwecke verwendet wird und (3) das Werk in keiner Weise bear­beitet oder in anderer Weise verändert wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur mit ausdrück licher vorgängiger Erlaub­nis von EMH und auf der Basis einer schriftlichen Vereinbarung zulässig.

Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift pu blizierten Angaben wurden mit der grössten Sorgfalt überprüft. Die mit Verfassernamen gezeichneten Ver­öffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht zwangsläufig die Meinung der SMF­Redaktion wieder. Die angegebenen Dosierungen, Indikationen und Appli­kationsformen, vor allem von Neuzu­lassungen, sollten in jedem Fall mit den Fachinformationen der verwende­ten Medikamente verglichen werden.

Herstellung: Schwabe AG, Muttenz, www.schwabe.ch

Titelbild: © Studio306 | Dreamstime.com

Und anderswo …?Antoine de Torrenté

Therapieresistente arterielle Hyper­tonie: Spironolacton (Aldactone®)?

FragestellungEine therapieresistente arterielle Hypertonie ist definiert als Blutdruckwert, der trotz einer Behandlung mit mindestens drei der folgenden Wirkstoffe weiterhin suboptimal ist: einem Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer (ACE-Hemmer) oder Sartan, einem Kalzium-antagonisten und einem Diuretikum. Dies betrifft ca. 10% der Hypertoniker, also etwa 100 Mio. Menschen. Neben Medikamenten werden interventionelle Tech niken wie Baro-rezeptorstimulation oder renale Denervation eingesetzt, deren Resultate bis dato umstrit ten sind. Die Kombination der drei Stan dard-wirkstoffe mit einem vierten Medikament ist eine empirische Behandlung. Die nachfol-gend zusammengefasste Studie (PATH WAY-2) stellt die Hypothese auf, dass die Therapiere-sistenz durch eine Natrium retention bedingt ist. Hat Spironolacton, ein Aldosteronantago-nist und demzufolge Natriuretikum, einen Nutzen bei therapieresistenter Hypertonie?

MethodeDie randomisierte, doppelblinde Studie dau-erte 12 Monate. Die Patienten waren 18 bis 79 Jah re alt und wiesen trotz ACE-Hemmer oder

Sartan, Kalziumantagonist und Diuretikum in Höchstdosis einen systolischen Blutdruck >140 mm Hg in der Arztpraxis oder >130 mm Hg zu Hause (Mittelwert von 18 Messungen an 4 Tagen) auf. Sie wurden zusätzlich zur Standardbehandlung in vier Therapie-zyklen zufälliger Reihenfolge mit 25 → 50 mg Spironolacton/d, 4 → 8 mg Doxazosin (Cimex®, ein Alphablocker)/d, 5 → 10 mg Bisoprolol oder Plazebo behandelt. Primärer Endpunkt war der Mittelwert des systolischen Blutdrucks aus drei Morgen- und Abendmessungen zu Hause an vier aufeinanderfolgenden Tagen in der Mitte und am Ende der Rotationspe-riode.

Resultate230 Patienten durchliefen 3 Monate lang alle vier Therapiezyklen. Ihr Durchschnittsalter betrug 61 Jahre, 70% waren Männer. Die Sen-kung des systolischen Blutdrucks durch Spiro-nolacton war allen anderen Add-on-Thera-pien zur Standardbehandlung überlegen und betrug –8,7 mm Hg im Vergleich zu Plazebo, –4 im Vergleich zu Doxazosin und –4,48 im Vergleich zu Bisoprolol. Alle Zahlen sind signifikant mit p <0,001. Spironolacton war vor allem bei Patienten mit niedrigem Renin-wert wirksam, der auf eine Natriumretention hinweist. Lediglich 6 Patienten wiesen einen Kaliumwert von >6 mmol/l auf.

ProblemeEs wurden ausschliesslich Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate von >45 ml/min sowie mehrheitlich Kaukasier eingeschlossen. Zwischen den Zyklen gab es keine «Auswasch­phase»; die Wirkung eines Medikaments auf jenes in der darauffolgenden Rotationsphase («carry over») ist daher nicht auszuschliessen, jedoch sehr unwahrscheinlich.

KommentarDie Überlegenheit von Spironolacton gegen-über den anderen zusätzlich zur Standardbe-handlung verabreichten Medikamenten wurde bestätigt. Dennoch ist der Wirkstoff nicht ne-benwirkungsfrei: Gynäkomastie (die jedoch erst bei höherer Dosierung auftritt) und Hyper-kaliämie. Ein Vergleich von Spironolacton mit stärkeren Diuretika wie Thiaziden oder solchen mit längerer Wirkdauer wäre von Interesse. Des Weiteren ist die Wirkung von Spironolac-ton bei Patienten mit einer glomerulären Fil-trationsrate von <45 ml/min unbekannt. Zu-dem sollten andere Aldo steronantagonisten wie Finerenon mit geringerem Hyperkali-ämierisiko getestet werden. Derzeit jedoch scheint Spironolacton bei therapieresistenter Hypertonie die Behandlung der Wahl als Add-on-Therapie zur Standardbehandlung zu sein.Williams B, et al. Lancet. 2015 Nov 21;386(10008): 2059–68.

Nieren herstellen?Die Herstellung von «Organoiden» hat begon-nen. Australischen Forschern ist es gelungen, die entsprechenden Bedingungen zu schaffen, um induzierte pluripotente menschliche Stammzellen dazu zu bringen, vollständige Nephronen mit Blutgefässen und Bindege-webe herzustellen. Das Organoid ähnelt einer fetalen Niere im ersten Trimester. Ein krankes Organ durch seine eigenen Zellen zu ersetzen, scheint nun kein Hirngespinst mehr zu sein. Unsterblichkeit? (Nein danke …)Hampton T. JAMA. 2015;314(21):2226.

Assistenzärzte: Depressionen?Das Erlernen des Arztberufs im Spital kann eine aussergewöhnliche, jedoch zugleich mit starkem Stress verbundene Erfahrung sein, der viele kaum Herr werden. In einer Meta-analyse von 31 Quer- (9447 Ärzte) und 23 Längs-schnittstudien (8113 Ärzte) wurde die Prä-valenz von Depressionen und depressiven An-zeichen anhand eines Fragebogens untersucht. 28% der Befragten gaben an, sich depressiv zu

fühlen. Diese Rate variierte, je nach Spital, von 20–43%. Die amerikanische Studie wurde an Ärzten in Weiterbildung durchgeführt, die 60–80 Wochenstunden arbeiten. Bleibt nur zu hoffen, dass die Depressionsrate bei uns mit der Verkürzung der Arbeitszeit deutlich gerin-ger ausfällt …Mata DA, et al. JAMA. 2015 Dec 8;314(22):2373–83.

Stabile Angina pectoris und Langzeit­überleben: interventionelle Kardiologie plus medikamentöse Behandlung oder medikamentöse Behandlung allein?Eine Studie der US-Veteranenbehörde (VA) schürt Zweifel am Nutzen der interventionellen Kardiologie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris. Das mediane Follow-up (maximal 15 Jahre) hat in Bezug auf das Überleben von 1200 Patienten keinen Unterschied zwischen einer perkutanen Koronarintervention (PCI) zu Beginn der Erkrankung + medikamentöse Behandlung und medikamentöser Behand-lung allein ergeben. Während des Follow-up starb in beiden Gruppen ein Viertel der Pa-

tienten. Dies mag etwas unlogisch erscheinen, die Zahlen sind jedoch eindeutig …Sedlis SP, et al. N Engl J Med. 2015 Nov 12;373(20): 1937–46.

Unkomplizierte Appendizitis bei Kindern: Wahl der Behandlung durch die Familie?In die Studie wurden 102 Patienten von 7–17 Jahren mit unkomplizierter Appendizitis eingeschlossen. Ihre Familien entschieden sich entweder für eine sofortige laparoskopi-sche Operation oder eine siebentägige Anti-biotikabehandlung. Ein Jahr später mussten 76% der Kinder unter Antibiotika keiner Ap-pendektomie unterzogen werden und wiesen weniger Schulfehlzeiten auf (8 vs. 21 Tage). Auch die Kosten waren mit 4200 vs. 5000 $ ge-ringer. Dennoch führten die Autoren an, dass einige Familien den Arzt um eine Entschei-dung baten. Die Option einer Antibiotikabe-handlung scheint jedoch vertretbar zu sein …Minneci PC, et al. JAMA Surg. Published online December 16, 2015.

UND ANDERSWO …? 388

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):388

ÜBERSICHTSARTIKEL 389

Im Zentrum der Notfallmassnahmen steht die Ventilation

Der ErtrinkungsunfallMartin Krausa, Christian Wölfelb a Kardiologie, Weinfelden; b Anästhesie, Spital Region Oberaargau, Langenthal

Mit einem Ertrinkungsunfall können sowohl Laien, Notärzte, Notfallstationen als auch Intensivstationen konfrontiert sein. Nicht zuletzt aus ethischen Gründen las-sen sich doppelblinde, randomisierte Studien nicht durchführen. Trotzdem haben Erkenntnisse der letzten Jahre aus verschiedenen Arbeiten zu mehr Verständnis der Pathophysiologie und der Therapie geführt. Dieser Artikel fasst die für die Pra-xis relevanten Erkenntnisse und Konsequenzen zusammen.

Einleitung

Ertrinken ist je nach Altersgruppe und Land eine häu-fige bis sehr häufige und zu einem grossen Teil ver-meidbare Todesursache. Historische Anstrengungen zur Rettung Ertrunkener können als eine Wurzel der modernen Notfallmedizin gesehen werden. Trotz lang-jähriger internationaler Bemühungen von Experten aus allen betroffenen Disziplinen bestehen nach wie vor kontroverse Auffassungen über die Definition, Ter-minologie und die klinischen Konsequenzen aus den bekannten pathophysiologischen Vorgängen.

Definition

Die mehr als 30 bisher bestehenden verschiedenen Definitionen des Ertrinkens wurden 2003 durch die folgende des International Liaison Committee on Resus-citation (ILCOR) abgelöst: «Ertrinken ist ein Prozess, der aus einer primären Atemstörung durch Submer-sion oder Immersion in einem flüssigen Medium resul-tiert» [1, 2]. Für diese Definition ist es irrelevant, ob die-ser Vorgang überlebt wird oder letztlich tödlich endet. Immersion bedeutet dabei, dass zumindest die Atem-öffnungen in einer Flüssigkeit eingetaucht sind. Ist der gesamte Körper inklusive der Atemwegsöffnungen da-von bedeckt, so trifft der Begriff Submersion zu.Begriffe wie Beinahe-Ertrinken (near drowning), trocke-nes und nasses Ertrinken, sekundäres Ertrinken, passi-ves Ertrinken, stilles Ertrinken u.v.m. wurden durch die ILCOR-Definition obsolet. Die Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse wird durch die Verwen-dung einer einheitlichen Datenerfassung analog des seit Ende der 90er Jahre zur systematischen Dokumen-tation kardiopulmonaler Reanimationen gebräuch-lichen Utstein-Datensatzes verbessert [2].

Epidemiologie

Weltweit ertrinken gemäss Schätzungen der WHO jährlich etwa 450 000 Menschen. Dabei bestehen gros- se regionale Unterschiede (Abb. 1) [3, 4].In der Schweiz starben von 2004 bis 2013 durchschnitt-lich 45 Menschen pro Jahr durch Ertrinken [4]. Beim Baden und Schwimmen in offenen Gewässern ereigne-ten sich die meisten Zwischenfälle (Tab. 1).Die Altersverteilung zeigt einen ersten Gipfel bei Kin-dern unter fünf Jahren, einen zweiten bei männlichen Individuen zwischen 15 und 25 Jahren. Bei kleinen Kin-dern dominieren Unfälle im häuslichen Umfeld (Bade-wannen, Swimmingpools) aufgrund mangelnder Auf-Martin Kraus

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):389–394

ÜBERSICHTSARTIKEL 390

sicht sowie Missbrauchs (Schätzungen zufolge 7%), bei jungen Männern solche an Flüssen Seen und Stränden [6, 7].

Ablauf und Pathophysiologie

Zu Beginn des Ertrinkungsvorgangs hindert eine aus-geprägte Panikreaktion den Betroffenen daran, um Hilfe zu rufen oder auf Zurufe zu antworten. Um sich über Wasser zu halten, nimmt er eine vertikale Schwimm-lage ein, so dass seine Schwimmbewegungen nicht mehr zu einer Fortbewegung führen («Wassertreten»). Die Halswirbelsäule ist dabei maximal rekliniert, um Mund und Nase über Wasser zu halten. Dringt Wasser in die Atemöffnungen ein, folgt zunächst eine willkür-

liche Apnoe. Später verschliesst ein Laryngospasmus den Trachealeingang. In dieser Phase werden oft grosse Mengen Flüssigkeit verschluckt. Mit zunehmender Hypoxie und Hyperkapnie verliert der Ertrinkende das Bewusstsein. Im weiteren Verlauf treten Streckkrämpfe auf. Schliesslich lösen sich die Schutzreflexe inklusive des Laryngospasmus, so dass nun Flüssigkeit in unter-schiedlichem Ausmass in die Lunge aspiriert wird. Die Hypoxie steigert sich weiter, bis letztlich Schnapp-atmung und Atemstillstand eintreten. Erst dann fol-gen Bradykardie und Kreislaufstillstand [8, 9].Die hier beschriebene Abfolge ist didaktisch reduziert. In Wahrheit ist eine Vielzahl unterschiedlicher Kon-stellationen aus Umwelt- und Patientenfaktoren denk-bar. Es muss davon ausgegangen werden, dass kein Ertrinkungsvorgang dem anderen gleicht.Das Ertrinken stellt eine primär respiratorische Ur-sache für das Eintreten eines Kreislaufstillstands dar. Im Gegensatz zum Kreislaufstillstand bei Erwachse-nen aus primär zirkulatorischer Ätiologie muss in der Versorgung Ertrunkener vor allem die Aufhebung der Hypoxämie angestrebt werden, da in erster Linie so die Wiederherstellung des Spontankreislaufs (return of spontaneous circulation, ROSC) erreicht werden kann [2, 10].Die oft vorgenommene Unterscheidung zwischen Süss- und Salzwasserertrinken ist klinisch irrelevant, weil die bei Ertrinkungsfällen aspirierten Volumina zu klein sind, um massgebliche Volumen- bzw. Elektrolyt-verschiebungen in vivo auslösen zu können [11–16].Die wichtigsten kurz- und langfristigen organspezi-fischen Pathologien durch Ertrinken fasst Tabelle 2 zu-sammen [10, 17–24]. Der Tod im Wasser aus anderer Ursache muss vom Ertrinken abgegrenzt werden. Verletzungen, zerebro-vaskuläre Ereignisse, Myokardinfarkte, Asthmaanfälle oder generalisierte Krampfanfälle können zu Bewusst-losigkeit oder zur relevanten Beeinträchtigung der Schwimmfähigkeit führen [25–27].Besondere Erwähnung verdienen hier okkulte maligne Herzrhythmusstörungen wie das kongenitale Long-QT-Syndrom Typ I oder die katecholaminerge poly-morphe Kammertachykardie, deren Auftreten durch Anstrengung oder Eintauchen in kaltes Wasser getrig-gert werden kann [25, 28].Ein Ertrinkungsunfall bei einem Gerätetaucher kann zu einer komplexen klinischen Situation mit verschie-denen Pathomechanismen führen. Neben dem eigent-lichen Ertrinken kann eine Dekompressionskrankheit mit neurologischen Symptomen auftreten. Auch kann ein pulmonales Barotrauma vorliegen, das potentiell zu einem Pneumothorax, einem Mediastinalemphy-sem oder einer arteriellen Gasembolie durch Eindrin-

Abbildung 1: Weltweite regionale Häufigkeit von Ertrinkungsunfällen

(Anzahl / 100 000 Bewohner / Jahr). Quelle: Groneberg DA, et al., Int J Health Geogr.

2011 Oct 14;10:55. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Tabelle 1: Ertrinkungsunfälle nach Tätigkeit und Geschlecht in der Schweiz von 2004–2013. Die Zahlen beziehen sich auf die Schweizer Bevölkerung und ausländische Gäste.

Tätigkeit Männlich Weiblich Unbekannt Total

Baden/Schwimmen in offenem Gewässer 118 26 1 145

Bootfahren 39 6 0 45

Gehen/Wandern/Spazieren 21 11 0 32

Tauchen 23 4 0 27

Baden / Schwimmen im Schwimmbad 15 7 0 22

Fischen 14 0 0 14

Wasserspringen 11 1 0 12

Surfen/Wellenreiten 7 0 0 7

Canyoning 4 2 0 6

Andere Sportart 8 2 0 10

Spiel/Freizeitbeschäftigung 44 8 2 54

Reisen mit Motorfahrzeugen 14 7 0 21

Unbekannt/Übrige 37 12 1 50

Total 355 86 4 445

Quelle: bfu, Statistik der tödlichen Sportunfälle.

≥15≥10≥ 5≥ 2,5≥ 1≥ 0 keine Daten

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):389–394

ÜBERSICHTSARTIKEL 391

gen von Alveolargas in die arterielle Strombahn führt. Beliebige Kombinationen aus den genannten Folgen sind möglich.

Risikofaktoren

Die Risikofaktoren für Ertrinken sind vielzählig (Tab. 3). Zu Ertrinkungsunfällen kommt es häufig durch Fehlverhalten, wie dem Überschätzen der eigenen Schwimmfähigkeit oder der Unterschätzung von Natur-gefahren wie z.B. Strömungen. Mangelnde Aufsicht (Fremdfehlverhalten) führt bei kleinen Kindern häufig zu Unfällen im scheinbar harmlosen häuslichen Um-feld. Exzessive absichtliche Hyperventilation beim Apnoetauchen kann den Atemanreiz so weit unter-

drücken, dass unter Wasser eine plötzliche Bewusst-losigkeit durch Hypoxämie auftritt («Swimming Pool Blackout», «Shallow Water Blackout») [8, 17, 29].Ambivalente Bedeutung kommt der Wassertemperatur zu. Nur wenn der zerebrale Stoffwechsel durch Abküh-lung schneller gesenkt wird, als dass ein Sauerstoff-defizit entsteht, sind die Überlebenschancen ohne Re-siduen bei Hypothermie wahrscheinlich höher. Eine so schnelle selektive Abkühlung des Gehirns kommt vor, wenn bei noch vorhandenem Kreislauf durch rasche Aspiration grösserer Mengen sehr kalten Wassers und durch starke Abkühlung an den Carotiden die Tempe-ratur des Blutes auf seinem Weg zum Gehirn massiv gesenkt wird.Neben Verhalten und Umgebungsbedingungen müssen auch Patientenfaktoren beachtet werden. Im Wasser erlittene Traumata stellen ebenso wie verminderte Leistungsfähigkeit oder Bewusstlosigkeit als Folge einer Grundkrankheit Risiken für das Auftreten von Ertrinkungsunfällen dar. Weitere Risikofaktoren sind Alkohol- und Drogenkonsum wegen erhöhter Risiko-bereitschaft und Unterschätzung der Gefahren bei gleichzeitiger verminderter psychomotorischer Leis-tungsfähigkeit [30, 31]. Nicht zuletzt kommt dem Er-trinken in suizidaler Absicht eine nicht zu unterschät-zende Bedeutung zu [32].Selten kann bei zuvor vollkommen Gesunden ohne Herz- oder Lungenkrankheit durch Schwimmen oder Tau chen ein plötzlich eintretendes Lungenödem

Tabelle 2: Organschäden, die im Zusammenhang mit einem Ertrinkungsunfall auftreten können.

Organ-/Funktionssystem

Pathologie Bemerkung

Lunge – Surfactant-Auswaschung– Lungenödem– ARDS

Ausmass und Dynamik der Hypoxämie sehr unterschiedlichLungenödem: keine Indikation zur diuretischen Therapie (Furosemid) bei nichtkardialer Genese

– Pneumonie Antibiotikaprophylaxe nur bei Ertrinken in stark kontaminiertem Medium empfohlenSpätmanifestationen nach Tagen sind möglich

ZNS – Hirnödem– Erhöhter intrakranieller Druck

Entwickelt sich oft erst nach 24 Std. Bei 20% aller erfolgreich reani-mierten Ertrinkungsopfer bleiben neurologische Defizite bestehen

Herz – Sinustachykardien– Sinusbradykardien– Vorhofflimmern

Teilweise auch durch Hypothermie bedingt

Niere – Niereninsuffizienz durch akute tubuläre Nekrose (selten)

Hypoxämie-Schockhämoglobinurie, Myoglobinurie

Blut – Hämolyse– Blutgerinnungsstörungen

Selten

Säure-Basen- Homöostase

– Respiratorische Azidose– Metabolische Azidose

Elektrolythaushalt – Hypernatriämie– Hypermagnesiämie– Hyperkalzämie

Nur bei Ertrinken in extrem elektrolytreichem Medium (z.B. Totes Meer)

Temperatur – Hypothermie Ambivalente Bedeutung. In den meisten Fällen Verschlechterung der Prognose durch Hypothermie. Protektion nur bei rapider Senkung der Körperkerntemperatur

Abkürzung: ARDS = acute respiratory distress syndrome.

Tabelle 3: Risikofaktoren für Ertrinken.

1 Unfähigkeit zu schwimmen oder Überschätzen der Schwimmfähigkeit

2 Risikoreiches Verhalten («thrill seeking»)

3 Übermässiger Alkoholkonsum oder Drogeneinnahme

4 Ungenügende elterliche Überwachung von Kindern

5 Hypothermie

6 Verletzung, Hirnschlag oder Myokardinfarkt

7 Epilepsie

8 Entwicklungs- oder Verhaltensanomalien bei Kindern

9 Unbekannte primäre Arrhythmien (Long-QT-Syndrom Typ 1 / familiäre polymorphe Kammertachykardie)

10 Hyperventilieren vor dem Tauchen

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ÜBERSICHTSARTIKEL 392

(«swim ming-induced/diving-related pulmonary edema») ausgelöst werden. Die daraus resultierende Dyspnoe erzeugt Panik; Hypoxämie führt letztlich zur Hand-lungsunfähigkeit – jeder Punkt für sich potenziert bereits die Gefahr zu ertrinken. Über die zugrunde-liegende Pathophysiologie gibt es Hypothesen, die ge-nauen Zusammenhänge sind aber nicht bekannt. Inner-halb von ein bis zwei Stunden findet eine spontane Erholung statt [33].

Prognose und prognostische Faktoren

Einige kleinere Fallserien und eine grosse Fallkontroll-studie, in denen jeweils Versterben oder Überleben mit neurologischen Residuen als negative Resultate gewer-tet wurden, zeigen, dass neben dem Patientenalter vor allem die Zeit bis zur Rettung und der klinische Zu-stand bei Eintreffen auf der Notfallstation die Progno se beeinflussen (Tab. 4). Drogen- und Äthylkonsum sind ebenfalls mit schlechten Ergebnissen vergesellschaftet [34–45].

Besonders gute Voraussetzungen für das Überleben eines Ertrinkungsunfalls ohne oder mit nur leichten bis mittelschweren bleibenden neurologischen Defizi-ten haben Kinder unter fünf Jahren und Patienten, die weniger als sechs Minuten untergetaucht waren.Ein besseres Überleben in besonders kaltem Wasser kann entgegen einer verbreiteten Auffassung nicht durchgehend dokumentiert werden [35].Die früher mitunter angegebenen hohen Überlebens-raten von Ertrinkungsopfern von bis zu 75% erweisen sich zunehmend als zu optimistisch. Zwar wurden er-freulicherweise in den vergangenen Jahren häufiger Wiederbelebungsmassnahmen durch Laien ergriffen, dies schlägt sich aber ebenso wenig wie die grössere Verfügbarkeit der extrakorporalen Membranoxigena-tion (ECMO) in einer signifikanten Zunahme der ein-schränkungsfreien Überlebensraten nieder [46].Die Vergleichbarkeit der vorliegenden Studien ist auf-grund abweichender organisatorischer und technischer Möglichkeiten, aber auch wegen unterschiedlicher na-

turgeografischer Gegebenheiten in den verschiedenen Ländern stark eingeschränkt. Die Evidenzlage ist ins-gesamt und insbesondere bezüglich der Kriterien zum Therapieabbruch uneinheitlich und unzureichend.

Prävention

Da sich Ertrinkungsunfälle bei Kindern unter vier Jahren fast ausschliesslich im häuslichen Umfeld er-eig nen, gelten sie schon alleine durch konsequente Be-aufsichtigung als nahezu vollumfänglich vermeidbar. Die Absicherung von Schwimmbecken, Gartenbiotopen und Regenwassersammlern könnte zudem Schätzun-gen zufolge 80% aller Ertrinkungsunfälle verhindern. Der Verzicht auf Alkoholgenuss und Drogenmissbrauch, die Verwendung persönlicher Schutzausrüstung, die Einhaltung gewässerspezifischer Verhaltensregeln (z.B. Badeverbote in Fliessgewässern) sowie Warnun-gen, zum Beispiel über zu erwartende Strömungen, tragen zur Prävention von Unfällen bei Aktivitäten im und am Wasser bei (siehe z.B. www.bfu.ch) [8, 47, 48].Vor allem in Entwicklungsländern haben Programme zum Erlernen des Schwimmens und zur Selbstrettung eine signifikante Abnahme der Ertrinkungszahlen be-wirken können.

Rettung und präklinische Massnahmen

Bei der Rettung einer Person aus einem Gewässer brin-gen sich Ersthelfer und Einsatzkräfte potentiell in die gleiche Gefahr wie das Opfer. Während die Rettung aus einem Regenfass oder einer Badewanne problemlos vom Trockenen aus möglich ist, sollten bei grösseren Wasserflächen falls möglich immer Hilfsmittel einge-setzt werden. Diese können spontan aus vorhandenen Gegenständen improvisiert werden, oder professionelle Vorrichtungen wie Rettungsstangen und Rettungsge-räte mit Auftriebskörpern können Verwendung finden. Besonders risikoreich sind Rettungen aus teilweise zu-gefrorenen Gewässern. Hierfür müssen spezielle Stra-tegien erlernt werden. Retter sollten grundsätzlich persönliche Schutzausrüstung verwenden. Rettungs-aktionen werden zu zweit sicherer und erfolgreicher durchgeführt (Tab. 5) [49].Da es sich beim Ertrinken um eine primär respirato-rische Ursache für einen Kreislaufarrest handelt, kommt hier der Beatmung als Erstmassnahme die höchste Prio rität zu, erst dann folgen Thoraxkompres-sionen. Eine Schnappatmung («gasping») ist bei Er trin-kungs un fäl len ein spätes Anzeichen einer Hypoxie und nicht wie beim Kammerflimmern dessen Früh-symptom. Gemäss gültigen Empfehlungen der Ameri-can Heart Association (AHA) wird bei den Basic Life

Tabelle 4: Prognostische Faktoren für Versterben oder Überleben mit neurologischen Residuen.

1 Dauer der Submersion >5 min

2 Zeit bis zum Basic Life Support >10 min

3 Wiederbelebungsmassnahmen >25 min

4 Alter >14 Jahre

5 Glasgow Coma Scale <5 (d.h. komatös)

6 Persistierende Apnoe oder reanimationspflichtig beim Eintreffen auf der Notfallstation

7 Arterieller Blut-pH <7,1 beim Eintreffen auf Notfallstation

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ÜBERSICHTSARTIKEL 393

Support(BLS)-Massnahmen beim Ertrinken vom C(ircu-lation)-A(irway)-B(reathing)-Schema abgewichen zu-gunsten des von früher bekannten A-B-C [50]. Dieser Teil der AHA-Guidelines wurde anlässlich der Revision 2015 nicht geändert. Techniken zur Beatmung noch während der Rettung durch einen im Wasser befind-lichen Helfer sind nur dann sinnvoll, wenn ein rascher Transport auf das Trockene nicht möglich und der Hel-fer entsprechend ausgebildet ist.Eine Entfernung von Wasser aus der Lunge vor der arti-fiziellen Ventilation – durch welches Manöver auch immer (z.B. Heimlich-Manöver) – ist sinnlos und sogar kontraproduktiv. Die Inzidenz für Erbrechen während der kardiopulmonalen Reanimation (car-diopulmonary resuscitation, CPR) ist nach Ertrin-kungsunfällen mit 86% hoch. In diesem Fall wird der Kopf zur Seite gedreht, die Mundhöhle ausgeräumt, und die Massnahmen werden fortgesetzt [51].Der Einsatz eines Defibrillators ist hier weit weniger es-sentiell als bei den primär zirkulatorischen Ursachen eines Kreislaufstillstands und sollte keinesfalls den Begin n einer effizienten künstlichen Beatmung verzö-gern. Defibrillierbare Herzrhythmusstörungen werden nach den geltenden Richtlinien behandelt.Die Inzidenz für ein Trauma der Halswirbelsäule (HWS) ist mit 0,5% tief. Massnahmen zur Stabilisierung der HWS sind nur notwendig, wenn die Umstände auf ein

Trauma hinweisen oder klare Zeichen für eine entspre-chende Verletzung bestehen [52].Spontan atmende Patienten sollen Sauerstoff erhalten, wobei eine Sauerstoffsättigung von über 94% erreicht werden sollte. Bei Hypoxämie eignet sich der Einsatz einer nichtinvasiven Beatmung (noninvasive ventila-tion, NIV) über eine Maske. Sie ist eine gute Alternative zur Intubation. Es gelten keine speziellen Indikationen zum Einsatz künstlicher Atemwege [53].Mit dem – auch verzögerten – Auftreten lebensbe dro-hender Herzrhythmusstörungen muss gerechnet wer-de n, daher soll ein lückenloses EKG-Monitoring er fol g en [54]. Eine frühzeitige Messung der Körpertem-peratur soll stattfinden. Ihr Ergebnis kann die Wahl des Transportmittels und des Zielspitals hinblicklich der Verfügbarkeit einer extrakorporalen Zirkulation zur Wiedererwärmung beeinflussen. Zur maximalen Oxy-genierung bzw. zur schnellen Wiederaufwärmung können ECMO und Herz-Lungen-Maschine eingesetzt werden.Wegen anekdotischer Berichte ohne oder mit wenig Folgen überlebter sehr langer Intervalle zwischen Be-ginn des Ertrinkens und Rettung mit Aufnahme von BLS-Massnahmen, vor allem bei Kindern, kann ein Transport unter CPR sinnvoll sein. Die Entscheidung über die Beendigung der Wiederbelebung kann dann nach annähernder Wiederherstellung physiologischer Werte insbesondere der Körpertemperatur im Spital getroffen werden [55–57].

Empfehlungen für die Weiterbehandlung auf der Notfallstation

Während für Patienten nach erfolgreicher Reanima-tion die problemorientierte Weiterbehandlung nach intensivmedizinischen Standards für die Spitäler meist Routine darstellt und für Ertrinkungsopfer

keine speziellen Empfehlungen für diese Therapie-phase gegeben werden können, herrscht für asympto-matische Personen nach Ertrinken oft Unklarheit über die weitere medizinische Betreuung (Tab. 5) [58–60]. Sie sollten für mindestens acht Stunden überwacht wer-den. Sind die während dieser Zeit erhobenen Befunde des EKG, Labors (Serumelektrolyte, Kreatinin, Drogen-screening) und einer am Ende der Überwachungsperi-ode angefertigten Röntgenaufnahme der Thoraxorgane unauffällig, so ist nicht mit einer Verschlechterung zu rechnen. Bei völlig asymptomatischen Fällen kann auf Laboruntersuchungen verzichtet werden.

Tabelle 5: Spezielle Aspekte der Erstmassnahmen bei Ertrinken.

1 Selbstschutz für Ersthelfer bei Rettung in offenen Gewässerna) Hilfsmittel (Stangen, Boot, Schwimmhilfen) verwenden b) Nicht ins Wasser gehen, wenn möglich c) Rettungsaktionen zu zweit sicherer

2 Kreislaufarrest beim Ertrinken aus primär respiratorischer Ursachea) Beatmung hat als Erstmassnahme höchste Priorität b) Abweichen vom CAB-Schema zugunsten des früheren ABC-Schemas c) Sauerstoffzufuhr: Ziel O2-Sättigung >94% d) Bei fehlender Antwort: CPR nach Standard-Richtlinien

3 Heimlich-Manöver kontraindiziert (Risiko für zusätzliche Aspiration)

4 Defibrillationa) Sollte nicht Beatmung als Erstmassnahme verzögern b) Mit lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen muss gerechnet werden

EKG-Überwachungc) Defibrillierbare Rhythmusstörungen nach Richtlinien behandeln

5 Frühzeitige Messung der Körpertemperatur – Entscheidung Zielspital mit HLM

6 Intubationskriteriena) Gefährliche neurologische Verschlechterung b) Unmöglichkeit, die Atemwege freizuhalten c) Unmöglichkeit, PaO2 >60 mm Hg / O2-Sättigung >90% herzustellen/aufrechtzuerhalten d) Unmöglichkeit, PaCO2 <50 mm Hg herzustellen/aufrechtzuerhalten

7 Massnahmen im Spitala) Symptomatische Patienten stationär überwachen b) Asymptomatische Patienten: Entlassung nach acht Stunden, falls EKG,

O2-Sättigung, Labor und Röntgen-Thorax vor Austritt normal

Abkürzungen: CAB = Circulation Airway Breathing; ABC = Airway Breathing Circulation; CPR = cardio-pulmonany resuscitation; HLM = Herz-Lungen-Maschine.

Als Erstmassnahme steht die Ventilation im Zentrum, ansonsten gelten die aktuellen Empfehlungen zur CPR.

Korrespondenz: Dr. med. Martin Kraus Kardiologie FMH Fähigkeitszeugnis Tauchmedizin Rathausstr. 11 CH-8570 Weinfelden mkraus[at]hin.ch www.kardiologie- weinfelden.ch

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ÜBERSICHTSARTIKEL 394

Patienten ohne Symptome oder Patienten, die im Laufe der achtstündigen Überwachungszeit asympto-matisch wurden und eine normale Sauerstoffsättigung haben, können nach sorgfältiger Information und An-weisung, sich bei Problemen sofort zu melden, nach Hause entlassen werden. Kinder dürfen nur in die Ob-hut Erwachsener entlassen werden.Anhaltend symptomatische Patienten werden auf der Abteilung weiter überwacht, und Patienten in kriti-schem Zustand benötigen eine Betreuung auf der Inten-sivstation. Die weitere Diagnostik und Therapie richten sich dann nach den Symptomen und Befunden. Eine prophylaktische Antibiotikagabe hat sich nicht als wirkungsvoll erwiesen [10, 14]. Diese sollte nur nach Submersion in schwer verunreinigten Gewässern (wie z.B. Kanalisation) erwogen werden [61].

VerdankungWir bedanken uns bei Prof. Dr. med. Joseph Osterwalder, MPH (Chefarzt Zentrale Notfallaufnahme, Kantonsspital, 9007 St. Gallen) für die Durchsicht des Manuskripts und seine Anregungen.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Titelbild© Studio306 | Dreamstime.com

LiteraturDie vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.

Das Wichtigste für die Praxis

• Ertrinken ist eine der häufigsten unfallbedingten Todesarten und welt-

weit die häufigste Unfalltodesursache bei Kindern.

• Es bestehen folgende Risikofaktoren: Unfähigkeit zu schwimmen, Über-

schätzung der Schwimmfähigkeiten, Risikoverhalten, Alkohol- und Dro-

genkonsum, ungenügende Überwachung von Kindern, Hypothermie,

Epilepsie, Entwicklungsstörungen bei Kindern, unbekannte Herzrhyth-

musstörungen, Hyperventilation vor Apnoetauchen.

• Die Hauptschädigung der Organe ist in erster Linie durch Hypoxie

bedingt, daraus ergeben sich alle Folgeprobleme.

• Die Prognose wird verschlechtert durch: Submersionsdauer über fünf

Minuten, Zeit über zehn Minuten bis zum effizienten Basic Life Support,

Wiederbelebungsdauer länger als 25 Minuten, Alter über 14 Jahre,

Glasgow Coma Scale <5, persistierende Apnoe und Notwendigkeit für

kardiopulmonale Wiederbelebung beim Eintreffen auf der Notfallstation,

arterieller pH unter 7,1 bei Eintreffen auf der Notfallstation.

• Bei den Rettungsmassnahmen ist die Sicherheit des Retters essentiell.

• Als Erstmassnahme steht die Ventilation im Zentrum (Hypoxie als Grund-

problem), ansonsten gelten die aktuellen Empfehlungen zur kardiopul-

monalen Reanimation.

• Die Hypoxie spielt bei allen Aspekten des Ertrinkungsgeschehens eine

wichtige Rolle (Ursache, Komplikation, Problem bei den Erstmass-

nahmen und in der weiteren Behandlung). Die Beseitigung der Hypoxie

ist in allen Behandlungsphasen Grundlage und Ziel des therapeutischen

Handelns.

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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix

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AKTUELL 395

Die mechanische linksventrikuläre Unterstützung als valable und immer verfügbare Alternative

Herztransplantation quo vadis?David Reinekea, Lars Englbergera, Paul Mohacsib, Thierry Carrela

a Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie; b Universitätsklinik für Kardiologie; Inselspital Bern und Universität Bern

Weltweit leiden bis zu 25 Millionen Menschen an einer Herzinsuffizienz, deren steigende Prävalenz auf die Fortschritte der Medizin und die höhere Lebenserwar­tung der Bevölkerung zurückzuführen ist. Während es in den letzten 30 Jahren zu einer Reduktion der Morta­lität kardiovaskulärer Erkrankungen kam, stieg parallel markant die Inzidenz und Prävalenz der Herzinsuffi­zienz (Abb. 1) [1].Sind sämtliche konservativen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft, stellt die Herztransplantation auch heute noch die beste und anerkannteste Option für die Be­handlung der terminalen Herzinsuffizienz dar. Von knapp 200 000 Menschen mit einer Herzinsuffizienz in der Schweiz befinden sich etwa 5000 Patienten in der funktionellen Klasse NYHA III–IV [2]. Dieser Patienten­gruppe stehen schweizweit jährlich etwa 36 Spender­herzen zur Verfügung (Abb. 2). Während diese Zahl nun schon über mehrere Jahre sta­bil bleibt, haben sich hingegen die Anzahl derjenigen Pa tienten, die auf ein Organ warten, und die Wartezeit bis zum Erhalt eines passenden Organes allein in den letzten vier Jahren fast verdoppelt. Im Jahr 2002 betrug die durchschnittliche Wartezeit 79 Tage – und war da­mit die kürzeste der letzten 15 Jahre. Im Jahr 2008 waren es 257 Tage, im Jahr 2013 312 Tage (Abb. 3). Somit erklärt sich auch der wachsende Anteil von Patienten, die im Status der Hochdringlichkeit transplantiert werden müssen.

Diskrepanz zwischen Spenderorganen und Menschen auf der Warteliste

Betrachten wir Wartezeiten, Organangebote und Epi­demiologie, wird in Zukunft ein Spenderherz nur noch einer sehr umschriebenen Gruppe von Menschen zu­geteilt werden können. Diese zunehmende Diskrepanz zwischen benötigten Spenderorganen und Patienten auf der Warteliste hat in den letzten Jahren als Alter­native und zur Überbrückung bis zur Herztransplanta­tion die Implantation mechanischer Unterstützungs­systeme hervorgebracht. Während sowohl kurzfristige als auch langfristige Kunstherzsysteme existieren, werden wir uns hier auf Systeme des langfristigen Organersatzes beschränken, die in Zukunft auch als Konkurrenzverfahren gelten und somit die Ablösung der klassichen Therapie bei schwerster Form der Herzinsuffizienz, der Herztrans­plantation also, bedeuten könnten. Erst durch die kontinuierliche Miniaturisierung der Systeme ist hier von einer wahren Konkurrenz im Be­reich des Herzersatzverfahrens zu sprechen. Während frühere Systeme pulsatil arbeiteten, pneumatisch be­trieben wurden und allein aufgrund ihrer Dimension ausserhalb des Körpers liegen mussten (Abb. 4), bedeu­tete die Entwicklung axialer Rotationspumpen mit kon­tinuierlichem Blutfluss den Beginn einer neuen Zeit­rechnung.

Endgültige Lösung für die Patienten

Diese Systeme können nun direkt an der Herzspitze des linken Ventrikels angeschlossen werden und finden

David Reineke

Abbildung 1: Abnahme der Mortalität bei kardiovaskulären Erkrankungen und parallel

Zunahme der Prävalenz und Inzidenz der Herzinsuffizienz.

Abkürzungen: CV = cardiovascular; HF = heart failure. Quelle: CDC National Center

for Health Statistics and National Heart, Lung and Blood Institute.

Coronary deaths are downby half

But heart failure has almosttripled

heart failurecoronary deaths

Enhanced survival in other CV diseases leads to expansion of HF Population

400

350

300

250

200

150

100

50

0

1200

1000

800

600

400

200

01980

1980 1990 20001990 2000

Abbildung 2: Herztransplantationen in der Schweiz zwischen

2010 und 2015; in Klammern die Fälle, die mit hoher

Dringlich keit transplantiert wurden.

Aus: Swisstransplant-Jahres bericht 2015, www.swisstrans-

plant.org. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Anzahl der Herztransplantationen pro Zentrum/ davon im Urgent-Status

2010 2011 2012 2013 2014 2015

Bern 10/4 10/3 10/3 12/3 9/4 14/2

CURT Lausanne 13/2 12/2 14/2 11/2 11/4 12/2

Zürich 12/2 14/3 11/3 10/2 16/4 14/3

Total 35/8 36/8 35/8 33/7 36/12 40/7

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):395–398

AKTUELL 396

erstmalig intrathorakal im Perikard Platz. Ein trans­kutan ausgeleitetes Steuerkabel ermöglicht die Strom­versorgung und die Steuerung über ein handliches Kontrollgerät. Der klinische Erfolg spiegelt sich vor al­lem in der langfristigen Entlassung nach Hause wider und in der Zulassung der Systeme für die Destination-Therapie. Im Gegensatz zur Bridge to Transplant-Thera-pie, die als überbrückende Massnahme bis zum Erhalt eines geeigneten Organs gedacht ist, handelt es sich bei der Destination-Therapie um eine endgültige Lösung für den Patienten.

Der weitere Schritt der Miniaturisierung gipfelte in den Systemen der dritten Generation. Diese Zentri­fugalpumpen sind kombiniert elektromagnetisch und hydrodynamisch gelagerte Impeller, die abhängig von Vor­ und Nachlast Flussraten von bis zu 8–10 l/min er­reichen und auch eine gewisse Pulsatilität erzeugen können, die vor allem bei sehr langen Unterstützungs­zeiträumen vor Blutungskomplikationen und Klap­penundichtigkeiten schützen soll. Hauptvertreter sind hier das HeartWare®­System und in naher Zukunft auch das Thoratec HeartMate 3™ (Abb. 5). Da die Transplantationsergebnisse durch den zuneh­mend hohen Anteil an Patienten im Hochdringlich­keitsstatus leiden werden, stellt sich die Frage, inwiefern in den nächsten Jahren die aktuelle und kommende Generation der Unterstützungssysteme der Transplan­tation Konkurrenz machen wird. In aller Regel gilt bei Patienten nach Herztransplantation ein Einjahres­überleben von über 80% als anzustrebendes Minimal­ziel, das in den letzten Jahren in den internationalen Statistiken konstant erreicht werden konnte [3]. Hier­bei muss betont werden, dass der Anteil der USA mit grossem Spenderpool und niedrigen Wartezeiten diese Ergebnisse massgeblich positiv beeinflusst. Betrachtet man hingegen deutsche Ergebnisse mit eklatantem Spenderrückgang und grossem Anteil an Transplanta­tion im Hochdringlichkeitsstatus, sieht man eine er­schreckende Ergebnisverschlechterung mit unter 80% Überleben im ersten Jahr (Abb. 6).Diese Ergebnisverschlechterung liegt zum einen an dem schlechteren Allgemeinzustand von einem über­proportional grossen Anteil von Spendern im Hoch­dringlichkeitszustand und gleichzeitig natürlich auch am Organangebot und der Akzeptanz von qualitativ schlechteren Organen bei allgemein schlechtem Ange­bot. Vergleicht man diese Zahlen mit den schweiz­weiten Transplantationsergebnissen, so sieht man, dass sich die Ergebnisse genau an dieser «magischen» Grenze von 80% befinden und somit auch beginnen, dem internationalen Vergleich hinterherzuhinken (Abb. 7) [4].

Abbildung 4: Extrakorporelles biventrikuläres pulsatiles Herzunterstützungssystem

(wird heute nur noch sehr selten eingesetzt). Bildquelle: Universitätsspital Bern.

Abbildung 3: Anzahl Patienten auf der Warteliste für eine Herztransplantation in der Schweiz zwischen 2006 und 2015

sowie Entwicklung der durchschnittlichen Wartezeit.

Aus: Swisstransplant-Jahresbericht 2014, www.swisstransplant.org. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

1. Anzahl Patienten auf der Warteliste nach Organ (eingeschrieben am 1. Januar)

2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Herz 24 23 23 19 20 31 36 57 59 69

2. Durchschnittliche Wartezeit der Patienten auf der Warteliste bis zur Transplantation nach Organ (in Tagen)

2010 2010Median

2011 2011Median

2012 2012Median

2013 2013Median

2014 2014Median

Herz 210 107 242 202 172 94 312 276 302 287

Abbildung 5: Beispiel von zwei intrakorporellen Systemen mit kontinuierlichem Fluss.

A: HeartWare® HVAD® Pump. B: HeartMate 3TM von Thoratec / St Jude Medical.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Firma HeartWare.

A B

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AKTUELL 397

Wie kann der Trend von schlechteren Transplantationsergebnissen aufgehalten werden?

Somit scheint uns die Frage berechtigt, wie und mit welcher Technologie dieser Trend aufgehalten werden kann. Wie schneiden im Vergleich Patienten mit modernen Kunstherzen der 3. Generation ab? Hier ist es sinnvoll, Langzeitergebnisse, aber auch beeindru­ckende Kurzzeitergebnisse zu beleuchten. Während bei Patienten mit Kunstherzen der 1. und beginnenden 2. Generation das Operationstrauma samt Blutungs­komplikation zu einer recht hohen Morbidität und Mortalität geführt hat, zeigen aktuelle Studien, dass die Implantation bei Geräten der 3. Generation extrem problemlos ist. Exemplarisch kann man die gerade abgeschlossene Zulassungsstudie des HeartMate 3™ anführen. Von 50 Patienten, die überbrückend oder als Destination­Lösung dieses Kunstherz der letzten Gene­ration erhielten, überlebten 92% die ersten sechs Monate. Hierfür sind natürlich auch die minimalinva­siven Implantationsmöglichkeiten über eine antero­laterale Thorakotomie mit partieller Sternotomie mit­verantwortlich, die das operative Trauma massgeblich verringern können. Auch die 1­, 3­ und 5­Jahres­Ergebnisse mit Systemen der jüngeren 2. und frühen 3. Generation sind vielver­sprechend. Hier leben nach einem Jahr weit über 80%, nach drei Jahren 75% und nach fünf Jahren 61% der Patien ten. Am Langzeitüberleben werden sich, um von einer wirklichen Konkurrenzfähigkeit sprechen zu können, vor allem aktuelle Gerätegenerationen mes­sen müssen.

Blick in die Zukunft

Somit stellt sich die Frage, wie die Zukunft der Herz­transplantation aussieht. Wie ist der aufgeführte Nega­tivtrend aufzuhalten? Eine Änderung der Gesetzge­bung bei der Organspende von der gegenwärtig gültigen Zustimmungsregel hin zur erweiterten Widerspruchs­lösung ist aktuell nicht zu erwarten. Hierdurch könn­ten gegebenenfalls die Anzahl der Multiorganspende­rinnen und ­spender zunehmen.Denkbar ist vielmehr, den Zuteilungsalgorithmus zu überdenken. Hier könnte in Erwägung gezogen wer­den, in Zukunft keine Patienten mehr im Hochdring­lichkeitsstatus zu transplantieren, sondern diese zu­nächst überbrückend oder auch ad ultimo mit einem Kunstherzen zu versorgen. Würden lediglich stabile, für die Transplantation geeignete Patienten ein Spen­derorgan erhalten, kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse der Herztransplantation schnell

Abbildung 6: Deutliche Abnahme der Anzahl Herztransplantationen in Deutschland

und Funktionsraten in Abhängigkeit der Zeit nach der Transplantation.

Aus: www.dso.de. Deutsche Stiftung für Organtransplantation.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Heart transplantation1994–2014

Funktionsrate* nach Herztransplantation (CTS-Studie)2003–2012 DEUTSCHLAND IM INTERNATIONALEN VERGLEICH

100

90

80

70

60

50

PROZENT

International(n = 12,733)

Deutschland(n = 2,647)

1 Jahr 2 Jahre 3 Jahre 4 Jahre 5 Jahre

* nach Kaplan-Meier DSO 47

Heart-lung-transplantations are excluded © DGTHG-Leistungsstatistik 2014

700

600

500

400

300

200

100

094 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14

447 476 497 523 526474

386410370 374 384 381 389 376 369 347

379 355 327 301 294

Abbildung 7: Ergebnisse der Herztransplantation in der Schweiz im Vergleich mit der

Transplantation anderer Organe. Die Überlebensrate nach Herztransplantation beträgt

ca 80% nach 5 Jahren.

Aus: Annual Swiss Transplant Cohort Study report (May 2008 – Dec 2012), August 2013.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Figure 23: Overall survival for frequent Tpx types

Ove

rall

surv

ival

pro

bab

ility

Time since Tpx (in years)

KidneyLiverLungHeartIsletsKidney – Pancreas

1

0,8

0,6

0,4nat risk

0 0,5 1,5 2,5 3,5 4,51 2 3 4 5

12014262091532352

11733911901262251

10823511701142148

959301140991941

828242106801536

71120084641430

59616761541425

47813444411219

3228827241012

18754161398

61193414

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AKTUELL 398

wieder die internationalen Vergleichszahlen erreichen würden. Mit Hilfe des klugen Einsatzes der modernen Kunst­herztherapie wird es möglich sein, den medizinischen Druck auf der Warteliste zu reduzieren und die Anzahl der Patienten, die im Hochdringlichkeitsstatus mit schlechter Aussicht eine Transplantation erhalten würden, zu verringern. Bei lediglich 36 Spenderherzen im Jahr ist es fraglich, inwiefern diese in Situationen mit sehr unklarem Ausgang eingesetzt werden dürfen. Das sind wir den Spendern schuldig.

Technischer Ausblick

Mit der neuesten Generation der Kunstherzen ist ein Niveau der Implantierbarkeit erreicht, das bei den kurz­ und mittelfristigen Ergebnissen kaum zu über­treffen ist. Eine weitere Miniaturisierung ist geplant, wird jedoch auch kritisch beäugt. Die Fortentwicklung der letzten HeartWare®­Generation, das sogenannte MVAD® (Abb. 8), ist sicherlich verführerisch klein, bringt aber durch extrem hohe Drehzahlen (RPM) und technische Komplexität das Risiko grösserer Fehleran­fälligkeit im Langzeitgebrauch mit sich; ein Bereich, in dem sich zeigen wird, ob die moderne Kunstherzthera­pie eine Alternative zum Goldstandard werden kann.Verbesserungsbedarf besteht vor allem in der Entwick­lung der Batterien zur Erhöhung der Autonomie des Patienten und in der Beseitigung des Antriebskabels als grosser Infektquelle. Hier wäre die kabellose Daten­ und Energieübertragung eine wichtige Zielsetzung.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Literatur1 McMurray J, Adamopoulos S, Anker S, et al. ESC Guidelines for the

diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2012: The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Acute and Chronic Heart Failure 2012 of the European Society of Cardiology. Developed in collaboration with the Heart Failure Association (HFA) of the ESC. Eur Heart J. 2012;33:1787–847.

2 Swisstransplant Jahresbericht 2013, www.swisstransplant.org3 ISHLT Transplant Registry Quarterly Reports for Heart: Survival

Rates for Transplants performed between April 1, 2010 and March 31, 2014. Based on UNOS/ISHLT data as of March 27, 2015.

4 Annual Swiss Transplant Cohort Study report (May 2008–Dec 2012), August 2013.

5 Takeda K, Takayama H, Kalesan B, et al. Long­term outcome of patients on continuous­flow left ventricular assist device support. J Thorac Cardiovasc Surg. 2014;148:1606–14.

6 Sabashnikov A, Mohite P, Weymann A et al. Outcomes after implantation of 139 full­support continuous­flow left ventricular assist devices as a bridge to transplantation. Eur J Cardiothorac Surg. 2014;46:e59–66.

Korrespondenz: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Thierry Carrel Universitätsklinik für Herz­ und Gefässchirurgie Inselspital und Universität Bern CH­3010 Bern thierry.carrel[at]insel.ch

Abbildung 8: Weitere Miniaturisierung bei den intrakorporellen Pumpen

(HVAD® und MVAD® von HeartWare®). RPM = revolutions per minute.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Firma HeartWare.

HeartWare® HVAD® and MVAD®

Flow 2–10 l/min

RPM 1,800–4,000 12,000–24,000

1–8 l/min

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WAS IST IHRE DIAGNOSE? 399

Eine seltene und schwierige Diagnose, die eine rasche Behandlung erfordert

Ein Zahnradphänomen mit FieberAngelica Anichinia, Julie Delaloyeb, Arseny A. Sokolovc, Vanessa Kraegea

a Abteilung für Innere Medizin, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), Lausanne; b Abteilung für Infektionskrankheiten, CHUV, Lausanne;c Neurologische Abteilung, Departement für klinische Neurowissenschaften, CHUV, Lausanne

Fallbeschreibung

Ein 72-jähriger Patient kommt in die Notaufnahme, weil er seit drei Tagen an einer verlangsamten Psycho-motorik sowie Bewegungsschwierigkeiten mit diffuser Rigidität leidet. Beim Patienten bestehen eine arterielle Hypertonie und Hypercholesterinämie, die beide be-handelt sind, sowie eine chronische Niereninsuffizienz im Stadium III und eine Arteriopathie der unteren Extremitäten. Der Patient konsumiert fünf Einheiten Alkohol pro Tag und leidet seit sieben Jahren an sich progressiv verschlechternden Kognitionsstörungen. Seine Medikation umfasst überdies Acetylsalicylsäure und Johanniskrautpräparate. Bei der Hospitalisierung werden Fieber (38,5 °C), eine normale Herzfrequenz (74/min), Tachypnoe (32/min) und Sauerstoffsättigung bei Raumluft von 88% und ein erhöhter Blutdruck (160/90 mm Hg) festgestellt. Der Patient ist bradypsychisch und zeitlich desorientiert. Seine Vigilanz schwankt und ist durch Phasen von Som-nolenz und Benommenheit gekennzeichnet. Bei der Un-tersuchung werden eine plastische Rigidität am Rumpf und an den Extremitäten mit asymmetrischem Zahn-radphänomen (vor allem am linken Arm) sowie ein Haltetremor der linken Hand beobachtet. Es liegt kein Meningismus vor. Der übrige Befund liefert keine wei-teren Hinweise, ausser einer kleinen erythematösen Läsion am Rücken.Bei der Laboruntersuchung werden Elektrolytstörungen festgestellt: Magnesium 0,59 mmol/l (Norm 0,65–1,10), Kalium 3,3 mmol/l (Norm 3,5–4,6), Phosphat 0,70 mmol/l (Norm 0,80–1,40), Vitamin B12 112 pmol/l (Norm 133–678) sowie ein relativer Folatmangel (8,2 nmol/l, Norm 7–45,1). Blutzucker, Ammonämie und TSH-Wert sind normal, die Nierenfunktion ist im Vergleich zu den üblichen Werten stabil (Kreatinin 150 μmol/l, Norm 62–106), der Wert des C-reaktiven Proteins (CRP) beträgt 8 mg/l (Norm <10) und die Sedimentationsgeschwindigkeit 15 mm/h (Norm <10) ohne Leukozytose. Blutbild und Hämostaseparameter liegen im Normbereich. Die Blutgasanalyse ergibt eine leichte respiratorische Alka-lose mit Hypoxie. Die Urinuntersuchung mittels Test-streifen, das Elektrokardiogramm und die Röntgen-Thorax-Untersuchung ergeben unauffällige Befunde. Bei der Abdomenübersichtsaufnahme wird ein Feka-lom festgestellt.

Frage 1: Initiale Differentialdiagnose: Was ist am wenigsten wahrscheinlich? a) Dekompensation eines Parkinson-Syndroms

oder einer Parkinson-Krankheitb) Serotonerges Syndromc) (Meningo-)Enzephalitis (infektiös, autoimmun

oder paraneoplastisch)d) Metabolische Enzephalopathiee) Psychogene Ursache (maligne Katatonie)

Eine psychogene Ursache ist eine Ausschlussdiagnose, für die nur wenige Argumente vorliegen. Die Dekompen sation einer idiopathischen Parkinson-Krankheit oder eines Parkinson-Syndroms anderer Ur-sache ist möglich. Von einem Parkinson-Syndrom des Patienten ist jedoch nichts bekannt, und die Vigilanz-störungen entsprechen nicht dem typischen Bild einer Dekompensation einer Parkinson-Krankheit. Die Mus-kelrigidität könnte durch ein serotonerges Syndrom erklärbar sein: Es wird klassischerweise als eine Trias kognitiv-behavioraler, neuro vegetativer und neuro-muskulärer Symptome beschrieben, die häufig symme-trisch und vornehmlich an den unteren Extremitäten auftreten. Das Johanniskraut, von dem angenommen wird, dass seine klinische Wirkung auf der Hemmung der präsynaptischen Wiederaufnahme von Noradre na-lin, Serotonin und Dopamin beruht, kann dieses Syn-drom bei Patienten, die mit Serotonin-Wiederaufnah-mehemmern behandelt werden, verursachen. Es wird deshalb abgesetzt. Eine infektiöse oder durch andere Ur-sachen bedingte Enzephalitis kann verschiedene neuro-logische Symptome auslösen. Als atypisches Symptom kann etwa ein extrapyramidales Syndrom auftreten, besonders im Rahmen einer Virusinfektion [1]. Darüber hinaus können eine systemische Infektion oder meta-bolische Störung eine Enzephalopathie mit Verwirrt-heitszustand verursachen.

Frage 2: Welche Untersuchung ist in erster Linie durchzuführen? a) Schädel-CTb) Lumbalpunktionc) Elektroenzephalogramm (EEG)d) Fachärztliche Ophthalmoskopiee) Toxikologische Untersuchung des Urins

Angesichts von Vigilanzstörungen und neurologischen Fokalzeichen ist vor einer Lumbalpunktion die Anwen-dung bildgebender Verfahren zur Untersuchung des zen-tralen Nervensystems indiziert, um das Risiko sekun-Angelica Anichini

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):399–401

WAS IST IHRE DIAGNOSE? 400

därer zerebraler Komplikationen auszuschliessen. Auch bei eindeutigen klinischen Hinweisen auf erhöhten intra kraniellen Druck, diagnostischer Unsicherheit, Epi-lepsie oder einem Infektionsherd, bei dem ein Hirn-abszess als Komplikation auftreten könnte (Otitis media, Sinusitis, Zahnabszess, Lungenabszess oder -empyem), werden bildgebende Verfahren empfohlen. Später wer-den ein Elektroenzephalogramm und eine Ophthalmo-skopie durchgeführt. Aktuell liegen wenige Argumente für einen Arzneimittelmissbrauch vor.Der Schädel-Scan zeigt eine diffuse Atheromatose und multiple Aneurysmen, allerdings ohne hämorrhagi-sche oder ischämische Läsion und ohne Masseneffekt.

Frage 3: Was ist vor der Lumbalpunktion zu tun?

a) Behandlung mit Ceftriaxon beginnen

b) Behandlung mit Piperacillin/Tazobactam beginnen

c) Behandlung mit Ceftriaxon und Dexamethason beginnen

d) Lumbalpunktion sofort durchführen

e) Neurochirurgische Bewertung anfordern

Besteht der Verdacht auf Meningitis, mit Blutdruckab-fall, Ateminsuffizienz, rasch fortschreitendem maku-lopapulösem Hautausschlag, Petechien oder Zeichen disseminierter intravasaler Gerinnung, muss unver-züglich und noch vor der Lumbalpunktion eine in-travenöse Behandlung mit Ceftriaxon begonnen wer-den. In Anbetracht der positiven Wirkung von Dexamethason auf die Morbidität und Mortalität bei Meningitis durch Haemophilus influenzae oder Strepto-coccus pneumoniae, wird in solchen Situationen vor der ersten Antibiotikadosis oder spätestens gleichzei-tig eine intravenöse Verabreichung empfohlen. Liegt aufgrund neurologischer Fokalzeichen der Verdacht auf Meningoenzephalitis vor, ist vor der Lumbalpunk-tion eine zusätzliche Behandlung mit Aciclovir mit oder ohne Amoxicillin in Betracht zu ziehen. Da in die-sem Fall dafür keine Anzeichen vorhanden sind, wird die Therapie bis zum Erhalt der Ergebnisse der Lumbal-punktion verschoben. Eine neurochirurgische Bewer-tung der Aneurysmen ist vor der Lumbalpunktion nicht erforderlich.Die Hautläsion am Rücken hat sich bläschenförmig verändert und breitet sich innerhalb weniger Stunden aus (Dermatom T10 rechts).

Frage 4: Welcher Schritt ist als Nächstes am dringendsten

geboten? a) Dermatologische Bewertung anfordernb) Untersuchung des Autoimmunstatus einleitenc) Behandlung mit Aciclovir beginnen, in Erwartung

der Ergebnisse der Lumbalpunktiond) Kontaktisolation in der näheren Umgebung des Patienten

gewährleistene) Kontakt- und Tröpfchenisolation gewährleisten

Aufgrund des Enzephalitisverdachts mit Nachweis einer Gürtelrose wird eine empirische Therapie durch intrave-nöse Gabe von Aciclovir begonnen, bevor die Ergebnisse der Lumbalpunktion bekannt sind. Infolge des typi-schen Aussehens der Läsionen ist weder eine dermato-logische Bewertung noch eine Untersuchung des Auto-immunstatus erforderlich. Ein Verdacht auf bakterielle Meningitis bedingt eine Tröpfchenisolation in den ers-ten 24 Stunden der Antibiotikatherapie. Bei einer Gürtel-rose ist zwar keine Isolation vorgeschrieben, der Kontakt mit immunsupprimierten Patienten und Schwangeren ist jedoch unbedingt zu vermeiden.Die Analyse des klaren Liquor cerebrospinalis ergibt: Eiweisskonzentration 1306 mg/l (Norm 150–460), Gluko-sekonzentration 2,3 mmol/l (Norm 2,5–4,4, entspricht >60% der Blutzuckerkonzentration; keine gleichzeitige Blutzuckerbestimmung), L-Laktat 2,88 mmol/l (Norm 1,3–2,6), Pleozytose (165 × 106 Zellen/l, Norm 0–4 Zellen/µl), davon 89% Lymphozyten, sowie Abwesenheit gram-gefärbter Bakterien.

Frage 5: Welche Therapie ist aufgrund dieser Ergebnisse

am besten geeignet?

a) Aciclovir und Amoxicillin

b) Aciclovir und Ceftriaxon

c) Keine Änderung der Therapie vor den Ergebnissen

der Polymerase Chain Reaction (PCR) und der Kulturen

d) Aciclovir durch Valaciclovir ersetzen

e) Aciclovir absetzen, Ceftriaxon beginnen

Die lymphozytäre Pleozytose, die erhöhte Eiweisskon-zentration und die beinahe normalen Glukose- und Lak-tatkonzentrationen deuten auf einen viralen Ursprung hin. Auch eine Listeriose ist in Betracht zu ziehen. Des-halb werden PCR-Tests auf Viren (Enteroviren, HSV-1 und -2, VZV) und Listerien durchgeführt. Bis die Ergeb-nisse vorliegen, werden eine An ti biotikatherapie mit Amoxicillin eingeleitet und weiterhin Aciclovir verab-reicht. In zwei Dritteln der Fälle wird Listeria monocy-togenes bei der Gramfärbung des Liquors nicht sicht-bar, sollte indes durch Bakterienkultur nachweisbar sein. Weitere Faktoren, die bei diesem Patienten auf diesen Mikroorganismus hinweisen, sind das Alter von über 50 Jahren und der riskante Alkoholkonsum.Der PCR-Test auf das Varizella-Zoster-Virus (VZV) im Liquor und jener des Hautabstrichs sind positiv (237 Ko-pien/ml bzw. 680 Kopien/ml). Die anderen PCR-Ana ly-sen fallen negativ aus, und die Zellkulturen des Liquo rs bleiben steril. Eine Schädel-MRT zeigt eine vaskuläre Leukenzephalopathie und eine ausgeprägte mes enze-phale Atrophie ohne Anzeichen einer Enzephalitis, un-ter Vorbehalt der schlechten Untersuchungsqualität. Das EEG zeigt eine unauffällige Enzephalopathie, die in-des mit keiner Irritation einhergeht. Ein HIV-Test fällt

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):399–401

WAS IST IHRE DIAGNOSE? 401

negativ aus. Das Amoxicillin wird folglich abgesetzt, die Aciclovir-Behandlung zehn weitere Tage fortge-setzt, in deren Verlauf eine günstige Entwicklung zu beobachten ist.

Diskussion

Die VZV-bedingte Meningoenzephalitis tritt vor allem bei immunsupprimierten und nur selten bei immun-kompetenten Patienten auf. Sie ist sowohl als Primär-infektion als auch im Rahmen einer Gürtelrose zu be-obachten. Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass die durch die Reaktivierung der VZV ausgelösten neuro-logischen Komplikationen häufiger sind als bisher an-genommen [2]. Nach Enteroviren und HSV-2 sind VZV die dritthäufigste Ursache viraler Meningoenzephali-tiden [2], bei Asiaten sogar die zweithäufigste nach den Enteroviren (Häufigkeit 5–29%). Seit Einführung der PCR-Tests auf VZV zu Beginn der 1990er Jahre ist die Zahl der diagnostizierten Fälle gestiegen, allerdings sind nur wenige epidemiologische Studien verfügbar. In einer aktuellen schweizerischen Studie wird die Inzi-denz zerebraler Komplikationen infolge VZV-Infektio-nen auf 1,02 Fälle pro 100 000 Einwohner geschätzt [2].Die neurologischen Symptome treten typischerweise einige Tage nach dem Hautausschlag auf. Sie können ihm aber auch vorangehen, erst bis zu sechs Monate danach beginnen oder als Komplikation einer VZV- Reaktivierung ohne charakteristischen Hautausschlag erscheinen (Zoster sine herpete). Die Lumbalpunktion ergibt normalerweise einen klaren Liquor mit Merk-malen einer Virusinfektion (lymphozytäre Pleozytose, leicht erhöhte Protein- und Laktatkonzentration). Die Diagnose beruht auf dem Nachweis durch PCR [3]. Allerdings ist zu bedenken, dass aufgrund eines positi-ven PCR-Tests auf VZV im Liquor nicht zwangsläufig eine VZV-Meningoenzephalitis zu diagnostizieren ist: Tatsächlich kann eine sehr geringe Zahl von Kopien – wie bei unserem Patienten – mit einer Gürtelrose ver-einbar sein. Bevor die Diagnose einer VZV-Meningo-enzephalitis gestellt wird, müssen die klinischen Symptome und das Ergebnis des EEG und der MRT be-rücksichtigt werden. Aufgrund der Wirksamkeit bei anderen Manifestatio-nen des VZV wird als Therapie die intravenöse Gabe hoher Dosen von Aciclovir empfohlen, auch wenn die Wirksamkeit dieser Behandlung noch in keiner bedeu-tenden klinischen Studie nachgewiesen wurde [4]. Die Mortalität der VZV-Enzephalitis beträgt 5–15%; bei 10–50% der Überlebenden treten chronische Folgeschäden auf [2]. Zostavax®, ein Varizellen-Lebendimpfstoff, ist seit 2008 in der Schweiz erhältlich und wird als Einmal-dosis subkutan verabreicht. Anders als in den USA und

zahlreichen europäischen Ländern wird er jedoch noch nicht empfohlen, sondern zurzeit evaluiert. In mehre-ren Studien wurden die Wirkung, die Sicherheit und das positive Kosten-Nutzen-Verhältnis nachgewiesen, besonders bei immunkompetenten über 70-Jährigen.Die neurologischen Symptome einer VZV-Meningo-enzephalitis sind vielfältig [2]. Darüber hinaus ist eine mit sekundären ischämischen Zerebralläsionen ein-hergehende Vaskulopathie häufig [5]. Es liegen Berichte über ein extrapyramidales Syndrom im Zusammen-hang mit einer VZV-Enzephalitis vor [1], allerdings auf-grund primär-entzündlicher oder sekundär-ischämi-scher Läsionen des Striatums, die bei diesem Patienten nicht nachzuweisen waren. Die extrapyramidale Stö-rung wird also im Zusammenhang mit einer begin-nenden, noch ohne strukturelles Korrelat auftretenden VZV-Meningoenzephalitis gesehen oder im Rahmen der Dekompensation eines vorbestehenden Parkinson-Syndroms aufgrund einer Infektion. Die asymmetrische Manifestation und die mesenzephale Atrophie sprechen für die zweite Interpretation. Darüber hinaus wird der weitere Verlauf dazu beitragen können, die Ursache der extrapyramidalen Symptomatologie zu klären.Als Fazit ist festzuhalten, dass eine VZV-Meningoenze-phalitis äusserst selten ist. Die Diagnose ist sehr schwie-rig, vor allem, weil die PCR im Liquor positiv ausfallen und auf eine Gürtelrose ohne Störung des Zentralner-vensystems hindeuten kann. Angesichts der ungünsti-gen Prognose und besonders bei immunsupprimierten Patienten muss die Indikation für eine Behandlung rasch evluiert werden.

DanksagungDie Autoren möchten sich bei Prof. G. Waeber für seine wertvollen Ratschläge und Kommentare bedanken.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Literatur1 Jantsch J, Schmidt B, Bardutzky J, Bogdan C, Eckardt K, Raff U.

Lethal varicella-zoster virus reactivation without skin lesions following renal transplantation. Nephrol Dial Transplant. 2011;26:365–8.

2 Becerra JCL, Sieber R, Martinetti G, Costa ST, Meylan P, Bernasconi E. Infection of the central nervous system caused by varicella zos-ter virus reactivation: a retrospective case series study. Int J Infect Dis. 2013; 17(7):e529–34.

3 Steiner I, Kennedy PG, Pachner AR. The neurotropic herpes viruses: herpes simplex and varicella-zoster. Lancet Neurol. 2007;6(11):1015–28.

4 Steiner I, Budka H, Chaudhuri A, Koskiniemi M, Sainio K, Salonen O. Viral meningoencephalitis : a review of diagnostic methods and guidelines for management. Eur J Neurol. 2010;17:999–1009.

5 Gilden D, Cohrs R, Mahlingam R, Nagel M. Varicella zoster virus vasculopathies: diverse clinical manifestations, laboratory features, pathogenesis, and treatment. Lancet Neurol. 2009;8:731–40.

Korrespondenz: Dr. med. Angelica Anichini Médecin Assistant Service de médecine interne CHUV, Rue du Bugnon 46 CH-1011 Lausanne Angelica.Anichini[at] chuv.ch

Antworten auf die Fragen

Frage 1: e. Frage 2: a. Frage 3: d. Frage 4: c. Frage 5: a.

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):399–401

FALLBERICHTE 402

Ungewöhnliche Manifestation eines primären Hyperparathyreoidismus

Steinharte WadenMatthias Birrera, Robert Escherb, Ivo Bergmannb, Rupert Langerc, Bernard Chappuisb

a emme-praxis, Kirchberg; b Klinik für Innere Medizin, Spital Emmental, Burgdorf; c Institut für Pathologie, Universität Bern

Zusammenfassung

Wir berichten über eine Patientin mit hyperkalzämi-scher Krise bei primärem Hyperparathyroidismus. Der Fall ist aufgrund der Initialsymptome, der klinischen Befunde – insbesondere den subkutanen Kalzifikatio-nen – und dem Verlauf mit rascher Progredienz einer Niereninsuffi zienz bei Nephrokalzinose ausserge-wöhnlich.

Einleitung

Subkutane Verkalkungen sind bei sekundärem Hyper-parathyroidismus und terminaler Niereninsuffizienz im Rahmen einer Kalziphylaxie (calcific uremic arterio-lopathy) [1] oder einer urämisch-tumorösen Kalzinose [2] bekannt. Nicht so beim primären Hyperparathyreo-idismus. Vielmehr werden hier Weichteilverkalkungen unter anderem der Niere sowie peri- und intra artikulär beschrieben [3].

Fallbericht

Anamnese und klinische BefundeEine 73-jährige Patientin wurde uns notfallmässig durch ihren Hausarzt zugewiesen mit der Verdachts-diagnose einer zerebrovaskulären Durchblutungsstö-rung bei akut aufgetretener Dysarthrie, Falltendenz und generalisierter Schwäche mit konsekutiver Immo-bilisation. Die Angehörigen berichteten zudem über Vomitus und Polyurie seit fünf Tagen. Bei Eintritt zeigte sich eine afebrile, normotensive Patien tin in reduziertem Allgemeinzustand, mit ver-waschener Sprache, benommener Bewusstseinslage und zeitlicher Desorientiertheit. Im Status konnten keine fokal-neurologischen Ausfälle erhoben werden. Auffällig waren Zeichen der Dehydratation, eine ver-grösserte Schilddrüse sowie palpatorisch steinharte flächige Verhärtungen des subkutanen Gewebes der unteren Extremitäten, vor allem der rechten Wade, die sich wie Kalkplatten anfühlten. Diese waren auf Druck indolent. Die darüber liegende Haut war intakt und ohne Hinweise für Läsionen wie Ulzerationen oder Nek-rosen. Sensibilität und Durchblutung waren unauffäl-lig, ebenso die Lymphknotenstationen. Der hausärztlichen Dokumentation war zu entnehmen, dass bei der Patientin vor elf Jahren wegen Urolithiasis

eine ureterorenoskopische Steinentfernung rechts er-folgt war. Folgende weitere Diagnosen waren vermerkt: Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2 (unter Biguanid und Sulfonamid), arterielle Hypertonie (unter ACE-Hemmer und Thiaziddiuretikum) und Dyslipidämie (unter Statin). Die Patientin wurde zudem primärpro-phylaktisch mit Acetylsalicylsäure behandelt.

DiagnostikLaborchemisch fanden sich bei Eintritt ein korrigiertes Kalzium von 6,01 mmol/l (Norm 2,20–2,55), ein ionisier-tes Kalzium von 3,28 mmol/l (Norm 1,13–1,32) sowie ein Phosphat von 1,97 mmol/l (Norm 0,87–1,45). Daraus errechnete sich ein Kalzium-Phosphat-Produkt von 11,83 mmol2/l2. Das Parathormon (PTH) war mit 2115 ng/l (Norm 15,0–65) massiv erhöht. Das 25-OH-Vitamin D lag bei 25 nmol/l (Norm 50–200), das Kreatinin bei 277 µmol/l (Norm 45–84), einer eGFR von 15 ml/min/1,73 m2 (Norm >60) entsprechend, und der Harn-stoff bei 23 mmol/l (Norm 0,0–11,9). Zwei Monate vor Eintritt wurde noch ein Kreatinin von 105 µmol/l gemessen.

EintrittsbeurteilungWir stellten die Arbeitshypothese einer hyperkalzämi-schen Krise bei primärem Hyperparathyreoidismus, der bei Status nach Urolithiasis eventuell schon länger bestand, sowie einer am ehesten prärenal bedingten «acute on chronic»-Niereninsuffizienz. Die ausgeprägte PTH-Erhöhung liess uns an ein Nebenschilddrüsenkar-zinom denken. Differentialdiagnostisch war aber auch eine zusätzlich sekundäre Komponente bei Vitamin-D-Mangel und Niereninsuffizienz zu diskutieren.

Weitere AbklärungenEin konventionelles Röntgen der unteren Extremitäten bestätigte den klinischen Verdacht einer ausgedehn-ten subkutan liegenden Weichteilverkalkung (Abb. 1). Während sonographisch ein vergrösserter linker Schild-drüsenlappen mit Zysten, Knoten und Verkalkungen nachzuweisen war, konnte ein Nebenschilddrüsen-Ade-nom nicht klar abgegrenzt werden. In der deshalb durch-geführten Nebenschilddrüsenszintigraphie (99mTc-MIBI) mit Subtraktionsbild zeigte sich eine deutliche fokale Mehranreicherung in Projektion auf den Unterpol links. Matthias Birrer

SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(17):402–405

FALLBERICHTE 403

Zusätzliche laborchemische wie bildgebende Untersu-chungen ergaben keine Hinweise für eine Kollagenose oder ein neoplastisches Geschehen.

TherapieZur Senkung des Kalziums wurde eine Therapie mit physiologischer Kochsalzlösung, einem Schleifendiu-retikum, einem Bisphosphonat und Calcitonin einge-leitet. Bei nur mässiger Senkung des Serumkalziums, beginnendem Delir, zunehmender Hypervolämie trotz diuretischer Therapie und kaum regredienten Nieren-retentionswerten wurde schliesslich erfolgreich eine Hämodialyse gegen ein kalziumarmes Dialysat gestar-tet und zusätzlich Cinacalcet gegeben (Abb. 2). Zeitnah erfolgte die Parathyreoidektomie mit gleich-zeitiger Hemithyreoidektomie links. Am linksseitigen Schilddrüsen-Unterpol konnte komplikationslos ein riesiger Nebenschilddrüsentumor von 7 × 4 cm exzidiert werden (Abb. 3). Postoperativ fiel das PTH um >50% auf 359 ng/l ab. Histologisch zeigte sich das Bild eines Neben-schilddrüsenadenoms, ohne Hinweis auf Malignität.

VerlaufNach der Normalisierung des Kalziums kam es zu eine r raschen Allgemeinzustandsverbesserung mit Re-gredienz der initialen Beschwerden, insbesondere der neurologisch-psychiatrischen Symptome. Die Weich-teilverkalkungen blieben aber bestehen. Bei anhaltend erhöhten Nierenretentionswerten im Sinne einer nun chronischen Niereninsuffizienz KDIGO-Stadium G5 A2 wurde eine Nierenbiopsie durchge-führt. Diese zeigte interstitielle und tubuläre Kalzifika-tionen mit Tubulusdestruktionen, vereinbar mit einer Nephrokalzinose. Anderseits wiesen die Biopsien eine Schrumpfung mit schwergradigen Gefäss- und ischä-moiden Veränderungen, einer Nephroangiosklerose entsprechend, auf (Abb. 4A und B). Hinweise für eine diabetogene Ätiologie fanden sich nicht. Die Patientin lebt wieder zu Hause und kann ihre täg-lichen Aktivitäten selbständig ausführen.

Diskussion

Weichteilverkalkungen werden grob in zwei Gruppen eingeteilt: 1 Metastatische Verkalkungen infolge eines gestörten

Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels wie beispielsweise bei einem Hyperparathyreoidismus.

2 Dystrophe oder idiopathische Kalzifikationen bei unauffälligem Kalzium, zu finden bei Kollagenosen oder sekundär ossifizierenden Gewebenekrosen.

In der Literatur sind Weichteilverkalkungen der Sub-kutis im Rahmen eines primären Hyperparathyroi-

Abbildung 1: Unterschenkel rechts mit subkutanen Verkalkungen.

Abbildung 2: Kalziumverlauf während des Aufenthalts.

Hospitalisationstag 1. Tag 2. Tag 4. Tag 5. Tag 7. Tag 9. Tag 11. Tag

Kalzium korrigiert (mmol/l) 6,01 5,75 3,98 3,5 3,27 2,8 2,52

Kalzium ionisiert (mmol/l) 3,28 2,37 2,13 1,42 0,66 1,42 1,27

7

6

5

4

3

2

1

01. Tag 2. Tag

Kalzium korrigiert (mmol/l) Kalzium ionisiert (mmol/l)

4. Tag 5. Tag 7. Tag 9. Tag 11. Tag

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FALLBERICHTE 404

dismus, wie sie unsere Patientin präsentierte, bisher nicht beschrieben. Bekannt sind metastatische Kalzi-fikationen wie die Nephrokalzinose sowie peri- und artikuläre Verkalkungen im Sinne einer Chondrokalzi-nose, typischerweise mit multiplem Gelenkbefall [4]. Eine ältere schwedische Arbeit aus dem Jahr 1970 zeigte, dass Kalzifikationen auch in anderen Organen, insbe-sondere in der Glandula pinealis und den Lungen, vor-kommen können [3]. Häufiger als beim primären Hyperparathyroidismus werden Weichteilverkalkungen im Zusammenhang mit einem sekundären Hyperparathyreoidismus bei terminaler Niereninsuffizienz beschrieben. Eine Form ist die urämisch-tumoröse Kalzinose, die durch eine extraossäre, tumoröse Kalzifikation in periartikulären Weichteilen charakterisiert ist, die zu schmerzhaften Einschränkungen der Gelenksmobilität führt [2]. Wei-ter gibt es die urämisch-kalzifizierende Arterio-lopathie, auch Kalziphylaxie genannt, bei der Ver-kalkungen der kleinen und mittleren Arteriolen zu massiv schmerzhaften Nekrosen und Ulzerationen der Kutis führen [5]. Beschrieben ist die Kalziphylaxie auch bei nierengesunden Patienten, beispielsweise Kollage-nosen [6]. Die bei unserer Patientin beschriebenen Verkalkungen der Subkutis beider Unterschenkel waren schmerzlos, die Hautverhältnisse unauffällig. Es bestanden keine Verbindungen zu Gelenken. Radiologisch konnten we-der gros se verkalkte Tumorkonglomerate wie bei der

Abbildung 4: Histologische Präparate der Nierenbiopsie. A) Der schwarze Pfeil zeigt eine Tubulusdestruktion, der Stern markiert eine tubulointerstitielle

Verkalkung (HE, 20×). B) Der rote Pfeil weist auf eine kleine Arterie mit Intimafibrose (vG-E, 20×).

A B

Abbildung 3: Nebenschilddrüsenadenom links, Operationspräparat.

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ur ämisch-tumorösen Kalzifikation noch Verkalkun-gen der Gefässe wie bei der Kalziphylaxie nachgewie-sen werden. Unsere Patientin wies zwar bei Eintritt eine schwere Niereninsuffizienz auf. Bei einigen Wochen zuvor le-diglich leichter Einschränkung der Nierenfunktion interpretierten wir die Verschlechterung als akut und prärenal im Rahmen der vermehrten Diurese und der Nausea-bedingt reduzierten Flüssigkeitsaufnahme. Die Hypovolämie mag dann bei den vorbestehend ar-teriosklerotischen Nierengefässen zu den histologisch nachgewiesenen ischämoiden Veränderungen geführt haben.Wir kamen zum Schluss, dass der primäre Hyperpara-thyreoidismus mit nachfolgender Niereninsuffizienz und hohem Kalzium-Phosphat-Produkt die vordergrün-dige Ursache der subkutanen Kalzinose der unteren Extremitäten war. In der Literatur wird beschrieben, dass nicht alleine die Hyperkalzämie verantwortlich ist für die Verkalkungen, sondern das Produkt aus Kalzium und Phosphat [1]. Dabei führt das erhöhte Phosphat zu einem «osteogenic switch» von glatten

Das Wichtigste für die Praxis

Die Hyperkalzämie ist eine wichtige Differentialdiagnose von akuten neu-

rologischen Störungen, und unübliche klinische Befunde, wie hier die

Hautverhärtungen, können wegweisend sein.

Muskelzellen oder Fibroblasten zu Chondrozyten oder Osteoblasten. Dies stellt einen koordinierten, aktiven Prozess der Verkalkung dar und keine passive Präzi-pitation bei Überschreiten des Löslichkeitsproduktes. Wir postulieren deshalb, dass letztendlich der Anstieg des Phosphats infolge der progredienten Niereninsuffi-zienz der massgebliche Trigger für die in kurzer Zeit entstandenen Subkutanverkalkungen war. Warum ausschliesslich die beschriebene Körperlokalisation betroffen war, bleibt unklar.

VerdankungenHerzlichen Dank an Prof. Dr. med. Stephan Vorburger, Chefarzt der Chir-urgischen Klinik am Spital Emmental, für die Abbildung des Parathyroidektomie präparates und an Dr. med. Urs Vogt, Chefarzt Ra-diologie am Spital Emmental, für die Darstellung des Röntgenbildes.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur1 Sowers KM, Hayden MR. Calcific uremic arteriolopathy: pathophy-

siology, reactive oxygen species and therapeutic approaches. Oxid Med Cell Longev. 2010 Mar-Apr;3(2):109–21. doi: 10.4161/oxim.3.2.11354. Review.

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3 Lars Irnell, Ivar Werner and Lars Grimelius. Soft tissue calcification in hyperparathyroidism; Volume 187, Issue 1–6, pages 145–151, January/December 1970.

4 Dalinka MK, Melchior EL. Soft tissue calcifications in systemic disease. Bull N Y Acad Med. 1980 Jul–Aug; 56(6):539–63.

5 Zhou Q, Neubauer J, Kern JS, Grotz W, Walz G, Huber TB. Calciphylaxis. Lancet. 2014;383(9922):1067.

6 Nigwekar SU, Wolf M, Sterns RH, Hix JK. Calciphylaxis from nonure-mic causes: a systemic review. Clin J Am Nephrol. 2008;3(4):1139–43.

Korrespondenz: Matthias Werner Birrer, pract. med. emme-praxis Hauptstrasse 10 CH-3422 Kirchberg matthias.birrer[at]hin.ch

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Delir, vertikaler Nystagmus und EKG-Veränderungen

Schwere HypomagnesiämieMadleen Schmidta, b, Thomas Bregenzera, Agnes Kneubühla, Robert Schorna

a Medizinische Klinik, Spital Lachen AG, Lachen; b Medizinische Klinik, Kantonsspital Winterthur, Winterthur

Hintergrund

Im Alltag wird die Häufigkeit einer Hypomagnesiämie unterschätzt, da Magnesium nicht regelhaft bestimmt wird. Insgesamt sind 12% der hospitalisierten Patien-ten von einer Hypomagnesiämie betroffen, mit einer auf 60% steigenden Inzidenz im intensivmedizini-schen Umfeld [1, 2]. Ursachen einer Hypomagnesiämie können sowohl renaler als auch extrarenaler Genese sein.

Fallbericht

AnamneseNotfallmässige Aufnahme einer 68-jährigen Patientin mit Erbrechen seit einigen Tagen sowie wässrigem, nicht blutigem Stuhlgang. Vier Wochen zuvor hatte sich die Patientin bereits mit einer prolongiert verlau-fenden Gastroenteritis vorgestellt. Seit einer Hemikol-ektomie rechts bei nicht okklusiver mesenterialer Isch-ämie mit ischämischer Kolitis bestanden rezidivierende chronische Abdominalbeschwerden mit Nausea, Emesis, Diarrhoe bzw. Obstipation. Wiederholte Elektrolyt- entgleisungen (Hypokaliämie, Hypokalzämie, Hypo-magnesiämie) in der Vergangenheit waren bekannt.Als Nebendiagnosen bestanden eine hypertensive Herz-erkrankung mit Vorhofflimmern, ein Asthma bronchi-ale, ein chronisch vertebrales Schmerzsyndrom sowie eine Polyarthrose. Die Medikation umfasste Candesar-tan, Bisoprolol, Rivaroxaban, Pantoprazol und Vitamin-B-Präparate.

StatusDie Patientin zeigte sich in reduziertem Allgemeinzu-stand, afebril und kardiopulmonal kompensiert. In der klinischen Untersuchung konnten bis auf eine bekannte grosse subumbilikale Narbenhernie keine wegweisen-den Befunde eruiert werden.

DiagnostikDie Laboruntersuchung zeigte eine normochrome, normozytäre Anämie (108 g/l; Norm 120–150g/l) sowie eine milde Hypokaliämie (3,3 mmol/l; Norm 3,5–5,1). Die übrigen initialen Laborwerte waren unauffällig. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte keine Magnesiumbestim-mung im Plasma.

VerlaufUnter Symptom-orientierter Therapie mit Flüssigkeits-ersatz kam es im stationären Setting plötzlich zu einer weiteren Verschlechterung des Allgemeinzustandes begleitet von Zittern, optischen und akustischen Hal-luzinationen sowie Desorientierung in allen Qualitä-ten (räumlich, zeitlich, situativ, in Bezug auf die eigene Person). Klinisch konnte neben einer orthostatischen Dysregulation ein vertikaler Nystagmus objektiviert werden.In der Annahme einer zentralnervösen Ursache erfolg-ten eine Lumbalpunktion sowie ein kraniales MRI. Die Lumbalpunktion blieb ohne wegweisenden Befund. Das MRI zeigte links okzipital eine kleine ältere isch ämische Läsion, die jedoch als akute Ursache der neuaufgetrete-nen klinischen Symptome (Halluzinationen, vertikaler Nystagmus nach rechts) nicht in Frage kam. Es zeigten sich nun folgende Laborwerte: Kalium 2,8 mmol/l (Norm 3,5–5,1 mmol/l), Magnesium 0,04 mmol/l (Norm 0,75–1,05 mmol/l), Albumin-korrigiertes Kalzium 2,15 mmol/l (Norm 2,20–2,65 mmol/l), Phosphat 0,56 mmol/l (Norm 0,81–1,61 mmol/l). Das nun durchgeführte EKG zeigte eine QTc-Zeit von 485 ms sowie vereinzelte ventrikuläre Extrasystolen.Auf der Intensivstation wurde die sofortige intra-venöse und enterale Substitution der entsprechenden Elektrolyte, insbesondere von Magnesium, etabliert. Unter der Magnesiumsubstitution zeigte sich die neu-rologische Symptomatik nach wenigen Tagen voll-ständig regredient. Die Ursache der schweren Hypo-magnesiämie blieb offen, da bei Diagnosestellung keine Magnesiumbestimmung im Urin mit Berechnung der fraktionierten Magnesiumexkretion (FEMg) erfolgte. Als wahrscheinlichste Ursachen kamen die chronische und aktuell akzelerierte Diarrhoe in Kombination mit der Pantoprazol-Medikation in Frage.

Diskussion

Magnesium ist als Kofaktor an über 300 enzymati-schen Reaktionen sowie der neuromuskulären Erreg-barkeit beteiligt [2]. Ungefähr 60% des Gesamtmagne-siums sind im Knochen, 20% in der Skelettmuskulatur und 20% im übrigen Gewebe eingelagert [1, 2]. Lediglich 1% des Magnesiums befindet sich extrazellulär und ist in drei Fraktionen aufgeteilt: 55–70% als freies ionisiertes Madleen Schmidt

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Magne sium, 20–30% proteingebunden und 5–15% im Komplex mit Anionen. Das Plasmamagnesium liegt in einem Normbereich zwischen 0,75 und 1,05 mmol/l [3]. Die tägliche Zufuhr sollte je nach Geschlecht 310–420 mg betragen. Die Magnesiumadsorption erfolgt grösstenteils passiv transzellulär im Dünndarm und schwankt je nach Magnesiumgehalt im Körper zwi-schen 24 und 76%. Das renal filtrierte Magnesium (ca. 2400 mg täglich) wird zu 95% in den verschiedenen Tubulusabschnitten wieder resorbiert und nur zu ca. 5% ausgeschieden. Die Bestimmung von Magne-sium im Serum ist zwar relativ einfach, spiegelt aber nicht den Gesamtkörpermagnesiumgehalt wider, da sie nur 0,3% des Gesamtmagnesiums repräsentiert. Daher kann ein relevanter Magnesiummangel trotz normalem Serummagnesium vorliegen (sogenannte normomagnesiämische Hypomagnesiämie) [3].Eine Hypomagnesiämie kann durch eine verminderte Zufuhr, eine Verteilungsstörung und/oder durch Ver-lust entstehen (Tab. 1). Die Berechnung der FEMg (frakti-onierten Magnesiumexkretion) ist sehr hilfreich bei den differentialdiagnostischen Überlegungen [5]. Auf-grund der zirkadianen Variationen der renalen Aus-scheidung gilt die Bestimmung aus dem 24-Stunden-Urin als Goldstandard. Eine Bestimmung aus einer Urinportion zur Initialbeurteilung ist jedoch hilfreich. Die FEMg berechnet sich wie folgt: FEMg = [(UMg × PKr) / (PMg × UKr × 0,7)] × 100. U und P bedeuten hierbei die Urin- und Plasmakonzentration von Ma gnesium, wo-bei die Plasmakonzentration mit 0,7 multipliziert wird, weil 70% des Serummagnesiums nicht Albumin-ge-bunden und damit frei glomerulär filtrierbar sind. UKr und PKr entsprechen den Kreatininkonzen trationen in Urin bzw. Plasma. Die gesunde Niere wird im Falle einer extrarenalen Ursache die renale Magnesiumausschei-dung minimieren (FEMg <1%). Eine FEMg >3–4% deutet bei einer Hypomagnesiämie auf einen renalen Verlust hin. In 60% der Fälle liegt begleitend eine Hypokaliämie vor. Neben gemeinsamen renalen bzw. extrarenalen Ursachen (z.B. Diuretika) führt der Magnesiummangel selbst auch zu einem renalen Kaliumverlust. Ein weite-res Zeichen einer Hypomagnesiämie ist eine Hypokalz-ämie, die durch verminderte Freisetzung und periphere Wirkung des Parathomons verursacht wird. Die klinischen Zeichen einer Hypomagnesiämie können unspezifisch sein und erschweren, wie in unserem Fall, die Diagnosestellung. Eine Assoziation eines vertikalen Nystagmus mit einer schweren Hypomagnesiämie wurde bereits mehrfach in der Literatur beschrieben. Differentialdiagnostisch gilt es, zerebelläre Läsionen, eine Ischämie im vertebro-basilären Stromgebiet, eine Wernicke-Enzephalopathie sowie eine paraneoplasti-sche und infektiöse Zerebellitis auszuschlies sen. Herz-

Tabelle 1: Ursachen einer Hypomagnesiämie [2]. Berechnung der fraktionierten Magnesiumexkretion: FEMg = [(UMg × PKr) / (PMg × UKr × 0,7)] × 100. Abkürzungen: UMg = Magnesiumkonzentration im Urin, PMg = Magnesiumkonzentration im Plasma, UKr = Kreatininkonzentration im Urin, PKr = Kreatininkonzentration im Plasma.

Gastrointestinale Ursachen (FEMg <1–2%)

– Reduzierte Aufnahme Malnutrition, Alkoholismus

– Sekretorische Verluste Schwere oder prolongierte Diarrhoe Enterische oder biliäre Fistel

– Reduzierte Absorption Malabsorption Ausgedehnte Dünndarm-Operationen Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI)

– Verseifung in nekrotischem Fett Nekrotisierende akute Pankreatitis

Renale Ursachen (FEMg >4%)

– Kongenitale/erworbene tubuläre Defekte (Auswahl; Details siehe [4]) Bartter-Syndrom Gitelman-Syndrom

– Medikamenten-induziert Schleifendiuretika Aminoglykoside Amphotericin B Ciclosporin, Tacrolimus Cisplatin EGFR(epidermal growth factor receptor)-

Antagonisten (z.B. Cetuximab) Foscarnet Pentamidin Alkohol

– Verminderte NaCl-Resorption Extrazellulärvolumen-Expansion

(Hyperaldosteronismus) Hyperkalzämie

– Osmotische Polyurie (solvent drag) Unkontrollierter Diabetes mellitus Postobstruktive Diurese Posttransplantär Erholungsphase nach einem akuten Nierenversagen

Andere Ursachen (FEMg <1–2%)

– Magnesium-Chelation (citratreiche Blutkonserven)

– Umverteilungsstörung Hungry-bone-Syndrom Refeeding-Syndrom

– Schwere Verbrennungen

– Exzessives Stillen, Hitze, schwere körperliche Belastung

Tabelle 2: Klinische Zeichen einer Hypomagnesiämie.

Kardiovaskuläre Störungen QT- VerlängerungExtrasystolie, VorhofflimmernVentrikuläre ArrhythmienVerstärkte Digitalistoxizität

Neuromuskuläre Störungen Hyperreflexie, TremorMuskelkrämpfe, Tetanie, Epilepsie Apathie, Delirium, KomaVertikaler Nystagmus

Metabolische Störungen HypokalzämieHypokaliämie

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rhythmusstörungen und epileptische Anfälle können ebenfalls auftreten. Interessant, und mög licherweise in der Zukunft von therapeutischer Relevanz, sind As-soziationen einer chronischen Hypo magnesiämie mit dem Auftreten eines metabolischen Syndroms inkl. Diabetes mellitus, Hypertonie sowie der Progression von Atherosklerose und chronischer Niereninsuffizi-enz [6]. Einen Überblick über Zeichen und Symptome der Hypomagnesiämie bietet Tabelle 2.

Die Form der Magnesiumsupplementation, abhängig vom Schweregrad der Symptome, kann entweder ente-ral oder parenteral erfolgen. Die Suche nach der Ursa-che ist für den langfristigen Therapieerfolg essentiell.

Disclosure statementDie Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

Literatur1 Wong ET, Rude RK, Singer FR, Shaw ST Jr. A high Prevalence of

hypomagnesemia and hypermagnesemia in hospitalized patients. Am J Clin Pathol. 1983;79(3):348–52.

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3 Agus ZS. Hypomagnesemia. J Am Soc Nephrol. 1999;10(7):1616–22.4 De Baaij JH, Hoenderop JG, Bindels RJ. Regulation of magnesium

balance: lessons learned from human genetic disease. Clin Kidney J. 2012;5(Suppl 1), i15–i24.

5 Elisaf M, Panteli K, Theodorou J, Siamopoulos KC. Fractional excretion of magnesium in normal subjects and in patients with hypomagnesemia. Magnes Res. 1997;10(4),315–20.

6 Tin A, Grams ME, Maruthur NM, Astor BC, Couper D, Mosley TH, et al. Results from the atherosclerosis risk in communities study suggest that low serum magnesium is associated with incident kidney disease. Kidney Int. 2015;87(4):820–7.

Das Wichtigste für die Praxis

Im klinischen Alltag werden Häufigkeit und Einfluss einer Hypomagnesiä-

mie oft unterschätzt. Neuromuskuläre Symptome, Hypokaliämie und Hy-

pokalzämie sollten an eine zugrundeliegende Hypomagnesiämie denken

lassen. Ein normwertiges Serummagnesium schliesst bei entsprechenden

klinischen Zeichen einen relevanten Gesamtkörper-Magnesiummangel

nicht aus. Die Bestimmung der fraktionierten Magnesiumexkretion (FEMg)

hilft bei der Differenzierung von extrarenalen und renalen Ursachen.

Korrespondenz: Dr. med. Robert Schorn Leitender Arzt Medizinische Klinik / Nephrologie Oberdorfstrasse 41 CH-8853 Lachen robert.schorn[at]spital- lachen.ch

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