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Soziale Diagnostik Aspekte einer Fachtagung Soziale Arbeit St. Pölten/at

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Soziale Diagnostik

Aspekte einer Fachtagung Soziale Arbeit St. Pölten/at

Thematische Schwerpunkte Fachtagung Soziale Diagnostik

•  Ist soziale Diagnostik vor dem Hintergrund konstruktivistischer Erkenntnistheorie überhaupt möglich?

•  Instrumente zur Sozialen Diagnostik: Zwischen Komplexität und Praxistauglichkeit

•  Entwicklung von Klassifikationssystemen sozialer Arbeit

Ist soziale Diagnostik vor dem Hintergrund konstruktivistischer Erkenntnistheorie überhaupt möglich?

Die Antworten fielen gemischt aus und lassen sich in etwa folgendermaßen zusammenfassen:

•  Um in der konkreten Arbeit zu handeln muss ich manchmal so tun als ob ich es mit objektiven Tatsachen zu tun habe, die sich klar beschreiben lassen und aus denen sich klare Handlungsstränge ableiten lassen.

•  Konstruktivistische Erkenntnistheorie hilft mir dabei, sensibel dafür zu bleiben, ob meine Beschreibungen als Profi mit jenen der Adressaten sozialer Arbeit und auch anderer Profis kompatibel erscheint.

  Man plädierte insgesamt also für einen eher pragmatischen Umgang mit konstruktivistischer Erkenntnistheorie: Ich beziehe mich auf diese, wenn es mir für meine konkrete Arbeit nützlich erscheint, ansonsten aber eher nicht.

Ist soziale Diagnostik vor dem Hintergrund konstruktivistischer Erkenntnistheorie überhaupt möglich?

In der Diskussion wurde epistemologisch recht unscharf argumentiert:

kritischer Realismus, sozialer Konstruktionismus, radikaler Konstruktivismus, (einfacher, nicht radikaler) Konstruktivismus wurden irgendwie zusammengeschmissen zu einer Art schwammigen Perspektivismus

– was für auch theoretisch interessierte TeilnehmerInnen teilweise etwas ärgerlich war.

Instrumente zur Sozialen Diagnostik: Zwischen Komplexität und Praxistauglichkeit

Es konnte ein Trend beobachtet werden zu recht komplexen Instrumenten, in der Regel als eine Art Matrix konzeptualisiert, in welcher sich die vielfältigen möglichen Daten, die sich bei der Diagnose biopsychosozialer Mehr-Personen-Systeme, erheben lassen, verortet werden können

•  z.B. von Peter Pantucek zur Netzwerkkarte •  Z.B. von Chistoph Hütter zum Szenischen Verstehen

Diese Diagnostik-Matrixen waren teilweise m.E. wissenschaftlich recht "sophisticated", aber für die Anwendung beispielsweise eines Sozialarbeiters in der aufsuchenden Familienhilfe unpraktikabel.

Peter Pantucek „Netzwerkkarte“

1.  Für die Erstellung der Netzwerkkarte wird eine Ankerperson gewählt, i.d.R. der Klient / die Klientin. Sie bildet das Zentrum des Netzwerks.

Peter Pantucek „Netzwerkkarte“

2. In einem zweiten Schritt werden nun die Personen des sozialen Umfelds eingetragen: Je wichtiger diese Person ist, desto näher wird das Symbol für diese Person zur Ankerperson gezeichnet. Besteht zwischen zwei Personen Kontakt, werden diese mit einer Linie verbunden. Dadurch entsteht Stück für Stück ein Netz, das in den Sektoren unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann.

Berechnung der Netzwerkdichte ist möglich:

Dichte = n / { [ N ( N – 1 ) ] / 2 }

n = die Zahl der Personenpaare im Netz, die sich kennen und miteinander Kontakt haben (jedes Paar wird nur einmal gezählt; die Ankerperson wird bei dieser Zählung nicht berücksichtigt) N = die Gesamtzahl der Personen im System (wieder ohne Ankerperson)

Die Maßzahl der Dichte drückt das Verhältnis der möglichen zu den realisierten Kontaktpaaren aus. Sie liegt zwischen 0,00 (das Netzwerk besteht ausschließlich aus Einzelpersonen, die einander nicht kennen) und 1,00 (jede Person im Netz hat zu jeder anderen Kontakt).

Netzwerkgrafik einer 83-jährigen Frau

Netzwerk einer 20-jährigen Psychiatrie-Patientin

Chistoph Hütter „Szenischen Verstehen“

Grundannahme: Eskalierende Komplexität als „normale“ Herausforderung Sozialer Arbeit. Dabei meint „eskalierende Komplexität“ das Zusammenspiel von:

•  entstandardisierten Biographien •  gesellschaftlich bedingten Vulnerabilitäten •  vielschichtigen individuellen Fragestellungen

individuelle Lebens- und Problemlagen = Szene

Chistoph Hütter „Szenischen Verstehen“

1. Die Szene hat eine somatische Dimension, d.h. sie ist geprägt von der Körperlichkeit aller Beteiligten.

2. Sie hat eine biographische Dimension, d.h. die Szene ist Ausdruck und Ergebnis der biographischen Erfahrungen der Beteiligten.

3. Die Szene hat eine soziometrische oder beziehungsdynamische Dimension, sie wird geprägt vom Zusammenspiel der Beteiligten und ihrer Beziehungsgestaltung.

4. Die Szene hat eine gesellschaftliche Dimension und spiegelt gesellschaftliche Bedingungen und Einflussfaktoren wider.

5. Sie hat eine axiologische Dimension, d.h. sie ist geprägt von den Werte- und Normensystemen der darin Beteiligten und von existenziellen Tatsachen des menschlichen Lebens.

6. Schließlich ist jede Szene als Singularität zu verstehen. Sie ist prinzipiell unterschieden von allen anderen Szenen. In dieser Dimension ist die Szene diagnostisch nicht zu erfassen und sie versperrt sich jeder Subsummierung und Verallgemeinerung.

Entwicklung von Klassifikationssystemen sozialer Arbeit

Ein Anliegen der Fachtagung war es, mit dem Projekt eines Klassifikationssystemen sozialer Arbeit (ähnlich etwa dem DSM-IV, ICF oder ICD-10) einen Schritt voran zu kommen und damit die Professionalisierung sozialer Arbeit voranzutreiben.

Hierzu ist geplant, eine Konsensusgruppe ins Leben zu rufen.

Hier würde ich möglicherweise auch Handlungsbedarf seitens der DGSF sehen: nämlich zu eruieren, ob es sinnvoll erscheint, an dieser Konsensusgruppe zu partizipieren bzw. diese mit aufzubauen.

Entwicklung von Klassifikationssystemen sozialer Arbeit 10 Thesen rund um die Frage nach der (Un-)Möglichkeit einer Klassifikation der Sozialen Arbeit (von Dieter Röh)

1.These: Klassifikationen gefährden den weichen Blick auf Probleme, zum Teil werden die Probleme durch Klassifikationen in ihrer sozialen Bedeutung erst verfestigt

2.These: Klassifikationen sind die logische Folge von Sozialer Diagnostik, die selbst schon die Komplexität von Informationen im Fall zu weit reduziert.

3.These: Der Aufbau und der Einsatz von Klassifikationen sind das Ende der Vielfalt Sozialer Arbeit

4.These: Klassifikationen etikettieren Menschen mit bestimmten „Eigenschaften“, die nur z.T. aus ihrer Person, zum anderen Teil aber aus gesellschaftlichen Umwelt-Bedingungen resultieren.

5.These: Klassifikationen verdichten den Fall so stark, dass die Hilfe nicht mehr das Ergebnis eines reflexiv-kasuistischen Fallverstehens sondern einer statistischen Einordnung in festgelegte Raster ist.

Entwicklung von Klassifikationssystemen sozialer Arbeit 10 Thesen rund um die Frage nach der (Un-)Möglichkeit einer Klassifikation der Sozialen Arbeit (von Dieter Röh)

6.These: Klassifikationen erfüllen die Funktion, den professionellen sozialarbeiterischen Hilfeprozess nachvollziehbar zu machen.

7.These: Klassifikationen erfüllen eine wichtige Funktion, um eine einheitliche Dokumentation und Statistik zu etablieren.

8.These: Klassifikationen befördern die Inter-Professionalität der Sozialen Arbeit durch klare Aussagen.

9.These: Klassifikationen eröffnen die Möglichkeit, prognostische Hinweise auf Fallverläufe oder zukünftige Problemlösungen zu geben.

10.These: Hilfeplanung enthält bereits jetzt klassifikatorische Elemente

Konsensusgruppe: Soziale Diagnostik

Es gibt ernstzunehmende ethische und professionstheoretische Einwände

diese sind bei einem abgesicherten und abgestimmten, professionsinternen und disziplinären Prozess zur Findung einer geeigneten Klassifikation zu berücksichtigen

http://diagnostik.fhstp.ac.at/workshop-unterlagen.