nachruf für prof. dr. med. otto hallen

2
Nervenarzt 2006 · 77:1249–1250 DOI 10.1007/s00115-006-2147-2 Online publiziert: 7. September 2006 © Springer Medizin Verlag 2006 B. Neundörfer Neurologische Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen Nachruf für Prof. Dr. med. Otto Hallen Nachruf Am 3. Februar diesen Jahres ist Prof. Dr. med. Otto Hallen, ehemaliger Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Mannheim der Universität Heidelberg, nach langem, geduldig ertragenem Lei- den, treusorgend und aufopfernd von sei- ner Ehefrau gepflegt, im Alter von 84 Jah- ren verstorben. Geboren wurde O. Hallen am 11.08.1921 in Düsseldorf und studierte nach Abschluss des humanistischen Gym- nasiums Humanmedizin in Marburg, Bonn, Düsseldorf und Freiburg. Nach sei- ner Rückkehr aus dem 2. Weltkrieg war er zunächst Assistenzarzt von 1945–1948 an der Chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg unter Prof. Dr. K.H. Bau- er, was auch ein Jahr Ausbildung in Radi- ologie einschloss. Dies war mit ein Grund dafür, dass er späterhin an der Neurolo- gischen Universitätsklinik in Heidelberg (damals Nervenabteilung der Ludolph- Krehl-Klinik genannt) sehr früh neuro- radiologische Untersuchungsmethoden, insbesondere die Karotis- und Vertebra- lisangiographie einführte und ein Mit- begründer des neuroradiologischen Ar- beitskreises im Rhein-Main-Gebiet wur- de. 1948 wechselte er also dann an diese Klinik, die unter der Leitung von Prof. Dr. P. Vogel, einem Schüler von Prof. Dr. V. v. Weizsäcker, stand. Seine psychiatrische Ausbildung erhielt er 1953/1954 an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burg- hölzli in Zürich unter Prof. Dr. M. Bleuler. Nach seiner Rückkehr nach Heidelberg wurde er Oberarzt und habilitierte sich 1959 mit einer Arbeit über „Die Dystro- phia muscularis progressiva“. 1969 erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für Neuro- logie am Klinikum Mannheim der Uni- versität Heidelberg und baute die Neu- rologische Klinik von kleinen Anfängen zu einer angesehenen akademischen Ein- richtung aus. Von 1972–1974 fungierte er als Dekan der Medizinischen Fakultät in Mannheim und war damit deren zweiter Dekan. Von 1974–1989 übte er dann das Amt des Ärztlichen Direktors aus. In bei- den Ämtern hat er wichtige Weichenstel- lungen für die weitere Entwicklung die- ser noch jungen akademischen Instituti- on vorgenommen. Er hat sich damit große Verdienste um die Mannheimer Fakultät und das Mannheimer Klinikum erwor- ben. Ende des Sommersemesters 1989 wurde er emeritiert. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt war die allgemeine klinische Neurologie, wobei ihn zwei Gruppen von Krankheiten besonders fesselten: einmal die Muskel- dystrophien (sh. Titel der Habilitations- schrift), zum anderen die epileptischen Anfälle und hier insbesondere die psycho- motorischen Anfälle (heute: komplex-fo- kale Anfälle), deren Phänomenologie er detailliert analysierte. Zusammen mit Prof. Dr. Dr. Janz und Prof. Dr. W. Chris- tian begründete er damit den hervorra- genden Ruf, den die Heidelberger Neuro- logische Klinik in den 50er und 60er Jah- ren des letzten Jahrhunderts im Hinblick auf die Erforschung der epileptischen An- fälle und Syndrome national und interna- tional genoss. Hervorzuheben ist auch sein Lehrbuch „Klinische Neurologie“, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde und das auch durch seine hervorragende Di- daktik bestach. Schon in seinem Gutach- ten zur Habilitationsschrift Hallens weist Prof. Dr. P. Vogel auf diese besondere di- daktische Begabung hin, wenn er ausführt, dass in diesem Werk über die Muskeldys- trophien ein ungemein belebtes Bild die- ser Erkrankung und ihrer Formenfülle ge- zeichnet sei, in welchem aber jeder einzel- ne Bezug und jede Nuance durch Hallens eigene Untersuchungen belegt seien. Hal- len war darüber hinaus Mitherausgeber mehrerer wissenschaftlicher Zeitschriften, u. a. vor allem auch der Zeitschrift „Ner- venarzt“ von 1971–1987. Meine erste Begegnung mit Prof. Dr. O. Hallen fand im Jahr 1960 statt, als ich als Student im 8. klinischen Semester nach Heidelberg kam. Ich wurde damals sofort von meinen Kommilitonen darüber auf- geklärt, ich müsse von der von allen Stu- denten hochgepriesenen Hauptvorle- sung von Prof. Dr. P. Vogel die Propädeu- tik – genannt „Klopfkurs“ – absolvieren, die von Prof. Dr. O. Hallen durchgeführt wurde. Schon in diesem Vorbereitungs- kurs gelang es Hallen, die Studenten für das Fach Neurologie zu begeistern. Nicht umsonst war dieser ja nur freiwillig zu be- legende Kurs bis zum Schluss sehr gut be- sucht. Hallen verstand es in diesem Kurs Prof. Dr. med. Otto Hallen 1249 Der Nervenarzt 10 · 2006 |

Upload: b-neundoerfer

Post on 10-Jul-2016

222 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Nervenarzt 2006 · 77:1249–1250

DOI 10.1007/s00115-006-2147-2

Online publiziert: 7. September 2006

© Springer Medizin Verlag 2006

B. Neundörfer

Neurologische Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen

Nachruf für Prof. Dr. med. Otto Hallen

Nachruf

Am 3. Februar diesen Jahres ist Prof. Dr.

med. Otto Hallen, ehemaliger Direktor

der Neurologischen Universitätsklinik

Mannheim der Universität Heidelberg,

nach langem, geduldig ertragenem Lei-

den, treusorgend und aufopfernd von sei-

ner Ehefrau gepflegt, im Alter von 84 Jah-

ren verstorben. Geboren wurde O. Hallen

am 11.08.1921 in Düsseldorf und studierte

nach Abschluss des humanistischen Gym-

nasiums Humanmedizin in Marburg,

Bonn, Düsseldorf und Freiburg. Nach sei-

ner Rückkehr aus dem 2. Weltkrieg war

er zunächst Assistenzarzt von 1945–1948

an der Chirurgischen Universitätsklinik

in Heidelberg unter Prof. Dr. K.H. Bau-

er, was auch ein Jahr Ausbildung in Radi-

ologie einschloss. Dies war mit ein Grund

dafür, dass er späterhin an der Neurolo-

gischen Universitätsklinik in Heidelberg

(damals Nervenabteilung der Ludolph-

Krehl-Klinik genannt) sehr früh neuro-

radiologische Untersuchungsmethoden,

insbesondere die Karotis- und Vertebra-

lisangiographie einführte und ein Mit-

begründer des neuroradiologischen Ar-

beitskreises im Rhein-Main-Gebiet wur-

de. 1948 wechselte er also dann an diese

Klinik, die unter der Leitung von Prof. Dr.

P. Vogel, einem Schüler von Prof. Dr. V.

v. Weizsäcker, stand. Seine psychiatrische

Ausbildung erhielt er 1953/1954 an der

Psychiatrischen Universitätsklinik Burg-

hölzli in Zürich unter Prof. Dr. M. Bleuler.

Nach seiner Rückkehr nach Heidelberg

wurde er Oberarzt und habilitierte sich

1959 mit einer Arbeit über „Die Dystro-

phia muscularis progressiva“. 1969 erhielt

er den Ruf auf den Lehrstuhl für Neuro-

logie am Klinikum Mannheim der Uni-

versität Heidelberg und baute die Neu-

rologische Klinik von kleinen Anfängen

zu einer angesehenen akademischen Ein-

richtung aus. Von 1972–1974 fungierte er

als Dekan der Medizinischen Fakultät in

Mannheim und war damit deren zweiter

Dekan. Von 1974–1989 übte er dann das

Amt des Ärztlichen Direktors aus. In bei-

den Ämtern hat er wichtige Weichenstel-

lungen für die weitere Entwicklung die-

ser noch jungen akademischen Instituti-

on vorgenommen. Er hat sich damit große

Verdienste um die Mannheimer Fakultät

und das Mannheimer Klinikum erwor-

ben. Ende des Sommersemesters 1989

wurde er emeritiert.

Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt

war die allgemeine klinische Neurologie,

wobei ihn zwei Gruppen von Krankheiten

besonders fesselten: einmal die Muskel-

dystrophien (sh. Titel der Habilitations-

schrift), zum anderen die epileptischen

Anfälle und hier insbesondere die psycho-

motorischen Anfälle (heute: komplex-fo-

kale Anfälle), deren Phänomenologie er

detailliert analysierte. Zusammen mit

Prof. Dr. Dr. Janz und Prof. Dr. W. Chris-

tian begründete er damit den hervorra-

genden Ruf, den die Heidelberger Neuro-

logische Klinik in den 50er und 60er Jah-

ren des letzten Jahrhunderts im Hinblick

auf die Erforschung der epileptischen An-

fälle und Syndrome national und interna-

tional genoss. Hervorzuheben ist auch

sein Lehrbuch „Klinische Neurologie“, das

in mehrere Sprachen übersetzt wurde und

das auch durch seine hervorragende Di-

daktik bestach. Schon in seinem Gutach-

ten zur Habilitationsschrift Hallens weist

Prof. Dr. P. Vogel auf diese besondere di-

daktische Begabung hin, wenn er ausführt,

dass in diesem Werk über die Muskeldys-

trophien ein ungemein belebtes Bild die-

ser Erkrankung und ihrer Formenfülle ge-

zeichnet sei, in welchem aber jeder einzel-

ne Bezug und jede Nuance durch Hallens

eigene Untersuchungen belegt seien. Hal-

len war darüber hinaus Mitherausgeber

mehrerer wissenschaftlicher Zeitschriften,

u. a. vor allem auch der Zeitschrift „Ner-

venarzt“ von 1971–1987.

Meine erste Begegnung mit Prof. Dr.

O. Hallen fand im Jahr 1960 statt, als ich

als Student im 8. klinischen Semester nach

Heidelberg kam. Ich wurde damals sofort

von meinen Kommilitonen darüber auf-

geklärt, ich müsse von der von allen Stu-

denten hochgepriesenen Hauptvorle-

sung von Prof. Dr. P. Vogel die Propädeu-

tik – genannt „Klopfkurs“ – absolvieren,

die von Prof. Dr. O. Hallen durchgeführt

wurde. Schon in diesem Vorbereitungs-

kurs gelang es Hallen, die Studenten für

das Fach Neurologie zu begeistern. Nicht

umsonst war dieser ja nur freiwillig zu be-

legende Kurs bis zum Schluss sehr gut be-

sucht. Hallen verstand es in diesem Kurs

Prof. Dr. med. Otto Hallen

1249Der Nervenarzt 10 · 2006 |

und später in Mannheim in der Haupt-

vorlesung das Fach Neurologie in seiner

Breite und Logik anschaulich darzustel-

len, wobei klar zum Ausdruck kam, dass

die klinische Medizin nicht eine abstrakte

naturwissenschaftliche Disziplin ist, son-

dern eine angewandte Wissenschaft, die

aus der Erfahrung am Krankenbett und

dem täglichen Umgang mit Patienten lebt.

Hallen bestach in seinen Vorlesungen und

Vorträgen durch seine ausgefeilte, präzi-

se und bildhafte Sprache, die auch kom-

plexe Sachverhalte verständlich darstellen

konnte. So ist es nicht verwunderlich, dass

seine Vorlesung bei einer Umfrage bei den

Studenten anfangs der 70er Jahre des letz-

ten Jahrhunderts in Mannheim die Bes-

tenliste der Lehrenden anführte.

Was seine ärztlichen Mitarbeiter – ich

durfte ihm 9 Jahre als Oberarzt zur Sei-

te stehen – immer wieder frappierte, war

sein auf einem großen Erfahrungsschatz

basierender ungemein sicherer klinischer

Blick. Er konnte meist allein aus wenigen

klinischen Daten und ohne Wissen um

die technischen Zusatzbefunde intuitiv

auch die seltensten Diagnosen stellen, die

wir uns oft erst durch komplizierte Ana-

lysen und Durchführung von zusätzlichen

Untersuchungen erarbeitet hatten. Dabei

wäre es verfehlt, ihm eine Technikfeind-

lichkeit zu unterstellen: Im Gegenteil, er

hat die Weiterentwicklung und Anwen-

dung neuer technischer und laborche-

mischer Verfahren an seiner Klinik im-

mer mit großem Interesse verfolgt und

gefördert und schon frühzeitig dafür ge-

sorgt, dass sich die Neuroradiologie als ei-

genständige Abteilung von der Klinik lö-

sen konnte.

So wie Hallen an der Neurologie der

Facettenreichtum faszinierte, so ließ er es

auch zu, dass seine Mitarbeiter sich wis-

senschaftlich sehr unterschiedlichen The-

men zuwandten, wobei er jedem sein In-

teresse und seine persönliche Unterstüt-

zung zukommen ließ. Das lässt sich bei-

spielhaft an den Themen der ersten 6 Ha-

bilitationen seiner Klinik erkennen. Sie

befassten sich mit so unterschiedlichen

Problemen wie der diabetischen und al-

koholischen Polyneuropathie (F. Funk),

der Differenzialtypologie der Polyneu-

ropathien (B. Neundörfer), der Bedeu-

tung der Flussrichtung in der Art. oph-

thalmica (T. Tornow), den Liquorelektro-

lytveränderungen bei zerebraler Ischä-

mie (P. Marx), prognostischen Kriterien

beim Hirninfarkt (C. Kayser-Gatchalian)

und den evozierten Potenzialen (J. Mey-

er-Wahl).

So hinterlässt O. Hallen zwar keine

Schule im üblichen Sinne, aber es lassen

sich auf ihn auch die Worte von E. Bay

anwenden, die dieser in seinem Nachruf

auf P. Vogel gebrauchte: Er hinterlässt „ei-

ne Schule, in der neben Methodenstren-

ge und Redlichkeit die Klinik und in ihr

der kranke Mensch mit allen seinen leib-

lichen und seelischen Bezügen im Mittel-

punkt auch der wissenschaftlichen For-

schung stand.“

Mit seiner Witwe trauern alle seine

ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mit-

arbeiter sowie Schülerinnen und Schüler

um eine hervorragende Persönlichkeit, ei-

nen vorbildhaften Arzt und einen unver-

gessenen Vorgesetzten und Lehrer.

Prof. Dr. B. Neundörfer, Erlangen

Erratum

Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft

Tätigkeitsbericht 2005

Der Nervenarzt (2006) 77:1012–1014

Die Mitteilungsseiten der Deutschen

Schlaganfall-Gesellschaft (DGS) wurden in

der Augustausgabe von "Der Nervenarzt"

versehentlich unter der Rubrik "Mittei-

lungen DGN" abgedruckt. Wir bitten Sie,

diesen Fehler zu entschuldigen

1250 | Der Nervenarzt 10 · 2006