mineralogie und petrographie · im gleichen zeitraum waren neben den übrigen zürcher mineralogen...

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austausches, der Alterung und der Sedimentationsvorgänge und wandte die gewonnene Erkenntnis zur Deutung der Eigenschaften und der Vorgänge im Boden an. Die Landwirtschaft, insbesondere auch diejenige unseres Landes, hat daraus Nutzen gezogen. Ebenfalls führend war WIEGNER auf dem Gebiet der Fütterungslehre. Hier studierte er Fragen der Futterge- winnung, Futterkonservierung, der Verdaulichkeit der Futterkomponen- ten und gelangte dadurch zu einer Theorie der Fütterung und zu einer Bewertung der Futtermittel auf energetischer Grundlage. Unsere einheimi- sche Landwirtschaft hat diese für sie grundlegenden Forschungen durch weitgehende Unterstützung und Zusammenarbeit anerkannt. Sie wurden später von WIEGNER'S Schüler PALLMANN fortgesetzt. Die chemische Forschung hat im letzten Jahrhundert und besonders in den letzten 60 Jahren in Zürich einen Stand erreicht und Erfolge gezeitigt, die erheblich über das hinausgehen, was eine mitllere Universitätsstadt gewöhnlich zu geben in der Lage ist. Grundlegende Entdeckungen unserer Wissenschaft werden immer mit dein Namen unserer Stadt verbunden bleiben. Der Dank dafür gilt den Forschern, die sich die Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnis zum Ziel setzten, aber auch den Behörden, welche sehr häufig die richtigen Männer auf die verantwortungsvollen Lehrstühle beriefen. Dass der hohe Stand wissenschaftlich-chemischer For- schung, den die beiden Hochschulen in unserer Stadt erreichten, einen wesentlichen Teil des Fundaments bildet, auf dem eine leistungsfähige schweizerische chemische Industrie aufgebaut werden konnte, ist ein Er- gebnis, das der Allgemeinheit zugute kam. Mineralogie und Petrographie Von PAUL NIGGLI Seit den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts steht die Naturfor- schende Gesellschaft in Zürich in enger Verbindung mit der kantonalen Universität und seit den fünfziger Jahren mit dem eidgenössischen Poly- technikum, bzw. der Eidgenössischen Technischen Hochschule. ALBERT MOUSSON (1805-1890), ARNOLD ESCHER VON DER LINTH (1807-1872) und OSWALD HEER (1809-1883) haben als 30- bis 50jährige diese natürliche Umwandlung vollzogen, ohne aus der Gesellschaft der Naturfreunde eine reine Gelehrtenakademie zu formen. Wollen wir im Überblick erörtern, wie sich die Entwicklung eines naturwissenschaftlichen Fachgebietes in den letzten hundert Jahren im wissenschaftlichen Leben Zürichs wider- 190

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Page 1: Mineralogie und Petrographie · Im gleichen Zeitraum waren neben den übrigen Zürcher Mineralogen und neben dem Tessiner L. LAVIZZARI nur G. VOM RATH, F. HESSENBERG und gelegentlich

austausches, der Alterung und der Sedimentationsvorgänge und wandte diegewonnene Erkenntnis zur Deutung der Eigenschaften und der Vorgängeim Boden an. Die Landwirtschaft, insbesondere auch diejenige unseresLandes, hat daraus Nutzen gezogen. Ebenfalls führend war WIEGNER aufdem Gebiet der Fütterungslehre. Hier studierte er Fragen der Futterge-winnung, Futterkonservierung, der Verdaulichkeit der Futterkomponen-ten und gelangte dadurch zu einer Theorie der Fütterung und zu einerBewertung der Futtermittel auf energetischer Grundlage. Unsere einheimi-sche Landwirtschaft hat diese für sie grundlegenden Forschungen durchweitgehende Unterstützung und Zusammenarbeit anerkannt. Sie wurdenspäter von WIEGNER'S Schüler PALLMANN fortgesetzt.

Die chemische Forschung hat im letzten Jahrhundert und besonders inden letzten 60 Jahren in Zürich einen Stand erreicht und Erfolge gezeitigt,die erheblich über das hinausgehen, was eine mitllere Universitätsstadtgewöhnlich zu geben in der Lage ist. Grundlegende Entdeckungen unsererWissenschaft werden immer mit dein Namen unserer Stadt verbundenbleiben. Der Dank dafür gilt den Forschern, die sich die Förderung derwissenschaftlichen Erkenntnis zum Ziel setzten, aber auch den Behörden,welche sehr häufig die richtigen Männer auf die verantwortungsvollenLehrstühle beriefen. Dass der hohe Stand wissenschaftlich-chemischer For-schung, den die beiden Hochschulen in unserer Stadt erreichten, einenwesentlichen Teil des Fundaments bildet, auf dem eine leistungsfähigeschweizerische chemische Industrie aufgebaut werden konnte, ist ein Er-gebnis, das der Allgemeinheit zugute kam.

Mineralogie und PetrographieVon

PAUL NIGGLI

Seit den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts steht die Naturfor-schende Gesellschaft in Zürich in enger Verbindung mit der kantonalenUniversität und seit den fünfziger Jahren mit dem eidgenössischen Poly-technikum, bzw. der Eidgenössischen Technischen Hochschule. ALBERTMOUSSON (1805-1890), ARNOLD ESCHER VON DER LINTH (1807-1872) undOSWALD HEER (1809-1883) haben als 30- bis 50jährige diese natürlicheUmwandlung vollzogen, ohne aus der Gesellschaft der Naturfreunde einereine Gelehrtenakademie zu formen. Wollen wir im Überblick erörtern,wie sich die Entwicklung eines naturwissenschaftlichen Fachgebietes inden letzten hundert Jahren im wissenschaftlichen Leben Zürichs wider-

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spiegelt, so bilden die Naturforschende Gesellschaft und die Hochschulenkaum voneinander zu trennende Zentren. Für die im folgenden zu be-sprechenden Disziplinen gliedert sich der Zeitraum in eine erste Epochevon etwa 1830-1890 und eine zweite Epoche von 1890 bis zur Gegenwart.Die fachliche Unterteilung ist gegeben durch Kristallographie und Minera-logie, Petrographie und Lagerstättenkunde, Gletscher-, Schnee- und La-winenkunde.

1. Kristallographie, Mineralogie und Petrographie in der I. Epoche

Die A usgangs 1 a g e. Die ersten zwanzig Jahre der kantonalenUniversität waren für die mineralogisch-petrographischen Wissenschaftenausgesprochenermassen eine Übergangszeit. LUDWIG HORNER, Schüler vonK. C. v. Leonhard, war nur ganz kurze Zeit Dozent, ARNOLD ESCHER verzich-tete schon 1836 auf den Mineralogieunterricht, JULIus FRÖBEL war in ersterLinie Geograph, obschon er dem Pennin als neuer Mineralvarietät denNamen gab und 1843 seine noch zu erwähnenden Vorlesungen an derUniversität unter dem Titel «Grundzüge eines Systems der Kristallo'ogieoder der Naturgeschichte der unorganischen Individuen» herausgegebenhatte. Nachher erfolgte Unterrichtserteilung durch verschiedene Privat-dozenten, darunter den vorzüglichen Mineralchemiker EDUARD SCHWEIZER,bis in den fünfziger Jahren mit CHRISTIAN HEUSSER und G. H. OTTO VOLGERzwei Fachmineralogen zur Habilitation gelangten.

Wir müssen daher zur Kennzeichnung der Ausgangssituation den Standder Wissenschaften zwischen 1830-1850 berücksichtigen. Durch JEANBAPTISTE LOUIS ROME DE L'ISLE (1736-1790) und RENE JUST HAÜY (1743bis 1822), später auch durch ARMAND LEvy (1794-1841), waren die Ge-setze der phänomenologischen Kristallographie erkannt, durch CHRISTIANSAMUEL WEISS (1780-1856, erste grundlegende Arbeit 1804), den Physiker-mineralogen FRANZ ERNST NEUMANN (1798-1895, wichtige Arbeiten 1823bis 1826) und CARL FRIEDRICH NAUMANN (1797-1873, Lehrbuch der reinenund angewandten Krystallographie, 1830) mit der Einführung der kristallo-graphischen Achsen in eine geometrisch zweckmässige Form gebracht wor-den. Noch blieb im deutschen Sprachgebiet die 1839 veröffentlichte Dar-stellungsmethode von WILLIAM HALLOWES MILLER (1801-1880) fast un-beachtet. W. H. WOLLASTON hatte 1806 das Goniometer eingeführt undADOLPH THEODOR KUPFFER zwischen 1825 und 1831 der messenden undrechnenden Kristallographie kritische Studien gewidmet.

Die Bedeutung der Kristallographie für die Mineralogie wurde verschie-den hoch eingeschätzt. FRIEDERICH MoHs (1773-1839), dessen erbitterterGegner FRIEDRICH AUGUST QUENSTEDT (1809-1889, Methoden der Kristallo-graphie 1840) war, betrachtete die Mineralien mehr vom allgemein beschrei-bend naturhistorischen Standpunkte aus, doch huldigte schon sein Nachfolgerin Wien, WILHELM HAIDINGER (1795-1871), einer universelleren Auff as-sung. Der Minerogenesis widmete sich besonders AUGUST BREITHAUPT

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(1791-1873, der Nachfolger GOTTLOB ABRAHAM WERNERS), der 1815 überdie Pseudomorphosen, 1849 über die Paragenesis der Mineralien fundamen-tale Arbeiten publizierte und dessen «Charakteristik des naturhistorischenMineralsystemes» 1836-1847 erschien. J. REINHARD BLuM (1802-1883) inHeidelberg hatte 1843 begonnen, das Werk «Die Pseudomorphosen des Mine-ralreichs» herauszugeben (1840 erschien seine Lithurgik). Während inFrankreich ELIE DE BEAUMONT (1798-1874), J. FOURNET (1801-1869),G. A. DAUBREE (1814-1896) u. a. auf Grund von Beobachtungen und Experi-menten unvoreingenommen die verschiedensten Mineralbildungsweisenstudierten, kam im deutschen Sprachbereich der Streit der Plutonisten undNeptunisten noch nicht zur Ruhe. CARL GUSTAV CHR. BISCHOF (1792-1870) hobim besonderen in seinem Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geo-logie die vielfältige Rolle des Wassers hervor und wurde von den Neo-Plu-tonisten häufig zitiert. 1847 war indessen THEODOR SCHEERER'S Arbeit er-schienen, die insofern zwischen den verschiedenen Standpunkten zu ver-mitteln suchte, als auch für magmatische Prozesse die Mitwirkung von Was-ser als wahrscheinlich dargestellt werden konnte.

In starkem Aufschwung begriffen war die analytisch-chemische Mineralo-gie. Für JONS JAKOB BERZELIUS (1779-1848) war die Mineralchemie nur ein(von ihm indessen besonders gepflegter) Anhang der Chemie. Er und J. F.L. HAUSMANN (1782-1859) bauten für die Mineralbestimmung und Mineral-charakteristik die Lötrohrmethode neben der quantitativen Analyse aus.EILHARD MITSCHERLICH (1794-1863) hatte 1818-1827 die Isomorphie undund Polymorphie als wesentliche Erscheinungen der Kristallchemie ent-deckt und GUSTAV ROSE (1798-1873), dessen Krystallb-chemisches Mineral-system 1852 erschien, hatte schon 1820 bis 1844 wichtige Mineralmonogra-phien geschaffen. Der unermüdliche Mineralchemiker C. F. Rammelsberg(1813-1899) gab bereits 1841 die erste Abteilung des Handwörterbuchesdes chemischen Teiles der Mineralogie heraus. «Poggendorffs Annalen» ent-hielten im übrigen viele wichtige mineralogische Arbeiten.

In der Kristallphysik waren durch AUGUST J. FRESNEL (1788-1827),D. BREWSTER (1781-1868), FR. E. NEUMANN (1798-1895), JoH. GOTTL.CHRIST. NÖRRENBERG (1787-1862), die später von Bedeutung werdendenGrundlagen der Mineraloptik bereits geschaffen worden, und H. DE SENAR-MONT (1808-1862), hatte mit A. DES CLOIZEAUX u. a. soeben begonnen,optische und andere physikalische Eigenschaften der Kristalle systematischzu studieren.

Wenig bekannt blieben zunächst die fundamentalen Untersuchungen überdie Symmetrie und Struktur der Kristalle durch JOH. FRIEDR. CHRISTIANHESSEL (1796-1872) und AUGUST BRAVAIS (1811-1863).

Mit grossem Eifer hatte, gefördert durch viele Reisen der Geologen undMineralogen, die Sammlertätigkeit eingesetzt. Es erfolgten Beschreibungenvon Mineralsammlungen und Zusammenstellungen über Mineralfunde be-stimmter Gebiete. Schon anfangs des 19. Jahrhunderts hatte KARL CAESARV. LEONHARD den Begriff «topographische Mineralogie» geprägt. 1811 war von

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CHRISTOPH BERNOULLI die«Geognostische Übersicht der Schweiz, nebst einemsystematischen Verzeichnis aller in diesem Lande vorkommenden Mineral-körper und deren Fundörter» erschienen, und 1838 von CARL HARTMANNdas «Taschenbuch für reisende Mineralogen, Geologen, Berg- und Hütten-leute durch die Hauptgebirge Deutschlands und der Schweiz».

Zürichs Beitrag. zur Erforschung der Mineralien derSchweiz und zurKritik der Mineralsystematik.Dass Zü-rich, das seit Conrad Gessner (1516-1565), Johann Heinrich Hottinger (1680bis 1756) und Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733), der Kristall- und Mine-ralienkunde keine spezielle Aufmerksamkeit mehr geschenkt hatte, im zweitenDrittel des 19. Jahrhunderts zu einer bekannten Forschungsstätte der Schwei-zer Mineralien wurde, ist in erster Linie einem Zürcher Kaufmann, DAVIDFRIEDRICH WISER (1802-1878), während 49 Jahren Mitglied der Zürcher Na-turforschenden Gesellschaft, zu verdanken. Von 1836 an widmete sich dieserausgezeichnete Beobachter ausschliesslich dem Studium der Mineralien.Von ihm schrieb 1926 P. Groth in der «Entwicklungsgeschichte der Minera-logischen Wissenschaften»: «Der Privatgelehrte David Friedrich Wiser hatsich dadurch um die Kenntnis der Schweizer Mineralien hochverdient ge-macht, dass er die früher nur nach ,Bergkrystallen' suchenden Strahler inden Hochalpen veranlasste, auch die übrigen krystallisierten Mineralien zusammeln und dass er die hierdurch zu seiner Kenntnis gelangten Fund-stätten durch zahlreiche Mitteilungen im Neuen Jahrbuch für Mineralogieusw. in den Jahren 1838-1872 bekannt machte.» Fast alle seiner nahezu8000 Sammlungsobjekte sind auserlesene Proben, kristallographisch oderparagenetisch hervorragende Stufen, jede für sich genau etikettiert undbeschrieben. Sie bilden heute den Stolz der Mineralogischen Sammlung derEidgenössischen Technischen Hochschule und sie waren es, die nach Grün-dung der Hochschulen den aus dem Ausland nach Zürich kommenden Mine-ralogen eine Fülle von Arbeitsmaterial lieferten. OTTO VOLGER hat in sei-nen noch zu erwähnenden Studien sich vorzugsweise auf SammlungsstückeWisers gestützt; er widmete 1855 sein mineralogisches Hauptwerk, ,demkenntnisreichen Pfleger der Wissenschaft' und G. ADOLF KENNGOTT versahdas Standardbuch der schweizerischen Mineralien ,Die Minerale derSchweiz nach ihren Eigenschaften und Fundorten' (1866) mit einer Wid-mung an David Friedrich Wiser (Ehrendoktor der Universität Zürich) ,alsbleibendes Zeichen der Anerkennung seiner grossen Verdienste um dieMineralogie der Schweiz'. Zusammen mit den von der NaturforschendenGesellschaft in Zürich erworbenen Sammlungen (z. B. von Landvogt Zeller,Hans Conrad Escher), den Kollektionen von Leonhard Schulthess, HeinrichRudolf Schinz, Arnold Escher von der Linth und Johann Heinrich Rahnbildete Wisers sorgfältig gesammeltes Material den Grundstock und dasRüstzeug für diese Epoche mineralogischer Forschung. Mit allen hervor-ragenden Mineralogen stund Wiser im regen Gedankenaustausch, keinerversäumte bei der Durchreise in Zürich seine Sammlungen zu besichtigen.

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Im gleichen Zeitraum waren neben den übrigen Zürcher Mineralogenund neben dem Tessiner L. LAVIZZARI nur G. VOM RATH, F. HESSENBERGund gelegentlich M. WEBSKY, C. MARIGNAC, A. DES CLOIZEAUX und A. DA-MOUR in ähnlich gründlicher Weise beschäftigt, Mineralien der alpin-schweizerischen Klüfte zu untersuchen. Die genaue Erforschung der Bin-nentaler Kristallfunde durch G. SELIGMANN, W. J. LEWIS, 0. TRECIIMANN,C. KLEIN u. a: begann erst in den siebziger Jahren und wurde in derSchweiz später durch H. BAUMHAUER fortgesetzt. Auch hier war es übrigensein Zürcher, J. CHRISTIAN HEUSSER, den schon 1855, angeregt durch WisersSammlung und durch gelegentliche Funde von W. SARTORIUS VON WAL-TERSHAUSEN, neben dem Zermattergebiet das Binnental besonders anzog.Leider verliess nach der Wahl Kenngotts zum Professor dieser tüchtigePrivatgelehrte die Schweiz.

Eine Persönlichkeit von ganz besonderer Prägung war G. H. OTTOVOLGER, von 1851-1856 Privatdozent der Mineralogie an der UniversitätZürich. In seiner 1854 erschienenen Mineralogie (als Teil eines Leitfadensder Naturgeschichte) überrascht er durch seine Verdeutschungen: statthomogen schreibt er stoffeinig und merkt nicht, dass auch der Fremdspra-chenkundige unter seinen Bezeichnungen wie Eckling, Knöchling, Timpling,Stelling, Schübling, sich nicht mehr vorstellen kann als wenn er die damalsbereits üblichen zugehörigen Allgemeinbezeichnungen wie Oktaeder, Rhom-bendodekaeder, Tetraeder, Pentagondodekaeder, Tetartoid (= tetraedri-sches Pentagondodekaeder) erlernen muss. Rhomboeder sind nach ihmZähnlinge und Aberzähnlinge, Zwecklinge und Aberzwecklinge, trigonalePyramiden Zähn- oder Zwecktäuschlinge usw. Die Kristalle nannte er all-gemein Quarze. Seine Hauptaufgabe aber sah er darin, die Geschichte desdritten Naturreiches (Mineralogie) ähnlich zu gestalten wie die des Pflan-zen- und Tierreiches. Er schrieb in Zürich 1854 die «Studien zur Entwick-lungsgeschichte der Mineralien als Grundlage einer wissenschaftlichenGeologie und rationellen Mineralchemie>, 1855, «Die Entwicklungs-geschichte der Mineralien der Talkglimmer-Familie und ihrer Verwandten,sowie der durch dieselben bedingten petrographischen und geognostischenVerhältnisse» , und bereits in Frankfurt das für seine naturphilosophischeEinstellung besonders charakteristische Buch «Erde und Ewigkeit. Die na-türliche Geschichte der Erde als kreisender Entwicklungsgang im Gegen-satz zur naturwidrigen Geologie der Revolutionen und Katastrophen». Derleitende Gedanke war das «Alles fliesst», der Nachweis, dass Steine nichttot, sondern in ständiger, langsam verlaufender Umformung begriffen seien,dass den einzelnen Mineralien im zyklischen Ablauf des Geschehens ganzbestimmte Plätze zukommen. Es war das Werden und nicht das Sein, das erbeschreiben wollte, immer sich darauf stützend, dass alles, was er anführe,reine Beobachtung sei. Gewiss, VOLGER hat die Sammlungsobjekte ein-gehend beobachtet, aber sehr oft die Vieldeutigkeit der Interpretation über-sehen und vor allem vergessen, wie notwendig zur Erkennung der Zusam-menhänge im grossen die direkte Feldbeobachtung ist. Manche Vorgänge

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der Mineralumbildung in der Oxydationszone hat er, der naturgemäss denPseudomorphosenbildungen besonderes Interesse zuwandte, indessen rich-tig dargestellt. Er erkannte auch, dass die alpinen Zerrkluftmineralien,darunter Quarz, Adular, Periklin, Rμutil, Granat, Epidot, auf wässerigemWege entstanden sind, aber es gelang ihm nicht, diese Vorgänge von denender Bildung der Muttergesteine zu trennen. So entwickelte er sich zum Neo-neptunisten. Granit wurde zum umgewandelten Kalkstein, jeder Feldspatein Abkömmling von Karbonat, jeder Glimmer ein umgewandelter Talk.

Sehr unklar blieb seine Stellung der Mineral- und Gesteinschemie gegen-über. Die stofflichen Wanderungen und Umsätze suchte er weder zu formu-lieren noch zu begründen; der Analyse begegnete er mit Misstrauen, da fürihn auch der Stoffbestand nur als Glied einer Entwicklungsreihe, nicht alseigentliches Mineralkennzeichen galt.

Doch würden die Arbeiten dieses von Wahrheitsdrang beseelten For-schers, der auf anderen Gebieten, wie z. B. der Erdbebenkunde und regio-nalen Geologie, mancherlei geleistet hat, eine besondere Darstellung recht-fertigen. Übrigens ist gerade in der letzten Zeit die Idee eines ständigen,langsam verlaufenden Stoffwechsels in der Erdrinde mit der Bildung allermöglichen Gesteine auseinander durch kapillare Stoffwanderung und Meta-somatose wieder ausgiebig erörtert worden, mit genau der gleichen Unklar-heit in bezug auf exakte chemische und physikalisch-chemische Frage-stellung. Begünstigt wurden VOLGERS naturphilosophische Spekulationendurch die Unbestimmtheit in bezug auf den Art- bzw. Genusbegriff in derMineralogie und die Vielfalt der Klassifikationsversuche.

In dieser Beziehung ragt nun weit über alle Darstellungen, die dem Ver-fasser bekannt geworden sind, das in Fachkreisen völlig unbekannt geblie-bene, bereits oben erwähnte Werk JULivs FRÖBELS (damals Professor ander Universität und der Industrieschule Zürich) «Grundzüge eines Systemsder Krystallologie oder der Naturgeschichte der unorganischen Individuen»(Zürich und Winterthur 1843) hervor. Der erste Abschnitt: «Kritische undhistorische Feststellung der Principien» ist nicht nur eine für die damaligeZeit kühne, sondern auch eine wohldurchdachte und in vielem heute nochgültige Auseinandersetzung zwischen rein naturhistorischer, physisch-geo-graphischer und rein chemischer Methodik in der Mineralogie, die hierschon unter Einbezug aller künstlichen Kristallverbindungen bewusst zurKristallologie erweitert wurde. Zur gleichen Zeit wie MORITZ', aber in vieltieferem Sinne, erläuterte FRÖB.EL den Begriff der anorganischen Indivi-dualität. Die Verwandtschaftsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Kri-stallen wurden sorgfältig diskutiert. Nach ihm müssen allgemeine Charak-teristika sein: Morphologie, innere Struktur und Zusammensetzung mit demPostulat: «Zwischen Substanz und morphologischen Eigenschaften bestehtein Zusammenhang». Es ist schade, dass dieser ideenreiche, sorgfältig f or-mulierende Forscher als politischer Feuerkopf den Wissenschaften nichtdie Treue hielt.

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Nach Gründung der eidgenössischen polytechnischen Schule wurde dieMineralogie endgültig verselbständigt und die Professur GUSTAV ADOLFKENNGOTT (1818-1897), einem in Breslau geborenen und damals in Wientätigen Württemberger übertragen. Das war eine ausserordentlich glück-liche Wahl. Während 37 Jahren (1856-1893) blieb nun die Mineralogie(seit 1857 gemeinsamer Lehrstuhl der Universität und des eidg. Polytech-nikums) in den Händen eines sehr kenntnisreichen, gewissenhaften undwissenschaftlich in hohem Masse tätigen Mannes. Kenngott hatte mit einerArbeit «Systematis crystallorum rhombici adumbratio» 1842 in Breslaudoktoriert und im gleichen Jahre mit der Habilitationsschrift «De notionee principiis crystallologiae, quae sequntur crystallorum species nonnullae adangulos observatos descriptae» die venia docendi erlangt. Er war somit vonHaus aus Kristallograph. Mit der Ü bersiedlung nach Wien (1850) wandte ersich der beschreibenden Mineralogie und Systematik zu und war nun wäh-rend 40 Jahren einer der hervorragendsten Vertreter dieses Sektors derWissenschaft, der in mehr als 150 kleineren Notizen und Abhandlungen inganz wesentlichem Masse die kritische Mineralsystematik förderte. Nichtwenig trug dazu bei, dass er von 1844-1865 in Form von Referaten in 12Bänden eine Übersicht der Resultate mineralogischer Forschung herausgab.Es handelt sich nicht nur um einen fast vollständigen Überblick über diese20 Jahre mineralogisch-petrographischer Forschung, durch die glänzendeDarstellung und Herausarbeitung des Wesentlichen, sowie durch manchetreffenden Bemerkungen und Ergänzungen ist dieses grosse Werk fürdie später erschienenen Handbücher (z. B. von CARL HINTZE) zur wich-tigsten Quelle geworden. Seine eigenen Beiträge gingen grösstenteils un-mittelbar in die Literatur über oder gaben Veranlassung zu gleichgerich-teter ausgedehnter Forschung, so dass sein Name heute seltener genanntwird als der seiner mehr monographisch tätigen Zeitgenossen.

Die Aufhellung des Chemismus der Chloritgruppe ist beispielsweise weit-gehend das Verdienst KENNGOTTS, der schon 1861 die atomare Vertretungvon MgSi durch AlAl postulierte und 1877 den Amesit als tonerdereichstesGlied sorgfältig beschrieb; meistens jedoch wird dies G. TSCHERMAK zuge-schrieben, der 1883 bis 1891 in vorzüglicher monographischer Behandlungdie Orthochlorite gliederte und als Mischkristallserie zweier «Moleküle»,Serpentin und Amesit, darstellte. Uns mutet die Auffassung Kenngotts (auchhinsichtlich der Feldspäte und anderer Silikate) moderner an als die jenerMineralogen, die immer nach «molekularen» Endverbindungen der Misch-kristallreihen suchten, denn wie aus vielen Bemerkungen hervorgeht, bliebfür Kenngott im Kristall der Ersatz Atom für Atom stets das Wesentliche.Auch in der Gruppe der Augite (Enstatit ist eine von Kenngott geprägteBezeichnung) und Hornblenden und in zahlreichen anderen Fällen hatKenngott, unterstützt durch die analytisch-chemischen Beiträge seiner Zür-cher Kollegen der Chemie (V. MERZ, G. STÄDELER, V. WARTHA, J. WISLI-CENUS u. a.), zur Abklärung strittiger Fragen viel beigetragen. Ihm ist dieerste exakte Beschreibung gedrehter Quarze zu verdanken und in dem

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schon erwähnten Buch «Die Minerale der Schweiz», 1866, ist eine Fülle voneigenen Beobachtungen verarbeitet warden.

Kennt man nur die zahlreichen Notizen und kleinen Abhandlungen, so istman geneigt, in Kenngott einen Forscher zu sehen, der sich mit der Bearbei-tung vieler kleiner Probleme der beschreibenden Mineralkunde begnügteund dem die grösseren Zusammenhänge verschlossen blieben. Dieses Urteilwird entscheidend korrigiert, wenn seine zahlreichen Lehrbücher und das1882-1887 von ihm herausgegebene dreibändige «Handwörterbuch derMineralogie, Geologie und Paläontologie» zu Rate gezogen werden. Wohlsind alle seine in einfacher und klarer Form abgefassten Lehrbücher sehrelementar gehalten, aber das Elementare beruht auf freiwilliger Beschrän-kung in Kenntnis der Tatsachen. Hatten seine Kollegen, sei es auf demGebiet der Kristallographie, Edelsteinkunde, Kristallchemie oder topogra-phischen Mineralogie, weit grössere Einzelleistungen vollbracht, so blieb erin vielem der universellere Mineraloge, der bemüht war, zwischen den ver-schiedenen Entwicklungsrichtungen ein Gleichgewicht herzustellen. Aus denheute noch lesbaren Artikeln des genannten Handbuches (z. B. über Artender Minerale, Dimorphismus, Formeln, Gestalten der Minerale, Isomorphis-mus, Krystalle und Krystallgestalten, Systematik der Minerale, Wachstumder Krystalle) erkennt man nicht nur den belesenen, sondern auch densichtenden Lehrer, der sich gewiss in manchen Meinungsstreit nur deshalbnicht einmischte, weil er die Überspitzung der Formulierungen einsah. Invorausschauender Weise hat er auch versucht, die Härte der Mineralien mitihrer Struktur und mit der Packung der Atome in Verbindung zu setzen.

Von Kenngott sagt sein Schüler und Nachfolger ULRICH GRUBENMANN: «Inseiner vorwiegend beschreibenden Lehrweise blieb er immer der naturge-schichtlichen Schule treu, aus der er hervorgegangen war. Wie er selbst inäusserst genauer Beschreibung sich erging, so verlangte er solche auch vonseinen Schülern und forderte auf diese Weise in ungewöhnlichem MasseGenauigkeit in Beobachtung und Ausdruck ... Als langjähriger Vorstand dermineralogischen Sammlungen beider Hochschulen hat er die reichen Schätzederselben, dem damaligen Stande des mineralogischen Systems entspre-chend, vollständig neu aufgestellt und mit bewundernswerter Geduld Stückfür Stück eigenhändig etikettiert ... Er charakterisierte lokale, nament-lich schweizerische Vorkommnisse, präzisierte Speziesformen, diskutierteund berechnete in besonders reichem Masse chemische Analysen undFormen.»

Kenngott, der während mehreren Jahren Direktor des Polytechnikumswar, wurde vor 50 Jahren von der Naturforschenden Gesellschaft in Zürichbei Anlass des 150jährigen Jubiläums zum Ehrenmitglied ernannt.

Schon V. MERZ hatte in seiner Dissertation (1864) über die Kieselsäurengearbeitet, und 1866 veröffentlichte G. STÄDELER eine chemische Systematikder Silikate, ausgehend von folgenden Gesichtspunkten:

1. Bildung verschiedener Polykieselsäuren aus der Orthokieselsäure ana-log den Polymerisationen der Phosphorsäure.

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2. Zuordnung der damals bekannten silikatischen Mineralien zu den Sal-zen dieser Säuren unter Berücksichtigung, dass Aluminyl (A10)-, Feryl(Fe0)-, Manganyl (Mn0)-, Uranyl-Radikale die Alkalien und Erdalkalienersetzen können.

Noch zweimal hat später (nach 1900) die Silikatchemie entscheidende Im-pulse von Zürich aus erhalten, zuerst durch J. JAKOB, der die WernerscheKoordinationslehre anzuwenden suchte, und später durch den Ausbau derPolymerisationstheorie, nachdem erste BRAGGsche Strukturbestimmungendie stereochemische Bedeutung dieses Polymerisationsprozesses verstehenliessen.

Die Petrographie oder Gesteinskunde. Das Lehrbuch«Elemente der Petrographie» Leipzig 1868 zeigt, dass G. A. Kenngott aufdem Gebiet der Gesteins- und Lagerstättenkunde nicht schöpferisch tätigwar. Der beschreibende Charakter findet in der Systematik seinen Aus-druck. Kenngott gliedert in krystallinische (körnige), porphyrische, dichteund klastische Gebirgsarten. Fragen der Gesteinsentstehung werden mehrnebenbei behandelt. Bemerkenswert ist jedoch der Versuch, belm Granitzwischen Mineralbestand und Chemismus auf rechnerischem Wege den Zu-sammenhang herzustellen. Es waren . in dieser Zeit Geologen wie ARNOLDESCHER VON DER LINTH, ARMIN BALTZER, ALBERT HEIM, K. MAYER, oderChemiker wie V. MERZ (Vd-Gehalt der Bohnerze), ferner E. STÖHR, TH.DELMAR (Phosphoritlager), G. STOCKAR-ESCHER (Alaungewinnung in Käpf-nach), die gelegentlich in der Naturforschenden Gesellschaft über geogno-stische Verhältnisse und Lagerstätten, über Vulkanismus und Gesteinsumfor-mungen berichteten oder in den Vierteljahrsschriften Arbeiten publizierten.1893 trat G. A. Kenngott von seiner Lehrtätigkeit zurück. Sein Nachfolgerwurde ULRICH GRUBENMANN von Teufen, Appenzell (1850-1924), der sichals Lehrer an der Kantonsschule Frauenfeld bereits im Wintersemester1887/1888 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule habilitiert hatte.

2. Petrographie, Mineralogie, Kristall- und Lagerstättenkunde in derII. Epoche

Die A er a Ulrich Grub e n m an n. Beim Übergang des Lehrstuhlesfür Mineralogie und Petrographie von G. A. Kenngott an Ulrich Grubenmannfand ein vollkommener Wechsel in der Forschungsrichtung statt. Bei allerHochachtung und Wertschätzung, die dem Wirken Kenngotts gezollt werdenmuss, kann heute rückblickend festgestellt werden, dass dieser Wechsel vongrosser Bedeutung war und im richtigen Zeitmoment erfolgte. Früher alsan manchen anderen Hochschulen ist in Zürich die Mineralogie und Petro-graphie selbständig geworden und durch die Arbeitsrichtung Kenngotts, dergeologische Komponenten fehlten, ist die Trennung befestigt, ja sogar über-stark betont worden. Da die bergbauarme Schweiz kaum Berufsmineralogenbenötigte und die Petrographie völlig im Schatten der Mineralogie stund,konnte Kenngott keine Spezialschüler ausbilden. Von 1873 an begann aber

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unter ALBERT HEIM (1849-1937, Professor bis 1911) die Alpengeologie ihreAnziehungskraft auszuüben. Bald zeigte sich, dass es in vielen Gebieten denGeologen ohne gründliche petrographische Vorbildung unmöglich war, dieProbleme zu behandeln. Albert Heim selbst hatte bereits in seinem Werküber die Geologie der Hochalpen zwischen Reuss und Rhein dem jüngeren,petrographisch-lagerstättenkundlich ausgebildeten Kollegen C. SCHMIDT inBasel (1862-1923) einige petrographische Fragen zur Beantwortung über-geben. Denn inzwischen hatte sich die Petrographie unter Berücksichtigunggeologischer und chemischer (z. B. durch J. RoTH) Gesichtspunkte mächtigentwickelt und in der Untersuchung von Dünnschliff en mit dem Polari-sationsmikroskop (H. C. Sorby und A. Oschatz 1851, M. Websky 1858, H.Fischer 1869-1873) eine neue Methode erhalten. F. ZIRKEL (1838-1912)in Leipzig und H. ROSENBUSCH (1836-1914) in Heidelberg wurden 1873durch die Werke: «Die mikroskopische Beschaffenheit der Mineralien undGesteine» und «Mikroskopische Physiographie der petrographisch. wichtig-sten Mineralien» zu Begründern ausgezeichneter Schulen und in der Folge-zeit zu Neugestaltern der Gesteinskunde. In Frankreich schlossen sich ihnenbald A. MICHEL-LEVY, F. A. FOUQUE und später A. LACROIx an, in EnglandJ. J. H. TEALL. Übrigens hatte bereits 1869-1875 G. A. Kenngott Dünn-schliffe von Meteoriten und Obsidianen eingehend untersucht, ohne indessenauf diesem Wege weiterzuschreiten; in seinem Handbuch liess er die Petro-graphie durch A. VON LASAULX behandeln, der an der ersten Entwicklungoptischer Methoden mitbeteiligt war.

Es war nun nicht nur für die Erforschung der Alpen, sondern auch fürdie nach 1900 auf Anregung C. SCHMIDT'S einsetzende Ausbildung von Erz-und Ölgeologen von entscheidender Bedeutung, dass der Rücktritt G. A.Kenngott's dazu benutzt wurde, um an Stelle eines Mineralogen einen Petro-graphen zu berufen. Und für diesen war es wiederum wertvoll, dass er sichnach der bereits erzielten Verselbständigung der Mineralogie und Petro-graphie nicht um das Recht eines Eigenlebens der von ihm vertretenen Dis-ziplinen, sondern um die Zusammenarbeit mit der Geologie bei der Ausbil-dung junger Forscher zu kümmern hatte. So wurde in Zürich durch die inUnterricht und Forschung sich vorzüglich ergänzenden Gelehrten ALBERTHEIM und ULRICH GRUBENMANN, " in Basel und Bern durch die sowohl alsGeologen wie als Petrographen tätigen C. SCHMIDT und A. BALTZER, in Genfdurch L. DUPARC und in Lausanne durch M. LUGEON die Grundlagen ge-schaffen, die dazu führten, dass die Schweizer Alpen in vorbildlicher Weisegeologisch-petrographisch untersucht werden konnten und sehr bald dieSchweizer Geologen an der Erschliessung der Rohstoffe fremder Ländergrossen Anteil hatten. Da vor allem von diesen Geologen eine gründlicheAllgemeinschulung, eine sorgfältige Arbeit und die Kombination von Labo-ratoriums- und Felduntersuchungen verlangt wurde, verwundert es nicht,dass unter den ersten Absolventen der Zürcher Hochschulen, die im Aus-lande zu grossem Ansehen kamen, Spezialschüler Grubenmann's wieH. HIRScHI, J. TH. ERB, FR. WEBER, R. BEDER zu finden sind. Der ausge-

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zeichnete Pädagoge U. Grubenmann hatte sofort begonnen, sorgfältig vor-bereitete Praktika einzuführen und den einfachen Lehrbetrieb zu einemInstituts- und Laboratoriumsbetrieb umzugestalten. Es ist diese bis in dieNeuzeit andauernde Entwicklung ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dassdie Hochschulen im Interesse der Praxis nicht ausgesprochene Spezialistenauszubilden haben, sondern tüchtige Wissenschafter, die imstande sind, neueProbleme selbständig zu lösen, förderte doch die Schweiz, ohne irgendwiein Betracht fallenden Bergbau zu besitzen und ohne Minen- und Berginge-nieurschulen, die praktische Mineralogie und Geologie durch ihre auf derganzen Erde tätigen Wissenschafter wie kein anderes Land gleicher Grösse.

U. Grubenmann hatte 1874 mit einer organisch-chemischen Arbeit dieDoktorwürde erlangt. Es war vor allem die kombinatorische Anwendungchemischer und mikroskopischer Methoden, die seinen weit über die Lan-desgrenzen reichenden Ruf als Forscher begründete. Ohne ein eigentlicherFeldgeologe zu sein, hütete er sich, reine Handstück- und Laboratoriums-petrographie zu treiben, verlangte er von sich und seinen Mitarbeitern sorg-fältiges Studium der Vorkommnisse in der Natur. So schuf er in Zürich eineder wenigen Stellen, in denen die verschiedenen neuen Methoden nicht ein-seitig, sondern in gegenseitig sich befruchtender Weise angewandt wurden.Seine Schüler waren nicht nur theoretisch und methodisch ausgezeichnet vor-gebildet, sie hatten in vielen Übungen und auf manchen Exkursionen dieMinerale und Gesteine wirklich kennengelernt. Durch die 1900 erfolgteGründung des mineral- und gesteinschemischen, Laboratoriums, dem wäh-rend langer Jahre seine vorzügliche Schülerin und spätere Mitarbeiterin undPrivatdozentin LAURA HEZNER (1862-1916) vorstand, leistete er nicht nurder Erforschung schweizerischer Gesteine grosse Dienste, er gab den Ar-beiten des Institutes eine besondere Richtung, wie sie heute noch von weni-gen anderen Lehranstalten im gleichen Masse gepflegt werden kann.

Als erster Präsident der Geotechnischen Kommission der SchweizerischenNaturforschenden Gesellschaft (Präsident 1899-1924) erwarb sich U. Gru-benmann unvergängliche Verdienste um die Erforschung der technisch undwirtschaftlich wichtigen Rohstoffe der Schweiz, und noch nach seinem 1920erfolgtenRücktrittvomLehramt gründete er die heute unentbehrlich gewordeneZeitschrift «Schweizerische mineralogisch-petrographische Mitteilungen ».

Weltruhm aber verschaffte ihm das Studium der G e s t e i n s m e-t am o r p h o s e und insbesondere die ausgezeichnete, völlig neuartigkonzipierte Systematik der metamorphen Gesteine. Es war ein für die Ent-wicklung der Wissenschaft wichtiges Ereignis, dass um die Jahrhundert-wende F. M. BERWERTH (1850-1918), der hervorragende Forscher F. BECKE(1855-1931), beide in Wien, und U. GRUBENMANN, der Systematiker, ver-anlasst durch die Akademie der Wissenschaften in Wien, sich zu gemein-samer Arbeit zusammenfanden. Das Werk Grubenmann's «Die kristallinenSchiefer» (1. Aufl. 1904-1907, 3. Aufl. unter dem Titel «Die Gesteins-metamorphose» I, 1924) ist zum Standardwerk geworden. In vielen Spezial-arbeiten, z. B. gemeinsam mit L. Hezner, wurde die alpine Gesteinsmeta-

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morphose studiert. Vor allem erfolgte auch hier die Berücksichtigung deranalytisch-chemischen und später der physikalisch-chemischen Forschung,beispielhaft und richtungsweisend.

Nicht ohne Mitwirkung Grubenmann's wurde als Physikochemiker an dieETH. G. BREDIG gewählt, der beim Tode J. H. VAN T'HOFFS (1911) in einemglänzenden Nachruf die grosse Bedeutung der Untersuchungen dieses Che-mikers über die Bildung der ozeanischen Salzablagerungen für die Minera-logie und Petrographie hervorgehoben hatte. Und als Bredig nach Karlsruheübersiedelte, gelang es, EMIL- BAUR zu gewinnen, der durch seine ChemischeKosmographie und seine Mineralsynthesen in noch engerer Verbindung mitden modernen Methoden der physikalisch-chemischen Mineralogie und Petro-graphie stand. Grubenmann war zudem der erste Hochschullehrer Europas,der einem seiner Schüler die Weiterbildung am neugegründeten «Geophysi-cal Laboratory» in Washington ermöglichte.

Aber auch die Eruptivgesteinskunde fand in Grubenmann, gestützt auf dieArbeiten von H. ROSENBUSCH und A. OSANN, einen ausgezeichneten Inter-preten, während die Sedimentpetrographie mehr vom technischen Stand-punkte aus, in dieser Beziehung jedoch wiederum vorbildlich, behandeltwurde. Es waren in diesem Zeitraum Geologen und Stratigraphen (wie unterden jüngeren P. ARBENZ und ARN. HEIM), die, nach fundamentalen Unter-suchungen durch ALB. HEIM, der Entstehung der Sedimente ihre Aufmerk-samkeit schenkten, wobei auch die klassischen Arbeiten von J. FRÜH überdie Nagelfluh und die Torfe (zusammen mit C. Sehröter) und von E. LETSCHüber die Kohlen nicht vergessen werden dürfen. Zur Popularisierung dermikroskopischen Gesteinsuntersuchung trugen in wesentlichem Masse dieVorträge eines Schülers von U. Grubenmann, L. WEHRLI, bei, und auch jetztwaren ausserhalb der Hochschule Stehende wie z. B. der Kaufmann A. B0D-MEB-BEDEA (1836-1906) auf Spezialgebieten (z. B. petrographische Unter-suchungen der Steinwerkzeuge) tätig. Kristallographie und Mineralogiewurden zu Grubenmanns Zeiten im Unterricht nach dem neuesten Standder Wissenschaft behandelt, erfolgte doch nach der Jahrhundertwende unterBenutzung der MILLEBschen Symbole die Umstellung auf die Systematik, dieder unvergessliche P. v. GROTH (1843-1927) geschaffen hatte. BesondereFörderung erfuhr die Mineralchemie, und in liberaler Weise wurden durchAufstellung und Öffnung der Sammlungen die Bestrebungen des FreiburgerPhysikers JOHANN KOENIGSBERGER unterstützt, der seine wichtigen Unter-suchungen über die Bildung der alpinen Kluftmineralien begann.

Als 1920 U. Grubenmann vom Lehramte zurücktrat, hatte er an den ver-schiedenen Abteilungen der Hochschule der Petrographie und Mineralogieeine geachtete Stellung unter den propädeutischen Fächern gesichert, zahl-reiche Spezialschüler ausgebildet und die denkbar günstigsten Umständefür die Weiterentwicklung des Instituts geschaffen.

Neueste Zeit. Als Nachfolger kehrte der Verfasser dieses Abschnittes,der sich 1913/14 an beiden Hochschulen habilitiert und zwischen 1915 und

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1920 Professuren in Leipzig und Tübingen bekleidet hatte, nach Zürichzurück.

Bei dieser Gelegenheit sei auf etwas aufmerksam gemacht, das bei derfachlichen Zersplitterung und oft ungenügenden direkten Zusammenarbeitzwischen den Hochschulinstituten Trost gewährt. Die tektonisch so bedeu-tungsvolle Lehre Albert Heims von der mechanischen Umformung der Ge-steine stand in mancher Hinsicht im Gegensatz zu der die Chemie und Kristal-lographie berücksichtigenden Anschauung Grubenmanns. Eine eigentlicheSynthese konnte nicht erfolgen und bahnt sich überhaupt erst heute an. DenStudierenden blieb die grundsätzliche Differenz, die nie durch gemeinsameAussprachen überbrückt wurde, nicht verborgen. Auch zwischen den Fort-schritten der physikalischen Chemie und der Petrographie, hier allerdings,wie bereits erwähnt, unter aktiver Mitwirkung Grubenmanns, mussten vor-erst die Studierenden selbst den Kontakt herstellen. Die später für die Kri-stallkunde so wichtig werdende Lehre A. WERNER'S von den Koordinations-verbindungen wurde nur durch J. JAKOB für die Mineralogie nutzbar ge-macht, und die ersten klassischen Ausführungen M. v. LAUE's, der kurz nachder Entdeckung der Röntgeninterferenzen an Kristallen nach Zürich berufenwurde, fanden auf der Seite der Mineralogie scheinbar keinen Widerhall.Und doch gab das den Zürcher Hochschulen eigene Fluidum Veranlassung,dass nach 1920 das mineralogisch-petrographische Institut zu einer der uni-versellsten Hochschulforschungsstätten seines Fachgebietes werden konnte,in der sowohl Probleme der Kristallographie, Kristallstrukturlehre und Kri-stallchemie wie der reinen und angewandten Petrographie und Lagerstät-tenkunde zur Behandlung kamen. Unerlässliche Voraussetzung hiefür warallerdings die vorzügliche Planung des neuen Institutes an der Sonnegg-strasse durch U. Grubenmann, wobei von Anbeginn an die Bedürfnisse desUnterrichts, der Sammlung und der Laboratorien ihre volle Berücksichti-gung fanden.

Aber im einzelnen lassen sich oft keine direkten Fäden zwischen denbereits vertretenen Disziplinen spannen, zwischen Disziplinen, die sichschliesslich gegenseitig befruchten sollten. Es war oft weit mehr das geistigeElement an sich, das später den Schülern ermöglichte, Verbindungen herzu-stellen, ohne dass während des Studiums bereits in dieser Richtung bewusstgearbeitet wurde. Daraus geht hervor, dass es eine der höchsten Aufgaben derHochschulen ist, die Mannigfaltigkeit der Forschungs-r i c h t u n g en zu pflegen, gleichgültig, ob es sich vorerst um ein Neben-einanderentwickeln oder um eine von Anbeginn an vorhandene Zusammen-arbeit handelt. So ist es auch heute wieder wertvoll, dass Probleme der Kri-stallstruktur in mathematischen, physikalischen und mineralogischen Insti-tuten, Probleme der anorganischen Chemie in chemischen und mineralo-gischen Instituten, Probleme derAnwendungen in technischen Abteilungender Eidg. Technischen Hochschule, an der Eidg. Materialprüfungsanstalt undam petrographischen Institut behandelt werden.

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Das mineralogisch-petrographische Institut beider Hochschulen hat unterLeitung des dritten Dozenten seit Gründung der ETH. und unter Mitwirkungtüchtiger Kräfte wie E. BRANDENBERGER, C. BURRI, J. JAKOB, A. V. Moos,R. L. PARKER, F. DE QUERVAIN, L. WEBER und mancher jeweilen währendlängerer Zeit wissenschaftlichen Arbeiten obliegender Schüler und Assi-stenten, von denen heute eine ganze Anzahl an anderen Hochschulen undForschungsinstituten tätig sind, u. a. folgende Probleme behandelt:

Kristallkund e. Ausbau der geometrischen Grundlagen der Kristall-strukturlehre, Kristallstereochemie und Kristallstrukturbestimmung. DieHerausgabe der internationalen Zeitschrift für Kristallographie bis zumzweiten Weltkrieg ermöglichte 1930 die Abhaltung eines internationalenKongresses über Kristallstrukturerforschung, aus dem die Schaffung der «In-ternationalen Tabellen zur Bestimmung von Kristallstrukturen» hervorging.Fragen der phänomenologischen Kristallographie und Kristallberechnung,Beziehungen zwischen Kristallstruktur und Kristallwachstum. Optische Me-thoden der Kristallbestimmung. Die Gründung der röntgenographischenAbteilung gemeinsam mit der Eidg. Materialprüfungsanstalt ermöglichte dieBehandlung praktischer Fragen der Kristallstrukturbestimmung und derzerstörungsfreien Materialprüfung überhaupt. Studiert wurden auch Reak-tionen im festen Zustand im Zusammenhang mit dem Studium des Begriffes«Kristallart». Gemeinsam mit dem Institut für Schwachstromtechnik wurdendie piezoelektrischen Eigenschaften der schweizerischen Bergkristalle un-tersucht.

Mineralogie und Mineralchemie. Kristallographische undchemische Studien, insbesondere an schweizerischen Mineralien. Hydro-thermale Mineralsynthese und Untersuchung von Schmelzgleichgewichtenzwischen Silikaten und Karbonaten. Arbeiten zur Festlegung der chemischenVariationsbreite einer Mineralart. Beiträge zur Silikatanalyse und zur rönt-genographisch-analytischen Chemie.

Lager s t ä t t e n k u n d e. Genetisch-klassifikatorische Arbeiten überErzlagerstätten und Geochemie. Monographien über schweizerische Erz-lagerstätten. Mit J. Koenigsberger zusammenfassende Darstellung Tiber dieMineralien der Schweizer Alpen und daran anschliessend monographischeBehandlung einiger Fundgebiete. Neue Untersuchungen über die schwei-zerischen Kohlenvorkommnisse und mineralischen Rohstoffe im allge-meinen.

Petrographie im allgemeine n. Weiterführung der analytisch-chemischen Untersuchung der Gesteine und Behandlung der Probleme desZusammenhanges zwischen Mineralbestand und Gesteinschemismus.

Er u p t i v g es t e i n s k u n d e. Beiträge zur physikalischen Chemie desMagmas und seiner Produkte unter besonderer Berücksichtigung der leicht-flüchtigen Bestandteile. Kennzeichnung magmatischer Provinzen, verbundenmit der Einführung neuer Berechnungs- und Darstellungsmethoden. Pro-bleme der magmatischen Differentiation und der Klassifikation der Eruptiv-gesteine. Zusammenhang zwischen gewissen Erzlagerstätten und magma-

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tischen Tätigkeit. Neue Arbeitsmöglichkeiten bot die Angliederung der Stif-tung Vulkanologisches Institut I. Friedländer.

M e t a m o r p h e Gestein e. Fortsetzung der Untersuchung über dieGesteinsmetamorphose in den Alpen, verbunden mit einem Ausbau derSystematik. Stärkere Betonung der mit Injektion und Pneumatolyse im Zu-sammenhang stehenden Gesteinsmetamorphose. Versuch einer Abklärungdes alpinen Polymetamorphismus.

S e d i m e n t p e t r o g r a p h i e. Einführung neuer Untersuchungs- undDarstellungsmethoden unter besonderer Berücksichtigung der Gesteinsver-witterung und der Lockergesteine. In Zusammenarbeit mit dem Institut fürErdbau auch Behandlung technischer Fragen.

Technische Petrographie. Untersuchungen an Bau-, Pflaster-,Kunststeinen. Bausteinverwitterung. Herstellung einer GeotechnischenKarte der Schweiz (mit R. U. WINTERHALTER und M. GSCHWIND). NutzbareGesteine der Schweiz. Beratungen durch die dem Institut neu angegliederte«Geotechnische Prüfstelle». Zusammenarbeit mit der Eidg. Materialprü-fungsanstalt.

Durch Schenkungen (z. B. von I. FRIEDLÄNDER und C. TADDEI) und An-käufe konnten zudem die Sammlungen geäufnet und durch zweckmässigeNeuaufstellungen unter besonderer Berücksichtigung schweizerischer Fundedem Unterricht dienstbar gemacht werden. Das mineralogisch-petrogra-phische Institut, das noch vor 50 Jahren nur als Lehr- und Sammlungs-institut, ohne Assistenten, sein Dasein fristete, konnte sich dank der Initia-tive Grubenmanns zu einer Forschungsstätte entwickeln, die täglich physi-kalische und chemische, experimentelle und theoretische, rein wissenschaft-liche und praktische, naturbeschreibende und -erklärende Aufgaben zubewältigen hat und dem durch das Entgegenkommen der Behörden der ETH.Sammlungen, Praktikumsräume und Laboratorien verschiedener Spezial-richtungen zugeteilt wurden. Trotz Vermehrung der Aufgaben und Pflich-ten wurde jedoch versucht, dem für ein Hochschulinstitut wichtigstenGrundsatz nachzuleben, nämlich im Interesse der Studierenden und derVolkswirtschaft dafür besorgt zu sein, d ass die unerlässlichefreie Grundlagenforschung Hauptangelegenheit blei-ben konnte.

Blickt der Zürcher Chronist auf die letzten 100 Jahre zurück, so darf erfeststellen, dass sich im wissenschaftlichen Leben Zürichs die Entwicklung,welche Kristallkunde, Mineral- und Gesteinskunde als Ganzes erfahren hat,widerspiegelt, dass einige entscheidende Anregungen von Zürich ausgingenund dass mehrere der bekanntesten Forscher, sei es auf kürzere oder län-gere Zeit, mit den Hochschulen der Stadt in Verbindung standen. Wir be-neiden die Forscher der ersten Hälfte dieser hundert Jahre um ihre be-schauliche, der reinen Wissenschaft gewidmete Tätigkeit und sind ihnendankbar für die zahlreichen Arbeiten, die in vielfacher Hinsicht Abklärungbrachten. Vieles was ihnen bereits bekannt war, ist heute vorübergehend

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der Vergessenheit anheimgefallen und wird fortlaufend in neuer Beleuch-tung wieder entdeckt.

Es ist bemerkenswert, dass sich die Zahl der Stunden der Hauptvor-lesungen in dieser Zeit nicht vermehrt hat, dass im Gegenteil ein Abbauerfolgte. Von Anfang an wurde die Mineralogie vierstündig, die Petro-graphie dreistündig gelesen, wozu sich noch regelmässig drei- bis vier-stündige Hauptvorlesungen über Kristallographie gesellten. Was sich ver-mehrt hat, sind die Übungen und Praktika, doch auch hier seit Grubenmannfür das propädeutische Studium nur in geringem Masse. Die Summe desWissens, die in diesen Fächern vom Hochschulstudenten verlangt wird, istnicht grösser geworden. Es werden heute lediglich, ob mit Recht oder Un-recht sei dahingestellt, Tatsachen und Erkenntnisse anderer Art als früherin den Vordergrund gerückt.

Entscheidend für das, was man «Fortschritt» nennt, war die Entwicklungneuer Methoden, vor allem der optisch mikroskopischen und der röntgeno-graphischen, nachdem es zu Beginn die analytisch-chemischen waren, dieeine grosse Umwälzung zur Folge hatten. Ihnen allen gemeinsam ist, dasssie gestatteten, phänomenologisch kaum Unterscheidbares zu trennen. Einer-seits< wurde so die beobachtbare Mannigfaltigkeit vergrössert, andererseitsaber durch die Entdeckung neuer Zusammenhänge die Übersicht erleichtert.Ein weiteres Kennzeichen der Entwicklung in dem in Frage stehenden Wis-senschaftsgebiet ist folgendes. Trotz der Spezialisierung wurde erkannt, wiesehr die verschiedenen Disziplinen in der Naturkunde ein Ganzes bilden.Rasch wurden nach vorerst getrennter Ausarbeitung neue Brücken ge-schlagen und auf Grenzgebieten neue Einsichten gewonnen. Trotz mannig-facher Versuche konnte jedoch Mineralogie und Gesteinskunde ihre eigeneProblemstellung und Selbständigkeit nicht genommen werden, beide sindein für allemal durch den naturgegebenen Gegenstand vorbestimmt. DieseWissenschaften besitzen sowohl naturhistorische wie dynamisch- und mor-phologisch-erläuternde Elemente. Die Kombination der Methoden und Zielein einer dem Untersuchungsobjekt (die gegebene anorganische Natur) an-gepassten Eigenart ist das Reizvolle, das immer wieder diejenigen ergreift,die einen Sinn für die Baugesetze unserer Umwelt besitzen. Es handelt sichum Wissenschaften, die Liebe zur Natur verlangen und Ehrfurcht vor denRätseln, die ihre Betrachtung dem menschlichen Geist stellt. Und so bleibttrotz der Bedeutung, die der Methodik zukommt, das, was den Forscherwirklich bewegt, der Versuch, im Geiste neu zu gestalten und zu werten, wasdie Sinnenwelt beobachten lässt.

3. Schnee-, Lawinen- und Gletscherkunde

Ein schönes Beispiel der Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftenstellt die Schnee- und Gletscherkunde dar. Vor hundert Jahren hatte nachwichtigen Arbeiten von F. I. HUGI unter Führung von L. AGASSIZ (damals inNeuenburg) die klassische Periode der Gletscherforschung in der Schweiz

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begonnen. 1854 stellte der Zürcher Physiker ALBERT MoussoN in dem Buche«Die Gletscher der Jetztzeit» die Resultate zusammen, zur gleichen Zeit, alssich der englische Physiker J. TYNDALL der Gletscherforschung zuwandte.In den Vierteljahrsschriften erschienen 1859 auch die Beobachtungen überdie Struktur des Gletschereises von T. H. HuxLEY. Dann befasste sich von1870 an der Geologe ALBERT HEIM mit den Eigenschaften des Gletschereises.Er veröffentlichte das grundlegende «Handbuch der Gletscherkunde» (1885).In enger Verbindung mit Zürcher Gelehrten stand OberforstinspektorJ. COAZ (1822-1918), dessen Schrift: «Die Lauinen der Schweizer Alpen»(1881) gleichfalls ein Standardwerk darstellt. Nach Gründung der Gletscher-kommission arbeiteten Meteorologen wie P. L. MERCANTON (Lausanne,später in Zürich) und A, DE QUERVAIN und Vermessungsingenieure an derVermessung schweizerischer Gletscher und veranstalteten wissenschaft-liche Reisen zum Studium des grönländischen Inlandeises. Im hydrologischenInstitut wurden die richtungsweisenden Untersuchungen der Niederschlag-und Abflussverhältnisse in den Alpen durch 0. LÜTSCHG vorbereitet.

Angeregt durch die Arbeiten des Karlsruher Geologen und Lawinenfor-schers W. PAULCKE schritt man 1931 unter dem Präsidium des Oberforst-inspektors M. PETITMERMET zur Gründung einer schweizerischen Schnee-und Lawinenforschungskommission, die später in Zusammenarbeit des In-stituts für Erdbau, des mineralogisch-petrographischen und geologischen In-stituts an der ETH. grundsätzliche Fragen der Schneemetamorphose undLawinenbildung abklären konnte und 1943 ein Forschungsinstitut auf Weiss-fluhjoch erhielt. Hier arbeiten, von Zürich aus wissenschaftlich betreut,Ingenieure, Kristallographen, Petrographen, Physiker und Forstingenieurean den für unser Alpengebiet wichtigen Fragen der Schneeumbildung, La-winenentstehung und Lawinenerbauung. Die hochalpine Forschungs-station Jungfraujoch eignet sich für das Studium der Verfirnungsvorgängeund der Gletscherbewegung. Auch dort arbeiten junge Zürcher Forscher wieR. HAEFELI und R. U. WINTERHALTER.

War die erste Periode vorzugsweise der Beobachtung in der Natur gewid-met, so schliessen sich heute experimentelle Untersuchungen an, um dieElementarvorgänge ihrem Wesen nach zu erfassen. Mannigfaltiger Art sinddie Beziehungen zu anderen Wissenschaften, die sich mit Kristallen und mitPlastizitätsfragen fester Körper oder Kornaggregate zu befassen haben.Auch hier bestätigt sich, dass die Disziplinen Mineralogie und Petrographie,erweitert zur allgemeinen Lehre von den Kristallen und Kristallaggregaten,berufen sind, allen Disziplinen, die sich mit festen anorganisch-chemischenSystemen befassen, beratend und helfend zur Seite zu stehen.

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