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Prof. Dr. Hubert Wolf Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit I. Von der Völkerwanderung bis zum großen abendländischen Schisma

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Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit I. Von der Völkerwanderung bis zum großen abendländischen Schisma

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§ 5: Bettelorden und Ketzer- oder: Die religiösen Armutsbewegungen des Mittelalters Jerusalemer Urgemeinde (Apg 2,43-27) Entwicklung des Mönchtums: - Parusieverzögerung - Benediktinertum = Mönchtum - Weltklerus in Vita communis: Augustinerregel - Karolingische Reichspolitik - Monastische Reformen des 10. Jahrhunderts - Erneute Degeneration (wirtschaftliche und politische Macht, Adelsprinzip) Armut im Mittelalter

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I. Grundlegung: Einordnung der religiösen Aufbrüche des Mittelalters

1. Das klassische Modell: religiöse Orden und häretische Sekten - Betrachtung der Bewegung vom Ergebnis her - Katholische Kirchengeschichtsschreibung: Jede religiöse Bewegung, die nicht

in die Formen des Ordenslebens eingeht, trennt sich dadurch von der Kirche und der wahren Religion

- Evangelische Kirchengeschichtsschreibung: Konzentration auf die Sekten- und Ketzergeschichte

gemeinsam: Betonung der Unterschiede zwischen Bettelorden und Ketzern/ Sekten

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2. Das Modell H. Grundmanns: Armutsbewegungen als gemeinsame Wurzel - Gemeinsame Wurzel der Bettelorden und der häretisch genannten Gruppen

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3. Kennzeichen der Bettelorden und Sekten zugrundeliegenden Armutsbewegung - Vita apostolica - Orthopraxie statt Orthodoxie - Radikale Armut - Bibel als Norm - Kritik an der reichen Kirche - Alle Schichten umfassend (rusticani, rustici, idiotae, illiterati – keine

Lateinkenntnisse)

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4. Die Kirche macht Armutsbewegte zu Ketzern oder Heiligen a) Kirchliche Reaktionen auf die Laienpredigt - Vgl. Norbert von Xanten: 1118 Wanderprediger 1119 Verweigerung der Erlaubnis zur Laienpredigt Kompromissbereitschaft: Gründung des Klosters Prémontré Kanalisation in einen bestehenden Orden - Vgl. Petrus Waldes: 1179 Romreise, Verweigerung der Predigterlaubnis Radikalisierung Verketzerung

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- Vgl. Franziskus von Assisi 1209 Romreise, Innozenz III.: Gewährung der Predigt Einordung in die Kirche Gewährung der neuen Lebensform, Herausbildung eines neuen Ordens

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b) Stufen der Verkirchlichung c) Verkirchlichung statt Verketzerung: Die Wende unter Innozenz III.

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Allgemeine Klassifizierung

Beispiel: Antoniter

1. Freie Bewegung Sozial engagierte Armutsbewegung

2. Erste organisatorische Verfestigung

Bildung einer Bruderschaft

3. Klerikalisierung Meister wird Priester, Bischof

4. Verkirchlichung Alle Mitglieder sind Religiosen (Augustinerregel)

5. Benefizialisierung Reiche Chorherrenstiftungen ohne Funktion

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d) Was ist ein Ketzer? - Grundsätzliche Unterscheidung: - Ketzer= Häretiker, nach dem Urteil der Kirche ein Irrgläubiger innerhalb der Christenheit - Ungläubige= Heiden, Juden, Mohammedaner - Kirchliche Vorurteile bei der Wahrnehmung von „Ketzern“ - 1 Kor 11,19: „Oportet et haereses esse, ut et qui probati sunt, manifesti fiant in vobis.“ - Augustinus: Manichäer=Ketzer (Mani[verstorben 277]: radikaler Dualismus) viele Armutsbewegte als Manichäer beurteilt

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II. Einzelne Orden, Gruppen und „Sekten“

1. Armutsbewegte Reformen im Rahmen bestehender Orden a) Zisterzienser Reformbewegung innerhalb des Benediktinertums 1) Hintergründe - Kritik am Reichtum und der Prachtentfaltung der Cluniazenser - „zurück zu den Anfängen“ - Strenge Askese und Armut; Entstehung neuer eremitischer Gruppen

(Kamaldulenserorden, Kartäuser)

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2) Gründung Cîteaux´ und Anfänge des Ordens: - Robert von Molesme (*1028): reine Benediktsregel - Neugründung eines einfachen Klosters bei (südl. von Dijon) Cîteaux - Alberich (1100-1109): päpstlicher Schutzbrief – Ausbildung eigener

Consuetudines möglich - Stefan Harding (1109-1133): Herauslösung aus Benediktinerorden; carta

caritatis - Bernhard von Clairvaux (1090-1153): Charisma; öffentliche Wirksamkeit

3) Leitlinien des neuen Ordens: - Rationalität: • Rationales Gottesbild der Frühscholastik • Rechtes Maß zwischen Aktion und Kontemplation • Gehorsam aus Einsicht

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4) Organisation: - Kerngedanke: vita apostolica (Armut für das ganze Kloster – keine Stiftungen,

Einfachheit; Lebensunterhalt durch eigene Arbeit; einfach Liturgie) - Organisation: • Klosterverband aus selbstständigen Abteien • Filiationssystem; Visitationsrecht der Äbte; jährliches Generalkapitel • Veränderte Aufnahmepraxis: Konversen statt Oblaten

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b) Prämonstatenser 1) Augustiner-Chorherren: - Vita communis des Augustinus von Hippo: mönchische und priesterlich-

seelsorgerische Elemente - Chrodegang von Metz: Domherrenregel - 816 Synode von Aachen: vita communis, aber Privateigentum zulässig - Reformpapsttum 1059: regulierte – nicht regulierte Augustinerchorherren –

Reformimpuls: I. Neugründung einer Kanonikergemeinschaft II. Reform eines bestehenden Kapitels III. Eremitengründung IV. Hospitalgründungen - Spaltung in zwei Richtungen: I. ordo antiquus II. ordo novus

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2) Norbert von Xanten: ordo antiquus oder ordo novus? - Zunächst Kanoniker in Xanten - 1115 Lebenswende: Wanderprediger in Nordfrankreich - Ketzereiverdacht – Integration in bestehenden Orden; Augustinerregel - Gründung der Gemeinschaft von Prémontré (ordo novus) 3) Verfassung der Prämonstratenser - Einteilung nach Zikarien unter Leitung eines Generelvikars - Jährliches Genereralkapitel in Prémontré - 7 inkorporierte Domkapitel - 1126 römische Bestätigung des Ordens

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2. Ketzer, Verketzerte und Gruppen in der Grauzone a) Katharer Entwicklung und Eigenarten - Namen: • Selbstbezeichnung : Katharoi (= die Reinen) • Gegner: Katharer - Anfänge: • Kein Stifter - Ausbreitung: • Zunächst vielschichtige Gruppen (Lebenspraxis) • Dann Impulse aus dem Osten im 12. Jhd.: bogomilisches Gedankengut

(Glaubenstheorie) • Bewusste Abgrenzung von der Kirche: Katharerkonzil 1167 in Toulouse • Schwerpunkte: am Rhein und in Flandern

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Lehre - Dualistische Weltsicht - Reine Seele – böse Welt - Teufel und Gott - Verhältnis Altes – Neues Testament - Erlösung (Neuplatonisches und gnostisches Gedankengut) - Moral (Erbsünde , Prinzip der Weltenthaltung, doppelte Prädestinationslehre) - Gebote (Verzicht auf Geschlechtsverkehr); auditores/ credentes – electi/

perfecti; Abstinenz von allen Speisen, die durch Zeugung entstanden sind) - Der entscheidende Augenblick: „Consolamentum“

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Reaktionen der Großkirche: - Richtige Einschätzung - Gegenmaßnahmen • Zunächst Versagen • Disputationen, bischöfliche Verfahren, Lynchjustiz • Ketzerkreuzzug in Südfrankreich 1209-1229 • Inquisition • Rolle der Franziskaner und Dominikaner, Verkirchlichung

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b) Waldes und die Waldenser Petrus Waldes: - 1173 „Damaskuserlebnis“ - Umherziehen als Wanderprediger gegen Katharer und verkommenen Klerus - 3. Laterankonzil 1179: Predigtverbot - 1180 Synode von Lyon: Ablegung eines orthodoxen Glaubensbekenntnisses

Verketzerung: - 1184 Verurteilung durch Lucius III. - Danach: Radikalisierung, eigene Kirchenbildung, Verfolgung

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Versuche zur Rückgewinnung: - Innozenz III. gelingt Anfang des 13. Jahrhunderts eine teilweise

Rückgewinnung (s. Propositum Conversationis 1207) - Im 13. Jhd. Spaltung der waldensischen Bewegung • Anschluss an die einst bekämpften Katharer • Vernichtung in Verfolgung • Gemäßigte Verkirchlichung „Katholische Arme“ • Radikale Verkirchlichung: Anschluss an Bettelorden • Wandernde Gruppen • Waldensische Kirche

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c) Joachimiten Das Geschichtsbild Joachims von Fiore (1135-1202) - 1189: Gründung einer Abtei in Fiore - Geschichtstheorie: • Ausgangspunkt: apokalyptisches Geschichtsbild, Chiliasmus • Trinitarisches Deutungsschema: 1. Zeitalter des VATERS: von Adam bis zur Inkarnation 2. Zeitalter des SOHNES: von König Asarja von Juda (767-740 v.Chr.) bis ca. 1200 3. Zeitalter des GEISTES: von Benedikt von Nursia bis Übergang der Weltzeit in die Ewigkeit; Durchbruch: um 1200 erwartet • Deutungen: gemäßigte Joachimiten – radikale Joachimiten – andere Gruppen

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Geißler: - 1259 Epidemie in Italien: Rezeption der Ideen Joachims bei Volksmassen - Erste Geißlerbewegung 1260/61 (Raniero Fasani in Perugia) - Nördlich der Alpen oft antiklerikale Züge

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d) Religiöse Frauenbewegungen des Mittelalters Grundsätzliche Überlegungen zum Frauenbild: - Biblischer Befund: Gleichberechtigung von Mann und Frau zumindest im

Ansatz - Patriarchalische Prägung des mittelalterlichen Christentums - Westliche Frauenklöster: Bedürfnisse der Stifter; Versorgungsinstitute des

Adels - Grundsätzliche Wende in Frauenbewegung im 12. Jhd., integriert in

Armutsbewegung • Religiöse Motive: vita apostolica • Sozioökonomische Motive: Frauenfrage des Mittelalters • Religiöse Frauenbewegung umfasste alle Schichten

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Beginen /Begarden: - Begriff: • beguina: mulieres religiosae, sanctae virgines • Ab 13. Jhd. Teilweise abschätzig verwendet Forschungspositionen über die Entstehung des Beginentums: 1. Versorgungsthese 2. Religiositätsthese 3. Emanzipationsthese 4. Pluriformitätsthese

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Bettelorden und fromme Frauen - 12. Jhd.-1200: Begegnung, Ordensgründer gründen Frauenklöster, Kurie will

Klausur - Um 1250: Höhepunkt der religiösen Frauenbewegung, Problem:

Inkorporationen (Ordensleitungen vs. Papst) - Seit 1250: strengste Klausur, Seelsorge kann delegiert werden, Inkorporation

nur bei ausreichend Besitz (damit Versorgung gesichert ist) • Betreuung von Frauenklöstern wurde nie prinzipiell abgelehnt, sondern

aufgrund organisatorischer Probleme • Ausnahme: Filiation der Zisterzienserinnenabtei Tart Religiöse Frauenbewegungen des Mittelalters: Frage: Warum konnten sich die Nonnen trotz ihrer untergeordneten Position als Frauen langfristig durchsetzen?

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1. Ziele der Nonnen: - Institutionelle Absicherung - Seelsorgerliche Betreuung - Weltliche Verwaltung 2. Handlungsmuster: - Intervention bei der Kurie - Mangel an formalisierten Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen - Handlungsmuster außerhalb institutionalisierter Formen (Bsp.: Hl. Klara:

Hungerstreik)

3. Position zur Nonnenseelsorge - Franziskus: Wahrnehmung der religiösen Frauen in ihrer Religiosität (nicht

Geschlechtlichkeit) - In Argumentation der Bettelorden: weibliche Schwachheit, aber nicht

Verführung - Bildungsbeschränkung für Nonnen

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3. Bettelorden a) Franziskaner Franz von Assisi (Giovanni Bernardone) - Jugend – Bekehrung – Ideal: imitatio vitae pauperis Jesu - Sammlung von Gefährten, Ketzereiverdacht - 1210 Bestätigung der Pauperes Minores durch Innozenz - Ur-Regel von 1209/10: Buße. Armut, Nachfolge

Zwischen Charisma und Verrechtlichung: Franziskus und der Franziskanerorden - Nicht Orden, sonders Fraternitas - 1221 Regula non bullata; keine Hierarchisierung - 1223 Regula bullata; bestätigt von Honorius III.: erste Ordensstrukturen - 1226 Testament: gegen fortschreitende Verkirchlichung und Klerikalisierung - Unter Generalminister Elias von Cortona: päpstliche Privilegien und

Schenkungen - 1230 Aufhebung der Verbindlichkeit des Testaments durch Papst Gregor IX.

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Bewertungen/ Interpretationen: - K.A. Fink: Scheitern der Ideale des Hl. Franziskus, denn Verkirchlichung und

Klerikalisierung - H. Feld: unter anderen Umständen hätte aus Franziskus und seiner Bewegung

eine neue Religion entstehen können Der Armutsstreit: - Oppositionsbewegung „Spirituale“: Festhalten an Armutsideal - Um 1250: spirituale Theologie unter Rückgriff auf Ideen Joachims von Fiore - Seit 1316: Verfolgung der Spiritualen; Abspaltung von Fraticellen - Päpstliche Verurteilung des Satzes, Christus und die Apostel hätten persönlich

und gemeinsam nichts besessen, als häretisch - 1316: Flucht der Spiritualen zu Kaiser Ludwig dem Bayern - 1334: Bildung einer Reformgruppe unter Johannes de Valle: Eremitorien mit

päpstlicher Erlaubnis; 1373 Bildung einer eigenen Gruppe (Observanten – Konventualen)

- 1517: Zerbrechen des Ordens

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b) Dominikaner - Dominicus Guzmán (1175-1221) - 1196 Eintritt in das reformierte Domkapitel Osma (vita communis) - 1206 päpstliche Beauftragung zur Missionspredigt zur Rückgewinnung der

Katharer - 1220 Ordo Praedicatorum: Augustinerregel (Personalverband, keine

Ortsbindung; dadurch erhöhte Mobilität und Flexibilität) - Seelsorge an Bürgern, straffe Organisation, Predigttätigkeit - Wichtig: universitäres Studium

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c) Augustiner-Eremiten - 12./13. Jhd.: Zusammenschluss italienischer Eremitenverbände - 1244: Gründung durch den Papst - Augustiner-Regel - Heute: Ordo Fratrum S. Augustini

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Literaturangaben zu den religiösen Armutsbewegungen • Herbert Grundmann: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Darmstadt4 1970 • Karl Bücher: Die Frauenfrage im Mittelalter. Tübingen 1910 • Brigitte Degler-Sprengler: Die religiöse Frauenbewegung des Mittelalters.

Konversen – Nonnen – Beginen. In: RoJKG 3 (1984) • Claudia Opitz: Anfänge der Beginenbewegung. Konstanz 1979 • Andreas Wilts: Beginen im Bodenseeraum. Sigmaringen 1994 • Feld, Helmut: Franziskus von Assisi und seine Bewegung. Darmstadt 1994

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Exkurs: §6: Fides quaerens intellectum Oder: Von der „Erfindung“ der Theologie als Glaubenswissenschaft

I. Monastische lectio divina 1. Klosterschulen: Horte der Schriftkultur 2. Klosterschulen: Synthese von antiker Schule und Rabbinerschule 3. Zweck klösterlicher Bildung: Lesung und Meditation – Aufstieg der Seele zu

Gott 4. „Monastische Theologie“ = Exegese (Schriftsinn: allegorisch, historisch,

tropologisch, anagogisch) 5. Vertreter: Rupert von Deutz, Petrus Venerabilis und v.a.: 6. Bernhard von Clairvaux

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Bernhard von Clairvaux (1090-1153): Mystische Theologie a) Mystik als Einigung mit Gott als religionsgeschichtliches Phänomen b) Einfluss des Neuplatonismus c) Die personale Mystik des Christentums d) Origenes : Hohelied Braut = Kirche e) Bernhard von Clairvaux: Hohelied Braut = Der Einzelne (purgatio –

illuminatio – unio) f) Theologie = Gott-künden

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II. Universitäten, Theologie als Wissenschaft, Vernunft statt Erfahrung 1. Abwendung der Klöster von der Welt – Bildungsbedürfnis der sich

entwickelnden Städte 2. 1108: Kathedralschule in Paris (Abhängigkeit vom Domkapitel) 3. Im 12. Jahrhundert: Entstehung von Universitäten

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4. Neue Theologie: die Scholastik • Gegenstand: authentische Texte mit normativem Charakter • Verfahren: Quaestio und Disputatio 5. Anselm von Canterbury (1033-1109): fides quaerens intellectum a) Das wissenschaftliche Programm: Neque enim quaero intellegere ut credam,

sed credo ut intellegam b) Der ontologische Gottesbeweis

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6. Peter Abaelard (1079-1142) und die Sic-et-non Methode a) Biografie: Zwischenposition im Universalienstreit; Enttäuschung über die

Theologie in Laon (Glossierung der Bibel) b) Abaelard und Heloise – eine Liebesgeschichte c) Schriftauslegung „sic et non“ • Prolog: Frage nach dem Literalsinn • Quaestio I.: Gegenüberstellung widersprüchlicher Aussagen „In jeder Diskussion ist es sicherer, eine Wahrheit zu erweisen, als eine

Autorität aufzuzeigen“ • 1140: Verurteilung des Werkes 7. Höhepunkt der Scholastik: Petrus Lombardus (1095-1160) Thomas von Aquin Gegenbewegung: Bonaventura (1217-1274)

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§6 Das Papsttum in Abhängigkeit von Frankreich (1268-1377) I. Von den Staufern zu den Anjou Umklammerung des Kirchenstaates durch den Staufer Kaiser Friedrich II. 1. Sizilianische Frage und die Anjou - 1245: Absetzung Friedrichs II. - 1254- 1273: Interregnum (chaotische Zustände) - 1273: Wahl Rudolfs von Habsburg (relativ schwacher deutscher König) - 2 Möglichkeiten in Sizilien: • Direkte päpstliche Herrschaft • Belehnung einer neuen Dynastie – Karl von Anjou - Erfolg des Bündnisses mit den Anjou (Frankreich) • Im Süden 1266: Sieg über Manfred von Hohenstaufen • Im Norden 1268: Ermordung des 15jährigen Konradin - Gefahr einer neuen Oberhoheit

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2. Versuchte Wende unter Gregor X. (1271-1276) - Ziel: Gegengewicht zum Einfluss der Anjou - 1273: Angebot der Kaiserkrone für Rudolf von Habsburg - 1276: Tod des Papstes vor der geplanten Kaiserkrönung Papsttum in französischer Abhängigkeit

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3. Cölestin V. – papa angelicus - Petrus von Morrone: aus einfachen Verhältnissen, Benedikter , Eremit, eigene

Kongregation: Cölestiner - Zweijährige Sedisvakanz (Colonna vs. Orsini) - Chance für Karl II. von Anjou Einflussnahme - Erste sicher bezeugte Inspirationswahl: Petrus von Morrone (80jährig) nennt

sich Cölestin V. - Motive der Kardinäle: • Religiöse Ergriffenheit • Furcht vor Konsequenzen • Interesse an einem Übergangspapst

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- Kennzeichen des Pontifikats: • Unkenntnis • Abhängigkeit von Beratern (Vertraute von Karl II. von Anjou) • Residenz in Neapel (Hauptstadt der Anjou) • 12 Kardinalspromotionen (7 Franzosen, 2 Cölestiner) • Altersstarrsinn - 1294: Amtsverzicht - Gründe, die er angab: • Demut • Wunsch nach unbeschwertem Gewissen • Körperliche Gebrechlichkeit • Mangel an Wissen • Wunsch nach Rückzug

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Papa angelicus? - Gegenmodell zu Bonifaz VIII. - Unpolitisch, fromm, engelsgleich

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4. Bonifaz VIII. – Höhepunkt und Wende - Rasche Wahl des Benedikt Gaetani - Faktoren • Kurie will Unabhängigkeit von Frankreich • Suche nach einer starken Hand • Beziehungen Gaetanis zu den Orsini und den Colonna • Seine kanonistische Schulung • Er brachte die Voraussetzungen für einen starken Papst mit

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a) Erster Konflikt mit Frankreich: Steuerfrage - 1296: Bulle „Clericis laicos“ gegen die Besteuerung des Klerus (im franz.-engl.

Krieg) - Reaktion Frankreichs: Ausfuhrverbot für Edelmetall, Geld und Wechsel - Problem für die Kurie Bonifaz VIII. gibt in Frankreich nach (Vorfall: Colonna)

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b) Zuspitzung des Konflikts: „Unam sanctam“ (1302) - 1301: Verhaftung des Bischofs Saisset - Protest des Bonifaz; Rücknahme der Privilegien Frankreichs; Sondersynode in

Rom - 1302 Bulle „Unam sanctam“ - 08.09.1303: Attentat von Anagni, Flucht des Papstes - 12.10.1303: Bonifaz VIII. stirbt - Forderung Philipps IV.: Verurteilung des Bonifaz VIII. als Ketzer Völlige Abhängigkeit des Papsttums von Frankreich

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II. Das Avignoneser Exil der Päpste (1304-1377) 1. Französische Päpste - Scheinbarer Kompromisskandidat: Bertrand de Got, Erzbischof von Bordeaux

wird Clemens V. (1305-1314) - „Französisierung“ des Kardinalskollegiums - 1309: Verlegung der Papstresidenz nach Avignon 2. Kompensationsgeschäft: Templerorden gegen Bonifaz VIII. - Philipp IV. verlangt Prozess gegen Bonifaz VIII. - 27.04.1311: • Rücknahme von „Clericis laicos“ und „Unam sanctam“ • Lob für das Vorgehen des Königs gegen Bonifaz • Freispruch für die Attentäter von Anagni - Denunziation der Templer, Folter - Schuldgeständnis - 22.03. 1312: Aufhebung des Teplerordens Verzicht auf den Prozess

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3. Der Konflikt mit Ludwig dem Bayern - 1314 Doppelwahl in Deutschland: Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne

von Österreich - Streit um Reichsvikariat in Italien - Weistum von Rhense (1338) - Gegenkönig: Karl IV. (1346-1378); Tod Ludwigs des Bayern - Goldene Bulle (1356) Emanzipation des weltlichen Bereichs vom geistlichen universale Kaiseridee nationalstaatliches Staat

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4. Ausbau des papalen Systems und der papalen Idee a) Hintergrund: Finanzbedarf der Kurie - Unter Clemens VI. (1342-1352) in Avignon besonders hoch

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b) Der Ausbau der papalen Doktrin - Grundlagen: • Papst ist das Haupt der Kirche • Bischöfe: keine eigene Jurisdiktion • Erzbischöfe und Patriarchen: Macht durch Übersendung des Palliums durch

den Papst • Papst: unterliegt keiner Kontrolle, nur Gott - Konsequenzen: • Papst als Herr des Kirchenrechts • Ständiges Überwachungsrecht • Papst als Verwalter der Gnade • Herr der Liturgie • Dispens- und Privilegiengewalt • Recht zur Heilig- und Seligsprechung • Ämtergewalt (Supplik – Exspektanz – Reservation)

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c) Avignonesischer Fiskalismus - Finanzielle Quellen: • Der „Zehnte“ • Sevitien • Annaten • Spolien • Interkalargefälle • Taxen; Gebühren und Trinkgelder • Subsidien - Korrupte avignonsischer Kurie ist eine Ursache für die Krise nach dem Exil

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5. Rückkehr nach Rom - Chaotische Zustände, rivalisierende Adelsgeschlechter - 1377: Verlegung der päpstlichen Residenz nach Rom - 1378: Tod Gregors XI. (1370-1378) vor Abschluss der Rückverlegung - Neue Papstwahl in Rom…

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§7: Schisma, Konzil und konziliare Ideen (1378-1418)

I. Die Doppelwahl von 1378 1) Das erste Konklave 1378 und die Wahl Urbans VI. a. Zusammensetzung des Kardinalskollegs b. Pressionen auf das Konklave c. Prigniano d. Sturm auf das Konklave e. Urban VI.

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2) Das zweite Konklave 1378 und die Wahl Clemens VII. Können Kardinäle ihr Votum zurücknehmen, wenn sie einen Eigenschaftsirrtum feststellen? Kardinäle verlassen Urban VI. und wählen Clemens VII. 3) Wer ist der gültige, rechtmäßige Papst? Besonderheit dieses Schismas? Besonderheit: Das nach dem Papstwahldekret zuständige Gremium wählt zweimal! Für beide Päpste gibt es plausible Gründe:

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Pro Urban contra Clemens • Primus electus, zeitliche Priorität • Kardinäle nahmen alle an Inthronisation teil • Kardinäle behandeln Urban als Papst • Kardinäle versenden an die Fürsten Wahlanzeigen • Tacitus consensus • Wahl und Sitz in Rom

Contra Urban pro Clemens • Kein freies Konklave: Pressionen, Wahl unter Druck • Eigenschaftsirrtum: incapacita Urbans • Im Interesse der Kirche mussten Kardinäle neu wählen • Bleibende Zustimmung der Wähler für Clemens • Kurie läuft fast geschlossen zu Clemens über

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4) Die Spaltung der Welt in 2 Obödienzen - Für Urban: Italien, Deutsches Reich, östliche und nordische Länder, Ungarn,

England - Für Clemens: Frankreich, Burgund, Savoyen, Neapel, Schottland,

oberrheinische Gebiete im Deutschen Reich - Spaltung der Orden - Spaltung der Domkapitel

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5) Wege zur Lösung des Schismas a. Via facti

b. Via justitiae

c. Via cessionis

d. Via discussiones

e. Via concilii

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Exkurs: Konzilien 1. Die ökumensichen Konzilien des Altertums

2. Die Päpstlichen Haussynoden

3. Konziliare Idee

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II. Die Konziliare Idee 1) Kerngedanken Kirche nicht als Papstkirche, sondern ein alle Stände der Kirche

repräsentierendes Konzil über dem Papst Konzil mit potestas habitualis (eigentliche und ordentliche Gewalt); Papst mit

potestas actualis (verlischt, wenn Konzil zusammentritt) Leitung des Konzils: gewählte Konzilspräsidenten Offene Frage: Wer ruft bei Weigerung des Papstes das Konzil ein?

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2) Konzil von Pisa - Alle Wege waren gescheitert: via concilii zur Lösung des Schismas? - Einberufung eines Konzils nach Pisa (1409) - Hauptaufgabe: Prozess gegen schismatische Päpste und Neuwahl - Beurteilung Pisas: richtiger Weg mit konziliarer Idee, aber nicht genügend

politischer Rückhalt Aus der verfluchten Zweiheit zur verfluchten Dreiheit Wie kann die Einheit nach dem Scheitern Pisas wiederhergestellt werden? • Machtpolitische Kämpfe einstellen, bis neues Konzil Klarheit verschafft hat • Alle Staaten müssen sich auf Konzilsbeschlüsse verpflichten • Es braucht starken politischen Führer, der Konzil eine Exekutive verleiht

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III. Das Konzil von Konstanz (1414-1418) 1) Zur Vorgeschichte - König Sigismund erreicht durch zähe Verhandlungen die Teilnahme der

Staaten - Konstanz im politischen Machtbereich des Königs - Verhandlungen mit den drei schismatischen Päpsten

2) Die Geschäftsordnung - Abstimmung nicht mehr nach Köpfen, sondern nach Nationen

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3) Die drei Hauptaufgaben des Konzils a. Die causa unionis

b. Die causa reformationis

• Haec sancta (6. April 1415) • Frequens (9. Oktober 1417) • Si vero (9. Oktober 1417)

c. Causa fidei • John Wyclif • Johannes Hus

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IV. Beurteilung von Konstanz und der konziliaren Idee - Notstandsverordnung für die Notlage des Schismas und daher keine bleibende

Bedeutung für die katholische Ekklesiologie?

- Konzil als Basisbaustein der katholischen Ekklesiologie und damit bleibend-gültiges ekklesiologisches Grundgesetz? (balance of power?)

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Literatur: • Lexikon des Mittelalters. 9 Bde.. Hrsg. v. Bautier, R.-H./ Auti, R.. München

1980-1999 • Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. I-III. Hrsg. v. Wolf, H./ Kaufmann, T./

Kottje, R./ Moeller, B.. Darmstadt 2006-2007 • Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von

400-900. Stuttgart³ 2001 • Angenendt, Arnold: Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt² 2000 • Ritter, A.M./ Lohse, B./ Leppin, V.[Hrsg.]: Mittelalter. (Kirchen- und

Theologiegeschichte in Quellen 2). Neukirchen-Vluyn5 2001 • Großer historischer Weltatlas. Teil II.: Mittelalter. Hrsg. v. bayrischen

Schulbuchverlag. München² 1979

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