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Schweizerische Bauzeitung Eine Publikation der Verlags-AG der akademischen technischen Vereine 13. Juni 2014 | Nr. 24 Wettbewerbe FEB-Preis: Ausgezeichnete Erhaltungskonzepte Panorama Holz und Beton elegant komponiert SIA Neue Impulse für den SIA: Zwei Frauen verstärken den Vorstand Jugoslawische Moderne Heterogenität und Egalitarismus Ausgeschlagenes Erbe Interview mit BHSF Architekten: «Nicht jeder schätzt die Platte so wie wir»

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13. Juni 2014 | Nr. 24

Wettbewerbe FEB-Preis: Ausgezeichnete ErhaltungskonzeptePanorama

Holz und Beton elegant komponiertSIA

Neue Impulse für den SIA: Zwei Frauen verstärken den Vorstand

Jugoslawische Moderne

Heterogenität und EgalitarismusAusgeschlagenes ErbeInterview mit BHSF Architekten: «Nicht jeder schätzt die Platte so wie wir»

3EditorialTEC21 24/2014

ieses Heft erscheint an einem Frei-tag, dem Dreizehnten. Obendrein bei Vollmond. Was hätte wohl Bogdan Bogdanovic – der Mystiker und Surrealist der jugoslawischen Archi-

tektur – dazu gesagt? Bringt dieser Tag nicht Unglück? Eine Tragödie hat sich schon ereignet, die in Europa unvorstellbar schien: der Krieg der 1990er-Jahre in Jugoslawien. Er liess uns eine ganze Generation talentierter Architekten verges-sen. Als Baumeister der Gesellschaft hatten sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Gebäude erschaffen, die die Identität des jungen Vielvölker-staats Jugoslawien prägten – in der Moderne fanden sie den geeigneten Ausdruck dafür.Doch ihr Talent war nur eine Komponente dieser baukulturellen Blüte. Der Weg zwischen den Blöcken der Nachkriegsordnung erlaubte selbst-verwalteten Sozialismus und eine vergleichsweise offene Gesellschaft. Sozialistische Ideale und westliche Finanzhilfe be!ügelten den Urbanisie-rungsprozess des Landes. Dieser fruchtbare Nährboden erodierte rasch nach Titos Tod, in den Folgestaaten muss ein neuer Humus erst noch entstehen.Basis für dieses Heft bilden zwei Studienreisen der ETH Zürich, die ich im Herbst 2012 (Kroatien) und 2013 (Bosnien) als Gast begleiten durfte. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich beim Lehrstuhl von Annette Spiro bedanken. Die Bilder stammen von der ersten Reise – sie wurden analog fotogra"ert, passend zur Epoche der Spätmoderne.

DDas Kindersanatorium (1961) in Krvavica (HR) von Rikard Marasovic wartet seit Jahrzehnten darauf, aus seinem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. In der Zwischenzeit bleibt es Zerfall und Vandalismus ausgeliefert. Coverfoto von Marko Sauer.

Marko Sauer, Redaktor Architektur

5InhaltTEC21 24/2014

AKTUELL

7 WettbewerbeAusgezeichnete Erhaltungs-konzepte

10 PanoramaHolz und Beton elegant kom-biniert | Eintauchen in Belgrad

15 VitrineNeues aus der Bauindustrie

17 Neue Impulse für den SIA | Zwei Frauen verstärken den Vorstand | Forschung zum Bauwerk Schweiz

21 Veranstaltungen

AUSKLANG

34 Stelleninserate37 Impressum

38 Unvorhergesehenes

THEMA

22 Jugoslawische Moderne

22 Heterogenität und Egalitarismus

Maroje Mrduljaš Zwischen den Blöcken erlebte Jugoslawien eine baukulturelle Blüte. Ein synoptischer Rückblick.

26 Ausgeschlagenes Erbe Marko Sauer Was bleibt von der

jugoslawischen Moderne? Eine Spurensuche in Kroatien mit autobiografi schen Notizen.

31 «Nicht jeder schätzt die Platte so wie wir»

Marko Sauer im Gespräch mit BHSF Architekten, die ein Jahr lang in Belgrad wirkten. Einsichten aus Südosteuropa.

Pavillon der Zagreber Messe (1958) von Ivan Vitic: Kräftige Stützen halten das hängende Dach.

13.6.2014 Einsichten aus Block 1 Zusätzliche Fotos zum Heft thema, ein Video des Interviews (S. 31) und die Verlosung der Collector’s Box von «Kamenzind» fi nden Sie auf www.espazium.ch/tec21

TRACÉS 10/20146.6.2014

Guerre et architectureL’abri anti-aérien: démantèlement et constitution du corps national | De la violence faite aux villes | La maison souterraine, 1964 www.espazium.ch/traces

archi 3/20145.6.2014

Zurigo, densificare con qualità Il rapporto tra urbanistica e politica per progettare la città di domani | Densità e qualità urbanawww.espazium.ch/archi

TEC21 25/201420.6.2014

Grüne Infrastruktur M25 vs. A13 | Landschaft, hindernis-frei | «Das Bewusstsein ist hoch» www.espazium.ch/tec21

espazium.ch

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7WettbewerbeTEC21 24/2014

Ausschreibungen

Preise

Weitere laufende Wettbewerbe finden Sie unter: www.espazium.ch Wegleitung zu Wettbewerbsverfahren: www.sia.ch/142i

OBJEKT/PROGRAMM AUFTRAGGEBER VERFAHREN FACHPREISGERICHT TERMINE

Restaurant et bibliothèque/médiathèque scolaires, Crassier

www.simap.ch (ID 113375)

Association Inter-communale Asse et Boiron (AIAB) 1274 Signy-Avenex

Organisator: Thierry Brütsch 1196 Gland

Projektwettbewerb, offen, für Architekten

Thierry Brütsch (Vorsitz), Angelo Boscardin, Hannes Ehrensperger

Anmeldung 1. 7. 2014

Abgabe 26. 8. 2014

Neues Wohnheim Stiftung Domino, Hausen

www.stiftung-domino.ch/ neueswohnheim

Stiftung Domino 5212 Hausen

Organisator: Oeschger Architekten 5212 Hausen

Projektwettbewerb, mit Präqualifikation, für interdisziplinäre Planungsteams

Inserat S. 36

Urs Burkhard, Beat Schneider, Lukas Zumsteg

Bewerbung 1. 7. 2014

Abgabe Pläne 11. 11. 2014

Modell 18. 11. 2014

Réhabilitation d’un ancien manège en bâtiment d’équipements publics, Genève

www.simap.ch (ID 113230)

Département de l’aménagement et des constructions 1204 Genève

Projektwettbewerb, offen, für Architekten

– konform

Verena Best-Mast, Philippe Beuchat, Martin Boesch, Christian Dupraz, Franz Graf, Sabine Nemec-Piguet

Abgabe 15. 9. 2014

EMS Fondation Clémence, transformation et exten sion du bâtiment principal, Lausanne

www.simap.ch (ID 111302)

Fondation Clémence 1004 Lausanne

Organisator: Boschetti architectes 1010 Lausanne

Projektwettbewerb, offen, für Architekten

– konform

Astrid Dettling, Valérie Devallonné, Gabriela Mazza, Partick Boschetti, Michel Prister

Abgabe 15. 9. 2014

Pädagogisches Zentrum für Hören und Sprache, Münchenbuchsee

www.simap.ch (ID 113521)

Amt für Gebäude und Grundstücke des Kantons Bern 3011 Bern

Projektwettbewerb, offen, für Architektur-, Bauingenieur- und Landschaftsarchi-tekturleistungen

– konform

Inserat S. 20

Simone Hänggi, Silvia Kistler, Bernhard Aebi, Jürg Sollberger

Abgabe 8. 10. 2014

wa-award – studentischer Nachwuchspreis 2014

www.wa-journal.de/de/waaward.html

Wettbewerbe Aktuell 79100 Freiburg i. Br. (D)

Planung eines Projekts, das einen Beitrag leisten soll zur Aufwertung der Bestandsumgebung und zur Verbesserung der urbanen Lebens-qualität

Studierende der Architektur, Land-schaftsarchitektur, Stadtplanung etc. aus Deutschland, Öster-reich und der Schweiz

Anmeldung 31. 8. 2014

Abgabe 30. 9. 2014

8 Wettbewerbe TEC21 24/2014

eit 2005 verleiht die Fachver-einigung FEB des SIA jähr-lich einen Preis, um die Schu-

len und die Studierenden für die Thematik der Bauwerkserhaltung in den Bereichen Bauingenieurwesen, Architektur und seit 2013 auch Ge-bäudetechnik zu sensibilisieren. Die Projekte stammen aus Bachelor- und Masterstudiengängen und werden hinsichtlich des vorbildlichen Um-gangs mit dem Erhaltungswert eines Bauwerks bewertet. Dieser hat ge-mäss dem Merkblatt SIA 2017 sowohl

FACHGRUPPE FÜR DIE ERHALTUNG VON BAUWERKEN (FEB)

Ausgezeichnete ErhaltungskonzepteZum neunten Mal zeichnet die FEB Arbeiten von Studenten an Universitäten und Fachhochschulen aus, die das Thema Erhaltung vorbildlich behandeln.

Dieses Jahr wurden insbesondere die Bauingenieure gewürdigt. Text: Thomas Ekwall

S den betriebenen Aufwand, was sich im unterschiedlichen Detaillie-rungsgrad der gewürdigten Projek-ten widerspiegelt. Vier Anerkennun-gen wurden an Architekten und drei – inklusive dem ersten Preis – an Bauingenieure verliehen. Dass diese Gattung, gemessen an der Zahl der Beiträge, stark vertreten ist, hängt vor allem mit der Qualität der ein-gereichten Beiträge zusammen, be-tont Urs Marti, Präsident des FEB und Jurymitglied. Der erste Preis ist ein Musterbeispiel statischer Unter-

1. Preis: Aufgrund des Ermüdungsrisikos wird die Fachwerkbrücke über die Birs bei Münchenstein mit einer externen Vorspannung mittels Karbonfaserplatten verstärkt. Die Semesterarbeit ist Bestandteil eines Forschungsprojekts, das 2013 ausgeführt wurde.

materiell-konstruk tiven als auch immateriell-kulturellen Charakter. Dieses Jahr wurden 31 Projekte ein-gereicht, davon 25 Beiträge von Ar-chitekten, fünf von Bau ingenieuren und einer zur Gebäudetechnik.

Sorgfältig verstärken

Ein erster Preis und sechs Anerken-nungen wurden von der interdiszi-plinären Jury vergeben. Diese legte besonderen Wert auf die Qualität der Analysen und Ideen, eher als auf

9WettbewerbeTEC21 24/2014

Anerkennung C: Die Aufstockung des Kino-Plaza-Gebäudes in Zürich widmet sich der inneren Verdichtung der Stadt. Der neue Stahlbau stützt sich auf die bestehende Bausubstanz ab. Allerdings werden die Proportionen des Originalbaus stark verändert.

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Anerkennung D: Die Capanna Adula wird erweitert und dient zusätzlich als Raum für die naturwissenschaftliche Forschung. Dabei wurden der Umgang mit dem spezifischen Landschaftsraum und der gezielte Eingriff als gelungen bewertet.

Anerkennung E (links): Der Umschlaghof erhält eine Aufstockung in Holzbauweise. Die ingenieurtechnische Umsetzung wurde ansatzweise überprüft. Anerkennung F (rechts): Die Eigenschaften der Betone mit Schaumglasgranulaten wurden untersucht, eine sorgfältige Grundlagenarbeit zu diesem Baustoff, der zunehmend in der Erhaltung eingesetzt werden könnte.

Anerkennung A (links): Ein Archivzentrum wird in der Fabrikanlage von Le Corbusier und in einem Erweiterungsbau untergebracht. Das Projekt überzeugt durch die Mass stäblichkeit und die räumliche Originalität der Eingriffe. Anerkennung B (rechts): Ein Eckgrundstück in St. Gallen wird überbaut. Drei Variationen von Natursteinfassaden wurden entwickelt, gewürdigt wurde die Herangehensweise.

AUSZEICHNUNGEN

1. Preis (1000 Fr.): «Fatigue verification of an existing steel bridge» (Master- Semesterarbeit Ing.), Carolina Bosch-mann, ETH Zürich / Empa Dübendorf (Prof. Dr. Masoud Motavalli).

Anerkennungen (je 500 Fr.): Anerkennung A: «Projet de Sauve garde

– Usine Claude&Duval (St. Dié) de Le Corbusier» (Bachelorarbeit Arch.) Marie-Laure Allemann, Virginie Bally, EPF Lausanne (Prof. Franz Graf). Anerkennung B: «Les Bijoux de la Castafiore» (Masterthesis Arch.) Stephan Jud, ZHAW Winterthur (Prof. Ingrid Burgdorf). Anerkennung C: «Atmosphärischer Stahlbau» (Masterthesis Arch.) Mirco Cortesi, ZHAW Winterthur (Prof. Ingrid Burgdorf). Anerkennung D: «Ein Berghaus für die Forschung im Adula» (Master- Semesterarbeit Arch.) Corinne Fuchs, ETH Zürich (Prof. Gion A. Caminada). Anerkennung E: «Umschlaghof Klein-hüningen – Zustandsaufnahme und Umnutzung» (Masterthesis Ing.) Philipp Walker, HSR Rapperswil (Prof. Felix Wenk). Anerkennung F: «Beton mit Schaum-glasgranulat – eine Alternative in der Leicht-/Dämmbetontechnologie» (Masterthesis Ing.) Rocco Schmidt, HSR Rapperswil (Prof. Felix Wenk).

JURY

Peter Baumberger, Architekt HTL SIA Norbert Föhn, Architekt ETH SIA Urs Marti, Bauingenieur ETH SIA Urs Rinklef, Architekt FH SIA Randi Sigg-Gilstad, Architekt ETH SIA/ lic. phil. hist

suchung einer bestehenden Fach-werkbrücke 1892. Dabei wurden die Schwächen des Tragwerks hinsicht-lich der Ermüdung erkannt und Ver-stärkungsmassnahmen empfohlen. Diese Arbeit war Bestandteil eines Ertüchtigungskonzepts aus der Pra-xis, das 2013 ausgeführt wurde.

Nächstes Jahr wird der Preis zum zehnten Mal verliehen. Dabei rechnet die FEB mit vielen hochwertigen Beiträgen – und lockt die Teilnehmer mit einer erhöhten Preissumme. •

Weitere Infos: http://feb.sia.ch/de

10 Panorama TEC21 24/2014

n Schwäbisch Gmünd (Baden- Württemberg) findet dieses Jahr die Landesgartenschau

20141 statt. Die Planung der verant-wortlichen Landschaftsarchitekten A24 aus Berlin umfasst unter ande-rem zwei neue Brücken über die Rems. Diese Bauwerke sind Anfang 2013 als innovative, 26 und 28 m lange Fussgänger- und Radwegbrü-cken in HBV-Bauweise fertiggestellt worden (Abb. oben). Sie wurden erst-malig als integrale Bauwerke ohne Fugen und Lager konzipiert. Durch die integrale Bauweise stellt sich ein spezifischer Beanspruchungszu-stand ein, auf den die Architektur

INTEGRALE VERBUNDBRÜCKEN

Holz und Beton elegant komponiert In Schwäbisch Gmünd erstellten Graf Ingenieure zwei neuartige integrale

Holz-Beton-Verbundbrücken (HBV) für die Landesgartenschau 2014. Ihr Merkmal sind die gewölbten Brettschichtholzträger, die mit

Stahlbetonfahrbahn und -widerlagern ein Rahmentragwerk bilden.Text: Jürgen Graf

I der HBV-Brücke durch gezielten Ein-satz der Materialien reagiert. Zudem ermöglicht diese Bauweise schlanke, ästhetische und dauerhafte Holz-brücken, die den Vergleich mit den filigranen Stahl- und Stahlbeton-brücken, vor allem im urbanen Um-feld, nicht zu scheuen brauchen.

Bauweise mit Tradition

Verbundbauweisen im Holzbau sind seit dem Mittelalter als Holz-Holz- Verbundträger durch das Prinzip des Versatzes und die Verwendung von Hartholzdübeln bekannt. Diese Verhinderung der gegenseitigen

horizontalen Verschiebung der Ein-zelträger in der Kontaktfuge der Träger erhöht die Tragfähigkeit und die Steifigkeit, wodurch grosse Lasten stützenfrei abgetragen wer-den konnten (vgl. «Hängewerke aus Holz», TEC21 24/2011). Dieses Prinzip des Schubverbunds wurde mit der HBV-Bauweise seit den 1930er-Jahren für Deckenkonstruk-tionen und im Brückenbau in den USA angewendet. In Europa sind HBV-Brücken, ausgehend von der Schweiz, erst seit Anfang der 1990er-Jahre als Fussgänger-, Rad-weg- und Strassenverkehrsbrücken erstellt worden. Die HBV-Brücken

Das Rahmentragwerk aus Holz und Beton in integraler Bauweise führt die Tradition der Holzverbundbauweise innovativ weiter.

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von Schwäbisch Gmünd zeigen das hohe konstruktive und ästhetische Potenzial dieser noch jungen Bau-weise.

Die HBV-Brücken der Landesgartenschau 2014

Die Brücken im innerstädtischen Raum können nicht nur über- son-dern auch unterquert werden, daher musste neben der Brückenoberseite auch die Untersicht mit Sorgfalt ent-worfen werden. Diese Anforderung und der naturnahe Bezug zur Landes-gartenschau führten dazu, Holz als Baustoff zu verwenden.

Die beiden Entwürfe hatten schlan-ke und elegante Brücken aus Holz zum Ziel. Mit niedrigen, aber brei-ten  blockverleimten Brettschicht-holzträgern, schubfestem Verbund von Holz und Beton und der Ausfüh-rung als integrale Bauwerke wurde dieses Ziel erreicht.

Die Holzträger der beiden HBV-Brücken bestehen aus hei-mischem Fichtenholz. Im ersten Schritt wurden 14 gleiche, 20 cm breite und 60 cm hohe Brettschicht-holzträger gefertigt, aus denen im zweiten Schritt ein bis zu 2.80 m breiter und bis zu 22 m langer blockverleimter Brettschichtholz-träger (Blockträger) zusammenge-fügt wurde (Abb. links Mitte).

Für die Herstellung der schubfesten Verbindungen wurden 4 cm tiefe Kerven2 quer zur Block-trägerlängsachse gefräst und beim Betonieren der Fahrbahnplatte mit Ortbeton formschlüssig vergossen (Abb. links oben). Dadurch erhöht sich die Biegetragfähigkeit des Verbundquerschnitts gegenüber der Summe der Biegetragfähigkeiten der Einzelquerschnitte, weil die globalen Biegemomente in Längs-druckkräfte im Beton und in Längs-zugkräfte und lokale Biegebean-spruchungen im Holz aufgeteilt werden. Der breite Blockträger eig-net sich dabei gut zur Einleitung grosser Schubkräfte und zur Abtra-gung der Längszugkräfte. Die durch die schubfesten Verbindungen er-höhten Überbaubiegesteifigkeiten verbessern, neben der Erhöhung der Schlankheit, das Schwingungsver-halten der Brücken.

Schlankheit und Schwin-gungsverhalten werden zudem durch die monolithischen Verbin-dungen der Überbauten mit den 45 cm starken, winkelstützenartigen Widerlagerwänden positiv beein-flusst. Es entstehen als integrale Brücken bezeichnete Rahmentrag-werke ohne Fugen und Lager. Bei Rahmentragwerken ergeben sich Einspannmomente in den Rahmen-ecken und Feldmomente zwischen den Momentennullpunkten (Abb. links unten). Dadurch werden die maximalen Biegebeanspruchungen auf ca. 70 % gegenüber den Biege-

beanspruchungen eines von Wider-lager zu Widerlager spannenden Einfeldträgers reduziert, sodass dünnere Überbauten realisiert wer-den können. Gegenüber den für Holzbrücken üblichen Einfeldträ-gersystemen ist die Schlankheit der HBV-Brücken signifikant besser: Bei Brückenlängen von bis zu 28 m er-geben sich Schlankheiten im Feld von hges/L = 0.8/28 = 1/35, in den Ein-spannbereichen sogar von 1/70. In-tegrale Bauwerke bieten ausserdem den Vorteil, dass Wartungsfugen und somit Folgekosten beim Betrieb der Brücken entfallen.

Konstruktiver Entwurf

Schlanke Überbauten zu entwerfen reicht allein nicht aus, um elegante Brücken zu bauen. Vielmehr müssen Brücken unter Beachtung des mate-rialgerechten Einsatzes von Werk-stoffen konstruktiv entworfen wer-den. Als Tragstruktur liegt ein Rahmentragwerk vor, bei dem Ein-spannmomente an den Widerlagern und Feldmomente zwischen den Momentennullpunkten entstehen. Je höher die Momente, desto grösser sind die erforderlichen Querschnit-te zur Aufnahme der Beanspruchun-gen. Der Brückenlängsschnitt wird daher entsprechend dem Momen-tenverlauf des Rahmentragwerks entworfen. In den Momentennull-punkten sind fast nur Querkräfte zu übertragen, sodass an diesen Stellen der Querschnitt deutlich verjüngt werden kann.

Entsprechend den Bean-spruchungen im Querschnitt wird werkstoffgerecht der druckfeste Be-ton im Biegedruckbereich des Über-baus eingesetzt, der Baustoff Holz im geschützten Biegezugbereich. Der geschützte Biegezugbereich tritt zwischen den Momentennullpunk-ten des Rahmentragwerks ca. 3 m von den Widerlagerwänden entfernt auf. Nur in diesem Bereich ist der Einsatz des Werkstoffs Holz gerecht-fertigt. Der unter der 20 cm dicken Betonfahrbahn liegende, 60 cm hohe Blockträger aus Fichte GL 32c wird in Längsrichtung entsprechend der zur Trägermitte anwachsenden Zug-beanspruchung abgestuft. So folgen

Oben: Längsschnitt – Schubverbund: Kerven mit eingeklebten Bewehrungs-bügeln am Übergang Holz-Beton.

Mitte: Querschnitt – der blockverleimte Brettschichtholzträger wird durch auskragende Stahlbetonplatte geschützt.

Unten: Zusammenhang zwischen Momentenverlauf in Tragwerkslängs-richtung und Materialeinsatz.

12 Panorama TEC21 24/2014

die Stufungen der Blockträger bean-spruchungsabhängig dem parabel-förmigen Momentenverlauf. Aufwen-dige Auflagerkonstruktionen des Blockträgers wurden durch die in-direkte Lagerung vermieden, und aufgrund der allseitigen Luftzirku-lation ist der Holzquerschnitt dauer-haft vor übermässigen Feuchtigkeits-einflüssen geschützt. In den letzten 15 Monaten hat sich gezeigt, dass die Holzfeuchtigkeiten an den Block-trägeroberflächen lediglich bei 12 bis 14 % liegen.

In den Einspannbereichen des Überbaus in die Widerlagerwän-de wird nicht Holz, sondern Stahl-beton eingesetzt, da dort Biegezug-beanspruchungen auf der Oberseite

auftreten. Der Beanspruchung ent-sprechend bestehen die Einspann-bereiche aus 40 cm dicken Stahl-betonplatten. Im Übergang der Stahlbetonplatte zum Verbundträ-ger verringert sich die Dicke der Be-tonfahrbahn von 40 cm auf die dann druckbeanspruchte 20 cm starke Betonplatte.

Die Querkraftabtragung bei Holz-Beton-Verbundbauwerken wird vereinfacht dem Holzquer-schnitt zugewiesen. Die Querkräfte an den Blockträgerenden werden mithilfe der eingeklebten Beweh-rungsstäbe in die 20 cm starke Stahlbetonplatte eingeleitet und über die mit Schubbügeln bewehr-ten 40 cm hohen Stahlbetonplatten in den Einspannbereichen zu den Widerlagerwandscheiben geführt (Abb. S. 11 oben). Die in die Kerven eingeklebten Bewehrungsstäbe neh-men die Umlenkkräfte aus dem Schubverbund und die Querzugkräf-te aus der Überbaukrümmung auf.3

Bauvorgang

Die im Aufriss gekrümmten und in Längs- und Querrichtung gestuften Blockträger mit max. 22 m Länge und max. 2.80 m Breite sowie 60 cm Höhe wurden im Werk hergestellt und nach Fertigstellung der Brü-ckenfundamente und Widerlager mit Sondertransporten auf die Bau-stelle geliefert. Kerven, eingeklebte Bewehrungsstäbe und eine oberflä-chige Zementschlämme zum Schutz der Blockträger vor Durchfeuchtung im Bauzustand wurden ebenso im Werk erstellt wie die allseitig über den Blockträger auskragenden Scha-lungen für die Stahlbetonfahrbahn (Abb. links oben). Der Blockträger selbst war Teil der Schalung und wurde an den Enden und in der Mit-te auf Hilfsgerüste gestützt. Im An-schluss an die Verlegung der Beweh-rung des Überbaus und an den Einbau der Geländerpfosten konn-ten die Fahrbahnen in einem Zug betoniert werden. Nach dem Absen-ken der temporären Stützungen und dem Entfernen der auskragenden Schalungen wurden die Geländer vervollständigt und die Epoxid-harz-Brückenbeschichtungen auf-gebracht.

Ausblick

Holz im Verbund mit Beton er-möglicht einfache, aber effiziente und wirtschaftliche Verbindungen: Beide Materialien lassen sich im Werk beziehungweise in flüssigem Zustand auf der Baustelle leicht ver-arbeiten.

Spannweiten und Belastun-gen auf Brücken sind im Normalfall sehr hoch, sodass in der Verbund-fuge zwischen Beton und Holz im Brückenbau grosse Schubkräfte übertragen werden müssen.4 Beson-ders wirksam sind flächig last-übertragende Verbundsysteme wie in Holz eingeklebte Gitterbleche und unterschiedliche Varianten mit Kervenausbildungen.

Natives Holz, als Bauholz eingesetzt, fault oberhalb der Faser-sättigungsfeuchte, die für Fichte bei ca. 30 % Holzfeuchtigkeit liegt. Im Brückenbau ist Bauholz aus nativem Holz daher langfristig in bewitterter Umgebung nur dauerhaft, wenn es in geschützten Brückenkonstruk-tionen verwendet wird.

Das bedeutet für die HBV- Bauweise, dass der wetterbestän-dige Beton als Schutz für das Holz beidseitig um mehr als 30° zur Ver-tikalen über den Holzträger auskra-gen muss, damit nach DIN-Norm5

Schlagregen vom Holzquerschnitt ferngehalten wird (Abb. S. 11 Mitte).

Bauherrschaft Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014

Tragwerksplanung Prof. Dr.-Ing. Jürgen Graf / TU Kaiserslautern graf ingenieure, Schwäbisch Gmünd

Landschaftsarchitektur A24 Landschaft Landschaftsarchitektur, Berlin

Holzbau Schaffitzel Holzindustrie, Schwäbisch Hall

Bauunternehmen Hermann Fuchs Bauunternehmung, Ellwangen (D)

Oben: Vorfertigung des blockverleimten Brettschichtholzträgers mit Schub-verbund (Bügel), oberflächiger Zementschlämme und Schalung für die aus kragenden Stahlbetonplatten.

Unten: Der abgestufte, blockverleimte Brettschichtholzträger ist unter der Betonfahrbahnplatte vor der Witterung geschützt.

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«KAMENZIND»-COLLECTOR’S BOX

Eintauchen in BelgradBHSF Architekten publizieren zusammen mit

der lokalen Redaktion in Belgrad vier Hefte über die Architektur der serbischen

Hauptstadt in einer Spezialausgabe.Text: Marko Sauer

Der bauliche Holzschutz ist auch in der Bauphase durch konstruktive Massnahmen einzuhalten.

Ein hoher Vorfertigungs-grad der Holzkonstruktion ist auf-grund des geringen Gewichts des Werkstoffs Holz möglich, reduziert die Bauzeit und erlaubt es, auch ge-krümmte Tragwerke wirtschaftlich herzustellen.

Der Bau von Holz-Beton- Verbundbrücken wird sich unter Aspekten der Filigranität und Wirt-schaftlichkeit weiterentwickeln. Zu-kunftsweisend ist der aktuelle Ein-satz des Werkstoffs Buchenholz als marktfähiges Bauholz. Die Festigkeiten von Buchenholz sind ca. doppelt so hoch wie von Nadel-holz, die Steifigkeiten ca. 50 % höher.

Damit sind zukünftig noch schlankere Konstruktionen möglich. Wenn es gelingt, für Spannweiten bis ca. 30 m nicht nur die Holzträger, sondern die kompletten Verbund-brücken so vorzufertigen, dass sie noch transportabel sind, wird die Wirtschaftlichkeit weiter erhöht. Da mehr als 70 % aller Brücken we-niger als 30 m weit spannen, eröffnet sich hier ein weites Feld für den Holzbrückenbau. •

Jürgen Graf, Prof. Dr.-Ing., graf ingenieure, [email protected]

Anmerkungen

1 www.schwaebisch-gmuend.de/ 6039-Landesgartenschau.html

2 Eine Kerve ist ein dreiecks-förmiger Ausschnitt von einigen Zentimetern in hölzernen Sparren, damit diese eine Auflager-fläche auf einer Pfette erhalten.

3 J. Graf, Integrale Holz-Beton- Verbundbrücken für die Landes-gartenschau 2014 in Schwäbisch Gmünd. In: 18. Internationales Holzbau-Forum 2012, Band II

4 O. Bletz; L. Bathon, Holz- Beton-Verbund-Verkehrsbrücken. In: Holzbau 5/2008, S. 43–48

5 DIN 1074: Holzbrücken. Ausg. 9/2006

it ihrer Zeitschrift «Camen-zind» regen BHSF Archi-tekten aus Zürich den Dis-

kurs über Architektur an – nicht nur in der Schweiz. Seit 2005 er-scheint das Heft in unregelmässi-gen Abständen und ist meistens in einem wilden und ungewöhlichen Layout gehalten.

Die vier Belgrader Aus-gaben hin gegen zeigen sich im Gewand eines gepflegten Moder-nisten. Sie ent standen im Zusam-menhang mit dem Projekt «The Urban Incubator: Belgrade», an dem auch BHSF Architekten betei-ligt waren (vgl. Interview S. 32). Als Gestaltungsvorlage diente die Zeit-schrift «Zenit», die von 1921 bis 1926 in Zagreb erschien und in der die damalige Avantgarde zu Kunst, Gesellschaft und Architek-tur publizierte. «Zenit» gab nicht nur das Äussere vor, sondern auch die Themen.

Und so bietet «Kamenzind» – wie das Heft aufgrund der lokalen Schreibweise in Belgrad heisst – eine anregende Mischung aus historischen «Zenit»-Reprints, stu-dentischen Arbeiten und der wie-dererwachten architekto nischen Kritik in Serbien. Der Preis für die Collector’s Box beträgt 50  Franken aufwärts. Aus dem Erlös werden das in Belgrad ansässige Redak-tionsteam bezahlt und die nächs-ten Ausgaben finanziert. •

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Gepflegte Sonderausgabe mit altruistischem Ziel.

www.espazium.ch: Benedikt Boucsein von BHSF stellt das Projekt in einem Video vor, und TEC21 verlost eine «Kamenzind»-Collector’s Box. Letztere kann auch unter www.cazmag.com/shop bestellt werden.

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Neues aus der Bauindustrie

Redaktion: Judit Solt

IN DER VITRINE PRÄSENTIERT

Die Angaben zu Firmen, Produkten und Dienstleistungen basieren auf Firmeninformationen. Auf den Abdruck solcher Hinweise besteht kein Anspruch. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor.

Bitte senden Sie Ihre Informationen an TEC21, PF 1267, 8021 Zürich, oder an [email protected]

Die mit markierten Firmen bzw. Produkte sind in der Schwei-zer Baumuster-Centrale SBC.2 in Zürich vertreten.

www.baumuster.ch

Weitere Informationen finden Sie auch unter www.espazium.ch

Lenzlinger & Söhne AG

Doppelböden ermöglichen eine fle-xible Organisation von Büro-, Ge-werbe-, Industrie- und Technikräu-men – mit Zu- und Ableitungen für Strom, Telefon, Datenübertragung, Klima, Lüftung usw. Lenzlinger & Söhne AG kann als Doppelboden-Pio nier auf über 50 Jahre Erfahrung in der Entwicklung, Herstellung und Montage von Doppelboden-Syste-men zurückgreifen. Das Angebot umfasst Platten in verschiedenen Trägermaterialien und Stärken, die mit variierenden Unterkon-struktionen aus Stahl kombiniert werden können. Die Einbauhöhe wird den Anforderungen im Objekt angepasst und erstreckt sich von 60 bis 2000 mm. Hinzu kommt eine breite Palette von Bodenbelägen. •

www.lenzlinger.ch

Sika

Der Tokyo Skytree ist mit einer Höhe von 634 m nicht nur der höchste Sendeturm, sondern auch das zweit-höchste Bauwerk der Welt. In nur sechs Monaten wurde der Turm mit seinem Betonpfeiler im Innern realisiert. Die kurze Bauzeit wurde durch ein Gleitschalungsverfahren ermöglicht. Die beim Einfüllen des Betons notwendige hohe Fliessfähig-keit und die anschliessende Früh-festigkeitsentwicklung für rasches und kontinuierliches Gleiten wurde mit einem leistungsstarken Beton-fliessmittel der neuesten Generation von Sika realisiert. Nun hat Sika eine biobasierte Form entwickelt: Das Betonfliessmittel Sika® Visconcrete® ist neu auch auf Basis nachwachsen-der Rohstoffe erhältlich. •

www.sika.com

Naef Group

In zwei Dritteln aller Neubauten der Schweiz wurden in den 1970er-, 80er- und 90er-Jahren Fussbodenheizungen mit Kunststoffrohren verbaut. Doch Kunststoff, der ständig Temperaturschwankungen ausgesetzt ist, versprö-det. Dadurch erhöht sich das Risiko von Haarrissbildung, es gelangen Sauerstoffmoleküle ins Heizungswasser. Sauerstoff greift Metallteile im Heizsystem wie Rohre, Armaturen und Heizkessel an. Es entsteht eine Rostschicht, aus der sich Teile lösen, die zu Verschlammung in den Rohren des gesamten Kreislaufs führen. Die Heizleistung sinkt, und der teure Ersatz des Systems bahnt sich an. Eine Sanierung mit dem HAT-System der Naef Group ist die günstigere und bedeutend angenehmere Alternati-ve. Damit lassen sich alte Rohrgenerationen auf einen Schlag auf den ak-tuellsten Stand der Technik bringen. Die Rohre sind vor weiterem Sauer-stoffeintrag und damit vor Korrosion und Verschlammung geschützt. •www.naef-group.com

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Neue Impulse für den SIADie Stadtplanerin Ariane Widmer Pham und die Architektin Anna Suter

sind neu in den SIA-Vorstand gewählt worden. Beide haben bereits die Agenda für ihr künftiges Engagement de!niert.

Text: Frank Peter Jäger

n der Delegiertenversamm-lung vom 23. Mai 2014 in Solothurn wurden zwei

Architektinnen neu in den 12- köp figen SIA-Vorstand gewählt: die Bernerin Anna Suter und die in Lausanne tätige Stadtplanerin Ariane Widmer Pham. Mit den bei-den Neube setzungen entspricht der SIA der eigenen berufspolitischen Ziel setzung, den Frauenanteil an den Schaltstellen der Planungsbran-che deutlich zu erhöhen.

Anna Suter ist Inhaberin des  Berner Architekturbüros Su-ter + Partner. Ihre architektonische Ausbildung erwarb sie an der EPF in Lausanne und der ETH Zürich. Sie ist regelmässig als Wettbewerbs-jurorin tätig und zudem Mitglied des Fachausschusses für Bau und Um-welt der Stadt Thun. Im Vorstand tritt sie die Nachfolge des scheiden-den Pius Flury an.

Bevor Anna Suter 2003 das von ihrem Vater gegründete Büro übernahm, war sie u. a. im Büro von Adolf Krischanitz in Wien tätig. Ihre Leidenschaft gehört dem Bauen im Bestand, namentlich der denkmal-gerechten Sanierung von Gebäuden

der 1960er- und 1970er-Jahre; ent-sprechende Projekte ihres Büros wurden mehrfach ausgezeichnet. «Beim Bauen im Bestand hat man viel grössere kreative Spielräume, als die meisten denken – das möch-te ich jungen Architekten gerne ver-mitteln», sagt Suter. «Die Entwick-lung solcher Projekte ist eine sehr entwurfsintensive und spannende Sache.»

Ariane Widmer Pham ist Ge-schäftsführerin des Büros Schéma directeur de l’Ouest lausannois (SDOL) mit neun Mitarbeitenden. Das von acht Umlandgemeinden am Westrand von Lausanne betriebene Stadtentwicklungsbüro wurde 2003 mit dem Ziel einer koordinierten Gebietsentwicklung gegründet. Im Jahr 2011 erhielt es für sein Vor-gehen den Wakkerpreis des Schwei-zer Heimatschutzes. Seit rund 25 Jahren ist die Stadtplanerin erfolg-reich an der Schnittstelle zwischen Raumplanung, Städtebau und Archi-tektur tätig.

Die in Sion geborene Walli-serin absolvierte ihr Architektur-diplom bei Luigi Snozzi an der EPFL. Nach dem Studium schärfte sie ihr

fachliches Profil bei «Z-Architects» in Sierre und Lausanne, wandte sich jedoch später mehr und mehr stadt-planerischen Aufgaben zu. Nach einigen Jahren in der Raumpla-nungsbehörde des Kantons Waadt wechselte sie 1999 zur technischen Direktion der Expo.02. Gemeinsam mit ihrem Mann Nicolas Pham be-treibt sie zudem das Architektur- und Raumplanungsunternehmen A + U + A in Lausanne.

Mit ihrem Engagement ge-gen unkontrollierte Zersiedlung und ihrer Erfahrung in der Agglomera-tionspolitik betätigt sich Ariane Widmer Pham auf einem Feld, das dem SIA ein besonderes Anliegen ist. «Wir müssen vom sektoralen, zwei-dimensionalen Denken in der Pla-nung wegkommen», erklärt Widmer Pham. Planung könne heute nur er-folgreich sein, wenn sie geografisch, aber auch thematisch übergreifend ar beite. «Die Zukunft der Planung ist interdisziplinär, sie gehört inte-grativen Lösungsmodellen.» •

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Expertin für Agglomerationspolitik: Ariane Widmer Pham aus Lausanne.

Architektin Anna Suter aus Bern.

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DELEGIERTENVERSAMMLUNG 2014

Zwei Frauen verstärken den VorstandDie Delegiertenversammlung des SIA wählt Anna Suter und

Ariane Widmer Pham in den Vorstand. Sie verleiht Pius Flury und Paul Lüchinger die Ehrenmitgliedschaft und beschliesst

die Publikation der revidierten Leistungs- und Honorarordnungen.Text: Thomas Müller

ein anderer Verein im Pla-nungs- und Bausektor tut, was der SIA tut. In einer

Vielzahl von Fragen kommt die Schweiz mittlerweile zum SIA – nicht einfach wegen seiner Grösse und seines Einflusses, sondern we-gen der Kompetenz, die er vereint, und wegen der Ideale, für die er steht.» Mit diesen Worten der Wert-schätzung eröffnete SIA-Präsident Stefan Cadosch am 23. Mai die dies-jährige Delegiertenversammlung. Dass dem so sei, verdanke der SIA seinen zahlreichen Mitwirkenden in den Sek tionen, Berufsgruppen, Fach vereinen und Kommissionen sowie den Mitarbeitenden auf der Geschäftsstelle. «Sie sind es», so Cadosch, «die den SIA tragen, ihn so lebendig und aktiv gestalten wie kaum je zuvor!»

Die Delegierten versammel-ten sich im eindrucksvollen, dem Anlass würdigen Kantonsratsaal in Solothurn. Cadosch wagte einen Ausblick und schilderte, worauf er in naher Zukunft die Arbeit des SIA fokussieren will: Es gelte der Politik und Gesellschaft Wege aufzuzeigen, wie der Gebäudepark Schweiz ener-getisch optimiert und der Lebens-raum Schweiz dichter und zugleich lebenswerter gestaltet werden kann. Seine Forderungen hinsichtlich ei-nes fairen Vergabewesens müsse der SIA noch konsequenter anbringen; zudem gelte es, unbeirrt auf die Ver-ankerung der zeitgenössischen Bau-kultur in der Kulturbotschaft des Bundesrates zu drängen. Doch lieber noch als ein SIA, der fordere und mitrede, sei ihm ein SIA, der inno-vativ und mit gutem Beispiel voraus-gehe – zum Beispiel was die Ver-minderung des Fachkräftemangels

betrifft. Hier mahnte Cadosch den integrativeren Umgang mit den qua-lifizierten über 50-Jährigen und die Verbesserung der Situation für die Frauen in der Planungsbranche als dringende Aufgaben an.

Den Aufforderungen folgen Taten

Im Anschluss an die Verabschie-dung des Jahresberichts 2013 und nachdem die Delegierten der Jah-resrechnung mit einem Gewinn von 55 000 Franken zugestimmt hatten, liessen sie den Aufforderungen des Präsidenten bereits Taten folgen. So wählten sie mit Anna Suter, Archi-tektin ETH und Inhaberin des Ar-chitekturbüros Suter + Partner in Bern, sowie mit Ariane Widmer Pham, Stadtplanerin aus Lausanne, zwei Frauen in den Vorstand des SIA (vgl. S. 17). Mit ihnen erfahre der Vorstand in fachlicher als auch re-gionaler Hinsicht eine hervorragen-

de Ergänzung und Verstärkung, so der über die Wahl sichtlich erfreute Stefan Cadosch. Die Delegierten verliehen dem Gleichbehandlungs-anspruch Nachdruck, indem sie sich auch einstimmig für die entspre-chende Ergänzung der SIA-Statuten aussprachen.

Ehrung von Pius Flury und Paul Lüchinger

Anna Suter tritt die Nachfolge des zurückgetretenen Pius Flury an, dem die Delegierten für seine Ver-dienste als Vorstandsmitglied und als Architekt die Ehrenmitglied-schaft verliehen. Dieselbe Ehre wurde dem Bauingenieur Paul Lüchinger zu Teil. Auch Lüchinger wurde für seinen wertvollen Beitrag zur Schweizer Baukultur sowie für sein fast 40-jähriges massgebendes Mitwirken zum Beispiel an den «Swisscodes» oder den «Erhaltungs-normen» geehrt.

Hoch die Karten: Weitgehend einstimmig verliefen die Abstimmungen der rund 50 im Solothurner Kantonsratsaal versammelten Delegierten.

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19TEC21 24/2014

Ersatzwahlen in die ZO und die ZN

In die Zentralkommission für Ord-nungen (ZO) wählten die Delegierten einstimmig Markus Friedli, Archi-tekt, Kantonsbaumeister Thurgau und Präsident der Konferenz der Schweizer Kantonsbaumeisterinnen und Kantonsarchitekten (KB’CH), sowie Thomas Pareth, Bauingenieur und seit Mitte 2013 Direktor des CRB. Das Vertrauen zur Mitwirkung in der Zentralkommission für Normen (ZN) sprachen die Delegierten ein-stimmig Fabrice Favre, Bauinge-nieur aus Bern und Delegierter der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffent-lichen Bauherren (KBOB), als auch Hans-Rudolf Ganz aus. Der Bera-tende Ingenieur aus Bösingen ist neuer Präsident der SIA-Kommis-sion für Tragwerke (KTN).

Auch die Gründung einer Auslandssektion fand Zustimmung. Die Gründung der Sektion war ein wichtiger Schritt im Zug der aktiven Betreuung der SIA-Fachleute im Ausland durch die neue Dienstleis-tungseinheit SIA-International (vgl. Bericht in TEC21 23/2014).

Revidierte Standesordnung geht in Publikation

2011 beantragte die Standeskom-mission des SIA die Überprüfung und Aktualisierung der seit 2001 gültigen Standesordnung SIA 151.

Im Dezember 2011 gab der Vorstand die Revisionsarbeiten frei. Nach gut zweieinhalb Jahren Arbeit liegt die revidierte Ständeordnung nun vor. Sie ist klarer gegliedert, begriffliche Unklarheiten wurden ausgeräumt, vereinzelte Reglementierungslücken konnten geschlossen werden, und die Änderungen der schweizerischen Zivilprozessordnung ZPO sind be-rücksichtigt. Die Delegierten stimm-ten der neuen SIA 151 einhellig zu. Sie genehmigten damit deren Publi-kation und Inkrafttreten ab Januar 2015. Einer weiteren bedeutenden Revision stimmten die Delegierten mit grosser Mehrheit zu, nämlich derjenigen der Ordnungen für Leis-tungen und Honorare der Architek-ten (SIA 102), der Bauingenieure (SIA 103), der Landschaftsarchitekten (SIA 105) und der Ingenieure für die Bereiche Gebäudetechnik, Maschi-nenbau- und Elektrotechnik (SIA 108). Auch die das Paket begleitenden und gleichfalls revidierten Ver-ständigungsnormen SIA 111 Modell Planung und Beratung sowie SIA 112 Modell Bauplanung erhiel-ten die Zustimmung.

In den vergangenen vier Jahren der Revision wurden die Ordnungen weiterentwickelt, insbe-sondere die Leistungsbeschriebe, sie wurden der aktuellen Gesetzgebung angepasst und noch besser aufein-ander abgestimmt. •

Thomas Müller, Kommunikation SIA; [email protected]

Im Gespräch: der scheidende Vorstand Pius Flury und seine Nachfolgerin, die Berner Architektin Anna Suter (rechts).

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Forschung zum Bauwerk Schweiz

Seit März 2014 arbeitet Andreas Loscher in der Geschäftsstelle des SIA an dem Projekt «Entwicklung Bauwerk Schweiz». Im Fokus sei-ner Arbeit steht die Fragestellung: Wie ist es heute um das Bauwerk Schweiz bestellt, und wie soll es sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln?

Das Bauwerk Schweiz be-inhaltet Gebäude, Infrastruktur-anlagen für Verkehr und Energie sowie Ver- und Entsorgungsnetze und ist ein zentraler Pfeiler der Schweizer Wirtschaft.

Die hohe Qualität dieser wertvollen Infrastruktur und den darauf basierenden Standortvor-teil gilt es auch für zukünftige Generationen zu sichern. «Für mich liegt die grösste Chance des Projekts in der Unterstützung al-ler in der Schweiz massgebenden Akteure im Bauwesen: Bundesäm-ter (ARE, Astra, BfU, BfE), der Verbände (SIA, SBV, SVV, VKF, Städteverband) sowie wichtiger Partner wie zum Beispiel der SBB», sagt Andreas Loscher.

Nach der Ausbildung zum Hochbauzeichner und dem Stu-dium der Architektur an der Hochschule für Technik in Stutt-gart arbeitete Andreas Loscher lange Zeit an der Professur für Architektur und Bauprozess der ETH Zürich bei Prof. Sacha Menz und war dort in unterschiedli-chen Bereichen tätig, angefangen von Lehre, Weiterbildung, Pub-lika tionen und Ausstellungen bis hin zum Forschungsprojekt «Arch_Tec_Lab». • (sia)

Andreas Loscher, Projektkoordi-nator Bauwerk Schweiz

Ausschreibung TEC21 24/201420

Projektwettbewerb Pädagogisches Zentrum für Hören und Sprache MünchenbuchseeNeubau Sporthalle, Basisstufe und Bereich Psycho-motorik

AuftraggeberAmt für Gebäude und Grundstücke des Kantons BernReiterstrasse 11, 3011 Bern

BauvorhabenNeubau einer Sporthalle, einer Basisstufe und eines Psycho motorikbereichs für das Pädagogische Zentrum für Hören und Sprache in Münchenbuchsee. Gesucht wird ein kostengünstiges und effizientes Projekt mit Bezug auf den historischen Kontext der bestehenden Gebäude und die landschaftliche Situation. Es werden optimale betriebliche Abläufe verlangt, räumliche Qualitä-ten und eine sorgfältige architektonische Gestaltung. Das Projekt muss nachhaltig (Umwelt, Gesellschaft, Wirt-schaft) sein. Das Tragwerk und die Fassadenkonstruktion der Hochbauten sind gemäss AGG-Vorgaben wenn immer möglich als Ingenieurholzbauten unter Berücksich-tigung der Systemtrennung und des Minergie-P-ECO-Standards zu planen.

VerfahrenProjektwettbewerb im offenen Verfahren, gemäss SIA 142, für Architektur-, Bauingenieur- und Landschafts-architekturleistungen. Die Verfahrenssprache und die spätere Projektumsetzung ist Deutsch.

TeilnahmeberechtigungPlanerteams aus Architekten/-innen, Bauingenieuren/-in-nen und Landschaftsarchitekten/-innen mit Wohn- oder Geschäftssitz in der Schweiz oder einem Vertragsstaat des GATT/WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen, soweit dieser Staat Gegenrecht ge-währt.

TermineBezug der Wettbewerbsunterlagen ab 11.06.2014Abgabe der Projekte 08.10.2014

Bezug der WettbewerbsunterlagenDownload unter www.simap.ch

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DIVERSES

21VeranstaltungenTEC21 24/2014

Weitere laufende Veranstaltungen finden Sie unter: www.espazium.ch

VERANSTALTUNGSREIHE BIS 21.11.2014

Heimatschutz vor OrtDie Lebensqualität in unseren Dör-fern und Städten ist mit dem öffent-lichen Raum verbunden. Plätze und Parks, Ortskerne und Seeufer sind Treffpunkte und Orte der Erholung. Unter dem Schlagwort der Verdich-tung geraten diese Freiräume immer stärker unter Druck: Sie werden vernachlässigt, übernutzt oder überbaut. Der Schweizer Heimat-schutz und seine Sektionen setzen ein Zeichen: Mit über 50 Veranstal-tungen lancieren sie eine Diskussion über den Wert und die Notwendig-keit der Pflege und Entwicklung von Freiräumen in einer Schweiz, die immer dichter bebaut wird.Ort: diverse Orte in der ganzen Schweiz Infos und Anmeldung: www.heimatschutz.ch/veranstaltungen

AUSSTELLUNG BIS 6.7.2014

Tobias Madörin. Topos

Ob Barcelona, São Paulo oder Grindelwald, ob in Uganda, Japan oder Indonesien: Mit seinen grossformatigen Farbfotografien – eigentlichen Tableaus, wie es die grossen Landschaftsgemälde des 19. Jahrhunderts waren – erforscht Tobias Madörin vom Menschen geprägte Orte. Ort: Bildhalle, Seestrasse 16, 8802 Kilchberg Infos: www.bildhalle.ch

VERANSTALTUNGSREIHE 14.6.–11.10.2014

Lausanne JardinsDas Motto des diesjährigen Garten-festivals heisst «Landing». Architek-ten, Landschaftsgärtner, Designer und Künstler aus der Schweiz und der ganzen Welt begrünen einen Sommer lang die Innenstadt von Lausanne. Zudem finden diverse Begleitveranstaltungen statt.Ort: diverse Orte in Lausanne Infos: www.lausannejardins.ch

AUSSTELLUNG BIS 16.11.2014

Sag mir, wie du wohnst …

Wohnmodelle des 18. bis 20. Jahr-hunderts geben Einblicke in den Wandel des Wohnens. Historische Interieurdarstellungen zeigen eben-so wie aktuelle digitale Aufnahmen von Wohnungen, dass die Präsen- tation im eigenen Wohnumfeld schon lang ein beliebtes Motiv der Selbstdarstellung ist. Ort: HMB – Museum für Wohnkultur / Haus zum Kirschgarten, Elisabethenstrasse 27–29, Basel Infos: www.hmb.ch

KONFERENZ 16.8.2014 | 10–18 UHR

Fritz Haller neu verortenDie Tagung «Zwischen Systemden-ken und Postmoderne» ist als wis-senschaftliche Konferenz konzipiert, die Weggenossen, Zeitzeugen sowie Architekturhistoriker und Denkmal-pfleger zusammenbringt. Ziel ist es, aufgrund aktueller Forschung Fritz Haller in seiner Zeit neu zu verorten. Referenten: Hubertus Adam, Jürg Graser, Michael Hanak, Uli Huber, Stanislaus von Moos, Walter Nägeli, Georg Vrachliotis. Der Anlass findet im Rahmen der Ausstellung «Fritz Haller. Architekt und Forscher» statt.Ort: Ackermannshof (im Laba), St. Johann-Vorstadt 19–21, Basel Infos: www.sam-basel.org

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22 Jugoslawische Moderne TEC21 24/2014

MODERNE ZWISCHEN DEN BLÖCKEN

Heterogenität und Egalitarismus

Mit dem Untergang Jugoslawiens verblasste das Wissen um seine Architektur. Forschung und Theorie nehmen den Faden wieder auf

und durchleuchten die einzigartigen gesellschaftlichen Grundlagen. Text: Maroje Mrduljaš

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Das Ferienresort Haludovo auf der Insel Krk von Boris Magaš (1972). Das Joint Venture zwischen Penthouse Magazin und Volksrepublik liegt heute in Trümmern und wird langsam ausgeschlachtet.

23Jugoslawische ModerneTEC21 24/2014

ie Architektur des ehemaligen Jugo-slawien ist weitgehend unbekannt. Zwar beginnt sich die Fachwelt allmäh-lich dafür zu interessieren, aber eine architekturhistorische Einordnung der Epoche steht noch aus; es existiert

keine umfassende Würdigung oder Synthese. Selbst die offizielle «innere Sichtweise» der Nachfolge-staaten  erschöpft sich in nationalen Chroniken und monumentalen Monografien einzelner Architekten. Ein Grund dafür mag sein, dass die Aufarbeitung der politischen Vergangenheit ebenfalls noch aussteht: Die Baukultur jener Zeit ist ebenso eng an die Ver-dienste  des Sozialismus geknüpft wie an seine ge-brochenen Versprechen. Die Beschäftigung mit der gemeinsamen Architektur würde auch einen unbeque-men Blick zurück auf eine kollektive Utopie bedeuten, die in einem Krieg endete.

Die Populärkultur hat eine eigene Sichtweise auf Jugoslawien gefunden. Ihr Fokus ist «exotisierend», wobei häufig die zerstörten Denkmäler des antifaschis-tischen Kampfs und der sozialistischen Revolution ge-zeigt werden. Ihres Kontexts beraubt, werden die bild-haften Bauten herumgereicht wie die Artefakte einer längst verschwundenen Zivilisation. Auf der anderen Seite findet der akademische Diskurs meist abgeschot-tet unter Fachleuten statt. Dabei spielen die spezifischen Umstände des selbstverwalteten Sozialismus in Jugo-slawien eine entscheidende Rolle – in ökonomisch-po-litischer wie auch in kultureller Hinsicht. Zudem bewegt sich eine Schar junger Forscher an den Rändern der Mainstreamkultur. Sie untersucht mit viel Leidenschaft das Erbe der urbanistischen Erneuerung und ihre Aus-wirkungen auf die heutige Zeit.

Architektur und Urbanismus des ehemaligen Jugoslawien werden bisher also aus sehr unterschied-lichen Blickwinkeln betrachtet. Wie aber lassen sich die Zusammenhänge zwischen Baukultur und Politik unter den ökonomisch-sozialen Bedingungen des selbst-verwalteten Sozialismus beschreiben?

Die Vorkriegszeit

Den Modernismus absorbierte Jugoslawien noch wäh-rend der 1920er- bis 1930er-Jahre, da viele Architekten in den damaligen Epizentren der Kultur verkehrten: Paris, Wien, Berlin, Prag. Auf dem polytechnischen Mo-dell aufbauend, betrieben Belgrad, Zagreb und Ljublja-na eigene Architekturschulen. Im Lauf der 1930er-Jah-re wirkte ein Zweig des CIAM unter dem Namen «Arbeitsgruppe Zagreb», geleitet von Ernest Weissmann, einem Mitarbeiter – und später erbitterten Kritiker – von Le Corbusier. Eine ganze Kolonie jugoslawischer Archi-tekten arbeitete bei Le Corbusier; einige unter ihnen wurden zu treibenden Kräften der Nachkriegsarchitek-tur in Jugoslawien, etwa Edvard Ravnikar aus Ljublja-na, Juraj Neidhart aus Zagreb, der seine Karriere später in Sarajewo fortführte, oder Milorad Pantovic, der in Belgrad wirkte. Die Mehrheit der modernistischen Ar-chitekten der Vorkriegszeit war politisch links orientiert

und gesellschaftlich engagiert. Viele unter ihnen – er-wähnen wir nur Nikola Dubrovic, den ersten Planer von Neu-Belgrad – nahmen am antifaschistischen Kampf während des Zweiten Weltkriegs teil und genossen da-durch das Vertrauen der neuen politischen Nomenklatur. Folglich war die Architekturszene gut auf den poli-tischen und kulturellen Kontext vorbereitet, den der Sozialismus ihnen brachte.

Bauen im selbstverwalteten Sozialismus

Unmittelbar nach dem Krieg gehörte Jugoslawien zu den treuesten Verbündeten der UdSSR. Grosse, zentra-lisierte Büros leiteten die Planungen, und eine kurze Debatte um den Sozrealismus flammte auf. Doch 1948 folgte der Bruch mit Stalin, und Jugoslawien trat aus dem Ostblock aus. Bereits 1950 wurden die Grundlagen für den «selbstverwalteten Sozialismus» gelegt, ein spe-zifisches sozio-politisches Projekt, das Elemente direk-ter Demokratie und politischer Dezentralisation auf-nahm. In der Kultur wurde die Freiheit des Ausdrucks propagiert, und mannigfache Formen moderner Kunst und Gestaltung entwickelten sich rasant während der 1950er-Jahre.

Dieser Prozess begleitete auch die Modernisie-rung des alltäglichen Lebens, worin die Erweiterung der Städte eine entscheidende Rolle spielte und die während der 1960er-Jahre ihren grossen Aufschwung erlebte. Auch wenn man nicht behaupten kann, dass es eine staatliche Doktrin hin zum Modernismus gegeben hätte, so wurde dieser doch zunehmend zum symboli-schen Ausdruck für ein System, das sich authentisch gab, offen und progressiv. Dies illustrierte insbesonde-re der Pavillon von Vjenceslav Richter für die Expo 1958 in Brüssel. Das elegante Gebäude aus Glas und Stahl hatte keine Türen, sondern empfing seine Besucher mit einer grenzenlosen «Total design»-Umgebung.

Vielgestaltige Architektur

Bereits zu Beginn der 1950er-Jahre nahm die Zahl der zentralisierten Büros ab, und es wurden kleinere, un-abhängige Ateliers gegründet. Ein Teil der Büros war mit Bauunternehmen verbunden; interdisziplinäre und von den Teilstaaten geführte urbanistische Institute nahmen ihre Arbeit auf; Hochschulprofessoren bear-beiteten konkrete Bauaufgaben an ihren Lehrstühlen. Diese Vielfalt an Arbeitsformen brachte Dynamik in die Szene. Ausser Montenegro führten alle Bundesstaa-ten Architekturschulen, die einen eigenständigen Zu-gang zur Baukultur lehrten. Die Protagonisten der Teilstaaten tauschten sich mit unterschiedlichen inter-nationalen Strömungen der Architektur aus, während sich gleichzeitig ein Dialog mit der lokalen Bautradition und Kultur entwickelte. Slowenien pflegte Beziehungen zu skandinavischen Ländern, Kroatien mit den nieder-ländischen Vertretern des Team X, in Sarajewo unter-suchte Juraj Neidhart die Möglichkeiten, die osmani-sche Tradition mit modernistischen Raumkonzepten zu verschmelzen, in Belgrad war Bogdan Bogdanovic

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24 Jugoslawische Moderne TEC21 24/2014

Teil des surrealistischen Kulturkreises. Die mazedoni-schen Architekten standen in unmittelbarem Kontakt zu Kenzo Tange, Alfred Roth und der polnischen Grup-pe TIGER, die sich nach dem verheerenden Erdbeben von 1963 zusammen mit jugoslawischen Architekten am Wiederaufbau von Skopje beteiligten – das zu einer architektonisch kosmopoliten «globalen Stadt» wurde.

Inmitten dieser Vielgestaltigkeit kann man unmöglich von einer «jugoslawischen» Architektur sprechen. Vielmehr waren die autonomen Strömun-gen der Ausdruck selbstbewusster jugoslawischer Kultur kreise  an der Nahtstelle zwischen Ost und West und weit mehr als die blosse Reflexion globaler Bewegungen. Davon zeugt unter anderem die Weisse Moschee von Zlatko Ugljen in Visoko (BiH), 1983 mit dem Aga Khan Award ausgezeichnet, die auf wunder-bare Weise modernistische Poesie mit den Metaphern des Islam verbindet.

Freiheiten in der gelenkten Wirtschaft

Nach den Wirtschafts- und Bankreformen Mitte der 1960er-Jahre entstand ein Hybrid aus Plan- und Markt-wirtschaft, was sich direkt auf die Bautätigkeit aus-wirkte. Zum Beispiel erleichterte die staatliche Kont-rolle über den Boden – der nicht dem Staat gehörte, aber dennoch als kollektives Gut betrachtet wurde – grosse Stadterweiterungen wie Neu-Belgrad und Neu-Zagreb, und sie garantierte die Gleichbehandlung in der Ver-teilung von Wohnungen. Das «Recht auf eine Wohnung» bildete ein wichtiges Element der sozialen Fürsorge. Die Kräfte des Markts wiederum beeinflussten die Qua-lität der Architektur, denn jede Baufirma entwickelte ein eigenes System für den Wohnbau, was monotone Wohnviertel verhinderte.

Für den Massentourismus, der sich ab Mitte der 1960er-Jahre zu einem bedeutenden Industriezweig entwickelte, war Architektur ein entscheidender Be-standteil des Angebots. Die Adriaküste ist übersät mit Hotels, die zu den weltweit bedeutendsten Vertretern ihrer Typologie gehören. Die jugoslawischen Architek-ten arbeiteten in einem Umfeld, in dem sie weitgehen-de gestalterische und programmatische Freiheit ge-nossen, solange dies mit den verfügbaren Ressourcen in Einklang stand.

Die Planung im grossen Massstab hat den Wandel von einem landwirtschaftlich geprägten Staat zu einer modernen Gesellschaft ermöglicht. Sie sicher-te einer Vielzahl von Bürgern die soziale Infrastruktur und ein zeitgemässes Leben auf annehmlichem Niveau. In diesem Sinn war die sozialistische Urbanisierung eine zivilisatorische Aufgabe mit dem Ziel gesellschaft-licher Gleichberechtigung. Nichtsdestotrotz verliefen Raumplanung und Städtebau selten ideal. Sie mussten ihren Weg finden zwischen utopischen Ambitionen, den pragmatischen materiellen Möglichkeiten und büro-kratischen Hürden. Doch in einigen Fällen, die stark von der Fähigkeit der lokalen Eliten und dem mikro-politischen Klima abhängen, wurden feinfühlige und international relevante Resultate erzielt.

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2005Serbien und Montenegro

BundesrepublikJugoslawien

(ohne Mazedonienund Bosnien-Herzegowina)

Jugoslawien(ohne Kroatien und

Slowenien)

Ferienresort HaludovoMalinska, Insel Krk, 1971Architekt: Boris Magaš

Weisse Moschee Visoko, 1980Architekt: Zlatko Ugljen

ERWÄHNTE PROJEKTE:

Kindersanatorium Krvavica, 1961Architekt: Rikard Marasovic

Wohntürme Rijeka, 1967Architekt: Igor Emili

Hotel Adriatic Opatija, 1971Architekt: Branko Žnidarec

Kulturzentrum Sibenik, 1961Architekt: Ivan Vitic

MessepavillonZagreb, 1958Architekt: Ivan Vitic

GebäudekomplexMamutica Zagreb,1974Architekten: Ðuro Mirkovic, Nevenka Postružnik

Wohnhaus der Nationalbank Zagreb,1963Architekt: Ivan Vitic

StadterweiterungNeu-Zagrebab 1957

StadterweiterungNeu-Belgradab 1948

Partisanendenkmal Petrova Gora, 1979–1981Entwurf: Vojin Bakic

Stadterweiterung Split 3ab 1972

Tito stirbt

Besetzung undfaschistische

Vasallenstaaten

KönigreichJugoslawien

(KraljevinaJugoslavija)

SHS-Königreich(Kraljevina Srba,

Hrvata i Slovenaca)

Sozialistische Föderative Republik

Jugoslawien

Föderative Volksrepublik

Jugoslawien

Erdbeben in Skopje

Bruch mit Stalin

SelbstverwalteterSozialismus

Ab 2006: autonome

Nachfolgestaaten

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25Jugoslawische ModerneTEC21 24/2014

Ein glaubwürdiges Beispiel dieser Synergie zwischen Ökonomie, Stadtverwaltung und Architektur bildete die Stadterweiterung von Split, bekannt unter dem Namen «Split 3», wo die unterschiedlichen jugoslawi-schen Architekturszenen zusammentrafen. Den Mas-terplan erarbeitete ein slowenisches Team unter Braco Mušic, Marijan Bežovan und Nives Starc, während die Ausarbeitung lokale Architekten wie Ivo Radic, Frane Gotovac und Dinko Kovacic übernahmen. In die-sem Projekt, das eine Fussgängerzone mit Megastruk-turen verbindet, gelang die Synthese einer ganzen Band-breite internationaler Tendenzen: von der Kritik am Modernismus einer Jane Jacobs bis hin zu metabolis-tischen Konzepten. Doch bleiben diese Einflüsse nicht reine Zitate: Split 3 integriert die Lektüre der histori-schen Altstadt ebenso wie die lokale Bautradition.

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Split 3 (ab 1972) war eine der grossen Stadterweiterungen im sozialistischen Jugoslawien. Die Siedlung wurde für knapp 13 000 Einwohner geplant und brachte internationale Tendenzen mit der lokalen Bautradition zusammen. Die zentrale Fussgänger-passage folgt der hügeligen Landschaft und bietet einen belebten öffentlichen Raum. Auch wenn die Zeit des selbstverwalteten Sozialismus nach dem Zerfall Jugoslawiens kritisch gewertet wird, schätzen die Menschen vor Ort das vielfältige und gemischte Programm der Wohnsiedlungen.

Post mortem

Die Bewohner des ehemaligen Jugoslawien leben auch heute noch zu einem grossen Teil in einer «sozialis-tischen Stadt», besuchen Schulen und Krankenhäuser, die in der Ära des Sozialismus erbaut wurden. Die Tou-rismusindustrie nutzt nahezu ausschliesslich Hotel-komplexe aus den frühen 1970er-Jahren, die auch für die lokale Bevölkerung ein grosses Angebot und öffentliche Räume bieten. Lang wurde der Begriff «sozialistisch» abwertend gebraucht, doch die Bürger erkennen langsam die Vorteile der Planstadt mit ihren grossen öffentlichen Plätzen und funktionalen Grund-rissen – so mausert sich zum Beispiel Neu-Belgrad zu einem begehrten Wohnort.

Längst vorbei sind die Zeiten, als Jugoslawien in Zusammenarbeit mit UN-Behörden Millionen in Re-gionalpläne zu einer nachhaltigen Entwicklung der Adriaküste steckte. Verschwunden ist die labile, aber immerhin rationale Zusammenarbeit zwischen politi-schen Eliten, urbanistisch-architektonischer Fachwelt und Investoren. Die Planungsämter wurden gezielt ge-schwächt, oder sie zerfielen während des Transitions-prozesses. Deshalb werden die Städte heute nicht mehr von Fachleuten geplant, sondern von Developern, die mit der klientelistischen Politik zusammenspannen – was sich verheerend auf die gebaute Umwelt auswirkt. Das deregulierte, neoliberale Modell der Stadtentwick-lung ist zwar kein Spezifikum Post-Jugoslawiens, aber es steht dort in scharfem Kontrast zur unmittelbaren Geschichte. Urbanisten und Architekten suchen noch nach Möglichkeiten, innerhalb dieses Rahmens opera-tiv zu werden. Die Architektur hat als isolierte Dis-ziplin  überlebt, und in Slowenien sowie Kroatien konnten sich eigenständige Szenen etablieren, die das modernistische Erbe weiterführen. Auch in den anderen Folgestaaten gibt es Büros, die die Errungenschaften der Moderne hochhalten – allerdings mit geringen Chan-cen, diese auch umzusetzen.

Eine interessante Entwicklung ist das gesell-schaftliche Engagement zum Schutz modernistischer Stadtstrukturen. An der Diskussion um das «Recht auf die Stadt» und im Protest gegen ungerechte Stadtpla-nungen in Belgrad, Zagreb und Skopje entfacht sich ein aktiver architektonischer Diskurs. Gleichzeitig werden dadurch die Mechanismen der Zivilgesellschaft und der Bürgerbeteiligung gestärkt, die in dieser Region noch in den Kinderschuhen stecken. Das urbanistische Erbe der Moderne in Jugoslawien zeigt seine langfristigen Effekte und infiziert vielleicht wie ein Virus auch fol-gende Generationen – mit der romantischen Vorstellung von Architektur als Allgemeingut. •

Maroje Mrduljaš, Architekt und Kritiker, Redaktor der Zeitschrift «Oris» und Leiter der Forschungsplattform «Unfinished Modernisations»

Übersetzung aus dem Kroatischen: Marko Sauer

26 Jugoslawische Moderne TEC21 24/2014

WAS BLEIBT ÜBRIG?

Ausgeschlagenes Erbe

Eine Studienreise führte den Autor zu den Bauwerken der Spätmoderne, die in Kroatien zur Zeit des jugoslawischen Staats errichtet wurden.

Ein Reisebericht mit biogra!schen Notizen.Text: Marko Sauer

erüche sitzen am tiefsten im Gedächt-nis. Wie der Geschmack der in Tee getunkten Madeleine erinnert mich gerösteter Kaffee an meine Kindheit in Zagreb, dessen Duft bei Hochdruck über der ganzen Stadt lag, oder der Ge-

ruch nach Zunder, wenn die Monteure auf der anderen Strassenseite Stahl schweissten. Auch heute noch stellt sich in mir unvermittelt ein Gefühl von Heimat ein, wann immer ich eine Schlosserei betrete. Für einen

kurzen Moment taucht dann aus der Erinnerung der Wohnblock mit dem steinernen Treppenhaus und den Kakteen hinter den Fenstern auf, die Strasse mit den Schlaglöchern, die an der Polizei vorbei zur Tramhal-testelle führte. Meine Kindheit fand auf beiden Seiten der Alpen statt: in der Schweiz und – im Rhythmus der Schulferien – bei meinen Verwandten in Kroatien. Die Reise zu den Bauwerken der Spätmoderne Jugoslawiens öffnete mir eine neue Sicht auf meine erste Heimat, denn mein Bild wies grosse weisse Flecken auf.

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Ein Gebäudekomplex für 5000 Bewohner (1974) von Ðuro Mirkovic und Nevenka Postružnik, den die Zagreber «Mamutica» nennen, das kleine Mammut.

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Erste beide Reisetage: Zagreb, Innenstadt und Erweiterung der sozialistischen Ära

Zu Beginn ein Spaziergang durch die Innenstadt und die erste Stadterweiterung aus dem 19. Jahrhundert. Offensichtlich inspirierte die Donaumonarchie diese Ära von Zagreb, die baumbestandenen Prachtstrassen säumen fünfgeschossige Wohnhäuser mit Hochpar- terre und bröckelndem, meist gelblichem Putz. Die Blockränder sind geschlossen, doch ab und zu lässt eine Durchfahrt, im Zagreber Dialekt «Haustor» genannt, einen Blick in die Innenhöfe zu. Wir sind lang unterwegs und laufen in die Nacht hinein, vorbei an modernisti-schen Einzelstücken, die den Rhythmus der Häuser-zeilen unterbrechen. An einer Strassenecke weicht die Baulinie zurück und lässt Platz für einen kleinen Park. Eine zehngeschossige Scheibe ragt dahinter auf: das Wohnhaus der Nationalbank aus dem Jahre 1963 von Ivan Vitic. Er komponierte eine einspringende Ecke im Blockrand, gesäumt vom Scheibenhochhaus, das als Schlüsselwerk der Spätmoderne in Jugoslawien gilt. Die hölzernen Schiebeläden fallen aus der Fassade, rot-weisse Bänder sperren den Bereich ab, wo man Gefahr läuft, von ihnen erschlagen zu werden.

Am zweiten Tag folgt ein Ausflug in die sozia-listische Erweiterung der Stadt jenseits der Save. In der topfebenen Fläche wechseln sich Zeilen und Punkthoch-häuser ab, dazwischen – mehr als nur Abstandsgrün – Parks mit Gemeinschaftsbauten und Spielplätzen. Die Leute sitzen im kleinen Quartierzentrum von Zaprude und pflegen die Lieblingsbeschäftigungen der Kroaten: Kaffee trinken, rauchen und plaudern. Ein friedliches Bild, ohne die Konflikte von Retortenstädten an anderen Orten. Offenbar wirken die Rezepte der Modernisten, wenn sie bis zu Ende gebaut werden – wenn nicht nur die rentablen Wohnungen entstehen, sondern auch die gemeinschaftlich genutzten Nebenbauten wie Kin-derkrippen und Quartierzentren. Und da in Zaprude der Staat als Auftraggeber, Planer und sogar als Unterneh-mer wirkte, wurde das gesamte Paket geliefert. Vor Ort treffen wir Bogdan Budimirov, der den Stadtteil in den 1960er-Jahren mit Plattenbauten made in Yugoslavia erstellt hatte. Im Versammlungssaal erläutert der Ar-chitekt das Prinzip des Vorfertigungssystems Jugo-mont ’61. Er erklärt die Besonderheiten einer Baustelle für Tausende von Wohnungen: Bauen bedeutet für den vitalen Mann mit dem dichten, schlohweissen Haar Balkendiagramme, Netzpläne, Stücklisten. Er hat Woh-nungen geschaffen für die Menschen, die nach dem Systemwechsel in die Zentren zogen, weil die Planwirt-schaft Bauern zu Fabrikarbeitern machte. Auch wenn er dies mit keinem Wort erwähnt: Budimirov hat nicht bloss Häuser errichtet, sondern eine Gesellschaft um-gebaut. Die Wände hinter ihm säumen Fotos des kroa-tischen Militärs. Sie zeigen Bilder der Rückeroberung der Krajna, des Landstreifens in Richtung Bosnien, der seit Jahrhunderten von Serben bewohnt war und wo mit deren Protesten der letzte Krieg 1991 seinen Anfang nahm. Der Quartierstreff ist das Zentrum der Vetera-nenorganisationen aus der Gegend geworden.

Dritter Tag: Durch das Hinterland, Petrova Gora

Die Partisanen spielten in meiner Familie keine Rolle. Auf jeden Fall keine bessere als alle anderen Armeen. Im Dorf meiner Grosseltern, einen Steinwurf von der ungarischen Grenze entfernt, zogen mit wechselndem Kriegsglück die Heere der Grossmächte wie die Wogen eines aufgewühlten Meeres hin und her: Wehrmacht, Ustaše, Domobrani und gegen Ende des Kriegs dann Russen und die Partisanen. Alle marschierten durch das kleine Donje Viljevo, alle plünderten sie die Kam-mern der Bauern. Es erstaunt nicht, dass die siegreichen Partisanen dort nicht auf Begeisterung stiessen. Zumal sie Kommunismus und staatlichen Besitz predigten, während die Grossmütterchen jeden Morgen vor dem Tagwerk zur Frühmesse eilten und die Bauern sich mit den Zehen auf ihrem Grund festkrallten. In meiner Fa-milie war der Partisanenkult nicht üblich, weshalb ich auf dem Weg nach Split zum ersten Mal ein Partisanen-denkmal besuchte. Oder was davon noch übrig war.

Auf der Petrova Gora lag dicker Nebel, und selbst der kroatische Chauffeur kannte den Weg nicht. Erst als der Bewacher des Denkmals unseren Bus abholte und durch dichte Wälder lotste, fanden wir den Ort, an dem die Partisanen während des Zweiten Weltkriegs ihr zentrales Krankenhaus betrieben. In Erinnerung an ihren Kampf krönt ein Denkmal in Form eines be-gehbaren Turms die Spitze des Hügels, mit Vortragssä-len und Galerien. Die gekurvten Fassaden in Chromstahl glänzten einst weit in die Region hinaus. Erdacht und entworfen wurden sie vom Bildhauer Vojin Bakic. Im Garten seiner Familie in Zagreb liegt auch heute noch das Modell aus ineinander verschlungenen Metallbän-dern. Das Denkmal blieb im Rohbau stecken: Zuerst

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kam das Geld abhanden, dann die Ideologie und am Ende der Staat. Das Betongerippe der organischen Struk-tur ragt immer noch in die Höhe, doch die Platten an den Fassaden sind abgerissen oder abgeschraubt, pel-zige Dämmung quillt aus der Unterkonstruktion hervor. Das Denkmal ist zur Halde verkommen, an der sich die Heimwerker der Region bedienen. Augenscheinlicher kann eine Utopie nicht zerfallen. Diese Ruine des Par-tisanenkults liess als Fanal schon lange vor dem Krieg ahnen, was die Geschichte bringen würde. Heute zeugt sie von der Demontage der ehemaligen Staatsideologie. Und dennoch liegen am Tag unseres Besuchs Blumen auf dem Gedenkstein. Ganz vergessen sind sie noch nicht, die Kämpfer gegen die faschistische Regierung und die deutsche Besatzung.

Vierter Tag: Split, Krvavica

Ankunft in Split am späten Abend. Das Hotel liegt in der Altstadt, die in den Diokletianpalast hinein gebaut wurde, die Altersresidenz des römischen Kaisers. Doch unser Interesse gilt am nächsten Tag Split 3, einer Stadt-erweiterung ausserhalb des Zentrums, erstellt in den 1970er-Jahren für rund 13 000 Bewohner. Wer die Pläne sieht, fragt sich unweigerlich: Kann so etwas funktio-nieren? Von den Hügeln des Hinterlands zieht sich über knapp einen Kilometer eine Kette von Wohnblöcken entlang einer Folge von Treppen, Plätzen und Terrassen bis fast zur Küste hinab. Die Hauptachse liegt parallel zur Ausrichtung der Altstadt, an ihrem oberen Ende befindet sich die Universität. Vor Ort zeigt sich ein ähn-licher Effekt wie in Zaprude: Die Fussgängerzone ist belebt, die Ladenlokale in den Erdgeschossen grössten-teils vermietet. Split 3 bildet den rauen Hintergrund für das echte Leben von Split, fernab der touristischen Gruppeninvasion. In bester brutalistischer Manier ver-schmelzen Ausdruck und Struktur des Gebäudes, rie-sige Betonschotten teilen die Blocks, die der Topografie des Hügels folgen. Überformte Strukturen machen aus den Wohnblocks gigantische Plastiken im Stadtraum.

Später, auf dem Weg hinunter in das winzige Krvavica schrammt der Bus beinahe die Häuser entlang der engen, gewundenen Strasse zum Meer. Als wir an-kommen, überzieht die Abendsonne den Ort gerade mit einem glänzenden, honigfarbenen Licht. Die Saison ist vorbei, und so verlassen wie der Strand liegt auch das Kindersanatorium (1961) von Rikard Marasovic im Pi-nienhain. Elegant tragen massige Betonstützen eine auskragende Scheibe. Raffiniert verweben sich Trag-werk und Raum, verschmilzt der lichte und weite Raum des Meeres mit dem Haus. Spuren der Zerstörung ent-rücken das Gebäude in eine eigene Sphäre. Glasscherben verwandeln den Steinboden in ein funkelndes Lichter-meer, aus den Wänden gezerrte Kupferleitungen und eingetretene Türen reissen Wundmale in die Textur des Hauses. Hier hat kein Krieg gewütet, sondern der Mob mit einem System abgerechnet. Als das Haus im Sep-tember 2012 endlich unter Schutz der Denkmalpflege gestellt wurde, verlagerte sich die Aggression auf die Leserkommentare der Lokalzeitungen.

Fünfter Tag: Šibenik, Zadar

In Šibenik, seiner Geburtsstadt, treffen wir wieder auf Ivan Vitic. Auf die Renaissancegemäuer um die Stadt setzt er 1961 das Kulturzentrum der Jugoslawischen Volksarmee. Aus den Strukturen der Städte wachsen die modernistischen Gebäude der sozialistischen Utopie, ohne Bruch, ohne den Bestand zu verdrängen. Ein Prin-zip, das in besonderer Ausprägung den historischen Kern von Zadar durchdringt, wo wir die Nacht verbrin-gen. Decumanus und Cardo, von den Römern in den Boden geritzt, bestimmen die Ausrichtung der Strassen in der Altstadt, und zwischen die historischen Gebäude fügen sich nahtlos modernistische Bauten. Den meisten Touristen dürfte dies wohl gar nicht auffallen. Ausge-sprochen zurückhaltend bauten die Architekten nach dem Zweiten Weltkrieg die Stadt wieder auf, die von der US Air Force zu zwei Dritteln zerstört wurde. Aus den Trümmern wuchs eine Stadt, in der die historischen Strukturen mit der Baukunst des Sozialismus ver-schmelzen zu etwas Neuem, das auch politisch seinen Ausdruck fand: der dritte Weg zwischen den Blöcken der Nachkriegsordnung.

Sechster Tag: Magistrale, Krk

Im Sommer erholte sich die Arbeiterklasse an der Küs-te der Adria. Auch dafür stellte der Staat die Infrastruk-tur in Form von grossen, staatlich betriebenen Ferien-kolonien. Der Tourismus war darüber hinaus ein Mittel, Devisen ins Land zu holen und eine Art freundlichen Klassenkampf zu präsentieren. Die Führung schien kei-ne Berührungsangst vor dem «dekadenten Westen» zu haben wie in anderen Staaten Osteuropas. Die Regierung erstellte 1972 in einem Joint Venture mit dem Magazin «Penthouse» das mondäne Resort Haludovo auf der Insel Krk. An der Eröffnung standen Seite an Seite Bob Guccione, der Inhaber des Hefts, und Marschall Tito – umgeben von «Penthouse Pets». Plötzlich musste der Sozialismus nicht mehr real, sondern durfte sexy sein. Doch vergänglich sind Schönheit und Ruhm: Auf den Zerfall Jugoslawiens folgte auch derjenige von Haludo-vo. Der Architekt Boris Magaš hat ihn noch erlebt. Auch hier hatte nicht ein Krieg die Fassaden zerstört. Als wir in die Ruine schleichen, hängen Zettel mit den Quadrat-meterpreisen für die Holztäferung und den Steinboden an den Wänden. Was einst dem Volk gehörte, wird von Kleinkrämern Stück um Stück abgewrackt.

Siebter Tag: Rijeka, Opatija

Nach den lieblichen Destinationen entlang der Küste empfängt uns die Hauptstadt des nördlichen Küstenab-schnitts mit Nieselregen und dem schneidenden Rea-lismus einer Hafenstadt. Grosse Schiffswerften und Zollfreilager erzählen von der maritimen Bedeutung Rijekas. Seine Architektur ist das Amalgam einer Stadt in Bewegung. Wie kaum ein anderer Architekt konnte Igor Emili diesen Geist einfangen und zu Ge bäuden formen. Seine Moderne ist nicht von strengen Dogmen

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geprägt. Sie nimmt die feinen Strömungen vor Ort auf und schmiedet sie zu einer lokalen Legierung. Lang bevor die Moderne in ihre Krise kam, spürte der fein-fühlige Geist die Sackgasse, in die sie führen würde, und erweiterte ihre Werkzeuge. Räumlicher und for-maler Reichtum bedeutete ihm mehr als die Umsetzung gesellschaftlicher Analysen in Gebäude und Städte. Und so bewegte er sich an den Rändern der Spätmoderne. Genauso geschmeidig wie die blockfreien Genossen in ihrem Balanceakt zwischen Sozialismus und freier Marktwirtschaft.

Zurück in Zagreb

Ich berichte meiner Familie begeistert von der Reise, zeige ihnen die Bilder, die Entdeckungen. Ihr Interesse ist gering, das Verständnis noch kleiner. Jeder will noch bessere Bauten kennen, kontert mit Sportstadien, Banken, Shoppingmalls und Luxushotels an der Adria, die in den letzten Jahren in Kroatien gebaut wurden und doch viel eher einen Besuch lohnten. Dieses Jugo-slawien ist offenbar nicht ihr Staat gewesen. Oder zu-mindest nicht mehr. •

Im Hotel Adriatic (1971) von Branko Žnidarec in Opatija wird das Gebäude zu einer zerklüfteten Landschaft.

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Die Wohnhochhäuser von Igor Emili in Rijeka (1967) weichen die strenge modernistische Haltung auf und integrieren lokale Baukultur. Zierliche Sonnenblenden aus Beton verleihen den Gebäuden eine feine Textur, das Volumen zeigt sich weich und bewegt.

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LEBEN IN NEU-BELGRAD

«Nicht jeder schätzt die Platte so wie wir»

Was treibt drei junge Architekten aus Zürich nach Belgrad? Zusammen mit der lokalen Szene engagieren sich BHSF Architekten für den Architektur-

diskurs in Serbien und lernen Chancen und Probleme von Belgrad kennen.Interview: Marko Sauer

as Architekturbüro BHSF macht nicht nur Architektur. Die drei Grün-der Benedikt Boucsein, Axel Humpert und Tim Seidel geben gemeinsam mit Jeannette Beck auch die Zeitschrift «Camenzind» heraus und suchen den

Austausch mit anderen Kulturen. Bei einem Projekt in Tansania lancierten sie die erste Architektur zeit-schrift des Landes, und im vergangenen Jahr lebten sie abwechselnd für einige Zeit in Belgrad. Aus dem Kontakt zur serbischen Architekturszene ist eine enge Zu sammenarbeit entstanden: Mittlerweile sind bereits vier Ausgaben von «Kamenzind» in Belgrad erschienen (vgl. S. 13).

TEC21: Ihr habt ein Jahr lang eine Wohnung in Bel-grad gemietet. Wie kam es dazu?

Axel Humpert: Wir wurden von Tim Rieniets und dem Goethe-Institut eingeladen. Er bat uns, für sein Projekt «Urban Incubator: Belgrade» ein Heft zu publizieren. Die Reise- und Hotelkosten hätten jedoch das Budget aufgefressen, und so bin ich nach Belgrad geflogen und habe eine Wohnung in Neu-Belgrad gesucht, also in der sozialistischen Erweiterung der Stadt jenseits des Flusses Save.

Wieso musste es Neu-Belgrad sein?Humpert: Wenn man schon mal für ein Jahr

in Belgrad ist, dann doch bitte im Architekturtraum schlechthin und in einer richtigen Platte leben. Zudem haben wir mit Hilfe eines Freunds im Block 1, im ersten Block der Überbauung, eine Dreizimmer-wohnung bekommen.

Tim Seidel: Die Wohnung war ungefähr so, wie man sich einen sozialistischen Plattenbau vor-stellt: die Schlafzimmer sehr klein, der Grundriss funktional geschnitten, aber mit einem recht grossen Balkon. Und mit über die Epochen verändertem Ausbaustandard. Das Bad war in einem trashigen Neunzigerjahre-Look gehalten, aber es waren auch noch alte Fussböden drin.

Benedikt Boucsein: Faszinierend war die Situation, in der das Gebäude steht. Im Innenhof wurde geparkt, dort, wo es einst grün war und heute ein bisschen schlammig ist. Und in den Erdge-schossen gab es zahlreiche Geschäfte: den Super-markt, Friseursalons und solche Sachen.

Humpert: Genau. Und noch ein Fitnessstudio und einen Kopierladen. Das Erdgeschoss ist eine Art Hochparterre, man sieht von aussen nicht, was drin ist, sondern da ist ein Schild dran, und dann machst du die Tür auf und stehst plötzlich in einem Yogakurs für Frauen. In den Erdgeschossen war immer was los – am Ende kannte man uns da auch. Man muss sagen, Block 1 ist der Block, der am meisten Grünraum dazwischen hat, er ist aus den frühen Sechzigern, also eine Art Landschaftspark, der sich zwischen den einzelnen Häusern durchschlängelt.

Hat sich das Projekt Neu-Belgrad denn im Lauf des Ausbaus verändert?

Seidel: Die späteren Blocks sehen ganz anders aus. Es gibt nicht einfach ein System, das ohne Ende durchgemetert wurde, sondern es gab damals talen-tierte Architekten, die diese sozialistischen, moder-

Axel Humpert, Benedikt Boucsein und Tim Seidel im Besprechungszimmer ihres Büros an der Zürcher Hardstrasse.

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nistischen Ideen auf sehr unterschiedliche Weise umgesetzt haben. Und das gibt spannende Lösungen. Dass die Akzeptanz so hoch ist, liegt sicher auch an der Vielfalt. Von der Idee her ist es immer ähnlich, aber nie monoton im Ausdruck. Das ist wirklich erstaunlich.

Humpert: Und unser Haus war unglaublich schön detailliert: Treppenhäuser mit einem geschlif-fenen Terrazzoboden, mit einem Holzhandlauf, der auch noch original war, alles so ein bisschen herun-tergekommen, aber man hat gemerkt, dass das ein Handwerker gemacht hat, der 40 Jahre zuvor noch k.u.k. Architektur gebaut hatte. Dann geht man einen Block weiter Richtung Stadt, und plötzlich sind 20 Jahre dazwischen, und da stehen dann Prefab- Häuser, wirkliche Platten – Häuser, die auch gegen aussen vorfabriziert rüberkommen.

Wie ist die Situation der Architekten in Serbien heute?Boucsein: Man spürt den Stillstand oder auch

die ökonomischen und sozialen Probleme, aber andererseits ist ein unglaubliches Potenzial da, sehr viele interessante Leute, die da leben und arbeiten. In Zürich hat man das Gefühl, es sei alles schon gebaut. In Belgrad sehe ich viele Gebäude, die man umbauen könnte. Als Architekt sieht man einfach die Arbeit, die da wartet.

Humpert: Aber ich glaube, den Blick hat man nur, wenn man von aussen kommt. Wenn man selber in Belgrad lebt, muss man sich nichts vormachen. Da sind viele über die Jahre einfach desillusioniert zurückgeblieben. Wenn man dann jemanden fragt, 35 Jahre alt, Akademiker, promoviert: «Wo willst du hin, was willst du machen?», dann sagen die alle: «Ich will hier weg.» Ganz selten, dass man mal jeman-den trifft, der sagt, er möchte da bleiben und er sehe eine Zukunft. Aber es gibt auch eine nachfolgende Gene ration, zehn Jahre jünger, die nicht zynisch ist, die mit vollem Elan an die Dinge glaubt.

Boucsein: Und sie arbeiten in so einer Art Tabula-rasa-Situation. Viel mehr als wir. Also nicht mit dem ganzen ETH-Rucksack mit Märkli und Šik im Gepäck. Sie haben das Gefühl einer grossen Freiheit und stehen irgendwie am Anfang von etwas.

Spielt denn die Jugoslawische Moderne keine Rolle mehr in der Praxis?

Humpert: Die Architekten, die ich getroffen habe, sehen den sozialistischen Modernismus ambi-valent. Nicht jeder weiss die Platte so zu schätzen wie wir. Und es liegt vielleicht auch ein bisschen am Erbe. Die Leute leben da nicht, weil sie unbedingt da leben wollen, sondern weil sie einfach die Wohnung ihrer Eltern übernommen haben und es sich auch nicht leisten können, umzuziehen.

Seidel: Ich hatte das Gefühl, dass der ganze Modernismus mit einer Bürgerlichkeit konnotiert war, mit etwas Spiessigem, weil es so eine Wohngegend ist, wo man halt lebt – weder besonders heruntergekom-men und gefährlich noch irgendwie besonders hip.

Boucsein: Also, es ist wie überall im ehemali-gen Ostblock. Dieses Erbe wird nicht sehr wertge-schätzt, und der Blick ist nach Westen gerichtet, auch formal.

Humpert: Genau das finde ich erstaunlich. Serbien war Jahrhunderte unter osmanischer Herr-schaft. Das taucht im Diskurs gar nicht auf, aber man fragt sich doch manchmal, was wäre, wenn sich eine Entwicklung Richtung Orient einstellen würde. Unwahrscheinlich, aber interessant.

Am Ende habt ihr mit «Kamenzind» vier Hefte zu Belgrad herausgegeben. Was nehmt ihr mit?

Seidel: Dass wir weitermachen wollen. Und dass wir mit «Kamenzind» in Serbien etwas Längerfristiges aufbauen wollen, das sich von uns emanzipiert und nicht an uns oder unser Büro gebunden ist. Persönlich finde ich den Austausch sehr bereichernd.

Humpert: Als wir nach Belgrad kamen, gab es keine Architekturzeitschrift mehr, keine öffentliche Debatte. Nicht weil es die Leute hierzu nicht gäbe, sondern weil sie glaubten, dass man sie so oder so nicht hört und dass das keiner liest. Und jetzt waren beim Launch der vierten Ausgabe viele dabei, die zum vierten Mal geschrieben haben.

Boucsein: Die Architekturkritik wird wieder ernster genommen. Es gibt auch einen Preis, der wieder ausgeschrieben wurde.

Humpert: Stimmt. Es gibt den Architektur-salon in Belgrad – seit 40 Jahren, glaube ich –, und es gab noch nie einen Architekturkritikpreis in diesem Salon. Und den hat die Autorin Ljubica Slavkovic gewonnen, die jetzt auch Mitherausgeberin von «Kamenzind» in Belgrad ist. Also, das sind einfach ganz coole Momente. Solche Erlebnisse hat man in der Schweiz nicht.

Boucsein: Ivan Kucina, ein Dozent aus Belgrad, war bei uns im Werkstattgespräch und meinte zudem, dass der Rest von Europa in 20 Jahren so sein wird wie Belgrad jetzt, also durch Temporäres und Unsicheres geprägt. Er meinte, dass wir für unsere eigene Zukunft viel von Belgrad lernen könnten.

Humpert: Um es mit seinen Worten zu sagen: «We are the avantgarde.» •

Marko Sauer, Redaktor Architektur

Unter www.espazium.ch stehen das Video des Interviews sowie Bilder aus Neu-Belgrad von BHSF Architekten bereit.

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Das Partisanendenkmal auf der Petrova Gora von Vojin Bakic (1981): Es illustriert augenscheinlich den Zerfall des Staates Jugoslawien.

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34 Stelleninserate TEC21 24/2014

Die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich SAW – www.wohnenab60.ch – bietet in über 35 Siedlungen mehr als 2000 altersgerechte Wohnungen an. Das Angebot, mit alltagspraktischen und pflegerischen Dienstleistungen, richtet sich an Menschen ab 60 Jahren.

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Ausschreibung TEC21 24/201436

Ausschreibung von ArchitekturleistungenStiftung Domino in Hausen AGProjektwettbewerb mit Präqualifikation «Neues Wohnheim Hausen»1. AuftraggeberinStiftung Domino, Wiesenweg 2, 5212 Hausen. Wettbewerbssekretariat: Oeschger Architekten AG, Hauptstrasse 2, 5212 Hausen AG

2. Gegenstand des AuftragesDer Projektwettbewerb umfasst die Planerleistung für das Neue Wohnheim Hausen nach den Grundsätzen des öffentlichen Submissionsrechtes. Die SIA-Ordnung 142 für Archi-tektur- und Ingenieurwettbewerbe (Ausgabe 2009) gilt subsidiär.

3. AuftragsartDienstleistungsauftrag

4. Verfahrensart und RechtsgrundlagenEs handelt sich um einen einstufigen, anonymen Projektwettbewerb im selektiven Verfahren gemäss § 7 Abs. 2 Submissionsdekret des Kantons Aargau.

5. TeilnahmeberechtigungTeilnahmeberechtigt sind Architekturbüros mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz. Die Architekten/Architektinnen müssen zum Zeitpunkt der Einschreibung eine der folgen-den Bedingungen erfüllen:– Diplomabschluss einer schweizerischen oder anerkannten ausländischen Hoch- oder Fachhochschule– im Reg A oder Reg B eingetragen seinNach der Vorauswahl aufgrund der eingereichten Bewerbungsunterlagen werden neun Planungsteams zur Teilnahme eingeladen, davon zwei Jungbüros. Im Sinne der Nach-wuchsförderung verfügen die Jungbüros über Fachkompetenz, jedoch nicht über den geforderten umfassenden Leistungsnachweis (Bedingung für Nachwuchsförderung: Maximal-alter der Büroinhaber/-innen 40 Jahre).Die Architekten/Architektinnen müssen Fachplaner/Fachplanerinnen wie Bauingenieure, HLKS-Ingenieure, Elektro-Ingenieure und Landschaftsarchitekten beiziehen, bilden mit ih-nen ein interdisziplinäres Planungsteam und sind in diesem Planungsteam federführend. Fachplaner/Fachplanerinnen können sich mehreren Planungsteams anschliessen.

6. Eignungs- und Zulassungskriterien für die PräqualifikationDas Preisgericht bewertet die Eignung der Bewerbenden nach folgenden Kriterien:– Qualität der Referenzobjekte, Gesamtkonzeption architektonische und städtebauliche Gestaltung, Raumkonzept, Konstruktion und Bauweise (Referenzen von vergleichbaren

Objekten)– Erfahrung und Leistungsfähigkeit, Organisationsstruktur und Kapazität, aktuelle Referenzen über die Planung und Ausführung von Objekten mit vergleichbarer Aufgabenstellung

und Komplexität, insbesondere von Wohnheimen.

7. BeurteilungskriterienDie Projekte werden vom Preisgericht nach folgenden Kriterien beurteilt:– Projektidee: Konzept, Einpassung in den Kontext, architektonischer Ausdruck, formale Qualität der Bauten und ihrer Umgebung– Funktionalität: Qualität der Grundrisse, Organisation der Freiflächen, Betriebsabläufe– Wirtschaftlichkeit: Anlagekosten, Kosten-Nutzen-Verhältnis

8. Preissumme, Entschädigungen und AnkäufeDie Präqualifikation wird nicht entschädigt. Die Gesamtpreissumme für die Preise und Ankäufe beträgt CHF 90 000.– exkl. MwSt.

9. TerminePräqualifikation (Phase 1)Öffentliche Ausschreibung 13.6.2014Bezug der Ausschreibungsunterlagen 16.6.2014Eingabe der Bewerbungen 1.7.2014 Auswahl der Planungsteams 15.7.2014Entscheid Baukommission 17.7.2014Schriftliche Benachrichtigung der Planungsteams 22.7.2014

Projektwettbewerb (Phase 2)Abgabe der Unterlagen und oblig. Begehung vor Ort 29.7.2014, 14.00 Uhr, Wohnheim Stiftung Domino, Stückstrasse 2, 5212 HausenFragestellung 19.8.2014Fragenbeantwortung Preisgericht 26.8.2014Abgabe Projektwettbewerb 11.11.2014, 16.00 UhrAbgabe Modell 18.11.2014, 16.00 UhrBeurteilung 25.11.2014Entscheid Stiftungsrat 2.12.2014Schriftliche Benachrichtigung der Planungsteams 4.12.2014Öffentliche Information und Ausstellung der Projekte 16.–19.12.2014

10. SpracheDie Verfahrenssprache ist Deutsch

11. Abgegebene UnterlagenDie Ausschreibungsunterlagen sind ab Montag, 16.6.2014, verfügbar unter www.stiftung-domino.ch/neueswohnheim

12. Einreichung der Bewerbung PräqualifikationDie verlangten Bewerbungsunterlagen müssen verschlossen und versehen mit dem Vermerk «Präqualifikation Neues Wohnheim Hausen» bis spätestens am Dienstag, 1.7.2014, 16.00 Uhr an folgender Adresse eintreffen: Oeschger Architekten AG, Hauptstrasse 2, 5212 Hausen AG 13. FormellesDie Auftragsvergabe fällt nicht unter das GATT/WTO-Abkommen.

Rechtsmittelbelehrung1. Gegen diese Ausschreibung kann innerhalb einer nicht erstreckbaren Frist von 10 Tagen seit der Publikation beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, Obere Vorstadt 40, 5001 Aarau, Beschwerde geführt werden.2. Die Beschwerdeschrift ist von der Partei selbst oder von einer Anwältin bzw. einem Anwalt zu verfassen, welche/r gemäss dem Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwäl-tinnen und Anwälte (Anwaltgesetz, BGFA) vom 23. Juni 2000 zur Vertretung von Parteien vor Gericht berechtigt ist.Die Beschwerdeschrift muss einen Antrag und eine Begründung enthalten, d.h., es ista) anzugeben, wie das Verwaltungsgericht entscheiden soll, undb) darzulegen, aus welchen Gründen diese andere Entscheidung verlangt wird.3. Auf eine Beschwerde, welche den Ziffern 1 und 2 nicht entspricht, wird nicht eingetreten.4. Eine Kopie der angefochtenen Ausschreibung ist der Beschwerdeschrift beizulegen.5. Das Beschwerdeverfahren ist mit einem Kostenrisiko verbunden, d.h., die unterliegende Partei hat in der Regel die Verfahrenskosten sowie gegebenenfalls die gegnerischen Anwaltskosten zu bezahlen.

37ImpressumTEC21 24/2014

Adresse der RedaktionTEC21 – Schweizerische BauzeitungStaffelstrasse 12, Postfach 1267, CH-8021 ZürichTelefon 044 288 90 60, Fax 044 288 90 70E-Mail [email protected], www.espazium.ch/tec21www.baugedaechtnis.ethz.ch

RedaktionJudit Solt ( js), ChefredaktorinNathalie Cajacob (nc), RedaktorinClaudia Carle (cc), Umwelt/EnergieTina Cieslik (tc), Architektur/InnenarchitekturDaniela Dietsche (dd), Bauingenieurwesen/VerkehrNina Egger (ne), GebäudetechnikThomas Ekwall (te), BauingenieurwesenDanielle Fischer (df), ArchitekturBarbara Hallmann (bh), ArchitekturDenise Neukom, RedaktionssekretärinChristof Rostert (cr), AbschlussredaktorMarko Sauer (ms), Architektur/WettbewerbeAnna-Lena Walther (alw), Layout (Stämpfli Publikationen AG)

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TEC21 onlinewww.espazium.ch/tec21

KorrespondentenCharles von Büren, Bau/Holz, [email protected] Denzler, Umwelt/natürliche Ressourcen,[email protected]örg Gadient, Architektur/Landschafts-architektur, [email protected]. Lilian Pfaff, Architektur/USA, [email protected] van Rooden, Bauingenieurwesen, [email protected] Schmid, Bauingenieurwesen, [email protected] Ruedi Weidmann, Baugeschichte/Stadtentwicklung,[email protected]

Redaktion SIA-SeitenFrank Peter Jäger (fpj), Geschäftsstelle, Selnau strasse 16, Postfach, 8027 Zürich, Telefon 044 283 15 47, Fax 044 283 15 16, E-Mail [email protected]

HerausgeberinVerlags-AG der akademischen technischen Vereine/SEATU Société des éditions des associations techniques universitairesStaffelstrasse 12, CH-8045 ZürichTelefon 044 380 21 55, Fax 044 380 21 57Walter Joos, Präsident, E-Mail [email protected] Schober, VerlagsleitungE-Mail [email protected] Knöpfel, AssistenzE-Mail [email protected]

Erscheint wöchentlich, 40 Ausgaben pro JahrISSN-Nr. 1424-800X140. Jahrgang, verbreitete und verkaufte Auflage: 11 274 (WEMF-beglaubigt)

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DruckStämpfli Publikationen AG, Bern

BeiratAnna Ciari, Zürich, BauingenieurwesenHeinrich Figi, Chur, BauingenieurwesenMarkus Friedli, Frauenfeld, ArchitekturMarkus Hubbuch, Zürich, EnergieDr. Roland Hürlimann, Zürich, BaurechtDaniel Meyer, Zürich, BauingenieurwesenDr. Ákos Moravánszky, Zürich, ArchitekturtheorieDaniel Niggli, Zürich, ArchitekturMartin Tschanz, Winterthur, Architektur

HLK-BeratungRüdiger Külpmann, Horw, Gebäudetechnik

TrägervereineSchweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, SIA – www.sia.ch

TEC21 ist das offizielle Publikationsorgan des SIA.

Die Fachbeiträge sind Publikationen und Positionen der Autoren und der Redaktion. Die Mitteilungen des SIA befinden sich jeweils in der Rubrik «SIA».

Schweizerische Vereinigung Beratender Ingenieur-Unternehmungen, usic – www.usic-engineers.ch

ETH-Alumni, Netzwerk der Absolventinnen und Absolventen der ETH Zürich – www.alumni.ethz.ch

Bund Schweizer Architekten, BSA – www.architekten-bsa.ch

Association des diplômés de l’EPFL http://a3.epfl.ch

Unvorhergesehenes38 TEC21 24/2014

Kabbala und technische WunderText: Judit Solt

er Bahnhof Zürich Oerlikon wandelt sich. Gemessen an den Passagierzahlen ist die

ehemalige Dorfstation zum siebt-grössten Schweizer Bahnhof ange-wachsen. Der Ausbau erfolgt mitten in einem belebten Quartier und u nter laufendem Bahnbetrieb. Wir haben darüber berichtet, welche Wunder die Ingenieure vollbringen, um das anspruchsvolle Vorhaben trotz diesen schwierigen Randbedin-gungen termingerecht zu vollenden. Doch all das ist nichts im Vergleich zur intellektuellen Leistung, die Reisende zu erbringen haben, die am Bahnhof Oerlikon ein Perron suchen. Welche zahlenmystische Erkenntnis ver mittelt etwa der Satz

«8 ist die neue 6» einem Chinesen, der die Messe besucht hat und zu-rück zum Flug hafen eilt? Versteht eine Russin die Erklärung unter der mysteriösen Aussage? Vielleicht haben Fremde bessere Chancen sich zu orientieren als Ortsansässige. Ich jedenfalls habe vor lauter Rätseln meinen Zug verpasst. Nur schon die blaue Tafel: Fahren jetzt Busse von Gleis 8, wo dieses auch immer sein mag? In Zürich ist nichts unmöglich: «Ich bin auch ein Schiff», versprach einst ein schwimmendes Tram auf Plakaten, die für den Tarifverbund warben. Oder der langjährige Quartierslogan «Z’Örlike gits alles»: Ja, schon, und bestimmt gibt es auch die Gleise 6 und 8 – bloss wo?

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