jahresbericht 2010 der eawag...eawag jahresbericht eawag 2010 Überlandstrasse 133 postfach 611 8600...

60
Jahresbericht 2010 Eawag: Das Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs

Upload: others

Post on 24-Jan-2021

5 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

  • Jah

    resb

    eric

    ht

    Eaw

    ag

    2010

    EawagÜberlandstrasse 133Postfach 6118600 DübendorfTelefon +41 (0)58 765 55 11Fax +41 (0)58 765 50 [email protected] Jahresbericht 2010

    Eawag: Das Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs

  • Impressum

    Konzept:Andri Bryner, Andres Jordi

    Redaktion:Andres Jordi

    Mitarbeit:Andri Bryner, Samuel Derrer, Jean-Martin Fierz, Herbert Güttinger, Kirstin Kopp, Thomas Lichtensteiger, Anke Poiger, Annette Ryser,

    Anke Schäfer, Monika Tobler, Sören Vogel, Lenny Winkel

    Bilder:Alle nicht gezeichneten Bilder sind von der Eawag.

    Gestaltung:TBS Identity, Zürich

    Layout: SLS Nadler, FällandenDruck: Mattenbach AG, Winterthur

    Copyright: Eawag, April 2011Abdruck mit Quellenangabe erwünscht:

    «Eawag – aquatic research; Jahresbericht 2010»Belegexemplare an:

    Eawag, Kommunikation, Postfach 611, 8600 Dübendorf, Schweiz

    Eawag, Überlandstrasse 133, Postfach 611, 8600 DübendorfTelefon +41 (0)58 765 55 11, Fax +41 (0)58 765 50 28

    Eawag, Seestrasse 79, 6047 KastanienbaumTelefon +41 (0)58 765 21 11, Fax +41 (0)58 765 21 68

    www.eawag.ch

    Der Jahresbericht 2010 zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus Forschung, Lehre und Beratung an der Eawag. Unter

    www.lib4ri.ch/institutional-bibliography/eawag.html finden Sie alle Eawag-Publikationen samt Zusammenfassungen

    der einzelnen Artikel. Darin enthaltene «open access»-Publikationen können frei heruntergeladen werden.

    Bei Problemen: [email protected]

    Der Jahresbericht ist auch in Englisch erhältlich.

    UmschlagsbildCornelia Kienle und Tamas Mengesha vom Oekotoxzentrum der Eawag und ETH Lausanne diskutieren über die Kultivierung von Grünalgen; im Vordergrund sieht man eine Anlage zur Festphasen-extraktion chemischer Substanzen aus Wasserproben. Das Oeko-toxzentrum untersucht und beurteilt die Wirkung von Chemikalien auf die Umwelt und engagiert sich in der Beratung und Weiter-bildung (siehe auch Seite 44). Foto: Peter Schönenberger, Winterthur

    Die Eawag ist das Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs. Zu diesem gehören neben den beiden Hochschulen ETH Zürich und ETH Lausanne (EPFL) die vier selbstständigen Forschungsinstitutionen Empa, PSI, WSL und Eawag. Die Eawag befasst sich – national verankert und international vernetzt – mit Konzepten und Technologien für einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser und den Gewässern. In Zusammenarbeit mit Hochschulen, weiteren Forschungsinstitutionen, öffentlichen Stellen, der Wirtschaft und mit Nichtregierungsorganisationen trägt die Eawag dazu bei, ökologische, wirtschaftliche und soziale Interessen an den Gewässern in Einklang zu bringen. Sie nimmt damit eine Brückenfunktion wahr zwischen Wissenschaft und Praxis. An den Standorten Dübendorf (Zürich) und Kasta-nienbaum (Luzern) sind insgesamt 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Forschung, Lehre und Beratung tätig.

  • 2 WortderDirektorin

    4 Höhepunkte2010

    6 Forschen

    8 FlüsseweltweitinderKrise

    10 WastunmitdemSpitalabwasser?

    12 Hahnenwasseristbeliebt

    13 VieleFliegenaufeinenStreich

    14 EinLebenohneArsen

    16 StauseenstossenTreibhausgaseaus

    18 GutesWasserausdemBodensee

    19 RisikobehafteteAbbauprodukte

    20 ÜberlebenimChemikaliencocktail

    22 AnpassungsfähigeFrösche

    23 SchweresErbeausdemGletscher

    24 UmweltgeschichteauseinemtürkischenSee

    26 Lehren

    28 KomplementäreZusammenarbeit

    29 Analysierenundkommunizieren

    30 Sichpraxisorientiertweiterbilden

    32 DenHorizonterweitern

    34 ImWaldfürBerufundLebenlernen

    36 Beraten

    38 MehrsauberesWasserfürdieseWelt

    39 FischeundFischerinBedrängnis

    40 GeldundEnergiespareninderAbwasserreinigung

    42 Künstlichbeatmet

    44 VielversprechendeBiotests

    46 DasGrundwasserlebt

    48 DieEawag2010

    49 EawagimDialog

    50 Auszeichnungen

    50 Infrastruktur

    51 Umweltmanagement

    52 Chancengleichheit

    52 Personelles

    54 Organisation

    55 Personen

    55 Aktivitäten

    56 Finanzen

    Inhalt

  • 2

    Die Probleme von heute lösen, die Probleme von morgen erkennen

    Eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit ist es, dem Bedarf des Menschen nach Wasser gerecht zu werden und gleichzeitig die aquatische Umwelt und ihre Ökosystemdienstleistungen zu bewahren. Die Eawag trägt mit fundierter Fachberatung und angewandter Wissenschaft zur Lösung dieser Probleme bei. Um zukünftige Problemfelder voraussehen und benennen zu können, braucht es die Forschung als Innovationsquelle und die Lehre, um die Experten von morgen auszubilden.

    TreueLeserinnenundLeserdesEawag-JahresberichtswerdenindieserAusgabegewisseVeränderungenderStrukturfeststellen.UnterderRubrik«Höhepunkte»zuBeginnwollenwirinZukunftherausragendeLeistungenderEawagwürdigen.ZudemorientiertsichderJahresberichtnichtmehrandendreisogenanntenHandlungsfeldern(aquatischeÖkosysteme,urbaneWassersysteme,ChemikalienundEffekte),sondernamgesetzlichenAuftragderEawag:imBereichWasser-wissenschaftund-technologiezuforschen,zulehrenundzuberaten.

    ObwohlForschung,LehreundBeratungdreieigenständigeBereichedarstellen,sindsiedochintegralmiteinanderverbunden.BeratungbenötigtForschungalsQuellefürInnovationenundneueLösungen,stelltdieseaufderanderenSeiteaberauchimmerwiedervorneueHerausforderungen.DieLehreistnichtnureineInvestitionindieZukunft,sondernträgtüberdiesneuePerspektivenundFragenindieForschungundstellteinePlattformfürdieIntegrationundSyntheseneuenWissensdar.

    Der Schutz der Umwelt sichert unsere ZukunftEinezentraleLektiondesinternationalenJahresderBiodiversität2010istdieErkenntnis,dassnureineintaktebiologischeVielfaltdiefürunsMenschenüber-lebenswichtigenÖkosystemdienstleistungenwiesauberesWasseroderNahrungsicherstellt.BesondersdieBedrohungundderVerlustderBiodiversitätinSüss-wasserökosystemen(Seite8)bedingendringendeinbesseresVerständnisdafür,wiederMenschinaquatischeLebensräumeeingreift.DieEawaghatdazuimver-gangenenJahrverschiedeneBeiträgegeleistet:Eawag-WissenschafterwiesenunteranderemunerwarteteanthropogeneVeränderungenderBio-GeochemievonÖkosystemennach,zumBeispiel,dassStauseendasKlimagasMethanproduzierenundausstossen(Seite16);untersuchtendasVorkommenvonMikroschadstoffeninGewässern(Seiten18und19)einschliesslichheuteverbotenerSubstanzen,diedurchdasAbschmelzenderGletscherwiederindieUmweltgelangen(Seite23);analysierten,amBeispielvonFröschen,diesichevolutivanunterschiedlichsaureMilieusanpassen,wieÖkosystemeoderihreOrganismenmitUmweltverände-rungenumgehenkönnen(Seite22).VordemHintergrundderWichtigkeitöko-toxikologischenWissensfürGesellschaftundFachleutefreutsichdieEawagauchüberdiepraxisorientiertenAktivitätendesSchweizerischenZentrumsfürange-wandteÖkotoxikologiederEawagundETHLausanneunddieErnennungvonIngeWernerzudessenneuerLeiterinbesonders(Seite44).

  • WORTDERDIREKTORIN 3

    WiesichdienegativenAuswirkungendesMenschenaufdieaquatischeUmweltverringernlassen,isteinweitererForschungsschwerpunktderEawag.UmdieBelastungderGewässerdurchMedikamentezureduzieren,evaluiertenWissen-schafterbeispielsweise,wiemitSpitalabwässernambestenzuverfahrenist(Seite10).ZudementwickeltedieEawagfürdieSchweizundEntwicklungsländerinnovativeTechnologien,mitdenensichbeiderAbwasserreinigungEnergieundNährstoffezurückgewinnenlassen(Seite40)oderwelchedienegativenAuswir-kungenvonzunährstoffreichenSeendämpfen(Seite42).

    TechnischeLösungenalleinegarantierendieUmsetzungvonUmweltmassnahmennicht.VielmehrentscheidenoftsozioökonomischeundsozialpsychologischeFak-torenüberderenErfolgoderMisserfolg.DieBedeutungsolcherFaktorenunter-suchtenEawag-ForschendeinzweivölligunterschiedlichenFällen:beiMenscheninBangladeschundihremUmgangmitarsenverseuchtemTrinkwasser(Seite14)sowiebeiMenscheninderSchweizundihrerVorliebe,WasserabHahnoderausderFlaschezutrinken(Seite12).

    Ein Ausblick auf 20112011feiertdieEawagihren75.Geburtstag.DiesistnichtnureineGelegenheit,umvergangeneErrungenschaftenzuzelebrieren,sondernauchumsichkritischeGedankenzurzukünftigenAusrichtungzumachen.WährendihrerganzenGe-schichtelagderFokusderEawagaufderLösungwasserspezifischerProbleme,mitdenendieGesellschaftinderSchweizundweltweitkonfrontiertwar.DieEawagrealisierteschonfrühdieNotwendigkeiteinessolidenwissenschaftlichenFundaments,umdieseProblemeanzugehen.Spätererkanntesie,dassauchdieEntscheidungsprozesseinderGesellschaftwissenschaftlichfundierteUnter-stützungbrauchenunddamitdieNotwendigkeit,SozialwissenschaftenindieNatur-undIngenieurwissenschaftenzuintegrieren.

    VordiesemErfahrungshintergrundentstehtzurzeitdieStrategieplanung2012bis2016derEawag,die2011abgeschlossenseinwird.EinedergrossenHeraus-forderungenunsererZeitistes,demBedarfdesMenschennachWassergerechtzuwerdenundgleichzeitigdieaquatischeUmweltundihreessenziellenDienst-leistungenzuerhalten.DieEawagwirdauchinZukunftmitrichtungsweisenderWissenschaftdazubeitragen,dieBereitstellungvonWasserfürdieGesundheitderMenschenundderSchutzdesWassersfürdieGesundheitderÖkosystemezusichernunddiegegensätzlichenAnsprücheinBalancezuhalten.

    Ichfreuemich,nichtnurzusammenmitmeinenKolleginnenundKollegenanderEawagdievergangenenErrungenschaftenundBeiträgezuWissenschaftundGesellschaftzufeiern,sonderndieTraditionderEawagfortzuführen.EsisteingrossesPrivileg,einsolchbedeutendesWerkmitzugestalten,undichbinüber-zeugt,dassdieEawagihreVerantwortunggegenüberderGesellschaftauchinZukunftgenausoerfolgreichwahrnehmenwirdwiewährendderletzten75Jahre.

    JanetHering,Direktorin

  • 4

    Höhepunkte 20101 DieBill-und-Melinda-Gates-StiftungunterstützteinProjektder

    EawagundderWasserversorgungeThekwiniinDurban,Süd-afrika,mitdreiMillionenFranken(imBildProjektleiterKaiUdertundObedMlaba,BürgermeistervonDurban).DabeiwillmaninnovativeLösungenzurVerbesserungderSiedlungshygieneer-arbeitenundMethodenzumRecyclingvonStickstoff,PhosphorundKaliumausUrinweiterentwickeln.DasProjektschliesstandasEawag-EngagementinNepalan,woForschendedieProduk-tiondesDüngersStruvitausUrinwissenschaftlichbegleiteten.

    2 Über200FachleuteausWissenschaft,Wasserwirtschaft,Ver-waltungundPolitikliessensichamjährlichenInfotagderEawagüberneueForschungsergebnisseausdemBereichBiodiversitätimSüsswasserinformieren.

    3 DerETH-RathatvierForschendederEawagzuProfessorengewählt.ErwählteJanetHering(Drittevonlinks)undUrsvonGuntenzuordentlichenProfessorenderETHLausanneunder-nanntedieUmwelttoxikologinKristinSchirmer(Zweitevonlinks)unddieUmweltchemikerinJulianeHollenderzuTitularprofesso-rinnenderETHLausannebeziehungsweisederETHZürich.

    4 EinForschungsteamumFredrikHammesundThomasEglivonderEawagerhielt2010denMuelheimWaterAward.EshatzusammenmitzweiKollegenderWasserversorgungZürichaufBasisderDurchflusszytometrieeineneuepraxistauglicheMethodezurBewertungvonTrinkwasserentwickelt(sieheArtikelSeite46).

    5 DerWissenschaftsbeobachtungsdienstvonThomsonReuterszeichneteinderRubrik«UmweltundÖkologie»zweiwissen-schaftlichePublikationenderEawagalsherausragendaus.RenataBehrauntersuchteinihrerimFachmagazin«Environ-mentalScienceandTechnology»veröffentlichtenArbeitdieToxizitätvonNanosilber;dieStudievonOleSeehausenimWissenschaftsmagazin«Nature»beleuchtetdieArtbildungbeiBuntbarschen.

    6 EineStudieunterMitarbeitvonEawag-ForscherMarkGessnerinderZeitschrift«Nature»zeigterstmalsimglobalenMassstab,wiestarkFlüsseunterDrucksind.BedrohtistnichtnurdiewichtigsteRessourcederMenschheit,dasSüsswasser,sondernauchdieBiodiversitätderFlusssysteme(sieheArtikelSeite8).

    1

    2

    3

  • HÖHEPUNKTE2010 5

    4

    5 6

  • ForschenLehrenBeraten

    Die Eawag bestätigte 2010 mit verständnis- und lösungsorientierter

    Forschung ihre weltweit führende Position im Bereich der aquatischen

    Wissenschaften und Technologie. Gesundheit durch gute Wasserver-

    sorgung und Hygiene sowie das Funktionieren der Ökosysteme und

    ihre Nutzung standen dabei im Vordergrund. Als Weiterentwicklung

    des Abwasserprojektes Novaquatis zur Urinseparierung wurden 2010

    verschiedene Projekte im Bereich der dezentralen Aufbereitung der

    Abwasserströme zusammen mit industriellen Partnern und Nutzerin-

    nen und Nutzern umgesetzt.

    Ausserdem wurde im Frühjahr 2010 das Nationale Forschungspro-

    gramm NFP 61 «Nachhaltige Wassernutzung» gestartet, an dem die

    Eawag wesentlich beteiligt ist. Sie kann hier vor allem ihre Stärke

    in der interdisziplinären und transdisziplinären Forschung nutzen.

    Auch im NFP 64 «Chancen und Risiken von Nanomaterialien» über-

    zeugte die Eawag mit ihrer Expertise. Das Projekt bietet den Wissen-

    schafterinnen und Wissenschaftern die Möglichkeit, die Wirkung

    von Nanomaterialien in der Umwelt zu prüfen und Empfehlungen

    für die Schweiz auszuarbeiten. Mit der Einrichtung ihres Kompetenz-

    zentrums Ökologie, Evolution und Biogeochemie (CEEB) setzt die

    Eawag in Kastanienbaum zudem einen Schwerpunkt in der Forschung

    über die Funktionsweise der aquatischen Ökosysteme. Auf der Basis

    dieser Erkenntnisse kann sie in Zukunft die Wirkung von mensch-

    lichen Eingriffen in die Umwelt genauer beurteilen.

  • Michael Berg

    Detektivarbeit am Tatort Boden

    «Anschätzungsweise3000StandorteninderSchweizistderBodenmitAltlastenverunreinigt»,sagtderUmweltchemikerMichaelBerg.VoralleminMetallver-arbeitendenBetriebenundchemischenReinigungenseimanfrüherunachtsammitchloriertenLösungsmitteln

    umgegangen.«Esmussverhindertwerden,dassdieseChemikalienheuteviaGrundwasserinsTrinkwassergelangen»,sagtBerg.Dasheisst,derBodenmussab-getragen,ausgespültodermitHilfsstoffen

    undMikroorganismengereinigtwerden.Dasistmeistensaufwändigundteuer.EinegünstigereAlternativeist«naturalattenuation»,aufDeutsch«VerminderungdurchdieNatur».Berg:«DerMenschunternimmtfüreinmalnichtsundüberlässtesderNatur,dieSchadstoffeabzubauen.»JedochkannderProzessjenachBoden-beschaffenheitJahrzehntebisJahrhundertedauern.DerForscherentwickeltdaherMethoden,umdasPotenzialdesBodens,sichquasiselbstzureinigen,bestimmenzukönnen.MitdersogenanntenIsotopenanalysekannBergsogarvergangeneProzesserekonstruierenundkünftigevoraussagen.«DerBodenistfürmichwieeinTatort–ichwillherausfinden,welcheVorgängesichdortabgespielthaben.»

    Kathrin Fenner

    Risikoanalyse vom ComputerWieverhaltensichchemischeStoffeinderUmwelt?UndwaswäreeinnachhaltigerUmgangmitihnen?DiesenFragengehtdieUmweltchemikerinKathrinFennerseitüberzehnJahrennach.Zurzeitkämenweltweitmehrals100000ChemikalienzumEinsatz,sagtsie.«VieledavonstelleneinRisikofürunsereGewässerdar.»Mitihrer

    ForschungträgtFennerdazubei,dieSicherheitvonTrinkwasserundOberflächengewässernzuverbessern.DazuarbeitetsieabernurseltenamGewässerselbst–sondernvorallemamComputer.DieForscherinent-

    wickeltmathematischeModelle,umdasRisikoneuerChemikalienabzuschätzen,bevordiesegesetzlichzuge-lassenwerden.«FrüherwurdeninsolchenModellenoftnurdieAusgangsstoffeberücksichtigt»,sagtFenner.

    AllerdingswerdendieChemikalienimWasserchemischumgewandelt,vorallemvonMikroorganismen.«DabeientstehenZwischenprodukte,dieesimModellebensozubeachtengilt.»DankderZusammenarbeitmitAna-lytikernderEawagkannFennerdieModellelaufendmitempirischenDatenabgleichenundentsprechendverbes-sern.DieForscherinarbeitetzudeminExpertengremieninderSchweizundinEuropamit,umdieneustenwis-senschaftlichenErkenntnissedirektindiebehördlichenRichtlinieneinfliessenzulassen.

    Katja Räsänen

    Veränderungen auf der SpurDieUmweltverändertsichlaufend–undmitihrverän-dernsichauchihreBewohner.«DochnichtalleArtenundIndividuenkönnendasgleichgut»,sagtdieBiologinKatjaRäsänen.WarumdieseUnterschiede?IneinemSeeaufIslanduntersuchtRäsänendieFresswerkzeuge

    desDreistachligenStichlings.DerenFormhatsichzwischen1998undheutedeutlichver-ändert.DaindieserZeitauchdieZahlderZuckmückenlarven,HauptnahrungderStichlinge,starkschwankte,vermutetRäsänen,dassdieFischeihreFresswerkzeugemitderZeitanderenBeutetierenanpassten:«DasehenwirwohleinenganzkurzenAbschnittausderEvolu-tion.»DochdieGenebestimmen

    nichtalles.WiestarksichdieStichling-MännchenumihrenNachwuchskümmernwürden,seizumBeispielhauptsächlichdurchdieUmweltbestimmt.«NocheinenanderenMechanismusfindenwirbeidenMoor-fröschen»,sagtRäsänen.WenndieMutterauseinersaurenUmweltstamme,könnesieihremNachwuchseinenVorteilmitaufdenWeggeben.DazuverändertsiedieGallerthülleumihreEier,wasdieÜberlebens-chancenderEmbryosinsauremWassererhöht.FürihreForschungkombiniertRäsänenunterschiedlicheMethoden:vonderUntersuchungderTiereimFeldüberLaborexperimentebishinzumolekulargenetischenUntersuchungen.«NursokannichzuverlässigeSchlüsseziehen–sonstsiehtmanimmernureinenTeildesGanzen.»

  • 8

    Flüsse weltweit in der KriseErstmals zeigt eine Studie, wie stark Flüsse weltweit unter Druck sind. Bedroht ist nicht nur das Süsswasser, sondern auch die Biodiversität der Flusssysteme. Die Arbeit macht deutlich, wie stark die gute Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Mitteleuropa und Nordamerika die Bevölkerung über den schlechten Zustand der Gewässerbiodiversität hinwegtäuschen.

    VonderGewässerverschmutzung,derLandnutzungüberdenVerlust vonFeuchtgebieten, denBauvonDämmenundStauseenbiszurVerbreitungvoninvasivenTierarten:Datenvoninsgesamt23FaktorenhateininternationalesForscherteam zusammengetragen, um den Zustand derFlüsseweltweitzubeurteilen.Miteinemkomplexendigi-talenGewässermodellerstelltendieWissenschafterda-rausanschliessendglobaleKartenderGesamtbelastungfürdiegrossenFlusssystemederErde.

    Die im September 2010 in der Fachzeitschrift Naturepublizierte Arbeit macht deutlich, dass rund 80 ProzentderWeltbevölkerungvonüberdurchschnittlichstarkbelas-tetenFlüssenabhängigsind.VielfachgefährdendieselbenFaktoren gleichzeitig sowohl die menschliche NutzungsauberenWassersinausreichendenMengenalsauchdieBiodiversität.SoschmälertzumBeispieldieAbkopplungderAuenvoneinemFlussdenHochwasserrückhaltunddie Grundwasseranreicherung und entzieht gleichzeitigseltengewordenenArtendenLebensraum.

    Die Schweiz ein Entwicklungsland«Wir dürfen die Fragen rund um das Wasser für denMenschenundumdieBiodiversitätnichtlängergetrenntvoneinanderbetrachten»,sagtMarkGessner,derandenUntersuchungenmitbeteiligtwarundbisEnde2010anderAbteilungAquatischeÖkologiederEawag forschte.DerGewässerökologeisteinerderInitiatorendesinterdiszipli-närenProjekts,dasauseinerZusammenarbeitzwischendemInternationalenWissenschaftsforumfürBiodiversität

    (Diversitas)mitSitz inParisunddemGlobalWaterSys-temProject(GWSP)mitSitzinBonnhervorgegangenist.

    «ObwohlwirunsindenindustrialisiertenLändernseitJahrzehntenumsauberesWasserbemühenundunsfürden Gewässerschutz engagieren, zeigt die Synthese,dass die Flüsse auch in Ländern wie den USA und imwestlichen Europa unter massivem Druck stehen», soGessner.GrosseInvestitionenindieWasserreinigung,dieWasseraufbereitung und den Hochwasserschutz hättenverhindern können, dass die Situation für die Bevölke-rung problematisch geworden sei. «Aber vergleichbareMassnahmenzumErhaltderBiodiversitätgibtesnicht»,sagtderWissenschafter.DieBedrohungderBiodiversitätunterscheidesichdarumhierzulandekaumvonderprekä-renSituationinvielenEntwicklungsländern.

    Aus den Fehlern der anderen lernen EsseiwieinderMedizin,sagtderErstautordesArtikels,Charles Vörösmarty von der City University New York:«LetztlichzeigtunsereStudie,dassesvielgünstigerundvernünftiger ist,Gefahren frühzeitig zuerkennenundzubegrenzen,alsSchädenspäterzuheilen.»

    DieweltweiteAnalyse,sohoffendieAutoren,könnteRegierungen und Planern in vielen Teilen der Welt hel-fen,imWassermanagementnichtdieFehlerderreichenLänder zu wiederholen, sondern aus den gemachtenErfahrungen zu lernen. Statt Milliarden ausschliesslichfür punktuelle Wiederherstellungsmassnahmen und fürTechnologienaufzuwenden,geltees,grundlegendneue

    Biodiversität

    Bedrohung für die Biodiversität der Flüsse (links) und für die wasserwirtschaftliche Situation (rechts):

    Dass die wasserwirtschaftliche Situation in Westeuropa und in den USA als wenig bedroht erscheint, ist auf die positiven Wirkungen der immensen Investitionen zurückzu führen, die für Abwasserreinigung, Trinkwasseraufbereitung und andere technische Bereiche im Wasser sektor getätigt wurden. Vergleichbare Investitionen im Bereich der Biodiversität fehlen bislang weitgehend.

  • FORSCHEN 9

    Konzepte und Strategien zu entwickeln. Diese müsstendie Biodiversität neben der Sicherung aller wasserwirt-schaftlichen Aspekte zugunsten des Menschen gleich-wertigberücksichtigen.«MitderWasserrahmenrichtliniehatdieEUeinenwichtigenSchrittindierichtigeRichtunggetan»,sagtGessner,«nationaleundregionaleAktivitätensowie internationale Abkommen zum grenzübergreifen-denSchutz undManagement vonWasser- undGewäs-sersystemen können dank unserer Resultate jetzt nochbesserbegründetwerden.»

    Basisdaten fehlen oftTrotz der klaren Resultate sind die Autoren der Studievorsichtig mit ihren Schlussfolgerungen – dies, weil invielen Fällen die Datengrundlage unzureichend ist. «Esfehlen vor allem Informationen, die international ver-gleichbar sind», sagt der Zoologe Peter McIntyre vonder Universität Wisconsin. Er fordert deshalb, dass dieVerwaltungendenvielerorts vorherrschendenAbbau im

    Umweltmonitoring stoppen und mehr in die ErhebungvonBasisinformationenzurWasserqualitätund-quantitätinvestierensollen.«PatienteninderNotaufnahmewerdenauchnichtbehandelt,ohneihrelebenswichtigenFunktio-nenmitGerätenzuüberwachen.DochgenaudastunwirweltweitmitdenFlüssen»,ziehtMcIntyredenVergleich.DieDatengrundlageinderSchweizbezeichnetGessnerinden Bereichen Hydrologie und Wasserqualität hingegenalsgut,vorallemdankderMessnetzevonBundundKan-tonen. Im Bereich Biodiversität, so Gessner, bestündenjedochsehrgrosseLücken. i i i

    23 SchlüsselgrössenHinterdenerstelltenWeltkartenstehteineenormeDatenmenge.IndieModellierungeinbezogenwurden23Schlüsselgrössenunterteilt,indiefolgendenvierGruppen:EInformationenzurLandnutzungimEinzugsgebiet:zumBeispielAnteilAckerland,Viehbestand,Bodenversiegelung.EVerschmutzung:zumBeispielStickstoff-undPhosphoreinträge,BodenversalzungundPestizideinsatz.EFlussbaulicheMassnahmenundEingriffeindieHydrologie:zumBeispielAnzahlStauhaltungen,FragmentierungderFlusssysteme,Wasserentnahmen.EBiotischeFaktoren:zumBeispielAnteilundAnzahldernichteinheimischenFisch-arten,BelastungdurchAquakultur.

    UmdieBedrohungfürdiewasserwirtschaftlicheSituationundfürdieBiodiversitätgetrenntzuermitteln,gewichtetendieForschendendieselbenSchlüsselgrössenfürdiebeidenBetrachtungenjeweilsunterschiedlich.TrotzdemzeigendieglobalenMusterzurWasserwirtschaftundzurBiodiversitäteineüberraschendhoheÜber-einstimmung.GrosseVerschiebungenresultierenerst,wennfürdieQualitätderWasserwirtschaftdiepositivenFolgenderInvestitioneninWassertechnologienberücksichtigtwerden.SolässtsichzumBeispielinWesteuropaundOstaustraliendiegeringeeffektivewasserwirtschaftlicheBedrohungerklären,währendsieinOsteuropa,IndienundChinahochbleibt.

    www.riverthreat.net

    Kontakt:Prof.MarkGessner,seit2011amLeibniz-InstitutfürGe-wässerkundeundBinnenfischereiundanderTechnischenUniversitätBerlin,[email protected]

    Wasserwirtschaft

    Uferverbauungen, Begradigungen und Stauhaltungen – das typische Bild der Flüsse in den Industrieländern. Am meisten leidet darunter die Biodiversität. Im Bild die Aare.

    Bedrohung

    gering hochgrau: keine Daten

  • 10

    Was tun mit dem Spitalabwasser?Spitalabwasser enthält wie kommunales Abwasser Medikamentenrückstände, die von Kläranlagen nur unzureichend entfernt werden. Für Spitäler mit einer hohen Belastung kann daher eine separate Abwasserbehandlung sinnvoll sein. Sozialwissenschaftliche Entscheidungsanalysen helfen, im einzelnen Fall eine Lösung zu finden, die bei den beteiligten Akteuren breit abgestützt ist.

    MedikamentenrückständegelangenviaToiletteundKana-lisationauchinFlüsseundSeen,dennvielewerdenvonden Kläranlagen nicht aus dem Abwasser entfernt. ObundwiesichdiepharmazeutischeFrachtaufWasserlebe-wesenauswirkt,istweitgehendunbekannt.Vonhormon-aktiven Stoffen weiss man immerhin, dass sie unteranderem bei Fischen zu Fruchtbarkeitsstörungen führenkönnen.Eawag-ForschendeversuchtenimRahmennatio-nalerundinternationalerProjekte(fürProjektpartnersieheWebseiten unten) herauszufinden, welche BedeutungSpitäler für den Eintrag von Arzneimitteln haben undwelcheTechnologiensicheignen,umSpitalabwässervorOrtaufzubereiten.

    Grosse Unterschiede zwischen den SpitälernChrista McArdell von der Abteilung Umweltchemie undihre Mitarbeitenden evaluierten den Spitalverbrauch der100 in der Schweiz am häufigsten eingenommenenMedikamente.DazuuntersuchtensiedieAbwässerdesKantonsspitalsBaden(KSB)undderIntegriertenPsychia-trieWinterthur(IPW).«Klinikenverabreichenhierzulanderund20ProzentderArzneimittel»,sagtMcArdell.

    Je nach Ausrichtung eines Spitals variiert die Mengeallerdings sehr. So verbrauchte das KSB im Jahr 2007zumBeispielrund1200Kilogramm,dieIPWnur50.Dem-entsprechendtrugendiebeidenInstitutionenunterschied-

    lichstarkzurAbwasserbelastungbei. ImFallvonBadenstammtenrund40ProzentderMedikamentenrückständein der lokalen Kläranlage vom KSB, während die IPW inWinterthur lediglich 5 Prozent beitrug. «Das zeigt, dasseinzelneKrankenhäuserwichtigeQuellenfürArzneimittelimAbwassersind»,erläutertdieUmweltchemikerin.

    DiebeidenKlinikenunterschiedensichaberauchhin-sichtlich der verwendeten Pharmazeutika deutlich. ImKSBmachtenalleineRöntgenkontrastmittel fast60Pro-zent der Substanzen aus; in der IPW dominierten Ab-führmittel sowie schmerz- und entzündungshemmendeArzneien.ObwohldiePatientendieMedikamenteindenKlinikenzusichnahmen,schiedensienureinenTeildavonauch vor Ort wieder aus. So konnten die Forschendennur50bis80ProzentderverabreichtenRöntgenkontrast-mittel imSpitalabwassernachweisen,derRestgelangteinsSiedlungsabwasser.

    Reales GefahrenpotenzialWieökotoxikologischeUntersuchungenvonBeateEscherzeigen,kamendiemeistenderanalysiertenWirkstoffeinden Spitalabwässern in Konzentrationen vor, von denenkeine akuteGefahr für dieUmwelt ausgeht. «AllerdingsliegendieSubstanzenimAbwassernichteinzeln,sondernalsGemischevor, sodass sich ihreWirkungensummie-ren»,erklärtsie.BetrachtetmandieÖkotoxizitätderWirk-stoffgemische, bergen die Spitalabwässer durchaus einrealesGefährdungspotenzialfürdieaquatischeUmwelt.

    FüreineRisikoabschätzungseieszudemwichtig,nichtwie üblich nur die Pharmazeutika zu evaluieren, die ingrossenMengenverbrauchtwürden,betontsie,sondernauch jene, die besonders toxisch seien. So waren imAbwasser des KSB für über 99 Prozent des gesamtenGefährdungspotenzialslediglich14ProzentderWirkstoffeverantwortlich.

    Für Spitäler mit einer hohen Medikamentenbelastungwäre eine separate Behandlung des Abwassers lautMcArdell vorteilhaft, um die Kläranlagen zu entlasten.Obwohl vondendominierendenRöntgenkontrastmittelnkeinedirekteGefahrfürdieUmweltausgeht,siesichabernursehrlangsamabbauen,seiesimSinnederVorsorgewünschenswert,wennsienichtingrossenMengenindieGewässergelangten.

    Zusätzliche Reinigungsstufen nötigUm herauszufinden, mit welchen Verfahren sich dieMedizinalstoffeameffektivstenausdemSpitalabwassereliminieren lassen, installierten McArdell und LubomiraKovalova zusammen mit Hansruedi Siegrist und Jakob

    Lubomira Kovalova steigt in den Schacht des Kantonsspitals Baden, wo das Abwasser für die Pilotanlage entnommen wird.

  • FORSCHEN 11

    EugstervonderAbteilungVerfahrenstechnikimKantons-spital Baden eine Pilotanlage. Sie besteht aus einermechanischenundbiologischenReinigungsstufe,wobeiein Membranbioreaktor mit einem Membranfilter ver-wendetwird.«DerMembranbioreaktordientalswichtigeReinigungsstufeundkannKrankheitserreger,zumBeispielantibiotikaresistenteBakterien,zurückhalten,Arzneimittelaber nur unvollständig aus dem Abwasser entfernen»,sagt McArdell. Viele Substanzen liessen sich damit umwenigerals20Prozentvermindern.

    Deshalb behandelten die Forschenden das vorgerei-nigte Wasser zusätzlich entweder mit pulverförmigerAktivkohleodermitOzon.BeimerstenVerfahren lagernsichdieMikroverunreinigungenandieKohlepartikel, dieanschliessend mittels Sedimentation oder Filtration ausdemWasserentferntundverbranntwerden.ImzweitenFall oxidiert dem Abwasser zugeführtes Ozon-Gas dieunerwünschtenWirkstoffeundbautsiedadurchab.

    MitbeidenMethodenkonntensieeinenGrossteilderPharmazeutika mehr oder weniger vollständig aus demAbwasserentfernen.VorallemdieRöntgenkontrastmittelliessen sich damit jedoch nur ungenügend reduzieren.«Da die Kontrastmittel hauptsächlich über den Urin insWasser gelangen, wäre in diesem Fall eine Separat-sammlung eine probate Lösung», meint McArdell. Mankönne den Patientinnen und Patienten beispielsweiseUrinbehälterabgeben.DamitliessensichzudemauchdieKontrastmittel-EinträgeausserhalbderSpitälererfassen.

    EinevollumfänglicheEliminationderPharmazeutikaausdem Spitalabwasser böte die Umkehrosmose, wie sieauchbeiAnlagenzurMeerwasserentsalzungzumEinsatzkommt.HierbeiwirddasWasserunterDruckdurcheinenfeinporigenFiltergepresst,welcherdieVerunreinigungenzurückhält. Das Verfahren steckt für die Abwasserreini-gungabernochindenKinderschuhenundistrelativteuer.

    Alle relevanten Akteure einbeziehenWie die Gesellschaft mit dem Problem Spitalabwasserletztlich umgeht, liegt nicht allein im Entscheidungs-bereich der Wissenschaft. Doch bietet diese – nebennatur-undingenieurwissenschaftlichenMethoden–auchsozialwissenschaftliche Werkzeuge, um komplexe Ent-scheidungsprozessemitvielenAkteurenundunterschied-lichen Interessen systematisch zu erfassen, transparentunddadurchbesserabgestütztzugestalten.

    Im Fall des Spitalabwassers wendeten Judit Lienertund Nele Schuwirth der Abteilung Systemanalyse undModellierungfürdasKSBundfürdieIPWeinsolchesVer-fahren an: die multikriterielle Entscheidungsanalyse. BeidieserMethodegehtesdarum,eineArtAuslegeordnungder zur Verfügung stehenden technischen LösungeneinesProblemsunddenVorliebenderrelevantenAkteurezuerstellensowiedieAkzeptanzdereinzelnenAnsätzezubewerten.«AllfälligeInteressenkonfliktelassensichdamitrascherkennen»,sagtLienert.

    Ausgehend von den Erkenntnissen ihrer Kolleginnenstellten Lienert und Schuwirth für beide Kliniken einbreitesSpektrummöglicherMassnahmenzurAbwasser-

    behandlung zusammen und identifizierten vier Haupt-ziele: geringe Kosten, gute Abwasserqualität, geringerAufwandfürAngestellteundPatientensowieeineposi-tive öffentliche Wahrnehmung. Um die Prioritäten derinvolvierten Akteure bezüglich Ziele und AuswirkungenderMassnahmenzuermittelnundbewerten,führtensiebei Ökotoxikologie-Fachleuten, Ingenieuren, Gewässer-schutzfachstellen, Gesundheitsbehörden, Spitalleitungund-personalstrukturierteBefragungendurch.

    «Im Fall des Kantonsspitals mit seiner relativ hohenArzneimittelbelastung zeigte die Entscheidungsanalyse,dass eine umfassende Behandlung des Abwassers diebeste Lösung wäre», kommentiert Lienert die Ergeb-nisse. Die Kosten spielten dabei keine prioritäre Rolle.DieUmkehrosmose,dasgründlichste,aberauchteuersteVerfahren, erfüllte die persönlich gewichteten Ziele derBefragtendabeiambesten,gefolgtvonVakuumtoilettenmit anschliessender Verbrennung der Ausscheidungen.Bei der Psychiatrischen Klinik, die nur einen geringenAnteil zur Pharmazeutika-Fracht der Kläranlage beiträgt,warendieKostenehereinkritischerFaktor.

    «GeradebeikomplexenProblemstellungenisteinesol-cheEntscheidungsanalysesinnvoll,gehtesdochdarum,möglichstbreitabgestützteMassnahmenzurealisieren»,sagt Lienert. «Nur so ergeben sich Lösungen, die auchwirklichgreifen.» i i i

    http://tinyurl.com/eawag-spitalabwasserhttp://tinyurl.com/eawag-entscheidungsanalyse

    Kontakt:Dr.ChristaMcArdell,[email protected],[email protected]

    Im Labor werden die Abwasserproben mit aufwändigen chemischen Analysen untersucht.

  • 12

    Hahnenwasser ist beliebtLeitungswasser ab dem Hahn oder Mineralwasser aus dem Laden? Wie sich Schweizerinnen und Schweizer bei dieser Frage entscheiden, hat viel mit ihren sozialen Gewohnheiten zu tun – insbesondere mit der Familie.

    Hahnenwasser ist billiger und um-weltfreundlicher als Mineralwasseraus der Flasche und steht in derSchweiz als Getränk hoch im Kurs.So ergaben Umfragen des Schwei-zerischenVereinsdesGas-undWas-serfachs (SVGW) 2001 und 2006,dassSchweizerinnenundSchweizerihr «Hahnenburger» sehr schätzenundhäufig trinken.Aufder anderenSeitezeigenaktuelleVerkaufszahlen,dass der Umsatz von Flaschenwas-serinderSchweizsteigt.

    Bequem und leicht verfügbarPsychologen unter der Leitung vonHans-Joachim Mosler von der For-schungsabteilung Systemanalyseund Modellierung der Eawag gin-gendeshalbderFragenach,warumSchweizerinnenundSchweizer zumFlaschenwassergreifen,obwohldasLeitungswasser so gute Noten be-kommt. Die Sozialwissenschafterwollten dabei die psychologischenFaktorenergründen,diefürdenKon-sumvonFlaschen-beziehungsweiseLeitungswassermassgeblichsind.

    Um dies zu erfahren, befragtensie731deutschsprachigeSchweize-rinnen und Schweizer im Alter zwi-schen 14 und 90 Jahren mit einemFragebogen. Dieser enthielt Fragenzum Trinkverbrauch, zum demo-grafischen und sozialen Hintergrundsowie zu den Beweggründen und

    emotionalenFaktorendesKonsums,wiezumBeispieldiewahrgenomme-ne Wasserqualität, die Bequemlich-keit, Gesundheitsaspekte oder dasPreisempfinden.

    DieErgebnisseunterstreichendiehohe Wertschätzung für Hahnen-wasser. Etwa 50 Prozent der Be-fragten trinken demnach zu HauseausschliesslichHahnenwasser,bloss10 Prozent trinken nur Flaschen-wasser,derRestgehörtzudenGe-mischttrinkern.AmArbeitsplatztrin-kenimmernochüber40Prozentaus-schliesslichHahnenwasser,währendderAnteilderreinenFlaschentrinkernunaberbeiüber30Prozentliegt.

    Letzteregebenan,dassihnenamArbeitsplatzUmweltaspektewenigerwichtig,kohlensäurehaltigesWasserdagegenwichtigerseienalszuHau-se. Ausserdem beobachten sie imArbeitsumfeld häufiger Personen,dieFlaschenwassertrinken,wasdieVorliebezubeeinflussenscheint.

    DerKaufvonFlaschenwasserhältsich ebenfalls in einem überschau-barenRahmen.Nuretwasmehralsdie Hälfte der befragten Personenkauft überhaupt Flaschenwasser,unddannineinerMengevondurch-schnittlich rund 9 Litern pro Woche(einüblichesSechserpack).Demge-genüberkaufenreineFlaschentrinkerproWocherund12,5LiterWasser.

    Analog zu den UntersuchungendesSVGWkonntendieForschendenauchdiehoheZufriedenheitmitdemSchweizer Leitungswasser bestäti-gen. Demnach sind 82 Prozent derBefragtendamitzufriedenodersehrzufrieden–unddasAusmassderZu-friedenheit spielt letztlich auch eineRolle bei der Konsumentscheidung:Wer mit Leitungswasser zufriedenoder mit Flaschenwasser unzufrie-den ist, entscheidet sich sowohlzu Hause als auch am Arbeitsplatzmehrheitlich für Leitungswasser.Einen ebenso positiven Einflusszugunsten des Hahnenwasserkon-

    sums zuHausehabenAspektewieBequemlichkeit und Verfügbarkeit.WichtigsindzudemdieReinheitdesWassers und das Vertrauen in des-senQualität.

    FamilienbandeEin besonders wichtiger Grund fürden Konsum von Mineralwasseraus der Flasche ist die Vorliebe fürKohlensäure.WerKohlensäuremag,sprudeltdasWassernichtselbstauf,sondernkauftesinderFlasche.AberauchdieGewohnheitscheintKonsu-mentenzueingefleischtenFlaschen-wassertrinkernzumachen.

    Interessanterweise ist Wasser-konsum nicht nur eine individuelleEntscheidung. Vielmehr lenkt dassoziale Umfeld die Vorliebe. Zwarbeeinflusst die gefühlte Pflicht, imRestaurant Flaschenwasser zu be-stellen, den Konsum zu Hause undam Arbeitsplatz nicht, wohl abertrinkenSchweizerinnenundSchwei-zer mehrheitlich jenes Wasser, dasauch ihreVerwandten,FreundeundBekanntentrinken.Obendreinfühlensie sich zu Hause eher verpflichtet,Gäste mit Flaschenwasser zu be-wirtenalsmitHahnenwasser.

    NachwievorscheintdasWasservom Hahn also bei Herr und FrauSchweizersehrbeliebtzusein.Solltesich dies dereinst ändern und willmandieKonsumentenzurRückkehrzum Hahnenwasser bewegen, istweniger beim Preis oder bei derQualität anzusetzen als beim Ge-wohnheitsverhalten der sozialenGruppen. i i i

    www.eawag.ch/forschung/siam

    Kontakt:SörenVogel,[email protected],[email protected],[email protected]

    Die Schweiz ist ein Land der Hahnenwassertrinker.

    Ste

    fan

    Kub

    li

  • FORSCHEN 13

    Viele Fliegen auf einen StreichDas Wegwerfen von organischem Abfall führt in Entwicklungsländern zu Hygieneproblemen und Umweltverschmutzung. Eine Müllverwertung mit Fliegenmaden könnte dem abhelfen und dem lokalen Gewerbe erst noch eine Einkommensquelle bescheren.

    Das Abfallmanagement in Entwick-lungs-undSchwellenländernhatsichin den letzten Jahren stark verbes-sert. Vor allem wiederverkäuflicheMaterialien wie Metall, Kunststoffoder Glas landen auch dort immerhäufiger in Recyclingzentren. Dem-gegenüber enden organische Haus-halt- und Marktabfälle meist aufMüllhalden, in Strassengräben oderGewässern, wo sie nicht selten zuBrutstätten für Krankheitserregerwerden oder ihr unkontrollierterAbbau Klimagase wie Methan frei-setzt.«HättendieAbfälleeinenkon-kreten Wert, würden sie ebenfallsvermehrt gesammelt», sagt StefanDienervonderForschungsabteilungWasserundSiedlungshygieneinEnt-wicklungsländern. Er ist überzeugt,dassmandieHygieneproblemeunddie Umweltverschmutzung mit denrichtigen Anreizen beträchtlich ver-mindernkann.

    Neues Produkt aus AbfallDerForschersetztdabeiaufeineun-konventionelle Lösung: Maden derSchwarzen Waffenfliege (Hermetia illucens). Die Larven vertilgen wäh-rend ihrerEntwicklunggrosseMen-genverrottendenMaterials,wassichnach Dieners Meinung zum Abbauorganischer Abfälle in industriellemRahmennutzen liesse.Undmitdensich vollfressenden Maden entstün-de quasi nebenbei ein Produkt, mitdem das lokale Gewerbe Geld ver-dienen könnte: «Die ausgewachse-nen Larven, die sogenannten Prä-

    puppen,bestehenzu40ProzentausEiweissen und zu 30 Prozent ausFett», sagt Diener, «und sind einewertvolle und nachhaltige Alterna-tive zu dem heute in der Tierfutter-industrie verwendeten Fischmehl».Dieses stammt meist nicht ausFischabfällen,sondernausderHoch-seefischerei und ist damit Teil derÜberfischungsproblematik. ZudemverdreifachtesichderPreisfürFisch-mehl inden letztenzehnJahren,sodass vor allem für die in Entwick-lungsländern boomende Aquakulturein Umsteigen auf andere tierischeEiweissquellen auch aus ökonomi-schenGründenunumgänglichist.

    DassderAbbauorganischerAbfäl-lemitdenFliegenlarvenvomPrinzipher tatsächlich funktioniert, konnteDieneranhandeinerVersuchsanlagean der Universidad Earth im costa-ricanischen Guácimo zeigen. Diesebesteht aus mehreren Wannen vonjeweils2MeternLängeund80Zen-timetern Breite, die der Forschermit Hermetia -Larven bestückte undregelmässig mit frischem Haus-haltsabfall versorgte. Um bis zu80 Prozent der Trockenmasse redu-zierten die hungrigen Maden dabeidie Abfallmenge. In der PilotanlageverarbeiteteeraufdieseWeiseüber2 Tonnen organisches Material undkonnte rund 80 Kilogramm Präpup-pen ernten. Trotz des erfolgreichenPraxistests sei man aber noch imVersuchsstadium,betontDiener,undkönneeinesolcheAnlagenochnichtinindustriellemMassstabbetreiben.

    Die Waffenfliegen eignen sichnicht nur aufgrund der gründlichenVerwertungidealfürdaskombinierteEntsorgungs- und Produktionskon-zept. Die in den Tropen und Sub-tropenheimischenundauchimTes-sin vorkommenden Insekten über-tragen auch keine Krankheiten undsie lassen sich sehr einfach ernten.«SobaldsiedasPräpuppen-Stadiumerreichen,hörensiemitFressenauf,

    kriechenausdemAbfallundkönnenbequem eingesammelt und weiter-verarbeitetwerden»,sagtDiener.

    Auch mit Fäkalien möglichNeben der Verwertung zu protein-reichemTierfuttersiehtderWissen-schaftler für die Präpuppen nochweitereVerwendungsmöglichkeiten.So könne man das Chitin, aus demvor allem die Aussenhaut der Tierebesteht, zur Herstellung von Kolla-gen für die Wundheilung einsetzen,undausdemFettlassesichBiotreib-stoff produzieren. «Der verbleiben-de Abfall, im Wesentlichen ist dasLarvenkot, kann zudem als DüngerverwendetoderineinerVergärungs-anlage inBiogasumgewandeltwer-den»,soDiener.

    Die Produktion der Fliegenmadenbeschränkt sich überdies nicht aufHaushaltsabfälle.ErsteUntersuchun-genderEawagunddesAsian Insti-tuteofTechnologyinBangkokhabengezeigt, dass das System auch beigetrocknetem Fäkalschlamm erfolg-reichanwendbarist.Besonderseffi-zient scheint die Verwertung dabei,wenn den Fäkalien zusätzlich Haus-halts- und Marktabfälle beigemischtwerden. i i i

    www.sandec.ch

    Kontakt:Dr.StefanDiener,[email protected]

    Eine Studentin in der Pilotanlage in Costa Rica überprüft, wie die Maden den Abfall verwerten.

    Die Fliegenlarven sind reich an Eiweissen und Fett.

  • 14

    Ein Leben ohne ArsenDas Grundwasser vieler Regionen Südostasiens ist mit Arsen verseucht. Der regelmässige Konsum führt zu schweren gesundheitlichen Schäden. In Vietnam lassen sich dank einer dreidimensionalen Risikokarte nun arsenarme Trinkwasserbrunnen planen. Ob die lokale Bevölkerung tatsächlich arsenfreies Trinkwasser bevorzugt, hängt aber auch von psychologischen Faktoren ab.

    Hohe Arsenkonzentrationen im Trinkwasser gefährdenweltweit über 100 Millionen Menschen. Arsen kommtnatürlicherweise überall in Gesteinen und vor allem ingeologischjungenSedimentenvor.LöstsichdasSpuren-element imGrundwasser, kannes sichdort anreichern.Der regelmässige Konsum arsenverseuchten Wassersführtoft zuschwerengesundheitlichenSchädenbishinzuKrebs.

    Besonders häufig tritt kontaminiertes Grundwasser indenFlussdeltasSüdostasiensauf,daszugleich fürvieleMenschen eine wichtige Trinkwasserquelle darstellt. SofandenForschendederEawagheraus,dassimDeltadesRotenFlusses inVietnamrunddreiMillionenMenschenvonarsenverseuchtemWasserbedrohtsind.

    Von den rund 17 Millionen Bewohnerinnen und Be-wohnern,dieinderDeltaregionleben,haben11Millionenkeinen Zugang zur öffentlichen Wasserversorgung undsindüberwiegendaufGrundwasserbrunnenangewiesen.

    Symptome entwickeln sich schleichendWährend fünf Jahren untersuchten Michael Berg, Caro-line Stengel und Lenny Winkel von der Forschungs-abteilungWasserressourcenundTrinkwasserderEawagzusammenmitKollegenderHanoiUniversityofSciencedas Grundwasser der Region auf die Belastung mitArsen und anderen Elementen. Dazu analysierten sieProbenausüber500privatenGrundwasserbrunnender

    14000QuadratkilometergrossenDeltaregioneinschliess-lichderHauptstadtHanoi.

    «Bei 27 Prozent aller Brunnen überstieg die Arsen-konzentration den von der WeltgesundheitsorganisationWHO als unbedenklich festgelegten Grenzwert», sagtBerg. Gemäss WHO sind Konzentrationen von wenigerals 10 Mikrogramm pro Liter unbedenklich. Bereits ineinerfrüherenStudiehattendieWissenschafterzumTeilKonzentrationen gemessen, die mehr als das Hundert-facheüberdemWHO-Standardlagen.BeieinemKonsumab50MikrogrammproLiterüberlängereZeitkanneinechronischeArsenvergiftungauftreten.

    Der Bau von Grundwasserbrunnen begann in der Re-giondesFlussdeltasMitteder1990er-Jahre.1998stell-ten Forschende der Eawag und der Hanoi University ofScienceimRahmeneinesProjektesderEidgenössischenDirektionfürEntwicklungundZusammenarbeiterstmalshohe Arsenkonzentrationen im Grundwasser fest. Dieersten Patienten mit einer chronischen Arsenvergiftungtraten hingegen erst 2004 auf, da sich die Symptomesehrlangsam–übereinenZeitraumvonzehnodermehrJahren–entwickeln.

    Neben der Arsenbelastung stellten die Forschendenüberdies fest, dass 44 Prozent der Brunnen gesund-heitlichbedenklicheMangan-Gehalteaufwiesen.ZuvielMangan kann bei Kindern die Entwicklung des Gehirnsbeeinträchtigen.

    Langzeitfolgen einer ÜbernutzungAnhand geologischer Daten und mithilfe eines mathe-matischenModellserstelltendieWissenschafter fürdiegesamteRegionausserdemeindreidimensionalesRisiko-profil. Mit diesem lässt sich die Arsen-Belastung desGrundwassersräumlichbisineineTiefevon100Meternabschätzen. «Das Modell erleichtert die Planung neuerarsenarmerGrundwasserbrunnen»,sagtBerg.

    Die Forschenden fanden überdies heraus, weshalbdieTrinkwasservorrätevonHanoirelativstarkmitArsenkontaminiert sind. Um die wachsende Bevölkerung mitWasser versorgen zu können, pumpt die Stadt bereitsseitüber100JahrenWasserauchaustiefen,arsenfreienGrundwasserleitern,dieunterhalbdesarsenverseuchtenGrundwassers liegen. Dadurch fliesst aus den darüberliegendenSchichtenarsenhaltigesWasserindietieferenGrundwasserreservoirenach.«DieErkenntnisseübersol-cheLangzeitfolgenkönnenfürandereLändermiteinemArsenproblem nützlich sein, zum Beispiel für Bangla-desch,daserstseitden1970er-JahrenGrundwasserausderTiefefördert»,erklärtBerg.

    Grundwasserbrunnen sind für viele Menschen Südostasiens die einzige Quelle für Trinkwasser.

  • FORSCHEN 15

    DaeinTeilderBevölkerungimDeltadesRotenFlussesin absehbarer Zeit keinen Zugang zu arsenfreiem Trink-wasser habenwird, sindeinfacheAufbereitungstechno-logiennotwendig,umdasverseuchteWasserzureinigen.VielversprechendsindzumBeispielSandfilter,wieUnter-suchungenderWissenschafter in verschiedenenRegio-nendesFlussdeltasgezeigthaben.«MitSandfilternlässtsichdasArsensehreffizientundmitgeringenKostenausdemWasserentfernen»,sagtderWissenschafter.

    Aufklärung alleine reicht nichtDementsprechend sind in Regionen mit hoher Arsen-belastung diverse Nichtregierungsorganisationen aktiv,um Massnahmen für eine saubere Trinkwasserversor-gung–nebenderBenutzungvonSandfilternzumBeispieleinenWechselaufandereBrunnen,denBauvonWasser-leitungen oder das Sammeln von Regenwasser – zuinitiieren.

    Die Propagierung und Bereitstellung angemessenerTechnologien ist das eine, ob und inwieweit die lokaleBevölkerung davon tatsächlich Gebrauch macht, etwasanderes.SokonntenJennifer InauenundHans-JoachimMosler von der Eawag-Forschungsabteilung System-analyse und Modellierung für ein betroffenes Gebiet inBangladeschzeigen,dassrund40ProzentderBewohne-rinnen und Bewohner weiterhin mit Arsen verseuchtesWasser nutzen, obwohl sie Zugang zu sauberen Alter-nativenhaben.

    «Es herrscht immer noch die Ansicht vor, dass einfehlendes Risikobewusstsein der Grund für ein solchesVerhalten sei und Aufklärung im Sinn einer Wissens-vermittlungdiesesändernkönne»,sagtJennifer Inauen.Doch aus der Sozialpsychologie wisse man inzwischen,dass das alleine meist nicht reiche. «Vielerorts sindsoziale Normen und die Vorstellung, was andere voneinemerwartenkönnten,dieentscheidendenFaktoren»,erklärtsie.

    Umherauszufinden,wodieUrsachenfürdieNutzungbeziehungsweise Nichtnutzung arsenfreien Wassers in

    Bangladesch liegen und wo man für eine Verhaltens-änderung ansetzen muss, führten Mosler und Inaueneine sozialpsychologische Untersuchung durch. MithilfestrukturierterBefragungenvonrund750Haushalten,dieZugangzusauberemTrinkwasserhaben,ermitteltensie,welcheFaktorendieWasserwahlbeeinflussen.

    DieanschliessendenstatistischenAuswertungenzeig-tenunteranderem,dassdieaufwändigereundzeitinten-sivere Handhabung des arsenfreien Wassers die Leutevon dessen Gebrauch abhält. Zudem fühlen sie sich imUmgangmitStörungenundDefekten zuwenig kompe-tent.EbenfallseinengrossenEinflusshatdasVerhaltenderanderenDorfbewohner.

    Aus diesen Erkenntnissen konnten die Forschendenmögliche Massnahmen ableiten, mit denen sich dieverhaltensbestimmenden Faktoren günstig beeinflussenlassen. Eine viel versprechende Intervention wäre dem-nachzumBeispiel,überöffentlicheVorbildpersonenaufdas Verhalten der anderen Dorfbewohner einzuwirkenunddiearsenfreienTrinkwasseroptionenbessersichtbarzu machen. Praktische Anleitungen zu deren sicherenHandhabung sollen die Anwenderkompetenz und damitdieAkzeptanzerhöhen.Zudemgiltes lautdenWissen-schaftern, die Einstellung bezüglich des Mehraufwandszuverbessern.

    IneinemnächstenSchrittwollendieForschendennunvor Ort entsprechende Interventionen durchführen unduntersuchen, wie diese das Verhalten der Bevölkerungverändern. i i i

    Den Gebrauch von Wasserfiltern erhöhenEinähnlichesProblemwiebeimArsenstelltsichinbestimmtenGegendenÄthiopiensmitFluorid:ZuvielFluoridimTrinkwasserführtzuWachstumsstörungen,Zahnschä-denundKnochendeformationen.ObwohleineTrinkwasseraufbereitungmiteinemFilterausTierknochenkohlebesteht,benutzenvieleBetroffeneweiterhinungefiltertesWasser.

    WiebeiderArsenproblematikentwickeltenAlexandraHuberundHans-JoachimMoslervonderEawagdeshalbeinpsychologischesVerhaltensmodell,umherauszufinden,welcheFaktorenfürdieBenutzungdesFilterseineRollespielenundsichdurchgezielteInterventionenpositivbeeinflussenlassen(siehenebenstehenderArtikel).

    BeiHaushaltsfilternwardemnachvorallemdasvermeintlichzugeringeVolumenderentscheidendeFaktor–obwohlproTag40bis50Litergefiltertwerdenkönnen.DieInterventionzieltdaherdarauf,mitdenAnwenderneineTagesplanungauszuarbeiten,wanndieFilterzufüllensind,umwährenddesganzenTagesausreichendsauberesWasserzuhaben.ErsteErgebnissedeutendaraufhin,dasseineentsprechendeAn-leitungdasVerhaltenimgewünschtenSinnverändernkonnte.

    Kontakt:Prof.Hans-JoachimMosler,[email protected],[email protected]

    www.eawag.ch/arsenic-vietnamwww.eawag.ch/forschung/wutwww.eawag.ch/forschung/siam

    Kontakt:Dr.MichaelBerg,[email protected],[email protected],[email protected],[email protected]

    Gefahrenkarte für das Delta des Roten Flusses: Rot signalisiert eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorkommen arsenverseuchten Grundwassers.

  • 16

    Stauseen stossen Treibhausgase ausNicht nur grosse Stauseen in den Tropen, sondern auch Schweizer FlussStauhaltungen produzieren beachtliche Mengen Methangas. Vor allem im Sommer steigen beispielsweise im Wohlensee an der Aare Gasblasen an die Oberfläche. Wie sind solche Emissionen einzuschätzen? Verliert die Wasserkraft den Vorteil der klimaneutralen Stromproduktion?

    Methan kann aus den Sedimenten am Grund einesStausees auf verschiedenen Wegen die Atmosphäreerreichen.AlsgelöstesGasdiffundierteslangsamindieWassersäule und gelangt an der Seeoberfläche in dieLuft. Oder das Methan entweicht nach den Turbinen indieLuft,weildortstarkeTurbulenzenentstehen.JehöherdieMethankonzentrationimWasserist,destomehrent-weichtauchindieAtmosphäre.WievielMethanineinemStauseegebildetwird,kannmandurchdieMessungdergelöstenKonzentrationimWasserabschätzen.

    Alpine Stauseen nicht klimarelevantWenn die Methanproduktion im Sediment sehr grosswird,bildensichBlasen,diedurchdieWassersäule«blub-bern».DerSeegleichtdanneinemGlasChampagneroderMineralwasser.DieBlasenströmetransportiereninkurzerZeitgrosseGasmengenindieAtmosphäre.IhreMessungist allerdings schwierig, weil sie lokal und zeitlich starkschwanken.MankanndieBlaseninTrichternauffangen,braucht dann jedoch eine grosse Zahl von Messungen,umstatistischgesicherteResultatezuerhalten.WeilsichMethanblasen beim Aufsteigen teilweise aber doch imWasser auflösen, nimmt dessen MethankonzentrationvomGrundgegendieWasseroberflächehinzu.DasMassdieser Konzentrationszunahme haben Forschende vonderAbteilungOberflächengewässerderEawaggenutzt,umgemesseneDatengenauerzuanalysierenundabzu-stützen.

    Torsten Diem verglich dazu die Treibhausgasemissio-nen von elf Stauhaltungen. In den Voralpen und imMittelland waren dies der Sihlsee, Lungernsee, Greyer-zer- und Wohlensee. Im alpinen Bereich analysierte erdieSpeicherseenLuzzone,Zeuzier,SantaMaria,Grimsel,Lago Bianco, der Oberaarsee und die Grande Dixence.Die Resultate zeigen, dass alle Seen Kohlendioxid undMethan (CH4) abgeben. Allerdings sind die Stoffflüssesehr gering: Im Mittel – ohne den Wohlensee – liegendiesebeietwa1GrammCO2und0,2MilligrammCH4proQuadratmeterundTag.DieTreibhausgasemissionenderalpinenSpeicherseensinddeshalbnichtklimarelevant.

    Spezialfall WohlenseeIm Gegensatz zu den übrigen untersuchten Stauseenbeobachtete die Umweltchemikerin Tonya Del Sontroim Wohlensee an der Aare bei Bern einen intensivenGastransport über aufsteigende Blasen – vor allem beiwarmen Temperaturen im Sommer. Es ergaben sichEmissionswerte von bis zu 200 Milligramm pro Quad-ratmeter und Tag, also 1000-mal mehr als im Mittelbei den anderen Stauseen. Zusätzlich diffundiert in denWintermonatenwenigMethaningelösterFormausdemSediment.

    RechnetmandieseEmissionenaufeinJahrhoch, soproduziertderWohlensee rund150TonnenMethanproJahr. Wegen der hohen Klimawirksamkeit des Methans

    Mit trichterförmigen Gasfallen fangen Forschende das Methan auf, das vom Grund des Wohlensees an die Seeoberfläche aufsteigt.

    Stauseen in den Alpen (im Bild Grande Dixence im Wallis) haben wenig Einfluss auf das Klima.

    Key

    ston

    e

  • FORSCHEN 17

    entsprichtdiesetwa3700TonnenCO2oder25Millionengefahrenen Autokilometern. Das ist ein Rekord für dieMethanemissioneinesWasserkraftwerksausserhalbderTropen.VerglichenmitStromauseinemKohlekraftwerkproduziertdasAarekraftwerkWohlensee (Jahresproduk-tion160Gigawattstunden)allerdings immernochwenigKlimagas, umgerechnet auf Kohlendioxid nämlich etwa20GrammCO2proKilowattstunde.BeieinemKohlekraft-werksindesetwa1KilogrammCO2proKilowattstunde,also50-malmehr.

    FürdieProduktionvonMethanblasenbrauchtesleichtabbaubaren Kohlenstoff, warme Temperaturen und einerelativ geringe Wassertiefe. In den alpinen Speicher-becken sind der Eintrag pflanzlichen Kohlenstoffes sehrgeringunddieTemperaturentief.DarumfallendieTreib-hausgasemissionen nicht ins Gewicht. Der WohlenseeliegtjedochunterhalbdesThunersees,sodassAlgenmitder Aare in die Stauhaltung transportiert werden. Dazukommen wahrscheinlich Altlasten im Sediment aus derZeit, alsdieAbwässernochweniggereinigt indieAaregelangten.

    OhneStauseewürdendieseFrachtenindenBielerseegelangen, wo sie meist in grösserer Tiefe abgelagertwürden.WeilderBielerseeimSommerstabilgeschichtetist, wäre dort die mögliche Methanemission via Gas-blasenaberaufdasAaredeltabeschränkt.AuchvorderJura-Gewässerkorrektion,alsdieAarenochdirektindenRhein floss, waren die Methan-Emissionen wohl tieferausgefallen. Denn Ablagerungen im Meer produzierenwesentlich weniger Methan, weil das Sulfat im Meer-wasser für die Oxidation organischen Kohlenstoffs imSedimentsorgt.

    Problematik vor allem in den TropenBisher wurden vor allem tropische Stauseen als grosseQuellen von Treibhausgasen untersucht. Demnach trägtdieüberflutetePflanzendeckehäufigzurEntstehungderklimaschädigendenGasebei.EssindFälledokumentiert,in denen die geschätzten Emissionen um mehr als denFaktor zehn grösser sind als im Wohlensee. Das sindMethan-undKohlendioxidwerte,dienichtmehrvernach-

    lässigbarsind.Diesumsomehr,weilvieledieserStudienvermutlichdiewahrenEmissionenunterschätzen,daderEffektvonGasblasennichtzuverlässigberechnetwurde.

    NeueKraftwerkeamAmazonas,amMekongoder imtropischen Afrika können deshalb nicht als klimaneutralgelten.SieproduzierenStromzumTeilmitähnlichhohenNebenwirkungenwiemoderneKohlekraftwerke.

    Gegenwärtig entwickeln Wissenschafter Methoden,um die Blasenströme mit einem Echolot genauer zuquantifizieren. Damit lässt sich deutlich schneller erfas-sen, wo und wann in einem See oder einem ReservoirMethan freigesetzt wird. «Wir hoffen, dass solche Ver-besserungendieakrobatischenÜbungenbeiderBlasen-beobachtungmitschwimmendenGastrichterninZukunftüberflüssigmachen»,sagtDelSontro.

    «StauseenunterhalbnatürlicherSeenundflacherFluss-mündungen sind mögliche Hotspots von Treibhausgas-emissionen», fasst Bernhard Wehrli, Professor für Um-weltchemie,zusammen.«DasistindenglobalenMethan-bilanzen nicht zu vernachlässigen.» Stauseen könntenweltweit für etwa 18 Prozent der vom Mensch verur-sachten Methanemissionen verantwortlich sein, schätzter und ergänzt: «Wie klimafreundlich ein Stausee ist,entscheidet dabei nicht nur der Standort, sondern auchderGewässerschutzunddieAbwasserreinigung imEin-zugsgebiet.» Um die wissenschaftliche und vor allemauchpolitischeDebattezudenTreibhausgasemissionenausStauseenzuversachlichen,habendieUnescounddieInternationalHydropowerAssociationeineExpertengrup-peeingesetzt. i i i

    Lachgas aus der KläranlageNichtnurausStauseen,sondernauchausAbwasserreini-gungsanlagengelangenklimawirksameGaseindieAtmo-sphäre.ImVisiervonUmweltingenieurenderEawagstehtdabeivorallemdasLachgas(N2O).Esisteinüber300-malstärkeresTreibhausgasalsCO2undbedeutendanderZerstö-rungderstratosphärischenOzonschichtbeteiligt.BisherigeSchätzungen,wievielN2OausderbiologischenAbwasser-reinigungstammen,sindsehrvage.MessungenanderVer-suchsanlagederEawagdeutendaraufhin,dassungünstigeBetriebsbedingungen–zumBeispielzuwenigSauerstoffoderhoheAmmoniumbelastungen–zudeutlichhöherenN2O-Emissionenführenkönnen,alsbisherangenommen.DieEawagentwickeltdaheraktuellzusammenmitderEmpaeineMethode,dieanhandderunterschiedlichenStickstoffisotopeaufzeigensoll,inwelchenProzessendasLachgasgenaugebil-detwird.DasistdieGrundlagefürReduktionsstrategien.

    www.eawag.ch/forschung/surf/gruppen/methane/index

    Kontakt:Prof.BernhardWehrli,[email protected]

    Das Ablesen der Gaszylinder an den schwimmenden Trichtern vom Boot aus gleicht einer akrobatischen Übung.

  • 18

    Gutes Wasser aus dem BodenseeDie Wasserqualität des Bodensees, einer der wichtigsten Trinkwasserquellen Mitteleuropas, ist sehr gut. Bei einzelnen Zuflüssen liegt die Belastung durch Mikroverunreinigungen hingegen in einem Bereich, der für gewisse Wasserlebewesen problematisch sein könnte.

    Der Bodensee ist eines der wich-tigsten Trinkwasserreservoire Mit-teleuropas. Ungefähr 4,5 MillionenMenschen in der Schweiz und inDeutschland beziehen ihr Trinkwas-serausihm.17Wasserwerkeberei-tenproJahr rund180MillionenKu-bikmeterTiefenwasserausdemSeezuTrinkwasserauf.UntersuchungenderEawagzeigen,dassdieQualitätdesTiefenwasserssehrgutist.

    Geringe Belastung im SeeUmdieSchadstoffbelastungdesGe-wässerszuerfassen,erstelltenHeinzSinger und seine Mitarbeiter vonder Forschungsabteilung Umwelt-chemie im Auftrag der Internatio-nalen Gewässerschutzkommissiondes Bodensees ein umfassendesInventar der organischen Mikro-verunreinigungen. Mit modernstenAnalysemethoden untersuchten siedasVorkommenvonPestiziden,Bio-ziden, Arzneimitteln, Lebensmittel-und Industriechemikalien und derenAbbauprodukte. «Insgesamt fandenwir47Substanzen»,sagtSinger.

    Alle Befunde lagen teilweise er-heblichunterdemZielwertfürPesti-zide von 100 Nanogramm pro Liter(ng/l), der für die Trinkwassernut-zunggilt.Über80ProzentderStoffetraten in Konzentrationen von weni-genNanogrammproLiterauf.«Das

    sindderartgeringeMengen,dasssiesichmitderheutigenTechnikkaumnachweisen lassen», so Singer. InvergleichsweisehohenKonzentratio-nenvon50bis100ng/lkamenein-zelneMedikamenteundzweihaupt-sächlich in Geschirrreinigern einge-setzteKorrosionsschutzmittelvor.

    Hohe Werte in FlüssenUmherauszufinden,auswelchenZu-flüssen die grösste Stoffbelastungkommt,benutzteSinger fürdasge-samteEinzugsgebietdesBodenseeseinanderEawagentwickeltesStoff-flussmodell. Demzufolge wiesenbesonders die im Kanton St.Gallenentspringende Steinach, die Schus-sen in Baden-Württemberg und dieDornbirnerAchimVorarlbergerhöh-teKonzentrationenderuntersuchtenSubstanzen auf. «Dafür verantwort-lich ist der relativ hohe Anteil angeklärtem Abwasser in diesen dreiFlüssen»,sagtderUmweltchemiker.Bei der Steinach etwa stamme beiNiedrigwasserbiszu80ProzentdesWassersvonKläranlagen.

    Für gewisse WasserlebewesenproblematischeWertevonteilweisemehr als 500 ng/l stellte der For-scherfürdasSchmerzmittelDiclofe-nac fest. Fast die Hälfte aller unter-

    suchten Flussabschnitte wiesen beiNiedrigwassersohoheKonzentratio-nenauf,dassbeiWasserorganismenlangfristig Schädigungen auftretenkönnen. «Mit speziellen VerfahrenzurAbwasserreinigung,zumBeispielmit pulverisierter Aktivkohle oderdurch Ozonierung, liessen sich diemeisten der Wirkstoffe aus demWasserentfernen»,erläutertSinger.

    Anhand seiner Modellrechnungenkonnte er zudem abschätzen, wiesich die Konzentrationen der näheruntersuchtenSubstanzenimBoden-seeüberdienächsten20Jahreent-wickeln werden: Während sich dieEin- und Austräge einzelner StoffeimGleichgewichtbefinden,wirdsichbeispielsweisedieMengevonDiclo-fenacimSeeverdoppeln,wenndie-ses weiterhin im heutigen Umfangverwendet und die Reinigungsleis-tung der Kläranlagen nicht verbes-sertwird.«AuchdannwirddieKon-zentration aber weniger als 10 ng/lbetragen und immer noch deutlichunter dem Trinkwasser-Grenzwertliegen»,sagtSinger. i i i

    www.eawag.ch/forschung/uchem

    Kontakt:HeinzSinger,[email protected]

    Mehr Salz im BodenseeSeitden1960er-JahrenhatderChlorid-GehaltdesBodenseesumdasZweieinhalbfachezugenommen.DieKonzentrationliegtgegenwärtigbeirundsechsMilligrammproLiter.LautEawag-ForschernlässtsichdieZunahmeaufdenvermehrtenGebrauchvonStrassensalzundvonSalzinHaushaltenundinderLandwirtschaftimEinzugsgebietzurückführen.2006wur-deninsgesamtüber100000TonnenChloridausgebracht.AllerdingsgelangennurrundzweiDritteldavonindenBoden-see,derRestverbleibtimBodenundimGrundwasser.DieWissenschafterrechnenauchinZukunftmiteinemAnstieg.NochseienzwarkeineMassnahmennötig,dadieUmweltmitSalzgehaltendieserGrössenordnungumgehenkönne,sagendieForscher,dochseiderBodenseeeinBeispieldafür,wiemassivderMenschindienatürlichenStoffkreisläufeeingreife.

    Kontakt:Dr.BeatMüller,[email protected]

    Die Wasserproben werden in Glasbehälter abgefüllt.

  • FORSCHEN 19

    Risikobehaftete AbbauprodukteNicht nur Pflanzenschutzmittel oder Medikamente können eine ökotoxikologische Gefahr für die Gewässer darstellen, sondern auch deren Abbauprodukte. Mit einem auf Computermodellen und Messungen basierenden Verfahren lässt sich das Risiko solcher Verbindungen einschätzen.

    Immer mehr Studien zeigen, dassnichtnurchemischeSubstanzeneinökotoxikologisches Risiko darstellenkönnen,sondernauchderenAbbau-produkte.Diesesindoftmalsbesserwasserlöslich, weshalb sie leicht inGewässeroderinsGrundwasserge-langen. InderSchweizerGewässer-schutzverordnung haben sich dieseErkenntnissebisjetztabernochnichtniedergeschlagen.«Esfehltebislangvor allem eine allgemein anwend-bare Methode, mit der man poten-ziell problematische Umwandlungs-produkte systematisch identifizierenundbewertenkonnte»,sagtKathrinFennervonderForschungsabteilungUmweltchemiederEawag.

    Abbau am ComputerUmdieseLücke zu schliessen, ent-wickelte die Umweltchemikerin zu-sammen mit ihren Mitarbeitendenim Rahmen des Projektes «Strate-gie Micropoll» des Bundesamts fürUmwelteinaufModellenundMes-sungen beruhendes Priorisierungs-verfahren. Damit ermittelten sie für62inderSchweizgängigePflanzen-schutzmittel, Biozide und pharma-

    zeutische Wirkstoffe die relevantenAbbauprodukte und bewerteten de-renökotoxikologischesPotenzial.

    DaUmwandlungsproduktenurfürwenige Substanzen bekannt sind,führten die Forschenden selberAbbauexperimente mit Mikroorga-nismen durch oder simulierten dieBildung von Abbauprodukten amComputer. Um die dabei entstan-denen oder postulierten Produktein Gewässerproben nachzuweisen,wendetensiediesogenanntehoch-auflösende Massenspektrometriean.MitdieserMethodekannmandieMasseeinerchemischenVerbindungso exakt bestimmen, dass für sienurnochwenigeMolekülformelnin-frage kommen. Unter Zuhilfenahmeweiterer Analysen lassen sich dieVerbindung und ihre Struktur weit-gehendzuverlässigeruieren.

    In verschiedenen Schweizer Bä-chen, Flüssen, Zu- und Abläufenvon Kläranlagen und im Grundwas-ser fahndeten die WissenschafternachAbbauprodukten–undwurdenfündig. «51 Verbindungen kamenin den Wasserproben in relevantenKonzentrationen vor», erläutert Fen-ner. Bei den Pflanzenschutzmittelnüberschritten beispielsweise neunUmwandlungsprodukte den für dieTrinkwassernutzunggeltendenQuali-tätsgrenzwert von 0,1 Mikrogrammpro Liter in mehreren Proben. DreidieserProduktefandensichauch inverschiedenenGrundwässern inho-henKonzentrationen.InKläranlagen-abläufen konnten die Forschendenzudem sieben von Pharmazeutikastammende Verbindungen nachwei-sen,diedenGrenzwertfürPestizideebenfallsüberschritten.

    «UnsereUntersuchungenzeigten,dassvieleUmwandlungsprodukteinvergleichbaren Konzentrationen vor-kommen wie ihre Ausgangsstoffe»,sagtFenner.Häufigentstündenauseiner Substanz gleichzeitig sogarmehrereunterschiedlicheAbbaupro-

    dukte. «Da die Verbindungen nichtsofort weiter abgebaut werden unddaher länger im Wasser verbleiben,sindsiefürökotoxikologischeRisiko-abschätzungen nicht vernachlässig-bar», konstatiert die Umweltchemi-kerin.

    Die hohe Stabilität einzelner Ab-bauprodukte kann imFall derPflan-zenschutzmittel laut Fenner sogarzu einer chronischen Belastung derGewässer führen: Sie versickern imBoden, gelangen ins Grundwasserund von dort sukzessive wieder indie Oberflächengewässer, währenddie Ausgangssubstanzen selbermeist kurzlebiger sindundnur überden Zeitraum ihrer Anwendung zuBelastungsspitzenführen.

    Ins Monitoring einbeziehenDoch stellen die Abbauprodukte fürdie aquatische Umwelt überhauptein Problem dar? Um diese Fragebeantworten zu können, entwickel-ten die Forschenden ein Verfahren,mit dem sich das ökotoxikologischeGefahrenpotenzialderVerbindungenabschätzenlässt.

    Bei der Analyse der Umwand-lungsprodukte zeigte sich, dass diemeisten in einem ähnlichen Toxizi-tätsbereich liegenwie ihre jeweiligeAusgangsverbindung. Doch einigewenige Abbauprodukte, zum Bei-spieljenedesSchmerzmittelsMeta-mizol,wurdenalsdeutlich toxischerals ihr Ausgangsstoff eingeschätzt.«Für solche Verbindungen lohntsichaufjedenFalleinegenaueöko-toxikologische Überprüfung», sagtFenner.Längerfristigseiesüberdieswichtig,solcheprioritärenUmwand-lungsprodukteinMonitorprogrammeeinzubeziehen und für sie Grenz-wertezudefinieren,sodieUmwelt-chemikerin. i i i

    www.eawag.ch/forschung/uchem

    Kontakt:Dr.KathrinFenner,[email protected]

    Ein Mitarbeiter überwacht die automatische Probenahme an der Petite Glâne im Einzugsgebiet des Murtensees.

  • 20

    Überleben im ChemikaliencocktailWasserlebewesen sind in ihrem Element ständig einer Vielzahl von Chemikalien ausgesetzt. Um sich gegen schädliche Stoffe zu schützen, haben sie im Lauf der Evolution ein ausgeklügeltes Abwehrsystem entwickelt. Doch gewisse Substanzen machen diesen Schutzwall durchlässig – und die Organismen damit anfälliger für Umweltgifte.

    PflanzlicheStoffwechselprodukte,Algentoxine,Bestand-teileoderAbbauproduktevonKunstdüngern,Pestiziden,Medikamenten, Kosmetika, Brandschutz- oder Putzmit-teln: Unsere Gewässer sind unüberschaubare Chemika-liencocktailsnatürlichvorkommenderundvomMenschenindieUmweltgebrachterSubstanzen.Auchwenndiesein der Regel nur in geringsten Konzentrationen vorkom-men, sind die Wasserlebewesen ihnen dauernd ausge-setzt. InsbesondereüberdieLangzeitwirkungensolcherStoffe auf aquatische Organismen weiss man meistenspraktischnichts.

    Doch Lebewesen sind Umweltgiften nicht gänzlichwehrlosausgeliefert,dennsiehabenimLaufderEvolu-tiongewisseAbwehrmechanismenentwickelt.WiesichOrganismenvorunerwünschtenSubstanzenschützen,istvor allem aus Untersuchungen an Säugetieren bekannt.Ihre Zellen besitzen verschiedene Entgiftungs- und Re-paratursysteme, die toxische Fremdstoffe bis zu einemgewissen Grad abfangen, unschädlich machen oderentstandene Schäden reparieren können. Nun konnteStephanFischervonderAbteilungUmwelttoxikologieder

    Eawag auch bei Fischen ein solches Abwehrdispositivnachweisen: sogenannte Multi-Xenobiotika-Resistenz-TransportproteineoderkurzMXR-Transporter.

    Fremdstoffe aus den Zellen spedierenDiese Proteine sitzen in der Zellmembran und dienenals Transportkanäle. Sobald von ihnen erkannte Fremd-stoffeindieZellegelangen,werdensieerfasstundunterEnergieaufwandwiederherausspediert.Aufmerksamaufderartige Transporter-Eiweisse wurde man erstmals beimenschlichenTumorzellen,weil siedortAntikrebsmittelabfingen und «unschädlich» machten. Fachleute ver-muten zudem, dass Krankheiten wie Cystische Fibroseoder Arteriosklerose auf defekte MXR-Eiweisse zurück-zuführen sind. «Die Proteine bilden beim Menschennormalerweise eine wirksame Schranke zwischen demBlutunddenGewebenundkommengehäuftimDarm,indenNieren,derLeber,aberauchimGehirn,indenHodenoderderPlazentavor»,erklärtFischer.

    BeiZelllinienvonRegenbogenforellenundbeiEmbryo-nen des Zebrabärblings konnte Fischer mehrere MXR-Proteinenachweisen.«SiekommenunteranderemindenKiemen vor und bilden dort eine Art Umwelt-Gewebe-Barriere», sagter.Umzu zeigen,dasssieauchbeidenFischenalszelluläreTürsteherwalten,setzteerdieZellenundEmbryonenfluoreszierendenFarbstoffenaus,dievondenMXR-Proteinenerkanntundabgefangenwerden.

    UnternormalenBedingungenfunktioniertendieTrans-portkanäletatsächlicheinwandfrei,wassichdarinzeigte,dasssichkeineFarbstoffeinnerhalbderZellenanreicher-tenunddieseunterspeziellemLichtdunkelerschienen,während ihre Umgebung hell leuchtete. Ein anderesBild ergab sich, als der Forscher die MXR-Transporterchemisch blockierte oder Fischembryonen untersuchte,bei denen einzelne für die Synthese der MXR-ProteinenotwendigeGeneausgeschaltetwaren.NunfluoresziertedasZellinnere:DieFarbstoffehattendieZellabwehrüber-wunden.

    Sensibilisierung für GifteDie Laborexperimente führen auch vor Augen, wie be-stimmte Chemikalien durch die Blockade der Transport-kanäledenzellulärenSchutzwallfürFremdstoffedurchläs-sigmachenkönnen.DieWissenschaftbezeichnetsolcheMXR-Proteine blockierende Substanzen als Chemosen-sitizer. «Diese können die zelluläre Abwehr aushebelnundeinenOrganismusanfälligerfürGiftemachen,ohneselbertoxischzusein»,erklärtFischer.

    Wasdaskonkretbedeutet,hatderUmwelttoxikologeineinemweiterenExperimentuntersucht.ErsetzteFisch-Ihr zellulärer Entgiftungsmechanismus ist für Zebrabärblinge überlebenswichtig.

    Kos

    tas

    Mar

    gitu

    dis,

    MP

    I-C

    BG

  • FORSCHEN 21

    embryonenwährend48StundendemZellgiftVinblastinaus. Das aus dem Madagaskar-Immergrün gewonneneAlkaloid hemmt die Zellteilung und wird in der Krebs-therapiealsChemotherapeutikumeingesetzt.Unternor-malenBedingungenundbeimoderatenVinblastin-DosenfunktioniertediezelluläreAbwehrderZebrabärblingegut:BeieinerKonzentrationvon1,6MilligrammVinblastinproLiterWasserstarbendurchschnittlichrund20ProzentderIndividuen.

    Gab der Wissenschafter aber noch das aus einemSchlauchpilz gewonnene und in der Transplantations-medizin eingesetzte Cyclosporin hinzu, sah die Sacheandersaus.«CyclosporinwirktalsChemosensitizer»,soFischer,«weshalbdieTieredeutlichsensibleraufschäd-liche Substanzen reagieren». Dementsprechend führtedieselbeVinblastin-Konzentrationwie imerstenVersuchzusammen mit dem Cyclosporin nun bei bis zu 80 Pro-zent der Embryonen zum Tod. Bei funktionstüchtigenKanalproteinen brauchte es für solch hohe SterberatenmindestensdiedoppelteDosisVinblastin.

    Wenig Wissen über ChemosensitizerErstvorwenigenJahrenbeganndieWissenschaft,Che-mosensitizer genauer zu untersuchen. Daher sind bisheuteerstwenigeumweltrelevanteSubstanzenbekannt,die über die Blockierung der MXR-Proteine eine Sensi-bilisierung für andere Chemikalien auslösen. Zu den alsChemosensitizer wirkenden Stoffen gehören zum Bei-spielkünstlicheMoschusverbindungen,wiesie invielenPflege-undReinigungsproduktenalsParfumzumEinsatzkommen,oderpolyzyklischearomatischeKohlenwasser-stoffe,dieinPestiziden,FarbstoffenundfossilenEnergie-trägern sowie als Stabilisatoren oder Weichmacher ver-wendetwerden.

    DiebisherbekanntenStoffegehörenzuchemischsehrunterschiedlichenGruppen,waslautExpertendaraufhin-deutet,dasssolchefüraquatischeLebewesenanundfürsichnichttoxischenStoffe indenGewässernrechtweitverbreitetsind.Fischerbetont,dasseswichtigsei,nichtnurdieWirkungisolierterEinzelstoffe,sondernauchjenevonChemikaliengemischenzuuntersuchen,wiesieinder

    Umwelt realistischerweise meist vorkämen. Denn dasseinGiftstoffinGegenwartvonanderenSubstanzenunterUmständen viel grösseren Schaden anrichten könne,zeigedasBeispielderChemosensitizer.

    Der Forscher will nun in einem nächsten Schritt mitHilfe von Zelllinien der Regenbogenforelle und Embryo-nen des Zebrabärblings verschiedene in der UmweltvorkommendeChemikalienaufihreWirkungalsChemo-sensitizeruntersuchen.SeinerMeinungnach liessesichdieserAnsatzsogarzueinemstandardisiertenVerfahrenweiterentwickeln,mitdemmaninZukunftökotoxikologi-sche Risikoabschätzungen von Chemikalien durchführenkönnte. i i i

    Limitierte Entgiftung bei AlgenUmsichvorgiftigenMetallenwiezumBeispielBleizuschützen,bildenAlgensoge-nanntePhytochelatine.DieseeiweissartigenMolekülebindendietoxischenMetalleundmachensieaufdieseWeiseunschädlich.WieUntersuchungenvonChristian

    ScheideggervonderEawaganeinzelli-genSüsswasseralgenderArtChlamydomonas reinhardtiizeigen,reagierendiesesehrraschauferhöhteBleikon-zentrationenimWasserundbildendieschützendenPhytochelatineinnertwenigerMinuten.Ausserdemproduzie-rensieumsomehrEntgiftungsmoleküle,jehöherderBleigehaltist.

    MitkurzzeitigenBelastungenvonweni-genStundenkonntendieAlgeninScheideggersExperimentendankdemzellulärenSchutzmechanismusgutum-gehen.BeilängerfristigenBlei-Expositio-nenvonmehrerenTagenreichtediesjedochnichtmehrausunddieVitalitätderChlamydomonas-Algennahmab.«MitderZeitsindnichtmehrgenügend

    PhytochelatineindenZellenvorhanden,umdassichakkumulierendeBleizubin-den»,erläutertderForscherdieschleichendeVergiftung.DieAlgenreagiertenaufdenchronischenStress,indemsiedieFotosyntheseunddasWachstumreduziertenoderganzeinstellten.DieseEffektetratenbereitsbeiBleikonzentrationenauf,wiesiefürstärkerbelasteteGewässerrealistischsind.DieStudiezeigtauch,dassLang-zeitbelastungenfüraussagekräftigeökotoxikologischeAbschätzungenzwingendberücksichtigtwerdenmüssen.

    Kontakt:Prof.LauraSigg,[email protected]

    www.eawag.ch/forschung/utox

    Kontakt:StephanFischer,[email protected]

    Einzellige Süsswasseralgen.

    Bei intakter Abwehr kann kein Farbstoff in den Fischembryo dringen (oben), bei blockierten MXRTransportproteinen dagegen schon (unten).

  • 22

    Anpassungsfähige FröscheDie Evolution geht bisweilen relativ rasch vonstatten. Aufgrund natürlicher Selektion konnten sich Moorfrösche in Schweden innerhalb weniger Jahrzehnte an versauerte Gewässer anpassen und änderten ihre Abwehrstrategie gegen Fressfeinde.

    Saurer Regen und das Waldsterbenwaren in den 1970er-Jahren vorallem in Europa die grossen Um-weltthemen. In Skandinavien undNordostamerika ist diese Form derUmweltverschmutzung auch heutenoch ein Problem. Die Versauerungbedeutet allerdings nicht nur StressfürdenWald,BödenundGewässersind genauso betroffen – und mitihneneineVielzahlvonOrganismen.InSchwedensinddieGewässerzumTeil stark davon beeinträchtigt undaus ehemals artenreichen Weihernsind vielfach Tümpel mit wenig Le-bengeworden.

    Evolution zum MiterlebenIn Südwestschweden haben jedochMoorfrösche das Kunststück voll-bracht,mitdenwidrigenUmständenumzugehen.SielebeninTeichen,diedurch den sauren Regen einen pH-Wert von bis zu vier haben und sosauersindwieeinGlasWein.SandraHangartner und Katja Räsänen vonderForschungsabteilungAquatischeÖkologiederEawagkonntenzeigen,dass sich die schwedischen Moor-frosch-Populationen sowohl an dentiefen pH-Wert des Wassers ange-passt haben als auch an das verän-derte Ökosystem. Mit ihrer Arbeit

    wiesendieForscherinnennach,dassumweltbedingte Stressfaktoren, indiesemFalldieVersauerung,beiOr-ganismeninnertwenigerJahrzehnteevolutive Veränderungen bewirkenkönnen.

    Frösche sind vor allem währendderFortpflanzungsphaseundimLar-venstadium ans Wasser gebunden.Saure Bedingungen beeinträchtigendeshalb bereits die Eier im Laich.«Die Gallerthülle der Eier verändertsich, die Embryonen sind meistwenigeraktivundauswenigerEiernschlüpfen Kaulquappen», erklärtHangartner.DieForscherinnenkonn-ten in Experimenten aber zeigen,dass Embryonen, die aus Teichenmit tiefem pH stammen, mit sau-renBedingungenwesentlichbesserzurechtkommen und eine höhereÜberlebensrate haben als ihre Art-genossen aus neutralen Ursprungs-gewässern.

    Nach dem Schlüpfen sind Fress-feinde eine der grössten GefahrenaufdemWegzumausgewachsenenFrosch.WährenddieKaulquappeninneutralenTümpelnvonanderenAm-phibien,FischenundInsektengejagtwerden,reduziertsichdieVielfaltderRaubfeinde in versauerten TeichenvorallemaufInsekten.DieseVerän-derungdesÖkosystemsbeeinflusstauchdieAbwehrstrategiederFrosch-larven.KaulquappenaussaurenundinsektenreichenGewässernbildetenleistungsfähigere Schwanzflossenaus,konntendadurchbesserfliehenundüberlebtendiedirekteKonfronta-tionmitLibellenlarven inVersuchenhäufigeralsdiejenigenausneutralen,räuberarmenTümpeln.

    Zudem legten die Kaulquappenaus sauren Gewässern schneller anGewichtzu.«AuchdiehoheWachs-tumsrate ist eine Anpassung an diespeziellen Lebensbedingungen be-ziehungsweiseeinSchutzvorräube-rischen Insekten», sagt Hangartner,«denn grosse Kaulquappen können

    von vielen Insekten nicht mehr ge-fressenwerden.»

    Genetische Vielfalt nötigDamit solche evolutiven Anpas-sungsmechanismenspielenkönnen,braucht es grosse Populationen miteinerhohengenetischenVielfalt.Da-durch steigt die Wahrscheinlichkeit,dasseinzelne Individueneinegene-tischeAusstattungbesitzen, die siemit den veränderten Umweltbedin-gungen besser umgehen lässt alsihre Artgenossen. Solche Individu-ensindvitalerundhabenmehrundebenfalls besser angepasste Nach-kommen, sodass sich aufgrunddie-sernatürlichenSelektionmitderZeitdie«besseren»Genedurchsetzen.

    Oft spielen bei solchen Anpas-sungsleistungen zudem sogenanntematernale Effekte eine wichtigeRolle. Dabei vererben Mütter spezi-fischgewissegenetischeoderdurchUmweltveränderungen ausgelösteAnpassungenanihreNachkommen,die vor allem deren frühe Entwick-lungbeeinflussen.

    Die Fähigkeit der schwedischenMoorfrösche, sich an gewisse Um-weltveränderungenanpassenzukön-nen, macht Hoffnung, dass Amphi-bienarten gegenüber (oftmals vomMenschen verursachten) Stressfak-torennichtgänzlichschutzlosausge-liefertsind,sondernineinemgewis-sen Mass damit umgehen können.EinenotwendigeVoraussetzungda-für sind allerdingsgenügendgrosseund genetisch vielfältige Populatio-nen–unddies istoftnichtgewähr-leistet. i i i

    Dass bei Moorfröschen vitaler Nachwuchs zur Welt kommt, hat nicht nur mit den guten Genen der begattenden Männchen zu tun, sondern auch mit maternalen Effekten.

    www.eawag.ch/forschung/eco

    Kontakt:Dr.SandraHangartner,[email protected]äsänen,[email protected]

  • FORSCHEN 23

    Schweres Erbe aus dem GletscherAls Folge des Klimawandels ziehen sich weltweit die Gletscher zurück. Mit dem Schmelzwasser können sie Umweltgifte freigeben, die über Jahrzehnte im Eis eingeschlossen waren. Dadurch werden sie zu bedeutenden Sekundärquellen längst verbotener Schadstoffe.

    Stoffe wie Dioxine, DDT oder PCBstehen für vergangene Umweltsün-den, Chemieunfälle, Lebensmittel-skandale,MissbildungenundKrebs.SeiteinigenJahren ist ihreVerwen-dung weltweit nur noch sehr ein-geschränkt erlaubt. Doch aus derWelt schaffen lassen sie sich prak-tischnichtmehr,auchinderSchweiznicht, wo sie seit 1986 vollständigverbotensind.Dennsiegehörenzudensogenanntenpersistentenorga-nischen Schadstoffen, die nur äus-serstlangsamabgebautwerdenundüberJahrzehntebisJahrhunderte inderUmweltverbleiben.

    Schadstoffe in SedimentenAufgrundihrerphysikalischenEigen-schaften verbreiten sie sich viaAtmosphäre über grosse DistanzenundlassensichvondenTropenbiszudenPolenüberallnachweisen.Wis-senschaftler der Eawag haben zu-sammenmitKollegenderEmpaundder ETH Zürich entdeckt, dass sichin den Sedimenten verschiedenerSchweizerGebirgsseenindenletztenJahrenwiederzunehmendeMengensolcher Substanzen finden lassen –undherausgefunden,warum.

    Mithilfe von SedimentbohrkernenuntersuchtendieForscher,wie sichdie Schadstoffbelastung im Ober-aar-,Stein-undEngstlenseeimBer-ner Oberland über die letzten rund100 Jahre veränderte. Um die Pro-benzuentnehmen,triebensielangeKunststoffrohre in den Seegrund.Die mit Sediment gefüllten Rohreschnitten sie später im Labor längsauf.WiedieJahrringeeinesBaumes

    präsentierten sich die im Lauf derZeit abgelagerten Schichten. «Dieverschiedenen Sedimenttypen zeu-genvonvergangenenUmweltverän-derungen»,erklärtFlavioAnselmettivon der Abteilung Oberflächenge-wässerderEawag.DerGeologewarverantwortlich fürdieProbenahmensowie die Interpretation und Alters-datierung der Sedimente, währenddie Empa die chemischen Analysendurchführte.

    AnhandderSchichtenkonntendieWissenschaftlerzeigen,dassdieVer-wendung persistenter organischerSchadstoffeinden1960er-und70er-JahreneinenHöhepunkterreichthat-te. Mit dem Verbot der SubstanzengingderenGehaltdanachsehrstarkzurück.Überraschenderweiseoffen-barten die Sedimentbohrkerne desOberaar-unddesSteinsees jedoch,dassdieChemikalienabden1990er-Jahren plötzlich wieder viel häufi-ger auftraten und gewisse Verbin-dungendieHöchstwertevon früherzumTeilsogarübertrafen.Waswargeschehen?

    Gletscher als QuellenDieAntwortlagindiesemFallwort-wörtlich nah, nämlich gleich ober-halb der Seen. Beide werden vorallem vom Schmelzwasser jeweilseines Gletschers gespeist: der einevom Oberaar-, der andere vomSteingletscher. In den Gletschernist gespeichert, was einst mit demSchnee auf sie gelangt war und imEis eingeschlossen wurde, so auchUmweltgiftewieDioxine,DDToderPCB. Und seit die Eismassen auf-grund der Klimaerwärmung rascherabschmölzen, gelangten die Schad-stoffewiedervermehrt indieSeen,vermuteten Anselmetti und seineKollegen. Sie konnten zum Beispielnachweisen, dass die jährliche Län-genabnahme des SteingletschersmitdemAnstiegderSchadstoffeimSeekorreliert.

    BestätigtfandendieForscherihrenVerdacht in den Proben des Engst-lensees. Diese zeigten nach den70er-Jahren den charakteristischenRückgangderSchadstoffeindenSe-dimentenzwarebenfalls–allerdingskeinenerneutenAnstieg.DerGrund:Der Engstlensee wird als einzigerdieser drei nicht von Gletscherwas-ser gespeist, sondern von WasserausQuellenundNiederschlägen.

    Was gewisse Fachleute schonlangevermuteten, konntendieWis-senschaftler damit erstmals nach-weisen: Gletscher sind in Zeitendes Klimawandels ernst zu neh-mendesekundäreQuellen füreinenerneuten Eintrag von bedenklichenChemikalien in die Umwelt. ZumBeispielschrumpftederOberaarglet-scherindenvergangenenzehnJah-ren alleine um mehr als 120 Meterund gab mit dem SchmelzwasserdeutlichnachweisbareMengentoxi-scherSubstanzenfrei. i i i

    www.eawag.ch/forschung/surf

    Kontakt:Prof.FlavioAnselmetti,[email protected],[email protected],[email protected]: Der aufgeschnittene

    Bohrkern zeigt die Sedimentschichten.

    Damit die Geräte zur Entnahme der Bohrkerne stabil stehen, findet die Sedimentbohrung auf dem gefrorenen Steinsee statt.

  • 24

    Umweltgeschichte aus einem türkischen SeeDer Vansee im Osten der Türkei ist ein besonderes Gewässer. Sieben Mal grösser als der Bodensee, aber ohne Abfluss und selbst während der Eiszeiten eisfrei, haben seine Sedimente nicht nur jahreszeitliche Zyklen aufgezeichnet, sondern auch Vulkanausbrüche, Erdbeben, längere Warm und Kaltzeiten und weitere Umweltdaten. Nun wurden die Ablagerungen erstmals bis zum Felsgrund erbohrt. Bis zu 450 000 Jahren Klima und Umweltgeschichte hoffen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter damit erklären zu können.

    1) Sommer2010:DieschwimmendeBohrplattformaufdemVansee,dessenklaresWassermiteinempH-Wertvon9,6extrembasischist.ImHintergrundder4058MeterhoheVulkanSüphan.

    2) ZweiGeologinnentrennennochaufdemSeedieerbohrtenKernein1,5MeterlangeAbschnitteundbeschriftensie.

    3) SofernWindundWellengangeszulassen,wirdgebohrt–auchinderNacht;vornedasLagerderBohrgestänge,hintenderBohrtischüberdemBohrloch,dasam375MetertieferliegendenSeegrundbeginnt.

    4) ImimprovisiertenLaborimHotelSeldschukeninAhlatwerdendiefrischgebohrtenKernemitmehrerenSensorengescannt.Dichte,Leitfähigkeit,magnetischeundelastischeEigenschaftengebendenForschendenersteHinweiseaufdieHerkunftdesMaterialsunddieBedingungenbeiderAblagerung.

    5) FortlaufendwirdlosesSedimentuntersucht,dasandenÜbergängenzumnächstenKernanfällt.DieganzenKernebleibennochunange-tastet.

    6) Mitbiszu170barDruckwirddasPorenwasserausdenProbengepresstundunteranderemaufSalzgehaltundpH-Wertuntersucht.

    7) KleinsteProbemengenwerdenunterdemMikroskopbegutachtet;sosindzumBeispielvulkanischeMineralien,KieselalgenoderPollen-körnerzuerkennen.

    8) Februar2011:AnderUniversitätBremenwerdendieKernemiteinerspeziellenKreissägesorgfältigzweigeteilt.DiedetailliertenUnter-suchungenderSchichtenbeginnen.

    9) KunstvolleMusterinje20ZentimeterKernmaterial(entsprichtbiszu400Jahren):SchwarzeLagensindVulkanaschen,durchsetztmitBims-steinen.ImdrittenundviertenAbschnittsindkleineVerwerfungen,imfünfteneineFaltungzuerkennen,ausgelöstdurchErdbebenundvulkanischeAktivität.Diefeinenbraun-beigenSchichtensindtypische,vondenJahreszyklengeprägteSeesedimente.

    1

    2

    3

  • FORSCHEN 25

    Interdisziplinäres Abenteuer

    ZwölfBohrkerne,dasentsprichteinerTagesleistungvon18MeternerbohrtemSediment,verladendiefünfWissen-schafterinnenundWissenschafterheutevonderBohrplatt-formaufdasVersorgungsschiffAlikaptan.PaläobotanikerThomasLittvonderUniversitätBonnundGeologeFlavioAnselmettivonderEawagtauschenkurzdiewichtigstenInformationenaus,dannschippertderKahndiedreiFor-schendenunddrei«Drillers»derTagschicht–nach12Stun-denEinsatz–zurückindenkleinenHafenvonAhlat.

    DreiMonatelanghatdasinterdisziplinäreTeammitFor-schendenausderSchweiz,DeutschlandundderTürkeimiteineramerikanischenBohrcrewinOstanatolienausdem400MetertiefenVanseeSedimentkerneerbohrt,insgesamtüber800Meter.Wellengang,derspezielleChe-mismusdesabflusslosenSees,unerwartetebürokratischeHürdenundeinefürdiemeistenfremdeKulturimKurden-gebietOstanatolienshabendasGrossprojektfüralleBe-teiligtenzurHerausforderungwerdenlassen.UnterstütztvomNationalfondsundderDeutschenForschungsgemein-

    schaft,istdasmassgeblichvonderEawaginitiierteVor-habenTeildes«InternationalContinentalScientificDrillingProgram»(ICDP).DabeiistdaserfolgreicheBohrenderKernenurdieerstePhasedesProgramms.ImFebruar2011wurdendieKerneanderUniversitätBremenaufgeschnittenundzurZeitlaufendiedetailliertenUntersuchungen.

    DiegutzählbarenJahreslagen,dieMöglichkeit,indendazwischeneingelagertenvulkanischenGläsernmitHilfevonArgon-IsotopendasabsoluteAlterzubestimmen,undvieleweitereIndizienmachendasVansee-SedimentzueinemeinmaligenArchiv.NichtnurfürdieRekonstruktionderGeschichtedesSeesundderumliegendenVulkane,sondernfürdieKlima-undUmweltgeschichteganzZentral-europas.EinsolcherRückblickübermehrereEis-undZwi-scheneiszeitenhinwegistetwaindenSchweizerSeennichtmöglich.SiewurdenallewährendderEiszeitenver-ändertodersindsogarerstnachdemRückzugdesEisesentstanden.Ewww.eawag.ch/vansee,Ewww.icdp-online.org

    4 5

    6

    7 8

    9

  • ForschenLehrenBeraten

    Mit der Ausbildung von Studierenden übernimmt die Eawag einen

    wichtigen Auftrag in der Schweiz. Sie trägt dazu bei, dass Fachkräfte

    im In- und Ausland die neuen Fragen bezüglich Wassernutzung und

    Gewässerschutz ganzheitlich kennen und den nachhaltigen Umgang

    mit der Ressource Wasser umsetzen können. 2010 hat die Eawag ihre

    Lehranstrengungen wiederum auf konstant hohem Niveau gehalten.

    Mehr als ein Fünftel des wissenschaftlichen Personals der Eawag

    lehrte 2010 an Universitäten, der ETH Lausanne und ETH Zürich sowie

    an Fachhochschulen. Die Zahl der betreuten Studierenden auf

    Bachelor-, Master- und Diplomstufe hat in den vergangenen Jahren

    stetig zugenommen. Noch deutlicher angestiegen ist die Zahl der

    betreuten Doktorarbeiten, nämlich von 111 im Jahr 2009 auf 153 im

    Jahr 2010.

    An der Eawag lernen die Studierenden, sich im Umfeld lösungs-

    orientierter Forschung einzubringen und sich auch international zu

    messen. Sie erhalten die Gelegenheit, bei internationalen Forschungs-

    projekten wie zum Beispiel dem Vansee-Projekt in der Türkei, mit-

    zuarbeiten und in Forschungsprojekten mit externen Partnern zur

    Lösung aktueller Probleme in der Praxis beizutragen. Die zahlreichen

    Auszeichnungen der Arbeiten von Studierenden und jungen Forsche-

    rinnen und Forschern der Eawag sind dafür ein Beleg.

    Nor

    bert

    Sta

    ub,E

    TH