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Leseprobe Drouve, Andreas Südafrika Ein Reisebegleiter Von Andreas Drouve © Insel Verlag insel taschenbuch 3480 978-3-458-35180-1 Insel Verlag

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Leseprobe

Drouve, Andreas

Südafrika

Ein Reisebegleiter

Von Andreas Drouve

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3480

978-3-458-35180-1

Insel Verlag

Dieser Reisebegleiter f�hrt nicht nur in S�dafrikas schçnste Natur-parks, sondern nimmt zwischen Johannesburg undKapstadt, zwischender Gartenroute und den Weiten des Nordens die F�hrten bekannterLiteraten und ihrer Werke auf, angef�hrt von den Nobelpreistr�gernNadine Gordimer und J.M. Coetzee. F�r das Spannungsfeld zwischenGeschichte und Gegenwart stehen Nelson Mandela, Desmond Tutuund j�ngere s�dafrikanische StimmenwieGcinaMhlophe.Wir folgenCees Nooteboom, dem »Walrufer« von Zakes Mda und den Lebens-stationen des Mahatma Gandhi. M�rchen und historische Berichterunden den Reisebegleiter ab.

AndreasDrouve (*1964) hat �ber 80 Kultur- undReiseb�cher verfaßt,darunter die erfolgreichen it-Reisebegleiter Der Jakobsweg (it 3094),Katalonien (it 3249) und Mexiko (it 3414). Er ist als freier Autor undReisejournalist t�tig.

insel taschenbuch 3480S�dafrika

Wildreservate wie der Addo Elephant Nationalpark sind die Heimatvon Dickh�utern, die Begegnungen mit den Tieren Hçhepunkte einerReise durch S�dafrika

S�DAFRIKAEin ReisebegleiterVon Andreas DrouveMit farbigen Fotografien des Autorsund einer LandkarteInsel Verlag

Umschlagabbildung: getty images/Darrell Gulim

insel taschenbuch 3480OriginalausgabeErste Auflage 2010� Insel Verlag Berlin 2010Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.Umschlag: Michael HagemannSatz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, SinzheimPrinted in GermanyISBN 978-3-458-35180-1

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INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

KAPSTADT UND UMGEBUNG . . . . . . . . . . . . . . . 17Vielvçlkerstadt Cape Flats · Auf den Tafelberg mit derCableway · Kapstadts City · Signal Hill · Victoria & Al-fred Waterfront · Robben Island · Kaphalbinsel · Natur-reservat Cape of GoodHope · Kap der Guten Hoffnung ·Cape Point

DIE WEINREGION . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Stellenbosch · Paarl · Wellington · Tulbagh · Worcester ·Franschhoek

DIE GARTENROUTE UND DER WEITE S�DEN –

VON KAPSTADT NACH DURBAN . . . . . . . . . . . . . 87Hermanus · Danger Point · Kap Agulhas · Swellendam ·Mossel Bay · Oudtshoorn · Knysna · Plettenberg Bay ·Port Elizabeth · Addo Elephant Nationalpark · Grahams-town · East London · Wild Coast · Durban

VON DURBAN DURCH DEN WEITEN OSTEN UND

NORDOSTEN BIS ZUM KR�GER-NATIONALPARK . . . . . 133Pietermaritzburg · Drakensberge · Dolphin Coast · Ge-biete des historischen Zululands · iSimangaliso WetlandPark · Hluhluwe Umfolozi Park · Mpumalanga · Kr�-ger-Nationalpark

VON JOHANNESBURG DURCH DEN WEITEN NORDWESTEN

UND WESTEN BIS KAPSTADT . . . . . . . . . . . . . . 177Johannesburg · Soweto · Tshwane, das vormalige Preto-ria · Sun City · Pilanesberg Game Reserve · Kimberley ·Bloemfontein/Mangaung · Namaqualand · CederbergWilderness Area

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228Landkarte S�dafrika . . . . . . . . . . . . . . . . . 230Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232Quellenverzeichnis und weiterf�hrende Literatur . . 239

VORWORT

In S�dafrika, dort, wo sich Atlantik und Indischer Ozeantreffen, dort, wo der »Schwarze Kontinent« am Kap Agul-has und am Kap der Guten Hoffnung im Meer versinkt,f�hrt die Reise durch eines der schçnsten L�nder der Erde.Dort, wo die Heimat der Regenbogennation liegt, ein Viel-vçlkerstaat mit elf offiziell anerkannten Amtssprachen vonA wie Afrikaans bis Z wie Zulu, ein Naturparadies mit�ber 20 000 Pflanzenarten und den magischen Big Fiveder Wildnis: Lçwe, Leopard, Elefant, B�ffel und Nashorn.Kaum ein Besucher l�ßt die Spurensuche nach den »Gro-ßen F�nf« aus, ob im weltbekannten Kr�ger-Nationalparkoder in kleinen, privaten Naturschutzgebieten. Einen Kon-trastpunkt setzt Kapstadt, dasmit seinen Kulissen zwischenBergen und Tafelbucht magnetisiert und wie geschaffenscheint f�r literarische Spannung. Hier spielen Romane,Erz�hlungen und Thriller wie Der Atem des J�gers vonDeon Meyer, worin ein Serienkiller von einem alkohol-kranken Polizisten gejagt wird, der dabei jedoch den Blickf�r die Schçnheit und fr�hmorgendliche Stimmung �berKapstadt nicht verliert: »Er sp�rte die Sanftheit des Fr�h-sommers, hçrte die Vçgel und die unglaubliche Stille �berder Stadt. Farben und Formen und Licht wie aus Kristall.Der Tafelberg ragte �ber ihm auf, der Gipfel irgendwo zwi-schen orange und gold, Schrunde und Spalten waren pech-schwarze Schatten im Licht der aufgehenden Sonne.«

Nicht nur die Felsen des Tafelbergriesen, auch S�dafri-kas j�ngere Geschichte und Gegenwart werfen Schatten.Die Vergangenheitsbew�ltigung der Apartheid, die Town-ships, die Korruption, soziale Mißst�nde, Armut, Obdach-

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losigkeit, die Kriminalit�t in einem Moloch wie Johannes-burg-Soweto, all dies sind Themen, mit denen sich S�dafri-kas Schriftsteller auseinandersetzen.Einpr�gnantes Beispielbietet J.M. Coetzee mit seinem Psychodrama Schande, indem ein weißer Universit�tsprofessor wegen der Aff�remit einer Studentin die Hochschule verlassen muß und vor-�bergehend zu seiner Tochter Lucy aufs Land zieht. Dortwerden Vater und Tochter eines Tages Ziel eines brutalen�berfalls dreier Farbiger, die die Frau vergewaltigen, denProfessor schwer verletzen und seinen Wagen stehlen. Beider Analyse der Ereignisse kommt der Erz�hlton n�chtern,geradezu lakonisch daher und verst�rkt die Dramatik undatmosph�rische Dichte:

»Es ist gef�hrlich, etwas zu besitzen: ein Auto, Schuhe,eine Schachtel Zigaretten. Es reicht nicht f�r alle, es gibtnicht genug Autos, Schuhe, Zigaretten. Zu vieleMenschen,zuwenig Sachen.Was es gibt, muß in Umlauf gebracht wer-den, damit jeder die Chance hat, einen Tag lang gl�cklichzu sein. Das ist die Theorie. Nicht menschliche Bosheit,nur ein gewaltiges Umverteilungssystem, f�r dessen Funk-tionieren Mitleid und Schrecken keine Rolle spielen. Somuß man das Leben in diesem Land sehen – von der sche-matischen Seite. Autos, Schuhe; auch Frauen. Es muß eineNische im System geben f�r Frauen und was mit ihnen ge-schieht.«

Kein Reise- oder Kulturbuch �ber S�dafrika w�re voll-st�ndig ohne einen R�ckblick auf die �ra der gesetzlichverankerten Apartheid, ihre Urspr�nge, ihre schmerzlichenAusw�chse, ihre Folgen und den ersehnten Bruch der Ras-senschranken in den neunziger Jahren. F�r S�dafrika wardies, mit Nadine Gordimer gesprochen, das große Finaledes kolonialistischen Zeitalters, ein großes Schauspiel

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menschlicher Befreiung aus der »doppelten Kolonialisie-rung«:

»Denn imUnterschied zu anderen L�ndern, in denen Bri-ten, Franzosen, Portugiesen und andere europ�ischeM�ch-te die eingeborenen Vçlker beherrschten und in denen dieMacht in eingeborene H�nde �berging, als die Koloniali-sten besiegt wurden oder sich zur�ckzogen, vollzog S�d-afrika Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts den Schrittvon einer �ußeren Kolonialisierung – durch die Holl�nder,Franzosen und schließlich Briten – zu einer fortgesetzteninneren Kolonialisierung in Form der weißen Minderheits-herrschaft �ber die schwarze Mehrheit. Alle Elemente derKolonialherrschaft wurden aufrechterhalten: Die Besteue-rung und die Inbesitznahme des Bodens durch Weiße, sodaß die Schwarzen gezwungen waren, als billige Arbeits-kr�fte in die Stadt zu ziehen, um zu �berleben; ein privi-legierter Status f�r die Minderheit in Fragen der b�rger-lichen Rechte, der Erziehung, der Bewegungsfreiheit. Vombritischen Imperialismus befreit, war S�dafrika weit da-von entfernt, frei zu sein; es war ein Polizeistaat, der sichauf die Behauptung st�tzte, die weiße Haut der Kolonia-listen sei der schwarzen Haut �berlegen.«

Mittels weiterer Extrakte, darunter von Ex-Staatspr�si-dent Nelson Mandela, Friedensnobelpreistr�ger DesmondTutu und dem langj�hrigen Robben-Island-H�ftling IndresNaidoo,wird die Politik der Rassentrennung mit ihren Re-pressalien und gewaltsamen, menschenverachtenden Di-mensionen in diesem Reisebegleiter zur Sprache kommen,zur Sprache kommen m�ssen. Dabei soll ein gewisses Maßjedoch nicht �berschritten werden. Es mag sich von selbstverstehen, daß man vor der Problematik eines traumhaftschçnen Landes mit historischen Traumata nicht die Au-

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gen verschließt, doch die Relation muß gewahrt bleiben.Eine durchgehende Thematisierung der Apartheid w�reder Vielschichtigkeit S�dafrikas, der Harmonie der Land-schaften und der Freundlichkeit der Menschen gegen�bernicht gerecht. Es gilt, die Einsicht zum Zusammenhalt zuunterstreichen, wie dies ein M�rchen der Tswana, einerimNordteil des Landes angestammtenVolksgruppe, gleich-nishaft vor Augen f�hrt:

»Vor langer Zeit einmal wurde ein Dorf von einem krie-gerischen Haufen �berfallen, der die Leute aus ihren Be-hausungen vertrieb. Nur ein Kr�ppel und ein Blinder blie-ben zwischen den zerstçrten H�tten zur�ck. Die beidenverabredeten, daß der Blinde den Kr�ppel tragen werde,so daß sie fliehen und ihren Leuten folgen kçnnten.Als der Blinde den Kr�ppel so �ber Land trug, erblickte

der, der sehen konnte, kreisende Geier. Er sagte das dem,der gehen konnte, und sie wandten sich der Stelle zu, �berder die Geier kreisten. Dorf fanden sie noch andere Geierum ein totes Tier versammelt.Als sie alle Geier vertrieben hatten, erhob sich zwischen

ihnen ein Streit. Der Kr�ppel sagte:›Es waren meine Augen, die das Tier gefunden haben.‹

Der Blinde aber entgegnete: ›Es waren meine F�ße, die esfanden.‹ Als ihr Streit immer hitziger wurde und keiner ein-lenken wollte, kroch der Kr�ppel von dem Blinden weg.Da rief der Blinde, der weder seinen Kameraden noch dasTier sehen konnte, aus: ›Freund, es ist einleuchtend, daßdu die Augen f�r uns beide hast. Warum wirst du bçse?Ich weiß, daß du das Tier gefunden hast!‹ Da kamder Kr�p-pel zur�ck und leitete den Blinden zu dem Tier.«

Ein Anliegen dieses Reisebegleiters ist es, eigene Betrach-tungen und ausgew�hlte Quellen zu einer literarischen Lan-

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Waschen von Straußenfedern auf einer Straußenfarm in Oudtshoorn

deskunde, einer Textcollage zu verdichten.Mythen spielenebenso hinein wie einheimische Erz�hler. Die Literatur-nobelpreistr�ger Nadine Gordimer und J.M. Coetzee ste-hen selbstverst�ndlich in dieser Reihe, begleitet von j�nge-ren,unbekannteren StimmenwieZakesMda,Zo�Wicomb,Ivan Vladislavic und Gcina Mhlophe. Ausz�ge aus histori-schen Quellen, Lebensberichten, Krimis undWerken inter-national gestandener Literaten wie Rudolf Hagelstange,Tom Sharpe und Cees Nooteboom runden die Auswahlab.

»Ich komme aus einem wunderschçnen Land, das vonGott mit wundervollen nat�rlichen Ressourcen ausgestat-tet wurde, unendliche Weiten, Berge, singende Vçgel, hellleuchtende Sterne, blauer Himmel, mit Sonnenschein, gol-denem Sonnenschein«, sagte Desmond Tutu in seiner Redezur Verleihung des Friedensnobelpreises. »Die ganze Weltin einem Land« mag man als treffenden Slogan der Reise-branche erg�nzen. Da gibt es Weing�rten in saftig-gr�nenTalbecken, die Gartenroute,Wasserf�lle, Bl�tenteppiche imFr�hling der S�dhalbkugel, reißende Fl�sse, Str�nde, Buch-ten, Kolonialbauten, Straußenfarmen,Vçlker wie die ZuluundXhosamit ihren unterschiedlichen Traditionen,Gebir-ge wie die Drakensberge, dazu die Ausl�ufer der Kalahari.Nun, nicht alles ist schçn in S�dafrika, ebensowenig wiealles Schwarze schwarz und alles Weiße weiß sein kann.Mit einer Grçße von 1,2 Millionen Quadratkilometern,�ber die sich lediglich 50 Millionen Einwohner verteilen,verlangt das Land nach anderen Maßst�ben. Auf langen,gut ausgebauten�berlandstraßen, ob imS�dosten zwischenDurban und Pongola oder imNordwesten umDurchgangs-st�dtchen wie Upington und Kakamas, definiert sich derBegriff von Weite ganz neu. »Eine Weite, die alles aufsog,

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was sich in ihr bewegte«, heißt es in einem Krimi von D.B.Blettenberg.

S�dafrika, Sonnenland, Sehnsuchtsland, mit allem F�rund Wider. Wer einmal auf dem Tafelberg gethront, werdie Naturparks auf der Suche nach den Big Five durch-streift und den Menschen der Regenbogennation ins Herzgeschaut hat,wird sich der s�dafrikanischenDichterin Lin-diwe Mabuza (*1938) anschließen, deren Liebeserkl�runggleich dem ganzen Erdteil gilt:

»Ein jeder hat seine Berggipfelund h�geligen Landschaftengeformt vom eigenen Schmiedgef�rbt von eigenen Ozeanenin den Farben ihres Rauschens und RuhensdochKein anderer Kontinentist mir lieber alsAFRIKA.«

Der Tafelberg �ber Kapstadt; Blick w�hrend der Bootsanfahrtnach Robben Island

KAPSTADT UND UMGEBUNG

»In Kapstadt kannst du nicht verlorengehen. Da«, und erzeigt �ber die Schulter, »ist der Tafelberg, und da ist dieTeufelsspitze, und da ist der Lçwenkopf. Wer sich da ver-irrt, hat wirklich selber schuld«, gibt Michael seiner far-bigen Freundin vor dem schweren Gang zur Abtreibungs-�rztin in einer Erz�hlung der S�dafrikanerin Zo� Wicomb(*1948) mit auf den Weg. Nun, ganz so einfach verh�lt essich in der weit auseinandergedrifteten Hafenmetropolemit den Strecken und der Orientierung nicht. Der magi-sche Tafelbergriese, die etwas kleinere »Teufelsspitze« De-vil’s Peak und der klobige »Lçwenkopf« Lion’s Head mç-gen als verl�ßliche Anhaltspunkte dienen, doch beziehtman das Umland mit ein, leben gesch�tzte drei MillionenMenschen hier und machen Cape Town neben Johannes-burg-Soweto und Durban zu einem der drei grçßten Bal-lungsr�ume S�dafrikas. Auf den Straßen flutet und stocktder Verkehr wie andernorts, Hochh�user recken ihre kon-turlosenH�lse hinauf, Frauen undM�nner haltenmit ihrenHandys Kontakt zum Rest der Welt – doch es sind Kap-stadts grandiose Kulissen zwischen Bergflanken und Tafel-bucht, die den Unterschied markieren. In jenem Territo-rium, in dem einst die San und Khoi Khoi die Einsamkeitendurchstreift hatten, gr�ndete Kapit�n Jan van Riebeeck1652 im Auftrag der Niederl�ndischen Ostindien-Kompa-nie eine Versorgungsbasis, damit Schiffe auf dem Weg vonoder nach Indien und S�dostasien ihre Vorr�te aufstockenkonnten: Wasser, frisches Fleisch, Obst, Gem�se. Den Bo-den f�r den florierenden Asienhandel hatte die �ra der Ent-deckungen bereitet, die Ende des Mittelalters von Portu-

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gal ausging. Bartolomeu Dias war nachweislich der ersteEurop�er, der bei seiner Expedition 1487/88 Afrikas s�d-westlichen Zipfel umsegelte und das sp�tere Kap der Gu-ten Hoffnung das »Kap der St�rme« taufte. Auf der Suchenach dem legend�ren Seeweg nach Indien war im Novem-ber 1497 die Reihe an Vasco da Gama, aber im Vergleichzum schwer passierbaren Kap und dem tiefen Einschnittder weiter çstlich gelegenen False Bay schenkten weder ernoch seine Nachfolger der Tafelbucht wirklich Beachtung.Erst die Zeiten van Riebeecks brachten den entscheiden-den Wandel. Kapstadt wurde Einwanderern aus Europa,vornehmlichNiederl�ndern, im Laufe der Jahre auch Deut-schen, Flamen und Hugenotten, die vor den versch�rftenReligionskonflikten aus ihrer Heimat Frankreich flohen,zum Auffanglager, zum Sprungbrett ins Landesinnere, zurMother City, S�dafrikas (weißer) »Mutterstadt«. Gleich-zeitig gerieten die Ureinwohner in tragische Bedr�ngnis,wie der Historiker Martin Pabst in seinem aufschlußrei-chen L�nderkundebuch S�dafrika zeigt:

»Als sich im 17. Jahrhundert die Niederl�nder am Kapfestsetzten, war das gegenseitige Verh�ltnis zun�chst voneiner gewissen Gleichberechtigung gepr�gt. Doch als dieKhoi Khoi und ihre Herden durch Krankheiten dezimiertwurden, gerieten sie in çkonomische Abh�ngigkeit. Der zu-nehmende Landbedarf derWeißen verdr�ngte sie entwederan die Peripherie der Kapkolonie oder integrierte sie alsabh�ngige Farmarbeiter oder Hausdiener in die kolonialeWirtschaft. Erfolglose Aufst�nde (1659/60, 1673-1677) be-schleunigten die gesellschaftliche Deklassierung der KhoiKhoi. Die traditionellen Lebensgrundlagen und sozialenOrganisationsformen zerbrachen.

Interesse zeigten die Weißen weniger an ihrer Kultur als

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an ihren Kçrpermerkmalen: Khoi Khoi mit ihren volumi-nçsen Fettsteißen wurden nach Europa verschleppt undals exotische Schaust�cke auf Jahrm�rkten vorgef�hrt.«

Nicht einzig bei den Khoi Khoi, von den Zuz�glern de-spektierlich Hottentotten genannt, nahm das Schicksal sei-nen Lauf. Die Ausbreitung der Weißen, ihre Landnahmenund Farmgr�ndungen f�hrten zu einer steigenden Nach-frage an Sklaven, ein Bedarf, der mit Lieferungen ausWest-afrika und Asien gedeckt wurde und Kapstadt nicht zu-letzt zum Umschlagplatz von Menschen machte. Sp�terrichteten sich die Briten in Cape Town – Kaapstad auf Afri-kaans – ein und machten es zum Dreh- und Angelpunktder Kapkolonie. Auf diese Weise wurde der Grundstockder heutigen Vielvçlkerstadt gelegt, deren Slogan schlicht-weg lautet: »Aworld in one city«, »dieWelt in einer Stadt«.Dieser Schmelztiegel der Nationen dient mehr als jeder an-dere Punkt S�dafrikas als Schauplatz von Krimis, Kurzge-schichten und Romanen, bei denen sich zuvorderst dieeinheimischen Schriftsteller hervortun und weder Sonnen-noch Schattenseiten aussparen. In Promenade, einer Kurz-geschichte von Henrietta Rose-Innes (*1971), saugt derIch-Erz�hler die abendliche Stimmung der Kaphalbinselin sich ein:

»Es ist eine aufregende K�stenlinie mit oftmals grandio-sen Effekten: sich auft�rmendeWolken, donnerndeWellen,Glanzlichter auf den Felsen, wo einst Darwin gestandenund �ber die geologische Zeit und die vormalige Formationvon geschmolzenem Stein sinniert haben soll. Aber dies istes nicht, was mich so bewegt. Es ist einfach das Licht, das�ber den Ozean herankommt, funkelnde Helligkeit, wieman sie von keinem anderen Aussichtspunkt der Stadt aussehen kann: Sie trifft mich ins Mark mit einer Art Ekstase

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amRand der Selbstaufgabe, gegen die ichmachtlos bin. Anmanch einem Abend auf der Promenade konnte ich dieTr�nen nicht zur�ckhalten. Es gibt einen ganz besonderenAugenblick, wenn der Himmel korallenrot wird und diesich brechenden Wellen kreideblau sind, beinah fluoreszie-rend im schwindenden Licht. In solchenMomenten ist mir,als rolle die Brandung direkt �ber meinen Kçrper unter dieHaut, von den Fußsohlen hinauf bis in die Fingerspitzen,sie rollt mir �bers Herz und ich w�nsche nichts sehnlicher,als mit ausgestreckten Fingern dieses Lichtmeer zu ber�h-ren.«

In ihrer autobiographischen Kurzgeschichte Dreamhomes II: Stadt in klein nimmt die geb�rtige Kapst�dte-rin Rose-Innes Bezug zu ihrem Heranwachsen »in einerInselgesellschaft, in einem Regime, das von Kontrolle be-sessen war, unter dessen Einfluss Wissen unterdr�ckt undFurcht gesch�rt wurde«, doch der tieferen Thematisierungdieser dunklen Kapitel widmet sich S�dafrikas Literatur-nobelpreistr�ger J.M. Coetzee (*1940). Im Kapstadt derachtziger Jahre spielt sein RomanEiserne Zeit, in dem einekrebskranke alte Frau,Miss Curren, ein tagebuchartiges Ab-schiedsdokument an ihre Tochter verfaßt. Die Aufnahmeeines ungepflegten Obdachlosen ger�t ihr, der Weißen,zum letzten Halt. Inmitten der beginnenden Schicksals-gemeinschaft sinniert sie �ber Klassen- und Rassenunter-schiede:

»Zu Deiner Zeit gab es noch nicht so viele von diesenObdachlosen,doch jetzt sind sie ein Bestandteil des Lebenshier. Ob sie mir Angst machen? Im Grunde nicht. Ein biß-chen Bettelei, ein bißchen Diebstahl; Schmutz, L�rm, Be-trunkenheit; nichts Schlimmeres. Was ich f�rchte, sind dieherumziehenden Banden, Jungen mit m�rrischenM�ndern,

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