hypothesenprüfung, theorieentwicklung und erkenntnisfortschritt in der mathematikdidaktik ein...

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186 Martin Wellenreuther HypothesenprOfung, Theorieentwicklung und Erkenntnisfortschritt in der Mathematikdidaktik Ein Pladoyer fOr Methodenpluralismus 1 SUlIlmarv The learning and understanding of mathematical concepts can be facilitated through detailed textual or oral explanation. Here explanation has two different meanings: Explanation as didactical explication of mathematical ideas or explanation as explication of conditions under which some people develope mathematical ideas. The main goal of mathematics instruction is two delineate explanations in such a way that students dont have to make additional inferences in produCing a coherent text base. To construct such explanations the application of the theory of text comprehension of Kintsch is being applied to the verbalization of mathematical concepts. The core of real-science explanations are hypotheses. Empirical science has to test such hypotheses in prospective studies in a way that eliminates alternative explanations. After that the contribution of different research methods to sCientific progress is discussed. Four different research methods were differentiated: (1) Diagnostic / descriptiv research of learning behavoirs, attitudes and strategies, (2) research of mathematics instruction (teaching and student behavior) (3) experimental research as prospective research and (4) developmental research. It is concluded that all four types of research have their own goals and it seems unfortunate to prefer one type at expense of others. 1. Vorbemerkungen: Mathematikdidaktik als empirische Wissenschaft Mathematikdidaktik als empirische Wissenschaft befaBt sich u. a. mit Fragen. a) wie sich Lehrer und Schiiler im Mathematikunterricht im ProzeB der Vermittlung mathematischer Inhalte verhalten, was sie dabei denken und filhlen. b) we1che GesetzmaBigkeiten dieser Vermittlung zugrunde liegen, und c) wie diese Vermittlung verbessert werden kann. Wahrend es bei der ersten Frage urn die Deskription des Unterrichtsgeschehens geht, bezieht sich die zweite Frage auf Probleme der Entwicklung und Prufung von Gesetzesaussagen bzw. von Hypothesen, und diese Hypothesen werden dann wieder bei der Lasung von Fragen verwendet. die im Rahmen der dritten FragestelIung zu beantworten sind. MaBstabe filr die Beurteilung des Mathematikunterrichts oder fUr die Entwicklung mathematischer Lehrtexte leiten sich aus theoretischen UberJegungen ab, die keineswegs unbestreitbar wahr sind. Dies kann anhand der folgenden Beispiele verdeutlicht werden: Zeitliche Sequenzierung von Inhalten in Verbindung mit den kognitiven Voraussetzungen beim SchUler einer bestimmten Klassenstufe: Dabei geht man von der Giiltigkeit der Hypothese aus, daB Schiiler dann am meisten lemen, wenn die Anforderungen in den Bereich ihrer nachsten Entwicklung fallen (Wigotski 1969). I Fur die zahlreichen kritischen Hinweise der beiden Gutachter an einer friiheren Version dieses Beitrags mochte ich mich bedanken in der Hoffnung. sie kritisch und produktiv verwertet zu haben. (JMD 18 (97) 2/3, S. 186-216)

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Page 1: Hypothesenprüfung, Theorieentwicklung und Erkenntnisfortschritt in der Mathematikdidaktik Ein Plädoyer für Methodenpluralismus

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Martin Wellenreuther

HypothesenprOfung, Theorieentwicklung und Erkenntnisfortschritt in der Mathematikdidaktik Ein Pladoyer fOr Methodenpluralismus1

SUlIlmarv The learning and understanding of mathematical concepts can be facilitated through detailed textual or oral explanation. Here explanation has two different meanings: Explanation as didactical explication of mathematical ideas or explanation as explication of conditions under which some people develope mathematical ideas. The main goal of mathematics instruction is two delineate explanations in such a way that students dont have to make additional inferences in produCing a coherent text base. To construct such explanations the application of the theory of text comprehension of Kintsch is being applied to the verbalization of mathematical concepts. The core of real-science explanations are hypotheses. Empirical science has to test such hypotheses in prospective studies in a way that eliminates alternative explanations. After that the contribution of different research methods to sCientific progress is discussed. Four different research methods were differentiated: (1) Diagnostic / descriptiv research of learning behavoirs, attitudes and strategies, (2) research of mathematics instruction (teaching and student behavior) (3) experimental research as prospective research and (4) developmental research. It is concluded that all four types of research have their own goals and it seems unfortunate to prefer one type at expense of others.

1. V orbemerkungen: Mathematikdidaktik als empirische Wissenschaft

Mathematikdidaktik als empirische Wissenschaft befaBt sich u. a. mit Fragen. a) wie sich Lehrer und Schiiler im Mathematikunterricht im ProzeB der Vermittlung mathematischer Inhalte verhalten, was sie dabei denken und filhlen. b) we1che GesetzmaBigkeiten dieser Vermittlung zugrunde liegen, und c) wie diese Vermittlung verbessert werden kann. Wahrend es bei der ersten Frage urn die Deskription des Unterrichtsgeschehens geht, bezieht sich die zweite Frage auf Probleme der Entwicklung und Prufung von Gesetzesaussagen bzw. von Hypothesen, und diese Hypothesen werden dann wieder bei der Lasung von Fragen verwendet. die im Rahmen der dritten FragestelIung zu beantworten sind.

MaBstabe filr die Beurteilung des Mathematikunterrichts oder fUr die Entwicklung mathematischer Lehrtexte leiten sich aus theoretischen UberJegungen ab, die keineswegs unbestreitbar wahr sind. Dies kann anhand der folgenden Beispiele verdeutlicht werden:

• Zeitliche Sequenzierung von Inhalten in Verbindung mit den kognitiven Voraussetzungen beim SchUler einer bestimmten Klassenstufe: Dabei geht man von der Giiltigkeit der Hypothese aus, daB Schiiler dann am meisten lemen, wenn die Anforderungen in den Bereich ihrer nachsten Entwicklung fallen (Wigotski 1969).

I Fur die zahlreichen kritischen Hinweise der beiden Gutachter an einer friiheren Version dieses Beitrags mochte ich mich bedanken in der Hoffnung. sie kritisch und produktiv verwertet zu haben.

(JMD 18 (97) 2/3, S. 186-216)

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Methodenpluralismus in der Mathematikdidaktik 187

Urn diese Hypothese anzuwenden, trifft man dann weiters Annahmen bezliglich dessen, was Schiiler schon konnen und was flir sie mehr oder weniger schwer ist. Flir das erste Grundschuljahr hat Schipper gezeigt, daB Annahmen tiber das, was Schiiler schon konnen, haufig falsch sind (vgl. z. B. Schipper 1981; vgl. auch Carpenter & Moser 1984; Carpenter & Fennema 1992).

• Das Verhiiltnis von einfachen Vbungsaufgaben (z. B. Einmaleins) zu begrifflichen Aufgaben (z. B. Aufgaben zum Zergliedern von Zahlen in Einer, Zehner und Hunderten, bevor sie jeweils addiert werden, vgl. Siegler (1989) und Stern (1992)). Nach Stern helfen solche begriftlichen Aufgaben wenig, solange gewisse Rechenfertigkeiten, die das Gedachtnis entlasten, nicht gegeben sind.

• Art und Umfang der sprachlichen Gestaltung schriftlicher und miindlicher Erkliirungen: Neuere Forschungen zur Verstandlichkeit von Texten zeigen, daB ein Text umso verstandlicher ist, je weniger zusatzliche Inferenzen er yom Leser erfordert (vgl. Glowalla, Rinck & Fezzardi 1993; Britton & Gulgotz 1991, Kintsch 1994, Zech & Wellenreuther 1992). Erklarungen in Schulbilchern, auch wenn sie sich auf lernschwache Schiller beziehen (z. B. auf Haupt- und Realschiiler), verlangen jedoch haufig viele zusatzliche Inferenzen yom Schi.iler, bevor sie in das vorhandene Wissen integrierbar sind.

Empirische Forschung bezieht sich hier einmal auf die Prilfung der zugrunde gelegten Hypothesen bzw. GesetzmaBigkeiten, auch wenn diese auf den ersten Blick als wenig prtifwilrdig erscheinen (z. B. weil man sie filr trivial oder unbestreitbar giiltig halt). In der Psychologie gibt es viele Beispiele dafUr, daB Theorien, die von vielen Personen als gi.iltig angesehen werden, dennoch falsch sind (vgl. Holz-Ebeling 1989). AuBerdem bezieht sie sich auf die Priifung gewisser Voraussetzungen, die zur Anwendung der Gesetzesaussagen erfilllt sein miissen. Vermutlich kann man sich dariiber verstandigen, daB die empirische Klarung solcher Fragen fUr den Erkenntnisfortschritt in der Mathematikdidaktik bedeutsam ist. Der Erkenntnisfortschritt in der empirischen Mathematikdidaktik zeigt sich in einer Weiterentwicklung der Theorien liber die Lernprozesse im Mathematikunterricht bzw. beim Lernen von Mathematik. Ein Anreiz fUr die Weiterentwicklung dieser Theorien entsteht, wenn nach strenger Prilfung von Hypothesen Unzulanglichkeiten der Theorien sichtbar geworden sind. Daraus ergibt sich, c1aB auch in der Mathematikclidaktik c1ie strenge Prilfung von Hypothesen eine zentrale

? Becleutung hat.-

2 Auf wissenschaftstheoretische Grundfragen mochte ich dabei nicht eingehen. Solche Diskussionen gibt es schon (vgl. Brophy 1986 a, b; Confrey 1986, Kilpatrick 1987). Sicherlich werden meine AusfUhrungen stark durch meine wissenschaftstheoretische Position (kritischer Rationalismus in c1er Tradition von Popper (1969) und Lakatos (1982)) gepragt. Damit hangt auch mein Glaube zusammen, c1aB kritische Argumente als Argumente auf ihre Stichhaltigkeit zu prilfen sind, auch wenn c1er Vertreter dieser Argumente ein anderes Paradigma vertritt.

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Die folgende Arbeit geht zunachst, urn begriffliche Unklarheiten zu vermeiden, auf unterschiedliche Erklarungsbegriffe ein. ("Erklaren" im Sinne von "beweisen" oder "einen Begriff an hand einer didaktischen Veransch~ulichung erlautern" oder "durch Ruckgriff auf Hypothesen erklaren"). Danach wird die Methodologie der strengen Prufung von Hypothesen genauer entwickelt. Zum AbschluB werden verschiedene Forschungsansatze der Mathematikdidaktik vorgestellt.

2. ErkHirungen, Hypothesen und ihre strenge Priifung

2.1 Arten des ErkHirens in der Mathematikdidaktik

Der Begriff "Erklarung" hat je nach Kontext eine andere Bedeutung. Erklaren in der Mathematik (Erklaren I) bedeutet im strengen Sinne das Beweisen eines Satzes durch Ableitung aus Axiomen nach den Regeln der Logik bzw. nach anerkannten Beweistechniken; diese Art des Erklarens kennzeichnet die Arbeit von Mathematikern und spielt im Mathematikunterricht der Grund-, Haupt- und Realschule eine eher untergeordnete Rolle. 1m Mathematikunterricht spricht man meist schon von Erklaren (Erklaren II), wenn man Begriffe oder Regeln an einzelnen Anwendungsbeispielen, konkreten Modellen oder didaktischen Veranschaulichungen erliiutert bzw. begrundet, wobei der allgemeine mathematische Gehalt an diesen Beispielen und Modellen mehr oder weniger explizit verdeutlicht wird.

Von diesen verschiedenen Bedeutungen von Erkliirung in Mathematik und Mathematikdidaktik ist ein weiterer Begriff von Erklarung abzugrenzen, und zwar der Begriff der Erklarung des mathematischen Verhaltens von Schiilern (Erkliiren Ill). Das mathematische Verhalten bezieht sich dabei nicht nur auf das nach auBen sichtbare Verhalten z. B. beim L6sen von Aufgaben, sondern auch auf aile Kognitionen, die durch Anwendung bestimmter Techniken wie lautes Denken ins BewuBtsein gelangen k6nnen. Fur Erkliirungen III ben6tigt man empirisch uberprufbare und damit auch empirisch falsifizierbare Hypothesen bzw. Theorien; haufig handelt es sich urn Hypothesen aus der kognitiven Psychologie und ihre Adaptation in der Mathematikdidaktik.

Analog zu Erklaren I (strenger Beweis) und Erklaren II (didaktische Begrundung mathematischer Tatsachen bzw. von Satzen, Algorithmen und Regeln) k6nnte man fiir die Mathematikdidaktik als Realwissenschaft unterscheiden zwischen Erkliirung III (strenge Erklarung nach einem Erklarungsschema mit expliziter Hypothesenfor­mulierung, Darstellung bzw. Begrundung der zu treffenden Annahmen) und Erklarung IV (Erklarungsskizze; Angabe wesentlicher Entstehungsbedingungen). In der Regel wird man sich in der empirischen Mathematikdidaktik mit solchen Erklarungsskizzen zufrieden geben. Einen Uberblick uber die hier verwendeten Begriffe gibt Ubersicht 1.

1m Bereich der Mathematik zahlen zum Explanandum die mathematischen Tatsachen selbst sowie die Satze, Algorithmen und Regeln, die zu erklaren sind. 1m Bereich der Realwissenschaft zahlen dazu die zu erklarenden Verhaltensweisen, Lernleistungen, Einstellungen, Strategien, Glaubenshaltungen etc. In beiden Fallen (ErkHirung I und III) ist aus dem Explanans das Explanandum logisch ableitbar. Die GUltigkeit einer

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ErkIarung I erfolgt nach den Gesetzen der Logik, die Giiltigkeit einer Erklarung III wird aufgrund strenger empirischer Priifungen beurteilt. Bei diesen strengen Priifungen werden merst die in den Hypothesen (bzw. GesetzmaBigkeiten) genannten Bedingungen realisiert bzw. variiert, und danach Jestgestellt, ob die durch die Hypothesen gemaehten Prognosen auch zutreffen.

Ubersicht 1: ErkHirungsbegriffe in Mathematik und empirischer Mathematikdi­

daktik

Elemente einer in der in der ErkHirung bzw. eines Mathematik! Realwissenschaftl Beweises Mathematikdidaktik emp. Mathematikdidaktik

Explanandum

Darstellung dessen, was zu Mathematische Aussagen, Kognitionen, Motivatio-erklaren (beweisen) ist. Regeln, Algorithmen nen und Verhaltensweisen

von Personen oder von Gruppen.

Explanans: Darstellung Erkliirung I: Erkliirung Ill: dessen, was zur Erklarung

Strenger Beweis i. S. logi- Strenge Erklarung i. S. zusatzlich benotigt wird. scher Deduktion aus Theo- logischer Deduktion aus

Strikte Erkliirung remen und Definitionen. Hypothesen und Annah-men mit expliziter Hypo-thesen- und Annahme-formulierung.

Erkliirung II: Erkliirung IV:

Didaktische ErIauterung Erkliirungsskizze i. S.

Skizzenartige Erkliirung an konkreten Modellen einer groben Angabe von und Veranschaulichungen. Bedingungen, die zur Ent-

stehung des Verhaltens gefUhrt haben (konnen).

Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik kann sich auf die Rekonstruktion der Erkliirungen von Schiilern und Lehrern im Sinne von Erkliirungen II beziehen, dabei die Diehte ihrer Vernetzungen, ihre Einfaehheit und Verstandliehkeit, aber aueh ihre Defizite und systematisehe Fehler feststellen. In diesem Rahmen sind dann die "Ursachen l " von Schiilerfehlern false he Annahmen, die dann in der Regel konsequent angewendet werden und u. U. bei vielen Aufgaben zu riehtigen Losungen fUhren. Empirisehe Forsehung kann sieh auch auf die Entstehungsbedingungen von bestimmten AuJgabenLOsungen oder von Erkliirungen II und damit u. a. auch von systematischen Feh/ern beziehen. Forschung mit diese'm Ziel ist hypothesenpriifende Forschung und bezieht sich auf den Erklarungsbegriff III, "Ursachen2" beziehen sich dabei vor allem auf Bedingungen des

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vorangegangenen Unterrichts zusammen mit den kognitiven Voraussetzungen der Schtiler.3

Erklarungen III sind somit von der Feststellung von systematischen Fehlern abzugrenzen (vgl. Abschnitt 2.2). Sie enthalten Hypothesen, die sich durch Bedingungsvariation und nachfolgender Feststellung der eingetretenen Effekte prtifen lassen (vgl. Abschnitt 2.3 und 2.4). Dabei erscheint besonders wichtig, daB die in Hypothesen implizierte zeitliche Abfolge bei der Priifung berticksichtigt wird (prospektive vs. retrospektive Forschung, vgl. dazu Abschnitt 2.4).

2.2 ErkIarung vs. Beschreibung von Verhaltensweisen, Kenntnissen, Strategien

Beschreibungen der Verhaltensweisen, Strategien und Einstellungen von Schiilern, auch wenn sie sehr detailliert und genau sind, erklaren nicht die Entstehung dieser Verhaltensweisen, Strategien und Einstellungen. Soweit man von ErkIarungen sprechen kann, handelt es sic,h um Erklarungen II, also um mehr oder weniger stimmige Begrtindungen und Erlauterungen zu mathematischen Begriffen und Verfahrensweisen. Nehmen wir dazu ein Beispiel aus der schriftlichen Subtraktion mit mehrfachem Ubertrag:

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444 Man Hinnte hier zunachst feststellen, daB der Schiiler die schriftliche Subtraktion mit Ubertrag nicht beherrscht. Man kCinnte diesen Fehler auch genauer kennzeichnen, indem man konstatiert, der Schi.iler bilde immer nur die Differenz zwischen Einern, Zehnern und Hundertern, ohne dabei zu berticksichtigen, welche Zahl bei der Subtraktion von welcher Zahl abzuziehen ist. Dies ist ohne Zweifel eine gcnauere Beschreibung des Fehlers, und eine solche genauere Diagnose ist wichtig, bevor gezielte lernpadagogische MaBnahmen ausgewahlt werden konnen. Auch wenn man den Fehler als systematische Fehlerstrategie genauer eingegrenzt hat, hat man damit weder erklart, wie dieser Fehler entstanden ist bzw. welche konkreten Bedingungen bei diesem Schiiler zu diesem Fehler bzw. dieser Fehlerstrategie gefiihrt haben, noch durch welche MaBnahmen dieser systematische Fehler korrigiert werden kann. Unter Umstanden wird der Schiiler im Rahmen eines klinischen Interviews in der Lage sein, genauer darzulegen, welche Bedingungen seiner Meinung nach zu diesem Fehler gefiihrt haben, aber es ist sehr unwahrscheinlich, auf diese Weise eine prazise Auskunft tiber das Zustandekommen des Fehlers zu erhalten. Dies nicht nur deshalb, weil yom SchUler dabei verlangt wird, sich an Ereignisse zuriickzuerinnern, die moglicherweise Wochen oder Monate zurUckliegen,

3 Es ist mtiBig, sich dariiber zu streiten, welcher Begriff von Ursache richtig ist. U. U. ware es am sinnvollsten, auf den Ursachenbegriff ganzlich zu verzichten und stattdessen in dem einen Fall von systematischen Fehlern oder Fehlannahmen, in dem anderen Fall von Entstehungsbedingungen zu sprechen. Wichtig erscheint mir nur, daB man beide Auffassungen auseinander halt.

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sondern auch, weil Schi.iler mit der konkreten Darstellung von Bedingungen und Umstanden des Lernens liberfordert sind.

Es ist nicht ohne Weiteres maglich, vom mangelnden Verstiindnis des Schillers Schlilsse auf einen Unterricht zu ziehen, der diese Verstandnisschwierigkeiten abbaut (vgl. Wellenreuther 1986). Die Schwierigkeiten eines solchen SchlieBens wird durch folgendes Rollenspiel verdeutlicht. Ein "Bug" ist hierbei ein systematischer Fehler eines Schi.ilers. .

" .. einer von uns - ein e1jahrener Lehrer - wurde in den Begriff des Bugs durch etwas Rollenspielen eingefilhrt. Ein AndereI' von uns - e1jahren mit kognitiver Forschung - gab VOl', ein "buggy" Schiller zu sein. Del' Lehrer tat, was er normalerweise im Unterricht tat. Als er sah, dajJ del' Schuler ein Problem mit del' Subtraktion hatte, versuchte er Ilicht, den Bug zu identiJizieren und direkt iiber ihn zu sprechen. Er stellte eher Frage~, lIlJl herauszufinden, ob del' Schiller die Prinzipien verstalld, die del' Subtraktion zttgrunde lagen und griff auf Dienes-Blacke zuriick, lim den Schiller dazu zu bekommen, seine Fehler zu sehen und sie zu korrigieren. Del' Schiller sagte, er verstilnde die Subtraktionsmanipulationen. Er sagte auch, wie die Manipulationen mit Dienes-BLOcken (Austausch eines Quadrats fill' fO Zehner etc.) del' Prozedur des Leihens im Subtraktionsalgorithmus entsprach. Abel' wenn er den Algorithmus wieder ausfilhrte, machte er wieder denselben Fehler wie zuvor. Er sagte: <Jeh sehe, was du sagst, und ich denke, ich mach das, was man von mil' erwartet, abel' dalln sagst du mil', dajJ es falsch ist.> Die beiden waren in eine Sackgasse geraten. Dem Schiller zu zeigen, wie alles zusammenpajJte, war nicht genug; er harte, was del' Lehrer sagte, abel' wei! er es auf seine Weise interpretierte, niltzten die Erkliirungen des Lehrers nichts. "(Maurer 1987, S.174, Ubers. M.W.)

Statt Schi.iler nach ihren Erlauterungen und ErkIarungen z. B. mit Hilfe der Methode des lauten Denkens zu fragen, konnte man nach Unterrichtsklassen fahnden, in denen solche systematischen FehIer sehr haufig bzw. sehr selten auftreten. Man konnte nun erste Hinweise auf mogliche Ursachen fUr das Auftreten dieser FehIer finden, wenn man die Lehrer liber den vorausgegangenen Unterricht befragt. Allerdings haben Lehrer auch systematische Erinnerungsliicken und erinnern ihre Unterrichtswirklichkeit anders als sie tatsachlich war. Deshalb ware es u. U. sinn voller, den Unterricht dieser Lehrer in den folgenden Iahren zu beobachten, wenn wieder das Thema "schriftliche Subtraktion" behandelt wird. Solche Untersuchungen wurden schon, wenn auch mit dem Auswahlkriterium "Experte vs. Novize", von Leinhardt (1989) durchgefiihrt.

Die Unterscheidung zwischen Deskription (von Diagnose sollte man hier vielleicht nicht sprechen) einerseits und Erklarung durch genaue Darlegung der Entstehungsbedingungen andererseits wird auch von Van Lehn in einem Aufsatz vorgenommen, in dem zentrale Annahmen der Repair- Theorie von Brown & Van Lehn (1980) diskutiert werden. Er fUhrt hier aus (Van Lehn 1986, S. 135):

"Es ist wichtig zu betonen, dajJ Bugs nul' eine Kennzeichnung fill' systematische Fehler lIlld keille Erkliirung sind ... Wenn man Bugs zusanunenstellt, stellt sich unvermeidlich die Frage, warum diese Bugs existieren. Es gibt eine unelldliche Anzahl moglicher Bugs; warum erwerben Schiller nul' manche von diesen? Einen Weg, diese Frage zu beantworten, besteht darin, eine Theorie ilber die Entstehung del' Bugs zu entwickeln. Solch eine Theorie so lite genau erzeugen (vorhersagen), welche Bugs auftreten und

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welche nicht. Der Weg, der einen Bug hervorbringt, bildet die Erklarung fur die Existenz des Bugs." CObers. M. W.)

Van Lehn diskutiert dann drei Hypothesen iiber die Entstehung der Bugs:

Die lnduktionshypothese (5.133): Arithmetisches Lemen findet durch Induktion statt, d. h. durch die Verallgemeinerung und Integration von Beispielen. Wenn ein Lehrer eine Subtraktionsaufgabe an dey Tafel behandelt, wird das Beispiel durch die Schreibhandlungen der Subtraktionsprozedur definiert. Das meiste induktive Lemen findet jedoch statt, wenn die SchUler selbst an entsprechenden Aufgaben arbeiten, bei Problemen SchUler oder Lehrer urn Hilfe bitten oder im Schulbuch nachsehen.

Das "folk model", oder "learning-by-being-told" (5. 134): Danach wird angenommen, d<!B verbale Erklarungen die Informationen zur VerfUgung stellen, von denen die SchUler ihre Prozeduren lemen.

Die Analogie-Hypothese: Wissen wird von einem Bereich auf den Zielbereich iibertragen. SchUler werden zum Beispiel darauf gedrillt, Zusammenhange zwischen geschriebenen Zahlen und konkreten Reprasentationen von Zahlen herzustellen. Das Wissen, das sie an hand des konkreten Materials erworben haben, sollen sie auf die geschriebenen Zahlen iibertragen. Man kann z. B. die schriftliche Subtraktion durch Dienes-Blocke nachbilden lassen, urn danach jeweils parallel das schriftliche Verfahren durchzufiihren (vgl. Resnick & Omanson 1987).

2.3 Eine Erklarungsskizze fUr Lernschwierigkeiten im Mathematikunterricht

Durch die folgende Erklarungsskizze (im Sinne von Erklarung IV), die sich auf den psychologischen Rahmen einer Erklarung konzentriert und die mathematische Seite ausblendet, soil die Rolle empirisch iiberpriifbarer Hypothesen auch in der empirischen Mathematikdidaktik verdeutlicht werden. Sie soli als Beispiel fUr eine grobe Erklarung dienen. In soleh einer Erklarungsskizze werden erste Vermutungen zusammengestellt, welehe Bedingungen zu einem gegebenen Zustand gefUhrt haben konnten. Dabei sollen vor all em solche Bedingungen ins Auge gefaBt werden, die beeinfluBbar und variierbar sind und die m. E. die Vermittlung mathematischer Inhalte vorrangig steuem. Unter diesen Aspekten ist an das konkrete Unterrichtsverhalten des Lehrers, z. B. die Art und Weise, wie er die Inhalte erklart sowie an die eingesetzten didaktischen Hilfsmittel (z. B. Schulbuch) und ihre Verwendung zu denken.

Bei einer Untersuchung zum Thema "Kenntnisstand und Verstandnis in der Bruchrechnung" stellten wir in den untersuchten C- Kursen katastrophale Ergebnisse fest. Es gab allerdings eine Ausnahme: Ein C- Kurs hatte vergleichsweise gute Ergebnisse aufzuweisen.4 Damit war eine mogliche Erklarung der negativen Ergebnisse

4 Bei der folgenden Erklarungsskizze handelt es sich urn reine Vermutungen, die nicht empirisch iiberpriift wurden. Man kann sich sowohl fragen, ob die Erklarungsskizze die wichtigsten moglichen Ursachen fUr den Leistungsunterschied benennt (Frage der

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ausgeschlossen, nach der C- Kursschi.iler Kenntnisse in der Bruchrechnung mit einem gewissen Verstandnis nicht erwerben konnen, weil sie von ihren Fahigkeiten dazu nicht in der Lage sind. Das Erklarungsproblem hier ist somit: Warum gelingt die Vermittlung dieses Themas in einem Kurs, und in allen anderen untersuchten Kursen nicht? Zu erklaren ist hier also der festgestellte Leistungsunterschied zwischen dem einen C- Kurs und den anderen C- Kursen. Dazu werden verschiedene Hypothesen vorgeschlagen, die jeweils kurz erlautert werden.

I. ie verstandlicher Inhalte schriftlich oder miindlich erkLart werden, desto Leichter erlernt der Schiller diese, d. h. umso besser gelingt ihm eine melltale Repriisentation der ZlI lemenden InhaLte.

Erlauterung: Verstandlieh ist eine Erklarung dann, wenn sie in sich koharent ist, d. h. z. B., yom SchUler moglichst wenige zusatzliche Folgerungen abverlangt (vgl. Britton & Gulgoz 1991 sowie Glowalla u. a. 1993, Kintseh 1994, Kintsch u. a. 1993; McKoon & Ratcliff 1992). Bei koharenter Abfolge der Aussagen eines Textes sind die zentralen Aussagen, die zu erlautern sind, fUr den SchUler deut1ich erkennbar, die Aussagen sind auBerdem dadurch leicht naehvollziehbar, weil z. B. die Aussagen sinnvoll durch Argumentiiberlappung aufeinander bezogen sind; aile den Gegenstand betreffenden Aussagen werden so formuliert, daB der Leser oder Zuhorer nicht erst durch zusatzliche Inferenzen Koharenz herstellen muB. Ein verstandlicher Text muB die zentralen Aussagen zum Gegenstand enthalten und an konkreten Beispielen und Veranschauliehungen erlautern, folgerichtig aufgebaut sein, dem SchUler gebrauchliche Begriffe verwenden, Fachbegriffe durch gebrauchliche Begriffe und durch konkrete, bekannte Modelle bzw. Reprasentationen erHiutern. Erlauterungen sind auch dann verstandlicher, wenn sie in gewissem Umfang redundant sind und mehrfach in unterschiedlicher Verdichtung (anfangs weniger, bei Zusammenfassungen mehr) dargeboten werden: In EinfUhrungen, wahrend der U~sung von Aufgaben, bei GegenUberstellungen bzw. Begriffsabgrenzungen sowie in Zusammenfassungen an einfaehen Beispielen und Gegenbeispielen (in der Bruchreehnung z. B. anhand von Kuehen und Pizzas).'

DcmgegenUber neigen bei sehwaeheren SehUlern mane he Lehrer dazu, Rezepte bzw. syntaktische Regeln zu vermitteln, die selbst nieht weiter erkIart werden.

Vol1standigkeit der Hypothesenliste), als aueh we1che der aufgefUhrten Bedingungen am starksten den Leistungsunterschied bedingt hat.

" Der Autor weiB aus eigener leidvol1er Erfahrung bei der Entwicklung von Lehrtexten zum Thema "Grundlagen der Bruchrechnung" und "Rechnen mit BrUchen", wie sehwierig die Umsetzung so1cher Kriterien in der Praxis ist und wie sehr diese Umsetzung auf Kritik und konkrete UnterstU.~zung anderer angewiesen ist (vgl. Wel1enreuther 1994 sowie Wellenreuther 1996). Ahnliche Schwierigkeiten dUrften aueh viele Lehrer mit der Entwicklung verstandlicher mUndlicher Erklarungen haben, solange sic nicht durch entsprechend verstandliche Unterrichtsmittel bei der Entwicklung schi.ilergemar~er ErkIarungen unterstiltzt werden.

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2. Je starker Schiller durch entsprechende Fragen und Aufgabenstellungen des Lehrers angeregt werden, mathematische Sachverhalte z. B. an Veranschaulichungen sich selbst oder anderen Schillern zu erkliiren, umso besser konnell sie sich die zentralen Inhalte einpriigen.

Erlauterung: SchUler, die durch einen mathematisch argumentativen Unterricht sowie dureh Verstandnisaufgaben zum Wiederholen von BegrUndungen sowie zur Entwicklung von Beweisskizzen angeregt werden, lernen eher die zentralen Ideen, Begriffe und mathematischen Zusammenhange, sie erhalten dadurch vor all em Hilfen zur Integration, Verdichtung und Prazisierung des mathematischen Wissens.

Vermutlich tendieren Lehrer von C- Kursen eher dazu, statt soIcher Aufgaben viele Ubungsaufgaben nach direkt vorher eingeUbten Losungsverfahren bearbeiten zu lassen.

3. Je genauer die stofflichen Anforderungen den individuellen Moglichkeiten der Schaler entsprechen, desto groJ3er ist der Lerne1iolg der Schaler.

Erlauterung: Die Fachleistungsdifferenzierung' im Fach Mathematik an den Orientierungsstufen in Niedersachsen orientiert sich am Prinzip der Durchlassigkeit der Kurse. Viele Lehrer interpretieren dies so, daB moglichst viele der Inhalte, die in den A­Kursen behandelt werden, auch in den C- Kursen behandelt werden mUssen. Da dadurch standig neue LUcken bei den schwachen SchUlern entstehen, werden diese noch weniger lernen und behalten konnen, als bei souveraner Reduktion des Stoffplans auf das Wesentliche moglich ware.

4. Wenn Lehrer die in einem Schulbuch stehenden schriftlichen Erkliirungen selbst ausfiihrlich miindlich erliiutern oder zum Nachlesen schriftlich in einer Weise ergiinzen, daJ3 der Schiller sie durch Lesen nach der Erkliirung im Unterricht verstehen kann, wird der Lernerfolg hoher sein als wellll er das ullterliiJ3t.

Erlauterung: FUr SchUler ist m. E. eine schriftliche Grundlage zur Erinnerung an das Wesentliche wichtig. FUr lernschwache SchUler sind die sprachlichen Erlauterungen in SchulbUchern zu knapp, urn mit ihrer Hilfe eine zusammenhangende zutreffende Rekonstruktion des mathematischen Sachverhalts leisten zu konnen.

Vermutlich werden Lehrer von C- Kursen die schriftlichen Erklarungen im Schulbuch weder schriftlich (z. B. an der Tafel) noch mUndlich so erganzen, daB der SchUler Begriffe und Zusammenhange selbst rekonstruieren kann.

Die obige Erklarungsskizze bezieht sich auf "lernschwache SchUler in C- Kursen", und nicht auf einen besonderen SchUler. Die formulierten Aussagen sind in dieser Form noch nicht direkt empirisch UberprUfbar; die zentralen Begriffe mUBten noch genauer interpretiert und prazisiert werden. Folgende Punkte erscheinen mir auBerdem noch wichtig:

• Die Erklarungsskizze hat rein tiktiven Charakter. Ich behaupte nicht, daB ich aile relevanten Hypothesen genannt habe. Aufgabe einer soIchen Erklarungsskizze ist, sich Uber die nach eigenem Kenntnisstand wichtigsten potentiellen EinfluBgroBen klar zu werden.

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• Die Erklarungsskizze ist nicht inhaltsspezifisch, sondern beriicksichtigt nur die psychologische Seite einer Erklarung. Sie ist deshalb schwer auf eine konkrete Situation anwendbar. Urn sie anwenden zu konnen, miissen zusatzlich fachliche Fragen geklart werden (z. B. Zusammenstellen der verschiedenen moglichen. Erklarungsansatze und Diskussion ihrer fachlichen Angemessenheit, Auswahl moglicher didaktischer Hilfsmittel, Priifung der Frage, welche Begriffe, Kenntnisse etc. bei den Schiilern schon vorhanden sind u.a.m.).

• Auch wenn man annimmt, daB die genannten Hypothesen Faktoren benennen, die fUr eine Verbesserung der Lernbedingungen lernschwacher Schiiler wichtig sind, bleibt unklar, in welcher Weise diese Faktoren in der Praxis beriicksichtigt werden konnten. Man kann z. B. in der Lehreraus- und Weiterbildung ansetzen und Lehrer dazu trainieren, selbst bessere miindliche und schriftliche Erklarungen anzubieten, man kann fUr die Grundschule Lehrerbiicher entwickeln, in denen zu den verschiedenen Inhalten empirisch gepriifte Erklarungen schriftlich vorgestellt und begriindet werden, man kann die Erklarungen in Schulbiichern verbessern oder der Lehrer lernt gemeinsam mit den Schiilern, Erklarungen zu entwickeln und aufzuschreiben, die die Schiiler verstehen (vgl. Gallin & Ruf 1993).

• Die Erkliirungsskizze beriicksichtigt die individuellen Voraussetzungen der Schiiler insofern, als Verstandlichkeit immer auf die Lerngeschichte des Schiilers, auf die ihm mehr oder weniger gelaufigen Begriffe sowie auf seine Moglichkeiten, neue Inhalte aufzunehmen und zu integrieren, zu beziehen ist. Dennoch bleiben viele Punkte offen, weil im konkreten Fall nicht immer klar ist, was es heiSt, an den Begriffen und Verstandnisweisen der Schiiler anzusetzen.

So kann zum Beispiel als ein Problem angesehen werden, wie die kognitiven Fahigkeiten und Fertigkeiten die Moglichkeiten konzeptuellen Verstehens bedingen. Ein Beispiel aus der Grundschule sind Vorschriften, Aufgaben zur Addition und Subtraktion in einer bestimmten methodisch-didaktischen Weise zu losen (z. B. zuerst Zergliedern in Hunderter, Zehner und Einer und dann sukzessive addieren bzw. subtrahieren). Man erhofft sich durch solche Ubungen, eine tiefere Einsicht in die Struktur des dezimalen Zahlensystems zu fordern. Empirische Untersuchungen lassen allerdings einige Zweifel autkommen, ob solche Gliederungsiibungen helfen, bevor nicht ein MindestmaB an Rechenfertigkeit vorhanden ist (vgl. dazudie Forschungen von Siegler, Stern, Carpenter & Fennema sowie von Fuson). Danach ist eine hohe Sicherheit des Rechnens eine wichtige Voraussetzung, urn iiber die Methode des Rechnens retlektieren zu konnen. Iedenfalls liegen hier im Zusammenh~mg von stoftlichem und methodischem Angebot noch viele Probleme, die durch ein Bemiihen urn verstandliches Erklaren im Unterricht noch nicht gelOst sind.

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196 M. Wellenreuther

2.4 Die strenge Priifungvon Hypothesen bei prospektiven und retrospektiven Untersuchungen

Hypothesen, die fUr ErkHirungen der Verhaltensweisen und Kenntnisse von Schiilern im Sinne von Erklarungen III sowie fUr die Entwicklung technischer Entwicklungen (Entwicklungsforschung) benotigt werden, stell en den Kern realwissenschaftlicher Erkenntnisse dar. Durch eine strenge Priifung kann die Wahrheit dieser Aussagen beurteilt werden.

Hypothesen lassen sich haufig als statistische Allaussagen deuten. Ais Beispiel soli folgende Hypothese dienen:

Je starker sprachliche Erliiuterungen an Begriffe des SchWers anschlieJ3en, desto groJ3er ist die Wahrscheinlichkeit des Lernens der vermittelten Inhalte.

Eine so1che statistische Allaussage ist als Prognose iiber die Veranderung eines Parameters eines jeden Individuums, auf die sich die Hypothese bezieht, interpretierbar: Wenn die im Bedingungsteil der Hypothese genannte Bedingung zum Zeitpunkt t, realisiert wird, dann wird spater zum Zeitpunkt t2 eine Veranderung in dem Parameter festzustellen sein, wobei gewisse Fehlerschwankungen zu beriicksichtigen sind (vgl. Gadenne 1976, S. 72 f. und Bredenkamp 1980).

Unter einer strengen Priifung einer Hypothese ist eine prospektive empirische Priifung zu verstehen, bei der zuerst die Bedingung realisiert wird und danach einmal oder mehrfach festgestellt wird, ob die prognostizierte Konsequenz auch eingetreten ist.

Eine strenge Priifung hat also

I. den tatsachlichen zeitlichen Ablauf der Ereignisse durch eine geeignete Versuchsplanung (zuerst Realisierung der fraglichen Bedingung, danach Messung der Effekte) zu beriicksichtigen.

2. Aile alternativen Erkliirungen sind durch Techniken wie Verwendung von Kontrollgruppen mittels Randomisierung oder Parallelisierung moglichst auszuschlieBen (vgl. Campbell und Stanley 1963).

Ferner sollte gewahrIeistet sein, daB die fragliche Bedingung val ide operationalisiert wurde. Und es soil ten die Effekte durch MeBinstrumente erfaBt werden, die im Hinblick auf Reliabilitat und Validitat optimiert wurden.

Eine strenge Priifung _von Hypothesen erfordert prospektive Untersuchungen. In prospektiven Untersuchung wird die zeitliche' Relation in der Untersuchung so beriicksichtigt, wie sie in der Hypothese behauptet wird (Wenn Bedingung A gegeben ist, dann wird Wirkung B eintreten). Die prospektive Untersuchung par excellence ist das Experiment; ein anderes Beispiel fUr eine prospektive Untersuchung ist die Uingsschnittuntersuchung, bei der die natiirliche Variation von Bedingungen im sozialen Feld analog zur variierten Bedingung im Experiment zuerst ermittelt wird, urn danach zu priifen, ob die prognostizierten Wirkungen eingetreten sind. Ein Beipiel fiir eine so1che prospektive Untersuchung ware die Verfolgung eines Jahrgangs seit seiner Geburt. Kurz nach der Geburt wird der physische, psychische und kognitive Entwicklungsstand zusammen mit der ~zialen Lage erfaBt. Danach wird zu verschiedenen Zeitpunkten der

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Methodenpluralismus in der Mathematikdidaktik 197

Entwicklungsstand zusammen mit den fur die Fragestellungen der Untersuchung entscheidenden Bedingungen (z. B. Ehekonflikte) gemessen. Durch solche prospektiven Untersuchungen kann man am besten klaren, wieweit z. B. Schadigungen von Kindern, die nach vollzogenen Scheidungen festgestellt werden konnen, auf Entwicklungsstorungen bei Geburt, auf Kontlikte in der Familie zu Zeiten, als diese "intakt" war, oder auf die Scheidung als abschlieBendem juristischem Akt zuruckzufUhren sind (vgl. Cherlin u. a. 1991).

1m AnschluB an Campbell und Stanley (1963) wird in der Literatur haufig zwischen interner und externer Validitat unterschieden.

Interne Validitiit: Bei der internen Validitat geht es im Wesentlichen urn den AusschluB alternativer Erklarungen im Sinne von Bedingungen, die auch allein den erzielten Effekt hervorgebracht haben konnten. Die wichtigste Kontrolltechnik ist hier die Ralldomisierung (Zufallsaufteilung von Versuchseinheiten auf die Versuchs- bzw. Kontrollgruppen); in Langsschnittsuntersuchungen wird dafUr die Parallelisierung verwendet (Bildung von Vergleichsgruppen, die in Bezug auf relevante Merkmale vergleichbar sind).

Externe Validitiit: Externe Validitat bezieht sich nach Campbell und Stanley auf die Frage del' Ubertragbarkeit experimenteller Befunde auf die Wirklichkeit bzw. auf die Verallgemeinerbarkeit von empirischen Daten auf die Wirklichkeit. 1m Rahmen einer deduktiven Methodologie laBt sich die externe Validitat als Problem deuten, ob der variierte Faktor allein oder Ilur zusammen mit eillem oder mehreren anderen Faktoren die erzielten Ergebnisse erbracht hat (vgl. Gadenne 1976). So stellt sich in der Mathematikdidaktik z. B. die Frage, ob bestimmte GesetzmaBigkeiten fUr aile Inhalte oder fUr aile Schi.ilergruppen oder nur bezuglich bestimmter Teilgruppen (z. B. Lernschwache) zutreffen. Untersuchungen von Mannes & Kintsch (1987) deuten z. B. darauf hin, daB "advance organizer" bei kenntnisreichen Personen ganz anders zu strukturieren sind (nicht zum Haupttext direkt passen mUssen) aIs bei weniger kenntnisreichen Personen. Zur Kontrolle der externen Validitat gibt es keine Techniken wie z. B. Randomisierung oder Zufallsauswahl, die eine hohe externe Validitat verbUrgen. Man kann nur Replikationen der Untersuchung in verschiedenen Situationen oder bei verschiedenen Populationen durchfUhren, urn dadurch zu demonstrieren, daB auch dann die geprufte Hypothese gtiltig ist.

Ftir die Gute einer hypothesenprtifenden Untersuchung ist ihre interne Validitat von ausschlaggebender Bedeutung. Auf Probleme der Mathematikdidaktik angewendet bedeutet dieses Problem der internen ValidiUit, in welchem MaBe eindeutig geklart werden kann, ob bestimmte Bedingungen (z. B. Erklarungsweisen) AI, A2, A3 usw. zu bestimmten Wirkungen (z. B. Verstehensweisen) B 1, B2, B3 usw. gefUhrt haben. Eine strenge Prtifung ware am ehesten durch ein Experiment moglich, in dem z. B. 60 Klassen oder Kurse per Zufall auf zwei oder drei Versuchsgruppen aufgeteilt werden, die fragliche Beding,;,ng tiber eine bestimmte Zeit realisiert wird und danach u. U. mehrfach in bestimmten Zeitabstanden die Wirkungen gemessen werden (als Beispiel vgl. Carpenter u. a. 1989).

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Der experimentellen Vorgehensweise kann die Durchflihrung von Interviews nach dem U nterricht gegenlibergestellt werden. Konnen solehe Interviewdaten tatsachlich AufschluB geben liber "Handlungsmoglichkeiten, Vorstellungen, Wissen und Fahigkeiten" (3eck / Maier 1993, S. 158) im Unterricht? ,,Konnen Prozesse, die sich im Unterricht ereignen, in der nur bedingt vergleichbaren Interview-Situation rekonstruiert werden?"(ebd.) Vermutlich verlangt man hier vom Interview, auch wenn es noch so gekonnt durchgefilhrt, gedeutet und ausgewertet wird, zuviel. Sowohl das angesprochene Problem der internen Validitat als auch das Problem der Analogie zwischen Verstehensweisen im Unterricht und der nachfolgenden Rekonstruktion im Rahmen eines Interviews (der Zusammenhang von B 1 im Unterricht zu B l' im nachfolgenden Interview, B2 im Unterricht zu B2' im nachfolgenden Interview usw.) ist im Rahmen nachtraglicher Befragungen oder der Interpretation von Unterrichts-beobachtungen auBerhalb eines kontrollierten Experiments oder einer systematischen Uingsschnittsuntersuchung nicht losbar. Hinzukommen muB die gezielte Variation von Bedingungen (z. B. Unterrichtsmethoden) im Experiment, wobei diese Bedingungen zuerst variiert werden, und danach bei allen beteiligten Schlilern geprlift wird, welehe Wirkungen resultieren.

Die Prlifungssituation durch ein Experiment unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der Prlifungssituation im Rahmen einer Befragung, bei der von den Effekten (z. B. systematischen Fehlern) ausgegangen wird und retrospektiv nach den Ursachen der Fehler geforscht wird. Eine Priifung durch Ilachtriigliche Befragung der Personen stlitzt sich auf die subjektiven Erklarungen bzw. Deutungen der Befragten bzw. des Forschers, cler die Antworten der Befragten interpretiert. Es stellt sich clann die Frage, ob diese Erklarungen und Interpretationen zutreffen. U. U. haben bei anderen Personen, die diese systematischen Fehler nicht aufweisen, die gleichen Bedingungen gewirkt, und es bleibt unklar, welehe Bedingungen zusatzlich erforderlich sind, um cliese systematischen Fehler entstehen zu lassen.

1m Experiment werden dagegen die fraglichen Bedingungen zuerst realisiert und danach geprlift, ob der behauptete Effekt eingetreten ist. Dabei muB soweit irgend moglich sichergestellt werden, daB die variierte Bedingung und nicht irgendein anderer Faktor allein oder zusammen mit dem variierten Faktor zu den festgestellten Effekten gefilhrt hat. Solehe "Faktoren" werden haufig als Storfaktoren bezeichnet. Es gibt Listen mit solehen Storfaktoren, und die Technik der Versuchsplanung besteht dann darin, diese Storfaktoren zu berlicksichtigen und zu kontrollieren. Doch ist haufig nicht klar, welehe Storfaktoren im Rahmen einer konkreten Untersuchung tatsachlich wirksam sind. Dann ist erneut zu priifen, welehe Faktoren zusatzlich moglicherweise wirksam gewesen sind. Eine Liste mit Storfaktoren hilft deshalb nur sehr bedingt. 1m Rahmen eines Experiments sind die Moglichkeiten des Ausschlusses alternativer Erklarungen eher als in einer Querschnittsuntersuchung gegeben, auch wenn man nicht einmal bei Durchfilhrung eines Experiments sicher sein kann, aile potentiellen alternativen Erklarungen ausgeschlossen zu haben. Den Personen oder Versuchsgruppen konnen dabei die gepriiften Zusammenhange vollig unbekannt sein.

Eine Zusammenfassung dieser Argumentation findet sich in Ubersicht 2.

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Methodenpluralismus in der Mathematikdidaktik

Ubersicht 2: Priifmodelle zum Nachweis von "Ursache-Wirkungs­Zusammenhangen"

199

Das Experiment: 1m Vorhinein wird eine oder mehrere Hypothese(n) aufgrund eines genauen Literaturstudiums formuliert, so daB def gegenwartige Erkenntnisstand dabei beriicksichtigt wird. Fiir die Untersuchung wird dann die zu variierende Bedingung und die prognostizierte Wirkung "operationalisiert": Entsprechend der Hypothese wird eine Bedingung variiert: Au!, Au2·und Au3'

Es kann nicht A allgemein variiert werden, sondern nur jeweils eine bestimmte Interpretation von A.

Durch bestimmte Techniken (z. B. Randomisierung, Parallelisierung) soli erreicht werden, daB sich die Personen, die verschiedenen Bedingungen ausgesetzt werden, vor Einwirkung der variierten Bedingung nicht unterscheiden (G!eichheit der Ausgangsbedingungen). Auch zwischen Einwirkung der Bedingung und Messung der Wirkung sollen in den verschiedenen Gruppen moglichst keine unterschiedlichen Einfliisse wirken.

Danach wird die Wirkung Bu (abhangige Variable) einmal oder mehrfach hintereinander festgestellt.

Gruppe I Aul ---------------------> Bu

Gruppe 2 AU2---------------------> Bu

Gruppe 3 AU3---------------------> Bu .... usw.

tl ----------------------> t2 -------- t, -------- t4 -----

Bedingungen konnen hier ihre Wirkung entfalten, ohne daB die Versuchspersonen wissen, welche Bedingungen einwirken und welche Wirkungen erwartet werden.

Andere Priifmodelle: Andere Priifmodelle, die davon abzugrenzen sind, gehen von schon eingetretenen "Wirkungen" (Verhaltensweisen, Interaktionen) aus. Ursachen sollen im NACHHINEIN mit Hilfe von Deutungen dUrch den Befragten selbst oder durch Deutungen von Experten "gefunden" werden: Urn offen zu sein, werden keine Hypothesen vorab formu!iert.

Problematischc Voraussetzungen dieser Priifmodelle:

I. Der Befragte bzw. der Interpret kenne die Ursachen ~.zw. konne sie im Nachhinein herausfinden (giiltig deuten), das heiBt durch kritische Uberlegung dariiber entscheiden, welche Faktoren wirksam gewesen sind.

2. Da keine gezielte Bedingungsvariation stattfindet, kommen jeweils sehr viele alternative Erklarungen in Betracht. Nicht wie im Experiment nach erfolgter Bedingungsvariation festgestellte Wirkungen entscheiden iiber Annahme oder Ablehnung von Hypothesen, sondern Deutungen im Nachhinein - nachdem die Wirkungen festgestellt wurden.

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200 M. Wellenreuther

Es soIl hier gar nicht behauptet werden, daB Experimente aIle Giiltigkeitsprobleme bei der PrUfung von Hypothesen sofort und endgiiltig losen; sie sind nur besser geeignet als Befragungen oder Deutungen im Nachhinein: Wenn zu sHindig wechselnden Unterrichtsstunden jeweils andere Schiiler beziiglich ihrer Verstehensweisen befragt werden, und man von vornherein weiB, daB gleiche Erkl1irensweisen durchaus unterschiedlich von Schiilern verstanden werden, muB immer offen bleiben, welcher Anteil des Verstehens idiosynkratisch und welcher auf die spezifische ErkHirungsweise im Unterricht riickftihrbar ist. Dieses Deutungsproblem scheint mir nicht losbar zu sein, und deshalb hat man ja auch in der Psychologie experimenteIIe VersuchspHine entwickeIt, die eine Separierung von Fehleranteil (bzw. idiosynkratischem Anteil) und Anteil, der auf die variierten Bedingungen riickfiihrbar ist, erlauben.

Wie wichtig es ist, PrUfungen prognostisch im Rahmen prospektiver Untersuchungen durchzufiihren, und nicht durch retrospektive Befragungen, mag folgendes sozialwissenschaftliche Beispiel erlautern (vgJ. Quinton & Rutter 1988). Danach macht es einen grundlegenden Unterschied, ob im Nachhillein iiber mogliche Ursachen mit mehr oder weniger guten Griinden spekuliert wird oder ob gezeigt wird, daB die Variation bestimmter Bedingungen bestimmte Konsequenzen hat.

In der Arbeit von Quinton & Rutter ging es urn die Starke intergenerationeller Zusammenhange, in denen die Ergebnisse retrospekiver Forschung mit denen prospektiver Forschung verglichen wurden. Eine solche retrospektive Untersuchung liegt vor, wenn man Personen, bei denen bestimmte Probleme aumiIIig wurden, nach entsprechenden KindheitserIebnissen im Nachhinein befragt. Psychoanalytisch orientierte empirische FaIIanalysen stiitzen sich in groBem Umfang auf solche retrospektive Forschungen, indem Patientenstichproben nach frtiheren Kindheitserlebnissen befragt werden. Auch in Fehleranalysen, die ihre Stiehproben naeh aufgetretenen systematisehen Fehlern zusammenstellen (also naeh bereits eingetretenen Effekten), arbeitet man in gleieher Weise retrospektiv.

Quinton & Rutter untersuehten das Problem der Erziehungsunfahigkeit ("parenting breakdown"). Auf ihre Untersuchung will ieh nun etwas genauer eingehen (vgJ. Ubersieht auf der folgenden Seite).

In beiden Teilstichproben wurden Vergleichsgruppen gebildet, wobei diese "Vergleichsmiitter" in bezug auf sonstige Lebensbedingungen vergleichbar waren. Die Funktion solcher Vergleichsstichproben Iiegt in der Moglichkeit, dadurch eine Reihe alternativer Erklarungen ausschlieBen zu konnen; allerdings muB die Vergleichsgruppe dann auch in relevanten Aspekten vergleichbar sein. In der prospektiven Untersuchung erlaubt eine Vergleichsgruppe, die in soziookonomischen Aspekten der "Versuchsgruppe" vergleichbar ist, eine Isolation des Faktors "parenting breakdown" .. Durch eine solche gezielte Versuchsplanung konnten sich die Forscher vor vorschnellen Verallgemeinerungen schUtzen; sie hatten z. B. der Tatsache Rechnung zu tragen, daB auch in den Vergleichsgruppen in groBerem Umfang Probleme aufgetreten sind und hier ja zuvor kein "parenting breakdown" aufgetreten war. Dies zwang zu genaueren Uberlegungen, wie sich die Heimunterbringung wohl konkret ausgewirkt hat

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(prospektive Untersuchung) bzw. wie die Kumulation gegenwartiger und fruherer negativer Erfahrungen zusammenwirkt (retrospektive Untersuchung).

Retrospektive Untersuchung

Versuchs- und Vergleichsgruppen: An der retrospektiven Untersu­chung nahmen 48 "in care"­Familien mit Kindern im Alter von 5 - 8 Jahren teil. In diesen Familien wurde zum zweiten Mal eine Heimunterbringung der Kinder wegen Erziehungsunfahigkeit der Eltern erforderlich. Zu dieser Gruppe wurde eine Ver­gleichsgruppe von 47 Familien aus der gleichen Region (lnnenstadt­bezirke von London) gebildet. Die Mutter wurden retrospektiv zu den Bedingungen in ihrer Kindheit befragt.

Ergebnis: Fast jede in care-Familie berichtete von schwerwiegenden Belastungen in der Kindheit (AlkoholmiBbrauch der Mutter, Vernachlassigung, MiBbrauch, standige Streitigkeiten der Eltern, Heimeinweisung). Ein Viertel der Miitter war friiher selbst in Heimen, verglichen mit 7 % in der Vergleichsgruppe. Obwohl die Widrigkeiten der Kindheit bei jedem Aspekt in den in care­Familien haufiger als in den Vergleichsgruppen anzutreffen waren, war erstaunlich, daB viele Probleme auch in den Vergleichs­gruppen in gewissem Umfang festzustellen waren.

Prospektive Untersuchung

Versuchs- und Vergleichsgruppen: Die prospektive Untersuchung setzte sich aus 93 jungen Frauen zusarnmen, die in ihrer Kindheit zeitweise wegen Erziehungsunfahigkeit ihrer Eltern in einem Heim untergebracht werden muBten (ex care- Familien). Auch hierzu wurde eine Vergleichsgruppe von 51 Frauen gebildet (Quasi­Zufallsstichprobe aus den gleichen Stadtbezirken). Untersucht wurde das aktuelle Erziehungsverhalten dieser ehemaligen "Heimmutter" im Vergleich zu den Kontrollmuttern.

Ergebnis: Etwa 40 % der ex- care­Mutter zeigte ein problematisches Erziehungsverhalten, verglichen mit 10 % in der Vergleichsgruppe. Bei immerhin 31 % der ex-care -Mutter wurde die Qualitat der Versorgung und Erziehung der Kinder als gut eingeschatzt.

Von den ex-care -Miittern waren schon 42 % bis zum Alter von 19 Jahren schwanger, in der Vergleichsgruppe lag der entsprechende Prozentsatz bei 5 %, bei 35 % der ex-care Miitter konnte ein "parenting breakdown" festgestellt werden, bei einem Funftel der ex- care Mutter war eine zeitweilige oder langere Unterbringung von Kindern in Heimen oder Pflegefamilien erforderlich.

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Interpretation: "Obwohl die Erzie­hungsfahigkeiten selbst sicherlich durch Kindheitserfahrungen ge­pragt werden, wird das AusmaB der Schwierigkeiten im Erwachsenenalter in gleichem MaBe durch gegenwartig bestehende personale und soziale Benachteiligungen bestimmt wie durch friihe Erfahrungen." (Quinton / Rutter 1988, S. 53).

M. Wellenreuther

Interpretation: "Man konnte sich leicht zu einer allgemeinen Aussage hinreiBen lassen, z. B. daB iiber ein Drittel der Eltern, die friiher im Heim gewesen waren, wieder durch die schlechten Kindheitserfahrungen schlechte Eltern sind ... Aber solche Folgerungen sind in hohem MaBe irrefUhrend .. Dies deshalb, weil der Umfang der Kontinuitat in der personlichen Funktionsweise in starkem MaBe davon abhangig ist, wie die Kontinuitaten in den Umstanden und Umwelten sind ..... " (S. 200)

Es ist offensichtlich, daB die retrospektive Untersuchung zu anderen theoretischen Uberlegungen verleitet als die prospektive Untersuchung. Wahrend die retrospektive Untersuchung die Annahme anscheinend stiitzt, daB ein bestimmtes Kindheitsschicksal unabanderlich schicksalhafte Konsequenzen hat (vor allem, wenn man die Ergebnisse in der Vergleichsgruppe vollig vernachlassigt), lenkt die prospektive Untersuchung den Forscher zur Untersuchung der Frage, unter welchen Umstanden ein "Wiederholungszwang", in der nachfolgenden Generation besteht. Hatte man nur die in­care Gruppe von Miittern retrospektiv befragt, hatte man die Bedeutsamkeit aversiver Pamilienbedingungen viel stiirker gewichtet: Die Miitter, die trotz vergleichbarer aversiver Bedingungen in der Kindheit zu "guten" Miittern werden, hatte man ja gar nicht in der Stichprobe beriicksichtigt. In der Mehrzahl der Faile wiederholt sich ja das Kindheitsschicksal nicht, und auch dies gilt es zu erkIaren (vgl. dazu Quinton / Rutter \988). .

Die Untersuchung von Quinton & Rutter (1988) demonstriert eindriicklich, wie bedeutsam versuchsplanerische Uberlegungen fUr empirische Forschung sind. Die retrospektive wie auch die prospektive Untersuchung versuchte, die Frage nach der Weitergabe der Erziehungsunfahigkeit von Generation zu Generation zu beantworten. Die Ergebnisse der retrospektiven Untersuchung iiberzeichnen diesen Zusammenhang so stark, daB sie zu falschen Folgerungen verleitet. Nur die prospektive Untersuchung bietet eine gewisse Gewahr fUr angemessene Schliisse.

Auch in der Mathematikdidaktik kann man sich vergleichbare retrospektive und prospektive Untersuchungen vorstellen.

Eine Untersuchung konnte der Frage nachgehen, wieweit Schiiler, die in der Grundschule schon Schwierigkeiten in Mathematik hatten, auch spater noch solche Schwierigkeiten haben. In dem retrospektiven Teil der Untersuchung wiirde die Ausgangsstichprobe aus Schiilern z. B. der 10. Klasse bestehen, die gravierende Schwierigkeiten in Mathematik haben und man wiirde im Nachhinein priifen, wie die Leistungen dieser Schiiler z. B. in der vierten Klassenstufe waren und welche Bedingungen zwischenzeitlich gewirkt haben.

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Eine so\che nachtragliche Erfassung von Bedingungen ware sehr schwierig. Die Gruppe der SchUler, die frilher einmal schlechte Leistungen hatten und sich zwischenzeitlich verbessert haben, konnte man im Rahmen dieser retrospektiven Untersuchung gar nicht untersuchen. Hingegen wilrde das Augenmerk auf die SchUler gelenkt, die entweder schon immer schlecht in Mathematik waren oder die frilher gute Leistungen hatten, heute dagegen schlechte Leistungen in Mathematik haben. In der prospektiven Untersuchung wilrde man die Leistungsentwicklung von GrundschUlern, die Schwierigkeiten in Mathematik hatten, bis zur 10. Klasse weiterverfolgen. Es ware dann interessant herauszufinden, unter we\chen Voraussetzungen SchUler mit anfangs schlechten Mathematikleistungen ihre Leistungen verbessern. Zweifellos ware eine prospektive Untersuchung, in der SchUler der verschiedenen Leistungsniveaus seit Eintritt in die Grundschule hinsichtlich der Leistungsentwicklung untersucht wilrden, am ehesten geeignet, Bedingungen zu identifizieren, die zu einer dauerhaften und massiven Leistungsanderung flihren.

Retrospektive Untersuchungen haben im Nachhinein zu ermitteln, we\che Bedingungen thiher gegeben waren. Eine objektive Ermittlung dieser Bedingungen ist haufig nicht in befriedigendem Umfang moglich, es sei denn, es stehen Daten zur Verfligung, die schon zu den ti'ilheren Zeitpunkten erhoben wurden (z. B. Zeugnisse). Doch werden solche Daten kaum zu konkreten frilheren Unterrichtsbedingungen vorhanden sein. Erinnerungen, die Monate oder gar Jahre zurilckreichen, werden subjektiv so stark verzerrt, daB sie flir wissenschaftliche Z'Yecke unbrauchbar sind.

3. Empirische Forschungsansatze in der Mathematikdidaktik

Empirische Forschungsarbeiten in der Mathematikdidaktik lassen sich im Wesentlichen vier verschiedenen Forschungsansatzen zuordnen: (I) Diagnostisch / deskriptive Forschungen zu Kenntnistand und VersUindnisweise von SchUlern, (II) Deskriptive Erforschung von UnterrichtsabIaufen, (III) Experimentelle Forschung und (IV) Konstruktive Entwicklungsforschung. Daneben gibt es Forschungen, bei denen eine eindeutige Zuordnung schwierig ist, da sie Elemente aus verschiedenen Ansatzen vereinigen. Forschungen von Leinhardt zum Vergleich zwischen Experten (erfahrenen, und erfolgreichen Lehrern) und Neulingen gehoren z. B. iiberwiegend zum Forschungsansatz II, haben aber auch Elemente des III. Ansatzes. Innerhalb dieser Ansatze gibt es wiederum unterschiedliche Akzentuierungen, die ihren Grund zum Teil in differenten wissenschaftstheoretischen Auffassungen haben (vgl. Brophy 1986, Confrey 1986, Kilpatrick 1987). leh mochte mich hier auf zentrale methodologische Besonderheiten der einzelnen Ansatze konzentrieren, ohne die dahinter stehenden wissenschaftstheoretischen Pramissen zu diskutieren.6

6 Die Auswirkungen der wissenschaftstheoretischen Position auf konkretes emprisches Arbeiten beziehen sich vor all em auf die Auswahl der Forschungsansatze: Konstruktivisten bevorzugen eher Forschungsansatz I und II, kritische Rationalisten

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1. Diagnostisch / deskriptive Forschungen zu Kenntnisstand und Verstandnisweise von Schiilern, z. B. zum Aufgabenlosen und den damit verbundenen Gedankenprozessen:

• Fragestellungen.· Welcher Art sind Lernschwierigkeiten, wie auBern sie sich bei verschiedenen Aufgaben, die man zu einem Gegenstand stell en konnte und mit welchen Denkstrategien gehen sie einher? Gibt es systematische Fehlermuster, und welchen Anteil der Fehllosungen klaren sie auf? Welche Gedanken haben Schiiler bei der Aufgaben16sung, welche Griinde fUhren sie- fUr ihr Handeln an, wie stark ist ihr VerhaIten an bestimmten Standards orientiert usw. In welchem MaBe sind diese Antwortmuster in der Gesamtgruppe der jeweils interessierenden Gesamtheit verbreitet?

• Methoden: Urn solche Fragestellungen zu untersuchen, wird man einem Schiiler oder einer Gruppe von Schiilern nach bestimmten Instruktionen Aufgaben vorlegen und sie dabei beobachten; man kann die Schiiler auffordern, wahrend der Aufgabenlosung ihre Gedanken frei zu auBern, Zusatzfragen zu ihren Antworten stellen (standardisiertes, klinisches Interview, Lautes Denken). Man kann standardisierte Tests (norm- oder lernzielorientierte) einsetzen usw.

Diskussion: Bei Analysen dieser Art handelt es sich im WesentIichen urn deskriptive Analysen: Man steHt den (Ausgangs-) Zustand in Bezug auf bestimmte Lern- und Verhaltensmuster fest. 1m Sinne von Erklarungen III wird das beschrieben, was zu erklaren ist (das Explanandum). Piidagogische Interventionen in der Schule setzen haufig bestimmte Kenntnisse der Schiiler voraus oder untersteHen, daB Schiiler bestimmte Aufgabengruppen noch nicht losen konnen und daB die Losung dieser Aufgabengruppen Voraussetzung fUr das Losen anderer Aufgabengruppen sei. Forschungen von Carpenter und Fennema (vgl. Carpenter 1985, Carpenter u. a. 1989, Fennema u. a. 1993) haben z. B. ergeben, daB bei Additions- und Subtraktionsaufgaben eine Schwierigkeitsstruktur vorhanden ist. Wenn der Lehrer diese Schwierigkeitsstruktur kennt und weiB, welche Aufgabentypen jeder einzelne Schiiler zu Josen in der Lage ist, dann kann er die Schiiler durch Passung der individuellen Fahigkeiten und Kenntnisse mit der objektiven Schwierigkeitsstruktur fOrdern: Er stellt ihnen Aufgaben, die in dem jeweils nachst­h6heren Schwierigkeitsbereich liegen. Ein anderes Beispiel waren die empirischen Arheiten von Schipper zum Anfangsunterricht in der Grundschule, nach dem die Schiiler z. B. mit vielen Aufgaben zur Topologie unterfordert sind und es zweifelhaft ist, ob das Losen der in Schulbiichern verwendeten topologischen Aufgaben Voraussetzung fUr das L6sen anderer Aufgabengruppen ist.

Forschungen zu diesem Forschungsansatz werden von Vertretern verschiedener wissenschaftstheoretischer Positionen durchgefUhrt. Entsprechend breit ist das Spektrum der eingesetzten Methoden (Standardisierte und informelle Tests, Methode des lauten Denkens, das klinische Interview, standardisierte Beobachtung, die mikrogenetische

haIten aile vier fUr bedeutsam. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Schoenfeld ordnet sich z. B. den Konstruktivisten zu, ist aber nicht grundsatzlich gegen Experimente.

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Methodenpluralismus in der Mathematikdidaktik 205

Methode von Siegler u. a. m.). Der Einsatz dieser Methoden ersetzt nicht Forschungen zu den Entstehungsbedingungen der Lernprobleme von SchUlern. Da die Entstehungsbedingungen nicht in die empirische Analyse eingehen, indem man sie systematisch variiert, kann der SchUler oder der Forscher bzw. Interpret nur retrospektiv liber diese Entstehungsbedingungen Vermutungen anstellen.

II. Deskriptive Erforschung von Unterrichtsablaufen:

• Fragestellungen: Wie sieht das sich wechselseitig bedingende Antwortverhalten von Lehrern und SchUlern aus? In welcher Weise vollziehen sich die Prozesse der Verstandigung in del' Klasse? Wie wird die Bedeutung von Aussagen und Begriffen ausgehandelt?

• Methoden: Zur Analyse diesel' Fragen kann man Beobachtungsverfahren einsetzen, Video- und Tonbandaufzeichnungen des Unterrichts anfertigen und verschriften, vor und nach dem Unterricht zusatzlich Lehrer und SchUler nach ihren Erwartungen und Planen befragen, mit einzelnen Schlilern zusatzliche Tests durchflihren usw.

Zur Illustration dieses Forschungsansatzes soli ein kurzer Ausschnitt aus einem Unterrichtsprotokoll, das von Steinbring (\ 994, S. 211) genauer kommentiert wird, zitiert werden. Es geht dabei urn eine Unterrichtsstunde zum Problem des Zehnerlibergangs, in der liber die Aufgabe 26 + 8 an hand einer Geschichte mit Frosch und Kanguruh gesprochen wird. Dabei hat das Kanguruh die Strecke auf dem Zahlenstrahl mit einem Satz liberbrlickt, wahrend del' Frosch eine Zwischenrast auf der 30 eingelegt hat.

.,91 L.: 92 93 94 S.: 95

WeI' hatnoch ne Idee, warum del' Frosch es uns einJach macht? Warum del' Frosch auch ganz schon schlau ist? Warul11 kann man namlich jetzt beim Frosch einJacher rechnen als beim Kiingul'llh? la, er macht echt'n bij3chen einJacher, er ntht sich aus, und dann kann er bessel' zum Kiinguruh springen.

96. 97

Kilian: Weil. weil da muJ3 man ja nul' noch die restlichen his dahin zahlen. Robert:Hier guck mal, das Kiillgunth muJ3 erstmal zahlen, wieviel es gesprun-

98 99 100 101 L.: 102

gen ist. Abel' hier, es springt zum Zehner. hier er muJ3 ja nicht mehr soviel mach en wie das Kiinguruh. Das Kanguruh. vielleicht verJehlt das Kiinguruh zum Beispiel hierhin und er, er hiipJt richtig. Ganz einfach. Und warum kann del' Frosch richtig ziihlen odeI' bessel' oder einJacher vielleicht sagar?"

Diskussion: Bei der Darstellung eines soIchen Unterrichtsprotokolls soli das Unterrichtsgeschehen moglichst genau wiedergegeben werden. Urn das Unterrichtsgeschehen zu erklaren, benotigt man theoretische Aussagen; solche Deutungen bzw. theoretischen Aussagen werden hier nicht streng geprlift. Man konnte z. B. vermuten, daB in dem gegebenen Beispiel das interessierende mathematische Problem von den ScliUlern nicht verstanden wurde, weil ihnen in der Einleitung das mathematische Problem als solches nicht naher erlautert wurde und weil die Geschichte so interessant war, daB sie zu ganz anderen Uberlegungen AnlaB gab. Steinbring (\ 994, S. 195) bemerkt dazu:

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"Die entstehende Rechengeschichte entwickelt ihre eigene, machtvolle Logik, die der erwarteten mathematischen Begrundung entgegensteht. Daher versucht die Lehrerin, die Begrundungsintention umzukehren: sie miichte. daj3 die Schiiler und Schiilerinnen die Geschichte so deuten und verstehen, daj3 sie Vorteile fur die Strategie des Froschs finden konnen. "

U m Interpretationen von Interaktionsprotokollen lo prtifen, mtiBten weitere, auch experimentelle Untersuchungen durchgefiihrt werden, wobei z. B. die Art der Einfiihrungen sowie der Einkleidung lo variieren ware.

Obwohl hier beide Seiten des Interaktionsprozesses im Unterricht - Lehrerimpulse, Fragen und Erklarungen einerseits und Schillerantworten, Fragen und Erklarungen andererseits - in die Datenerhebung eingehen, handelt es sich im Wesentlichen urn deskriptive Analysen: Man kann im Nachhinein tiber die Bedeutsamkeit einzelner Faktoren Vermutungen anstellen. Eine Uberprtifung der Gilltigkeit dieser Interpretationen ist im Rahmen dieses Ansatzes nicht moglich, da immer viele alternative Erklarungen moglich sind.

In der empirischen mathematikdidaktischen Forschung spielen deskriptiv-explorative Untersuchungen z. B. lOr differenzierten Beschreibung von Fehlern einzelner Schiller lOsammen mit ihren kognitiven Strategien oder lOr Dokumentation von Unterrichtsversuchen (vgl. Lampert 1986, 1989, 1990, 1991) eine wichtige Rolle. Ein wichtiger Schritt vor einer strengen Prtifung einer neuen Unterrichtsmethode ist die Demonstration, daB ein Ansatz unter bestimmten Bedingungen funktioniert. Die Unterrichtsversuche von Lampert konnte man in diesem Sinne auffassen. Man kann sich jedoch fragen, ob die von Lampert in ihren Unterrichtsversuchen festgestellten Effekte auch bei den meisten anderen Lehrern, die mit vergleichbarem Unterrichtsentwurf einen solchen Unterricht durchfiihren, auftreten wtirden, oder ob diese Effekte zu einem gr0f3eren Teil auf die Personlichkeit von Lampert zurticklOfiihren sind (bzw. auf in den Veroffentlichungen nicht dokumentierten Bedingungen).

Deskriptive Untersuchungen lOr Verteilung bestimmter Merkmale in verschiedenen Klassenstufen sind wichtig, urn festlOstellen, in welchem Umfang z. B. in einer bestimmten Klassenstufe einer Schulform mit bestimmten Verhaltensweisen, Losungsstrategien, Fehlern etc. lo rechnen ist. In diesem Sinne hat z. B. Padberg verschiedene Untersuchungen durchgefiihrt. Sofern solche Untersuchungen die nattirliche Variation von Merkmalen wie Verwendung bestimmter Losungsverfahren in der Prozentrechnung oder strukturelle Unterschiede zwischen Bildungssystemen z. B. bei internationalen Vergleichen ausnutzen, stehen sie zwischen Untersuchungstyp II und III und konnen als quasi-experimentell charakterisiert werden.

III. Experimentelle Forschung:

• Fragestellungen: Wie mtissen Erklarungen im Unterricht bzw. in Texten beschaffen sein, damit Schiller in moglichst kurzer Zeit moglichst viel lernen und behalten konnen? Wie wirken sich dabei Faktoren der Koharenz von Texten wie "lOerst immer das Bekannte, dann das Neue bzw. Abgeleitete nennen", oder "moglichst aile wesentlichen Punkte explizit machen, also dem Schiller nicht abverlangen, viele Inferenzen selbst lo ziehen", auf das Verstehen von Erklarungen aus? In welcher

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Weise sollte sich dabei mUndliches Lehrerverhalten und schriftliche Erklarung erganzen? Wie wirken sich verschiedene Formen der Lehrerfortbildung auf den Unterricht aus? Wie und in welcher Reihenfolge sollten Aufgaben formuliert werden, urn die Festigung und Erweiterung des gerade Gelernten zu begiinstigen.

• Methode: Zur Untersuchung solcher Fragen ist die DurchfUhrung von Experimenten erforderlich, in denen Versuchseinheiten (Lehrer / Schiiler) Bedingungen per Zufall zugeordnet werden (Randomisierung), Bedingungen variiert werden und danach in Abhangigkeit der variierten Bedingungen die Verhaltensweisen und Antwortmuster untersucht werden. Durch die Randomisierung soli en im Vorhinein m6glichst aIle relevanten alternativen Erklarungen fUr Unterschiede zwischen verschiedenen Versuchsgruppen ausgeschlossen werden. Eine weitere M6g1ichkeit besteht in der gleichzeitigen unabhangigen Variation verschiedener Merkmale In einem multifaktoriellen Versuchsplan.

Diskussion: Urn "gute" Experimente in der Mathematikdidaktik durchfUhren zu k6nnen, bedarf es in der Regel einer langeren Entwicklungsarbeit, urn die Behandlungen, die verglichen werden sollen, fUr sich zu optimieren. Dies erfordert viel Zeit, und diese Zeit wird fUr Unterrichtsexperimente in der Mathematikdidaktik selten aufgewendet. Die Ergebnisse experimenteller Forschung in der Mathematikdidaktik waren bzw. sind datm keineswegs immer iiberzeugend. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, daB ein gr6Berer Teil der empirischen mathematikdidaktischen Forschung von Psychologen durchgefUhrt wird, nicht aber von interdiziplinaren Forschungsteams (Mathematiker, Psychologen, Padagogen), die sich langere Zeit mit bestimmten Inhalten auseinandersetzen.

IV. Konstruktive Entwicklungsforschung:

• Fragestellungen: Welche Starken und Schwachen haben die eingesetzten didaktischen Hilfsmittel, Lehrtexte etc., wie stark werden die Schiiler durch sie motiviert und wieviellernen sie bei ihrem Einsatz nach einer gewissen Zeit? Welche Lerngruppe profitiert am meisten, weIche am wenigsten? Welche Schwierigkeiten haben Lehrer beim Einsatz dieser Hilfsmittel oder Materialien im Unterricht?

• Methoden: In einer Phase formativer Evaluation geht es urn eine erste Erprobung neuer didaktischer Hilfsmittel oder Materialien im Unterricht, urn die Realisierbarkeit unter normalen Unterrichtsbedingungen zu untersuchen. Dazu wird der Unterricht beobachtet, Schiiler und Lehrer werden befragt, Tests durchgefUhrt. Man will dabei in Erfahrung bringen, wo wesentliche Starken und Schwachen liegen, und verwendet diese Informationen zu einer Uberarbeitung der Hilfsmittel und Materialien sowie der Spezifikation der Bedingungen ihres Einsatzes. Erst nach Beseitigung der wichtigsten Schwachen erscheint eine Uberpriifung der Wirksamkeit der Hilfsmittel oder Materialien im Rahmen einer summativen Evaluation sinnvoll.

Diskussion: Ziel dieser Untersuchungsform ist die Entwicklung von Programmen, Methoden, Hilfsmittel oder Verfahrensweisen, die zu einer Verbesserung der Lernbedingungen im Mathematikunterricht fUhren. Entsprechend sind auch hier die Erkenntnisse aus Mathematikdidaktik sowie aus den relevanten Nachbardisziplinen, also vor aHem aus padagogischer Psychologie und Sozialpsychologie' sowie aus der

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Padagogik zu berticksichtigen (vgl. Wellenreuther 1976, 1981; Zech / Wellenreuther 1992). Die Programme werden hier in einer ersten Phase unter Berticksichtigung des Wissens aus den relevanten Disziplinen (in der Mathematikdidaktik z. B. Mathematik, padagogische Psychologie) entwickelt und nach kritischer Diskussion in den Entwicklungsteams u. U. mehrfach tiberarbeitet, in einer zweiten Phase (Phase der formativen Evaluation) werden sie unter realistischen Unterrrichtsbedingungen auf Starken und Schwachen hin tiberprtift, urn moglichst viel dartiber in Erfahrung zu bringen, an welchen Stellen noch Uberarbeitungen erforderlich sind. Man nutzt die Unterrichtswirklichkeit hier also als Quelle flir Kritik. Wenn man glaubt, daB das Programm nach den gesetzten Standards hinlanglich ausgereift ist, kann man es in einer dritten Phase einer summativen Evaluation aussetzen.

Gegen eine solche' Entwicklungsforschung mag man einwenden, man greife durch sie in unzulassiger Weise in die Arbeit des Lehrers ein. Er sei flir verstandliches Erklaren im Unterricht verantwortlich. Sicherlich kanll ein Lehrer die Unzulanglichkeiten, die ein Schulbuch, das in der Regel eher als reines Ubungsbuch denn als Erklarungshilfe konzipiert ist, flir verstandliches Erklaren im Unterricht aufwirft, unter bestimmten Umstanden weitgehend ausgleichen. Auch daflir gibt es in der Literatur Belege. Auch wir fal}den einen C- Kurs (von 7 Kursen), der in positivem Sinne deutlich aus dem Rahmen tiel. Nattirlich konnen sich Lehrer yom Schulbuch weitgehend unabhangig machen; nur ist dieser Anspruch flir Lehrer schwer realisierbar, vielleicht deshalb, weil dies bei der gegebenen Unterrichtsbelastung zu anstrengend ware.

Eine empirisch orientierte Konstruktionsforschung mit dem Ziel, durch optimierte Unterrichtsmittel den Lehrer zu entlasten, fehlt jedoch weitgehend. Nattirlich mtissen Erklarungen im Mathematikunterricht fachlich korrekt sein. Sie soli ten aber auch die Verstandnismaglichkeiten der Schtiler berticksichtigen. Ftir den Schtiler sind Schulbticher flir den Mathematikunterricht in der Regel nur Aufgabensammlungen. Wenn flir Lehrtexte Erklarungen entwickelt werden sollen, die die Verstandnismog­lichkeiten der Schtiler berticksichtigen, kann dies nicht mit der linken Hand erledigt werden. Die Entwicklung verstandlicher Erklarungen stellt ein ungemein anspruchsvolles Problem dar, flir des sen Lasung sich offenbar in der Regel weder Kultusbtirokratie, Mathematikdidaktiker an den Hochschulen, noch Veri age verantwortlich flihlen. Grenzwerte flir ein zumutbares MaG an Unverstandlichkeit der Erklarungen in Schulbtichern analog zu den Grenzwerten flir Luftverschmutzung oder flir Giftrtickstande in Obst und Gemtise gibt es nicht.

Ohne Zweifel leisten aile vier dargestellten Forschungsansatze Beitrag zum Erkenntnisstand in der Mathematikdidaktik. Kein durch einen anderen Ansatz ganzlich oder auch nur Forschungsbemtihungen in der Mathematikdidaktik soli ten sich Umfang auf aile vier Ansatze konzentrieren.

einen eigenstandigen Forschungsansatz ist teilweise ersetzbar. deshalb in gleichem

Jeder Untersuchungstyp bzw. jede Untersuchungssituation kanalisiert das Interesse auf ganz unterschiedliche "Erklarungsfaktoren":

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I. Wenn man individuelle Schillerleistungen z. B. durch klinische Interviews erklaren will, dann wird man sich bei der Erklarung entweder auf schon langer auffallige Schtilermerkmale (kognitive, motivationale Defizite) konzentrieren, und in zweiter Linie die unmittelbar vorhergehenden Lernbedingungen einbeziehen.

2. Wenn man das gesamte Unterrichtsgeschehen tiber mehrere Unterrichtsstunden analysieren will, wird man sich starker auf den Zusammenhang zwischen der stofflich methodischen Darbietung und den Schillerantworten konzentrieren.

3. Wenn man ein Experiment durchfUhrt, wird man seine Analyse auf die Wirkung der variierten Faktoren bei den untersuchten Schillergruppen konzentrieren und alternative ErkIarungen soweit moglich ausschlieBen.

4. Wenn man neue Unterrichtsmethoden oder Bedingungen der Realisierbarkeit unter besonders berticksichtigen.

Hilfsmittel entwickelt, wird man die "normalen" Unterrichtsbedingungen

FragwUrdig ist m. E. nicht irgendein Forschungsansatz, solange die Moglichkeiten und Grenzen dieses Ansatzes beachtet werden. FragwUrdig ist dagegen, im Rahmen der ersten beiden Forschungsansatze aile Forschungsfragen w bearbeiten. Eine solche Verabsolutierung geht einher mit der Propagierung bestimmter Methoden (vor allem projektive Techniken wie z. B. klinisches Interview, Methode des Lauten Denkens). Durch solche Methoden soli ein Einblick in tiefere Lernprozesse ermoglicht werden, eine strenge Hypothesenprtifung ware somit Uberfltissig. Dies fUhrt dann daw, daB weder Hypothesen aufgestellt noch streng geprUft werden: Man laBt Schiller oder Experten im Nachhinein "Ursachen" deuten. Die Bedingungen des Erklarens auBerhalb des Schillers -also seine Lernumwelt - werden dann nicht in systematischer Weise in ihrer Wirkung Uberprtift. Solche Analysen bzw. Simulationen fordern m. E. nicht die Entwicklung von Hypothesen wr Entstehungsgeschichte der Gedanken, Aufgabenantworten und der dabei verwendeten Strategien. Greeno (1987, S. 70) schreibt daw:

.. Obwohl kognitive Modelle mehr oder weniger genau das Wissen und die Fiihigkeit beschreiben konnen, die Schuler erwerben sol/en, konstituieren die Erfahrungen, die SchWern helJen, das Wissen und die Fiihigkeit zu erwerben, eine eigene Fragestellung."

Nach meiner Uberzeugung beruht die Vorstellung, der Weg der empirischen Mathematikdidaktik schreite von einer prazisen Deskription des Lernverhaltens und der damit verbundenen kognitiven Vorgange und ihrer Nachbildung in Simulationsmodellen weiner Erklarung der funktionalen Zusammenhange im Unterricht geradlinig fort, auf einem fundamental en MiBverstandnis: Da die relevanten Entstehungsbedingungen des Erlernens und Verstehens mathematischer Inhalte im Ausgangsmodell nicht enthalten sind, werden sie auch nicht in der abgeleiteten theoretischen Analyse angemessen berticksichtigt. Deshalb ist auch die Aussage falsch, solche Forschungen wtirden der Entwicklung von Theorien und der Gewinnung von Hypothesen dienen. Wenn m,:!n Forschung betreiben wollte, die Anregungen fUr die Entwicklung von Hypothesen tiber funktionale Zusammenhange zwischen Erklaren und Verstehen im Unterricht liefert, mtiBte man den gesamten Unterricht mit seinen vielseitigen EinfluBprozessen in die empirische Analyse einbeziehen. Dies sollte in prospektiven Untersuchungen erfolgen,

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die von der Versuchsplanung so angelegt sind, daB man Uber die Wirkung der interessierenden variierten Faktoren moglichst eindeutige Aussagen treffen kann.

Es geht hier nicht urn ein gegenseitiges Ausspielen qualitativer und quantitativer Verfahren, sondern eher urn Fragen adaquater Versucfisplanung. Durch empirische Untersuchungen in der Mathematikdidaktik, die yom Lernverhalten und den Gedankenprozessen der SchUler ausgehen, konnen keine gUltigen SchlUsse auf die Ursaehen des Lernverhaltens und der Gedankenprozesse abgeleitet werden - sieherlich kann man darUber Vermutungen anstellen. Eine solche Ableitung leistet ja aueh das Experiment nieht. Eine strenge PrUfung dieser Vermutungen ist nur in Experimenten oder Quasi-Experimenten moglich. Unter diesem Blickwinkel sind m. E. folgende AusfUhrungen von Beck und Maier (1993, S. 168) problematisch:

"Die besondere Starke qualitativer Methoden liegt darin, dafJ sie sehr viel eher als quantitative Veifahrell in der Lage sind, komplexe Sachverhalte und Vorgange difJerenziert zu eifassen. Qualitative Methoden ermoglichen z. B. eine Deutung von Fehlerursachen, prazise Wahrnehmungen uber Lehr- und Lernformen im Fach Mathematik, das Aufspuren von Handlullgskontexten beim mathematischen ProblemlOsen und eine genaue Beschreibung von Vorgiingell in strukturierten sozialen Gebilden wie einer Schulklasse. Vor allem, wenn es um die systematische Berucksichtigung subjektiver Interpretationen geht, liifJt sich diese Starke ausschopfen. Damit bilden qualitative Methoden aueh besonders geeignete Instrumente fur eine d(fJerenzierte Theoriebildung. Standardisierte Interviews hingegen dienen <eher groberen Bestandsaufnahmen als feinschichtigen Analysen>( Kuchler 1984, S. 286). "

Es ist im Naehhinein durch subjektive Deutungen nicht mit der wUnsehenswerten Sicherheit ~u bestimmen, in welchem Umfang Lernschwierigkeiten damit zu tun hatten, daB ein geringes Interesse am Unterrieht bestand oder zentrale Begriffe nieht konkret und in der Sprache der SchUler verdeutlieht wurden, vorausgesetzte Kenntnisse nieht vorhanden waren u. a. m. Erkenntnisfortschritt vollzieht sich durch Weiterentwicklung von Theorien uber die Entstehung von Fehllosungen, Erkliirungsweisen, Strategien etc. vall Schulern. Wissen in diesem Sinne ist immer prognostisches Wissen, kein Wissen im Nachhinein. Solche Theorien sind streng zu prUfen, urn Hinweise auf die Schwaehen von Theorien zu erhalten und Anregungen fUr die Entwicklung neuer'Theorien zu erhalten. Erkenntnisfortsehritt bedeutet nieht eine Kompilation von idiosynkratischen Herangehensweisen und Fehllosungen von Lehrern oder von SchUiern, auch wenn solche Kompilationen wiehtig sind, urn darzulegen, was alles erklarungsbedUrftig ist. Durch Diskussion von Problemen der MeBvaliditat im Rahmen eines Interviews, wie dies z. B. Beck & Maier (1993) versuchen, kommen Probleme der versuchsplanerisehen GUltigkeit im Sinne eines gezieiten Aussehlusses alternativer Erklarungen Uberhaupt nicht in den Blick. Schlimmer noeh: Es wird so getan, als ob solche Probleme durch entspreehend "gesehiekten" Umgang mit den Daten und ihrer behutsamen Deutung IOsbar seien. Auf diese Weise laBt sieh Uber Deutungen endlos streiten; wie bei dieser Vorgehensweise ein Erkenntnisfortsehritt erzielt werden kann, bleibt mir unerklarlieh.

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4. Abschlie8ende Bemerkungen

Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik bezieht sich auf die empirische Erforschung der Lehr- Lernprozesse im Mathematikunterricht. Die Fragen dieser Forschung lassen sich nicht durch Analyse des mathematischen Gegenstands allein lOsen. Die empirische Realitiit wird zur ausschlaggebenden Instanz iiber die Wahrheit der zu priifenden Aussagen. Diese Aussagen konnen sich auf die Verstehens- und Verstandnisprobleme von Schillern beziehen; wenn diese Aussagen den Zusammenhang zwischen Erklaren und Verstehen im Unterricht thematisieren, tritt in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses, in welchem Umfang es im Rahmen eines "anders" gearteten Unterrichts moglich ist, die Lern- und Verstehensleistungen der Schiller zu verbessern. Bei der empirischen Priifung von Aussagen macht es m. E. wenig Sinn, die Art der inhaltlich zu untersuchenden Fragestellungen oder der einsetzbaren Methoden oder Forschungsparadigmen von vornherein einzugrenzen.

Entsprechend bin ich in diesem Beitrag fUr einen Methodenpluralismus eingetreten, der die Moglichkeiten und Grenzen der verschiedenen Forschungsansatze in den Blick nimmt. So ist gute experimentelle Forschung und Entwicklungsforschung auf die deskriptive Analyse des Ist- Zustandes an Schulen angewiesen, urn deutlich zu machen, wo besondere Defizite und Starken des Unterrithts in bestimmten Klassenstufen und Schulformen bei der Vermittlung der verschiedenen Inhalte Iiegen. Und deskriptive Forschung muB durch experimentelle und Entwicklungsforschung erganzt werden, weil durch diese Methoden der Nachweis der Wirkung von Einfliissen noch am ehesten moglich ist. Experimentelle Arbeiten werden in der empirischen Forschung zu mathematikdidaktischen F!'agen nach meinem Eindruck vergleichsweise selten durchgefUhrt (vgl. Schipper 1981, 1982; Carpenter u. a. 1989; Resnick & Omanson 1987).

Die Schwierigkeit, Experimente fUr mathematikdidaktische Fragestellungen zu entwickeln, zu planen und durchzufUhren, ist in der Regel so groB, daB ein einzelner FOI'scher' damit iiberfordert ist. Bei deskriptiven Analysen sind in der Regel viele plausible Erklarungen moglich: Man interpretiert im Nachhinein, nachdem die Bedingungen des Unterrichts ihre Wirkung erzielt haben, und weil das Unterrichtsgeschehen so auBerordentlich vielgestaltig ist, stochert man dann nach den entscheidenden Ursachenfaktoren beziiglich des vorhergehenden Unterrichtsgeschehens wie nach einer Nadel im Heuhaufen. Diese deskriptive Forschung kann keine dieser moglichen Interpretationen ausschlieBen, auch nicht, indem man Methoden wie das klinische Interview oder die objektive Hermeneutik anwendet.

Mein Pladoyer fUr einen kritischen Methodenpluralismus beruht wesentlich auf der Annahme der Fehlbarkeit unserer Erkenntnisse. Verschiedene Methoden verbreitern die Moglichkeiten der Kritik und des Lernens. Demgegeniiber schreiben Beck & Maier (1993, S. 174):

"Um zu giiltigell Untersuchullgsergebllissen z.u kommen, wird ill vielen Projekten versltcht, mehrere methodische Instrumente kombiniert einzltsetzen. Eine Methode solt dann eventuell die mithilfe der anderen Methode(ll} gewonnenell Befunde kontrollieren

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oder ergiinzen helfen. Dagegen ist nichts einzuwenden, sofern den verschiedenen Methoden ein einheitliches Paradigma zugrunde liegt. "

Nach meiner Auffassung kann weder eine strenge Prtifung in dem hier dargelegten Sinn, noch ein Methodenpluralismus, und auch nicht die Grundlegung eines einheitlichen Paradigmas verbtirgen, zu gtiltigen Untersuchungsergebnissen zu komrnen; dies behaupten auch Beck & Maier nicht. Eine strenge Prtifung ist sicherlich eine wichtige Voraussetzung, aber kein Garant fUr Gtiltigkeit. Und ein einheitliches Paradigma? Inwiefern und warum hilft ein einheitliches Paradigma bei der Losung irgendwelcher Gtiltigkeitsprobleme?

Nicht nur in methodologischer, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht hat sich - zumindest was die Forschungssituation in den USA betrifft - in der Mathematikdidaktik ein grundlegender Wandel vollzogen. Wurde in den siebziger und anfangs der achtziger Jahre noch die entwicklungspsychologischen Arbeiten von Piaget methodologisch und inhaltlich als richtungsweisend und vorbildhaft angesehen, so schwindet dieser EinfluB zusehends, auch wenn er im Lager der radikalen Konstruktivisten immer noch ausschlaggebend ist. An die Stelle treten Theorien aus der kognitiven Psychologie (vgl. Anderson 1988), so z. B. Theorien tiber Gedachtnisprozesse oder tiber das Verstehen von Texten. Fur empirisch arbeitende Mathematikdidaktiker wie Carpenter, Fennema, Fuson, Lampert, Leinhardt, Siegler, Stern, Schipper und Schoenfeld spielen die Arbeiten von Piaget eine eher geringe Rolle. Dies bedeutet gleichzeitig, daB - zumindest in den USA - sich· eine empirische Mathematikdidaktik entwickelt, die den Beitrag entwicklungspsychologischer Theorien fUr die Mathematikdidaktik als eher gering einstuft, dafUr aber starker Theorien der Psychologie z. B. tiber Gedachtnisprozesse auf die Probleme der Mathematikdidaktik anwendet.

Wenn die These zutrifft, daB aile vier Forschungsansatze ihren eigenen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Wirklichkeit des Mathematikunterrichts leisten, dann erscheint prob­lematisch, daB in der Forschung hierzulande die ersten beiden Forschungsansatze tiberwiegen. Ein Erkenntnisfortschritt in der empirischen Mathematikdidaktik benotigt jedoch in gleichem Umfang auch experimentelle Forschung und Entwicklungsforschung. Die geringe Prasenz experimenteller Forschung und von Entwicklungsforschung hat vermutlich verschiedene Grtinde: Gute experimentelle Forschung setzt konstruktive Entwicklungsforschung voraus, da die zu variierenden Bedingungen in verschiedener Hinsicht gewisse Mindeststandards erfUllen sollten: Sie soli ten mathematisch korrekt sein, die normalen Bedingungen des Unterrichtens berticksichtigen und den Kenntnisstand in Psychologie und Padagogik einbeziehen. Urn diese Kriterien zu erfUllen, mtissen in der Regel verschiedene Fachdisziplinen uber einen langeren Zeitraum kooperieren. Demgegentiber ist es fUr einen Mathematikdidaktiker einfacher, den Leistungsstand von Schtilern oder das Unterrichtsgeschehen in der Klasse zu beschreiben.

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Methodenpluralismus in der Mathematikdidaktik 213

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Autor

Dr. Martin Wellenreuther, Universitat Liineburg, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut filr Padagogik, Scharnhorststr. 1, 21335 Liineburg.