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HEFTE FOR GESCHICHTE KUNST UNDVOLKSKUNDE 50. BAND · 1972 · HEFT 1-4 ASCHENDORFFSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG ~ MüNSTER WESTFALEN

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HEFTE FOR GESCHICHTEKUNST UNDVOLKSKUNDE

50. BAND · 1972 · HEFT 1-4ASCHENDORFFSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG ~ MüNSTER WESTFALEN

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Baugeschichtliche Feststellungen in der Stiftskirchezu Vreden (Kreis Ahaus)Von Uwe Lobbedey

Vreden ist einer der amen, die in der mittelalterlichen Archäologie der Nachkriegszeiteinen besonderen Glanz erlangt haben. Unter der im Kriege völlig zerstörten und durcheinen Neubau ersetzten Pfarrkirche St. Georg, einem spätgotischen Hallenbau, wurden1949-1951 die Grundmauern von vier Kirchen ergraben, von denen die beiden älteren, derkarolingische und der ottonische Bau mit ihren Krypten, eine bedeutende Stellung in derfrühen Geschichte der mittelalterlichen Baukunst einnehmen 1. Sie bezeugen den Rang deshochadeligen Kanonissenstiftes, dessen Frühzeit durch Schriftquellen nur wenig erhellt wird.

1 W. Winkelmann, Ausgrabung einer karolingischen Krypta in Vreden: Westfälischer Heimatkalender 1951,S. 137. - Ders., Denkmal frühester westfälischer Geschichte: Westfalenspiegel Jg. 1, Juli 1952, S. 4-6. -Ders., Frethenna praeclara - Berühmtes Vreden: Vredener Festbuch. Vreden 1952, S. 20-36. - Ders. undH. Claussen, Archäologische Untersuchungen unter der Pfarrkirche zu Vreden: Westfalen 31, 1953, S. 304-319. - H. Claussen, Die Vredener Kirchen. Vreden 1964. - H. Thürnrnler, Karolingische und ottonischeBaukunst in Sachsen: Das erste Jahrtausend. Bd. 11. Düsseldorf 1964, S. 873, 894f. - U. Lobbedey, Zurarchäologischen Erforschung westfälischer Frauenklöster des 9. Jahrhunderts: Frühmittelalterliche Studien4, 1970, S. 320-340. Vorroman. Kirchenbauten (wie Anm. 29), S. 363£.

o 10 20 30 ~O 50 m

10

181 Vreden. Lageplan der Kirchen St. Georg (rechts) und St. Felicitas (links) mit Stadtgraben und Berkel(unten) nach dem heutigen Katasterplan. 1: 1500

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Den Ausgräbern war damals aber auch klar, daß mit jener höchst erfolgreichen Kampagne derK.omplex Vreden nicht erschöpft war. So ist die Erforschung der Stiftsgebäude ein bis heuteunerfülltes Desiderat. Merkwürdig ist auch, daß der Bau, der bis zur Säkularisation 1803 dem

181 adligen Damenkonvent als Stiftskirche St. Felicitas gedient hat, etwa 25 m südwestlichder Pfarrkirche mit ihren ausgegrabenen Vorgängerkirchen liegt, hart am Rande eines zur

205, 206 Berkel hin stark abfallenden Hanges. Es ist ein Bau des 12. Jahrhunderts, einschiffig, miteinem Querhaus, von Gewölben überdeckt. Der Chor ist in gotischer Zeit (1427) erneuert.Unter dem Chor befindet sich der älteste Bauteil, eine Hallenkrypta aus dem 11. Jahrhundert.

Die Stiftskirche ist im Kriege aufs schwerste beschädigt worden, sie konnte aber schonbald in den alten Formen wiederaufgebaut werden. H. Thümmler hat aufGrund baugeschicht-lieher Beobachtungen beim Wiederaufbau die kunstgeschichtliche Stellung der VredenerStiftskirche neu bestimmt". Neuerdings hat W. Ueffing bisher unpublizierte Beobachtuno-enbeigetragen und eine andere Einordnung des Baues versucht". Als 1966 eine Neuordnung desAltarbereiches vor dem erhöhten Chor in Angriff genommen w~r~e, war Gelegenheit gege-ben, die Westwand der Krypta zu untersuchen (S. 226f.) und mit einem Grabungsschnitt im

o 3 4 Sm

182 Vreden, St. Felicitas. Plan der Krypta und der Querhaus- und Annexbefunde. 1 :2001 Romanischer Krypteneingang 2 Wandnische 3 Vermauerter ursprünglicher Krypteneingang4 Fundament 5 Projektion der im Hochchor aufgedeckten Apsis in den Kryptenplan 6 Krypten-altar 7 Fundamente eines Anbaues auf der Nordseite 8 Schnitt im Nordquerhaus 9 RomanischeSpannmauer 10 Romanische Kryptentreppe 11 Sakristei

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Vreden, St. Felicitas. ördlicher Kryptenzugang nach Fortnahme der Treppe. Grundriß der ursprüng-lichen Nische, von Westen

nördlichen Querhaus einen Einblick in die Bodenschichten zu nehmen (S. 235 f.). Ferner wareine kurze Grabung im Westen des Langhauses möglich (S. 236f.).3a

Nach Abbruch der Kaplanei östlich der Kirche und vor Baubeginn des Pfarrgebäudeswurde 1967 das Baugelände durch Suchgräben sondiert (S. 243). Die getroffenen Fest- 199stellungen haben vielfach fragmentarischen Charakter, sie stellen aber wie jede neue Beobach-tung einen Beitrag zur Geschichte des gesamten Stiftskomplexes Vreden dar.

2 H. Thümmler, Die frühromanische Baukunst in Westfalen. Vreden: Westfalen 27, 1948, S. 203-214. _H. Thümmler, Neue Funde zur mittelalterlichen Baukunst Westfalens. Vreden: Westfalen 31, 1953, S. 296.Zum Wiederaufbau vg!. auch F. Mühlen, Einzelberichte zur Denkmalpflege für die Jahre 1941-1952:Westfalen 31,1953,189. - F. Mühlen, Die Grundhaltung der westfälischen Denkmalpflege: Westfalen 29,1951,292,295, 296f. m. Abb.

3 W. Ueffing, Zur Baugeschichte der Stiftskirche in Vreden: Das Münster 19, 1966,381-396.sa Grabungsleitung : Verf.; Grabungstechniker : F.- J. J üttner; Reinzeichnungen : B. Tiedemann. Der kath.Kirchengemeinde und dem bauJeitenden Architekten, Herrn B. Wehling, gebührt Dank für ihre freundlicheUnterstützung.

15 Westfalen, Band 50 225

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182,184-186

BEFUNDE

182

Bauuntersuchung in der KryptaWestwanCl der Kryptaa) Ursprüngliche Nischengliederung der Westwand

Die Westwand der Kr~rta besitzt in jedem Joch eine rundbogige Durchgangsöffnung.Auffallend ist an allen drei Offnungen die Abfasung der Ecken. Sie führte zu der Vermutung,daß an der Stelle der Durchgänge ursprünglich halbrunde Nischen bestanden hätten. NachAbnahme der Treppenstufen am nördlichen Krypteneingang konnte tatsächlich der Grund-riß einer solchen Nische vollständig freigelegt werden. Die Breite der Nische beträgt 1,27 mihre Tiefe 0,50 m, der Grundriß bildet also keinen vollen Halbkreis. Die Mauerstärke de;Kryptenwestwand beträgt 0,90 bis 0,92 m. Die Nische beginnt 0,50 m über dem Krypten-fußboden, dessen jetziges Niveau etwa dem ursprünglichen entspricht. Die einstige Oberkanteder Nischen konnte im mittleren Joch (siehe weiter unten) mit ca. 2 bis 2,05 m über demFußboden rekonstruiert werden. Die Rückwand der Nische war noch eine Steinlage hoch(ca. 13 cm) erhalten. Sie trägt Putz, darüber Feinputz von 2 mm Stärke, darauf eine leichtgelblich getönte weiße Tünche, darüber zwei weitere weiße Tünchschichten. Unterhalb derNische zeigt sich der entsprechende Putzbefund auf der Wand. Der einheitliche Mauerver-band und Mörtel (ockerfarben mit weißen Kalksteinsprengseln) beweisen die Zugehörigkeitder Nische zur Krypta.

Unter den Stufen des südlichen Krypteneinganges befinden sich, weniger gut erhalten,die Reste einer weiteren Nische. Die seitlichen Ansätze der Nischenrundung und die darauferhaltenen Putzreste entsprechen dem Befund an der Nordscite '. Die Nischenrückwand warindessen zusammen mit der ganzen Westhälfte der Kryptenmauer ausgebrochen und nach-träglich wieder zugemauert worden. Die Zumauerung geht ohne Fuge über in das Funda-ment des südöstlichen Vierungspfeilers und ist demnach gleichzeitig mit diesem entstanden.Der Grund für den Mauerausbruch könnte vielleicht darin zu sehen sein, daß hier zeitweiligein provisorischer Krypteneingang bestanden hat. Die jetzigen seitlichen Krypteneingängesind, wie sich auch an den vom Putz befreiten Gewänden deutlich ablesen ließ, nachträglichin die Nischenrundung eingebrochen worden. Der Befund wiederholt sich in ähnlicher ~T eiseim Mitteljoch. Hier ist an der Eckfase (dem Nischenrest) noch der Ansatz der oberen Bogen-rundung, aber auch die Nischenkante abzulesen.

183

182

b) Romanischer MitteleingangDer nachträglich eingebrochene Durchgang im Mitteljoch. Nr. 1 im Plan, wird von einem

Bogen aus sorgfältig behauenem Baumberger Sandstein überwölbt. Der Hausteinbogen ruhtauf einer Ausgleichsschicht von rheinischem Tuffstein. Gegen den seitlichen Mauerausbruchdes Durchgangs sind links und rechts Treppenwangen aus Bruchstein gemauert, Nr. 10 imPlan. In der Vierung konnte auch noch die Fundamentierung zweier Treppenstufen freigelegtwerden, während die Treppe im übrigen völlig ausgebrochen war. Die obere Treppenstufe istetwa 2,80 m westlich der Krypteninnenwand zu rekonstruieren. An den Treppenwangen haf-tete Putz mit zwei Tünchschichten, die den beiden oberen Schichten an der Nische entspre-chen. Die Datierung des Mitteleinganges war zunächst unklar, da in der Hintermauerung desSandsteinbogens und an der Unterkante der Treppenwangen Backsteine vorkommen. DieserBefund hat sich jedoch als jüngere Ausflickung herausgestellt. Für die Datierung muß dem-nach die Technik des Sandsteinbogens maßgebend sein. Sie hat mit den zum Scheitel hin ver-stärkten Bogensteinen und der steinmetzmäßigen Bearbeitung - sorgfältige Glattflächung mitenggestellten Hieben bei 4,5 bis 5 cm breitem Randschlag - genaue Entsprechungen an den

, W. Ueffing (wie Anm. 3, S. 390/392) hatte diese!Nische bereits einmal freigelegt.

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184 Vreden, St. Felicitas. Romanischer Mittelzugang zur Krypta, von Südosten

Werksteinteilen des aufgehenden romanischen Baues aus dem 12. Jahrhundert. Die gleich- 201zeitige Entstehung von Mitteleingang und jetziger Oberkirche ist daher anzunehmen. DieTiefe des Sandsteinbogens entspricht mit 0,95 m der ursprünglichen Stärke der Krypta-Westwand.

Bis zum folgenden barocken Umbau blieben die seitlichen Rundnischen neben dem roma-nischen Mitteleingang bestehen: sowohl in der nördlichen Nische als auch an den Treppen-wangen fand sich als oberste Tünchschiehr ein kühles, leicht blaugrau gebrochenes Weiß.

c) Barocker Umba«

Gelegentlich einer barocken Umgestaltung der Kirche um 17505 mußte der mittlereKrypteneingang einer Mitteltreppe zum hohen Chor weichen. Er wurde durch zwei seitliche

5 F. Tenhagen, Reihenfolge der Vredenschen Äbtissinnen: Ders., Gesammelte Abhandlungen zur VredenerGeschichte. Vreden 1939, S. 123, Zu Nr. 35.

15* 227

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185 Vreden, St. Felicitas. Romanischer Mittelzugang zur Krypta, von Südwesten

Eingänge von je 1,10 m Breite ersetzt, die an der Stelle der Nischen ei~~ebrochen wurden.Die Krypten-Westwand wurde durch Abarbeiten um 35 cm geschwächt. Uber den Eingängenwurden profilierte Segmentbögen eingesetzt. Sie bestehen aus romanischen Spolien - Bogen-steinen von zwei Rundbögen, mit eingelegtem Rundstab profiliert, auf der Stirnseite mit einerumlaufenden Inschrift versehen, wegen Platzmangels unvollständig und außerdem in will-kürlicher Reihenfolge versetzt. Als Treppenstufen fanden ebenfalls romanische Spolien Ver-wendung, darunter ornamentierte Stücke", Alle diese Spolien zeigen hinsichtlich der Formenwie der Werksteintechnik auffallende Verwandtschaft zu den Werksteinteilen des aufgehendenromanischen Baues7•

Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Bestandteile der im westlichenLanghausjoch eingebauten Michaeliskapelle mit dem Epitaph des Erzbischofs Liemar Von

6 W. Ueffing (wie Anm. 3), S. 385 und Abb. 19 auf S. 389. 7 W. Ueffing (wie Anm. 3), S. 383ff.

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186 Vreden, St. Felicitas. Romanischer Mittelzugang Zur Krypta, von Osten

Bremen Ct 1101). Die ~stfront der Michaeliskapelle wurde 1751 zugunsten eines Orgel-einbaues abgebrochen, die letzten Reste von Kapelle und darüberliegender Empore ver-schwanden 18868•

d) Neuere EingriffeIn den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde an der Stelle des um 1750 aufgege-

benen romanischen 1itteleingan~es in der Kr~pta-Westwand ein Tresor eingebaut. DerBestand wurde dadurch vor allem im unteren Tell gestört. Nach den schweren Kriegszerstö-

8 F. Tenhagen, Das Denkmal des Erzbischofs Liemar von Bremen in der Vredener Stiftskirche: Zeitschriftf. vaterländische Geschichte un~ Altertumskunde (= Westfälische Zeitschrift) 54, 1896, S. 192, 198, Anm. 1.Das Gleiche leicht verändert In: F. Tenhagen, Gesammelte Abhandlungen zur Vredener Geschichte.Vreden 1939, S. 48, 51. Vg!. dort auch S. 123.Die Bögen über den seitlichen Krypta-EIngängen könnten ursprünglich über den seitlichen Durchgängenzur Michaelskapelle gesessen haben (Hinweis von Herrn Ruhkamp, Leiter des Hamaland-Museums Vreden.)

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rungen von 1945 mußten das Mauerwerk vor allem oberhalb der Kämpferhöhe der Wand-vorlagen zum großen Teil und die Gewölbe fast vollständig erneuert werden (bis 1952).

Kryptennordwand - westliches FensterDa sich herausgestellt hatte, daß sich in der Kryptenwestwand ursprünglich drei Nischen

befunden hatten, aber kein Eingang, wurde das jeweils westlichste Joch der nördlichen und188 südlichen Kryptenwand auf Eingänge hin untersucht. Der Befund war negativ, das Mauer-

werk wies vielmehr durchgehenden Verband auf und war mit den Wandvorlagen verzahnt.Auch im zweiten Joch konnte an der Kryptennordwand kein Eingang festgestellt werden.Wohl aber konnte hier eine Beobachtung wiederholt werden, die W. Ueffing bereits 1951gemacht hatte, daß nämlich die Krypta in einen älteren Bau hineingesetzt worden ist.

//-......_, ..... _-I II II II IIIII~/

187 Vreden, St. Felicitas. Kryptennonl.,wand, zweites Joch von \'qesten.Isometrische Darstellung undGrundnß. 1: 50

o

F=r=r=r=a2m

a) Vorgängerbau187 Beim Wiederaufbau von Krypta und Chor nach den Kriegszerstörungen löste sich im182 Bereich des zweiten Wandpfeilers von Westen, bei r. 2 im Plan, eine ca. 44 cm starke Mauer-

schale ab. Sie war ohne Einbindung gegen eine dahinter liegende verputzte Wand gemauert.Diese Wand besitzt hinter dem Wandpfeiler eine Abwinkelung a, die das Kryptengewölbesenkrecht hinterschneidet. Nach Fotos zu urteilen könnte es sich um eine vorspringendeLisene handeln. Infolge der Neuaufmauerung konnten jetzt nur noch der Putzbefund und dieTatsache der Abwinkelung nachgeprüft werden, durch eine Sondierung b im Fenstergewändein Höhe von 2,00 bis 2,20 m über Kryptenfußboden.

Die Fundamentunterkante der Vorgängermauer liegt wesentlich höher als der Fußbodender Krypta, und zwar um etwa 50 cm (bei 39,00 m ü. T.). Das Fundament sprang gegenüberder aufgehenden, verputzten Wand um ca. 14 cm vor. ur noch ein kleiner Rest dieses Funda-mentes, eine Rollsteinlage c und ein Riß im Putz des westlichen Fenstergewändes e, bezeugenes an dieser Stelle. Eine Bestätigung wurde aber an der gegenüberliegenden Kryptenwandgefunden (siehe unten). Dort konnte auch die zu der älteren Mauer gehörige Fußbodenhöhemit 1,24 m über jetzigem Fußboden d. h. mit 38,71 m ü. . ermittelt werden.

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188 Vreden, St. Felicitas. Kryptensüdwand, westliches Joch nach Abnahme des Putzes

Unter der Fundamentunterkante der älteren Mauer befand sich eine klaffende Höhlung,aus der mehrere farbig und figürlich bemalte Putzstücke geborgen wurden. Der Putz waretwa 3 cm stark auf ein Rutengeflecht aufgetragen worden, dessen fingerstarke Abdrücke sichauf der Rückseite erhalten hatten. Die stratigraphische Situation der Höhlung konnte in demengen Untersuchungsausschnitt nicht geklärt werden. W. Ueffing hatte 1962 die gleicheHöhlung mit den Putzresten von der Außenseite des Chores her angegraben9• Eine Deutungdes isolierten Befundes ist vorerst nicht möglich.

b) KrypteneinbattDer Innenwand des Vorgängerbaues wurde also bei Einbau der Krypta eine Schale von

ungleicher Maue~stärke vorgeblendet. Diese ist nach de~ Krieg z. T: erneuert worden. ~mFenster wurden Jetzt 44 cm Stärke gemessen. Im Bereich des heutigen Fensters war erne1 12 m breite Nische ausgespart, deren Unterkante knapp über der Fundamentunterkante deräiteren Mauer lag, d. h. 64 cm über Kryptenfußboden. Als Nischenrückwand diente dieältere Mauer. In deren Fundamentbereich mußte allerdings der Fundamentvorsprung vonea 14 cm abgearbeitet werden. In der Nische sind größere Teile des zugehörigen Wandputzesderhalten.

9 W. Uefiing (wie Anm. 3), S. 393.

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c) FenstereinballIn dem von Lübke 1853 veröffentlichten Grundriß der Krypta.'? ist statt des Fensters

noch eine Nische von den Ausmaßen der Nische des 11. Jahrhunderts gezeichnet. Das Fensterist erst nach dem 1868 erfolgten Abbruch des Kapellenanbaues im Winkel zwischen Chor undNordquerhaus eingesetzt worden, unter Verwendung von Ziegeln und Zementmörtel.

182189, 190

Kryptensüdwand, ehemaliger ZugangIm zweiten Joch von Westen an der Kryptensüdwand, r. 3 im Plan, befindet sich eine

rundbogig überwölbte Nische, deren rechtes Gewände unmittelbar am Wandpfeiler ansetztund diesen sogar nach hinten zu hinterschneidet. In der Rückwand der Nische befindet sichein vermauertes Oculus-Fenster. Eine neue Untersuchung bestätigte die Vermutung, daß dieverdrückte Lage der Nische durch die Rücksichtnahme auf einen Vorgängerbau zu erklärenist. Hier befand sich auch der ursprüngliche Eingang, offensichtlich der einzige, zur Kryptades 11. Jahrhunderts.

oewötoe--- ----------ci

189 Vreden, St. Felicitas. Krypten-südwand, zweites Joch vonWesten, Ansicht und Grundriß.1:50

Hintermauer ~sHeizungskeller s

c

o~

2m

a) VorgängerbattAuch an dieser Stelle ist das Kryptenmauerwerk zweischalig. Einer älteren, innen ver-

putzten Mauer ist im 11. Jahrhundert eine 54 cm starke Innenschale vorgeblendet worden.Schon der ältere Bau hatte an dieser Stelle eine Maueröffnung : der Putz der älteren Mauerzieht bei g um die Ecke und setzt sich auf dem linken Gewände des Krypteneinganges fort.Die Fundamentunterkante liegt 54 cm über Kryptenfußboden, d. h. bei 39,01 m ü. NNdie Unterkante des aufgehenden Mauerwerks konnte am linken Gewände mit 39,71 m ü. NN:festgestellt werden. Merkwürdigerweise be~ndet sich auch hier wie auf der nördlichen Gegen-seite (siehe oben) unter der älteren Mauer em klaffender Hohlraum von über 15 cm Höhe.

b) KrypteneingangDas rechte Gewände ist im 11. Jahrhundert bei Krypteneinbau neu gemauert worden.

Das unterste Stück, bis 80 cm über Kryptenboden, verläuft rechtwinklig in die Wand, darüberverläuft es spitzwinklig, den Pilaster hinterschneidend, wobei die Steinlage auf der Grenzeerst rechtwinklig versetzt und dann, bei e, nachträglich spitzwinklig abgearbeitet ist. Ein

10 Wilhelm Lübke, Die mittelalterliche Kunst in Westfalen. Leipzig 1853, Tafelband, Taf. 1I, 3.

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190 Vreden, St. Felicitas. Kryptensüdwand, zweites Joch von Westen, ehemaliger Zugang

Rest der Treppenstufejist ebenfalls erhalten. Die Stufenkante liegt 66 cm über dem Krypten-boden und 38 cm hinter der Wandflucht. Die Treppe muß also in den Kryptenraum hinein-gereicht haben.

Der Bogen c, der die jetzige Nische überwölbt, hat nur etwa die Stärke der Mauerverblen-dung mit 51 cm. Hinter ihm steigen die Eingangswände b senkrecht hoch, bis sie in Höhevon 2,71 m über Kryptenfußboden (= 41,18 m ü. NN.) von einem 30 cm breiten und 12 cmstarken hölzernen Sturzbalken bei a überdeckt werden. Der Sturz hinterschneidet das I ryp-tengewölbe. Der Balken ist bis auf geringe Reste vergangen. Der weitere Verlauf des Krypten-zugangs läßt sich nicht mehr feststellen, da beim Einbau des Heizungskellers unter der Sakri-stei 1935 alle eventuell vorhandenen Spuren zerstört wurden.ws

loa Vgl. W. Ueffing (wie Anm. 3), S. 393.

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c) Romanische Zumaserung.Der indie Kryptenwestwand eingebrocheneMitteleingang ersetzte den seitlichenEingang, 182

der für den Kirchenneubau des 12. Jahrhunderts offensichtlich unzweckmäßig war. DasOculusfenster d in der Zumauerung mit seiner Laibung aus rheinischen Tuffsteinen paßt zudieser Datierung in das 12. Jahrhundert. Der Abdruck des ursprünglichen Holzrahmens isterhalten. Er war etwa rechteckig, 6 cm dick und ragte an den Seiten 15-20 cm, nach oben ca.3 cm in die Mauer.

Weitere BeobachtungenBeim Aufheben der Fußbodenplatten wurde festgestellt, daß in der Südostecke des älteren

(westlichen) Kryptenteils, bei Nr. 4 im Plan, eine ca. 1 m vor die Wand vorspringende Funda- 182mentplatte liegt. Für eine Untersuchung, ob hier Reste eines älteren Baues vorliegen, standnicht genügend Zeit zur Verfügung. Die Untersuchung kann bei späterer Gelegenheit nach-geholt werden.

In den Durchgängen zur Osterweiterung der Krypta wurden Putzstreifen abgeschlagen,um eventuelle Baunähte festzustellen. Das Mauerwerk erwies sich als einheitlich, Reste einerälteren Kryptenostwand fanden sich nicht. Die Aufdeckung der Apsis im Chor (s. unten),Nr, 5 im Plan, deren Scheitel über dieser Mauer liegt, läßt es zudem als gewiß erscheinen, daß 182die merkwürdige starke Trennmauer eben für diese Apsis und zugleich mit der Krypten-erweiterung neu errichtet wurde. Damit ist zugleich der Charakter der Kryptenerweiterungals Außenkrypta erkannt.

In der Osterweiterung der Krypta wurde der in der Mittelnische befindliche Altarblock,Nr. 6 im Plan, untersucht. Der jetzige Altarblock ist gegen einen älteren, abgebrochenen vongleicher Breite und Höhe gemauert. Die Abbruchkante des älteren Stipes liegt 65 cm hinterder jetzigen Altarfront. Der ältere Block ist in die Rundung der Nische hineingemauert unddann gemeinsam mit der Nischenwand verputzt worden. Die Vergrößerung des Altars durchVormauerung nach Westen geschah vermutlich, als während des Chorneubaues im 15. Jahr-hundert die Altarnische durch Abmauerung der Rückwand abgeflacht wurde. Die Zwickelzwischen vorgezogenem Altar und Nischenwand wurden nachträglich vermauert, möglicher-weise noch im gleichen Bauprogramm, da die Seitenwände des Altarblocks hinter derZwickelfüllung wohl Unterputz, aber keine Tünchspuren aufweisen. In der Zwickelfüllungwaren Feldbrandziegel verwendet.

W. Ueffing beobachtete, daß das Fundament der Sakristei-Ostwand (sichtbar im jetzigenHeizungskeller), bei Nr. 11 im Plan, mit dem des Vorgängerbaues der Krypta übereinstimmt 182und daß der unterste Teil der Sakristeimauer in die Kryptenaußenwand einband 11. Die Unter-kante des in opus spicatum (Fischgrätenmauerwerk) ausgeführten Fundaments liegt bei38,55 m ü. NN.

Profilschnitt durch das nördliche Querhaus und den anschließenden Teil der Vierung

Nach Abnahme des Kunststeinplattenbodens und dessen Magerbeton-Unterlage, bei Nr. 8 182im Plan, zeigte sich, daß außer rezenten Störungen a und einer barocken Backsteingruft b 191,zahlreiche spätmittelalterliche und neuzeitliche Erdbestattungen c in den Boden eingegriffenhatten. Unter den obersten, gestörten Schichten zeichneten sich die Ablagerungen der Bau-vorgänge des 12. Jahrhunderts - von der Errichtung des bestehenden Baues - ab: Fundament-gruben und Mörtelschuttpakete. Das Spannfundament, Nr. 9 im Plan, zwischen den beiden 182nördlichen Vierungs-Pfeilervorlagen gehört ebenfalls in diese Periode, ferner ein Fundamentwohl eines Nebenaltares d 1 und einige Pfostenlöcher mit Bauschuttfüllung d 2.

11w. Veffing (wie Anm. 3), S. 393 und Abb. 30.

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Der Bau des 12. Jahrhunderts überlagert einen alten Friedhof g, der sich im Profil deutlichabzeichnet. Zwischen die Periode des Friedhofs und die des bestehenden romanischen Bauesschiebt sich noch ein stratigraphisch schwach ausgebildeter Komplex, dem dennoch einewesentliche Bedeutung zukommt: Von der romanischen Bauschicht d bedeckt und z. T. ab-geschnitten liegt eine mit viel Holzkohle und mit grauem Ton vermischte Mörtelschuttschichte. Der Mörtel ist rosa gefärbt, möglicherweise erst sekundär, durch Brandeinwirkung. DieseSchuttschicht liegt auf einem humosen Bleichsandboden auf. Die Oberkante dieses Bodensist durch Brandcinwirkung teils schwarz, teils rötlich verfärbt. Der Befund deutet auf eineBrandkatastrophe in einem Kirchenbau, der dem bestehenden romanischen voranging. DieserVorgängerbau hat sich demnach im Bereich des heutigen Nordquerhauses erstreckt. In denZusammenhang mit etwas Alterem an dieser Stelle gehört auch die Grube J, in deren Sand-füllung Steine und Mörtelbröckchen liegen, vermutlich außerdem auch weitere, Holzkohleenthaltende Verfärbungen im Sand f 1,f 2.

Die bisher genannten Befunde überlagern einen älteren, geosteten Friedhof g. Er ist imWestprofil nur fragmentarisch erkennbar, im Ostprofil dagegen gut ausgeprägt. Es handeltsich um Holzsargbestattungen, die in den gewachsenen Sandboden eingetieft sind. DieSkelette sind fast völlig vergangen. Die als dunkelbraune Verfärbungen erhaltenen Särgehaben teils kastenfärmigen, teils ovalen Querschnitt. Bei den letzteren handelt es sich ver-mutlich um Baumsärge. Im Ostprofil sind mehrere Kinderbestattungen angeschnitten, einedavon in der nördlichsten Grabgrube des Ostprofils. Es ist nicht sicher erkennbar, ob derletztgenannte ~in~ersarg gleichzeitig mit de~ darunter befindli~hen ~rwachsenenbestattungoder nachträglich 10 den Boden gekommen rst, Auffallenderwelse reicht das Gräberfeld mitkeiner einzigen Bestattung in den Bereich der Vierung. Außer an dem abgebildeten West-profil bestätigte sich diese Tatsache auch bei den anderen Bodenaufschlüssen in der Vierung.

182 Im Bereich der Spannmauer zwischen den nördlichen Querhaus-Pfeilervorlagen wurdeder Schnitt nach Osten erweitert. Dabei zeigte sich, daß die Spannmauer nachträglich undmit wesentlich geringerer Tiefe zwischen die Fundamente der Außenwände gesetzt war.Sie besteht aus einem in Gußmauerwerk ausgeführten Fundament von 1,50 m Breite undeiner nur teilweise erhaltenen lage von Werksteinen in 0,95 m Breite.

Eine 1,70 m tiefe Sondierung in der Vierung westlich der Krypta galt der Frage, ob dieKrypta einen westlich vorgelagerten Quergang besessen hat. Die Antwort lautet negativ,da der gewachsene Boden, von jüngeren örtlichen Störungen abgesehen, bis unter die neu-zeitlichen Fußbodenschichten reicht. Dagegen wurden die Treppenwangen und Stufenrestedes romanischen Mitteleinganges zur Krypta (s. unten) teilweise freigelegt.

Ältere \Y/ estmauer im LanghausEine im Langhaus am westlichsten Halbsäulenpaar angesetzte Sondierung hatte zum Ziel

das Fundament und damit die genaue Lage der Schrankenwand mit dem Liemar-Epitaph zuermitteln. Überraschenderweise wurde nicht nur das Schrankenfundament, sondern darunter

193 noch eine gut erhaltene Westmauer eines älteren Langhauses gefunden.Ein wenig schräg zwischen dem Halbsäulenpaar verlaufend, besteht die 1bis 1,02 m starke

195, 196 Mauer nach Westen hin aus sorgfältigem Kleinquaderwerk mit einer Schichthöhe von durch-schnittlich 9 cm. Deutlich ist der horizontale, kantige Fugenstrich ausgebildet, selten auch einvertikaler. Während also nach Westen hin Sichtmauerwerk besteht, und zwar bis in eine Tiefevon 1,35 m unter heutigen Fußboden, ist das östliche Mauerhaupt als ungegIättetes Funda-ment aufgeführt bis in Höhe des ehemaligen Fußbodens bei 39,56 bis 39,62 m ü. NN., wodas Sichtmauerwerk mit einem geringen Rücksprung von 2-4 cm ansetzt. Das Baumaterialist hammerrecht bearbeiteter Bentheimer Sandstein und Raseneisenstein, teilweise in zweiterVerwendung. Östlich schließt sich an die Mauer eine mörteIschutthaltige Auffüllschichtan, deren Unterkante bei 38,52 m ü. NN. noch nicht erreicht ist. Offenbar ist diese Schicht

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Backstein -gruft

1·::.·.:0::1 Ältere Westmauer

~ Fundamente der Liemar - Schranke

~ Romanischer Fußboden

193 Vreden, St. Felicitas. Befund im Westteil des Langhauses. 1: 50

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194 Vreden, St. Felicitas. Vorlage der älteren \'<fesrmauer,von Norden

während der Errichtung der Mauer hinterfüllt worden, da einerseits eine Ausschachtungs-grube nicht erkennbar war, andererseits ein Mörtelvorsprung 60 cm unter der Mauerkronein die Auffüllung hineinragt. Im Gegensatz zu den Verhältnissen im Querhaus, wo der alteOberboden 30 cm unter dem modernen Fußboden ansteht, bei 39,55 m ü. NN., haben wir esim Westen mit einem stark abfallenden Gelände zu tun. Ein Fundamentvorsprung auf derAußenseite der Westmauer bei 38,49 m ü. NN. dürfte der alten Oberfläche an dieser Stelleentsprechen.

193, 194 Nach Westen hin sind der Mauer in der Flucht der heutigen Langhausmauer zwei Wand-pfeiler aus gespitzten und überflächten Sandsteinquadern vorgelegt. Sie ragen im Norden42 cm und im Süden 39 cm vor die Wand. Wie im Südschnitt festgestellt wurde, ruhen sieauf einem nach Westen laufenden Fundament, dessen Ende nicht erreicht werden konnte.Es steht mit dem Fundament der beschriebenen älteren Westmauer in Verband. Eine Portal-öffnung hat in der Mauer nicht bestanden.

Der äußere Fundamentvorsprung der Westmauer und des südlichen Wandpfeilers wirdvon einer schwarzen Brandschicht überdeckt. Darüber folgt ein FaIlmörtelhorizont von derErrichtung des bestehenden Baues, dann lagenweise Sand- und Bauschuttauffüllungen.Auch auf der Innenseite der Mauer konnte im ordschnitt ein in situ liegendes Brandniveau,2 cm stark, in der oberen Zone schwarz, darunter braun, mit Mörtelschutt, festgestellt wet-

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196 Vreden, St. Felicitas. Ältere Westmauer, von Westen

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den. Seine Höhe liegt mit 39,45 m unter dem iveau des in der Höhe von durchschnittlich39,60 m ü. NN. zu postulierenden Fußbodens. Leider ist der Anschluß der Brandschicht zurMauer hin gestört. Da Reste eines solchen zur Mauer gehörigen Fußbodens - bis auf denMauerabsatz - völlig fehlen, muß die Frage gestellt werden, ob überhaupt einer bestanden hatoder ob nicht der Brand vor Vollendung des Vorgängerbaues ausbrach. Die kleinflächio-enGrabungen erlauben hierüber keine sichere Aussage. Eine zweite Frage kann hingegen sicherbeantwortet werden: die gefundene Westmauer gehört nicht zu einer Zwischenphase derbestehenden Kirche, die etwa nachträglich durch ein Joch verlängert wäre. Im nördlichenSchnitt zeigt sich vielmehr eindeutig, daß die östlich anschließende Langhauswand auf einemeigenen Fundament steht, das nachträglich und mit trichterförmiger Ausschachtungsgrubegegen die Westmauer gesetzt ist und das einen völlig anderen Aufbau aus regellos vermauer-ten, roh behauenen Quadern und kleinem Füllmaterial besitzt. Die baugeschichtliche Bedeu-tung der Westmauer soll weiter unten (S. 250f.) behandelt werden.

Nachträglich auf die Westmauer aufgesetzt, z. T. mit einer Schuttlage dazwischen, ist193, 195 eine schräg geschichtete gemörtelte Packlage. Sie ist als Fundament der westlichen Abschluß-

wand der Michaeliskapelle, d. h. des Liemar-Epitaphs zu deuten. Die Westkante entsprichtder westlichen Kante der romanischen Plinthen. Die Westseite dieser Plinthen und Basenwar eingemauert, wie die frische Steinbearbeitung ohne Trittspuren an der wohlerhaltenensüdlichen Plinthe lehrt. Die Breite der Packlage beträgt 66 cm. Der ursprüngliche Fußbodendes bestehenden romanischen Baues, ein Mörtelestrich über Bruchsteinstickung, ist östlichdes Fundamentes der Liemar-Schranke auf der Südseite teilweise erhalten. Die Oberkanteliegt bei 39,81 m ü. NN. Die Plinthe ragt an dieser Stelle nur 2 cm aus dem Fußboden heraus.Westlich des Schrankenfundamentes ist der Fußboden nicht erhalten, er wird dort kaumtiefer, jedenfalls nicht mehr als 5 cm tiefer gelegen haben, da die Fallmörtelschicht von derErrichtung des romanischen Baues mit ihrer Oberkante bei 39,65 m liegt.

Basis mit Eckzier im Langhaus

197 Anläßlich der Fußbodenerneuerung beobachtete W. effing12, daß eine einzige der Lang-hausbasen, nämlich die am zweiten Pfeiler von Westen auf der Südseite, eine Eckzier be-

12 w. Veffing in: Auf Roter Erde Nr. 102 (Beilage zu den Westfälischen achrichten. November 1967) S. 3.

197 Vreden, St. Felicitas. Basis mit Resten vonEckzier am zweiten Pfeiler von \'?'esten aufder Langhaus-Südseite

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198 Vreden, St. Felicitas. Apsismauerrest im Hochchor, darüber Rest eines Altarfundamentes

sessen hat. Bis dahin war sie vom Fußbodenbelag überdeckt gewesen. Die Basis ist starkbeschädigt und von den Eckausbildungen sind nur bis zu 4 cm hohe Reste erhalten. Eshandelt sich um Gebilde, die im Verhältnis zur Basis ungewöhnlich klein sind. Der Grund-riß ist oval. Ob sie als zylinderähnliche Röllchen oder, wie wir eher annehmen, als Knollekugelig oder mit einem Mittelgrat ausgebildet waren 12a läßt sich nicht mehr sicher ermitteln.

Apsis im Hochchor

Von W. Ueffing aufgedeckt12h und vom Berichterstatter eingemessen, bei Nr. 5 im Plan, 182wurde der Rest einer romanischen Apsis auf dem Hochchor, über der Trennwand zwischen 198westlichem und östlichem Teil der Krypta gelegen. Die innere Rundung der Apsis ist auf

l2a Beispiele dazu s. unten, Anm. 51. l2b Vg!. W. Ueffing (wie Anm. 12).

16 Westfalen. Band 50 241

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einer Breite von 3,10 m erhalten. Die Außenkante der Mauer konnte nicht ermittelt werden,da das Mauerwerk nur noch unterhalb der Gewölbehöhe des östlichen Kryptenteils erhaltenist, d. h. nur im Bereich der Widerlager dieser Gewölbe. Die östliche Abbruchkante verläuftca. 1,20 m östlich des Innenscheitels. Nach Süden reicht das Mauerwerk bis an die gotischeChormauer. Das Apsismauerwerk besteht aus einer Innenschale aus 20 cm hohen und20 bis 35 cm langen hammerrecht bearbeiteten Kleinquadern, dahinter Füllmauerwerk ausgroßem und kleinem Bruchsteinmaterial, teils in schräger Packlage, in festen, weißen Mörtelgebettet.

Grabung auf dem Gelände der KaplaneiVor Anlage des neuen Kaplaneigebäudes östlich der Stiftskirche wurde 1967 auf dem 200

Baugelände sondiert, um eventuelle Reste von Gebäuden und Befestigungen der Stifts-immunität zu erfassen. Ein Schnitt E wurde südlich des Chores angesetzt, beginnend in 199einem Abstand von 4,40 m südlich der Chormauer in einer Länge von 13,90 m. Darin wurdedie Stadtmauer a erfaßt, mit zugehörigen, von Mörtelschutt durchsetzten Schichten bunddem alten Stadtgraben c. Älter als die Stadtmauer ist eine Folge aufgefüllter Sandschichten d.In einer Höhe von ca. 37,70 m ü. NN. besteht ein altes Niveau. Im Norden des Schnittesist es als 5 cm starke graue Tonschicht e 1 ausgebildet, an der Stadtmauer als braunes, sandigesLaufniveau e2 auf einer bläulich-schwarzen humosen Sandschicht e3. Dieses Niveau über-lagert wiederum eine gelbe sandige Lehmaufplanierung f. Darunter liegt im Norden desSchnittes eine ca. SO cm starke humose graubraune Sandschicht g, von der einzelne Pfosten-löcher in den gewachsenen Boden reichen. Die Sandschicht enthält vereinzelt menschlicheKnochen, ferner Steine, Mörtelschutt, Schiefer- und Backsteinstücke. Sie kann also nicht vordem 12. Jahrhundert entstanden sein. Hinweise auf Mauern und Mauer-Ausbruchgrubenfanden sich nicht. Das Niveau ist demnach das Ergebnis von durchgreifenden Planierungs-maßnahmen, die um einiges vor der Errichtung der nach 1382 zu datierenden Backstein-Stadtmauer13 liegen müssen, aber keineswegs in das frühe Mittelalter zurückreichen können.Eine gleichartige Schichtenfolge wurde in dem Sondierungsschnitt F südlich des Chores 200festgestellt. Die Oberkante des gewachsenen Bodens liegt dort nur 6 cm höher. Die ursprüng-liche Geländeoberfläche muß in diesem Bereich dagegen einen Abhang gebildet haben, dervon dem erhöhten Platz der Kirche (vgl. die auf Bild 199 eingezeichnete Oberfläche desgewachsenen Bodens in der Kirche) in das Tal der Berke1 geführt hat. Weiter östlich konntedie alte Bodenoberfläche an der Stelle Cerfaßt werden: eine ca. 30 cm starke Decke humosenSandbodens, deren Oberfläche (bei 38,06 m ü. NN) durch Brandeinwirkung 3 bis 12 cm tiefgerötet war. Darüber liegt eine bis zu 15 cm stark erhaltene Mörtelschuttschicht mit Sand-steinbrocken, verziegeltem Lehm und unverbranntem roten und grauen Lehm durchsetzt.Auffallend ist das häufige Vorkommen von Eisenschlacke in dieser Schicht. Eine Kugeltopf-scherbe wurde gefunden.

8 m südlich dieser Stelle wurde wiederum ein älteres Niveau angetroffen in Schnitt D.Hier war der humose Oberboden abplaniert, darauf lag ein Lehmauftrag und ein schwarzesLaufniveau bei 37,74 m ü. NN. Über Sandauffüllungen folgte hier bei 38,12 m ü. NN einBrandhorizont.

Diese Stellen mit ungestörter älterer Schichtenfolge hatten jeweils nur eine geringfügigeAusdehnung, sie wurden abgeschnitten von spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Störun-gen. In Schnitt A konnte der gewachsene Boden auch in 2,80 m Tiefe unter der Erdober-fläche noch nicht erreicht werden.

Baureste aus der Frühzeit des Stiftes sind in diesem Bereich infolge der neuzeitlichen Bau-tätigkeit und der schon im hohen Mittelalter erfolgten Planierungen also nicht mehr zu

13 Vg!. F. Tenhagen 1939 (wie Anm. 8) S. 80.

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erfassen. Deutlich wird aber auch die hervorgehobene Lage der Stiftskirche auf einer Kuppe,die nach Westen (siehe Langhausbefund), nach Osten (Schnitt C), vor allem natürlich nachSüden zur Berkel hin (vgl. auch Schnitt E) abfiel, aber auch den Grund der St. Georgskircheim Nordosten überragte (bei den Ausgrabungen dort wurde der alte Oberboden in ca. 2 mTiefe arizetroflen 14, während er in der Felicitas-Kirche nur unwesentlich unter dem heutisen

b b

Boden liegt).

N

Pfarrkirche St. Georq

ehem. Stiftskirche

/200 Vreden. Kirchplatz mit Eintragung der Grabungsschnitte 1967. 1 :1000

Nordanbau

1962 grub W. Ueffing die Fundamente des 1868 abgebrochenen Anbaues auf der Nord-182 seite aus 15,N r. 7 im Plan. Als sicher darf die Feststellung gelten, daß die Nordwand des Anbaues

älter ist als das romanische Querhaus. Ein Eingang von ähnlichen Abmessungen wie der201 Durchgang zur Sakristei führte in den Anbau. Das Sandsteingewände des Eingangs war

zusammen mit dem Querhaus errichtet worden. Man hat es nach den Kriegszerstörungennicht wiederhergestellt. Im Ostfundament des Anbaues sind zwei Bauperioden erkennbar.Der Befund wurde aber nicht weiter geklärt.

14 W. Winkelmann, Vredener Festbuch 1952 (wie Anm. 1) S. 33.15 W. Ueffing (wie Anm. 3), S. 392f. und Abb. 3.

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t. Felicitas. Durchgang in der Ostwand des nördlichen Querhausarmes. 1948

ERGEB ISSEVorgängerbau

Folgende neue spekte haben sich zur Geschichte der Stiftskirche ergeben: Die Krypta 182des 11. Jahrhunderts ist nicht der erste Bau an dieser Stelle. Sie ist in die UmfassungsmauernInes älteren, ebenerdigen Gebäudes von 8 m lichter Breite eingebaut. Die Mauerstärken

~ieses Gebäudes bet~agen 70 c~ im o~den, 80 cm im Süd~n ..Möglicherweise waren diernnenwände ~urch Llsene.n geglied.ert. DIe Ostw~nd der ~aknstel gehört zu diesem Bau. Obdamit eine KIrche erfaßt l~t oder em..profane~. Stiftsbau, ist vom Befund her zunächst offen.Indessen sprechen ver chie.dene ~Grunde dafur, den Vorgängerbau als Kirche anzusehen.Da ist einmal die Lage auf einer Kuppe oberhalb der Berkel, höher als die St. Georgs-Kirche,u nennen. Der im Querhaus der Kirche angeschnittene alte Friedhof (s. oben S. 236) endet 191, 192

~nvermittelt an der Grenze zur Vierung, was für eine frühe Bebauung des Vierungsbereichespricht. Schließlich ist auch die Krypta so angelegt, daß sie deutlich auf einen schon vorhan-~enen und weiterhin benutzten Baukörper Rücksicht nimmt, d. h. die Krypta ist als nach-träglicher Einbau 0 eine bestehende !(irc~e zu ver~.tehen ...Der einzige ursprüngliche Krypten-ugang liegt nämlich an der Stelle eines alteren Turgewandes, und das Fehlen von Fenstern

Z nd Türen im westlichen J och - in dem bei den übrigen Krypten dieses Typs die seitlichu eführten Eingänge zu liegen pflegen - ist offenbar durch flankierende Anbauten an den%orgängerbau bedingt, zu den~n das Ostfundament der jetzigen Sakristei und Teile derergrabenen Kapellenf~ndamente im or~en g~~1örenmüs.sen (s. S. 2~5, 244). Die We~tausd~h-nung dieser älteren Kirche muß wesentlich kurzer als die der heutIgen gewesen sein, da im

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202 Vreden, St. Felicitas.Rekonstruktion derKrypta und des nörd-lichen und südlichenAnnexbaues. Erhal-tene Teile schwarz.1:200

Bereich des heutigen Westjoches bereits ein Geländeabfall von über einem Meter festzustellen193 ist. Die dort gefundene Westmauer kann nicht zu jener älteren Kirche gehören, sie dürfte

vielmehr, wie gleich zu zeigen ist, jünger als die Krypta sein.Das Alter des Vorgängerbaues läßt sich nach den bisherigen Feststellungen nicht angeben,

ebenso bleibt offen, ob er seinerseits bereits einen vielleicht hölzernen Vorgänger gehabt hat.Mit 8 m lichter Breite übersteigt er das Lichtmaß des karolingischen Mittelschiffs unterSt. Georg um einen Meter, d. h. es handelt sich um einen größeren Kirchenbau, nicht umeine Kapelle. Die Art der Fundamentierung mit schräggestellten Packlagen hat unter den karo-lingischen Kirchen Westfalens keine Analogie. Es ist das Verdienst von Werner Ueffing,15adie Tatsache des Vorgängerbaues zuerst erkannt und die achuntersuchung der entschei-denden Stellen in der Krypta durch das Denkmalamt angeregt zu haben. Ueffing hat ausdiesem Befund in Verbindung mit weiteren Erwägungen sehr weitgehende Folgeruno-engezogen. Die ursprüngliche Stiftskirche sei nicht mit den ausgegrabenen karolingischen ~ndottonischen Bauten an der Stelle der heutigen Pfarrkirche identisch, sondern habe immer ander Stelle der jetzigen gestanden. Angesichts der ungewöhnlichen Aufwendigkeit und desReichtums der Ausstattung der ergrabenen Bauten unter St. Georg - ein selbst für Stifts-kirchen höchst ungewöhnlicher Befund, der auch aus dem kurzen Vorbericht über die Gra-bungen deutlich wird 16- ist diese These unglaubhaft. Zumal sich an der Stelle der jetzigenStiftskirche eben keine ältere Krypta als die des 11. Jahrhunderts gefunden hat, und anderer-seits die Ausgrabungen Spuren von Kreuzgang und Stiftsgebäuden unmittelbar südlich derGeorgskirche erkennen ließen 17. Dem gegenüber ist Ueffings Bezugnahme auf die Eintragun-gen in den Memorienbüchern des Stiftes, gemäß denen die Jahresgedächtnisse des überliefer-ten Stifters Graf Walbert und seiner Verwandten, der Gräfin Bertradis, mit einem Gang ZumGrabmal der Betreffenden gefeiert wurde, nicht stichhaltig, denn bei einer Verlegung derStiftskirche können die Gräber umgebettet oder durch Kenotaphien ersetzt worden sein 18.

ISa W. Ueffing (wie Anm. 3).16 W. Winkelmann und H. Claussen (wie Anm. 1), S. 310f., 313.17 W. Winkelmann, Vredener Festbuch 1952 (wie Anm. 1), S. 33.18 Vgl. W. Ueffing (wie Anm. 3), S. 388/390 - siehe F. Tenhagen, ber Walbert, den Enkel Widukinds, als

Gründer des Stiftes Vreden: Zeitschrift f. vaterländische Geschichte und Altertumskunde 74, 1916, S. 243 f.und: F. Tenhagen, Gesammelte Abhandlungen zur Vredener Geschichte. Vreden 1939, S. 13.Eine solche Umbettung eines wichtigen Grabes - ob das Walberts, ist nicht sicher erweisbar - konnteW. Winkelmann sogar nachweisen - Vredener Festbuch 1952 (wie Anm. 1), S. 33, vgl. unten S. 257.

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203 Helmstedt.Krypta nach W. Zim-mermann. 1: 200

Die Deutung der »Doppelkirchenanlage« muß beim Fehlen schriftlicher Quellen undangesichts der Ungewißheit über Altar, Gestalt und eventuelle Vorgeschichte der frühenBauteile unter der Felicitas-Stiftskirche rein hypothetisch bleiben. Zunächst wird man an denvon E. Lehmann gebrauchten Begriff der »Kirchenfamilie« denken 19. In diesem Rahmenkönnte die spätere Felicitas-Stiftskirche vielleicht ursprünglich die Funktion einer Laien-pfarrkirche gehabt haben 20. Darüber hinaus könnte man erwägen, ob eine dem Stift voraus-gehende widukindische Missionszelle - wenn eine solche bestanden hat - oder eine vor derStiftsgründung angelegte Pfarrkirche an jener Stelle errichtet wurde.". Man muß in diesemZusammenhang natürlich die Frage stellen, wann und warum die »Jungfernkirche«, wie sieim späteren Mittelalter genannt wurde, an die Stelle der jetzigen Stiftskirche verlegt wurde.Wir kommen auf diesen Punkt weiter unten zurück (S. 256f.).

Die Krypta

Die Krypta der Stiftskirche St. Felicitas besteht aus zwei Teilen, einem westlichen Haupt-teil von vier Jochen und einer östlichen Erweiterung von zwei Jochen. Diese Erweiterunghat sich als eine ehemalige Außenkrypta herausgestellt, die erst durch den gotischen Chorvon 1427 überbaut wurde (S. 256f.).

In der Hauptkrypta konnte jetzt die ursprüngliche Gliederung der Westwand ermittelt 182,202werden: Statt der beiden Eingänge, die erst im 18. Jahrhundert eingebrochen wurden,enthielt sie ursprünglich drei Nischen auf nicht ganz halbkreisförmigem Grundriß. Der einzige

19 E. Lehmann, Von der Kirchenfamilie zur Kathedrale: Festschrift Friedrich Gerke. Baden-Baden 1962,S. 21-37.

20 Vgl. U. Lobbedey, Zur archäologischen Erforschung westfälischer Frauenklöster des 9. Jahrhunderts:Frühmittelalterliche Studien 4, 1970, 320-340.

21 J. Prinz, Die Parochia des Heiligen Liudger: Westfalia Sacra 1. Münster 1948, S. 70, 75 möchte hier denSitz eines ursprünglich eigenständigen Missionssprengels sehen, der erst um 780 zum BistumssprengelMünster geschlagen wurde. Als Patron wäre nach Tenhagen (Ges. Abhand!., wie Anm. 8, S. 25f., 36ff.,40ff.) der hl, Papst Sixtus 11. anzusehen.

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Eingang befand sich im zweiten joch von Westen auf der Südseite w. Durch die Nischen-gliederung erscheinen die schon früher beobachteten Beziehungen zur Essen-\VerdenerArchitektur23 noch enger. Zugleich wird damit ein gewisser Unterschied zu der unter derVredener Pfarrkirche St. Georg ergrabenen ottonischen Krypta sichtbar. Bei dieser fehlendie Nischen, während die Raumdisposition fast übereinstimmt. Altertümlichere Detailssprechen für ein höheres Alter der Krypta unter St. Georg ",

Die Ostwand der Hauptkrypta ist anläßlich des Baues der romanischen Apsis und derAußenkrypta von Grund auf neu errichtet worden (S. 235). Bei unserer Rekonstruktionder alten Ostwand wurde vorausgesetzt, daß das östliche Joch ursprünglich ebenso lang warwie die drei übrigen, und nicht, wie jetzt, überlängt. Da die Architekturglieder der Außen-krypta sichtlich an die der Hauptkrypta anknüpfen, ist es wahrscheinlich, daß auch die halb-runden Nischen in der Ostwand der Außenkrypta (nur die mittlere ist ganz erhalten, dieseitlichen sind beim Bau des gotischen Chores verstümmelt) eine ehemalige Nischengliede-

203 rung der Hauptkrypta widerspiegeln. Entsprechend der Felicitas-Krypta in Helmstedr w sinddie Ostnischen wohl auch hier etwas tiefer als die der \Vestwand zu rekonstruieren.

Die Bauzeit der Stiftskirchenkrypta ist von Thümmler t" mit der Regierungszeit derÄbtissin Adelheid 1. 1014-1044 verknüpft worden, deren Schwester Sophie 1011-1039 undderen Nichte Theophanu von 1039-1056 in Essen Äbtissinnen waren. Als terminus postquem wird das jahr 1016 angesehen, in dem Graf\Vichmann Ill. in Vreden bestattet wurde.Ein Grab, das man in der ottonischen Krypta unter St. Georg aufdeckte, wird anhand einerSchädelverletzung mit dem des ermordeten Grafen identifiziert-". Das Todesjahr Adelheids1044 ist dagegen wohl nicht als verbindlicher terminus ante quem für die Stiftskirchenkryptazu verstehen. Daß die Verbindung zwischen den Stiften nicht abriß, läßt sich an den Kapi-tellen des späten 11. Jahrhunderts in der Osterweiterung der Krypta kunstgeschichtlichableseri'". Das wichtigste Datum ist in diesem Zusammenhang das durch Inschrift bezeugteWeihedatum der Essener Münsterkrypta von 1051, ohne deren Pfeiler die entsprechendenVredener Formen nicht gut denkbar sind29• Um oder nach der Mitte des 11. jahrhundertssind auch die vergleichbaren Kryptenräume in der Abteikirche zu Werden und in Helmstedtentstanden 30. Interessant ist auch der Vergleich mit der in diesem Zusammenhang bishernicht genannten Krypta der ehemaligen Damenstiftskirche zu Meesen (Belgien) 31. Sie dürfte

22 An gleicher Stelle, allerdings symmetrisch auf beiden Seiten, liegen die Eingänge zur Krypta von St. Ste-phan in Würzburg, geweiht 1018. - Fr. Oswald, Würzburger Kirchenbauten des 11. und 12. Jahrhunderts:Mainfränkische Hefte 45, 1966, S. 61 und Abb. 4 und 5.

23 H. Thümmler 1948 (wie Anm. 2), S. 205f.24 W. Winkelmann und H. Claussen 1953 (wie Anm. 1), S. 318. Grundriß der ottonischen Krypta bei Thümm-

ler 1964 (wie Anm. 1), S. 872 und Vorroman. Kirchenb. (wie Anm. 29) S. 364.25 Zimmermann, Werden (wie Anm. 30), S. 58, Abb. 62.26 H. Thümmler 1948 (wie Anm. 2), S. 20321 W. Winkelmann und H. Claussen 1953 (wie Anm. 1),318. - Thürnmler 1953 (wie Anm. 2), 296.28 H. Thürnmler 1948 (wie Anm. 2), S. 206.29 H. Thümmler 1948 (wie Anm. 2), S. 205. Nach Zimmermann, Das Münster zu Essen = Die Kunstdenkmälerdes Rheinlands Beiheft 3. Essen 1956, ist die Essener Krypta in einem Zuge entstanden. Zimmermannschreibt auch die Kirche und das Westwerk erst der Mitte des 11. Jahrhunderts zu. Vgl, VorromanischeKirchenbauten. Katalog. Bearbeitet von F. Oswald, L. Schaefer, H. R. Sennhauser. München 1966-1970S.73( ,

30 W. Zimmermann, Die Kirchen zu Essen-Werden = Beiheft 7 der Kunstdenkmäler des Rheinlands. Essen1959,51, 57f. - A. Vetbeek, Die Außenkrypta. Ztschr. für Kunstgeschichte 13, 1950, S. 28. Vgl. ferner dieRegensburger Gruppe um die Mitte des 11. Jahrhunderts. - R. Strobel, Romanische Architektur in Regens-burg = Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft Bd. 20. Nürnberg 1965.

31 Die 1685 völlig umgebaute Krypta wurde nach Kriegszerstörung der Oberkirche 1928 unter Rekonstruk-tion des ursprünglichen Zustandes wieder aufgebaut .Vgl. R. Maere und St. Mortier, La crypte de l'eglisedes Messines: Bulletin des commissions royales d'art et d'archeologie 69, 1930, S. 98-104. - Broeder FirminDe romaansche kerkelijke bouwkunst in West-Vlaanderen. S'-Gravenhage 1940, S. 143. '

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204 Vreden, St. Felicitas. Südwand des Chores von außen mit Resten der Sakristei. 1948.

bald nach der Gründung des Stiftes 1060 entstanden sein. Die dreischiffige, vierjochige Hallemit den lichten Gesamtmaßen von 11 m Länge und 7,30 m Breite hat im Osten drei tiefeNischen. Zwei Eingänge befinden sich in den Seitenwänden der Westjoche. Die Rachen,nur 10 cm vorspringenden Wandpilaster sind ebenso wie in der Vredener Stiftskirchenkryptaan der Westwand rechtwinklig um die Ecke geführt, »unlogisch« im Sinne eines Gewölbe-systems mit Schildbägen 32. In Meesen sind, um ein breiteres Gewälbeauflager zu erzielen,klobige Vorkragungen in Form eines geviertelten Würfelkapitells eingefügt. An den Längs-wänden befanden sich ebenfalls starke Vorkragungen. Man ist geneigt, diese unorganischenZwischenstücke einer Planänderung zuzuschreiben.

Der Vergleich mit Meesen spricht ebenfalls für eine Datierung der Vredener Felicitas-Krypta nicht vor 1050. Ist aber die ergrabene Krypta unter St. Georg schon vor 1016 ent-standen, so wird die weitgehende Übereinstimmung der beiden Räume schwer erklärbar s''.

32 Vgl. H. Thümmler 1948 (wie Anm. 2), S. 204.33 Terminus post quem für die Errichtung der Hallenkrypta unter St. Georg ist die Zerstörung der karolingi-

schen Kirche. Der bisher in die Zeit um 900 angesetzte chronologische Anhaltspunkt, nämlich ein silbernerSchmuckbrakteat aus der über der Zerstörungsschicht liegenden Schwemmschicht (W. Winkelmann1953 (wie Anm. 1) S. 213 f.) muß revidiert werden: das Stück ist erst in das ausgehende 10. oder beginnende11. Jahrhundert zu datieren. Die Errichtung der ottonischen Kirche kann also nur knapp vor das TodesjahrWichmanns 1016 gesetzt werden - sofern man überhaupt an dieser einleuchtenden, aber doch nicht mitletzter Sicherheit erwiesenen Interpretation festhalten will.Zum Schmuckbrakteaten vgl. jetzt P. Berghaus, Der Münzschmuck von Gärsnäs, Ksp. Herrestad (Skäne):

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195, 196188

191, 192193, 194

Das Problem kann an dieser Stelle aber nicht vertieft werden, nicht zuletzt weil die Vorlageder Kryptenbefunde unter St. Georg noch abgewartet werden muß.

Die Außenkrypta unterscheidet sich durch ihre Kapitelles! und die Eckzehen an denbeiden Basen etwas von den Formen der Hauptkrypta. Die Kapitelle sind mit H. Thümmler35in das Ende des 11. Jahrhunderts zu datieren.

204

Die Kirche des 11. Jahrhunderts

Die bisherige Meinung, nach der zuerst Krypta und Chor und dann nach einer langenBaupause etwa um 1180 Querhaus und Langhaus errichtet wurden+", muß nach zwei Seitenrevidiert werden: einmal ist, wie wir gesehen haben, die Krypta in einen bereits bestehendenBau hineingesetzt, zum anderen ist zwischen Krypta und bestehender Oberkirche eine weitereBauphase zu berücksichtigen. Die neu gefundene Westmauer kann nämlich auf Grund ihrerregelmäßigen lagerhaften Mauerstruktur nicht gut mit dem unregelmäßigen Verband derKrypta verglichen werden. Auch mit dem erhaltenen Langhausbau hat diese Mauer nichtszu tun, wie die Baufuge im Fundament und die aus Bentheimer Sandstein im Gegensatzzum Baumberget des jetzigen Langhauses bestehenden Pfeiler beweisen. Doch ist die Mauer-struktur verwandt. Folgt man diesem Kriterium, so findet man einen entsprechenden Mauer-verband mit gleicher Schichthöhe und den charakteristischen langen Läufern am Chormauer-werk: H. Thümmler hat an der Ruine der kriegszerstörten Chornordwand drei Mauerwerk-zonen fesrgestellt'": 1. das Kryptengemäuer, 2. darüber bis zum Scheitel des Sakristeigewöl_bes ein sorgfältiges lagerhaftes Mauerwerk mit über 15 cm Schichthöhe und 3. darübergröber behauene, in Schichten von ca. 10 cm Höhe verlegte Handquader. Diese dritte Zoneist mit dem Mauerwerk der Westmauer am besten vergleichbar. Wie hoch sie sich nach obenerstreckt und ob darüber noch eine vierte Zone folgte, läßt sich nach der Kriegszerstörungnicht mehr feststellen. Aus den Fotos des kriegszerstörten Zustandes geht noch hervor, daßdas flachgeschichtete Mauerwerk mit den langen Läufern der dritten Zone am Querhaus nichtvorkam. Nachdem nun die Apsisrundung über der Trennmauer zwischen den beiden Kryp-tenteilen festgestellt ist und damit die Errichtung dieser Apsis mit der der Außenkrypta inVerbindung gebracht werden muß, ist auch für die unteren Teile des Charmauerwerkseine Datierung in das späte 11. Jahrhundert, eben in die durch die Kapitelle datierte Bauzeitder Außenkrypta bewiesen, wobei die Mauerwerkszonen 2 und 3 vielleicht nicht auf ver-schiedene Bauperioden, sondern nur auf eine Bauunterbrechung deuten. Wenn diese Chor-anlage und die Westmauer zusammengehören, wie wir auf Grund des Mauerwerkvergleichsannehmen möchten, dann ist dem bestehenden Gewölbebau ein um ein Joch kürzerer Kir-chenbau des späten 11. Jahrhunderts vorangegangen. Unbekannt ist, ob dieser einschiffig oderdreischiffig war. Ein Querhaus muß angenommen werden, da im Bodenprofil des romanischenQuerhauses älterer Brand- und Bauschutt vorkommt (Schicht e, vgl. S. 236). Mehrdeutigsind die unter den Pfeilern der Westmauer nach \Vesten weiterlaufenden Fundamente. Viel-leicht bestand hier eine offene Halle, möglicherweise Substruktion für einen darüber befind-lichen Bauteil. Eine Durchgangsverbindung von dem über 1,10 m tief gelegenen Außen-niveau zum Langhaus bestand jedenfalls nicht.

Der so erschlossene Vorgängerbau ist durch Brand zerstört worden, wie der Befund an derWestmauer erkennen läßt. Daß die im Querhaus festgestellte Brandschicht mit der an der

Numismatiska Meddelanden 30, 1956, S. 35, 37 und ders., Artikel »Smyckebrakteater« in: Kulturhistoriskleksikon for nordisk middeIalder Bd, XVI, Kopenhagen 1971, Sp, 273-275.

34 Die Kapitelle sind ebenso wie die der Hauptkrypta nach der Kriegszerstörung unter Verwendung origina-ler Teile als Kopien erneuert worden .

•• S. Anm. 28.36 H. Thümmler 1948 (wie Anm. 2), S. 208, 211f.37 H. Thümmler 1948 (wie Anm. 2), S. 206f. und Abb. 38.

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205 Vreden, St. Felicitas. Grundriß mit Apsis und älterer Westmauer. 1: 400

Westmauer identisch ist, kann nicht bewiesen werden, ist aber durchaus wahrscheinlich. Anbeiden Stellen hat offenbar zur Zeit des Brandes kein Estrich bestanden. Möglicherweiseoder sogar wahrscheinlich brannte also der Bau noch vor seiner Vollendung. Der Baubeginnmuß auf jeden Fall in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts fallen, wahrscheinlich gegenEnde des Jahrhunderts. Er rückt damit in zeitliche Nähe zu der Übergabe des Stiftes anErzbischof Liemar von Bremen im Jahre 1085, man könnte also in Liemar den Initiator desBaues vermuten. Diesem Liemar-Bau würde dann der von Thümmler in die Zeit um 1180 da-tierte bestehende Gewölbebau als eubau unter Verwendung der älteren Krypta und Teilendes Chores folgen. Es muß aber erwogen werden, ob sich die Befunde auch anders interpretie-ren lassen, nämlich so, daß der noch vor seiner Vollendung durch Brand zerstörte Bau schoninnerhalb eines kürzeren Zeitraumes durch den bestehenden Gewölbebau ersetzt wurde. Dasinteressanteste Argument für diese Deutung wäre die Epitaph-Inschrift Liemars, die sichin baulichem Zusammenhang mit dem bestehenden Gewölbebau befand. Die Frage derDatierung des bestehenden Baues ist von W. Ueffing kürzlich erneut aufgeworfen wordenund soll im folgenden Abschnitt noch einmal dargelegt werden.

Die Kirche des 12. Jahrhunderts und das Epitaph Erzbischof Liemars

Der bestehende Bau ist nicht nachträglich eingewölbt worden, wie früher angenommen 205wurde. Die Strebepfeiler sind vielmehr im Verband mit der Mauer aufgeführt, und in dieserMauer verlief auch in Kämpferhöhe ein hölzernes Ankersystem, dessen Spuren nach demKriege beobachtet wurden 38. Die Langhausgewölbe sind in gotischer Zeit erneuert, dieQuerhausgewölbe waren noch bis zum Kriege in romanischer Form erhalten. Der gotischgewölbte Chor besaß in seinem älteren romanischen Teil ebenfalls Anker und offenbar auchursprünglich ein romanisches GewÖlbe39• Das am Langhaus ausgebildete Strebepfeilersystemfehlt am Querhaus. Dies und einige Inkonsequenzen an den Gewölbevorlagen der Vierungdeuten darauf hin, daß der Bau gewissen Planänderungen unterworfen war, vielleicht imZuge einer längeren Bauzeit.

38 H. Thümmler 1948 (wie Anm. 2), S. 208f.39 H. Thürnmler 1948 (wie Anm. 2), S. 207 hatte Flachdeckung des Chores angenommen. Außer den auf den

Fotos erkennbaren Höhlungen der ehemaligen Holzanker deuten auch die Beobachtung von Schildbogen-Spuren auf Vorkriegsfotos des Innenraumes durch W. Veffing darauf, vg!. W. Veffing in: Auf Roter ErdeNr. 101, (Beilage zu den Westfälischen achrichten, Oktober 1967) S. 3.

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W. Veffing hat - noch ohne Kenntnis der Westmauer und des damit erwiesenen Vor-gängerbaues - versucht, eine Entstehung des erhaltenen Baues während der Zeit ErzbischofLiemars Ct 1101) zu beweisen+", Als Argumente dienen ihm in erster Linie die überlieferteLiemar-Inschrift und Vergleiche zur Kapitellornamentik. Nun wäre eine Datierung der Vre-dener Kirche mit ihrer Wölbung und den Strebepfeilern in das ausgehende 11. Jahrhundertoder um 1100 - also unmittelbar im Anschluß an den ersten Großgewölbebau Speyer - kunst-geschichtlich nur dann vertretbar, wenn eindeutige Baunachrichten vorlägen. Das ist abernicht der Fall. Zudem ist eine andere Bauperiode, die sich mit Liemar in Zusammenhangbringen ließe, jetzt faßbar geworden. Dennoch verlangt das untergegangene Liemar-Monu-ment eine nähere Betrachtung. 1085 schenkte König Heinrich IV. das Stift Vreden mit allemZubehör samt Münze, Markt und Zoll seinem Parteigänger, dem Erzbischof Liemar vonBremen 41. Liemar scheint den Besitz der Abtei nicht nur als Pfründe betrachtet zu haben ,sondern ist offenbar auch als Wohltäter aufgetreten. Sein Name wird in den Nekrologien des15. Jahrhunderts genannt+, und die vom Stiftsscholaster Nünning im 18. Jahrhundert auf-gezeichnete Inschrift empfiehlt den Verstorbenen der Fürbitte der Kanonissen. Diese Inschriftwar auf einer steinernen, durch einen Kassettenfries gegliederten Schranke angebracht, diedas westliche Joch des Langhauses von der übrigen Kirche abteilre+'. Die Schrift, aus sechsleoninischen Hexametern bestehend, war auf beiden Seiten der Schranke, also zum Schiff hinund auf der rückwärtigen Seite angebracht. Der Raum westlich der Schranke diente alsMichaeliskapelle. Ihre besondere Bedeutung wird durch den darin aufgestellten Äbtissinnen_thron gekennzeichnet. Über der Michaeliskapelle war eine Zwischendecke eingezogen. DasObergeschoß diente als Damenempore. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verschwand dieMichaeliskapelle mit der Schranke. Nur wenige Werkstücke, die dieser Anlage zugeschriebenwerden können, sind in das Vredener Heimatmuseum gelangt. Der genaue Standort der

193 Schranke konnte durch die Grabung ermittelt werden, er lag zwischen den beiden westlichenHalbsäulenvorlagen, und zwar auf der Höhe der westlichen Säulenhälften. Das sogenannteLiemar-Denkmal, das nicht, wie diese gebräuchliche Bezeichnung vermuten läßt, ein Denkmalals selbständiges Gebilde ist, sondern eine Memorialinschrift auf einem besonders bedeutungs-vollen Bauteil, verdient als Vorläufer der spätmittelalterlichen Epitaphien hervorgehoben zuwerden44• Es fragt sich, ob eine Entstehung dieses Monumentes in Verbindung mit demBau etwa 80 Jahre nach Liemars Tod wahrscheinlich ist - selbst wenn man einräumt, daß es.sich um eine Kopie einer älteren Inschrift gleichen Inhalts handeln könnte. Daß die Schrankeals Ganzes von einem älteren Bau übernommen und an anderer Stelle wieder zusammen-gesetzt worden ist, kann angesichts des komplizierten Steingefüges wohl kaum angenommenwerden. Zudem scheinen die wenigen Fragmente, denen Veffing noch einige weitere, figür-lich und ornamental verzierte Stücke hinzufügen möchte, auf einen Zusammenhang mit derWerksteintechnik des Gewölbebaues hinzudeutens". Inwieweit könnte also der Vredener Baumit der Epoche Liemars architekturgeschichtlich noch in Verbindung gebracht werden?Erst unlängst ist durch den Baubefund an der Stiftskirche zu Hochelten ein früher, reichausgebildeter Gewölbebau mit dem Weihedatum 1129 erkannt worden 46. Auch die Gewölbe-

(0 W. Veffing (wie Anm. 3).(l Vgl, Hamburgisches Urkundenbuch hrsg. von J. M. Lappenberg, Bd. 1, Nr. 116.42 F. Tenhagen, Denkmal Liemars (wie Anm. 8), 1896, S. 199 und 1939, S. 52.43 F. Tenhagen, Denkmal Liemars (wie Anm. 8), 1896, S. 191ff. und 1939, S. 48ff.UVgl. Artikel »Epitaph« im Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte Bd. 5, Sp. 872ff.UH. Thümrnler 1948 (wie Anm. 2), S. 213 weist z. B. auf zwei Kreuze an einem Vierungskapitell hin, diedenen der überlieferten Inschrift entsprechen könnten. Zur Klärung wäre vor allem eine genauere Unter-suchung der von Ueffing abgebildeten Fragmente Abb. 15 und 17 (vgl. Anm. 3) nötig, vor allem ihresVerhältnisses zur Bauplastik des stehenden Baues.

48 W. Bader, Das im Jahre 1129 gewölbte Langmittelschiff von Hochelten. Bonner Jahrbücher 158, 1958,S. 15-28. Das Damenstift Hochelten wurde übrigens mit Vreden zusammen 1085 an Liemar geschenkt.

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206 Vreden, St. Felicitas. Inneres von Westen. 1969.

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basilika von Klosterrath ist nach den Forschungen von Marres+? in der ersten Hälfte des12. Jahrhunderts entstanden, und zwar in Einklang mit den chronikalischen Nachrichten dieKrypta bereits 1108, der Chor 1130, das Querschiff 1138 und drei Mittelschiffsjoche 1143.Damit ist die Zahl der rheinischen Wölbungsbauten aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhun-derts 48 um zwei wichtige Beispiele vermehrt, die Annahme, daß Vreden mit seiner Lage aneiner Niederrhein und Westfalen verbindenden Handelsstraße dieser Gruppe zuzuordnen ist,hat nichts Unwahrscheinliches an sich. Eigenständig gegenüber den rheinischen Bauten ist die

206 Einschiffigkeit der Anlage, auffallend ist auch das Fehlen der rechteckigen Rücklagen hinter

(II

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I()

[

207 Vreden, St. Felicitas. Basen. Westliche Krypta, südlicher Mirteipfeiler (links), südwestlicher Vierungs;pfeiler (Mitte), Langhaussüdseite, westlichste Vorlage (rechts). 1 :20

den Halbsäulen, das außer in Mainz im Hauptschiff sonst nur in Seitenschiffen festzustellenist. Im Vergleich zu Mainz wirken die Halbsäulen in Vreden aber plastischer, sie tretenhier auch, im Grundriß gesehen, stärker vor die Wand. Das gleiche gilt für die gewölbtenSeitenschiffe der 1065 geweihten Stiftskirche von St. Maria im Kapitol zu Köln, wo eineähnliche Monumentalität erreicht wird. An den Basen hat der Vredener Meister, um die große

197 Form zu wahren, die an einer Stelle (vg!. oben S. 240f.) bereits angelegten Eckausbildungenfortgelassen.

Damit kommen wir zur Behandlung der Einzelformen. Leider finden sich unter der rei-chen Bauzier von Klosterrath (s. Anm. 47) keine unmittelbar mit Vreden vergleichbarenStücke. Das ist allerdings kaum erstaunlich, wenn man bedenkt, wie wenig Gemeinsamesetwa die Kapitellplastik von Hochelten, Freckenhorst und Quedlinburg (alle Kirchen ze-

208, 209 weiht 1129) haben. Die Datierung der V redener Palmettenringband- Kapitelle durch Gr~ß-mann in das späte 12. Jahrhundert kann methodisch nicht befriedigen?", denn bei ihr ist die

Äbtissin Adelheid n. (1062-1095) stand möglicherweise beiden StifteL?-.gemeinsamvor, wie auch in spätererZeit Beziehungen zwischen ihnen bestanden haben - vg!. Tenhagen, Abtissinnen (wie Anm. 5), S. 118.

'7 H. A. Diepen, Die romanische Bauornamentik in Klosterrath. Den Haag 1931. - W. Marres und J. J. F.W. van Agt, De nederlandse monumenten van ge~c?iedenis en kunst, Bd. 5/3, .Zuid-Limburg (1962),S. 316ff. - W. Marres, Beobachtungen an der Abteikirche zu Klosterrath und weitere Vergleiche: VomBauen, Bilden und Bewahren, Festschrift Willy Weyres, Köln 1963, S. 185-197.

48 W. Schorn, A. Verbeek, Die Kirche St. Georg in Köln. Berlin 1940, S. 169. - H. Thümmler, Die Anfäncteder monumentalen Gewölbebaukunst und der besondere Anteil Westfalens: Westfalen 29, 1951, S. 156."_W. Jung, Die ehemalige Prämonstratenser-Stiftskirche Knechtsteden. Ratingen 1956, S. 109f.Außer den genannten Kirchen: Mainzer Dom, St. Matthias zu Trier, Maria Laach, St. Mauritius zu KölnSteinfeld, Brauweiler, Knechtsteden. '

49 D. Großmann, Das Palmetten-Ringband-Kapitell: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 1 1961S. 23-56. Die Applikation des Palmetten-Ringband-Dekors (vermutlich ein Fries-Motiv) auf das Block-kapitell war die schöpferische Tat eines Meisters von Rang. Vergleicht man das Kapitell von Hardehausenmit denen von St. Godehard in Hildesheim (Abb. 6-8 bei Großmann), so kann man nicht umhin, einenschwerwiegenden Qualitätsunterschied zwischen dem fein proportionierren, in der Oberfläche sinnreichdifferenzierten Hardehauser Stück und den schon im Motivschatz sehr viel ärmeren Hildesheimer Beispielenfestzustellen. Die Kapitelle von St. Godehard können nur als Reduktion eines großen Vorbildes verstandenwerden, mag dies nun Hardehausen selbst (was vielleicht chronologisch schwierig wäre) oder ein anderes,gleichwertiges Stück sein. Während aber selbst bei den derbsten lachfolgern des Hardehausen-Godehard-

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reden, Sr. Felicitas. Zweites Kapitell von Westen auf der Südseite (links) und zweites Kapitellvon '\ esren auf der ordseite (rechts)

Annahme einer linearen typologischen Entwicklung zugrunde gelegt, ausgehend von denKapitellen der Hildesheimer St. Godehard-Kirche. Großmann hat nicht gesehen, daß dieVredener Kapitelle zusammen mit anderen einer typologisch älteren, noch »antikisierenden«Stufe angehören. Deren absolutes Alter ist allerdings nicht leicht festzulegen, ebenso wie dasder ornamentierten Würfelkapitelle50. Daß die Kapitelle wie auch die Basen in der erstenHälfte des 12. Jahrhunderts möglich sind, kann aber kaum zweifelhaft sein. Bemerkenswertist, daß die Halbsäulenbasis an der südwestlichen Ecke der Vierung als einzige niedrig pro- 207portioniert ist und damit den Kryptenbasen nahesteht, während die übrigen Langhausbasenauffallend steil gebildet sind 51. Auch ein bautechnisches Detail wie die zur Mitte hin stärkerwerdenden Steine einer Bogenwölbung (vgl. oben S.226f.) deutet in diese Zeit52• Ein Ar- 185,201

Typs die Blockform des Kapitells stets deutlich ist, besitzen Vreden, Bremen, Schleswig und Billerbeck(Abb. 30-32, 36, 47 bei Großmann) einen durchaus anderen Kapitellkörper, der von antikisierenden Blatt-kapitellen herzuleiten ist. Zeitlich können sich die beiden Typen natürlich überschneiden. Vgl. z. B. auchBrauweiler, Mittelschiff, kurz nach 1141. - \'1/. Bader, Die Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln. Berlin1937, Taf. XXXIV.

50 W. Ueffings (wie Anm. 3, S. 383) Vergleich der Palmetten-Ringband-Kapitelle in Vreden mit ähnlichenFormen in der Bremer \'l/estkrypta und in der Freckenhorster Westwerkempore ist nicht unfruchtbar, dieÜbereinstimmung der Formen geht aber durchaus nicht so weit, daß eine Frühdatierung der VredenerKapitelle zwingend wäre - zumal die Datierung der Vergleichsstücke in das 11. Jahrhundert nicht un-bezweifelt ist. Auch wenn man der Datierung der Bremer Stücke von Großmann - um 1170/80 (D. Groß-mann, wie Anm. 48, S. 39f.) nicht folgt und sie dem 11. Jahrhundert zuschreibt, ist damit für die Vredenernoch kein Fixpunkt gegeben.Die von Ueffing herangezogenen \'l/estemporen-Kapitelle in Freckenhorst werden von H. Thümmler(Neue Forschungen zur romanischen Baukunst in \'1/ estfalen - Freckenhorst: Westfalen 43, 1965, S. 27 undAbb. 25-27) in den Bauzusammenhang der Weihe von 1129 gestellt. Blockhafter Kapitellkörper und kerb-schnitthafter Dekor unterscheiden sie von den Vredener Palmettenkapitellen.

51 Vgl. z. B. die Basen mit sehr hoher Kehle in Quedlinburg und Kleinkomburg. Vgl. W. Scriba, Der karo-lingisch-romanische Bau der Justinuskirche in Höchst a. M. Frankfurt 1930, S. 53. - W. Scriba, Artikel»Basis«. Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte I, 1937. - F. Oswald und V. Plagemann. Die ehe-malige Benediktinerabteikirche in 1 eustadt am Main: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 30, 1968,S. 233f. Entsprechende Eckausbildungen wie an der einen Vredener Langhausbasis in Knechtsteden :W. Jung (wie Anm. 47), . 72, Abb. 63, 65 und in Cappel: H. Thümmler, Die Stiftskirche in Cappel und dieWestwerke \'l/esualens = Veröffentlichungen der kunstwiss. Kommission des Provinzialinstituts für west-fälische Landes- und alkskunde . Münster 1937, Taf. V, Abb. 10 (kugelförmige Eckknollen, auf der Abb.schwer erkennbar). Vg!. auch \Y/. Tack, Die Kapitelsäle des Paderborner Domes: Westfälische Zeitschrift111,1961, S. 267ff., Abb. 6 und H. Thümmler, Freckenhorst (wie Anm. 50), S. 23, Abb. 27 _ Arkaden-öffnung der \Y/estempore, vor 1129.

•• Vg!. St. Patrokli in Soest, Seitenschiffportal auf der Nordseite. In der Nebenkrypta von St. Patrokli ist aucheine vergleichbare Steinbearbeitung mit sehr breitem Randschlag erkennbar. Diese Bauteile werden mit der

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gument gegen eine Datierung in die erste Jahrhunderthälfte sind vor allem die kräftigausgebildeten Strebepfeiler mit einer Tiefe von 42 cm bei 92 cm Breite. Aber auch in derwestfälischen Baukunst der Folgezeit bis in das 13. Jahrhundert hinein werden die block-haft geschlossenen Baukörper nur durch flache Lisenen gegliedert. Die Verwendung vonStrebepfeilern an statisch exponierten Stellen war zwar in der Baukunst des 11. Jahr-hunderts nicht unbekannt, wie die Beispiele des Trierer Domes (\Vestjoch), der Martins-kirehe zu Emmerich (Apsis) und der Abteikirche Maria Laach (seitlich der Ostapsis) undder Michaeliskirche zu Hildesheim (Kryptenumgang) zeigen 53. Ein durchgehendes Strebe-pfeilersystem findet sich aber im 11. und frühen 12. Jahrhundert nur in Frankreich 54. Dortist es jedoch üblich, daß die Strebepfeiler die Gebäudeecken frei lassen, während in Vredendie westlichen Langhausecken von den Strebepfeilern wie von Ecklisenen umfangen werden.Dieses Motiv tritt bei Zisterzienserbauten seit dem zweiten Drittel des 12. Jahrhundertsauf55• Schließlich wäre noch zu fragen, ob der einschiffige, kreuzförmige Grundriß aufauswärtige Anregungen zurückgeht56• An dieser Stelle muß es jedoch mit den gemachtenAndeutungen einstweilen sein Bewenden haben.

Das Verhältnis von Pfarrkirche und Stiftskirche zu Vreden.

Unsere Betrachtungen über die Bautätigkeit des 11. und 12. Jahrhunderts an der Stelleder heutigen Stiftskirche St. Felicitas können vielleicht noch etwas Licht auf das bereits obenangeschnittene Problem der »Doppelkirchenanlage« werfen. Der Plan, die Stelle der bis-herigen Stiftskirche zu verlassen und einen anderen Platz für die Kirche des Konventes zuwählen, muß zu dem Zeitpunkt gefaßt worden sein, als die jetzige Stiftskirchenkrypta alsetwas verkleinerte »Kopie« der Krypta unter St. Georg errichtet wurde, d. h. also um dieMitte des 11. Jahrhunderts. Erst zu Anfang des 11. Jahrhunderts war die ottonische Stifts-kirche St. Georg neu errichtet worden, nachdem die Stätte eine Zeitlang wüst gelegen hatte,wie die 30 cm starke Schwemmschicht über dem Vorgängerbau zeigt ". Schon im 10. Jahr-

Weihe von 1118 in Verbindung gebracht, vg!. H. Thümmler, Die frühromanische Baukunst in Westfalen -St. Patrokli in Soest: Westfalen 27,1948, S. 184.Bereits früher findet sich diese Art der Bogenmaueruno- inDrübeck, vgl. H. Feldtkeller, Neue Forschungen zur Drübecker Stiftskirche: Zeitschrift für Kunstwis;en_schaft 4,1950, S. 116und C. H. Seebach,Kloster Drübeck: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 7,1968, 43ff., bes. Abb. 13. Vg!. auch F. Oswald, Zur Stellung der neugefundenen Kirche von Hersfeld inder Baugeschichte des Klosters: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1965, S. 30. Als ausgesprocheneZierform findet sich der «Sichelbogen» am Querhaus von Maria Laach um 1100.Vg!. zum späteren Vor-kommen G. Kiesow, Ostfriesische Kunst, in: Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. 4 hrsg. v. JannesOh ling, 1969, S. 15. - Den auffallend breiten Randschlag und eine wie scharriert wirkende Flächungweisen auch Werkstücke in Freckenhorst (gew. 1129) auf.

53 Zum Trierer Dom vg!. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 13/1, Trier, Dom (1931), S. 91 zuletztTh. Kempf, Grundrißentwicklung und Baugeschichte des Trierer Domes: Das Münster 21,1968, S. 1-32.-Emmerich: E. H. Ter Kuile, De kerken van bisschop Bernold: Bulletin van de koninkJijkc nederlandseoudheidkundige bond 6. serie 12, 1959,S. 144-163. - Maria Laach: Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz17/2, Kr. Mayen, 1941, S. 306. - Hildesheim: H. Beseler und H. Roggenkamp, Die Michaeliskirche inHildesheim. Berlin 1954, S. 29.

54 Vgl. unter vielen Nevers, St. Etienne. Dort auch Halbsäulen im Mittelschiff55 Vg!. soweit die Abbildungen ein Urteil gestatten, H. Hahn, Die frühe Kirchenbaukunst der Zisterzienser.Berlin 1957, S. 130f. (Hauterive), S. 163 (Cerreto), S. 204 (Fountains). G. Durand, Eglises romanes desVosges. Paris - Lilie - Brügge - Brüssel 1913, S. 190ff. (Droiteval).

56 Einschiffige Großbauten sind nach der Jahrtausendwende im rheinisch-westfälischen Bereich nicht mehrüblich. Eine Ausnahme ist die Stiftskirche St. Mauritz zu Münster, deren einschiffiges Langhaus, 1857/59durch einen basilikalen neuromanischen Neubau ersetzt, wohl in den Jahren um 1080-1090errichtet wurde,vg!. BKW. Stadt Münster VI (1941), S. 54-60. Der einschiffige Kreuzbau ist in Süd- und Westfrankreich,ferner im monastischen Kirchenbau Italiens im 11. und 12. Jahrhundert gebräuchlich, vgl, R. Wagner-Rieger, Zur Typologie italienischer Bettelordenskirchen: Römische historische Mitteilungen 2, 1957/58,S. 279f. - E. Hertlein, Die Basilika San Francesco in Assisi. Florenz 1964, S. 79. Dort weitere Literatur,u. a. R. de Lasteyrie, L'architecture religieuse en France a I'epoque romane, Paris 1929, S. 282.

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Page 37: HEFTE FOR GESCHICHTE UNDVOLKSKUNDE - MGH-Bibliothek · 2016-07-25 · Das Gleiche leicht verändert In: F. Tenhagen, Gesammelte Abhandlungen zur Vredener Geschichte. Vreden 1939,

hundert könnte also St. Felicitas als provisorische Stiftskirche gedient haben. Ein Brand desottonischen Baues unter St. Georg hat vielleicht den Anlaß zu der Verlegung gegeben. Dochwurde auch St. Georg wiederum in Benutzung genommen, denn ein neuer Estrich wurdeüber dem Brandhorizont aufgetragen. Auf ihm lagen zwei Münzen der Zeit um 1080/90,vielleicht Prägungen von Erzbischof Liemar+s. Verwunderlich wäre das kaum, wenn man sichunserer Interpretation anschließt und annimmt, daß in der zweiten Hälfte des 11. Janrhun-derts und der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts an der Stelle der jetzigen Stiftskirche fastständig gebaut wurde und eine Interimskirche demnach notwendig war. Erwähnung verdientauch der Fund eines leeren Grabes vor dem Seitenaltar des südlichen Querhauses der altenStiftskirche. Die Gebeine aus diesem Grab sind vor der Errichtung des romanischen Neu-baus, also der dritten Kirche unter St. Georg, entnommen worden. W. \'Vinkelmann hältes für wahrscheinlich, daß dieses Grab als das des Stiftsgründers Walbert anzusehen ist59•Eine Umbettung könnte also nach Fertigstellung der jetzigen Stiftskirche erfolgt sein. Daindessen wirklich konkrete Anhaltspunkte zur Rekonstruktion des Sachverhaltes fehlen,können Argumente hieraus kaum gewonnen werden.

Unbeantwortet ist auch die Frage, welche Ursachen den Wechsel des Standortes derHauptkirche veranlaßt haben können. Ein Problem ist ferner, aus welchen Gründen um dieMitte des 12. Jahrhunderts an der Stelle der Stiftskirche unter St. Georg wiederum ein Neu-bau, der dritte an dieser Stelle, errichtet wurde'", Gab es bereits im 12. Jahrhundert einePfarrgemeinde, die einen so großen Bau benötigte und erstellen konnte? Die Stadtgründungerfolgte bekanntlich erst zwischen 1241 und 1252. Das damals abgesteckte Areal der Stadtwar bedeutend größer als der spätere Altstadtkern, denn nach einer Zerstörung von 1324wurde die Stadt um die Hälfte reduziert wieder aufgebauts-, Doch wäre die Annahme, daß inVreden bereits im 12. Jahrhundert eine stadtähnliche Gemeinde bestand, die als Bauherr einersolchen Kirche in Frage käme, nach C. Haase nicht berechtigt62• Erst seit dem 13. Jahrhundert_ in diese Zeit ist der vierte große Neubau unter St. Georg, eine Hallenkirche in der Art derBillerbecker Johanniskirche, zu datieren'" - kann mit Sicherheit von einer städtischen Pfarr-kirche St. Georg gesprochen werden, die der Stiftskirche inkorporiert war64•

01 W. Winkclmann und H. Oaussen 1953, (wie Anm. 1), S. 310, vg!. oben Anm. 33. - U. Lobbedey (wieAnm. 1), S. 328ff.

58 W. Winkelmann und H. Oaussen 1953 (wie Anm. 1), S. 318. - P. Berghaus, Die Vredener Münzen des11. Jahrhunderts: Vredener Festbuch. Vreden 1952, S. 50. - V. Jammer, Die Anfänge der Münz-prägung im Herzogtum Sachsen (10. und 11. Jahrhundert) = Numismatische Studien 3/4. Hamburg 1952,S.109.

oe W. Winkelmann 1952 (wie Anm. 1), S. 33 .• 0 W. Winkelmann und H. Oaussen 1953 (wie Anm. 1), S. 318f.61 Westfälisches Städtebuch, hrsg. von E. Keyser. Stuttgart 1954, S. 356. - F. Tenhagen, Ges. Abhand!. 1939

(wie Anm. 8), S. 78.01 C. Haase, Die Entstehung der westfälischen Städte ~ Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für westfäl,

Landes- und Volkskunde Reihe I, Heft 11. 2. Aufl. Münster 1965, S. 79f., S. 284. Dagegen hat A. K.Hömberg, Zur Erforschung des westfälischen Städtewesens : Westfälische Forschungen 14, 1961, S. 36Vreden im 12. Jahrhundert einen stadtähnlichen Charakter zugeschrieben, so auch bereits J. Prinz, Frethen-na praeclara: Westfalenspiegel Jg. 1, Juli 1952, S. 3.

8a W. Winkelmann und H. Claussen 1953 (wie Anm. 8), S. 319."' Vg!. F. Tenhagen, Pfarrkirchenstreit, Ges. Abhand!. 1939 (wie Anm. 8), S. 84ff.

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