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12 Zwölf Schwestern zählt das älteste und einzige Kloster im Kanton Uri. Seit 1559 leben die Benediktinerinnen im Kloster Sankt Lazarus. Das Gebet und die Arbeit ist ihr täglicher Liebesbeweis an Gott. Für einmal gewähren die Benediktinerinnen einen Einblick hinter die Klostermauern. Der Tag im Kloster Sankt Lazarus in See- dorf beginnt früh. Es ist still im Chor im hinteren Bereich der Klosterkirche. Es duf- tet nach Streichhölzern und Kerzenwachs. Draussen dämmert es. Eine Schwester nach der andern betritt den Chor. Bald haben die Schwestern in den Bänken Platz genommen. Es schlägt halb sechs. Das Chorgebet kann beginnen. «Herr, öffne meine Lippen», singen die Benediktinerin- nen. Schwester Judith spielt an der Orgel. Zwischen Gesang und Gebet schweigen die Benediktinerinnen. Die Vorsteherin der Gemeinschaft, Äbtissin Veronika, trägt einen Ring am Finger und eine Kette mit einem Kreuz um den Hals. Sie ist seit 39 Jahren im Kloster Sankt Lazarus. Damals, als sie eintrat, zählte das Kloster über 40 Schwestern. Heute sind es deren zwölf. Mit 81 Jahren ist Schwester Maria eine der Ältesten. Am 3. Oktober 1959 trat sie ins Kloster ein: «Die Liebe, nur die Liebe zu Gott konnte es bewirken, dass ich hier ins Kloster Sankt Lazarus eintrat.» Schwester Maria war knapp 30 Jahre alt, als sie sich für ein Leben im Kloster ent- schied. Ein Entscheid, der ihr nicht leicht- fiel. Sie hatte damals nämlich einen Freund. Sie wollte Ehefrau und Mutter sein. «Denn ich liebe die Kinder. Und diese Möglichkeit war mir offen, denn ein junger, sympathischer, liebevoller Mann bat mich um eine Bekanntschaft. Wir lieb- ten uns sehr», erinnert sie sich. Liebe er- fuhr Schwester Maria auch stets von ihrer Mutter, einer gläubigen Frau. «Meine liebe Mutter legte uns Kindern stets ans Herz, dass wir beten sollen: Guter Gott, führ mich hin, wo ich Dir am liebsten bin.» Der Weg von Schwester Maria führte ins Klo- ster. Schweren Herzens nahm sie deshalb Abschied von ihrer Familie und von ihrem Freund. «Ich musste ihm sagen, dass ich den Ruf ins Kloster intensiv wahrnehme. Es war meine Berufung». Berufung ist es für sie bis heute. «Es gab immer wieder Schwester Benedikta Äbtissin Veronika beim Chorgebet. Ein Leben im Kloster – aus Liebe z A64124_Pfyyl_Liebe_A64124_Pfyyl_Liebe 23.08.13 15:08 Seite 12

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Zwölf Schwestern zählt das älteste undeinzige Klos ter im Kanton Uri. Seit 1559leben die Benediktinerinnen im KlosterSankt Lazarus. Das Gebet und die Arbeitist ihr täglicher Liebesbeweis an Gott. Füreinmal gewähren die Benediktinerinneneinen Einblick hinter die Klostermauern.

Der Tag im Kloster Sankt Lazarus in See-dorf beginnt früh. Es ist still im Chor imhinteren Bereich der Klosterkirche. Es duf-tet nach Streichhölzern und Kerzenwachs.Draussen dämmert es. Eine Schwesternach der andern betritt den Chor. Baldhaben die Schwestern in den Bänken Platzgenommen. Es schlägt halb sechs. DasChorgebet kann beginnen. «Herr, öffnemeine Lippen», singen die Benediktinerin-nen. Schwester Judith spielt an der Orgel.Zwischen Gesang und Gebet schweigendie Benediktinerinnen. Die Vorsteherin derGemeinschaft, Äbtissin Veronika, trägteinen Ring am Finger und eine Kette miteinem Kreuz um den Hals. Sie ist seit 39Jahren im Klos ter Sankt Lazarus. Damals,als sie eintrat, zählte das Kloster über 40Schwes tern. Heute sind es deren zwölf.Mit 81 Jahren ist Schwester Maria eineder Ältesten. Am 3. Oktober 1959 trat sieins Kloster ein: «Die Liebe, nur die Liebezu Gott konnte es bewirken, dass ich hierins Kloster Sankt Lazarus eintrat.»

Schwester Maria war knapp 30 Jahre alt,als sie sich für ein Leben im Kloster ent-schied. Ein Entscheid, der ihr nicht leicht-fiel. Sie hatte damals nämlich einenFreund. Sie wollte Ehefrau und Muttersein. «Denn ich liebe die Kinder. Unddiese Möglichkeit war mir offen, denn einjunger, sympathischer, liebevoller Mannbat mich um eine Bekanntschaft. Wir lieb-ten uns sehr», erinnert sie sich. Liebe er-fuhr Schwester Maria auch stets von ihrerMutter, einer gläubigen Frau. «Meine liebeMutter legte uns Kindern stets ans Herz,dass wir beten sollen: Guter Gott, führmich hin, wo ich Dir am liebsten bin.» DerWeg von Schwester Maria führte ins Klo-ster. Schweren Herzens nahm sie deshalbAbschied von ihrer Familie und von ihremFreund. «Ich musste ihm sagen, dass ichden Ruf ins Kloster intensiv wahrnehme.Es war meine Berufung». Berufung ist esfür sie bis heute. «Es gab immer wieder

Schwester Benedikta Äbtissin Veronika beim Chorgebet.

Ein Leben im Kloster – aus Liebe z

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Bei der Meditation oder geistlichen Lesung. Schwester Judith arbeitet an der Website. Schwester Martina – die Kreative.

e zu Gott

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Priorin Imelda bei der Eucharistiefeier. Urlaub: Sr. Martina verabschiedet Sr. Mechtild. Äbtissin Veronika bei der Büroarbeit.

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Küchenfee Schwester Imelda.

auch schwierige Zeiten, zum Beispiel alsmein Bein vor zwei Jahren unterhalb desKnies amputiert werden musste. Dochauch in dieser Situation durfte ich dieLiebe Gottes als Geschenk wahrnehmen»,erzählt sie. Schwester Maria trägt eineProthese. «Es ist schon ein Leben mit Ent-behrungen», sagt Schwester Benedikta,die neben Schwester Maria steht und siestützt. Ihr mache das Opferleben abernichts aus. Die Liebe zu Gott gebe auch ihrjeden Tag neue Kraft. «Ich hoffe, dass ichals seine Braut mit Ihm in der Ewigkeitvereint sein werde.»

Gott und Fotoapparat als ständige BegleiterDie Benediktinerinnen haben sich im Re-fektorium eingefunden. Edle Holzböden,verzierte Holzwände, Gemälde von Heili-gen, ein grosses Kreuz an der Wand. Diezu einem Hufeisen geformten Tische sindgedeckt. In der Mitte des Raumes sitzenÄbtissin Veronika und Priorin Imelda aneinem Tisch. Es ist still. Einzig das Geklim-per der Löffel in den Suppentellern ist zuhören. Die Schwestern reden nicht wäh-rend des Essens, sondern hören der Tisch-leserin zu. Denn der heilige Benediktschreibt in seiner Regel: «Es herrsche tief-stes Schweige, man höre kein Flüsternund kein Wort, ausser die Stimme des Le-sers.» Schwester Judith hat an diesem Tagdie Aufgabe der Tischleserin: «Nachrichtenvon Radio Vatikan. Eine grosse Kinder-schar versammelte sich am Wochenendeim Vatikan», liest sie in ruhigem Ton vor.Unterdessen bringt Schwester Benedikta,die gerade das «Ämtli» der Tischdienerinhat, die Salatschüsseln. Die Schwesternschöpfen Salat, einige schenken Weinoder Wasser ein. Schweigen. Dann, nachder Tischlesung, lauschen die Schwesterneinem Hörbuch: «Durch das offene Fensterhörte ich Bruno, der durch den Funk mitden Bergsteigern sprach», tönt es ausLautsprechern. Die Schwestern speisenund schweigen. Hin und wieder blicktPriorin Imelda auf, schaut in die Runde,und ein Lächeln huscht ihr übers Gesicht.Sie ist mit Abstand die jüngste der Bene-diktinerinnen. Schwester Imelda ist 46Jahre alt. 1992 trat sie ins Kloster ein. Alsjunge Frau hätte Schwester Imelda niedaran gedacht, dass sie einmal ins Klostereintreten würde. «Mein Traum war es,einen Bauern zu heiraten und sechs Kin-der zu haben.» Wieder huscht ein warmesLächeln über ihr Gesicht. SchwesterImelda ist gelernte Bäckerin/Konditorin.Zudem hat sie die Bäuerinnenschule im

Kloster Fahr besucht – ihr erster Kontaktmit dem klösterlichen Leben. «Ich spürtedie Gegenwart von Jesus. Ich wich damalsaber noch aus. Doch er ist immer wiederin mein Leben eingetreten.» SchwesterImelda wuchs im Kanton Thurgau in einergläubigen Familie mit drei Geschwisternauf. «Wir besuchten jeden Sonntag dieheilige Messe und unsere Eltern zeichne-ten immer ein Kreuz mit Weihwasser aufdie Stirn, wenn wir das Haus verliessen.»

Heute ist Schwester Imelda die Küchenfee.In ihrem Reich, der Küche, hat sie ein Karteaufgehängt, auf der steht: «O Gott, kommmir zu Hilfe.» Ihr Herzensgebet aus demPsalm 70.2, das sie immer begleitet – inder Küche oder auf dem Berg, einfachüberall. In ihrer zweiwöchigen Ferienzeitgeht Schwester Imelda oft in die Berge.Erst kürzlich hat sie einen Viertausenderbestiegen. Gott und ihr Fotoapparat sinddabei ihre ständigen Begleiter. «Auch dieSchwestern begleiten mich mit ihremGebet und sagen oft, ich brauche vieleSchutzengel.» Schwester Imelda lächeltund senkt ihren Blick. Mit der rechtenHand streicht sie über den linken Handrü-cken, auf dem mit Kugelschreiber ein Herzgezeichnet ist. «Das Herz habe ich auf derHand, damit ich noch mehr an Jesus denkeund damit näher bei Ihm bin.» Dieses Zei-chen helfe, dass ihre Liebe zu Gott nichtzur Routine wird. «Liebe bedeutet Hin-gabe. Liebe bedeutet aber auch Achtsam-keit. Diese will ich wahren», so SchwesterImelda. Ganz ähnlich wie andere Paaresich lieben, müsse auch sie die Liebe zuGott pflegen. «Es ist zwar eine andereLiebe, als das liebende Paare erfahren.Doch auch wir spüren Seine Liebe. DasLeben mit Jesus ist sehr spannend, undich erlebe mit Ihm immer etwas Neues.»Schwester Imelda wirkt sehr geerdet. Alldie Liebe, die sie Jesus gebe, komme wie-der zurück. «Ich kann Seine Liebe in All-tagssituationen spüren, ich spüre sie aberauch beim Bergsteigen. Ich freue mich anall den wunderschönen Dingen, die ich inder Natur sehe – da kann ich nur staunenund Gott immer wieder danken!»

Kloster soll geistiges Zentrum bleibenIm Gegensatz zu früher dürfen die Schwe-stern heute die Klostergemäuer in Seedorfan freien Tagen oder wenn sie Urlaub neh-men verlassen. Einige Regeln wurden imVerlauf der Zeit etwas angepasst. Innerhalbdes Klos ters ist der Tagesablauf aber nachwie vor strikt geregelt. Er beginnt mit dem

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Chorgebet, der sogenannten Vigil. Nachder Laudes, also dem Morgenlob, folgt dieEucharistiefeier. Ein täglicher Höhepunktfür die Schwestern. Dann empfangen sienämlich die Kommunion. Vor dem Mittagfolgt das Mittagsgebet. Die Vesper, das ge-sungene Abendgebet und die Komplet, dasletzte gemeinsame Abendgebet, bilden denAbschluss . «Dieser Ablauf dient der Liebezu Gott. Im gemeinsamen Gotteslob und inder Arbeit begegnen wir Jesus Christus,Tag für Tag», erklärt Äbtissin Veronika. DieArbeit als Liebesbeweis. So erledigen dieSchwestern trotz teils hohen Alters vieleArbeiten nach wie vor selbst. Die «Ämtli»sind gut verteilt. Schwester Judith küm-mert sich um die Bibliothek und die Gottes-dienste, Schwester Elisabeth übernimmtdie Krankenpflege und die Wäsche, undSchwester Martina pflegt an der Pforte denKontakt zur Aussenwelt. An ihrem Gürtelpiepst ständig ein Pager, in der rechtenHand hält sie das Telefon, in der linken mei-stens die Türfalle. Sie empfängt Gäste,nimmt die Post entgegen und verkauft Pro-

dukte aus dem «Klosterlädäli». «Ich brau-che den Kontakt mit den Leuten. Wenn ichaber Ferien habe, liebe ich die Einsiedelei»,sagt sie mit einem Lachen. Schwester Mar-tina ist nächstes Jahr seit 50 Jahren imKloster. Sie ist die einzige Urnerin im Klo-ster Sankt Lazarus. «Als ich, kaum 20 Jahrealt, eintrat, war noch die Mehrzahl der Klo-sterfrauen aus dem Kanton Uri.» Aufge-wachsen ist Schwester Martina in Altdorf.«Ich fühlte mich schon immer zum Klosterhingezogen. Gott faszinierte mich bereits inmeiner Kindheit», erinnert sie sich.Am Abend, wenn das Tagwerk getan ist,finden die Klosterfrauen auch Zeit für Frei-zeitbeschäftigungen. In der Rekreationmachen sie Handarbeiten oder klopfeneinen Jass. Die Schwestern gehen aberauch spazieren oder Fahrrad fahren. DieKreative unter den Benediktinerinnen istSchwester Martina. Sie malt und zeichnetgerne in ihrer Freizeit, geniesst aber auchdie Natur, das Rauskommen aus dem Klo-ster. «Ich bin eigentlich ein freiheitslieben-der Mensch.» Sie sieht das strikte Leben

im Kloster jedoch als Bestimmung. «Got-tes Liebe ist der Grundpfeiler für meinLeben im Kloster. Davon lebe ich.» Schwe-ster Martina spricht jedes Wort mit Be-dacht. «Ich hatte bislang ein erfülltesLeben, trotz unerfüllter Wünsche.» Zwarsei sie gerne alleine, schätze aber die Ge-sellschaft ihrer Mitschwestern sehr – auchwenn es weniger werden. «Die Zeiten, alshier noch viele Schwestern lebten, sindvorbei. Das ist der Wandel der Zeit. Reali-stisch gesehen ist die Zukunft des Klostersein grosses Fragezeichen.» Sie hofft aber,dass das Kloster auch in Zukunft ein gei-stiges Zentrum bleibt. «Früher pflegteman in diesem Kloster die Aussätzigen,bis vor wenigen Jahren wurden mit derHaushaltungsschule junge Leute unter-richtet, und heute ist in den Gebäuden derehemaligen Haushaltungsschule ein Kin-dergarten. Und bald schon wohnen auchältere Leute im ehemaligen Schulge-bäude. Das ist doch sehr sinnvoll.»

Martina Regli

Das Refektorium (oben). Der Kapitelsaal (unten) dient Besprechungen und Abstimmungen. Lindenblüten – per Hebebühne gepflückt.

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