ein bericht ist ein bericht ist ein bericht ist ein bericht

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Ein Bericht ist ein Bericht ist ein Bericht ist ein Bericht. Was ist ein Bericht? Diese einfache Frage wird in der Praxis meist nicht eindeutig beantwortet. Die fehlende Definition ist ein Zeichen für die große Unsicherheit im Umgang mit Berichten. 90 % der so genannten Berichte sind nämlich gar keine Berichte – sie berichten nichts. Conrad C. ist langjähriger Mitarbeiter eines erfolgreichen mittelständischen Unternehmens und verantwortlich für die monatliche interne Finanzberichterstattung. Es ist ihm und seinem fünfköpfigen Team gelungen, Führungsinformatio- nen unternehmensweit zu vereinheitlichen und sie mithilfe einer neuen Software zugänglich zu machen. Conrad C. hat darüber bereits auf Fachtagungen berichtet und wurde zu den Erfolgsgeschichten der beteiligten Beratungshäuser in- terviewt. Die anfängliche Euphorie ist inzwischen jedoch ei- ner gewissen Skepsis gewichen. Conrad C. und sein Team stellen fest, dass die Nutzung des Informationssystems stark zurückgeht. Es gibt kaum Reaktionen der Nutzer auf die dargestellten Informationen, und wenn doch, dann sind es sehr grundsätzliche Verständnisfragen. Seit Kurzem ist sei- ne Abteilung auch in den Vorstandsbesprechungen vertre- ten. Dort erklären er oder seine Mitarbeiter den Anwesen- den die Zahlen, die im Informationssystem zur Verfügung gestellt werden. Conrad C. ist verunsichert. Seine Berichte scheinen keinen Nutzen zu bringen und sie werden nicht genutzt. Die schlechte Nachricht: Das ist kein Einzelfall. Die gute Nachricht: Der Grund ist einfach zu benennen. Conrad C. macht gar keine Berichte. Conrad C. macht Statistiken. 90 % aller so genannten „Berichte“ im Berichtswesen von Unternehmen sind keine Berichte. Es sind Datensamm- lungen, es sind Statistiken. Statistiken sind gut geeignet für die Darstellung von ein- fachen Sachverhalten für Empfänger, die diese Sachverhalte gut kennen. Ein Kostenstellenleiter kann auf gewisse Signa- le noch angemessen reagieren, ein Projektleiter weiß, wel- che Maßnahmen notwendig sind, um die drohende Kosten- überschreitung doch noch zu verhindern. Sobald Sachver- halte jedoch komplexer werden und Empfänger mit ihnen nicht gut vertraut sind, sind Statistiken ein ungeeignetes Mittel für die Unternehmensführung. Mit anderen Worten: Führungskräfte wollen sich nicht in umfangreichen Daten- sammlungen auf die Suche nach relevanten Informationen machen. Sie wollen sich auf der Grundlage von Erklärun- gen, Empfehlungen und Warnungen selbst eine Meinung bilden. Sie wollen, dass ihnen das Wesentliche berichtet wird. Was aber ist ein Bericht? Ein Bericht hat drei Eigenschaften: Text Berichte bestehen aus Text, also aus vollständigen und lo- gisch zusammenhängenden Sätzen. Stichworte, Aufzählun- Serie Reporting Roman Griesfelder hinter- fragt in dieser Beitragsserie den Status quo des Repor- tings und zeigt Wege auf, die das interne Berichtswesen wirksam machen. Dabei be- schäftigt er sich mit der Kom- munikationskultur, der Spra- che und den Darstellungsdetails in Diagrammen und Tabellen. Herr Griesfelder studierte BWL und Soziologie und gründete nach einer langjährigen Zusammenarbeit mit Professor Dr. Rolf Hichert die aspektum gmbh mit Sitz in St. Gallen (Schweiz), die sich insbesondere auch mit Reporting Design befasst. 78 Controlling & Management Review 3 | 2013 Service | Reporting

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Page 1: Ein Bericht ist ein Bericht ist ein Bericht ist ein Bericht

Ein Bericht ist ein Bericht ist ein Bericht ist ein Bericht. Was ist ein Bericht? Diese einfache Frage wird in der Praxis meist nicht eindeutig beantwortet. Die fehlende Definition ist ein Zeichen für die große Unsicherheit im Umgang mit Berichten. 90 % der so genannten Berichte sind nämlich gar keine Berichte – sie berichten nichts.

Conrad C. ist langjähriger Mitarbeiter eines erfolgreichen mittelständischen Unternehmens und verantwortlich für die monatliche interne Finanzberichterstattung. Es ist ihm und seinem fünfköpfigen Team gelungen, Führungsinformatio-nen unternehmensweit zu vereinheitlichen und sie mithilfe einer neuen Software zugänglich zu machen. Conrad C. hat da rüber bereits auf Fachtagungen berichtet und wurde zu den Erfolgsgeschichten der beteiligten Beratungshäuser in-terviewt. Die anfängliche Euphorie ist inzwischen jedoch ei-ner gewissen Skepsis gewichen. Conrad C. und sein Team stellen fest, dass die Nutzung des Informationssystems stark zurückgeht. Es gibt kaum Reaktionen der Nutzer auf die dargestellten Informationen, und wenn doch, dann sind es sehr grundsätz liche Verständnisfragen. Seit Kurzem ist sei-

ne Abteilung auch in den Vorstandsbesprechungen vertre-ten. Dort erklären er oder seine Mitarbeiter den Anwesen-den die Zahlen, die im Informationssystem zur Verfügung gestellt werden. Conrad C. ist verunsichert. Seine Berichte scheinen keinen Nutzen zu bringen und sie werden nicht genutzt.

Die schlechte Nachricht: Das ist kein Einzelfall. Die gute Nachricht: Der Grund ist einfach zu benennen.

Conrad C. macht gar keine Berichte. Conrad C. macht Sta tistiken.

90 % aller so genannten „Berichte“ im Berichtswesen von Unternehmen sind keine Berichte. Es sind Datensamm-lungen, es sind Statistiken.

Statistiken sind gut geeignet für die Darstellung von ein-fachen Sachverhalten für Empfänger, die diese Sachverhalte gut kennen. Ein Kostenstellenleiter kann auf gewisse Signa-le noch angemessen reagieren, ein Projektleiter weiß, wel-che Maßnahmen notwendig sind, um die drohende Kosten-überschreitung doch noch zu verhindern. Sobald Sachver-halte jedoch komplexer werden und Empfänger mit ihnen nicht gut vertraut sind, sind Statistiken ein ungeeignetes Mittel für die Unternehmensführung. Mit anderen Worten: Führungs kräfte wollen sich nicht in umfangreichen Daten-sammlungen auf die Suche nach relevanten Informationen machen. Sie wollen sich auf der Grundlage von Erklärun-gen, Empfehlungen und Warnungen selbst eine Meinung bilden. Sie wollen, dass ihnen das Wesentliche berichtet wird.

Was aber ist ein Bericht?Ein Bericht hat drei Eigenschaften:TextBerichte bestehen aus Text, also aus vollständigen und lo-gisch zusammenhängenden Sätzen. Stichworte, Aufzählun-

Serie Reporting

Roman Griesfelder hinter-fragt in dieser Beitragsserie den Status quo des Repor-tings und zeigt Wege auf, die das interne Berichtswesen wirksam machen. Dabei be-schäftigt er sich mit der Kom-munikationskultur, der Spra-

che und den Darstellungsdetails in Diagrammen und Tabellen.Herr Griesfelder studierte BWL und Soziologie und gründete nach einer langjährigen Zusammenarbeit mit Professor Dr. Rolf Hichert die aspektum gmbh mit Sitz in St. Gallen (Schweiz), die sich insbesondere auch mit Reporting Design befasst.

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gen und Halbsätze sind nicht nur schwer verständlich, son-dern auch respektlos. Niemand würde auf die Idee kommen, auf diese Art und Weise mit anderen Menschen zu sprechen. Im Reporting wurde dieser Stil jedoch zum Standard.

MeinungBerichte bewerten. Sie kommunizieren die Meinung der Au-toren in Form von Botschaften. In ihrer einfachsten Form erklären sie Fakten. Für die Entscheidungsträger wertvoller sind jedoch Prognosen und Empfehlungen. Meinungen sind nicht automatisierbar und sie erfordern Mut, denn nur wer eine Meinung hat, kann sich irren.

StrukturBerichte sind strukturiert. Die Anordnung ihrer Inhalte ist nicht zufällig, sondern richtet sich nach der Wichtigkeit und nach logischen Regeln. Das Wichtigste findet sich zu Beginn des Berichts, alle anderen Inhalte sind gleichartig, über-schneidungsfrei und vollständig angeordnet.

Das heute verfügbare Datenmaterial ist beeindruckend. Es ermöglicht die Überprüfung von Hypothesen und die For-mulierung von Szenarien. Reporting darf aber hier nicht en-den, sondern muss in der Lage sein, Schlussfolgerungen zu ziehen und Empfehlungen zu geben.

Berichte können im Gegensatz zu Statistiken nicht auto-matisiert werden. Meinungsbildung nimmt Zeit in An-spruch. Unternehmensführung auf Knopfdruck ist eine ge-fährliche Illusion. Die Dynamik und Komplexität unterneh-merischen Handelns lassen sich nicht abschließend in Kennzahlen modellen abbilden. Dies steht im Gegensatz zu den ständig geforderten Effizienzsteigerungen. Wir werden

im Reporting zwar immer effizienter, aber gleichzeitig im-mer weniger effektiv.

Im Lateinischen gibt es verschiedene Ausdrücke für „be-richten“. Sie bedeuten „ankündigen“, „bringen“, „erwähnen“, „melden“ und sie drücken eine aktive Haltung aus. Das blo-ße Bereitstellen von Informationen wird dieser Haltung nicht gerecht.

Wir erleben eine Umkehrung der Rollen. Die Berichten-den sind heute oft passiv (sie pflegen und bedienen die Re-porting-Systeme), und die Berichtsempfänger müssen aktiv sein (sie suchen die für sie relevanten Informationen und versuchen, diese zueinander in Beziehung zu setzen). Wen wundert es dann, wenn Führungskräfte statistisches Mate-rial nicht gerne nutzen? Sie haben dafür keine Zeit.

Die Fähigkeit, Meinung in klarer Sprache gut strukturiert zu kommunizieren, entscheidet über die Wirksamkeit von Reporting. Diese Fähigkeit muss entwickelt werden, sie ist unabhängig von technischen Systemen.

Vielleicht ist es an der Zeit, wieder mehr in die Analyse- und Kommunikationsfähigkeiten der Mitarbeitenden zu in-vestieren als in immer neue und schnellere technische Werk-zeuge?

AnmerkungDer Titel ist angelehnt an ein Gedicht von Gertrude Stein (Sacred Emily, 1913): „Rose is a rose is a rose is a rose …“

Handlungsempfehlung

1. Fördern Sie das Schreiben von Texten. Damit errei-chen Sie, dass man sich wieder aktiv und konzen-triert mit Sachverhalten auseinandersetzt.

2. Ermutigen Sie Mitarbeitende dazu, sich Meinun-gen zu bilden. Sie bereichern Ihre Organisation und führen zu besseren Lösungen.

3. Erwarten Sie gut strukturierte Berichte. Sie erleich-tern Ihnen das Leben und sie machen einfach mehr Spaß.

Kernthesen

•90 % aller so genannten Berichte in Unternehmen berichten nichts. Man sollte sie Statistiken nen-nen.

•Berichte sind Texte, die Meinungen gut strukturiert wiedergeben.

•Berichte sind nicht automatisierbar, und das ist gut so. Unternehmensführung auf Knopfdruck ist eine gefährliche Illusion.

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