eb kurs - magazin der eb zürich herbst 2010

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Magazin der EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 27 – Herbst 2010 Generationen- management: Alt + Jung = Erfolg Rolf Lyssy: Die Schweizer- macher als Musical?

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Generationenmanagement: Alt + Jung = Erfolg

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Page 1: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

Magazin der EB ZürichKantonale Berufsschule für WeiterbildungNr. 27 – Herbst 2010

Generationen­management:Alt + Jung = Erfolg

Rolf Lyssy: Die Schweizer­macher als Musical?

Page 2: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

EDITORIAL

EB KURS

Nr. 27 – Herbst 2010

Magazin der EB Zürich,

Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Zürich,

Riesbachstrasse 11, 8090 Zürich

TELEFON

0842 843 844

FAX

044 385 83 29

INTERNET

www.eb-zuerich.ch

E-MAIL

[email protected]

HERAUSGEBER

Serge Schwarzenbach (für die Geschäftsleitung)

REDAKTION

Christian Kaiser, Fritz Keller (silbensilber, Zürich)

GESTALTUNG

Giorgio Chiappa

MITARBEIT

Guido Blumer, Kati Dietlicher, Jürg Fischer,

Lea Gottheil, Rita Torcasso, Fritz Franz Vogel

FOTOS

Susanna Anliker, Philipp Baer, Roger Canali, Reto Schlatter

ILLUSTRATIONEN

Andy Fischli, Eva Kläui

DRUCK

Ringier Adligenswil AG

TITELBILD

Reto Schlatter

FITTE ALTE – FIT FÜRS ALTER?

In «meinem» Fitnesscenter ist eine ganze Wand mit Autogrammkarten berühmter Sportler tapeziert. In den Widmungen bedanken sich diese für die tolle Unterstüt-zung (ohne die diese Athleten natürlich nie in der Lage gewesen wären, diese Leistung zu vollbringen).

Wenn ich mich so umsehe, wer sich an diesen modernen Körperarbeit-Ersatz-Maschinen so abrackert, dann entde-cke ich zum grossen Teil «Athleten/-innen», die spätestens 1960 an den Olympischen Sommerspielen in Rom teil-genommen haben. Und sie sind immer noch fit! Später, in der Garderobe, dreht sich das Gespräch nicht um den Jassabend oder den organisierten SBB-Ausflug ins Tessin, sondern es wird über das «Geschäft» gesprochen. Die Leute sind berufstätig, engagiert, tragen Verantwortung und fällen Entscheide.

In Zukunft wird die Altersgruppe der 50- bis 65-Jährigen viel grösser sein als die der 15- bis 24-Jährigen. Nicht nur ein amüsantes Phänomen in den Fitnesscentern, sondern eine Herausforderung für den Arbeitsmarkt und entspre-chend auch für die berufliche Weiterbildung; auch die Unternehmen sollten sich allmählich fit trimmen für ihr alterndes Personal. Lesen Sie dazu unsere Titelgeschichte ab Seite 8.

Unsere Aufgabe als Erwachsenenbildungsinstitution ist es aber auch, dem Berufsnachwuchs möglichst praxis-nahe Kompetenzen mit auf den Weg zu geben. Zum Beispiel für all jene, die eine journalistische Laufbahn ins Auge fassen. Die Teilnehmenden des aktuellen Bildungs-gangs «Journalismus» haben als Abschlussarbeit für diese Ausgabe eine Beilage zum Thema «Nachtgeschichten» verfasst – weitgehend in Eigenregie. Das Ergebnis finden Sie in der Heftmitte. Viel Lesevergnügen.

Serge SchwarzenbachHerausgeber

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 3

INHALT

5 PORTRäT Auf der Suche nach einer Lehrstelle: Adisorn Srithamma hat auch dank einem Deutschkurs Erfolg gehabt.

6 EvENT Denkende Roboter? Rolf Pfeifer, Experte für künstliche Intelligenz, zeigte auf, was wir alles von Robotern lernen können.

8 ARBEIT UND ALTER Arbeitskräfte werden bald knapp. Die Unternehmen werden die Alten noch brauchen; Generationenmanagement wird zum Wettbewerbsvorteil.

18 PERSöNLICH Elena Schaidl malt in ihren Bildern das Fallenlassen und Getragensein. Als Kursleiterin sucht sie den «gangbaren Weg».

22 KURSFENSTER Richtig verhandeln heisst, sein Gegen-über ernst zu nehmen und gleichzeitig auf seinen Ansprü-chen zu bestehen.

24 IM GESPRäCH «Ich will mit meinen Filmen Geschichten erzählen», sagt der Regisseur Rolf Lyssy. Seine «Schweizer-macher» taugen auch zum Musical.

KURzSTOFFE

4 Gesehen, gehört 15 WeiterBILDung 16 Rätsel «Wortquadrat» 17 Kolumne 21 Auskunft 27 Vogelschau 28 Kultur 29 Tipps und Tricks 30 Agenda 31 So finden Sie uns

Beilage in der Heftmitte: NACHTGESCHICHTEN

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4 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

GESEHEN, GEHöRT

HELvETISMENGut gesagt. Was uns Schweizern ring geht, geht bei den Deutschen leicht von der Hand. Und was wir speditiv erledigen, tun die Deutschen zielstrebig. Wie wir reden und schreiben – da gibt es ein paar Unterschiede diesseits und jenseits des Rheins. Carsten Stütz, Kursleiter für Deutsch an der EB Zürich, hat diese Unterschiede in einer Broschüre zusammengetragen und in ein paar vergnügli-che Übungen eingebaut. Dem Autor geht es dabei nicht um Wertung, sondern ums Aufzeigen von kulturellen Un-terschieden. Im Kurs «Helvetismen» können diese Unter-schiede ausführlich diskutiert werden.

KURzGESCHICHTENGut geschrieben. Die Teilnehmenden des aktuellen Bildungsgangs «Literarisches Schreiben» zeigen, was sie können. In einem schön gestalteten Buch haben sie Kurzgeschichten versammelt, die im Bildungsgang entstanden sind. «Sommers Ende» heisst da ein eindeutiger Titel, «Ich-Röhre» ein etwas verschlüsselter. Die Texte machen Lust auf ein Lesefest, das am 6. November 2010 im BiZE statt-finden wird. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den bisherigen zehn Bildungs-gängen werden aus veröffentlichten und unveröffentlichten Texten vorlesen. Das Buch kann in Buchhandlungen bestellt werden (ISBN 978-3-905744-03-3, ca. Fr. 26.–), nähere Informationen zum Fest finden sich unter www.eb-zuerich.ch.

LERNFESTIvALGut gelernt. Das Lernfestival findet vom 10. bis 11. September 2010 statt. In der ganzen Schweiz werden im Rahmen des Lernfestivals die unterschiedlichsten Events aus allen Bildungssparten angeboten. Auch die EB Zürich macht am Samstag, den 10. September, von 17 bis 20 Uhr für Neugierige ihre Türen auf. Interessierte erhalten in einstündigen Veranstaltungen einen Einblick in verschiedene Themen: «Now I phone» etwa zeigt den professionellen Einsatz des iPhone, «Mit guter Stimmung Anklang finden» ist ein Training für die klingen-de Visitenkarte, im «Tea Time Talk» wird englisch kommuniziert. Das ganze Programm findet sich unter: www.eb-zuerich.ch.

LERNFOYERGut beraten. Selbstständig lernen heisst nicht, dass man sich alles alleine aneignen muss. Im Lernfoyer der EB Zürich haben Lernende verschiedene Möglichkeiten, an eigenen Projekten zu arbeiten und dabei von Fachper-sonen Unterstützung zu erhalten. Entscheidend ist, dass diese Beraterinnen und Berater gut ausgebildet sind und genau wissen, wie sie die Lernbegleitung gestalten. Das zeigte sich deutlich in einem Fachgespräch mit Dr. Geri Thomann von der Pädagogischen Hochschule Zürich, das kürzlich im Lernfoyer zum Thema stattfand. Lern-begleitung, so die Quintessenz, heisst nicht, die Lösungen zu zeigen, sondern nur den Weg dorthin.

www.lernfestival.chAnfahrt: Tram 2 oder 4 bis FeldeggstrasseParkhaus: Feldeggstrasse

Bildungszentrum für Erwachsene BIZE Riesbachstrasse 11, 8008 Zürich

Lernfestival 2010

EB Zürich

Freitag, 10. September 201017 bis 22 Uhr

Bildungszentrum für Erwachsene BIZE Riesbachstrasse 11

8008 Zürich

Angaben zur Veranstaltung

Quaibrücke

Bahnhofstrasse

Klosbachstr.

Haupt-Bahnhof

Tram 3,Bus 31bis Kunsthaus

Forchstr.

Asylstrasse

Theaterstr.

Freiestrasse

Steinwiesstr.

Münsterbr.

Rathausbr.

Rud. Brunbr.

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Zeltweg

Seilergraben Zürichbergstrasse

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Niederdorfstrasse

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Auf der Mauer

Dolderstr.

Central

Bhf. Stadelhofen

Kunsthaus

Minervastr.

RämistrasseTram 5, 9

NeumarktTram 3,Bus 31

Höschgasse

Dufourstr.

Mühlebachstr.

Zollikerstr.

Fröhlich

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Feldeggstr.

Riesbachstr.

Bellerivestr.

Utoquai

Pfauen KunsthausTram 3, 5, 8, 9,Bus 31

Römerhof

Kreuzplatz

Hegibachplatz

Klusplatz

Bhf. TiefenbrunnenTram 2, 4

Seefeldstr.

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Paradeplatz

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RämistrasseTram 5, 9

NeumarktTram 3,Bus 31

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Pfauen KunsthausTram 3, 5, 8, 9,Bus 31

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Bhf. TiefenbrunnenTram 2, 4

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www.eb-zuerich.chTel: 0842 843 844

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 5

PORTRäT

Lehrstellensuche. Als Adisorn Srithamma, 18, vor drei Jahren in die Schweiz kam, konnte er kein Deutsch. Dann büffelte er vokabeln und Grammatikregeln. Nun hat er eine Lehrstelle als Polybauer gefunden und wird unter anderem Baugerüste fachgerecht aufstellen.

AUFGEzEICHNET Fritz Keller BILD Reto Schlatter

«Ich bin nun seit drei Jahren in der Schweiz. Bis ich fünfzehn war, lebte ich in der thailändischen Stadt Khon Kaen, einer Stadt etwa 360 Kilometer nordöst-lich von Bangkok. In die Schweiz bin ich gekommen, weil meine Mutter hier mit einem Schweizer verhei-ratet ist. Ich wusste nicht genau, wohin mich die Rei-se führt, kannte nur Bilder, die eine schöne Natur zeigten.

Am Anfang war es schwierig. Ich hatte all meine Kol-legen in Thailand zurückgelassen. In Dietikon, wo ich wohne, wurde ich in eine Einschulungsklasse einge-teilt, vor allem, um Deutsch zu lernen. Das war gar nicht so schlecht, aber natürlich konnte ich mit mei-nen viel jüngeren Mitschülerinnen und Mitschülern nicht viel anfangen. Ich bin ein ruhiger Mensch, von mir aus rede ich nicht so viel.

Nach einem Jahr wechselte ich in die Integrations-klasse an der Berufswahlschule Limmattal. Da habe ich viel gelernt, vor allem Deutsch und Mathematik.

Und endlich fand ich auch gleichaltrige Freunde, die in einer ähnlichen Situation waren wie ich. Das half mir sehr.

Als das Berufswahljahr vorbei war und ich immer noch keine Lehrstelle hatte, wechselte ich ins Pro-gramm ‹Junior Power› der Stadt Zürich. Die Hälfte der Woche arbeite ich in einer Metallwerkstatt, die andere Hälfte haben wir Unterricht. Und wir werden unter-stützt in der Lehrstellensuche. In drei Monaten schrieb ich etwa 30 Bewerbungen für eine Lehrstelle als Au-tomobilfachmann. Leider erhielt ich nur Absagen. Einmal wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Aber mein Deutsch war nicht gut genug.

Gerne wäre ich auch Koch. Ich koche viel für mich selber, thailändisch, aber auch Schweizer Gerichte. Leider habe ich auch als Koch keine Lehrstelle gefun-den. Noch immer ist mein Deutsch nicht so, wie es sein sollte. Deshalb habe ich mich auch für diesen Stützkurs an der EB Zürich angemeldet. Es gefällt mir, ich mache meine Aufgaben und lese auch im-mer wieder deutsche Artikel im Internet.

Vor ein paar Wochen habe ich mich an verschiede-nen Stellen auch als Polybauer beworben. Nach ei-nem Vorstellungsgespräch konnte ich eine Schnup-perlehre machen. Ich habe mich voll eingesetzt und es hat geklappt, ich habe einen Vertrag. Ich weiss, es ist ein strenger Beruf, aber ich freue mich. Im Au-gust beginne ich meine dreijährige Lehre. Und viel-leicht kann ich später immer noch Automobilfach-mann oder Koch werden.»

von Khon Kaen nach Dietikon

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6 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

EvENT

Der Mann ist wirklich ein Global Player. Ein Tüftler, ein Netzwerker, ein Smart Brain, das mit den hells-ten Köpfen rund um diesen Globus zusammenarbeitet: MIT, Peking, San Diego, Paris, Brüssel waren For-schungsstationen. 2003/2004 hielt er als Professor für Informations-wissenschaft und -technologie an der Uni Tokio die «erste globale, voll interaktive, videokonferenz-basierte Vorlesungsreihe» ab.

Im letzten Jahr hat er aus Schang-hai nachgedoppelt: Diesmal waren die internetbasierten Videokonfe-renzen zusätzlich mit virtuellen 3-D-Räumen ausgestattet, in wel-chen die Forschenden aus verschie-densten Disziplinen zusammenar-beiten konnten. Die sogenannten «ShanghAI Lectures 1.1» (AI steht für Artificial Intelligence) werden in diesem Jahr auch von Zürich aus um den Globus geschickt. Denn Rolf Pfeifers Homebase ist das «ai lab», das Artificial Intelli-gence Laboratory am Institut für Informatik der Universität Zürich (http://ailab.ifi.uzh.ch).

Beim Bauen lernen. Rolf Pfeifer will nicht weniger als die Intelli-genz verstehen, die menschliche und die künstliche – und die Unter-schiede zwischen beiden. Und her-

ausfinden, wie unser Körper unser Denken und Lernen beeinflusst. Nebenbei bastelt er immer wieder an der neusten Generation von Ro-botern mit. Beides ist natürlich eng miteinander verknüpft: Wer intelligente Roboter bauen will, muss verstehen, wie Intelligenz funktioniert. Und wer mit selber lernenden Robotern experimen-tiert, erfährt dabei auch etwas über das Lernen an sich. «Under-standing by building», Verstehen durch Bauen, nennt Pfeifer dieses Konzept.

Was Pfeifer und seine Forscher dabei gelernt haben, illustriert er anschaulich anhand von verschie-denen Roboter-Generationen der letzten zwanzig Jahre: Da waren die «Swiss Robots», die aus Hinder-nissen kleine Häufchen bildeten. Oder die drei kleinen Lego-Roboter, die alle baugleich waren, sich aber im Aussenmaterial leicht unter-schieden und völlig verschiedene Dinge taten. Oder «Stumpy» der bereits über zwanzig verschiedene Varianten der Fortbewegung be-herrschte und sich im Dutzend zu einer ballettähnlichen Choreogra-fie arrangieren liess.

Lernen = Körper und Bewegung. Seine langjährigen Versuche mit

Robotern haben ihn eines gelehrt: Lernen erfolgt durch Bewegung, über die physikalische Interaktion mit der Umwelt. Intelligenz hängt nicht allein von der steuernden Zentrale (Hirn, Algorithmen, Com-puterprogramm) ab, sondern ge-nauso vom Körper, von der Körper-lichkeit. Die Kognitionswissenschaf-ter und AI-Forscher haben dafür den Begriff des «Embodiment» ge-prägt; die Erkenntnisse und Ge-danken eines Organismus haben ihren Ursprung in der Morphologie (Oberflächenbeschaffenheit, Struk-tur), den Materialeigenschaften und der Umgebung eines Körpers.

Descartes lag falsch. Pfeifer ist ei-ner, der für seine Forschung rund um künstliche Intelligenz die be-stehenden Konzepte über unser Denken radikal hinterfragt. Die-jenigen der Psychologen und der Neurowissenschafter genauso wie die der Philosophen. Descartes’ «Ich denke, also bin ich» etwa gehe von einer Trennung zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen aus und greife zu kurz.

Das Hirn ist für Pfeifer zwar wich-tig, aber nur ein Teil des ganzen Denkapparates. Seine Message an die Neurowissenschafter lautet da-rum schlicht: «Wer nur das Hirn

Können Roboter denken?

Künstliche Intelligenz. Welche Rolle spielt der Körper bei der Entwicklung von

Intelligenz? Ist es wirklich so, dass unser Geist unser Handeln steuert?

Können wir von Robotern lernen? Prof. Dr. Rolf Pfeifer, einer der weltweit

renommiertesten Forscher über Robotik und künstliche Intelligenz, referierte

an der EB zürich über «Artificial Intelligence zwischen Science und Fiction».

TEXT Christian Kaiser BILD Susanna Anliker

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 7

EvENT

untersucht, kann überhaupt nichts aussagen.» Denn das Nervensystem und der Körper sind für Pfeifer an der Entwicklung von Intelligenz gleichermassen beteiligt, arbeiten gewissermassen arbeitsteilig zu-sammen. Dass der Geist als Schalt-zentrale den Körper kontrolliere, sei hingegen schon in neuropsy-chologischen Experimenten in den 80er Jahren widerlegt worden (z. B. im «Libet-Experiment» von Benjamin Libet 1979).

Radikaler Querdenker. Das Hirn als Kommandozentrale anzusehen, als «zentralisierte Steuerung», oder – wie gerade en vogue – in seiner Funktionsweise mit dem Internet zu vergleichen, ist für Rolf Pfeifer ebenso falsch, wie es das Bild vom

Herz als Pumpe im Mittelalter war. Oder der Vergleich des Ge-hirns mit einer Telefonzentrale zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Problem ist, dass wir uns im-mer wieder mit bekannten Meta-phern behelfen, um komplexe Dinge zu verstehen. «So überzeu-gend diese Metaphorik auch ist, so falsch ist sie auch», sagt Pfeifer.

Einer von seinen Lieblingssätzen lautet: «Es kann immer auch anders sein.» Für seine Intelligenz-Theo-rie bezieht er sich nicht nur auf die Robotik, er baut auch neuere An-sätze aus Biologie, Psychologie und den Neurowissenschaften ein. Oder die unkonventionellen Beobach-tungen seiner Studenten. Wenn man Rolf Pfeifer zuhört, erhält

man den Eindruck: Nur das Quer-denken, das Sich-Lösen von ein-gefahrenen Denkmustern bringt wirklich neue Sichtweisen und Er-kenntnisse. Und die braucht’s, um Roboter zu bauen, die denken, sich wie Menschen bewegen und vielleicht sogar fühlen können. Ei-nes Tages. Vielleicht. Denn: Auf die Publikumsfragen, wohin sich die künstliche Intelligenz entwi-ckelt, weigert sich Pfeifer schlicht, eine Antwort zu geben: «Die Prog-nostiker liegen immer falsch.»

Rolf Pfeifers Intelligenz-Theorie lässt

sich anschaulich nachlesen in dem Buch:

Rolf Pfeifer und Josh C. Bongard,

How the Body Shapes the Way We Think –

A New View of Intelligence, MIT Press,

2006, 394 Seiten.

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8 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

ARBEIT UND ALTER

Wer den 50. Geburtstag gefeiert hat, kann sich fit, jung und dyna-misch fühlen – wenn er die Stel-lenanzeigen durchblättert, wird er trotzdem den Eindruck bekom-men, zum alten Eisen zu zählen: «Alter: zwischen 30 und 40 Jahren» lautet nicht selten das Anforde-rungsprofil. Daran, dass es immer die Arbeitnehmenden ab 50 sind, die in Krisen wegrationalisiert und sozialverträglich frühzeitig in Rente geschickt werden, hat man sich ja längst gewöhnt; auch daran, dass die Betriebe die Ab-gänge im nächsten Aufschwung durch günstigeren Nachwuchs er-setzen.

Das Alteisen-Syndrom. Die Alten haben in der Arbeitswelt ein Imageproblem: teuer, wenig flexi-bel, lernfaul, nicht kreativ, weni-ger produktiv, kompliziert. Zu den gängigen Vorurteilen gehören auch der «Rückgang der intellek-tuellen Fähigkeiten», «geringere Mobilität und Anpassungsfähig-keit», «vermindertes Selbstver-trauen und Unsicherheit», «vor al-lem aber fehlende Innovations-kraft», schreibt der Unterneh-mensberater und Buchautor Nor-bert Herrmann in seinem Buch «Erfolgspotenzial ältere Mitarbei-

ter»*. Und Befragungen zeigen, dass Personalverantwortliche vor allem die Leistungskomponenten Lernfähigkeit, körperliche Belast-barkeit, Lernbereitschaft, Flexibi-lität und Kreativität (in dieser Rei-henfolge) deutlich häufiger bei den jüngeren Arbeitnehmenden vermuten als bei den älteren.

Schneller, höher, weiter. «Die Liste der Stereotype liesse sich beliebig verlängern», schreibt der Ausser-rhoder Zukunftsphilosoph Andreas Giger, der sich seit Jahren mit dem Megatrend Alterung auseinander-setzt. Die Vorurteile liefen alle auf eines hinaus: «Alter heisst Abbau von Leistungsfähigkeit. Und weil es sich in harten Zeiten kein Un-ternehmen leisten kann, Mitarbei-ter zu beschäftigen, die nicht zu hundert Prozent Leistung erbrin-gen, erscheint es nur rational, wenn sich Unternehmen von den älteren trennen.» Oder keine Al-ten einstellen. Giger sieht die Ur-sache dafür in einem – in der Wis-sensgesellschaft eigentlich längst überholten – Leistungsbegriff; zwar spiele die Muskelkraft in der mo-dernen Wirtschaft kaum noch

Das Alter als Wettbewerbsvorteil

Wege aus der Demografiefalle. Die Erwerbsbevölkerung wird immer älter. Der

Nachwuchs wird langsam knapp, ältere Arbeitnehmende sind hingegen wenig

gefragt. Wie soll das gehen? Weiter die Alten ausrangieren und junge Fach-

kräfte importieren? Unternehmen müssen umdenken: Eine Personalpolitik,

welche die älteren Mitarbeitenden wertschätzt, wird zum Wettbewerbsvorteil.

TEXT Christian Kaiser BILDER Reto Schlatter

* Norbert Herrmann: Erfolgspotenzial ältere

Mitarbeiter, Hanser, 2008, 264 Seiten

Page 9: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 9

ARBEIT UND ALTER

eine Rolle, unsere Vorstellung von Leistung sei jedoch immer noch mit derjenigen im Spitzensport vergleichbar: Leistung = höher, weiter, schneller. Und da können die Älteren eben nicht mithalten.

Arbeitskräfte werden knapp. Das Problem ist nur: Unsere Wirt-schaft wird immer älter. Die mit Abstand grösste Generation, die Babyboomer, gehen bald in Pension, und die nachstossenden Genera-tionen können die Lücken, welche die vor 1965 geborenen hinterlas-sen, niemals ausfüllen. 2050 wird jeder dritte Einwohner der Schweiz älter als 60 Jahre sein. Gemäss den neusten Prognosen des Bundesam-tes für Statistik wird es bis 2030 10 Prozent mehr 45- bis 64-Jährige geben, die Altersgruppen der 15- bis 24-Jährigen und der 25- bis 44-Jährigen werden hingegen rück-läufig sein. Die Experten sind sich deshalb einig: Qualifiziertes Per-

sonal wird auf dem Arbeitsmarkt bald knapp werden. In einigen Branchen, zum Beispiel im Ge-sundheitswesen, fehlt der Nach-wuchs jetzt schon.

zuwanderung ist keine Lösung. Die Alterung der Erwerbsbevölkerung ist kein schweizerisches Phäno-men, sie betrifft auch diejenigen Länder, aus welchen in den letzten Jahren junges, qualifiziertes Per-sonal in die Schweiz zugewandert ist; in Westeuropa wird die Zahl der als besonders innovativ und leistungsfähig geltenden 30- bis 44-Jährigen bis 2030 um 20 Prozent schrumpfen. Die «routinierte Pro-jektleiterin mit Auslanderfahrung und Fremdsprachenkenntnissen, Anfang 30» wird dann schwer zu finden sein. Und vor allem: Wenn es sie irgendwo gibt, werden sie nicht nur Schweizer Unterneh-men und ihre Headhunter unbe-dingt wollen.

«Es ist davon auszugehen, dass wir ab etwa 2015 einen Arbeitskräfte-mangel haben werden», mahnt der Schweizerische Arbeitgeberverband auf seiner Website. Er hat bereits 2006 – also noch bevor die erhöhte Arbeitslosigkeit im Zuge der Fi-nanzkrise die demografischen Pro-bleme in die Hinterköpfe verbannt hat – eine Kampagne lanciert: Sie soll die Unternehmen sensibilisie-ren, «damit ältere Menschen in den Unternehmen eine Chance ha-ben». Angesichts des zu erwarten-den Arbeitskräftemangels müsste es wohl eher heissen: «damit die Unternehmen bei den älteren Menschen eine Chance haben».

Die Alten werden gebraucht. Denn im Klartext bedeuten die Progno-sen zur Bevölkerungsentwicklung nichts anderes, als dass die Zu-kunft der Schweizer Unterneh-men mehrheitlich von Personen zwischen 50 und 65 abhängt. Laut einer Studie von Adecco von 2008 zeigen sich die Schweizer Unterneh-men aber immer noch zuversicht-lich, dass die Jugend das Problem des künftigen Arbeitskräfteman-gels lösen wird. «Angesichts der rückläufigen Zahl der Berufsanfän-ger ist davon aber nicht auszuge-hen», schreiben die Studienautoren.

DIE BILDER: GENERATIONEN MIT zUKUNFT IM BLICK

In Unternehmen arbeiten verschiedene Generationen zusammen: Neben den Babyboomern

(bis 1965 geboren) die Generation Golf (bis 1975 geboren), die Generation dot.com (bis

1985 geboren) sowie die Generation Game (oder Generation Krise, ab 1985 geboren). Ihre

bisherigen Erfahrungen haben sich in die Gesichtszüge eingeprägt, allen gemeinsam ist

der Blick in eine berufliche Zukunft, in der sie älter sein werden. Der Zürcher Fotograf

Reto Schlatter hat dieses Spannungsfeld für EB Kurs ins Bild gesetzt.

Page 10: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

10 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

ARBEIT UND ALTER

Die Geschäftswelt habe sich bisher zu wenig mit den Folgen des de-mografischen Wandels auseinan-dergesetzt. Die Adecco-Studie sieht für die Betriebe insbesondere fol-gende drei Möglichkeiten, sich auf die Demografiefalle einzustellen: Arbeitnehmer länger beschäftigen; für Ältere attraktiv bleiben; mit einer alternden Belegschaft die Produktivität steigern.

vorurteile hinterfragen. Die Unter-nehmen sollen ihre Zukunft also auf diejenige Bevölkerungsgruppe bauen, die gemeinhin als weniger leistungsfähig gilt. Angeblich. Denn: Wie das mit Klischees nun mal so ist, sie sind (mit Ausnahme der körperlichen Leistungsfähig-keit und einer sinkenden Weiter-bildungsbereitschaft – siehe Inter-view Seite 14) durchwegs falsch. Weder sind ältere Arbeitnehmen-de im Schnitt häufiger krank, noch sind sie weniger flexibel. Die Flexibilität nimmt im Gegenteil im Alter sogar noch zu, zum Bei-spiel für Auslandeinsätze, weil äl-tere Arbeitnehmende ja weniger familiäre Verpflichtungen haben.

Wie Studien belegen, nimmt auch die Lernfähigkeit im Alter nicht ab. Allerdings ändern sich die Lern-

muster. Die sprachlichen und kog-nitiven Fähigkeiten verbessern sich mit zunehmendem Alter sogar. Äl-tere Semester denken tendenziell weniger abstrakt und kurzfristig, dafür mehr in Systemen und Bezie-hungen. Das semantische Lernen, also das Aufnehmen und Anbinden von Begriffsinhalten an bereits ge-speichertes Wissen, fällt ihnen ge-mäss dem Zürcher Neuropsycho-logen Lutz Jäncke sogar leichter. «Wir werden die Lernfähigkeit und die Erfahrungen der älteren Men-schen noch brauchen, davon bin ich überzeugt», sagte Jäncke an ei-nem Vortrag an der EB Zürich.

Tod durch Stillstand. Tödlich für die Lernfähigkeit ist allerdings Routine. Und genau hier liegt in vielen Betrieben das Problem; die Alten machen bis zur Pensionie-rung das, was sie schon immer ge-macht haben – und verlernen vor lauter Unterforderung irgendwann das Lernen. Für die Metro AG mit Holdingsitz in Zug beispielsweise sind Leistungsprobleme eben nicht die «Folge eines natürlichen Alte-rungsprozesses, sondern das Ergeb-nis von langzeitig ausgeführten Tätigkeiten, in denen es nichts zu lernen gibt». Die Personalverant-wortlichen im Konzern sind des-

halb dazu aufgefordert, «eine Kul-tur des lebenslangen Lernens zu schaffen», «mit den Mitarbeitenden über 50 über ihre beruflichen Per-spektiven zu sprechen» und ihnen «die Möglichkeit zu geben, beschäf-tigungs- und leistungsfähig zu bleiben». So wie es scheint, sind solche Bekenntnisse im Moment noch alles andere als eine Selbst-verständlichkeit.

Ressourcenverschwendung. Die Al-ten auszurangieren, ist hingegen eine «exorbitante Verschwendung von Ressourcen», wie das Institut für Empirische Sozialökonomie schon 2001 festhielt. «Denn mit den Älteren gehen Erfahrung und Wissen verloren – und dies alles nur aufgrund eines Vorurteils von ihrer geringeren Leistungsfähig-keit.» Dabei sind sich die Personal-verantwortlichen durchaus auch der Vorzüge älterer Arbeitneh-mender bewusst: In Befragungen attestieren sie den älteren Arbeit-nehmenden tendenziell ein grösse-res Erfahrungswissen, eine höhere Arbeitsmoral und -disziplin, ein bes-seres Qualitätsbewusstsein, mehr Loyalität, vertiefteres theoretisches Wissen sowie eine leicht höhere psychische Belastbarkeit als den jüngeren. Alles Werte und Tugen-

Page 11: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

«WETTBEWERBSvORTEIL 55PLUS»: WAS äLTERE ARBEITNEHMENDE GUT KöNNEN

EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 11

ARBEIT UND ALTER

den, die in der modernen Wissens-gesellschaft durchwegs gefragt sein müssten (siehe Kasten: «Wettbe-werbsvorteil 55plus»).

zeichen verkannt? Trotzdem sind die Schweizer Unternehmen alles andere als fit für den Umgang mit ihrer alternden Belegschaft. Die erwähnte Adecco-Studie hat für jedes Land einen «Demografischen Fitness-Index» erstellt. Bewertet werden die fünf Handlungsfelder Karrieremanagement, lebenslan-

ges Lernen, Wissensmanagement, Gesundheitsmanagement und Al-tersvielfalt. Von 400 möglichen er-zielten die befragten Schweizer Unternehmen im Schnitt gerade einmal 172 Punkte. Mehr als 80 Prozent der Betriebe erreichten weniger als die Hälfte der mögli-chen Punktzahl. Und 50 Prozent der befragten Unternehmen wissen nicht einmal über die Altersstruk-tur ihres Personals Bescheid. Die Studienautoren schliessen daraus, dass die Schweizer Unternehmen

den «Haupthandlungsfeldern zur Wahrung der internationalen Wett-bewerbsfähigkeit offenbar nur we-nig Aufmerksamkeit schenken».

Die Fitnesskur. In ein ähnliches Horn bläst Martina Zölch, Profes-sorin für Human Resource Ma-nagement an der Fachhochschule Nordwestschweiz: «Langfristig ge-sehen dürfte es als grob fahrlässig angesehen werden, die Heraus-forderungen des demografischen Wandels in der Abstellkammer ei-

Die moderne Wissensgesellschaft verlangt vor allem nach produk-

tiver Wissensarbeit in Teams. Gemäss dem deutschen Zukunfts-

institut entscheiden darum einige Fähigkeiten, die sich überwie-

gend bei älteren Angestellten finden, «zunehmend über den

Erfolg». Für die Unternehmen, die sie aktiv nutzen, werden sie

zum «Wettbewerbsvorteil 55plus»:

Ältere Mitarbeitende

– überblicken komplexere Sachverhalte sowie den gesamten

Arbeitsprozess besser, sie kennen das Unternehmen, den

Markt und die Mitbewerber und wissen eher, was der Kunde

will;

– haben häufig bessere kommunikative Fähigkeiten, können

deshalb gut mit Kunden umgehen, schaffen Vertrauen;

– können besser verhandeln;

– haben ein grösseres Allgemeinwissen und einen grösseren

Wortschatz;

– können effizienter Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden;

– haben genug Fehler gemacht, um entstehende Sackgassen

vorherzusehen, und können deswegen auch Niederlagen pro-

duktiver verarbeiten;

– sind flexibler einsetzbar, weil sie die Kinderphase hinter sich

haben;

– haben ein grosses Durchhaltevermögen, weil sie Aufgaben

realistisch einschätzen und ihre Ressourcen einteilen;

– streben in der Regel keinen Firmenwechsel mehr an, sind

deshalb loyaler und besser planbar;

– engagieren sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Firma, weil

sie ihren Job nicht als Selbstverständlichkeit sehen, sondern als

eine der wenigen Chancen, beruflich etwas zu erreichen;

– sichern Entscheidungen fundierter ab und geben diesen den

erforderlichen zeitlichen Raum; haben eine grössere Treff-

sicherheit als jüngere;

– machen bei bestimmten schwierigen Aufgaben (z. B. Qualitäts-

kontrolle) weniger Fehler, weil sie sich nicht so schnell ablenken

lassen.

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12 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

ARBEIT UND ALTER

nes Unternehmens zu platzieren und ihn in der Unternehmens- und Personalstrategie nicht zu berücksichtigen.» Zusammen mit einem Expertenteam der Hoch-schule für Wirtschaft FHNW ver-schreibt sie den Unternehmen im neuen Buch «Fit für den demogra-fischen Wandel?»* ein Fitnesspro-gramm in vier Stufen:

1. Wissen, wo das Unternehmen steht: Die Altersstruktur analy-sieren und demografische Zu-kunftsszenarien entwickeln.

2. Wissen, wo die Mitarbeitenden stehen: Individuelle Standort-bestimmungen durchführen und gegenseitige Erwartungen of-fenlegen.

3. Führungskräfte qualifizieren: Stereotype übers Alter abbauen und eine Unternehmenskultur aufbauen, welche die älteren Mitarbeitenden fördert.

4. Von guten Praxisbeispielen ler-nen: Sich von innovativen Lö-sungen anderer Unternehmen inspirieren lassen, von ihren Erfahrungen mit altersgerech-tem Personalmanagement ler-

nen und die eigene Praxis über-denken.

Die Generationen managen. An Ansätzen und Strategien für eine altersgerechte Personalpolitik man-gelt es nicht: Ob «Generationen-management», «Age Management», «lebensphasenorientierte Personal-politik» oder «lebenszyklusorien-tierte Personalentwicklung» – im Grundsatz geht es bei all diesen Schlagworten um das Gleiche: Eine Personalpolitik, die auf die spezifi-schen Bedürfnisse und Fähigkeiten der einzelnen Generationen im Unternehmen abgestimmt ist, die Lern- und Leistungsfähigkeit aller Altersgruppen fördert und den Know-how-Transfer zwischen den Generationen langfristig sichert. Und natürlich den älteren Arbeit-nehmenden die Wertschätzung zu-kommen lässt, die sie verdienen.

Erfolg = Alt + Jung. Generationen-management fokussiert auf die erfolgreiche Zusammenarbeit von Alt und Jung. Zum Beispiel in ganz bewusst aus verschiedenen Generationen zusammengesetzten Teams. Die Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmenden sind vor allem bei Jungen – auch jungen Führungskräften – verbreitet, die

bisher wenig mit Älteren zusam-mengearbeitet haben. Gemischte Generationenteams schlagen so mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie fördern den Wissenstransfer von Alt zu Jung und von Jung zu Alt und helfen gleichzeitig, die altersbezogenen Klischees abzu-bauen. Das gelingt im operativen Tagesgeschäft am besten: «Brin-gen Sie alte Hasen und junge Wilde gerade jetzt in Workshops zusam-men», empfiehlt etwa der Unter-nehmensberater und Coach Ralf Overbeck. «Ideen, Erfahrung und Know-how lassen sich so schnell sammeln und erfolgreich imple-mentieren.» Etwas plakativ defi-niert er Generationenmanagement als: Alt + Jung = Erfolg.

Auf Weiterbildung setzen. Ein wichtiger Pfeiler eines aktiven Ge-nerationenmanagements sind auch gezielte Weiterbildungsmassnah-men für ältere Mitarbeiter, denn die Weiterbildungsquote bei Mit-arbeitern über 50 Jahre beträgt in der Schweiz nicht einmal 25 Pro-zent. Das dürfte auch daran lie-gen, dass die Unternehmen vor al-lem die jüngeren Mitarbeitenden mit Weiterbildungen fördern. Dass das Wissen und die Quali-fikationen älterer Mitarbeiter so

* Zölch/Mücke/Graf/Schilling: Fit für den

demografischen Wandel? Haupt, 2009,

390 Seiten

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 13

ARBEIT UND ALTER

zwangsläufig veralten, liegt auf der Hand. Laut Norbert Herrmann bedarf es deshalb einer «Entwick-lungs- und Qualifizierungsoffen-sive, vor allem für die Mitarbeiter der 45plus-Generation».

Die Fachleute sind sich einig, dass eine gute, altersgerechte Personal-politik über kurz oder lang zum Wettbewerbsvorteil wird. Herr-mann: «Unternehmen, denen es gelingt, intelligente Wege zu fin-den, um das reich vorhandene Po-tenzial älterer Mitarbeiter zu er-schliessen, werden die negativen Auswirkungen des demografi-schen Wandels am wenigsten zu spüren bekommen – und damit die Nase im Wettbewerb vorn haben.»

Ins Alter investieren. Herrmann empfiehlt den Führungskräften, ihre Mitarbeitenden wie ein Wert-papier-Portfolio zu betrachten: «Schliesslich sind Ihre Leute min-

destens genauso wertvoll.» Die zentralen Fragen dabei lauteten: Welches Potenzial steckt in ih-nen? Wie entwickeln sie sich? Welche Risiken verbergen sich? «Niemand würde eine sinnvolle Wertpapierstrategie darin sehen, alles zu kaufen, was neu auf den Markt kommt, oder alles, was bil-lig ist.» Das gelte auch für eine gute Personalstrategie.

Der demografische Wandel zwingt Wirtschaft und Gesellschaft dazu, den Wert älterer Arbeitskräfte – und des Alters an sich – ganz grund-legend zu überdenken. Der Neuro-psychologe Lutz Jäncke brachte es an einer Veranstaltung des Schwei-zerischen Forums für Erwachse-nenbildung an der EB Zürich auf den Punkt: «Wir müssen so weit kommen, dass Stereotype über äl-tere Mitmenschen wie krank, be-hindert, langsam, impotent, häss-lich, arm, depressiv, mental abbau-end, nutzlos und isoliert ersetzt werden durch erfahren, genau, potent, attraktiv, finanziell, unab-hängig, optimistisch, mental be-weglich, mental gesund, wertvoll, sozial eingebunden, gesund, weise.» Jugendlichkeitswahn war gestern. Die Zukunft ist reif.

LINKS

www.demografiefitness.ch – Instrumente, um die Fitness im Unternehmen zu überprüfen

www.arbeitgeber.ch > Arbeit und Alter – die Altersstrategie des Arbeitgeberverbandes

www.generationenmanagement.info – Tipps für erfolgreiches Generationenmanagement

www.lebensphasenorientierte-personalpolitik.de – ein Projekt für zukunftsgerichtete

Personalpolitik

www.agebroker.de – Jobbörse für die zweite Karriere in Deutschland

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14 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

ARBEIT UND ALTER

Frau Graf, Arbeitnehmende ab 50 gelten in vielen Unternehmen als weniger produktiv, als kostspielig, innovationsfeindlich, unflexibel. Ist da etwas dran?Ältere Mitarbeitende ab 50 sind keine homogene Altersgruppe. Es gibt sehr grosse individuelle Unter-schiede. Studien zeigen beispielsweise, dass sich innerhalb von Altersgruppen grössere Leistungs-unterschiede feststellen lassen als zwischen den Altersgruppen. So kann ein 30-Jähriger weniger produktiv, innovationsfreundlich und flexibel sein als ein 55-Jähriger.

Die Generation 50plus gilt auch als wenig lernwillig. Entspricht das Ihrer Erfahrung?Die Lernfähigkeit nimmt im Alter nicht ab. Die Wei-terbildungsbereitschaft jedoch schon. Sicher ist aber auch, dass Unternehmen die Lernbereitschaft positiv beeinflussen können, beispielsweise durch eine lern-förderliche, entwicklungsförderliche Kultur und die Sensibilisierung für das lebenslange Lernen.

Erbringen ältere Arbeitnehmende nicht die Leistung, die sie könnten, weil ihre Arbeitskraft zu wenig wert-geschätzt wird? Natürlich ist Wertschätzung zentral. Die wichtige Frage lautet: Wie werden ältere Menschen im Unter-

nehmen betrachtet und gefördert? Haben wir eine Kultur der Wertschätzung, wertschätzende Kommu-nikation, wertschätzende Beurteilungssysteme und Arbeitsbedingungen, die Autonomie und Gestal-tungsfreiraum ermöglichen?

Aber es muss auch im Einzelfall geprüft werden, was die Ursachen sind, die zu niedrigerer Produktivität geführt haben. Das lässt sich in einem Einzelgespräch herausfinden. Ein Auslösefaktor kann beispielsweise die Beziehung zwischen dem Mitarbeitenden und dem Vorgesetzten sein; wie viele Mitarbeitende zeigen durch den Wechsel eines Vorgesetzten plötzlich ganz andere Fähigkeiten und sind wieder voll motiviert.

Was können Arbeitnehmende über 50 tun, um der inneren Kündigung vorzubeugen?Ich kann die Wichtigkeit von Standortbestimmun-gen nicht genug betonen. Eine ehrliche Beurteilung der Situation hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten, Motivationen, Werte, Sinnfragen ist sehr wichtig. Man sollte sich die Frage, was die wesentlichen Din-ge im Leben sind, in jeder Lebensphase wieder neu stellen. Weitere Punkte sind:

– Selbstverantwortlich denken und handeln.– Neue Lernfelder suchen, etwas riskieren, sich

Möglichkeitsspiel(t)räume eröffnen.– Neue Tätigkeitsbereiche anvisieren mittels Wei-

terbildung.– Schauen, wo Freude entsteht, diese Felder aus-

bauen. Möglichkeiten suchen, um in der jetzigen Tätigkeit mehr Freude zu integrieren (falls dies nicht möglich ist, Konsequenzen ziehen).

– Mit den Vorgesetzten das konstruktive Gespräch suchen.

– Gezielt Belastungen reduzieren und Ressourcen aufbauen.

KURSE zUM THEMA

– Wirkungsvolles Generationenmanagement

– Älter werden im Beruf

– Professionelle Laufbahnplanung in 5 Schritten

– Kompetenzen-Portfolio

– Selbstmanagement mit dem Zürcher Ressourcenmodell

Weitere Infos und Anmeldung unter www.eb-zuerich.ch

Gemeinsam erfolgreich dank wirkungsvollem GenerationenmanagementErfolgsfaktor Wertschätzung. Prof. Dr. Anita Graf ist seit 2004 Professorin für Human Resource Management an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie ist überzeugt, dass eine wertschätzende Kultur die Leistungfähigkeit in den Betrieben erhöht. An der EB zürich leitet Anita Graf den neuen Kurs «Wirkungsvolles Generationenmanagement».

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 15

WEITERBILDUNG

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16 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

WORTQUADRAT von Jürg Fischer

WAAGRECHT (I = J = Y)

3 Vermeintlich die Schönste im Bankenwesen – muss aber

aufpassen, dass sie nicht selbst hineingerät

9 Bezweckt die städtische Gebietsentwicklung

11 Eine Reinschrift wäre darauf glatte Verschwendung

13 Macht international jedes Buch unverwechselbar, das Kürzel

14 Wo französisches Strassentheater stattfindet

15 Stressbedingte Ursache für Geschwindigkeitsexzesse

16 Konzentrationsübung für Köche

17 Was die Mutter für die Schraube, aber auch der Hammer

für den Nagel

21 Hat das Format für Westentaschen, was da im Anzug ist

24 Gälte dies für alle Schlaufen, könnte man sich eigentlich

nicht verlaufen

26 Ein Schwiegersohn, der sprachlich in die Jahre gekommen ist

28 Bildet das 17 waagrecht zur Pflicht

29 Einer, der TV total gern hat

30 Das hört man viel in der Unterwelt der Übernamen

31 Zirkusstück

32 Im Jahr, wie es beim Lateiner war

SENKRECHT

1 Geht, auch an der EB Zürich, idealerweise mit Lernfähigkeit

einher

2 Wird, wenn nicht Holland-Spanien, oft mit Hitchcock in

Verbindung gebracht

3 Sind die im bayrischen Bierzelt genau definiert?

Eher Disziplinierung bei unbotmässigem Tun

4 Die der Wahrheit kann sehr kurz sein, aber lange nachwirken

5 Wo nun doch keine alpine Pforte entsteht

6 Womit Petrus eine Urform des Walking praktizierte

7 Ihr kann die Alster das Wasser (nicht) reichen

8 Kopflose weibliche Pferde, die Lärm verursachen

10 Ursache oder Wirkung der Finanzkrise? Dem Geier ist’s egal

12 Viele davon wurden in Italien zum Euro

18 Ist es der Befund, trägt er nicht zur Eindeutigkeit bei

19 Ist neudeutsch schlicht sauber

20 Der italienische Boulevard, deutsch geschrieben

22 Der Knabe von der grünen Insel würde andersherum zur Post

gehören

23 Eine Dame mit dem Fuss am Kopf, das ist natürlich Käse

25 Wo Rilke, beinahe in Triest, sehr elegisch wirkte

27 Dient der Knochen-, nicht der Währungsstärkung

Schicken Sie das Lösungswort, das sich aus den grauen Feldern ergibt, an [email protected]. Einsendeschluss: 30. September 2010.

Die Lösung findet sich ab dem 4. Oktober 2010 auf www.eb-zuerich.ch > Magazin EB Kurs. Unter den richtigen Einsendungen werden 5 Preise

verlost. Erster Preis ist ein Bildungsgutschein der EB Zürich im Wert von 100 Franken. Zweiter bis fünfter Preis ist eine EB-Zürich-Tasche.

LöSUNGSWORT

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Nachts. Was passiert in der Nacht?Was ist das Besondere an der Nacht? Die Teilnehmenden des 20. Bildungsgangs «Journalismus» an der EB Zürich schreiben darüber.

Beilage zum Magazin EB Kurs der EB Zürich. Herbst 2010

NacHTgEscHicHTEN

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EDiTorial

Nachtgeschichten Früher lebten die Menschen im Rhythmus der Natur. Bei Sonnenaufgang begann die Arbeit, und mit dem schwinden-den Tageslicht betteten sie sich zur Ruhe. Das gehört der Vergangenheit an. Dank der Elektrizität können wir die Nacht zum Tag machen. Die einen freiwillig, die anderen notgedrungen. Einerseits bieten sich so viele neue Möglich-keiten, andererseits wird es für viele immer schwieriger, zur Ruhe zu kommen und endlich zu schlafen.

Oft stand ich am Bett meiner Kinder, der Verzweiflung nahe. Schlaf endlich, schlaf! Ich fragte mich jeweils, wieso die Kinder die Nacht nicht geniessen können. Ist es die Angst davor, etwas zu verpassen? Wissen schon die Klei-nen, dass die Nacht mehr ist als Ruhe und Erholung?

Wir Teilnehmenden des 20. Bildungsgangs «Journalismus» haben uns auf die Suche gemacht nach Geschichten, welche nur die Nacht schreibt. Gefunden haben wir Geschichten von Menschen, die in der Nacht arbeiten, und solchen, die die Nacht durchfeiern; Geschichten zur Nacht, Nachtge-schichten.

Lesen Sie selber. � Monika�Z’Rotz-Schärer

Legende�fehlt

Legende�2.�Zeile

Beatrice�Kälin,�Franciska�Tièche,�Line�Numme,�Maria�Savoldelli,�Hansjürg�Reber,�Adriana�Zilic,�Sandro�Portmann,�Monika�Z’Rotz-Schärer,�

Stefan�Greter,�Vera�Honegger,�Daniel�Roth,�Esther�Wintsch,�Heinz�von�Niederhäusern,�Doris�Büchel.� bild�Reto�Schlatter�

inhaltEditorial� . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIDie�Stundenrufer��der�Nacht� . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIIEin�Nacht�spaziergang . . . . . . .IIIEine�kleine��Nackt�geschichte . . . . . . . . . . . . .IVVom�Verschwinden��der�Nacht� . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IVWenn�der�Mond�rund�ist� . . . . VDas�Besondere��der�Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VVon�Lerchen,�Eulen��und�der�inneren�Uhr� . . . . . . . VIDas�kleine�Schwarze . . . . . . . . . . .VIIINie�mehr�arbeiten?� . . . . . . .VIIIPartyhopping�mal�drei� . . . . . IXStern�162 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .IXMarkt�für�Freunde��der�Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .XEngel�in�Orange� . . . . . . . . . . . . . XAlpauffahrt�bei�Nacht� . . . . . . XI«nachtwach» . . . . . . . . . . . . . . . . .XIIm�Sommer�Tag�–��im�Winter�Nacht . . . . . . . . . . . XIISingen�in�der�Nacht�… . . . . .XIVKönigin�der�Nacht� . . . . . . . .XIVVampire�im�Zwielicht . . . . . . XVSchlaf,�Kindlein,��bitte�schlaf . . . . . . . . . . . . . . . . . .XV«Vertrauen�ist�das�A��und�O»� . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .XVI

II . NACHTGESCHICHTEN

Page 19: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

Die�Stadt�nachts�mit�ganz�anderen�Augen�sehen.

Die stundenrufer der NachtNoch vor rund 200 Jahren drehten in Zürich abends die Nachtwächter ihre runden und hielten über die schlafenden Bürger Wache. an genau festgelegten orten liessen sie ihren stundenruf erschallen.

«Hört,�ihr�Herrn�und�lasst�euch�sagen,�unsere�Glock’�hat�zehn�geschlagen�...»�Unvermutet� tauchen� zwei� schwarz� gewandete� Gestalten� mit� Laterne� und�Hellebarden�aus�dem�Dunkeln�auf�und�singen�bei�der�Schipfe�ihr�Nachtwäch-terlied.�Martin�Harzenmoser�und�Markus�Lienhart�haben�vor�rund�drei�Jahren�eine�alte�Tradition�wieder�aufgenommen�und� führen� interessierte�Zuhörer�entlang� einer� alten� Nachtwächterroute� vom� Lindenhof� aus� rund� um� den��St.�Peter�durch�dunkle�Gassen�und�in�heimliche�Winkel�der�Altstadt.�«Nachts�sieht�man�Zürich�mit�ganz�anderen�Augen�und�lässt�sich�auch�leichter�in�die�alte�Zeit�zurück�entführen»,�sind�die�beiden�Nachtwächter�überzeugt.� «Erste�Pflicht�der�Nachtwächter�war�es,�Brandherde�zu�entdecken�und�mit�drei�markanten�Hornstössen�möglichst�schnell�Alarm�zu�schlagen»,�er-zählt�Markus�Lienhart.�«Nächtliche�Ruhestörer�wurden�mit�auf�die�Wache�genommen.�Wer�ohne�Laterne�unterwegs�war,�machte�sich�bereits�als�licht-scheues�Gesindel�verdächtig.�Die�Sperrstunde�in�den�Wirtschaften�war�da-mals�schon�um�neun�Uhr�abends,�und�manch�ein�Wächter�war�genötigt,�die�‹Überhöckler›�gelegentlich�sogar�mit�der�Hellebarde�aus�den�Spelunken�zu�treiben»,�fügt�er�lachend�hinzu.� Für�viele�Teilnehmende�sei�besonders�interessant,�an�Orte�zu�gelangen,�die�normalerweise�kaum� jemand�kennt,�meint�der�historisch� interessierte�Sekundarlehrer�Martin�Harzenmoser.�Wer�verirrt�sich�schon�in�die�Rollen-gasse�oder�ins�Kaminfegergässchen?�Während�der�Vorbereitung�seiner�Touren�hat�Harzenmoser�lange�Zeit�in�den�Archiven�der�Stadt�recherchiert�und�dabei�einige� Trouvaillen� entdeckt.� So� erzählen� die� Nachtwächter� während� ihrer�Führungen�unter�anderem�auch�über�die�misslichen�hygienischen�Verhältnisse�im�alten�Zürich.�«Haushaltabfälle�hat�man�ungeniert�in�die�Mitte�der�Gasse,�den� sogenannten� Ehgraben,� geworfen»,� schildert� Harzenmoser� vor� einem�Haus�in�der�Glockengasse.�«Frühmorgens�musste�man�auf�der�Hut�sein,�weil�viele�Bürger�den�Inhalt�ihrer�Nachttöpfe�einfach�aus�dem�Fenster�kippten»,�doppelt�Markus�Lienhart�nach.�� text�Francisca�Tièche� bild�Horst�Mitzel

< �Öffentliche�Führungen:�Am�ersten�und�letzten�Dienstag�im�Monat� Besammlung�um�20.30�Uhr�auf�dem�Lindenhof� www.nachtwaechterzunft.ch

Ein Nacht­spaziergangLangsam�wird�es�Nacht�hier�auf�dem�Sternenberg,�und�ich�mache�mich�auf�zu�ei-nem�meiner�Lieblingsspa-ziergänge.�Ein�leichter�Wind�bläst�mir�ins�Gesicht�und�vertreibt�die�Hitze�des�Tages.�Der�Himmel,�von�einem�zar-ten,�fast�durchsichtigen�Blau,�verfärbt�sich�im�Wes-ten,�wo�die�Sonne�untergeht,�von�Gelb�ins�Rosarote,�dann�ins�Graue�einer�Wolkenbank.�Kühl�und�angenehm�ist�die�Luft,�duftet�schwer�vom�frisch�geschnittenen�Gras.�Immer�wieder�fliegen�Fle-dermäuse�mit�akrobatischer�Leichtsinnigkeit�durch�die�Luft.�Der�Mond�zeigt�fast�sein�volles�Gesicht�und�lässt�sein�silbernes�Licht�auf�den�gemähten�Wiesen�ruhen.�Blätter�und�Äste�der�Bäume�bilden�filigrane�Scheren-schnitte�gegen�den�Nacht-himmel.�Verlassen�steht�der�Heuwender�auf�der�Wiese�–�ein�riesiges�Insekt�mit�vielen�Beinen.�Glühwürmchen�leuchten�am�Wegrand,�in�der�Hoffnung,�mit�ihrem�Licht-schein�einen�Partner�anzu-locken.�Einzelne�Sterne�schimmern�am�Himmel,�der�Mond�scheint�hell�über�die�hügelige�Landschaft.�Dort,�wo�sein�Schein�nicht�hinfällt,�ist�es�dunkel�und�uner-gründlich.�Nichts�ist�zu��hören,�Stille�rundherum.�Gross�und�majestätisch�ruht�die�Nacht�über�dem�Ster-nenberg:�ein�Hauch�von�Ewigkeit.� text�Vera�Honegger

NACHTGESCHICHTEN . III

Page 20: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

Vom Verschwinden der NachtDer Mensch hat die Nacht zum Tag gemacht. Doch bei der Beleuchtung der aussenräume wird übertrieben.Dark sky switzerland will gegensteuer geben.

«Wann� haben� Sie� zum� letzten� Mal� die� Milchstrasse� gesehen?»,� fragt� Ge-schäftsführer�Theo�Wirth�zurück,�wenn�man�von�ihm�wissen�will,�was�Dark�Sky�Switzerland�(DSS)�ist.�In�der�Tat�sind�die�Nächte�in�unseren�Siedlungs-räumen�mit�der�rasanten�Entwicklung�der�Beleuchtungstechnik�so�hell�ge-worden,�dass�ein�grosser�Teil�der�Sterne�nicht�mehr�sichtbar�ist.�Es�waren�denn�auch�vor�allem�Astronomen,�die�DSS�1996�als�Schweizer�Sektion�der�In-ternational�Dark-Sky�Association�gründeten,�um�der�exzessiven�Aussenbe-leuchtung�–�man�spricht�heute�von�Lichtverschmutzung�–�entgegenzutreten.� Inzwischen�ist�die�Mitgliederschaft�von�DSS�wesentlich�heterogener�ge-worden,�denn�Lichtverschmutzung�ist�nicht�nur�für�Astronomen�ein�Problem:�Die� künstlich� erhellten� Nächte� bringen� den� Schlaf-Wach-Rhythmus� von�Mensch�und�Tier�durcheinander;�Vögel�müssen�die�mächtigen�Lichtglocken�über�den�Städten�umfliegen�oder�bleiben�darin�gefangen;�Myriaden�von�Insek-ten�umflattern�die�Lichtquellen�bis�zur�Erschöpfung,�wenn�sie�nicht�vorher�daran�verbrennen.�Das�ungenutzt�abgestrahlte�Licht�bedeutet�ausserdem�ei-nen�enormen�Energieverschleiss.� Bei�DSS�engagieren�sich�heute�Naturwissenschaftler,�Lichtexperten�und�Architekten,�Juristen�und�Medienleute.�Sie�leisten�Aufklärungsarbeit,�bera-ten�Behörden�und�Unternehmen�bei�der�Planung�von�umweltverträglichen�Beleuchtungskonzepten�und�unterstützen�Privatpersonen�im�Kampf�gegen�die�Lichtverschmutzung.� Theo�Wirth� ist�überzeugt,�dass�die�Arbeit�sich�auszahlt.�Er�nennt�zwei�Beispiele:�Bei�der�Neugestaltung�der�Rheinfall-Beleuchtung�waren�Experten�von�DSS�als�Gutachter�eingebunden�und�konnten�Korrekturen�durchsetzen.�Und�die�Skybeamer,�die�noch�das�hinterletzte�Gartenfest�aufpeppten,�sind�praktisch�verschwunden.�«Dass�dafür�keine�Bewilligungen�mehr�erteilt�wer-den,�ist�nicht�zuletzt�der�Aufklärungsarbeit�von�Dark�Sky�Switzerland�zu�ver-danken»,�sagt�Theo�Wirth.� Schon�mit�einigen�wenigen�Massnahmen,�so�Wirth,�lässt�sich�die�Licht-verschmutzung�beträchtlich�reduzieren.�Das�Wichtigste:�Das�Licht�soll�nur�dorthin�strahlen,�wo�es�auch�benötigt�wird;�Aussenleuchten�müssen�vor�al-lem�nach�oben�gut�abgeschirmt�sein.�Und:�Warum�buhlen�Leuchtreklamen�auch�dann�noch�um�Kundschaft,�wenn�diese�längst�in�den�Federn�liegt?� text�Heinz�von�Niederhäusern� bild�darksky.ch

Eine kleine Nackt­geschichteSchreie�wecken�mich�mitten�in�der�Nacht.�Ich�beuge�mich�aus�dem�Fenster�und�entdecke�zwei�Prostituierte,�die�sich�lautstark�beschimp-fen.�Mit�einem�Seufzer�sinke�ich�zurück�ins�Bett.�Mein�Schlaf�ist�von�kurzer�Dauer.�Kurz�nach�fünf�Uhr�läutet�der�Wecker.�Ich�falle�vom�Bett�in�meine�Kleider�und�schwinge�mich�aufs�Rad.�Scherben�liegen�auf�der�Strasse,�Spuren�der�Nacht.�Gleich�um�die�Ecke�treffe��ich�auf�die�diensthabende�Sexworkerin.�Sie�trägt�ein�schwarzes�Kleid�mit�einem�grossen�Ausschnitt,�um�die�Schultern�eine�Stola.�Auf�mein�Grüssen�ernte�ich�ein�knappes�Nicken.�Ich�über-quere�die�Langstrasse,�ein�stockbesoffener�Mann�ru-dert�mit�seinen�Armen.�Bei-nahe�fällt�er�auf�mich.�Einige�Strassenzüge�weiter�erbli-cke�ich�einen�Freier,�der�auf�seinen�Zehenspitzen�steht.�Er�äugt�durch�ein�Fenster�in�eine�Parterrewohnung�hin-ein.�Zwei�Frauen�im�Bikini�sitzen�auf�Liegestühlen�vor�dem�Fenster�und�preisen��ihren�Körper�an.�Bevor�ich�den�Chreis�Cheib�verlasse,�beobachte�ich�eine�Prostitu-ierte,�die�vor�dem�Eingang�einer�geschlossenen�Kneipe�sitzt�und�ihre�Füsse�aus�en-gen�Lackstiefeln�mit�hohen�Absätzen�schält.�Ich�nähere�mich�dem�Löwenplatz,�aus�einem�Schaufenster�starrt�mich�eine�Puppe�in�einem�sexy�Dress�an.�Unversehrt�erreiche�ich�den�Bahnhof,�steige�in�den�Zug�und�ma-che�die�Augen�nochmals�zu.�� �text�Maria�Savoldelli

Die�Welt�bei�Nacht�bringt�es�an�den�Tag:�Wo�Geld�ist,�ist�Licht.

IV . NACHTGESCHICHTEN

Page 21: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

Wenn der Mond rund istJeden Monat erscheint er pünktlich in seiner vollen Pracht am Nachthimmel – der Vollmond. Niemand kann sich seiner Wirkung entziehen. Ein Plädoyer wider die Wissenschaft.

Der�Einfluss�des�Mondes�auf�die�Gezeiten�ist�erwiesen.�Kann�es�aber�sein,�dass�auch�wir�Menschen�von�der�Anziehungskraft�des�Mondes�beeinflusst�werden?�Fragt�man�die�Wissenschaftler,�so�lautet�die�Antwort:�Nein.�Sie�ge-hen�lediglich�davon�aus,�dass,�wenn�überhaupt,�das�Licht�des�Mondes�einen�Einfluss�auf�den�Menschen�haben�kann.�Schlafstörungen�und�«Mondsüchtig-keit»�hätten�damit�zu�tun,�dass�das�nächtliche�Licht�die�Ausschüttung�des�Schlafhormons�Melatonin�hemmen�kann.�Aber�sind�wir�heutzutage�nicht�so�vielen�künstlichen�Lichtquellen�ausgesetzt,�dass�dieses�Argument�an�Über-zeugungskraft�verliert?�� Halten�wir�uns�erst�an�die�Tatsachen.�In�exakt�27,321�Tagen�umkreist�der�Mond�unseren�Planeten.�Erde�und�Mond�drehen�sich�ständig�um�einen�ge-meinsamen�Schwerpunkt.�Dieser�liegt�knapp�zwei�Kilometer�unter�der�Erd-oberfläche,�4,7�Kilometer�vom�Erdmittelpunkt�entfernt.�Während�der�Mond�seinen�Kreis�um�diesen�Schwerpunkt�zieht,�bewegt�sich�der�Erdball�eiernd�um�diesen�Punkt�und�dreht�sich�zudem�täglich�um�seine�eigene�Achse.�So�entstehen�ungleichmässige�Anziehungskräfte,�es�entstehen�Ebbe�und�Flut.�� Ebbe�und�Flut�gibt�es�zweimal�täglich.�Der�Vollmond�leuchtet�allerdings�nur�einmal�im�Monat.�Da�Mond,�Erde�und�Sonne�bei�Vollmond�aber�auf�einer�Linie�stehen�(Sonne�und�Mond�in�Opposition�zueinander)�und�der�Mond�uns�dann�am�nächsten� ist,�kann�es�durchaus�sein,�dass�seine�Anziehungskraft�auch�auf�unsere�Körperflüssigkeiten�verstärkt�einwirkt.�Genau�so,�wie�nur�bei�Vollmond�Springfluten�entstehen.�Es�kann�doch�sein,�dass�wir�im�hellen�Schein�des�Vollmondes�in�Wallung�geraten,�schlecht�schlafen�oder�einfach�anders� sind,� weil� eine� Umstrukturierung� unserer� Körpersäfte� stattfindet.�Schon�Paracelsus�sprach�im�16.�Jahrhundert�von�Hirn-�und�Nervenströmen,�die�vom�Mond�angezogen�würden�wie�eine�Kompassnadel�vom�Nordpol.� Mag�die�Wissenschaft� in�vielem�recht�haben:�Trotzdem�beeinflusst�der�Mond�uns�Menschen.�Sei�es�auch�nur�durch�unsere�selektive�Wahrnehmung�–�frei�nach�Descartes:�«Ich�sehe,�also�bin�ich.»�Bekanntlich�versetzt�der�Glaube�Berge.�� text�Line�Numme� bild�Claudia�Huldi�/�pixelio.de

Das Besondere der Nacht«Das�Symbol�der�Aufklä-rung�ist�das�Licht�–�so�bleibt�es�die�Nacht,�welche�das�Unheimliche,�Unerklärliche,�die�Rätsel�und�Geheimnisse�hütet.�Schlafen�wir�nur�des-halb�nachts,�um�uns�all�dem�nicht�stellen�zu�müssen?»Mona�Vetsch,�Fernseh-�und��

Radiojournalistin

«Die�Dunkelheit�der�Nacht�entzieht�uns�die�vertrauten�Bilder,�zwingt�uns,�eigene,�besondere�Bilder�zu�kreie-ren.�Ist�dann�die�Nacht,��der�Traum�oder�der�Gedan-kenflug�lang�genug,�reihen�sich�diese�Bilder�zu�Ge-schichten�–�zu�viel�kühneren�als�alle�realen,�weil�wir��uns�im�Dunkeln�viel�mehr�trauen.»Urs�Augstburger,�Schriftsteller

«Die�Nacht�hüllt�uns�in�ihren�samtblauweichen�Mantel�ein,�und�erst�darin�können�Sterne,�Tanz�und�Diamanten�funkeln�und�glitzern.»Romea�Bausch-Spörri,�Tänzerin/

Tanzlehrerin�für�Orientalischen�Tanz

«Ich�liebe�die�Nächte,�weil�die�Nervensägen�meistens�für�einige�Stunden�ruhen.�Wahrscheinlich�habe�ich��die�meisten�meiner�Songs�zwischen�Mitternacht�und�Morgengrauen�geschrieben.�Ich�glaube,�man�hört�ihnen�das�irrlichternd�Schlaflose�auch�an.»Büne�Huber,�Patent�Ochsner

«Wenn�du�nach�5�bis�6�Tagen�Radeln,�fast�ohne�zu�schla-fen,�durch�die�Nacht�fährst,�sehnst�du�dich�vor�allem��auf�den�Morgen.�Nicht�den,�den�die�meisten�von�uns�normalerweise�erleben.�nein,�den�Morgen�davor.��Den�Morgen�vor�dem�Mor-gen�sozusagen.»�Andrea�Clavadetscher,��

Sieger�Race�Across�America�2001

nachgefragt�haben�

Doris�Büchel�und�Esther�Wintsch

Vollmond:�Schön�anzuschauen�und�Anlass�zum�Nachdenken.

NACHTGESCHICHTEN . V

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Arbeit�wird�nicht�nur�am�Tag�geleistet.�Häufig�auch�in�der� Nacht.� Nachtarbeit� ist� aber� nicht� unproblema-tisch;�die�negativen�Auswirkungen�auf�die�Gesund-heit� sind� bekannt.� Trotzdem� gibt� es� Menschen,� die�die� Nacht� freiwillig� zum� Tag� machen:� die� Bündner�Nachtschwester�Esther�Roman,�der�deutsche�Kellner�Bastian�Harmel�und�der�in�Persien�geborene�Ange-stellte�Nader�Bahrami�beispielsweise.�«Ich�geniesse�das�Arbeiten�in�der�Nacht,�die�Gespräche�und�die�Be-gegnungen,� die� für� mich� vor� allem� nachts� möglich�sind»,�sagt�Esther�Roman.�Sie�schlafe�seit�Jahrzehn-ten� schlecht� oder� wenig,� komme� mit� vier� bis� fünf�Stunden�Schlaf�aus�und�mutmasst,�dass�ihr�Körper�das�einfach�mitmache,�weil�sie�so�gerne�Nachtwache�halte.�Sie�ist�58�Jahre�alt�und�arbeitet�seit�30�Jahren�als�Nachtschwester�in�einem�Pensum�von�30�bis�50�Prozent.

Alles�andere�als�ruhig�geht�es�zu�später�Stunde�im�Restaurant�Odeon�in�Zürich�zu�und�her.�Bastian�Har-mel�trägt�einen�kecken�Kinnbart�und�ist�eine�sportli-che�Erscheinung.�Er�ist�24�Jahre�alt�und�arbeitet�im�Restaurant� Odeon� als� Kellner,� zweimal� die� Woche�bis�vier�Uhr�morgens.�«Die�Gäste�sind�lockerer�und�entspannter,� wenn� sie� nach� Feierabend� hierher-kommen.�Da�liegt�auch�mal�ein�Spass�mit�der�Kund-schaft�drin»,�sagt�er.�Seit�acht�Jahren�macht�auch�er�die�Nacht�zum�Tag�und�schläft�bis�weit�in�den�Tag�hi-nein.�Die�Nachtarbeit�sei�für�ihn�kein�Problem.�Er�sei�körperlich� fit,� treibe� sehr� viel� Sport� und� sei� selten�krank.� Unangenehme� Seiten� habe� sein� Beruf� aber�auch� ab� und� zu.� Dann� nämlich,� wenn� Betrunkene�morgens�um�vier�Uhr�das�Lokal�mit�einer�Notschlaf-stelle�verwechselten.

Nader�Bahrami�ist�46�Jahre�alt.�Seit�12�Jahren�arbeitet�er�als�Teamleiter�in�der�Produktion�bei�einem�grossen�Schweizer�Kabelhersteller.�Im�Vier-Schicht-Betrieb:�sechs�Tage�Frühschicht,� sieben�Tage�Nachtschicht,�

sieben�Tage�Spätschicht,�sieben�Tage�frei�–�eine�gros-se� Strapaze� für� seinen� Körper,� der� aussieht,� wie�wenn� er� die� Jugendlichkeit� konserviert� hätte.� Vor�zwei�Jahren�hatte�Bahrami�für�ein�Jahr�als�Intermez-zo�einen�geregelten�Tagesablauf.�Die�Lebensqualität�sei�für�ihn�damals�schon�besser�gewesen:�«Schicht-arbeit�kann�einen�Menschen�kaputt�machen»,�findet�er,� «ist� für� mich� aber� eine� Einstellungssache.� Ich�habe�mich�dafür�entschieden�und�richte�mein�Leben�nach�diesen�Arbeitszeiten.»�

Gemäss� Bundesamt� für� Statistik� leisteten� in� der�Schweiz�letztes�Jahr�über�500�000�Menschen�Schicht-arbeit.�Die�reine�Nachtarbeit�ist�in�dieser�Statistik�nicht�enthalten.�Es�gebe�Menschen,�die�jahrelang�und�bis�zur�Pensionierung�gut�Schichtarbeit�ausüben�können,�hält�Daniel�Hicklin�fest.�Er�ist�Leitender�Psychologe�und�Projektleiter�für�Schichtarbeit�an�der�Klinik�für�Schlafmedizin�in�Bad�Zurzach.�Es�sei�aber�bekannt,�dass�die�Probleme�bei�der�Schichtarbeit�mit�zuneh-mendem� Alter� häufiger� werden,� vor� allem� die� Ver-schiebungen� des� Schlaf-Wach-Rhythmus� und� die�Rückumstellung� bereiteten� im� Alter� vermehrt� Pro-bleme.� «Verschiedene� Studien� haben� gezeigt,� dass�Magen-Darm-� und� Herz-Kreislauf-Störungen� bei�Schichtarbeitern� häufiger� sind.� Und� die� meistver-breiteten�Probleme�sind�ganz�klar�Schlafstörungen.»�Dies�bestätigt�auch�Till�Roenneberg,�Chronobiologe�an�der�Ludwig-Maximilians-Universität�in�München:�«Zu�wenig�Schlaf�über�eine�lange�Zeit�stresst�unser�Immunsystem�und�kann�zu�Fettleibigkeit,�Diabetes,�Persönlichkeitsveränderungen� und� Depressionen�führen»,�sagt�er.�Und�er�weiss,�wie�wir� ticken:�Seit�mehreren� Jahrzehnten� erforscht� er� die� innere� Uhr�von�Menschen,�Tieren,�Pflanzen�und�Zellen.�Chrono-biologie� heisst� diese� noch� junge� Wissenschaft.� Die�innere� Uhr� unterscheidet� zwischen� verschiedenen�Zeittypen,� denen� die� Wissenschaftler� Chronotypen�sagen.�Da�sind�einerseits�die�Frühtypen,�die�früh�am�

Von lerchen, Eulen und der inneren UhrEine Nachtschwester, ein Kellner und ein Teamleiter haben etwas gemeinsam: sie arbeiten gerne in der Nacht. obwohl chronobiologen sagen, Nachtarbeit sei ungesund.

VI . NACHTGESCHICHTEN

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Morgen� erwachen� und� sofort� munter� sind.� Man�nennt�sie�Lerchen.�Und�andererseits�die�Spättypen,�die� abends� lange� leistungsfähig� sind� und� erst� spät�müde� werden� –� die� Eulen.� Zwischen� den� extremen�Lerchen�und�Eulen�gibt�es�viele�Mischtypen.�Unser�Chronotyp� ist�zu�einem�grossen�Teil�genetisch�pro-grammiert,�wir�können�ihn�nicht�mit�unserem�Willen�verändern:� «Lehrer� sind� beispielsweise� meistens�Lerchen»,�sagt�Roenneberg.�«Als�Eulen�könnten�sie�nämlich�mit�einer�Horde�von�dreissig�Jugendlichen�gar�nicht�umgehen�um�acht�Uhr�morgens.»�

Was�rät�der�Experte� für�die� innere�Uhr�den�Schicht-arbeitern?�«Frühtypen�sollten�in�den�Frühschichten�und�Spättypen�in�den�Spätschichten�arbeiten»,�emp-fiehlt�Roenneberg.�Die�Schichtarbeitsforschung�habe�diesen� Innenaspekt� jahrelang� vernachlässigt.� Um�die�Arbeit�rund�um�die�Uhr�gut�abdecken�zu�können,�müsse� man� individuelle� Lösungen� suchen.� Sein�Traum� wäre� es,� dass� die� Arbeitnehmer� sich� in� Zu-kunft�chronotypisieren�liessen.�Das�heisst,�sie�würden�eine�Empfehlung�bekommen,� in�welchen�Schichten�sie�am�besten�arbeiten�könnten.�«Wenn�sie�das�nicht�tun,� dann� tragen� sie� selbst� die� Schuld.� Man� muss�aber�die�gesamte�Industrie�darauf�aufmerksam�ma-chen,� dass� sie� mit� einer� Einteilung� wie� bisher� die�Leute� krank� macht� und� dafür� auch� verantwortlich�ist»,�sagt�er.�Dazu�müsste�seiner�Meinung�nach�erst�mal�eine�politische�Entscheidung�getroffen�werden:�Es� sollten� keine� Extrazulagen� auf� Nachtschichtar-beit�mehr�ausbezahlt�werden,�da�durch�sie�der�An-reiz,�gegen�die�innere�Uhr�zu�arbeiten,�zu�gross�sei.�Die�Einführung�der�Sommerzeit�findet�er�auch�«ei-nen�Unsinn».�Der�Mensch�könne�sich�gar�nicht�rich-tig�daran�anpassen,�und�sie�erhöhe�den�sozialen�Jet-lag� um� eine� Stunde.� Von� sozialem� Jetleg� spricht�man,� wenn� die� gesellschaftlichen� Zeitpläne� in� Dis-harmonie�mit�unserer�inneren�Uhr�sind.�

Nader� Bahrami� weiss� um� die� Problematik� der�Schichtarbeit,�er�sieht�für�sich�aber�vor�allem�die�po-sitiven�Seiten:�Die�freien�Zeitfenster,�die�sich�für�ihn�ergeben.�Freizeit�untertags,� in�welcher�er�dies�und�das�erledigen�kann,�wenn�die�meisten� ihrem�Tage-werk� nachgehen.� Das� Arbeitsklima� unterscheide�sich�für�ihn�am�Tag�nicht�sonderlich�von�dem�in�der�Nacht.� Wenn� seine� Arbeit� und� sein� Arbeitgeber� es�zulassen�würden,�würde�er�jedoch�gerne�wieder�am�Tag�arbeiten.�Esther�Roman�hingegen�kann�sich�nicht�vorstellen,�tagsüber�zu�arbeiten.�Sie�hat�es�wieder-holt� versucht� und� immer� wieder� verworfen.� Oft�nimmt�sie�sich�Zeit,�am�Bett�der�Patienten�zu�sitzen,�ihnen� zuzuhören� und� ihre� Hände� zu� halten.� Das�Menschliche�stehe�für�sie�in�ihrem�Beruf�im�Vorder-grund.�Viele�Patienten�hat�sie�in�ihrem�Sterbeprozess�begleitet.� Den� Angehörigen� spendet� sie� Trost� und�weint�mit� ihnen.�Neulich�sei�ein� junger�Mann�in� ih-rem� Beisein� gestorben.� Dieser� Todesfall� habe� sie�sehr� beschäftigt.� Am� Tag� des� Abschiedsrituals� für�das�Personal�im�Spital�war�sie�in�einem�Rosengarten�in�Bischofszell.�Gleichzeitig�wie�das�Abschiedsritual�im�Spital�fand�im�Rosengarten�eine�Meditation�statt:�«21�Minuten�für�Dich».�Spontan�nahm�sie�daran�teil.�«Dieses�Erlebnis�hat�mich�tief�bewegt»,�sagt�sie�mit�ihrer� ruhigen� Stimme,� die� so� gar� nicht� zur� grellen�Hektik�des�Tages�passen�will.� text�Esther�Wintsch� illustration�Mattiello

< �Buchtipp:� Till�Roenneberg:�«Wie�wir�ticken;�Die�Bedeu-

tung�der�Chronobiologie�für�unser�Leben».� DuMont�Buchverlag,�Köln,�2010.�320�Seiten,��

Fr.�30.50.

< �Den�eigenen�Chronotyp�bestimmen:� www.thewep.org

NACHTGESCHICHTEN . VII

Page 24: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2010

Nie mehr arbeiten?casinos haben etwas von einer unbezwingbaren Festung. Die Bank gewinnt immer. Eines Nachts wollte ich das casino bezwingen. Das war mein Plan.

Gleich�vornweg:�Ich�habe�beim�Selbstversuch�gewonnen.�Neben�einem�lusti-gen�Abend�auch�Geld.�Zu�Hause�zog�ich�einen�schwarzen�Sakko,�dunkelblaue�Jeans�und�meine�italienischen�Lederschuhe�an.�Ich�steckte�fünfzig�Franken�ein.�Fünfzig�Franken�verlieren,�sei’s�drum�–�dachte�ich�–�die�habe�ich�schon�dümmer�ausgegeben.�Vor�dem�Spiegel�überprüfte�ich�nochmals�meine�Klei-dung:�Wenn�ich�untergehe,�dann�mit�Stil.�So�würde�ich�ohne�Problem�ins�Ca-sino�kommen.�Später�merkte�ich:�Reinkommen�ist�gar�nicht�das�Problem.�� Im�Casino�wirkte�alles�sehr�glamourös:�Roter�Teppichboden,�Kronleuchter,�ganz�klar,�hier�roch�es�nach�Geld.�Einziger�Kontrapunkt�waren�zwei�herun-tergewirtschaftete�Gestalten,�die�gebeugt�über�den�Tischen�hingen.�Bei�mir�musste�das�anders�sein.�Schliesslich�hatte�ich�mir�eine�Strategie�zurechtge-legt.�Die�versuchte� ich�gleich�mal�beim�Roulette.�Ein�5-Franken-Jeton�auf�Schwarz.�Die�Kugel�fällt.�«19,�Rot»,�sagt�die�blonde�Frau�mit�den�streng�nach�hinten� gebunden� Haaren.� Ich� will� sie� kontern� und� lege� zwei� Jetons� auf�Schwarz.�«7,�Rot»,�die�Stimme�der�Frau�zeigt�keine�Emotion.�� Roulette�ist�ein�doofes�Spiel,�dachte�ich�mir�und�wechselte�zum�Black-jack-Tisch.�Dort�sass�ein�freundlicher�älterer�Herr�namens�Willi.�Als�ich�nach�dem�Einsatz�fragte,�sagte�er:�«20�Franken�Minimum.»�Ich�schaute�auf�mein�Budget� –� 40� Franken� waren� noch� da� –� und� legte� das� Plastikgeld� auf� den�Tisch.�Das�Spiel�ging�schnell,�sehr�schnell.�Eine�Minute�entschied�über�Sieg�oder�Niederlage.�Zehn�Minuten�waren�vergangen,�und�ich�hatte�80�Franken�ge-wonnen.�Jetzt�noch�auf�Hundert�und�ich�höre�auf,�sagte�ich�mir.� Irgendwie�verlor�ich�das�Zeitgefühl.�Auch�den�Bezug�zum�Geld.�Es�waren�ja�nur�Plastik-jetons.�Dasselbe�dachte�sich�wahrscheinlich�der�korpulente�Mann�neben�mir�und�wechselte�zum�dritten�Mal�eine�200-Franken-Note�in�Jetons�um.�Seine�Frau�neben�ihn�schien�das�nicht�zu�kümmern.�Er�lächelte�sie�an,�als�wollte�er�zu�ihr�sagen:�«Diesmal�schaffe�ich�es.»�Ich�meinerseits�hatte�meine�Hunder-ter-Limite�erreicht�und�ging�–�ohne�das�Casino�geknackt�zu�haben�–�nach�Hause.� text�Sandro�Portmann� bild�Conor�Ogle�/�flickr.com

Roulette�ist�ein�doofes�Spiel,�dachte�ich�mir�...

Das kleine schwarzeMitte�der�20er-Jahre�brach-te�Coco�Chanel�ein�überaus�schlichtes�und�komplett�schwarzes�Kleid�auf�den�Markt.�Eine�Farbe,�die�bis�anhin�nur�verheirateten�Frauen�und�Witwen�vorbe-halten�war.�Und�es�endete�kurz�über�dem�Knie�–�ein�Skandal!�1926�veröffentlichte�die�«Vogue»�einen�gezeich-neten�Entwurf�des�Kleides�mit�dem�treffenden�Kom-mentar:�«Dieses�schlichte�Kleid�wird�eine�Art�Uniform�für�alle�Frauen�mit�Ge-schmack�werden.»�Das�klei-ne�Schwarze�war�geboren.�

Obwohl�zu�kurz,�zu�gewagt,�zu�schlicht,�avancierte�das�kleine�Schwarze�zum�Klassi-ker�und�machte�Coco�Chanel�unsterblich.�Kult-Status�er-langte�das�Kleid�mit�Audrey�Hepburn�im�Film�«Frühstück�bei�Tiffany».�Das�speziell�für�diesen�Film�von�Givenchy�entworfene�kleine�Schwarze�brachte�übrigens�bei�einer�Versteigerung�bei�Christie’s�im�Jahr�2006�rund�600�000�Euro�ein.�Der�höchste�Preis,�der�je�für�ein�Kleid�aus�einem�Film�bezahlt�wurde.

Längst�hängt�das�kleine�Schwarze�–�in�mindestens�einer�Ausführung�–�in�jedem�weiblichen�Kleiderschrank.�Frau�kombiniert�auf�ihre��eigene,�originelle�Weise.�Von�Ballerinas�bis�High�Heels,�alles�ist�erlaubt.�Seinen��Höhepunkt�erreicht�das�Kleid�nachts.�Im�kleinen�Schwarzen�wird�jede�Frau�zum�Vamp.

Das�Aussehen�des�kleinen�Schwarzen�hat�sich�im�Laufe�der�Jahre�verändert.�Der�Zauber,�den�es�auf�Designer,�Frauen�und�Männer�ausübt,�nicht.� text�Doris�Büchel

VIII . NACHTGESCHICHTEN

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Partyhopping mal dreiDonnerstagabend: Zürich bereitet sich auf das Wochen­ende vor. Die limmatstadt hat einiges an Vergnügungen zu bieten. Ein trendiger, ein verruchter und ein gewöhn­licher Partyort im selbsttest.

21.00�Uhr,�erster�Halt:�Rimini�Bar,�tagsüber�Männerbadi�am�Schanzengraben�und�ab�7�Uhr�abends�trendy�Freiluftbar�für�jedermann.�Hier�treffen�Szenis�auf�Normalos,� gestärkte� Hemden� auf� ausgeleierte� T-Shirts.� Die� buschigen�Sträucher� und� Palmen� lassen� schnell� Ferienfeeling� aufkommen.� Dahinter�tritt�hie�und�da�die�graue�Felswand�hervor,�da�die�Bar�in�einem�Graben�liegt.�Von� irgendwoher�ertönt�rockige�Musik,�die�geht� jedoch� im�Stimmengewirr�rasch�unter.�Man�sitzt�am�Boden�auf�verstaubten�Teppichen,�mampft�Pizza�und�Kartoffelsalat�und� trinkt�dazu�kühles�Bier.�Fazit:�Wer’s�gerne�einfach,�aber�stylish�mag,�ist�in�der�Rimini�Bar�genau�richtig.�Manchmal�etwas�über-füllt,�was�die�vielen�schönen�Menschen�wieder�wettmachen.� Szenenwechsel.� Sie� ist� Zürichs� Hure� schlechthin,� Fressmeile,� Vergnü-gungsviertel�und�Rotlichtmilieu�zugleich:�die�Langstrasse�im�Kreis�4�mit�ih-rem�Dauerbetrieb�in�den�hippen�Bars,�den�Striplokalen�und�den�modernen�Restaurants.�Wohin�das�Auge�reicht,�verruchtes�Jung�und�Alt�mit�Drinks�in�der�Hand�und�Zigaretten� im�Mund.�Man�unterhält�sich�erregt�oder�streitet�lauthals� –� manchmal� auch� mit� Gewalt.� Hier� darf� man� das� eben,� denn� die�Langstrasse�ist�frei�von�jeglichen�Konventionen�und�deshalb�nahe�am�Puls�des�Lebens.�23.00�Uhr,�johlende�und�pöbelnde�Agglo-Kids�zwischen�Dirnen�und�Drogenabhängigen,�der�Alkoholpegel�ist�hoch�und�die�Stimmung�beina-he�auf�dem�Höhepunkt.�Fazit:�Für�Partygänger,�die�Lust�auf�das�volle�Leben�haben:�Sex,�Drugs�and�Action.�Oder�zu�später�Stunde�noch�einen�Happen�es-sen�gehen�wollen.� Einige�Stationen�im�4er-Tram�weiter�in�Richtung�Seefeld,�weg�von�trendy�Insider-Plätzen�und�verruchten�Vierteln,�hat�das�«Mascotte»�seine�Bässe�voll�aufgedreht.�Der�Club�am�Bellevue�ist�stets�gut�besucht.�Heute�haben�Ladys�bis�23.00�Uhr�kostenlosen�Eintritt,�ein�Cüpli�gibt’s�gratis�dazu�–�was�die�Warte-schlange�vor�dem�Eingang�erklärt.�Drinnen�tanzen�betrunkene�Gäste,�und�eine�Gruppe�von�Frauen�hat�fast�die�gesamte�Tanzfläche�in�Beschlag�genommen.�Sie�liegen�sich�in�den�Armen�und�hüpfen�lallend�zu�Hip-Hop-Beats�umher.�Fazit:�Urbane�Gäste,�nicht�unbedingt�trendig�und�für�Clubbesuche�der�durch-schnittlichen�Sorte.�Dafür�ist�das�Mascotte�aber�schnell�und�einfach�erreichbar.� text�und�bild�Adriana�Zilic

Ausschwärmen:�Partygänger�ergiessen�sich�jeden�Abend�auf�der�Vergnügungsmeile.

stern 162Wer den code nicht aus­wendig kennt, sollte nicht in letzter Minute an der Haltestelle aufkreuzen.Eine anleitung für Zürcher Nachtbusse.

Der�Nachtzuschlag�versteckt�sich�gut�in�der�unübersicht-lichen�Code-Liste�auf�dem�Ticketautomaten.�Ein�Fünf-liber�in�der�Tasche�be-schleunigt�den�Ticketkauf,�besonders�wenn�man�ange-trunken�ist.�

Wer�sich�noch�fit�fühlt�und�von�der�Nacht�noch�nicht�genug�hat,�setze�sich�in�die�vordere�Bushälfte.�Da�lässt�es�sich�besser�beobachten:�die�aufgedrehten�Teeniegirls�in�ihren�High�Heels,�der�Typ,�der�barfuss�und�in�Shorts�durch�die�mittlere�Tür�ein-steigen�will,�und�die�Fahre-rin,�die�schreit:�«Vorne��einsteigen!»�Man�lasse�sich�von�der�Masse�schöner�Menschen�am�Limmatplatz�verführen�und�überlege�sich,�ob�man�sich�nicht�doch�noch�auf�ein�letztes�Aben-teuer�in�die�Menge�stürzen�will.�Das�Ticket�gilt�die�gan-ze�Nacht,�und�die�ist�noch�jung.�Oder�man�schätze�das�Durchschnittsalter�der�Pas-sagiere�und�komme�zum�Schluss,�der�älteste�zu�sein.�Man�torkle�dann�in�den�hin-teren�Teil�des�Busses,�dahin,�wo�es�so�schön�schaukelt,�und�zeichne�mit�halb�zuge-kniffenen�Augen�aus�den�Rücklichtern�der�Autos�lan-ge�rote�Streifen�in�die�Nacht.�

Nach�40�Minuten�wird�man�auf�ein�Trottoir�10�Fuss-minuten�von�der�Haustür�ausgespuckt.�Zeit�genug,�noch�etwas�laue�Nachtluft�zu�schnuppern,�seine��alkoholisierten�Gedanken�durchzulüften�und�sich�auf�sein�Bett�zu�freuen.��� text�Daniel�Roth

NACHTGESCHICHTEN . IX

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Engel in orangeTäglich durchqueren unzählige Züge die schweiz. Was die Fahrgäste meist ausser acht lassen: Die gleise müssen gewartet werden. Ein nächtlicher Besuch bei gleisbauern.

An�der�nahen�Hohlstrasse�in�Zürich�Altstetten�lehnen�sich�junge�Männer�an�ihre�teuren�Sportwagen,�machen�lässige�Sprüche�und�lassen�die�Motoren�ih-rer�Lieblinge�aufheulen.�Nur�wenige�Meter�davon�entfernt�treffen�sich�richtige�Männer�im�Werksgebäude�der�Gleisbauer�zur�Arbeit.�Es�ist�kurz�nach�zehn�Uhr�nachts.�Sie�ziehen� ihre�orangefarbenen�Berufskleider�an,�hören�ruhig�und�gespannt�den�Anweisungen�von�Vorarbeiter�Ronald�Cyriaci�zu.�Schon�vor�dem�Eintreffen�der�ersten�Kollegen�sass�Cyriaci�über�seinen�Schreibtisch�ge-beugt.�Über�ihm�wachen�auf�einem�Poster�zwei�Engel�und�verleihen�dem�an-sonsten�schmucklosen�Büro�etwas�Sakrales.�� Dann� geht� es� an� die� Arbeit.� Zwölf� Männer� verteilen� Material� auf� zwei�Kleinbusse� und� einen� Güterwagen.� Der� Führer� zieht� mit� seiner� Lok� zwei�Wag�ons�mit�ingesamt�40�Tonnen�Schotter�heran.�Um�halb�zwölf�Uhr�fahren�die�Männer�Richtung�Urdorf.�Dort�muss�ein�24�Meter�langes�Schienenstück,�Joch�genannt,�ersetzt�werden.�Vor�Ort�entladen�die�Gleisbauer�die�Fahrzeuge,�stellen�Lampen�auf,�werfen�den�Generator�an�–�die�Nacht�wird�zum�Tag.�� 300�Meter�von�einer�Signalanlage�entfernt�steht�Sicherheitswärter�Jens�Eckhart,�bläst�in�sein�Horn�und�warnt�damit�die�Kollegen�vor�dem�heranna-henden�Zug.�Die�ganze�Nacht� ist�das�seine�Hauptaufgabe.�«Besonders� im�Winter�kann�ich�manchmal�vor�lauter�Klammheit�meine�Glieder�kaum�mehr�bewegen»,�sagt�Eckhart.�Die�Nachtarbeit�bringe� insbesondere� in�der�war-men�Jahreszeit�auch�Vorteile.�Die�Sonne�brenne�einem�trotz�Schutzhelmen�nicht�dauernd�auf�den�Schädel.�Etwas�anderes�macht�den�Gleisbauern�mehr�zu�schaffen:�der�Wechsel�von�Tag-�auf�Nachtarbeit.�«Da�kommen�Körper�und�Kopf�schon�durcheinander»,�sagt�Eckhart.�� Zwischen�ein�und�vier�Uhr�ist�die�Bahnstrecke�vollständig�gesperrt.�Die�Vorbereitungsarbeiten� für� das� Ersetzen� des� Jochs� in� einer� der� folgenden�Nächte�können�beginnen.�Schotter�wird�entladen,�Gleise�werden�durchfräst,�provisorisch�wieder�miteinander�verbunden,�Signallampen�aufgestellt.�� Die� Arbeiten� an� den� Gleisen� sind� für� diese� Nacht� beendet.� Wieder� im�Werksgebäude,�säubern�die�Gleisbauer�das�Material,�verräumen�dieses�und�essen�etwas�Kleines.�Vorarbeiter�Cyriaci�schreibt�unter�den�Augen�der�beiden�Engel�das�Arbeitsprotokoll.�� Die� Gleisbauer� in� Orange� bescheren� mit� ihrer� Arbeit� Tausenden� von�Fahrgästen�eine�sichere�Fahrt�–�eine�starke�Leistung.� text�und�bild�Hansjürg�Reber

Sicherheitswärter�Eckhart�überwacht�das�Entladen�von�40�Tonnen�Schotter.�

Markt für Freunde der Nacht«Wir�wollten�einen�Floh-markt�veranstalten�für�alle,�denen�der�Morgen�zu�früh�ist»,�sagt�Daniela�Jeck.�Zu-sammen�mit�zwei�Freunden�hatte�sie�vor�acht�Jahren��die�Idee,�eine�Plattform�für�nachtschwärmerische��Secondhand-Begeisterte�und�Kleinstgewerbler�ins�Leben�zu�rufen.�Die�Organi-sation�ist�einfach.�Für�einen�Standplatz�schreibt�man�sich�vorgängig�in�der�Bar�«Daniel�H.»�im�Kreis�4�per-sönlich�ein.�So�fällt�nebst�dem�frühen�Aufstehen�auch�der�Stressfaktor�«Platz�er-gattern»�weg.

Mittlerweile�ist�der�Nacht-markt�eine�feste�Grösse�im�Zürcher�Nachtleben.�Alle�zwei�bis�drei�Monate�findet�er�an�einschlägigen�Orten�statt.�Teils�unter�freiem�Himmel,�wie�zum�Beispiel�im�Park�des�Landesmuse-ums,�ein�anderes�Mal�unter�Dach�in�der�Alten�Börse.��Jeweils�um�19�Uhr�geht’s�los,�in�der�Regel�mit�Open�End.

Der�Nachtmarkt�ist�längst�kein�reiner�Flohmarkt�mehr,�tummeln�sich�doch�unter�den�Ständen�auch�kleine,�feine�Designermarken.�So�findet�man�eine�Retro-Tisch-leuchte�oder�kunstvollen�Schmuck�neben�neuen��Pantoffeln�für�die�Kleinsten.��Das�Publikum�ist�entspre-chend�vielfältig.�Am�frühen�Abend�kommen�viele�Fami-lien�mit�ihren�Kindern.�Später�kommen�dann�die�wahren�Freunde�der�Nacht,�die�sich�zu�dieser�Zeit�eindeutig�wohler�fühlen�als�am�frühen�Morgen.� text�Line�Numme

< �www.nachtmarkt.ch

X . NACHTGESCHICHTEN

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alpauffahrt bei NachtFamilie Meile aus dem Thurgau fährt jeden sommer auf die alp. Die Vorbereitungen dafür kommen einer logistischen Meisterleistung gleich.

Auf�der�Alp�Geitenberg�im�Bisisthal,�1743�m�ü.�M.,�sitzt�Kari�Meile�vor�der�Alp-hütte�und�raucht�eine�Krumme.�Seit�fast�drei�Monaten�ist�er�mit�seinen�Kühen,�Rindern�und�Kälbern�auf�der�Alp.�Seine�Gedanken�schweifen�zurück�zu�je-nem�Freitagabend�Mitte�Juni,�als�zwei�grosse�Lastwagen�mit�49�Kühen�und�Rindern�Richtung�Bisisthal�abfahren.�Kari�und�sein�Sohn�Sämi�folgen�mit�15�Kälbern�in�ihren�Anhängern.�Die�Kälber�schaffen�den�Aufstieg�nicht,�sie�wer-den�in�der�Nacht�mit�einer�Seilbahn�auf�die�Alp�transportiert.� Im�Bisisthal�angekommen,� lassen�sich�Kari�und�seine�Tochter�Sandra�zuerst�verladen,�die�Nacht�ist�sternenklar�und�bitterkalt.�Nach�17�Minuten�ist�die�Kälberkiste�wieder�unten,�so�lange�dauert�die�Fahrt�zwischen�Seilbahn-station�und�Alp.�Zwei�Kälber�werden�mit�vereinten�Kräften� in�die�hölzerne�Kiste�gehievt.�Sämi�zieht�die�Seile�an�und�deckt�den�Kasten�mit�einem�Plas-tik�zu,�so�bleiben�die�Kälber�schön�trocken.� Die� Seilbahn� fährt� an,� steil� geht� es� hinauf.� Hoch� oben� in� einer� Wald-schneise�steht�der�erste�Mast,�den�es�zu�überwinden�gilt.�Plötzlich�fährt�die�Seilbahn� rückwärts:� Die� beiden� Kälber� sind� zu� schwer;� die� Seile� sind� voll�Wasser,�laufen�noch�nicht�wie�geschmiert.�Vier�Anläufe�braucht�es,�bis�die�Seilbahn�genug�Schwung�hat,�um�die�schwere�Kiste�über�den�ersten�Mast�zu�ziehen.� Dann� geht� es� reibungslos� weiter.� Sämi� und� Theres� kennen� jeden�Handgriff,�wissen�genau,�wie�sie�die�Kälber�am�besten�in�die�Kisten�kriegen.�� Die�Nacht�wird�kälter,�kurz�vor�Mitternacht�kommt�heisser�Kaffee�von�der�Alp�herunter.�Der�ist�hochwillkommen,�mit�neuem�Elan�werden�die�Käl-ber�in�die�Kisten�gehievt.�Die�Zeit�zwischen�dem�Verladen�wird�trotz�Kaffee�lang�und�länger,�Theres�und�Sämi�kämpfen�gegen�den�Schlaf,�fühlen,�wie�die�Kälte�in�ihre�Kleider�kriecht.�Jedes�Kalb�scheint�schwerer.�Sie�wickeln�sich�in�Wolldecken�ein,�wärmen�sich�gegenseitig.�Um�halb�fünf�ist�das�letzte�Kalb�si-cher�in�der�Kiste.�Eine�Stunde�später�kommen�Kari�und�Sandra�mit�der�Seil-bahn�herunter:�Die�Alpauffahrt�mit�den�Kühen�und�Rindern�beginnt.�� Karis�Krumme�ist�ausgegangen,�es�ist�spät�in�der�Nacht.�Von�weitem�hört�er�die�Glocken�seiner�Kühe.�Bald�steht�die�Alpabfahrt�vor�der�Tür;�er�hofft,�dass�alle�seine�Tiere�gesund�auf�seinen�Hof�zurückkehren�werden.� text�und�bild�Vera�Honegger

Sämi�und�seine�Helfer�hieven�gleich�zwei�Kälber�in�die�Transportkiste�der�Seilbahn.

«nachtwach»Montag,�Mitternacht:�Mode-ratorin�Barbara�Bürer�sitzt�im�Schweizer�Fernsehen�vor�dem�Bildschirm.�Sie�ani-miert�die�Wachgebliebenen,�im�Studio�anzurufen�und�ihre�Geschichten�zu�erzäh-len.�Das�Thema�heute:�«Blind�vor�Wut».�

Die�Studiodekoration�simu-liert�die�Intimität�eines�Wohnzimmers.�Barbara��Bürer�hört�zu,�fragt�nach,�lässt�erzählen.�Charlotte�be-richtet�von�der�Ungerechtig-keit�im�Zusammenhang�mit�ihrer�Scheidung.�Diese�gros-se�Wut�machte�sie�krank:�Sie�war�gelähmt�und�sprach-los�im�wörtlichen�Sinn.�–�Marlene�schreibt�im�Mail,�ihr�Mann�habe�gestanden,�dass�er�eine�Liebhaberin�hatte.�Da�wurde�sie�rasend�vor�Wut�und�konnte�nur�noch�auf�ihn�einschlagen.

Was�bringt�Menschen�dazu,�ihre�ganz�persönliche�Ge-schichte�zu�erzählen?�Dinge,�über�die�man�in�einem�anony-men�Chat�schreibt�oder�die�man�sonst�bestenfalls�einem�guten�Freund�anvertraut?�«Es�ist�der�Schutz�der�Nacht»,�sagt�die�Psychologin�Angelika�Thoma.�Sie�beglei-tet�die�Sendung�im�Hinter-grund.�Menschen�aus�allen�Schichten�und�Berufen�mel-den�sich.�Sie�vermutet,�dass�es�oft�Menschen�sind,�die�sonst�niemanden�zum�Reden�haben.�Obwohl�«nachtwach»�keine�Ratgebersendung�ist,�werden�Menschen�mit�ganz�krassen�Geschichten�nicht�alleingelassen.�Ihnen�wird�ein�Gespräch�mit�der�Psy-chologin�angeboten.�

Dienstag,�eine�Stunde�nach�Mitternacht:�Barbara�Bürer�verabschiedet�sich,�bis�zum�nächsten�Montag.�� text�Monika�Z’Rotz-Schärer

< �«nachtwach»:�Montag�von�Mitternacht�bis�ein�Uhr�auf�SF�1�und�DRS�3

NACHTGESCHICHTEN . XI

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Herr Walcher, es ist September, und die langen, dunklen Winternächte stehen bevor. Wie gehen Sie mit der Dunkelheit um?Werner�Walcher:�Es�ist�gar�nicht�so�dunkel,�wie�alle�immer�meinen.�Da�bei�uns�keinerlei�Lichtverschmut-zung�herrscht,�strahlen�die�Sterne�unglaublich�hell.�Zudem� reflektiert� der� Schnee.� Das� heisst,� es� wird�trotz� Nacht� nie� ganz� dunkel.� Und� wenn� der� Mond�scheint,�dann�verwandelt�sich�die�ganze�schneebe-deckte�Landschaft�in�eine�einzige�Märchenwelt.

Meinen Sie mit der Märchenwelt auch die farbigen Nordlichter?Das�ist�natürlich�fantastisch.�Die�sogenannten�«Nor-thern� Lights»� tanzen� richtiggehend� am� Himmel.�Meistens� in� den� Farben� Grün� und� Violett.� Doch� ei-gentlich� haben� sie� nichts� mit� dem� Winter� zu� tun,�sondern�mit�der�Sonnenaktivität.�Sie�sind�also�auch�im�Sommer�zu�sehen,�dann�einfach�weniger�klar.

Haben Sie die nordischen Nächte erlebt, bevor Sie in den Yukon gezogen sind?Ja,�das�habe�ich,�und�das�war�für�mich�einer�der�ma-gischen� Momente.� Wir� sind� mit� Schlittenhunden�durch� die� verschneite,� endlos� wirkende� Landschaft�gefahren,� der� Trail� beleuchtet� vom� Mondlicht.� Da�dachte�ich:�Schöner�kann�das�Leben�nicht�sein.

Die Temperaturen können doch bis auf minus 40 Grad fallen, wie gehen Sie denn mit dieser eisigen Kälte um?Da� muss� man� sich� einfach� anpassen.� Sich� Kleider�und�Schuhe�kaufen,�die�auch�bei�diesen�Temperatu-ren�noch�genügend�warm�halten.�Überhaupt�heisst�es�da�vorsorgen.�Genügend�Vorräte�zu�Hause�haben,�damit�man�für�ein�paar�Tage�nicht�in�die�Stadt�muss.�Denn�man�will�ja�nicht�riskieren,�durch�diese�Minus-

grade� das� Auto� zu� beschädigen.� Und� wenn� es� so�richtig�schneit,�ist�man�sowieso�mit�nichts�anderem�als�mit�Schneeschaufeln�beschäftigt.�Denn�ohne�das�kommt� man� erst� recht� nicht� mehr� weg� vom� Haus.�Doch�es�ist�eine�trockene�Kälte,�anders�als�in�Europa.

Das heisst, Sie gehen auch bei minus 40 Grad noch raus auf einen nächtlichen Spaziergang? Ja�natürlich,�dann�erst�recht!�Die�Luft�scheint�zu�ge-frieren,�die�Welt�stillzustehen.�Sie�bewegen�den�Kopf�und�hören�die�Geräusche�in�Ihrem�Körper.�Das�Ver-schieben� der� Gelenke,� das� Rauschen� des� Blutes.�Eine�Ruhe�–�unvorstellbar�–�wenn�man�sie�nicht�selbst�erlebt�hat.

Das tönt alles sehr romantisch. Doch letztlich muss der Mensch bei solchen Extremen doch sehr sorgsam mit sich umgehen, um zu überleben.Das�ist�so,�und�da�kommt�mir�ein�Beispiel�in�den�Sinn.�Ein� Spanier� kam� im� Winter� hierher,� um� das� Yukon�Arctic�Ultra�Race�auf�dem�Husky-Trail�von�500�Kilo-metern� zu� Fuss� zu� laufen.� Er� hatte� schon� etliche��Sahara-Tracks� und� andere� Verrücktheiten� hinter�sich.�Bei�minus�35�Grad�Celsius�auf�dem�Trail�hat�er�die� Orientierung� verloren,� bekam� Todesangst� und�hat�sich�komplett�verausgabt.�Daraufhin�hat�er�sein�Vorhaben�abgebrochen.�Er�meinte,�wenn�er�sich� in�der�Sahara�verlaufe,�dann�lege�er�sich�hin�und�erhole�sich.�Und�es�wurde�ihm�bewusst,�dass�wenn�er�sich�bei�der�Kälte�hier�in�den�Schnee�legen�würde,�er�nie�mehr�aufwachen�würde.�

Leiden Sie nicht unter Lichtmangel während des Winters?Lichtmangel�ist�tatsächlich�ein�Problem,�er�kann�zu�Depressionen�führen.�Viele�machen�eine�Lichtthera-pie� und� nehmen� zusätzlich� Vitamine� ein.� Früher�

im sommer Tag – im Winter NachtDie durchschnittliche sonnenscheindauer im Yukon, dem hohen Norden Kanadas, beträgt 20 stunden im sommer, 4 im Winter. Die Natur gibt den lebensrhythmus vor. Werner Walcher hat sich für ein leben im Yukon entschieden und ist vor 15 Jahren aus Deutschland ausgewandert.

XII . NACHTGESCHICHTEN

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sprach� man� von� «cabin� fever».� Die� Leute� waren�Selbstversorger,� ernährten� sich� von� ihren� Vorräten�und�hatten�wochenlang�keinen�Kontakt�zu�anderen�Menschen.��Ist das heute anders?Ja,�die�Menschen�sind�eingebettet�in�der�Zivilisation.�Whitehorse�ist�eine�Stadt,�die�auch�im�Winter�funk-tioniert.� Die� Menschen� gehen� einer� Arbeit� nach,� in�der�Freizeit�ins�Hallenbad�oder�auf�die�beleuchteten�Langlauf-Loipen.�Aber�auch�so�muss�dem�Lichtman-gel�entgegengewirkt�werden.�Viele�machen�im�Januar�Ferien�und�reisen�irgendwohin�an�die�Sonne,�um�den�langen�Winter�zu�unterbrechen.�

Dafür haben Sie 20 Stunden Sonne im Sommer. Im� Sommer� ist� es� oft� fast� zu� viel� Licht.� Die� Sonne�scheint�beim�Aufstehen,�egal�wie�früh�man�aufsteht.�Und�die�Sonne�scheint�auch�noch�beim�Zeitunglesen�kurz� vor� Mitternacht.� Ohne� Uhr� herrscht� Orientie-rungslosigkeit,� der� Körper� schaltet� auf� Dauerbe-trieb.

Kommt da der Rhythmus nicht komplett durcheinander?Sie�brauchen�ganz�klar�weniger�Schlaf�im�Sommer.�Es�verschiebt�sich�alles�ein�wenig,�und�man�hat�das�Gefühl,�unendlich�viel�Zeit�zu�haben�für�all�das,�was�man�tun�will.�Letzte�Woche�habe� ich�ein�deutsches�Kamerateam� begleitet.� Von� der� anfänglichen� deut-schen� Pünktlichkeit� und� Planung� war� Ende� Woche�nicht�mehr�viel�zu�spüren.�Erstens�kamen�sie�nie�ins�Bett�und�dementsprechend�auch�nicht�wieder�raus.�Der�Zeitdruck,�um�bei�einem�gewissen�Licht�die�Auf-nahmen�machen�zu�können,�fällt�komplett�weg.�Me-diterrane�Lebensweise�im�hohen�Norden!

Sie selbst sind Filmemacher und Fotograf. Wie gestaltet sich Ihre Arbeit bei diesen Extremen?Abgesehen�davon,�dass�die�Landschaft�und�die�Tier-welt�unzählige�Themen�und�Motive�bietet,�kann� ich�spezielle� Aufnahmen� machen� dank� den� extremen�Nächten.� Im� Winter� bei� Vollmond� drehe� ich� ohne�Probleme� Filme.� Und� das� goldene� Abendlicht� des�Sommers,� das� Sie� in� Europa� vielleicht� eine� halbe�Stunde� geniessen,� das� dauert� bei� uns� mindestens�vier�Stunden.�Wenn�ich�in�dieser�Zeit�unterwegs�bin�und�das�Glück�habe,�einen�Bären�mit�seinen�Jungen�beim�Spielen�zu�filmen,� ist�das�ganz�einfach�unbe-schreiblich.�Der�Yukon�strahlt�eine�solche�Faszination�aus,�da�kriegt�man�nie�genug.�Kurz:�für�meine�Arbeit�die�perfekten�Voraussetzungen.� interview�Beatrice�Kälin� bilder�yukonimages.com

Werner�Walcher:�«Dank�den�extremen�Nächten�kann�ich�spezielle�Aufnahmen�machen.»

Werner�Walcher�ist�Filmemacher�und�Fotograf.�Er�berät�und�

begleitet�europäische�Filmcrews,�die�im�Yukon�filmen.�Seit��

15�Jahren�lebt�er�mit�seiner�Familie�40�Kilometer�ausserhalb�

von�Whitehorse,�der�Hauptstadt.�Der�Yukon�ist�12-mal�so�

gross�wie�die�Schweiz�und�zählt�total�35�000�Einwohner,��

davon�leben�80�Prozent�in�Whitehorse.�Dafür�beheimatet�der�

hohe�Norden�Kanadas�eine�Vielzahl�von�Wildtieren�in�grossen�

Populationen.�Da�erstaunt�die�Aussage�von�Werner�Walcher�

nicht:�«Im�Yukon�ist�der�Mensch�Gast�in�einer�Tierwelt.»�

NACHTGESCHICHTEN . XIII

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Königin der Nachtin der Nacht gehört die stadt den Zwergfledermäusen. geschickt vollführen sie Kapriolen in der luft und erbeuten dabei Unmengen von insekten.

Ein�Spätsommerabend�in�der�Stadt�Zürich,� in�der�Bäckeranlage�geniessen�Anwohner�den�Feierabend,�Clochards�nippen�an�ihrer�Bierflasche.�Von�den�meisten�Besuchern�unbemerkt,�fliegen�Zwergfledermäuse�unruhig,�mit�vie-len�Wendungen�über�ihre�Köpfe�hinweg.�� «Die�Zwergfledermaus�kommt�häufig�im�Siedlungsraum�vor»,�sagt�Karin�Safi-Widmer,� kantonale� Fledermausschutz-Beauftragte.� Sie� jage� in� der�Struktur�und�finde� leicht�Unterschlupf� in�Hausfassadenspalten.�Rollladen-kästen�böten�der�Zwergfledermaus�eine� ideale�Tagesstätte,�auch�wenn� ihr�ärgster�Feind,�die�Katze,�gerne�auf�Fensterbrettern�sitzend�auf�sie� lauere.�Bevor� die� Zwergfledermäuse� in� der� Dämmerung� ausflögen,� betrieben� sie�Körperpflege� und� würden� mit� der� Schnauze� Parasiten� aus� der� Flughaut��herauslesen.�«In�der�Nacht�ist�die�Fledermaus�konkurrenzlos�und�holt�sich,�was�die�Vögel�tagsüber�nicht�abgeräumt�haben»,�meint�Karin�Safi-Widmer.�Sie� kreisten� oft� um� Strassenlampen,� weil� Insekten� vom� Licht� angezogen�würden.�Fledermäuse�würden�kurze,�sehr�hohe�Rufe�aussenden,�die�für�den�Menschen�nicht�mehr�hörbar�seien.�Die�Rufe�stiessen�auf�Objekte�und�prall-ten�retour�zur�Fledermaus.�Dauert�es�lange,�bis�das�Echo�des�Aufpralls�die�Fledermaus�erreiche,�ist�der�Gegenstand�weit�weg�–�und�umgekehrt.�Diese�Technik,�genannt�Echolot,�mache�die�Fledermaus�absolut�unabhängig�vom�Licht.�«Sie�zeichnet�damit�ein�‹Hörbild›�ihrer�Umgebung»,�erklärt�Karin�Safi-Widmer.�Einer�blinkenden�Taschenlampe�gleich�schreie�eine�Fledermaus�un-entwegt,�was�sehr�energieaufwendig�sei.�Die�Ruffrequenz�der�Zwergfleder-maus�liege�bei�zirka�45�kHz,�in�einem�eher�hohen�Bereich.�Dies�ergebe�eine�genaue�Auflösung� ihres�Umkreises,�sodass�die� tief�fliegende�Zwergfleder-maus� nicht� in� eine� Hauswand� krache.� Unermüdlich� jage� sie� während� der�ganzen�Nacht�(mit�Pausen)�Insekten.�Nur�das�Weibchen�kehre�im�Sommer�regelmässig�zum�Unterschlupf�zurück,�um�ihr�Junges�zu�säugen.�� Die� Morgendämmerung� bricht� an,� die� meisten� Leute� sind� längst� nach�Hause�gekehrt.�Auf�Parkbänken�der�Bäckeranlage�schlafen�Obdachlose.�Die�Zwergfledermäuse�suchen�ihren�Unterschlupf�auf.��� text�Maria�Savoldelli� bild�www.fledermausschutz.ch

< �Fledermäuse�erleben:�www.fledermausschutz.ch/ERLEBEN/erleb_ind.htm

Die�Zwergfledermaus�ist�ein�Winzling.

singen in der Nacht ......�das�tut�die�Nachtigall.�Der�Name�des�zierlichen�Vogels�macht�es�deutlich:�«Nacht»�zeigt�die�Zeit�der�Aktivität�an,�«Galli»�ist�Althoch-deutsch�und�heisst�so�viel�wie�«Singer»�oder�«Zaube-rer».�Die�Nachtigall�ist�also�tatsächlich�ein�Nachtsinger.�Und�sie�singt�auf�ihre�ganz�eigene�Weise.�Sie�be-herrscht�zwischen�120�und�240�verschiedene�Strophen-typen.�Zu�hören�ist�die�Nachtigall�vor�allem�im�Mai,�wenn�die�Männchen�eine�Brutpartnerin�suchen.�Die�meisten�Menschen�empfin-den�ihren�Gesang�als�wohl-tuend.�Früher�galt�er�sogar�als�schmerzlindernd�und�sollte�den�Sterbenden�einen�sanften�Tod�und�den�Kran-ken�Heilung�verschaffen.�Ein�ganz�besonderer�Vogel�also,�der�immer�auch�wieder�in�der�Literatur�Eingang�findet.�Ein�bittersüsses�Gedicht�hat�ihr�Joachim�Ringelnatz�ge-widmet:

Grosser VogelDie�Nachtigall�ward�� eingefangen,Sang�nimmer�zwischen�� Käfigstangen.Man�drohte,�kitzelte�� und�lockte.Gall�sang�nicht.�Bis�man�� die�VerstockteIn�tiefsten�Keller�ohne�LichtEinsperrte.�–�Unbelauscht,� alleinDort,�ohne�Angst�vor�� Widerhall,Sang�sieNicht�–�–,Starb�ganz�kleinAls�Nachtigall.� text�Sandro�Portmann

XIV . NACHTGESCHICHTEN

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Vampire im Zwielicht«Der kleine Vampir» lehrte uns schon als Kind: Vampire sind Nachtwesen, das Tageslicht ist für sie tödlich. Bis eine Handvoll Teenies die Vampire ins Zwielicht rückte.

In�mittelalterlichen�Sagen�stiegen�die�Seelen�der�Untoten�nachts�aus�ihren�Gräbern�und�verkrochen�sich�vor�Sonnenaufgang�wieder�brav�in�ihren�Sarg�–�so�selbstverständlich,�dass�sich�niemand�fragte,�was�passiert�wäre,�wenn�sie�sich�dem�Tageslicht�ausgesetzt�hätten.�Diese�Frage�stellte�sich�erst�mit�dem�Einzug�der�Vampire�in�die�Literatur.�� Bram�Stokers�Graf�Dracula�fühlte�sich�1897�bei�Tag�zwar�unwohl�und�ge-schwächt.�Doch�um�ihn�zur�Strecke�zu�bringen,�musste�seine�Brust�mit�einem�Pfahl�durchbohrt�und�der�Kopf�mit�einem�Schwert�abgehauen�werden.�Die�These,�dass�Vampire�im�Sonnenlicht�zu�Staub�zerfallen,�wurde�1922�im�Film�«Nosferatu»�aufgestellt.�Von�da�an�galt�das�Tageslicht�lange�als�sicherer�Tod�für�die�Untoten.�� In� einem� 1976� gedruckten� und� 1994� verfilmten� Interview� machte� sich�Vampir�Louis�über�Knoblauch�und�Kruzifixe�lustig,�nicht�aber�über�Särge�und�das�Tageslicht.�Schliesslich�waren�seine�Gefährtinnen�qualvoll�zu�Asche�ver-brannt,�als�die�Sonnenstrahlen�sie�in�ihrem�zum�Himmel�hin�offenen�Kerker�trafen.�� Actionheld� Blade� nutzte� Hightech-Waffen� mit� künstlichem� Tageslicht,�um� die� Blutsauger� nachts� zu� zerstäuben.� Doch� 2004� sahen� wir� Urvampir�Drake� nach�über�hundertjähriger�Abwesenheit�bei�Tag�durch�die�Grossstadt�schreiten.�Die�naive�Frage,�wieso�er�das�Sonnenlicht�vertrage,�konterte�er�la-konisch:�«Erinnerst�du�dich�nicht�an�Stokers�Roman?�Ich�bin�einzigartig!»� Dem�Urvampir�Drake,�der�Ende�des�19.�Jahrhunderts�noch�als�Dracula�auftrat,�mag�man�einzigartige�Kräfte�zutrauen.�Wenn�aber�im�21.�Jahrhundert�eine�Horde�hübscher�Teenies�durch�die�Highschool�huscht,�kaufen�wir�ihnen�ihre�Vampirfantasien�nur�widerwillig�ab.�Denn�als�Vampirschönling�Edward�demonstrativ�ins�Sonnenlicht�tritt,�passiert�...�nichts!�Er�steht�nur�da�und�fun-kelt.� Das� Nachtwesen� ist� zum� 24-Stunden-Produkt� mutiert.� Sonnige� Tage�meiden�die�Vampire�aus�der�«Twilight»-Saga�nur�aus�Angst,�durch�ihr�Glitzern�aufzufallen.� Ansonsten� klappt� tagsüber� alles� wunderbar:� Keine� Anzeichen�von�Schwäche�oder�Unwohlsein,�in�Edwards�Zimmer�(voll�verglaste�Aussen-wände!)�fehlt�der�Sarg.�Die�geballte�Ladung�Tabubrüche�dieser�Teenie-Vam-pir-Romanze�geht�definitiv�zu�weit!�Wir�fordern:�Gebt�der�Nacht�die�Vampire�und�ihren�dunklen�Zauber�zurück!�� text�Daniel�Roth� bild�Sylvia�/�pixelio.de

Vampire:�Nachtgeschöpfe�im�Wandel�der�Zeit.

schlaf, Kindlein, bitte schlafNichts�gegen�Bettmümpfeli�und�Schlaflieder,�aber�wenn’s�ans�Einschlafen�ge-hen�soll,�verlangen�Kinder�Höherdosiertes.�Manche��Eltern�setzen�auf�den�sedie-renden�Effekt�von�Haus-haltgeräten�und�schalten�den�Staubsauger�ein;�ande-re�packen�den�munteren�Sprössling�abends�ins�Auto�und�kurven�herum,�bis�er�selig�schlummert.

Solcherlei�blieb�mir�zwar�er-spart,�dafür�bestand�der�Sohnemann�auf�meiner�An-wesenheit�in�seinem�Bett-chen,�wo�ich�regelmässig�vor�ihm�einschlief.�Allmäh-lich�wurde�mir�mehr�Distanz�gewährt:�Aus�meinem�Pro-krustesbett�entlassen,�durf-te�ich�mich�zunächst�unmit-telbar�daneben,�dann�vor�der�Zimmertüre�am�Boden�einrichten,�wo�ich�auf�kalten�Steinfliesen�wenigstens�der�Lektüre�frönen�konnte.

Und�eines�Tages,�eh�man�sich’s�versieht,�schliesst�sich�die�Türe�zum�Kinder-zimmer.�Plötzlich�verbitten�sich�die�Heranwachsenden�jegliche�Einsichtnahme�in�ihre�Intimsphäre.�Und�der�Knall,�mit�dem�sie�einem�die�Türe�vor�der�Nase�zuschla-gen,�entspricht�dann�unge-fähr�jenem,�den�sie�in�der�Rübe�haben,�wenn�sich�die�Pubertät�an�ihrem�Gehirn�zu�schaffen�macht.�Nun�sind�wir�Alten�erst�recht�um�den�Schlaf�gebracht,�wenn�sich�die�Jugend�nächtelang�her-umtreibt�und�erst�im�Mor-gengrauen�–�in�welchem�Zu-stand�auch�immer�–�hoffent-lich�nach�Hause�findet.

Ist�auch�das�überstanden,�verbleibt�den�geplagten�El-tern�noch�eine�Gnadenfrist,�bevor�die�senile�Bettflucht�sie�ereilt.� text�Heinz�von�Niederhäusern

NACHTGESCHICHTEN . XV

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«Ich�war�ein�kleines�Kind,�als�ich�auf�meinem�rechten�Auge�blind�wurde.�Bis�heute�kenne�ich�den�Grund�da-für�nicht.�Rechts�ist�nichts:�kein�Schwarz,�kein�Weiss,�einfach�nichts.�Als�ich�13�Jahre�alt�war,�erblindete�ich�durch�einen�Unfall�auch�auf�meinem�linken�Auge.�In�den� folgenden�35�Jahren�war�meine�Welt�Grau.� Ich�erkannte�keine�Konturen,�keine�Farben�und�erst�recht�keine�Objekte.�Den�Unterschied�von�Tag�und�Nacht�habe� ich� dafür� immer� wahrgenommen.� Wurde� es�Nacht,�wurde�auch�das�Grau�dunkler.�Dafür�bin� ich�dankbar.�Es�hat�mir�geholfen,�einen�gewissen�Tages-rhythmus�einzuhalten.�Ansonsten�hätte�ich�möglicher-weise�mit�Schlafproblemen�zu�kämpfen�gehabt.�� Es�ist�rund�15�Jahre�her,�seit�ich�auf�die�Möglich-keit�einer�Operation�der�Netzhaut�hingewiesen�wur-de.�Diese�Chance�habe�ich�gepackt.�Innerhalb�eines�Jahres� kamen� die� Farben� zurück.� Wenn� jetzt� das�Wetter�schön� ist,� sehe� ich�Blumen�und�den�blauen�Himmel,�jedoch�vernebelt�und�vernarbt.�Darunter�ist�es�leer.�Scheint�die�Sonne,�blendet�es�mich�unwahr-scheinlich.� Allerdings� erst,� seit� ich� wieder� Farben�sehe.�Ich�muss�dann�eine�Sonnenbrille�aufsetzen.�In-teressanterweise�habe� ich�während�den�35�Jahren,�als�ich�keine�Farben�erkennen�konnte,�stets�fotogra-fisch�klar�geträumt.�Nach�der�Operation�kamen�die�Farben�zurück,�dafür�wurden�die�Träume�wieder�ver-nebelt.� Die� Klarheit� von� früher� war� einfach� ver-schwunden.� Ich�habe�auch� immer�optisch�gedacht.�Da�hatte�ich�es�sicher�einfacher�als�jemand,�der�seit�Geburt� blind� ist.� Geburtsblinde� Menschen� müssen�sich�mühsam�alles�erarbeiten,�ertasten.�Ich�kann�im-mer� noch� von� meiner� Erinnerung� leben.� Als� junger�Bub�ist�man�ja�so�interessiert�und�saugt�alles�auf.�Da-von�habe�ich�mein�Leben�lang�profitiert.�Seit�ich�Far-ben�und�Konturen�wieder�erkennen�kann,�habe� ich�bei� Bergwanderungen� ständig� mit� Schwindel� zu�

kämpfen.� Dieses� Gleichgewichtsproblem� hatte� ich�vorher�nicht.�Da�habe�ich�einfach�nichts�gesehen�und�mich�voll�und�ganz�auf�meine�Begleitung�verlassen.�Sowieso�ist�Vertrauen�das�A�und�O.�� Besonders�‹gspürig›�bin�ich�übrigens�nicht.�Mei-ne�Frau�sagt�ab�und�zu:�‹Hörst�du�die�Grille�oder�den�Vogel?›,�aber�ich�höre�gar�nichts.�Vielleicht�sind�mein�Hör-�und�Tastsinn�etwas�besser�trainiert,�das�ist�al-les.�Ob�für�mich�nur�finstere�Nacht�herrscht?�Höchs-tens�wenn�ich�schlafe.»� aufgezeichnet�von�Doris�Büchel

«Vertrauen ist das a und o»Der pensionierte Jurist Josef Bokstaller ist blind. Herrscht darum für ihn nur finstere Nacht? Ein Erfahrungsbericht.

Josef�Bokstaller:�«Tag�und�Nacht�immer�wahrgenommen.»

iMPrEssUMDie�Beilage�«Nachtgeschichten»�ist�die�Abschluss-arbeit�der�Teilnehmenden�des�Bildungsgangs�«Journalismus»�der�EB�Zürich.�Der�Bildungsgang�dauerte�von�Mai�2009�bis�September�2010.

Text und BildDoris�BüchelStefan�GreterBeatrice�KälinVera�HoneggerLine�NummeSandro�PortmannHansjürg�ReberDaniel�RothMaria�SavoldelliFrancisca�TiècheEsther�Wintsch

Heinz�von�NiederhäusernAdriana�ZilicMonika�Z’Rotz-Schärer

Titelbild�dieser�Beilage�Werner�Walcher

leitungFritz�KellerReto�Schlatter�(Bilder)Guido�Stalder

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 17

Kolumne

Gründe finde ich immer. Die Wä­sche hat noch nicht gelernt, sich selbst in die Maschine zu stopfen. Wenn ich tagsüber nur damit be­schäftigt bin, Kartoffelbrei mit Ka­rotten zu kochen und das Gemüse dafür erst noch zu kaufen, beleidige ich meine Fantasie. Dies und Ähnli­ches erzähle ich meinen Lieben, die sich sorgen, weil ich so traurig bin.

Ich habe eine Idee. Und packe end­lich meine Gedichtbände aus den Umzugskisten. Die Kisten bringen einen Moderhauch in unsere neue, moderne Wohnung, ankommen kann man da nicht. Räume die Bände in Greifnähe meines Schreib­tisches. Installiere meine Hippie­lampe auf dem Tisch. Meinen sil­bernen Ideenkasten stelle ich auch darauf. Stifte, Computer, Tastatur. Und warte.

Am nächsten Tag schon stehen die ersten Sätze einer neuen Erzäh­lung auf einem Papier, sie strickt sich fast von selbst weiter. Ich kann wieder zuhören, Geschenke machen, ich bin wieder da. Nein, es waren nicht die Kartoffeln, es war nicht meine ewige Müdigkeit, es war ganz einfach die Ecke, die mir gefehlt hat. Meine Ecke, wo sich die Fantasie kanalisieren und ausweiten kann, inmitten meiner Lieblingsbücher und Dinge.

Als ich damals in Grossraumbüros mein Geld verdient habe, bin ich

immer gern zu höhergestellten Mitarbeitern gerufen worden. Nicht, weil ich mich brennend da­für interessiert habe, was sie mir zu sagen hatten. Nein, ich durfte einen Blick in ihr Privatleben er­haschen. Schokoherzen im Schäl­chen neben dem Computer. Auf dem Computer ein kleines Mons­ter, das bei der Arbeit zuschaut. Kalendersprüche vielleicht, «I love my job, it’s the work I hate». Hätten wir besser gearbeitet, wenn auch wir unsere festen Plätze gehabt, zu unserem zweiten Zuhause de­koriert hätten?

Und doch wäre ich gern eine wan­dernde Dichterin. Hätte die Gabe, mir auf Sanddünen, in Cafés, auf Parkbänken meinen Schreibplatz einzurichten. Aber tue ich das nicht längst? Sammle ich nicht in Cafés, in Gärten und Läden Ge­danken, um sie dann in meinem Reich zu verarbeiten? Setzen sich all die reisenden Dichter und Ma­ler nicht unter die Schreibtisch­lampe nach ihren Abenteuern, und scheint dieser Platz ihnen nicht der wichtigste Ort auf ihren Reisen?

Ist keine noch so kleine Ecke im engen Wohnraum vorhanden, gibt es die Bäume, die Steine, die man sich zu eigen machen kann, das Café mit den Lieblingsbildern und der anderen Frau, die morgens auch ihren Laptop ausbreitet und die man einmal fragen wird, ob sie denn auch dichtet. Ich bin mir sicher, jeder Mensch hat einen Ort, der ihm gehört. Wo er Welten überblicken kann. Ich blicke auf den Üetliberg, der in dieser Hitze aussieht, als hätte man ihn zu oft gewaschen. Wie viele Gedichte und Geschichten dort oben wohl entstanden sind?

lea lernt: ein ort, der einem gehört

lea Gottheil, 34, ist Autorin in Zürich.

Für ihre Kurzgeschichten und Gedichte hat

sie im In- und Ausland Auszeichnungen er-

halten. Kürzlich ist im Arche-Verlag ihr ers-

ter Roman «Sommervogel» erschienen.

Von Mai 2002 bis Juli 2003 hat sie an der

EB Zürich den Bildungsgang «Literarisches

Schreiben» besucht.

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18 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

persönlich

Nicht umsonst wünscht sich Elena Schaidl, auf dem Dach der EB Zürich fotografiert zu werden: Sie liebt den Himmel, die Weite – und steht doch mit beiden Beinen auf dem Boden. «Schweben und fallen», das ist das Thema, das sie zurzeit beschäftigt. Gegensätze sind wichtig für die Malerin. Sie bilden die Pole des unsichtbaren Musters, das ihrem Schaffen zugrunde liegt. Dabei interessiert sie sich nicht so sehr für die Extreme, es geht ihr nicht ums Entweder­oder, sondern um alles, was dazwischen liegt, um die Ganz­heit letztlich. «Ich möchte das Schweben, das wun­derbare Gefühl des Getragenseins ebenso wie das Fallen, das auch mit Loslassen zu tun hat, in einem Bild ausdrücken», sagt Elena Schaidl. Und fügt nach­denklich hinzu: «Vielleicht male ich, weil ich man­che Sachen nicht begreife. Über die Bilder kann ich mich ihnen annähern und zumindest eine Ahnung von den Zusammenhängen bekommen.»

Farben. Die Fensterläden sind geschlossen, damit die Sonne nicht an die Scheiben prallt. Es ist angenehm in diesen Innenräumen, still und kühl. Und hell genug, um die Bilder zu betrachten. Die an den Wänden – eigene und solche von anderen Künstlern – sowie die­jenigen, die sie eigens bereitgelegt hat, um einen Ein­blick in ihr Schaffen zu geben: grosse Einzelbilder, kleinere Paare und Serien, bestehend aus mehreren kleinformatigen Teilen. Vorherrschend sind die Far­ben von Luft und Wasser, hie und da heftigeres Rot. Über dem Sofa die «Hängenden Gärten», ein zartes, helles Bild, unter dessen fliessender Leichtigkeit fes­ter Grund spürbar ist. Eine gut verankerte Zartheit. Man kann das weder wegwischen noch wegpusten.

haltungen. Elena Schaidls Bilder sind ruhig und zurückhaltend, nicht fordernd und laut. So wie die Malerin selbst. Sie steht nicht gern im Mittelpunkt. Lieber bleibt sie im Hintergrund, aus Bescheidenheit, aber auch weil sie sich die Freiheit bewahren möchte, in ihrer Malerei zu tun und zu lassen, was sie will. Unbeirrt den eigenen Weg gehen. Zum Kunstbetrieb hält sie vorsichtige Distanz und stellt nur selten aus. Aber an der BizArt 08 in der Galerie der EB Zürich hat sie gern teilgenommen – und sie wird sich auch dieses Jahr um die Teilnahme an der alle zwei Jahre stattfindenden internen Ausstellung bewerben. Sie sei ein scheues Mädchen gewesen, erzählt die zierli­che Frau mit dem strahlenden Lachen. Und eher da­rauf bedacht, zu tun, was man von ihr erwartete. Doch einmal habe sie Einspruch erhoben. Statt an die Kantonsschule zu gehen, habe sie darauf bestan­den, das Lehrerinnenseminar zu besuchen. Nicht, weil sie unbedingt Lehrerin habe werden wollen, sondern weil sie wusste, dass sie am Seminar ihre musische Seite würde leben dürfen.

Der Aufstand hat sich gelohnt. Elena Schaidl ist gern Primarlehrerin gewesen und arbeitet heute ebenso

lust am Verborgenenhimmelhäuser – ein schönes Wort! Vielleicht wird elena schaidls nächstes

Bild so heissen. sprache und malerei sind für die logopädin und Künstlerin

gleichermassen wichtig. an der eB Zürich unterrichtet sie lesen und schreiben

für erwachsene.

text Kati Dietlicher Bilder Roger Canali

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 19

persönlich

engagiert als Logopädin und Kursleiterin. Es ist also «etwas Rechtes» aus ihr geworden. Und gleichzeitig hat sie damals den Grundstein gelegt zu ihrem zweiten Beruf als Künstlerin. Zufall, Glück, Vorse­hung – weiss der Himmel, wer oder was! – segneten sie mit einem wunderbaren Zeichnungslehrer, der ihre Begabung erkannte und sie förderte. «Er war ein gnadenloser Kritiker», sagt Schaidl heute, «aber er hat an mich geglaubt.»

Formen. Während der Seminarzeit in Luzern hat sie sich neben dem Zeichnen und Malen intensiv mit Fotografie beschäftigt. Sie liebte das Unmittelbare an dieser Ausdrucksform und das Handwerkliche. Später, nach ihrem Umzug nach Zürich, besuchte sie Kurse an der damaligen Kunstgewerbeschule, hat mit Holz und Ton experimentiert. Neugier ist ein wichtiger Antrieb in ihrem Leben, die Lust am Entdecken und Staunen: «Mich interessiert nicht das Offensichtliche, sondern das, was darunterliegt.» Und das gilt nicht nur für die Malerei. Als Logopädin forscht sie nach individuellen Lösungen für Menschen mit Lese­ und

Schreibschwächen, indem sie genau hinhört und auch auf subtile Signale der Betroffenen achtet. «Es ist ein gemeinsames Suchen nach einem gangbaren Weg.»

Inspiration für ihre Bilder findet Elena Schaidl in der Natur. Sie liebt karge Landschaften, die felsigen Gip­fel oberhalb der Baumgrenze, die Wüste, das Meer. Am liebsten ist sie zu Fuss unterwegs, sammelt Ge­genstände – Steine, Federn, Holzstücke – und Ein­drücke – Licht, Himmel, Wolken. Alles, was sie nach Hause bringt, setzt sich, sinkt ab und taucht irgend­wann wieder auf in einem Bild. Die Künstlerin weiss nie, wohin der Malprozess sie führen wird. Ihr gefällt der Satz von Picasso: «Wenn man ganz genau weiss, was man machen will, wozu soll man es dann über­haupt noch machen?» Suchend nähert sie sich ihrem Gegenstand. Schicht um Schicht legt sie ihn frei, mit Bleistift und Kohle skizzierend zunächst und schliesslich malend, Schicht um Schicht, Acryl auf Leinwand, bis das Bild hält. Es dauert seine Zeit, bis die Malerin zufrieden ist mit ihrer Arbeit. Bis alles im Bild ist – Schweben und Fallen.

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Weiterbildung – wie ich sie willwww.eb-zuerich.chWeiterbildung – wie ich sie will

www.eb-zuerich.ch

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 21

ausKunFt

mail an den expertenGrüezi Herr Hauser

Ich habe kürzlich eine kleine Firma (zwei Leute) gegründet

und würde gern die Werbung und das Marketing in eigener Sache

verbessern. Wo soll ich anfangen?

Legen Sie sich eine Kommunikationsstrategie zurecht und planen

Sie die einzelnen Aktionen innerhalb dieses Konzepts. So erspa-

ren Sie sich viele Kosten und Leerläufe. Je genauer Sie Ihr

Zielpublikum kennen, desto präziser können Sie die einzelnen

Werbemassnahmen planen und koordinieren.

Mit welchen Werbemassnahmen erreiche ich den grössten Werbe­

effekt pro investierten Franken?

Diese Frage kann so nicht beantwortet werden, da jede Strategie

anders ist. Das billigste Werbemittel ist jedoch nicht immer

das günstigste. Eine gute Werbemassnahme besteht immer aus einem

guten Inhalt (Kreation) und aus einer schlauen Mediastrategie.

Was halten Sie von Guerilla­Marketing? (Das klingt nach illega­

len Marketing­Methoden, die den Leuten auf die Nerven gehen ...)

Guerilla-Marketing ist momentan in aller Leute Munde. Es ist

relativ einfach: Sie inszenieren etwas, das so spannend oder

neuartig ist, dass die Medien darüber berichten. Gute Guerilla-

Aktionen kommen sympathisch rüber, werden aber nachher meist

verboten. Denken Sie zum Beispiel an die Aktion, als Pastorini

im Dezember 07 «lebensgrosse» Spielzeugautos aus Sperrholz auf

öffentliche Parkplätze stellte.

Wie wichtig ist mein Internet­Auftritt? Worauf muss ich beim

Online­Marketing vor allem achten?

Für viele potenzielle Kunden ist Ihre Website der Erstkontakt.

Sie machen sich ein Bild von Ihnen und Ihrem Angebot. Achten Sie

auf einen authentischen, Ihnen und Ihrem Produkt entsprechenden

Auftritt. Denken Sie beim Online-Marketing immer an Ihre Ziel-

gruppe, und sprechen Sie diese mit kurzen, prägnanten Informa-

tionen an. Eine Website muss optisch ansprechen, und der Benut-

zer muss sich im Handumdrehen zurechtfinden. Website-Besucher

haben keine Geduld. Schaffen Sie Ihren Kunden eine Plattform,

auf der sie bleiben und sich eingeladen fühlen, mit Ihnen in

Kontakt zu treten.

Lohnt es sich, für eine bessere Platzierung in den Google­Ab­

fragen viel Geld auszugeben (z.B. eine Agentur zu beauftragen,

die den Internet­Auftritt entsprechend optimiert)?

Sparen Sie nicht bei der Erstellung der Website, und geben Sie

diese Aufgabe einem Profi in die Hand. Damit Ihr Internet-Auftritt

eine Chance hat, bei Google gut platziert zu werden, gilt es

schon beim Aufbau vieles zu berücksichtigen. Das A und O für

eine gute Positionierung sind: aussagekräftige Texte, die Integ-

ration der wichtigsten Suchwörter in Titel, Dateinamen und

Textinhalt sowie eine gute Verlinkung innerhalb der Website und

vor allem gute Backlinks (Links, die von anderen Websites auf

Ihre zeigen). Oft ist es dann nicht mehr nötig, Geld für Werbung

wie sogenannte AdWords (Anzeigen bei Google) auszugeben.

Vielen Dank für Ihre Tipps, es scheint, als ob ich mir Kosten

und Mühe ersparen könnte, wenn ich einen Ihrer Kurse besuche ...

peter hauser ist ausgebildeter Werber und eidg. dipl. Erwachsenen-bildner. Mit hauserconcept.ch und hallointernet.ch ist er tagtäglich mit Kommunikationsaufgaben kon-frontiert. Peter Hauser unterrichtet an der EB Zürich seit 2002.

BildunGsGanG

«WerBunG, pr & marKetinG»

Nur wer die Werkzeuge der Marketing-

kommunikation kennt, kann diese

bewusst und effizient einsetzen:

30. Oktober 2010, 09.00–15.00 Uhr,

30 Samstage

3. März 2011, 13.30–19.30 Uhr,

30 Donnerstagnachmittage

4960 Franken

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22 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

KursFenster

«Äh, Michi, ich habe mir Gedan­ken gemacht, ich will die kom­menden Ferien mit dir am Meer verbringen.» – «Und ich will in die Berge!» Die Frau und der Mann höckeln nicht etwa zweisam im Fauteuil und kuscheln, sie sitzen sich frontal gegenüber: Sie leicht beschwörend nach vorne gebeugt, er etwas verkrampft nach hinten gelehnt, sein Blick führt ins Leere. «Warum willst du in die Berge?», fragt sie angriffig. – «Weil ich’s nicht lässig finde, mit unserem Hund ans Meer zu fahren. Die Reise ist viel zu lang, und in den Bergen ist es kühler und entspannender!»

lösungen suchen. Gut, sind die beiden im wirklichen Leben nicht liiert, Rahel und Michael besuchen nur den gleichen dreitägigen Kurs, in dem erfolgreiches Verhandeln trainiert wird. Sie finden im Spiel eine Urlaubslösung, die sie im fai­ren Gespräch errungen haben: «In diesem Jahr fahren wir ans Meer,

im nächsten in die Berge.» Vorweg ist vom Kursleiter Thomas Pfister empfohlen worden, in einem sol­chen Dialog möge man von der Po­sition oder der Entscheidung zu den Interessen und Bedürfnissen beider Parteien vorstossen. Im wechselseitigen Erkunden und Plädieren soll das Feld der dahin­ter liegenden Vorstellungen ausge­weitet und vertieft werden, damit sich daraus viele Optionen erge­ben, die wenigstens eine gute Lö­sung für alle Seiten ermöglichen.

Der Kursleiter hat den klassischen Streit um die ersehnte Destination in zwei Gruppen vorbereiten las­sen. Was spricht denn für freie Tage am Meer, was für solche in den Bergen? Den einen ist’s am grossen Wasser schlicht zu heiss, zu langweilig; die anderen schätzen die wohlige Wärme und liegen gerne rum. Dann gibt’s Leutchen, denen die Bergwelt zu rau ist, zu eng, und diejenigen, die nichts lieber tun, als Gipfel im Dutzend zu besteigen. Und was ist, wenn sich ein Paar nicht einigen kann? Die sechs Teilnehmerinnen und vier Teilnehmer diskutieren lebhaft an den fünf im Halbkreis angeordne­ten Tischen und finden für die eine wie die andere Idee vielerlei Argu­mente. Weil sie sich bereits intensiv mit deeskalierenden Verhandlungs­konzepten beschäftigt haben, sind sie sich schmunzelnd einig, dass ein solch launiges Konfliktchen schon nicht mit der Scheidung endet.

meer oder Berge: das ist die FrageKompromisse suchen. Verhandelt wird alltäglich:

in der Familie, unter Freunden, im arbeitsteam.

erfolg versprechend ist, wenn man dabei die

eigenen interessen offen vertritt und die anliegen

des Gegenübers mit einbezieht.

text Guido Blumer Bild Philipp Baer

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 23

KursFenster

Verhandlungsprinzipien. Klassische Vorgaben beim Verhandeln sind die sogenannten Harvard­Prinzi­pien. Sie besagen: Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln; sich auf Interessen und nicht auf Positionen konzentrieren; Entscheidungsmöglichkeiten zum beidseitigen Vorteil entwickeln; Interessenkonflikte durch Hinzu­ziehen von objektiven Kriterien und im Sinne von neutralen Beur­teilungskriterien lösen; sich durch den Vergleich mit der besten Alter­native für oder gegen eine Verhand­lungsübereinkunft entscheiden. Während Thomas Pfister konzen­triert von Verhandlungsstrategien spricht, von persönlichem Stil, schwierigen Situationen in Pro­zessen, lässt er allzeit Widerspruch und Ergänzungen zu, bezieht das Gesagte geschickt in den Dialog mit ein.

Viele der Teilnehmenden stim­men darin überein, dass derjenige Mensch mit reichlich Verhand­lungsmacht ausgestattet ist, der viel Zeit, Ideen und Fachkompe­tenz hat, über freien Zugang zu Informationen verfügt wie auch über Autorität, Ansehen und Res­pekt. Jemand sagt: «Charisma kann auch verführen!» Das lässt Thomas Pfister gerne gelten. Klare Leitlinien und Prinzipien sind beim Verhandeln hilfreich, und doch ist jede Verhandlung wieder neu und erfordert situationsgerechte Ent­scheidungen.

umsetzen im alltag. Rahel, die 40­jährige Familienfrau, absolviert den Bildungsgang Kommunika­tion. Der Kurs «Erfolgreich ver­handeln» ist ein Wahlmodul dazu. Sie verspricht sich vom Besuch, dass sie in Gesprächen in der Fa­

milie wie in Vorständen bald mal die weibliche Position verlassen kann und Win­win­Situationen er­lebt. Sie wird dann geplanter und bedürfnisorientierter in Diskus­sionen einsteigen und will sich bemühen, trotz dem intellektuel­leren Zugang zur Kommunikation die Gefühle nicht zu unterdrücken. Ihr Mitspieler Michael, ein 45­jäh­riger Zimmermann, tut es ihr mit dem Bildungsgang gleich. Er er­hofft sich durch diesen Kurs mehr Verständnis und Interesse für seine Mitmenschen. Er liebt das Überraschende im privaten wie im beruflichen Leben und kann nun wohl besser damit umgehen. Womöglich will er nun sogar zu Meerferien Ja sagen.

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24 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

im GesprÄch

rolf lyssy, was machen sie am liebsten? So genau kann ich das nicht festlegen. Viel Spass macht mir die Musik. Ich spiele in einem Jazz­Quar­tett Schlagzeug, während des Winterhalbjahres tre­ten wir jede Woche im «Eden au Lac» in Zürich auf. Filme drehen ist stärker mit Arbeit verbunden; das ist ein längerer Prozess.

«die Widersprüche sichtbar machen»der Vielseitige. rolf lyssy wurde mit «die schweizermacher» bekannt. Bis

heute kamen von ihm 13 spiel- und dokumentarfilme ins Kino. er ist auch autor

eines viel beachteten Buches und schreibt regelmässig Kolumnen im Zürcher

«tagblatt». ein Gespräch über lebensplanung, scheitern und selbstfindung.

interVieW Rita Torcasso Bilder Reto Schlatter

im september kommt ihr Film «die schweizermacher» als musical auf die Bühne – 32 Jahre nach der Filmpre-miere. Was bedeutet das für sie? Ich geniesse es, dass der Film nochmals neue Früch­te abwirft. Es ist so etwas wie eine späte Ernte für mich.

der Film gab als ironisch-satirische Komödie den damaligen Zeitgeist der Fremdenfeindlichkeit wieder. haben sie keine angst, dass mit dem musical daraus harmlose unterhaltung wird? Nein, denn schon als ich den Film drehte, dachte ich, dass sich der Stoff für ein Musical eignen würde. Es geht darin ja um nichts weniger als um das Spannungs­verhältnis zwischen Abschottung und Toleranz, also um ein sehr aktuelles Thema, das berührt.

unsere abwehr gegenüber Fremdem beschäftigte sie in mehreren Filmen. ist das ein spezifisches schweizer thema?Die Frage, was ein Schweizer ist, berührt den Kern unserer Identität. Dass wir uns damit schwertun, hat auch geschichtliche Gründe. Sinnbildlich gespro­chen mussten wir zuerst die Berge überwinden, wenn wir etwas anderes als unsern eigenen Umkreis kennenlernen wollten. Bewährtes auch mal in Frage zu stellen, verlangt Offenheit.

Würden sie sich selber als sozialkritischen regisseur bezeichnen?Ich wollte Filme drehen, die unterhalten, aber dem Zuschauer auch das Gefühl geben, innerlich berei­chert aus dem Kino hinauszugehen. Hinter meinem Ziel, etwas zu bewegen, steht Substanzielles: Ich bin

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 25

im GesprÄch

bringen. Das setzt Filmschaffende unter einen star­ken Druck. Das undurchsichtige Förderungssystem mit anonymen Entscheidungen machte nicht nur mir zu schaffen. Kurz vor meiner Erkrankung hat­ten sich zwei befreundete Filmschaffende das Leben genommen.

Während ihrer depression gingen sie für drei monate in die psychiatrische universitätsklinik. darüber schrieben sie später den autobiografischen Bericht «swiss paradise». hatten sie keine angst vor einer stigmatisierung als «depressiver»? Diese Angst hatte ich während meines Aufenthalts in der Klinik. Als es mir besser ging, war es für mich ein zwingendes Bedürfnis, darüber zu schreiben. Vielleicht, weil die Krankheit eine Zäsur in meinem Leben bedeutete, eine einschneidende Erfahrung, die mich bis auf den Grund meines Selbst erschüttert hat.

Bei der lektüre fiel mir auf, wie sehr sie immer wieder bemüht waren, es andern recht zu machen, andere nicht zu enttäuschen und Konflikte gar nicht erst auf-kommen zu lassen. half ihnen die Krankheit auch, sich selber ernster zu nehmen? Aus heutiger Sicht war die Krankheit schliesslich auch eine Befreiung aus Zwängen und Prägungen. Ein wichtiger Teil davon war damals auch die Aus­einandersetzung mit meiner Herkunft aus einer jüdischen Familie. Im Buch rolle ich die Geschichte meiner Mutter auf, die durch halb Europa gereist war, bis sie schliesslich, als sie mit mir schwanger war, hier in der Schweiz bleiben konnte. Doch ihren Eltern verweigerte die Schweiz die Einreise, sie star­ben im Konzentrationslager. Ich hätte schon als

ein Kind der Aufklärung, ein Freigeist, der in Oppo­sition zu jeder Art von dogmatischer Lehre steht. In meinen Filmen möchte ich die Widersprüche sichtbar machen, in welchen wir leben.

sie lebten ihr ganzes leben im umkreis von Zürich und wohnen nun schon seit vielen Jahren im seefeld und in hottingen. Welche Beziehung haben sie zur stadt? Zürich ist mein geografischer und kultureller Boden, also das, was man als Heimat bezeichnen kann. Hier leben viele der Menschen, die mir nahestehen. Ich bin ein urbaner Mensch: Der regelmässige Aus­tausch mit andern ist mir sehr wichtig. Dazu gehört auch, im Quartier verwurzelt zu sein.

haben sie nie wie andere erfolgreiche Filmemacher daran gedacht, ins ausland zu gehen?Nein, das war für mich nie eine Option. Ich will mit meinen Filmen Geschichten erzählen. Das kann ich nur in einer Gegend, die ich kenne und in wel­cher ich verwurzelt bin. Als es noch möglich gewe­sen wäre zu gehen, war ich vielleicht auch einfach zu ängstlich, dann gründete ich eine Familie. Mein Sohn machte dann, was ich mir damals nicht zu­traute: Er wanderte mit 20 in die USA aus und hat sich dort eine Karriere als Kameramann aufgebaut.

sie kämpften jahrelang immer wieder um finanzielle unterstützung für ihre Filme. War das mit ein Grund, dass sie 1998 an einer schweren depression litten? Ein Auslöser unter anderen war damals sicher auch, dass die Realisierung eines Spielfilms scheiterte. In der kleinen Schweiz ist es kaum möglich, ohne finanzielle Unterstützung einen Film ins Kino zu

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im GesprÄch

Kind ein Sensorium für Ungerechtigkeit, Diskrimi­nierungen und Vorurteile entwickeln müssen.

in den letzten zehn Jahren drehten sie ausschliesslich dokumentarfilme. Wollten sie nach ihrer Genesung keine risiken mehr eingehen? Ich hatte das Gerangel um Geld satt. Ich habe ausge­rechnet, dass ich während 30 Jahren als Filmschaf­fender 7 Jahre dafür einsetzen musste, finanzielle Mittel aufzutreiben. Trotzdem habe ich dann vor drei Jahren ein neues Spielfilmprojekt entwickelt. «Die letzte Pointe» sollte eine tragikomische Ge­schichte zum Thema Freitod werden – mit Stephanie Glaser in der Hauptrolle. Auch dieses Drehbuch wur­de von der nationalen Filmkommission abgelehnt.

Glauben sie, dass bei solchen entscheidungen auch neid auf den erfolgreichen Filmemacher mitspielte? Eine Rolle spielt wohl eher die Art und Weise, wie man hierzulande mit Erfolg umgeht. Wenn sich ein

rolF lyssy wurde am 25. Februar 1936 in Zürich geboren. Er

drehte 1968 seinen ersten Spielfilm und schaffte zehn Jahre später

den Durchbruch als bekannter Schweizer Regisseur mit «Die

Schweizermacher». Danach drehte er mehrere Komödien, unter

anderen «Teddy Bär» und «Leo Sonnyboy» und, Mitte 90er Jahre,

«Ein klarer Fall». Ab 1994 kamen ausschliesslich Dokumentarfilme

von ihm ins Kino, u. a. «Wäg vo de Gass» über einen Junkie, ein

Film gegen die Todesstrafe und als letzter Film 2009 «Hard(ys)

Life» über den Musiker Hardy Hepp. 2001 veröffentlichte er

«Swiss Paradise» (Verlag Rüffer & Rub). Lyssy schreibt auch

Kolumnen im Zürcher «Tagblatt», 2007 erschienen einige davon

im Buch «Wunschkolumnen – oder hast du es dir anders vorge-

stellt?» (Verlag Einfach lesen).

Film gut verkauft, ist das suspekt. «Die Schweizer­macher» wurden damals nicht unterstützt mit der Begründung, ein so ernstes Thema eigne sich nicht für eine Komödie.

Wollen sie trotz der neuerlichen ablehnung weiter Filme drehen? Natürlich war ich sehr enttäuscht. Doch wenn man eine solche Höllenfahrt, wie es die Depression ist, überstanden hat, erhält man eine Art Immunität ge­gen Negatives. Das Drehbuch für den Film liegt jetzt in Deutschland, wo sich das Fernsehen interessiert. Und ich stecke mitten in der Planung eines neuen Dokumentarfilms. Ich möchte eine Fortsetzung von «Ursula oder das unwerte Leben» drehen. Diese Ge­schichte eines taubblinden und geistig behinderten Mädchens war vor 48 Jahren meine erste grosse Kamera­Arbeit. Heute ist Ursula 60 Jahre alt. Das Rätsel eines solchen Lebens spiegelt auch unser eige­nes Verhältnis zum Anderssein. Damit wären wir wieder bei unserem Umgang mit Fremdem.

Vor einiger Zeit begannen sie, regelmässig Kolumnen für das Zürcher «tagblatt» zu schreiben. haben sie sich damit ein Betätigungsfeld für das alter geschaffen? «Swiss Paradise» schrieb ich aus einem Bedürfnis heraus. Nach dem Erfolg des Buches hat es mich ge­reizt, etwas anderes auszuprobieren. Ich schrieb einen Roman, für den ich jedoch bis jetzt keinen Verleger gefunden habe. Die Kolumnen schreibe ich gerne, denn sie bieten mir so etwas wie Narrenfrei­heit – wohl auch aufgrund des Alters. Ich schreibe eigentlich über alles, auch über politische Entschei­dungen oder Missstände in der Stadt. Kürzlich be­merkte ich, dass ich meine Meinung zunehmend rabiater äussere.

Was gehört denn für sie zu einem guten leben? Freud sagte, dass dazu Arbeit und Liebe gehören. Aus meiner Sicht braucht es ausserdem auch ein inneres Gleichgewicht. Das habe ich heute für mich erreicht.

sie leben seit einigen Jahren allein. liessen sich arbeit und liebe nicht vereinbaren? Meine Bemühungen, einen Bund fürs Leben zu schliessen, scheiterten. Heute empfinde ich das Zu­sammenleben als etwas Äusserliches, denn es gibt ja noch viele andere Formen der Beziehung. Doch bis ich das so annehmen konnte, brauchte es einen langen emanzipatorischen Prozess. Meine Eltern trennten sich, als ich 14 Jahre alt, danach hatte ich lange keinen Kontakt zum Vater. Natürlich wollte ich dann alles besser machen. Irgendwann musste ich aber akzeptieren, dass Liebe etwas Unberechen­bares ist. Man geht damit auch immer ein Risiko ein.

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 27

VoGelschau

die statueEine kopflose Statue irgendwo in sommerlich-südlichen Landen lädt dazu ein, ihr eine lebendige Aktualisierung zu geben. Eine gefasst blickende Mutter lässt sich auf ihrem Bildungsurlaub (vermutlich) von ihrer Tochter ablichten (das Gegenbild existiert auch). Die Kamera, die man heute jederzeit zur Hand hat, verweist auch auf den Umstand, dass es Zeiten gab, in denen Repräsentationen noch in Stein zu meisseln waren; die Figuren überdauerten dann als Erinnerungsträger mehrere Generationen, bis ihnen aus Lust, Frust oder Unwissen der Kopf abgeschlagen wurde. Wäre doch schön, man könnte sich ab und zu einen neuen aufsetzen.

Fritz Franz Vogel

Der Bilderforscher und Bildersammler Fritz Franz Vogel ist Kursleiter an der EB Zürich im Bereich digital

gestalteter Drucksachen. Für EB Kurs verfasst er Bildkolumnen über inszenierte Fotografie, eines seiner

zentralen Forschungsgebiete.

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28 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

Kultur

Verblüffend. Warum geben wir Kellner A mehr Trinkgeld als Kell­ner B – obwohl uns beide gleich gut bedienen? Was passiert bei sogenannten Aha­Effekten? Der holländische Autor Ap Dijksterhuis ist Experimentalpsychologe und zeigt uns auf unterhaltsame Art, wie das menschliche Hirn tat­sächlich arbeitet und warum es gut sein kann, wenn das Unbe­wusste für uns entscheidet. Er präsentiert in diesem Buch die Funktionsweisen unseres Denkens und Fühlens – mittels verblüffen­der Experimente, witziger Anek­doten und origineller Einblicke in die Feldforschung – und beweist, dass das Bewusstsein nur für ei­nen kleinen Teil unserer geistigen Prozesse verantwortlich ist.

süss. Anstrengend war der Auf­trag in Laos. Die paar freien Tage in Kambodscha waren genau das Richtige, um Angkor Wat zu be­suchen. In der sengenden Hitze inmitten der Tempelanlage, die mit riesigen Wurzeln und ganzen Bäumen überwuchert war, da, inmitten einer Ruine, hörte ich den süssen Klang ihrer Musik und die Tiefe ihrer Stimme. Die Töne kamen aus einer kleinen Musik­anlage. Die Weichheit und die Klarheit umgaben mich und liessen mich nicht mehr los. Norah Jones hat mit ihrer ersten CD einen Welterfolg gelandet, und sicher haben viele von uns eine Geschich­te zu einem ihrer Lieder. Ich blieb für alle Songs sitzen und wurde durch ihre Töne verzaubert.

spannend. Ein moderner Klassiker des Dokumentarfilms! Erwin Wagenhofer enthüllt in raffinier­ten Interviews und gekonnten Schnitten den komplexen Mecha­nismus der globalen industriellen Agrarwirtschaft. Eindrucksvolle Bilder zeigen, woher der Fisch auf dem Gourmet­Teller stammt und warum viele junge Afrikaner sich in den gigantischen südspa­nischen Gemüsegewächshäusern illegal verdingen müssen. Die Stärke des Films besteht darin, dass er die unmittelbar beteilig­ten Agenten in ihrer eigenen Sprache reden lässt und das ge­sagte mit Bild und Kontrast intel­ligent verfremdet. Ein Meister­werk der Montage, das zum Verständnis von komplizierten Zusammenhängen viel beiträgt.

GaBrielle leisi

Co-Ausbildungsleitung

«Berufsbildungsverantwortliche»

roGer canali

Kursleiter Fotografie

hans huonKer

Projektleiter Nachhaltigkeit

Kursleitende und mitarbeitende der eB Zürich geben tipps zu interessanten Büchern, cds und Filmen.

Ap Dijksterhuis

das kluge unbewusste

Klett-Cotta, 2010

Norah Jones

come away With me

2003

Erwin Wagenhofer

We Feed the World

Allegro Film, 2005

lesen hören sehen

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 29

tipps und tricKs

achtung mitleser. Wohl kaum jemand möchte mehr auf die Vorteile der elektronischen post verzichten. eine anfrage kommt ins postfach, mit ein paar Klicks geht die antwort zurück. Vergessen geht manchmal, dass e-mails höchst unsicher sind.

text Fritz Keller illustration Eva Kläui

Herkömmliche (unverschlüsselte) E­Mails sind mit ei­ner Postkarte vergleichbar, deren Inhalt offen und einfach lesbar verschickt wird. E­Mails passieren auf dem Weg durch das Internet üblicherweise die Rech­ner verschiedenster Unternehmen in verschiedens­ten Ländern. Mit relativ wenig computertechnischem Geschick können sie auf dieser Reise von Fremden gelesen oder gar verändert werden. Zudem kann der Empfänger nicht sicher sein, dass der in der E­Mail angegebene Absender dem wirklichen Verfasser der E­Mail entspricht. Das zwingt zur Vorsicht.

schwierige Verschlüsselung. Zwar können E­Mails verschlüsselt verschickt werden, sie entsprechen dann gewissermassen einem verschlossenen Brief, auf dem nur noch die Adresse und der Absender zu lesen sind. Aber E­Mail­Verschlüsselung ist heute noch immer eher die Ausnahme und für Otto und Hanna Normalverbraucher zu kompliziert. Die von der Post und anderen Anbietern entwickelten Verfahren für den sicheren und nachweisbaren E­Mail­Verkehr zie­len eher auf Geschäftskunden und weniger auf Pri­vatkunden ab.

Vorsichtsmassnahmen. Natürlich kann es einem egal sein, wenn der Pöstler die Ansichtskarte an die Freun­de liest: «Viele Grüsse aus dem sonnigen Süden.» Ge­nauso verhält es sich mit vielen E­Mails. Nicht immer ist ihr Inhalt von jener Brisanz, die spezielle Mass­nahmen erfordert. Trotzdem ist da und dort Vorsicht angesagt. Hier ein paar Tipps, die man auf jeden Fall beachten sollte.– Keine vertraulichen Daten per E­Mail übermitteln.

Das gilt insbesondere für Passwörter und andere Zugangsdaten zu E­Mail­Konten oder gar zu Geld­konten.

– Sensible E­Mails von der Festplatte löschen, wenn sichern, dann auf einem externen Speicher.

– Verschiedene E­Mail­Konten anlegen: Legen Sie zum Beispiel eine Haupt­E­Mail­Adresse an, die Sie nur vertrauenswürdigen Personen nennen, aber nicht im Internet veröffentlichen. Weitere E­Mail­Konten können dann zum Anmelden in Foren, On­line­Shops oder sozialen Netzwerken verwendet werden.

Kurse Zum thema

– IT-Sicherheit: Grundlagen

– Sicherheit im Web: Einstieg

– Sicherheit im Web: Aufbau

Weitere Infos und Anmeldung unter www.eb-zuerich.ch

schreib doch rasch per e-mail

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30 EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010

aGenda

schreiben und lesen fördern

Die EB Zürich baut nach den Herbstferien ihr Ange­bot im Bereich Sprache weiter aus: Sie eröffnet in den Räumen des Lernfoyers das SchreibLeseZentrum SLZ. Dieses ist gedacht als Ort, in dem Interessierte sich auf vielfältige Art und Weise mit Texten ausein­andersetzen können. So ist das SLZ dazu da, Schrei­bende in allen Phasen und Aspekten der Textarbeit zu unterstützen: bei der Rezeption von Texten, bei der Erarbeitung eines eigenen Textes oder beim Wei­terentwickeln einer Schreibstrategie. Oder wenn es darum geht, Fragen zu Stil und Grammatik zu klä­ren. Da das SLZ räumlich ins Lernfoyer eingebunden ist, können die Texte direkt auf einem PC oder Mac gestaltet werden.

Das SprachLeseZentrum SLZ setzt aber noch weitere Akzente. In kurzen Impulsveranstaltungen, in mit­tellangen Workshops und ständig laufenden Ateliers werden Themen rund um die deutsche Sprache auf­genommen und zur Diskussion gestellt. So beginnt am 5. November 2010 eine Reihe von Impuls­Work­shops mit einer Veranstaltung zum Thema «Der ers­te Satz»: Was macht Anfänge von Texten so speziell? «Paragraph Writing», «Texte im Lektorat» oder «Eigene Texte vortragen» sind weitere Titel aus die­ser Reihe. Weitere Workshops finden statt zum The­ma Metaphern oder zum biografischen Schreiben. Die EB Zürich ist überzeugt, dass sie mit dem SprachLeseZentrum SLZ einen Beitrag dazu leistet, Lesen und Schreiben möglichst facettenreich zu för­dern.

Weitere inFormationen

www.eb-zuerich.ch > SchreibLeseZentrum SLZ

Vormerken!informationsveranstaltungen zu Bildungsgängen und Kursen im Bildungszentrum für erwachsene BiZe, riesbachstrasse 11, 8008 Zürich

anwendungen am arbeitsplatzKurs «ECDL»-Start Kurs «Informatik-Anwender/in I SIZ» und «ECDL-Start» Kurs «Informatik-Anwender/in II SIZ» Bildungsgang «ICT Power-User SIZ»

publishing und digitale medienBildungsgang «Web-Publisher EB Zürich» Bildungsgang «3D-Visualisierung und Animation»

programmieren und systemeBildungsgang «WebProgrammer PHP» 2.0 Bildungsgang «Java (Sun Certified Java Programmer)» Bildungsgang «Microsoft MCTS Web Applications» Kurs «Linux-Systemadministration Basis (LPIC-1)» Kurs «Linux-Systemadministration Aufbau (LPIC-2)»

die aufgeführten Kurse und Bildungsgänge werden alle in einer Veranstaltung vorgestellt.donnerstag, 23. september 2010, 18.00–19.30 uhrmontag, 15. november 2010, 18.00–19.30 uhrmittwoch, 15. dezember, 18.00–19.30 uhr

persönlichkeit und managementBildungsgang «Kommunikation» Bildungsgang «Management und Leadership» Bildungsgang «Leadership kompakt» Bildungsgang «NPO-Management» Bildungsgang «Projektmanagement» Bildungsgang «Werbung, PR und Marketing» Bildungsgang «Textpraktiker/in» Bildungsgang «Mediation im interkulturellen Umfeld» Bildungsgang «Journalismus» Bildungsgang «PR-Fachfrau / PR-Fachmann» – in Zusammenarbeit mit KV Business School Bildungsgang «Weiterbildung in der Familienphase»

die aufgeführten Kurse und Bildungsgänge werden alle in einer Veranstaltung vorgestellt.mittwoch, 3. november 2010, 18.00–19.30 uhr

didaktik und BildungsmanagementSVEB, Eidg. Fachausweis Ausbilder/in und Eidg. Diplom Ausbildungsleiter/in

montag, 6. september 2010, 18.30–20.00 uhrmontag, 1. november 2010, 18.30–20.00 uhr

Weitere inFormationen

www.eb-zuerich.ch/agenda

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EB Kurs Nr. 27 – Herbst 2010 31

WeiterBildunG – Wie ich sie Will

mit jährlich 16 000 Kundinnen und Kunden ist die eB Zürich die grösste von der öffentlichen hand getrage-ne Weiterbildungsinstitution der schweiz.

Weiterbildung liegt im Interesse des Wirtschaftsstandortes Zürich und muss darum für alle zugänglich sein – unabhängig vom finanziellen oder sozialen Status. Seit über 35 Jahren unterstützt die kantonale Berufs-schule für Weiterbildung deshalb Berufsleute aus allen Branchen und Bildungsschichten dabei, beruflich am Ball zu bleiben; Lehrabgänger und Akademikerinnen, Handwerker und kaufmännische Angestellte, Kader und Berufseinsteigerinnen lernen neben- und miteinander. In über 400 Kursen und Lehrgängen können sie (fast) alle Fähigkeiten erwerben, die sie brauchen, um ihren Berufs-alltag erfolgreich zu meistern.

Für jedes Kompetenzniveau. Das Programm reicht von attraktiven Ein-steigerkursen bis hin zu professionel-len Lehrgängen auf höchstem Niveau. Ob Informatikanfänger oder -crack, Illettrist oder professionelle Texterin, Englisch-Einsteigerin oder Proficien-cy-Anwärter – an der EB Zürich finden alle ein passendes Angebot.

die Zukunft gestalten. Die über 350 Erwachsenenbildnerinnen und -bildner sind nicht nur fachlich, son-dern auch in Didaktik und Methodik auf dem neusten Stand. Die EB Zürich verfolgt die Trends in Wirtschaft und Gesellschaft genau und entwickelt laufend neue Konzepte und Inhalte, die auf die kommenden Bildungs-bedürfnisse ausgerichtet sind.

partnerin der Wirtschaft. Die EB Zürich fungiert als die Weiterbil-dungsstufe für all jene Berufstätigen, welche den «klassischen» Weg der Berufsbildung beschritten haben. Auch zahlreiche KMU und Institutio-nen mit und ohne eigene interne Weiterbildungsabteilung vertrauen auf die jahrzehntelange Erfahrung in der Erwachsenenbildung.

der persönliche Weg zum Ziel. Der Weg zum Lernerfolg ist individuell. In Weiterbildungs- und Lernberatun-gen werden die Ziele geklärt und geeignete Lernmethoden und -formen aufgezeigt. In Frage kommen auch verschiedene Formen des eigenver-antwortlichen Lernens, wie sie im Lernfoyer zur Verfügung stehen.

Nicht nur Privatpersonen, sondern auch immer mehr Personalchefs und Weiterbildungsverantwortliche vertrauen darum auf den Slogan der EB Zürich:«Weiterbildung – wie ich sie will»

Beruflich weiterkommen mit der eB Zürich

Quaibrücke

Bahnhofstrasse

Klosbachstra

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Asylstrasse

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Steinwiesstr.

Münsterbr.

Rathausbr.

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Bhf. Stadelhofen

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Höschgasse

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Zollikerstrasse

Fröhlich

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Pfauen KunsthausTram 3, 5, 8, 9,Bus 31

Kreuzplatz Klusplatz

Quaibrücke

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Kreuzstrasse

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so erreichen sie unsTram Nummer 4/2 bis FeldeggstrasseBus 33 bis Höschgasse

so kontaktieren sie [email protected] 0842 843 844

so finden sie uns im netzwww.eb-zuerich.ch

eB ZürichKantonale Berufsschule für WeiterbildungBildungszentrum für Erwachsene BiZERiesbachstrasse 118090 Zürich

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Weiterbildung – wie ich sie will

Kantonale Berufsschule für Weiterbildung WBildungszentrum für Erwachsene BiZERiesbachstrasse 11, 8090 ZürichTelefon 0842 843 844 www.eb-zuerich.ch [email protected]

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